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1.) Was ist Sozialpsychologie? Sozialpsychologie Skript 2015 Maximilian Bungart

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1.) Was ist Sozialpsychologie? Sozialpsychologie Skript 2015 Maximilian Bungart
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
1.) Was ist Sozialpsychologie?
(Vorlesung vom 27.10.2014 - Lernziele: Definition der Sozialpsychologie, Drei Gütekriterien
— Aronson Kapitel 1 & 2)
1.1.) Definition: (nach Gordon Allport)
Sozialpsychologie ist der Versuch, zu verstehen und zu erklären, wie die Gedanken, Gefühle und
Verhaltensweisen von Personen durch die tatsächliche, vorgestellte oder implizite Anwesenheit
anderer Menschen beeinflusst werden.
Die 2 Grundprinzipien bzw. Hauptthemen sind demnach:
(1) Sozialer Einfluss: Er ist Allgegenwärtig -> Effekt von Worten, Handlungen, Präsenz anderer
Personen auf eigene Gedanken (Kognition), Gefühle (Emotion) und Verhalten.
(2) Subjektive Konstruktion der sozialen Realität
1.2.) Prozesse:
Die Sozialpsychologie untersucht, welche affektiven, sozialen und kognitiven Prozesse das
Denken, Fühlen und Verhalten in sozialen Kontexten beeinflussen.
Affektive Prozesse:
-> Gefühle gegenüber sich selbst (Selbstwert), anderen (z.B. Vorurteile) und diversen Dingen
(Einstellungen)
(Wie beeinflussen andere Personen oder Gruppen unsere Gedanken, Gefühle und Handlungen?)
Soziale Prozesse:
-> Einfluss anderer Personen auf Gedanken, Gefühle, Verhalten
(Wie beeinflussen die Gefühle gegenüber sich selbst und anderen gegenüber die Handlungen und
die Interpretation der Welt?)
Kognitive Prozesse:
-> Einfluss von Erinnerungen, Wahrnehmungen, Gedanken und Motiven auf die Sicht der Welt und
das Verhalten
(Wie beeinflussen Erinnerungen, Wahrnehmungen, Gedanken und Motive unsere Sicht der Welt?)
Alle 3 Prozesse führen zu einer Subjektiven Konstruktion der sozialen Realität, welche das soziale
Verhalten beeinflusst.
Beispiel:
(Subjektive Konstruktion der Realität)
Ross & Samuels (1983)
1. UV = 2 Gruppen -> kompetitive und kooperative Teilnehmer
2. UV = Beschreibung des Spiel als „Gemeinschaftsspiel“ vs. „Wall Street Spiel“
AV = % der Spieler mit kooperativer Strategie
Bezeichnung „Wall Street Spiel“ führte zu einer Manipulation der Grundeinstellung im Bezug auf
das Spiel.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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=> Der Einfluss situationaler Eigenschaften kann oft wichtiger sein als die Persönlichen
Eigenschaften.
1.3.) Abgrenzung zu anderen Teilbereichen
1.) Soziologie:
Bezieht sich eher auf das „Gesamte“ und erforscht allgemeine Gesetzmäßigkeiten und Theorien
über Gesellschaften, Organisationen und Gruppen (nicht aber Individuen).
2.) Differentielle- bzw. Persönlichkeitspsychologie:
Bezieht sich auf das Individuum und erforscht allgemeine Gesetzmäßigkeiten und Theorien
darüber, wie sich Individuen voneinander unterscheiden (Merkmale, die sie zu etwas Einzigartigem
machen).
3.) Allgemeine bzw. kognitive Psychologie:
Bezieht sich auf das Individuum und erforscht allgemeine Gesetzmäßigkeiten und Theorien über
menschliches Erleben und Verhalten.
—> Die Sozialpsychologie jedoch, beschäftigt sich (auch mit dem Individuum) mit allgemeinen
Gesetzmäßigkeiten und Theorien darüber, wie Menschen soziale Situationen konstruieren und
darauf reagieren. (Gemeinsame psychische Prozesse, die Sie für sozialen Einfluss empfänglich
machen) -> Person x Situation = Interaktionen
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Skript 2015
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2.) Forschung und Methoden
(Vorlesung vom 27.10.2014 - Lernziele: Vor- und Nachteile von Beobachtungsmethode,
Korrelationsmethode und Experiment; Mediator- und Moderator-variable)
2.1.) Forschung
Ziele sozialpsychologischer Forschung:
(1) Beschreibung: Man möchte Verhalten beschreiben (Beobachtungsstudien) -> Welcher Art ist
das Phänomen? z.B. „20% der Interaktionen im Kindergarten sind Raufereien“
(2) Vorhersage: Man möchte Zusammenhänge zwischen Variablen finden (Korrelation-Studie) ->
Können wir, wenn wir X kennen, Y vorhersagen? z.B. „Kinder, die Gewalt im Fernsehen sehen,
raufen eher“
(3) Erklärung/Kausalität: Man möchte Kausalzusammenhänge bzw. vermittelnde Variablen
finden (Experimente) -> Ist Variable X eine Ursache für Variable Y? z.B. „verursacht Fernsehen
aggressives Verhalten?“
(4) Veränderung: Man möchte eine Verhaltensbeeinflussung bewirken (Interventionsstudien) z.B.
„Reduzieren Anti-Aggressions-Trainings aggressives Verhalten im Alltag?“
Forschungsvorgehen:
Forschungsfrage -> Hypothese -> Studie entwerfen & Daten erheben -> Hypothese gegen Daten
testen -> Kommunikation der Studienergebnisse -> konzeptuelle Replikationen.
Wie überprüft man Hypothesen?
-> Durch die sogenannte „Operationalisierung“
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2.2.) Gütekriterien von Messinstrumenten
(a) Objektivität -> Jeder Anwender sollte zu dem gleichem Ergebnis kommen (keine
Voreingenommenheit oder Beeinflussung) bei gleicher Durchführung, Auswertung und
Interpretation.
(b) Reliabilität -> Das Messinstrument soll genau sein & Messfehler minimieren. (Wird der Test
wiederholt, muss die Messung dieselbe sein!)
(c) Validität -> (Konstruktvalidität) Operationalisierung bildet das theoretische Konstrukt ab. (Das
Messgerät misst genau das, was man wissen will, z.B. Waage - Kilogramm)
2.3.) Methoden der Sozialpsychologie
1.) Beobachtungsmethode
Technik, mit deren Hilfe der Forscher Menschen beobachtet und Messungen oder Eindrücke
protokolliert, welche er aus ihrem Verhalten gewinnt.
(a) Ethnografie: Das Verstehen einer Gruppe oder Kultur von innen heraus durch eine
Beobachtung, welche unabhängig von eigenen vorgefassten Meinungen ist. Ziel ist es, die
Komplexität einer Gruppe zu verstehen, indem man sie in Aktion beobachtet. Sie ist die
wichtigste Methode der Ethnologie (Lehre der menschlichen Kultur und Gesellschaften). Da die
Sozialpsychologie zunehmend das Sozialverhalten in Kulturen untersucht, welche sich von der
eigenen unterscheiden, wird immer häufiger die Ethnografie zu Hilfe genommen (um diese zu
beschreiben und Hypothesen zu psychologischen Prinzipien zu entwickeln)
(b) Dokumenten-Analyse: Ist nicht nur auf die Beobachtung des Verhaltens im realen Leben
beschränkt, sondern begutachtet die gesammelten Dokumente oder Archive einer Kultur. (z.B.
Tagebücher, Romane, Selbstmordankündigungen, Songtexte, etc. können sehr viel über das
Selbstbild einer Gesellschaft aussagen.) Diese Form der Beobachtungsanalyse kann viel über
Werte und Vorstellungen einer Gesellschaft zum Vorschein bringen. (Bsp. Pornografie <->
Gewalt)
—> Hypothesenprüfend und Hypothesengenerierend
—> Versuch, objektiv und systematisch zu sein
—> Arten: Offen vs. Verdeckt ; teilnehmend (aktiv und passiv) vs. nicht teilnehmend
—> Objektivität und Reliabilität zentral
Probleme:
- Vieles ist nicht bzw. schwer beobachtbar, weil manche Verhaltensweisen nur selten oder im
Privaten vorkommen. (z.B. Sind Notfälle selten und auch schwierig vorherzusagen)
- Bei der Dokumenten-Analyse ist der Forscher immer von dem Material abhängig, welches er
nutzt. (Stimmen Zahlen und Informationen der Dokumente überhaupt?)
- Reaktivität: Verdeckt = Ethische Probleme?
Lösungen:
- Steigerung von Objektivität/Reliabilität durch: Systematisches Vorgehen, Beobachtertraining,
Mehrere Beobachter und Aufnahme von Verhalten.
- Nicht reaktive Verfahren = Lost-Letter Technik, Aufzeichnungen, Dokumenten-Analyse
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Sozialpsychologie
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2.) Korrelationsmethode
Sozialpsychologen wollen Verhalten nicht nur beschreiben, sondern auch vorhersagen. Dazu
bedarf es angemessener Methoden. => Sozialverhalten vorhersagen
Die Korrelationsmethode versucht Zusammenhänge zwischen verschiedenen Konstrukten/
Variablen vorherzusagen bzw. zu untersuchen. (Größe-Gewicht, Einkommen-Wahlverhalten, etc.)
Hierbei werden zwei Variablen systematisch gemessen und es wird der Zusammenhang zwischen
ihnen erfasst (inwieweit also eine Variable durch die andere vorhergesagt werden kann).
Auch hier greifen die Forscher manchmal auf die direkte Beobachtung des menschlichen
Verhaltens zurück.
So könnte man sich z.B. die Frage stellen, ob es einen Zusammenhang zwischen aggressivem
Verhalten von Kindern und dem Ausmaß an Gewalt, mit dem sie beim Fernsehen konfrontiert sind,
gibt. Man könnte Kinder auch auf dem Spielplatz beobachten, das Ziel wäre hier jedoch, den
Zusammenhang oder Korrelation zwischen der Aggressivität der Kinder und anderen Faktoren
(z.B. ihren Fernsehgewohnheiten) zu ermitteln, die die Forscher ebenfalls messen.
3 mögliche Korrelationen zwischen dem Konsum von Gewalt im Fernsehen und dem aggressiven
Verhalten von Kindern.
(1) Links: ausgeprägte positive Korrelation —> Je mehr die Kinder fernsahen, desto aggressiver
waren sie.
(2) Mitte: keine Korrelation —> Die Menge des Fernsehkonsums bei den Kindern hatte keinen
Einfluss darauf, wie aggressiv sie waren.
(3) Rechts: ausgeprägte negative Korrelation —> Je mehr die Kinder fernsahen, desto weniger
aggressiv waren sie.
Der Korrelationskoeffizient (r) = Statisches Maß des Zusammenhangs zweier Variablen (Wie gut ist
X durch Y vorhersagbar und umgekehrt?). Variiert von -1 bis +1
(+1 bedeutet nicht, dass es zu 100% der Grund für aggressives Verhalten ist, es könnte auch
durch andere Dinge verursacht werden.)
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Nicht-lineare Zusammenhänge
Beispiel Alkohol: Der Zusammenhang
zwischen Alkoholkonsum und
Wohlbefinden ist nicht linear. d.h. nach
einer bestimmten Menge ist der Graph
wieder rückläufig, sprich:
Je mehr man trinkt, desto schlechter
wird es einem am Ende wieder gehen.
Die Befragung
Die korrelative Methode wird oft bei Befragungen angewendet. Hierbei wird einer repräsentativen
Stichprobe von Menschen Fragen zu ihren Einstellungen oder ihrem Verhalten gestellt.
Vorteile:
- Es lassen sich Zusammenhänge zwischen Variablen beurteilen, die sich schwer beobachten
lassen (z.B. Häufigkeit, mit der ein Mensch sicheren Sex praktiziert). Sind Variablen nicht leicht
zu beobachten, verlassen sich die Forscher oft auf Befragungen der Menschen und ihren
Überzeugungen, Einstellungen und Verhaltensweisen und untersuchen mögliche
Zusammenhänge.
- Möglichkeit von repräsentativen Ausschnitten aus der Grundgesamtheit. Repräsentativ sind sie
nur dann, wenn die Probanden bzw. Befragten zufällig aus der Gesamtbevölkerung gezogen
wurden. (Zufallsprinzip) —> Jeder hat die gleichen Chancen ausgewählt zu werden. Nur dann
können wir davon ausgehen, dass eine Stichprobe repräsentativ ist.
Nachteile:
- Genauigkeit der Antworten: Einfache Fragen sind relativ leicht zu beantworten. Die Befragten
darum bitte, vorherzusagen, wie sie sich in einer hypothetischen Situation verhalten würde, oder
zu erklären, warum sie sich in der Vergangenheit so verhalten haben, ist jedoch eine Einladung
für Ungenauigkeit.
Probleme:
Korrelation ist nicht gleich Kausalität!
—> Häufigster methodischer Fehler in der Sozialwissenschaft
Wir wollen sagen, dass A die Ursache für B ist, und nicht nur, dass A mit B korreliert.
Jedoch könnte es eine Unbekannte Drittvariable geben, welche die beiden anderen Erklärt (z.B.
könnten die Eltern der Grund für ein aggressives Verhalten und einen hohen Fernsehkonsum sein)
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Außerdem ist die Richtung des Zusammenhangs wichtig:
- aggressive Filme —> aggressives Verhalten ?
- aggressives Verhalten —> aggressive Filme ?
Korrelation ist kein Beleg für Kausalität!
3.) Experimentelle Methode
- Empirische Überprüfung theoretischer Hypothesen durch Experimente.
- Methode, bei welcher der Versuchsleiter absichtlich eine Veränderung einer Situation
-
herbeiführt, um die Konsequenzen dieser Veränderung zu untersuchen.
Einzige Möglichkeit um Kausalzusammenhänge nachzuweisen
Untersucht Auswirkungen von unabhängigen Variablen (UV’s) auf abhängige Variablen (AV’s)
Sucht nicht nach „der“ Ursache, sondern nach der Ursache für die Unterschiede auf einer AV
„Quasi-Experimente“ —> Probanden werden nicht zufällig zugewiesen
Zur experimentellen Methode gehört immer, dass der Forscher direkt eingreift. Er ändert immer nur
einen Aspekt der Situation und kann dadurch feststellen, ob dieser Aspekt die Ursache des
fraglichen Verhaltens ist (etwa ob Menschen bei einem Notfall helfen - Bsp. Kabinennotfall).
Unabhängige und abhängige Variable
Forscher variieren die UV und beobachten, welchen Einfuss dies auf die AV hat
UV’s : Werden experimentell manipuliert. (z.B. Größe der Gruppe)
AV’s : Werden gemessen. Sie sollen durch die UV’s beeinflusst werden. (z.B. Hilfeleistung)
—> Inwieweit verändert sich die Hilfeleistung von Menschen, wenn man die Gruppenanzahl
erhöht?
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Die interne Validität bei Experimenten
Wenn bei einem Experiment alles außer der unabhängigen Variablen gleich bleibt, sprechen wir
von interner Validität.
Es muss dafür gesorgt werden, dass die Situation während der verschiedenen
Versuchsanordnungen mit Ausnahme der UV gleich bleiben
(„ceteris paribus“ —> „bei gleichen sonstigen Dingen oder Umständen“)
Die Vermeidung von konfundierenden Variablen („Drittvariablen“ oder „Störvariablen“) durch die
Zufallszuweisung zu Bedingungen („Randomisierung“).
Dieses Verfahren gewährleistet, dass alle Teilnehmer die gleiche Chance haben, an den
unterschiedlichen Bedingungen eines Experiments teilzunehmen, und sorgt dafür, dass
Unterschiede bezüglich Persönlichkeit oder Hintergrund der Teilnehmer gleichmäßig auf die
experimentellen Bedingungen verteilt sind.
Doch selbst bei einer Zufallsauswahl besteht immer die (sehr geringe) Möglichkeit, dass
unterschiedliche Eigenschaften von Menschen nicht gleichmäßig über die Versuchsbedingungen
verteilt waren.
—> Eine Gruppe von Gruppe von 40 Menschen wird willkürlich in zwei Gruppen eingeteilt. Es kann
sein, dass in der einen Gruppe eine größere Anzahl von Teilnehmern landet, die besser über
Epilepsie informiert sind, als in der anderen - so wie es möglich ist, viel öfter Kopf als Zahl zu
bekommen. —> Ein sehr ernst zu nehmendes Problem in der Experimental-Psychologie!
Wie wahrscheinlich ist es, dass die Ergebnisse eines Experiments durch Zufall zustande
gekommen sind und nicht aufgrund der UV?
—> Durch das Wahrscheinlichkeitsniveau (p-Wert)
Wenn die Wahrscheinlichkeit, dass die Ergebnisse auf Zufallsfaktoren basieren und nicht auf den
untersuchten UV kleiner als 5% ist, dann spricht man von Signifikanz (Zuverlässigkeit) —> p < .05
Der p-Wert sagt uns, inwieweit wir uns darauf verlassen können, dass der Unterschied auf Zufall
zurückgeht und nicht auf die UV.
Zusammenfassung:
(1) Der Schlüssel zu einem guten Experiment ist eine hohe Validität (= Ausmaß, in dem die UV,
und nur diese, die AV beeinflusst. Dies erfolgt durch die Kontrolle aller Störvariablen und eine
auf Zufall basierende Zuweisung der Probanden zu den unterschiedlichen
Versuchsbedingungen).
(2) Ist die interne Validität hoch, kann der Versuchsleiter beurteilen, ob die AV die UV verursacht.
Dies ist das Gütesiegel der experimentellen Methode, das sie von der Beobachtungsmethode
und der korrelativen Methode unterscheidet.
(3) Nur mithilfe der experimentellen Methode kann man Fragen nach Kausalzusammenhängen
beantworten.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Die externe Validität bei Experimenten
Durch das gewinnen der Kontrolle einer Situation (durch Randomisierung und das Ausschließen
von Störvariablen) wirkt das Experiment oft künstlich und realitätsfremd.
Wie gut lassen sich Ergebnisse einer Studie auf andere Situationen und andere Personen
verallgemeinern?
2 Arten von der Generalisierbarkeit:
(1) Generalisierbarkeit über Situationen hinweg: Das Ausmaß, in dem wir von der von einem
Versuchsleiter konstruierten Situation auf reale Situationen schließen können. (Man versucht
den psychologischen Realismus zu maximieren, also das Ausmaß, in dem die bei einem
Experiment ausgelösten psychologischen Prozesse solchen des realen Lebens ähneln. Der
psychologische Realismus ist stärker ausgeprägt, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass
sie es mit einem realen Ereignis zu tun haben. Um dies zu erreichen erzählen die
Versuchsleiter den Probanden oft eine „Coverstory“ um das wahre Ziel der Studie zu
verschleiern.)
(2) Generalisierbarkeit über Personen hinweg: Das Ausmaß, in dem wir von den
Untersuchungsteilnehmern eines Experiments auf Menschen im Allgemeinen schließen
können. (Die einzige Möglichkeit, sicherzugehen, dass die Ergebnisse eines Experiments
repräsentativ für das Verhalten einer bestimmten Grundgesamtheit sind, besteht darin, darauf
zu achten, dass die Teilnehmer - so wie bei Befragungen - nach dem Zufall aus dieser
Grundgesamtheit ausgewählt werden.)
—> Wie können Forscher also wissen, ob die von ihnen untersuchten Prozesse allgemeingültig
sind?
Feldforschung
- Eine der besten Möglichkeiten um die externe Validität zu erhöhen.
- Forscher untersuchen bei Feldexperimenten das Verhalten außerhalb des Labors in einer
natürlichen Umgebung.
- Kontrolle der UV und Einfluss auf AV und Randomisierung der Probanden (selbe
Versuchsanordnung wie Laborexperiment, findet jedoch in einer natürlichen Umgebung statt.)
- Teilnehmer sind sich bei Feldexperimenten nicht bewusst, dass es sich hierbei um ein
Experiment handelt, was zu einer hohen externen Validität führt. (Reale Umgebung mit realen
Menschen)
Replikationen
- Grundlegender Test für die externe Validität.
- Nur durch unterschiedliche Umfelder mit anderen Stichproben können wir feststellen inwieweit
sich Ergebnisse verallgemeinern lassen.
Meta-Analysen
- Ergebnisse zweier oder mehrerer Studien werden gemittelt, um zu sehen, ob der Einfluss einer
UV zuverlässig auftritt. (Durchschnitt der Ergebnisse verschiedener Studien)
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Sozialpsychologie
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Grundlagenforschung vs. angewandte Forschung
(1) Grundlagenforschung: Aus rein intellektueller Neugier heraus die beste Antwort finden, warum
sich Menschen auf eine bestimmte Weise verhalten.
(2) Angewandte Forschung: Forscher versuchen ein bestimmtes soziales oder psychologisches
Problem zu lösen.
—> Grundlagenforschung ist sehr wichtig für die angewandte Forschung und ist oft die Vorarbeit,
welche getan werden muss.
„Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie“ (Kurt Lewin 1951)
Versteht man die sozialpsychologische Dynamik, können schwierige soziale Probleme gelöst
werden. (z.B. Gewalt in Großstädten oder rassistische Vorurteile)
Probleme
Das grundlegende Dilemma des Sozialpsychologen
Fast immer muss man einen Kompromiss schließen zwischen interner und externer Validität zwischen der Möglichkeit also, die Untersuchungsteilnehmer nach dem Zufall den experimentellen
Bedingungen zuweisen zu können sowie ausreichende Kontrolle über die Situation zu haben,
damit das Ergebnis nicht von Störvariablen beeinflusst wird, und dem Bemühen, sicherzustellen,
dass die Ergebnisse auf das Alltagsleben übertragbar sind.
Die meiste Kontrolle haben wir unter Laborbedingungen, doch die Laborsituation unterscheidet
sich vom realen Leben.
Das wirkliche Leben kann am besten in einem Feldexperiment erfasst werden, wobei es jedoch
sehr schwierig ist, alle Störvariablen zu kontrollieren.
Die Einbußen hinsichtlich der internen oder externen Validität. Die Lösung heißt nicht, alles in
einem einzigen Experiment unterbringen zu wollen. Die meisten Sozialpsychologen entscheiden
sich zunächst für die interne Validität und führen Laborexperimente durch, bei denen die
Teilnehmer auf Zufallsbasis verschiedenen experimentellen Bedingungen zugeordnet und alle
Störfaktoren kontrolliert werden.
In diesem Fall lässt sich ziemlich eindeutig sagen, was wodurch verursacht wurde.
Andere Sozialpsychologen ziehen es vor, die externe Validität mithilfe von Feldexperimenten zu
maximieren. Und viele Sozialpsychologen tun beides.
Interne Validität:
(1) Große Stärke des Experiments, aber auch Probleme.
(2) Hawthorne-Effekt: Hat man wirklich nur das beabsichtigte Konstrukt manipuliert? (z.B. Licht auf
Produktivität —> War das Licht an, war Produktivität positiv. War das Licht aus, war sie auch
positiv. Warum? —> Arbeiter fühlten sich beobachtet —> Manipulation der Motivation)
Validitätsarten
(1) Abstrakte Konstrukte: Konstrukt-Validität —> Operationalisierung entspricht theoretischem
Konstrukten. (Erreicht durch: Multiple Opersationalisierungen, Manipulation Checks)
(2) Kausalzusammenhang: Interne Validität —> Nur die UV beeinflusst systematisch die AV.
(Erreicht durch: Experiment —> Kontrolle externer (Stör) Variablen, Randomisierung)
(3) Generalisierbarkeit: Externe Validität —> Ergebnisse nicht an spezielle Situation und Personen
gebunden. (Erreicht durch: Replikation, Meta-Analyse, Feldexperiment)
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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Zentrale Begriff der Methodik
1.) Mediator - Die vermittelnde Variable —> UV verändert Mediator-Variable und daher auch AV
2.) Moderator - „Interaktionseffekt“ —> UV und AV wird „moderiert“ (z.B. Leute die ohnehin schon
aggressiv sind)
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Sozialpsychologie
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2.4.) Neue Grenzgebiete der sozialpsychologischen
Forschung
- Während der letzten Jahre haben Sozialpsychologen neue Methoden entwickelt, um das
Sozialverhalten zu untersuchen.
1.) Kultur und Sozialpsychologie
Um die Art und Weise zu untersuchen, wie die Kultur Denken, Fühlen und Verhalten der Menschen
formt, führen Sozialpsychologen interkulturelle Forschung durch.
Hier geht es nicht einfach darum, die gleiche Studie in unterschiedlichen Kulturen zu replizieren;
die Forscher müssen auf der Hut sein, nicht ihre eigenen Ansichten und Definitionen, die sie in
ihrer Kultur erlernt haben, einer anderen Kultur, mit der sie nicht vertraut sind, auf zu zwängen.
2.) Der evolutionäre Ansatz
Einige Sozialpsychologen versuchen, das Sozialverhalten im Sinne genetischer Faktoren zu
erklären, die sich im Laufe der Zeit entsprechend den Prinzipien der natürlichen Selektion
entwickelt haben.
Solche Vorstellungen sind schwer experimentell zu überprüfen, aber die Forscher können
neuartige Hypothesen über das Sozialverhalten hervorbringen, die mithilfe der experimentellen
Methode überprüft werden können.
3.) Soziale Neurowissenschaft
Sozialpsychologen interessieren sich immer stärker für den Zusammenhang zwischen
biologischen Prozessen und Sozialverhalten. Dieses Interesse umfasst auch die Untersuchung
von Hormonen und Verhalten, das menschliche Immunsystem und neurologische Prozesse im
menschlichen Gehirn.
Wichtig: Ethische Frage in der Sozialpsychologie
Sozialpsychologen beachten bundesstaatliche, länderspezifische und fachliche Richtlinien, um das
Wohlergehen ihrer Forschungsteilnehmer zu garantieren.
Diese Richtlinien schreiben vor, dass ein Institutional Review Board ihre Studien im Voraus
genehmigt, dass sie die Teilnehmer bitten, eine auf Aufklärung basierende Einwilligung zu
unterschreiben, und nach Abschluss des Experiments eine Nachbesprechung über den Zweck der
Studie durchzuführen und klarzustellen, was sich tatsächlich ereignete, insbesondere wenn
Täuschung mit im Spiel war.
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Sozialpsychologie
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3.) Sozialer Einfluss
(Vorlesung vom 03.11.2014 - Lernziele: Gemeinsamkeiten von normativen und informationalen
sozialen Einfluss? Unter welchen Randbedingungen üben Minoritäten sozialen Einfluss aus?
Stanford Prison Experiment, Befunde, Erklärungsansätze. Auf aktuelle Kontexte übertragen
— Aronson Kapitel 8)
3.1.) Konformität
Normen und ihre Entstehen
(1) Die Gedanken, Gefühle und Handlungen werden durch Interaktion innerhalb einer Gruppe
immer ähnlicher.
(2) Die Normen spiegeln die akzeptierte Art einer Gruppe wider, zu fühlen, zu denken und zu
handeln. (versus Einstellung = komplementäre dazu)
Konformität
„Die Änderung des Verhaltens aufgrund des realen oder vermeintlichen Einflusses anderer.“
bzw.
„Das Anpassen von Gedanken, Gefühlen und Verhalten an die Normen einer Gruppe.“
—> Die Folgen konformen Verhaltens reichen von Nützlichkeit und Tapferkeit bis zu Hysterie und
Tragödien.
Gründe:
- Unkenntnis darüber, wie man sich in einer verwirrenden oder ungewöhnlichen Situation
verhalten soll. —> Verhalten der Menschen in ihrem Umfeld dient als Hinweis dafür, wie man
reagieren sollte.
- Man möchte sich nicht lächerlich machen oder bestraft werden, weil man sich von anderen
unterscheidet. —> Daher verhält man sich so, wie es die Gruppe von einem erwartet.
- Man möchte von der Gruppe nicht abgelehnt oder schlecht gemacht werden.
=> Durch informationalen sozialen Einfluss oder normativen sozialen Einfluss
Private Konformität: Norm wird auch alleine und nicht-öffentlich eingehalten.
Öffentliche Konformität: Norm wird nur öffentlich eingehalten, aber privat nicht akzeptiert.
—> Oft eine Mischform der Arten von Konformität
Warum sind Normen wirksam?
-
Normverletzungen werden von der Gruppe bestraft
Normbefolgungen werden mit Zugehörigkeit belohnt
Normen sind durch Sozialisation internalisiert (übernehmen und sich zu eigen machen)
Andere Gruppenmitglieder aktivieren und verstärken relevante Normen
Normen werden häufig aktiviert
Haben sie sich einmal etabliert, besitzen sie eine hohe Stabilität und der Unterschied zwischen
öffentlichen und privaten Urteilen verschwindet.
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3.2.) Informationaler sozialer Einfluss
Das Bedürfnis zu wissen was „richtig“ ist.
Einfluss anderer Menschen, der uns zur Konformität führt, weil wir sie als Informationsquelle
betrachten, um unser Verhalten zu leiten.
Andere nach ihrer Meinung zu fragen oder ihr Handeln zu beobachten hilft uns, eine Situation zu
erklären. Wenn wir anschließend handeln wie alle anderen, verhalten wir uns konform, aber das
heißt nicht, dass wir schwache, unselbstständige Individuen ohne Rückgrat sind. Vielmehr bringt
uns der Einfluss anderer Menschen dazu, konform zu gehen, weil wir diese Leute als
Informationsquelle dafür betrachten, wie wir uns verhalten sollten.
Wir zeigen solche Konformität, weil wir glauben, dass ihre Interpretation einer mehrdeutigen
Kombination von Umständen zutreffender ist als unsere und uns helfen wird, angemessen zu
handeln.
—> informationaler sozialer Einfluss
Entstehung von Normen - Sherif (1936):
Erste Phase des Experiments:
Teilnehmer sitzt in einem dunklen Raum und
soll sich auf einen 4 meter entfernten
Lichtpunkt konzentrieren (UV). Er soll
schätzen um wie viel cm sich der Lichtpunkt
bewegt (AV).
In Wirklichkeit bewegt der Punkt sich
überhaupt nicht.
—> Es entsteht eine visuelle
Wahrnehmungstäuschung, der sogenannte
„Autokinetische Effekt“ - Man hat den Eindruck, dass der Punkt sich bewegt. Das liegt daran, dass
man keinen festen Bezugspunkt hat, um die Position des Lichts festzulegen. Jeder Betrachter
nimmt eine unterschiedlich starke Bewegung des Lichts wahr, empfindet sie jedoch nach einer
bestimmten Zeit als gleichmäßig.
Alle Teilnehmer dieses Experiments gelangten während der 1. Phase zu einer stabilen
Einschätzung, jedoch variierten sie von Person zu Person (Manche 2 cm, manche bis zu 20 cm)
Zweite Phase des Experiments:
Wenige Tage nach der 1. Phase wurde das Experiment wiederholt.
Diesmal jedoch mit 2 anderen Teilnehmern, die die erste Phase des Experiments zuvor ebenfalls
durchlaufen hatten. Alle Personen hatten unterschiedliche Einschätzungen abgegeben.
Was passierte nun?
Man gelangte zu einer gemeinsamen Einschätzung, mit der dann alle Konform gingen. Diese
Ergebnisse verdeutlichen, dass die Teilnehmer sich gegenseitig als Informationsquellen nutzten
und schließlich glaubten, die Einschätzung der Gruppe sei die korrekte.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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Sherif entschied sich für den autokinetischen Effekt, weil er eine mehrdeutige Situation haben
wollte - die korrekte Definition der Situation wäre seinen Untersuchungsteilnehmern dabei unklar.
Dritte Phase des Experiments:
Nun wurden die Teilnehmer erneut darum gebeten alleine eine Einschätzung zu machen. Obwohl
sie nicht mehr befürchten mussten, sich vor den anderen Teilnehmern lächerlich zu machen,
gaben sie weiterhin die Antwort, mit der sie zuvor konform gegangen sind.
Informationaler sozialer Einfluss kann zu Privater Akzeptanz führen:
- Mit dem Verhalten anderer Konform gehen, aus einem ernsthaften Glauben heraus, dass das
was sie tun oder sagen, richtig ist. (Bsp. Stromsparen; Jessica Nolan 2008; Badehandtücher;
Cialdini und Griskevicius 2008)
Außerdem kann es zur sogenannten „Öffentlichen Compliance“ (Zustimmung/Fügsamkeit)
kommen:
- öffentliche Anpassung an das Verhalten anderer, ohne zwangsläufig von dem, was die Gruppe
sagt oder tut, tatsächlich überzeugt zu sein. (z.B. weil man sich nicht blamieren oder dumm
dastehen will)
Rolle von Wichtigkeit: Baron, Vandello & Brunsman (1996)
Erweiterung von Sherifs Experiment durch mehr Ähnlichkeit zum echten Leben und einer
zusätzlichen Variable: Die Frage, wie wichtig es dem Menschen ist, bei einer Aufgabe exakt zu
sein.
Identifizierung von Tätern durch Augenzeugen.
-
UV: geringe vs. hohe Wichtigkeit („Verfahren ist noch in Entwicklung“ vs „Echte Identifizierung“)
AV: Anzahl konformer Antworten
Setting: 1 Versuchsperson und 3 Konföderierte
Kontrollgruppe: Bilder alleine für sich betrachten —> 97% richtige Antwort
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Erste Bedingung:
- Probanden sehen ein Bild des wahren Täters für 0.5 Sekunden (schwere Aufgabe)
- Probanden müssen diesen Täter aus 4 Verdächtigen identifizieren
- 13 Durchgänge. Bei den entscheidenden 7 Durchgängen, mit denen der informationale soziale
Einfluss gemessen werden sollte, gaben die Konföderierten vor dem Untersuchungsteilnehmer
dieselbe falsche Antwort.
Ergebnis erste Bedingung:
Man will keinen Fehler machen und geht daher Konform.
Wenn unsere Urteile und Entscheidungen Konsequenzen haben, sind wir motiviert, „alles richtig zu
machen“.
Man fand heraus, dass uns das empfänglicher macht. Verlässt man sich jedoch auf andere
Menschen als Informationsquelle, ist dies mit Risiken verbunden. Was ist wenn andere Menschen
nicht recht haben? Genau deshalb ist es nach den polizeilichen Richtlinien vorgeschrieben, dass
Augenzeugen individuell von den Ermittlungsbeamten befragt werden müssen. (und sich auch die
Gegenüberstellung individuell ansehen müssen.)
Zweite Bedingung: (gehört schon zu normativen sozialen Einfluss)
- Probanden sehen ein Bild des wahren Täters für 5 Sekunden (leichte Aufgabe)
- Probanden müssen diesen Täter aus 4 Verdächtigen identifizieren
- 13 Durchgänge. Bei den entscheidenden 7 Durchgängen, mit denen der informationale soziale
Einfluss gemessen werden sollte, gaben die Konföderierten vor dem Untersuchungsteilnehmer
dieselbe falsche Antwort.
Ergebnis zweite Bedingung:
Bei der wichtigen Bedingung gingen die Probanden deutlich seltener Konform als vorher.
Sie ignorieren den normativen bzw. sozialen Druck, da es sich hier um eine eindeutige Situation
handelte und nicht wie zuvor um eine mehrdeutige.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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Nachteile informationaler Konformität („Wenn Konformität nach hinten losgeht“)
Beispiele:
(1) „Ansteckung“: Rasche Ausbreitung von Emotionen und Verhaltensweisen innerhalb von
Menschenmengen. —> Halloween-Abend in den USA 1938. Das Radio war die einzige Informationsquelle für
tagesaktuelle Nachrichten. Das Hörspiel „Krieg der Welten“ über die Invasion der Erde durch
feindliche Marsbewohner wurde über den Äther geschickt. Es wirkte so realistisch, dass
mindestens 1 Million Zuhörer Angst bekamen und in Panik verfielen. Hadley Cantril (1940)
nannte 2 Gründe für dieses Phänomen. Zum einen, wurde das Hörspiel sehr gut parodiert und
viele Hörer verpassten den Anfang der Übertragung. Zum anderen hörten sich viele Menschen
die Sendung gemeinsam mit ihrer Familie und Freunden an, was dazu führte, dass sich in ihrer
Unsicherheit natürlich an sie wandten, um herauszubekommen, ob sie glauben sollten, was sie
da gehört hatten. —> Menschen verlassen sich in einer mehrdeutigen Situation auf die
Interpretation anderer. Diese jedoch, besitzen jedoch meist auch nicht genauere Kenntnisse
als wir selbst.
(2) „Psychogene Massenerkrankung“: Auftreten ähnlicher körperlicher Symptome bei einer
Gruppe von Menschen ohne erkennbaren physischen Grund. —> Im Jahr 1998 meldete eine Highschool-Lehrerin in Tennessee, in ihrem Klassenzimmer
würde es nach Benzin riechen; schon bald stellten sich bei ihr Kopfschmerzen, Übelkeit,
Kurzatmigkeit und Schwindel ein. Als ihre Klasse evakuiert wurde, berichteten andere in der
Schule von ähnlichen Symptomen. Man beschloss, die gesamte Schule zu evakuieren. Alle
beobachteten, wie ein Notfallteam die Lehrerin und einige Schüler in Krankenwagen geleiteten.
Experten vor Ort untersuchten die Angelegenheit und stellten nichts Auffälliges in der Schule
fest. Der Unterricht wurde wieder aufgenommen und noch mehr Menschen berichteten, sich
krank zu fühlen. Die Schule wurde erneut evakuiert und geschlossen. Es folgte eine
umwelttechnische Untersuchung und wieder wurde nichts Auffälliges gefunden. Danach gab es
keine Epidemie mysteriöser Krankheiten mehr. (Altman, 2000). —> In der heutigen Zeit,
werden Informationen durch hohe Vernetzung über das Internet innerhalb von wenigen
Minuten weiterverbreitet, was dazu führt, dass sie von Millionen von Menschen aufgenommen
werden. Zum Glück haben die Medien dadurch auch die Macht, die Ansteckungsgefahr zu
bannen, indem sie mehrdeutige Ereignisse rational erklären.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Wann erweist man sich dem informationalen sozialen Einfluss als Konform?
(1) Wenn die Situation mehrdeutig ist: Wichtigste Variable, um zu ermitteln, inwieweit sich Menschen gegenseitig als
Informationsquelle nutzen. Unsicherheit der richtigen Reaktion, Verhaltens oder Ansicht, macht
sie empfänglicher gegenüber dem informationalen Einflusses. „Je unsicherer sie sind, desto
mehr werden sie sich auf andere verlassen.“
(2) Wenn man exakt sein möchte:
Durch die Angst bei falschem Verhalten aus der Gruppe ausgeschlossen zu werden, sich zu
blamieren oder dumm da zu stehen, werden Menschen der Konformität verfallen.
(3) Wenn es sich um eine Krisensituation handelt: Krisen gehen sind oft mehrdeutig. In solchen Situationen fehlt oft die Zeit, um über das richtige
Verhalten nachzudenken. (4) Wenn andere Experten sind:
Je mehr Sachkenntnis jemand hat, desto wertvoller ist er im Normalfall für uns als Leitfigur in
einer mehrdeutigen Situation. (z.B. Stewardess auf einem Flugzeug)
3.3.) Normativer sozialer Einfluss
Asch-Studien zur Beurteilung von Linien (1956) - Prägende Kraft des normativen sozialen
Einflusses. Seine Hypothese lautete: „Würde die Gruppe etwas sagen oder tun, was offensichtlich
der Wahrheit widerspräche, würden die Probanden dem normativen Druck widerstehen und ihre
eigene Entscheidung treffen“.
Verhalten sich Menschen auch dann Konform, wenn die Antwort ganz offensichtlich Falsch ist?
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
-
Experiment visueller Wahrnehmung
Gruppengrößte 7-9
1 Proband, alle anderen Konföderierte
12 (von 18) „kritische“ Durchgänge, in denen die Konföderierten absichtlich die falsche Antwort
gaben.
- Versuchsperson sollte beurteilen welche der Vergleichslinien am ehesten der Standardlinie
entspricht.
- Durch normativen Druck kommt es zu der „öffentlichen compliance“
- Kontrollgruppe —> in 98% aller Fälle die richtige Antwort
Ergebnis:
Erstaunlicherweise zeigten gegen Aschs Erwartungen viele Probanden Konformität mit dem Urteil
der Gruppe. 76% von ihnen gaben bei mindestens einem Versuchsdurchgang eine offensichtlich
falsche Antwort.
Im durchschnitt verhielten sich die Probanden bei etwa 1/3 der Durchgänge konform.
Warum?
Diesmal liegt keine mehrdeutige Situation mehr vor, sondern eine eindeutige, was bedeutet, dass
keine Informationen von anderen benötigt werden.
Obwohl die Probanden die anderen Teilnehmer nicht kannten, war die Angst, der einzige
Abweichler zu sein, so groß, dass sie sich anpassten. (zumindest gelegentlich).
Man will nicht aus der Reihe tanzen, sich nicht blamieren, sich selbst nicht für seltsam halten.
—> Man will keine soziale Missbilligung riskieren, nicht einmal vor völlig fremden Menschen.
Der normative Druck führt im Unterschied zum informationalem sozialem Einfluss normalerweise
zu öffentlicher compliance ohne private Akzeptanz. —> Die Menschen passen sich der Gruppe an,
selbst wenn sie von dem, was sie tun, nicht überzeugt sind oder es sogar für falsch halten.
Dasselbe Experiment wurde ein weiteres mal getestet, diesmal wurden die Antworten jedoch auf
einen Zettel geschrieben und die Konformität ging (natürlich) drastisch zurück.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Biologischer Beleg:
- Mentale Rotation im fMRI (functional Magnetic Resonance
-
Imaging)
Fehlerquote 13,9% (Asch 2%)
4 Konföderierte (ohne Gehirnmessung)
1/3 der Antworten wurden dem Probanden nicht gesagt
2/3 der Antworten wurden gesagt
Bei der Hälfte der Antworten hatten alle 4 Konföderierten die
falsche Antwort genommen
Ergebnis:
War der Proband auf sich gestellt, wurden die Regionen stärker, die für das Sehvermögen und die
Wahrnehmung verantwortlichen hinteren Gehirnbereichen zuständig sind.
Verhielt sich der Proband konform mit den anderen (falschen Antworten), wurden diese nicht
aktiviert. Es wurden folgende Bereiche des Gehirns aktiviert: Amygdala (negative Emotionen) und
der Nucleus Caudatus (Abstimmung des Sozialverhaltens).
—> Normativer sozialer Einfluss kann wirksam sein, weil Menschen negative Gefühle wie
Unwohlsein und Anspannung empfinden, wenn sie sich gegen die Gruppe wenden.
Wie Widersteht man normativem sozialem Einfluss?
Am Beispiel eines Gesprächs in einer Gruppe:
-
Wissen andere mehr als ich?
Sind Experten anwesend?
Sind die Handlungen der anderen Sinnvoll?
Widersprechen Sie meinem Verstand, meinen Grundsätzen, meinem Gefühl für richtig und
falsch?
Es würden 2 Dinge geschehen:
1. Die Gruppe würde versuchen mich durch verstärkte Kommunikation wieder „zurückzuziehen“.
2. Wenn das „zurückziehen“ nicht funktioniert, würden negative Äußerungen und der „Rückzug“
folgen.
=> Ablehnung.
=> Nonkonformisten werden häufig durch normativen Druck abgelehnt.
Bsp.: Stanley Schachter (1951)
- Fallstudie von Johnny Rocco, ein straffälliger Jugendlicher - sollte diskutiert werden.
- Die meisten Studierenden waren der Meinung ihm könne mit einer klugen Mischung aus Liebe
und Disziplin geholfen werden.
- Konföderierter in Gruppe war für harte Strafe - gleichgültig welche Argumente Gruppe
hervorbrachte.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Ergebnis:
- Der erste Versuch der Gruppe war, ihn von deren Meinung zu überzeugen. Als dies jedoch nicht
funktionierte, fing die Gruppe an ihn als primäres Ziel der Diskussion anzusehen. Der Konfident
lies sich jedoch nicht überzeugen und so wurde er gegen Ende des Gesprächs einfach ignoriert.
- Außerdem bestraften sie ihn: Nach der Diskussion sollten alle einen Fragebogen ausfüllen und
angeben wer bei der nächsten Sitzung ausgeschlossen werden sollte, falls die Gruppengröße
verringert werden müsse und wer für künftige Diskussionen verschiedene Aufgaben zugeteilt
bekommt. Der Abweichler bekam unwichtige oder langweilige Aufgaben und wurde auch aus der
Gruppe ausgeschlossen.
Normativer sozialer Einfluss im Alltag
Beispiele:
- Modetrends: Wir haben es immer dann mit normativem sozialem Einfluss zu tun, wann immer
eine Gruppe von Menschen einen bestimmten Look trägt, und egal wie dieser aussieht, er wird
nur wenige Jahre später altmodisch wirken, bis die Modeindustrie ihn als neuen Trend
wiederbelebt.
- Modische Hobbys: Bestimmte Aktivitäten oder Gegenstände werden plötzlich populär und
überrollen das Land. (z.B. „Flitzen“ Ende der 70er; „Beany-Manie“ Kinder - Kuscheltiere in den
90ern)
- Eine unheilvollere Form des normativen Drucks ist der Versuch von Menschen, sich den in ihrer
Kultur geltenden Vorstellungen von einem attraktiven Körper anzupassen.
Sozialer Einfluss und Körperbild der Frau
- Das Idealbild des weiblichen Körpers hat sich über das letzte Jahrhundert häufig verändert: In
den 20er Jahren waren extrem schlanke Frauen das Ideal, in den 50ern waren es fülligere
Frauen. Der Trend geht heute wieder in die andere Richtung (Magersucht),
- und ist auch stark abhängig von der Herkunft: Weiße eifern heute eher dem Schönheitsideal der
schlanken Frau nach, während afroamerikanische Frauen eher auf kurvenreichere und fülligere
Ideale setzen. In Japan nimmt es jedoch noch stärkere Ausmaße an, denn dort wird Konformität
groß geschrieben und die Frauen sind einem großen normativen Druck ausgesetzt (Schlank zu
sein).
Diese Phänomene sind auf 2 Dinge zurückzuführen:
(1) Zum einen hat man herausgefunden, dass in den Ländern, in denen ausreichend Nahrung
vorhanden ist, eher ein schlankes und dünneres Ideal vorherrscht, und in Ländern, in denen
die Nahrung knapp ist, ein fülligerer Körper als attraktiv empfunden wird. (Da dies für
Wohlstand, Gesundheit und Fruchtbarkeit steht)
(2) Zum anderen sind heutzutage zum großen Teil die Medien schuld an diesem Dilemma. Durch
das zeigen schlanker Models in Fernseh- und Zeitschriftenwerbung wurde das Ideal stärker
geprägt. Diese drastische Idealisierung führte bisher so weit, dass ein drittel der 12-13 jährigen
aktiv versuchen, durch Diäten, Erbrechen, Abführmittel oder Schlankheitspillen abzunehmen.
Neuere Forschungen ergaben sogar, dass sich Mädchen schon im Alter von 7 Jahren schon
für „zu dick“ empfanden und mit ihrem Körper unzufrieden seien.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Sozialer Einfluss und Körperbild des Mannes
- Auch Männer sind zunehmend dem Druck ausgesetzt, einem Idealbild vom Körper
nachzueifern.
- Speziell deuten die Befunde darauf hin, dass das Idealbild eines attraktiven Körpers viel
muskulöser sein muss.
In einer Studie von Ida Jodette und Deborah Belle (2004) fand man eine signifikante Korrelation
zwischen den in Magazinen (Men’s Health, Maxim, etc.) dargestellten männlichen Körpern und
dem negativen Gefühl zum eigenen Körper.
Sie fanden außerdem heraus, je stärker Männer diesen an Männer gerichteten Zeitschriften
ausgesetzt waren, desto mehr schätzten sie Schlankheit bei Frauen.
Forscher fanden außerdem heraus, dass Jugendliche und junge Männer sich von ihren Eltern, den
Gleichaltrigen und den Medien gedrängt fühlen, muskulöser zu sein.
=> Männer sind also genau im gleichen Maße wie Frauen informationalen und normativen
Einflüssen ausgesetzt.
Wann ist er besonders Stark?
Eine Antwort auf diese Frage gibt die „Social-Impact-Theorie“ von Bibb Latané (1981), welche
besagt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass wir auf den sozialen Einfluss anderer reagieren, von drei
Variablen in Bezug auf die jeweilige Gruppe ab:
(1) Stärke: Wie wichtig ist uns die Gruppe?
(2) Unmittelbarkeit: Wie nah ist uns die Gruppe räumlich und zeitlich während des
Beeinflussungsversuchs?
(3) Anzahl: Wie viele Mitglieder hat die Gruppe?
Diese Theorie sagt vorher, dass eine Zunahme der Konformität mit der Zunahme von Stärke und
Unmittelbarkeit einhergeht. Je wichtiger uns die Gruppe ist und je enger wir mit deren Mitgliedern
verbunden sind, desto eher werden wir uns ihrem normativem Druck beugen.
1.) Wenn die Gruppengrößte anwächst
Konformität wächst mit zunehmender Anzahl von Gruppenmitgliedern, nimmt jedoch kaum mehr
zu wenn deren Zahl 4 oder 5 überschreitet.
Die Gruppe muss nicht extrem groß sein, um
normativen sozialen Einfluss auszuüben. Je
größer die Gruppe, desto stärker der soziale
Druck.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
2.) Wenn die Gruppe wichtig ist
- Normativer Druck ist viel stärker, wenn er von Menschen kommt, deren Freundschaft, Liebe und
Respekt wir zu schätzen wissen; denn es ist mit hohen Kosten verbunden wenn wir diese
verlieren.
- Dadurch trifft man Entscheidungen häufiger deswegen, um es anderen recht zu machen, und
nicht mehr um vernünftige und logische Entscheidungen zu treffen.
- Erwähnenswert ist jedoch, dass der bloße Akt, dass man sich die meiste Zeit gegenüber einer
wichtigen Gruppe normativ Konform zeigt, das Recht einbringen kann, gelegentlich ohne
schwere Konsequenzen von der Gruppe abzuweichen. („Idiosynkrasiekredit“)
3.) Wenn man keine Verbündeten in der Gruppe hat
Das Vorhandensein eines Verbündeten hilft, sich dem normativen Druck zu widersetzen.
4.) Wenn die Gruppenkultur kollektivistisch ist
Gesellschaft ist ausschlaggebend dafür, wie oft wir normativem sozialem Einfluss ausgesetzt sind.
Stanley Milgram wiederholte die Asch-Studie in anderen Ländern (Norwegen und Frankreich) und
stellte fest, dass sich die norwegischen Teilnehmer stärker konform verhielten als die
französischen.
—> Konformität ist abhängig von den sozialen Wertvorstellungen und Normen innerhalb einer
Gesellschaft.
(Kollektivistische Kulturen > Individualistische Kulturen)
Menschen in kollektivistischen Kulturen schätzen normativen sozialen Einfluss, weil er
Beziehungen fördert, die Harmonie und die Unterstützung innerhalb der Gruppe bieten.
5.) Bei Menschen mit geringem Selbstwertgefühl
6.) Geschlechtsunterschiede in der Konformität
Vergleich der Paradigmen
1.) Informationaler sozialer Einfluss (Sherif)
-
Informationsgewinn durch normen
Reduktion von Unsicherheit
Persistenz der Effekte (Zustand bleibt über längere Zeit bestehend)
häufig öffentlich geäußert und privat akzeptiert
2.) Normativer sozialer Einfluss (Asch)
-
Konformität wider besseres Wissen
Wunsch, nicht als Außenseiter dazustehen
keine Persistenz der Effekte
häufig öffentlich geäußert, aber nicht privat akzeptiert
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
3.4.) Minoritäteneinfluss
(Einfluss der Minderheit - Wenn wenige viele beeinflussen)
Würden es Gruppen immer schaffen, den Nonkonformisten zum Schweigen zu bringen, den
Abweichler auszuschließen und alle davon zu überzeugen, dass sie sich der Ansicht der Mehrheit
anschließen, wie könnte dann im System jemals ein Wandel herbeigeführt werden?
Minderheiteneinfluss.
Der Schlüssel zum Erfolg ist Konsistenz:
(1) Menschen mit Ansichten, die von der Mehrheit abweichen, müssen dieselbe Auffassung über
einen längeren Zeitraum vertreten, und die unterschiedlichen Mitglieder der Minderheit müssen
sich einig sein. (Zeitlich Stabil)
(2) Bleibt die Minderheit unerschütterlich (Einigkeit), wird die Mehrheit eher von ihr Notiz nehmen
und sie vielleicht sogar übernehmen. (durch die Hinterfragen der Mehrheitsmeinung Erzeugung von Unsicherheit in der Majorität)
(3) Minoritäten-Einfluss kann Entscheidungen verbessern (indireker Einfluss auf verwandte
Entscheidungen)
(Mastery - Meinungsfördernd / Verbundenheit - Majorität geprägt von normativ)
Hindernisse:
Abweichler werden nicht gemocht :
- Zugehörigkeit zur In-Group deutlich machen
- Qualifikation sicherstellen
- Explizite Zustimmung zur Majorität in anderen Fragen
Bessere Chancen, wenn kein Eigeninteresse vorliegt
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Experimente zum Minoritäten-Einfluss:
1.) Moscovici et al. (1969)
• „Umgekehrtes Asch-Paradigma“
• Studie zur Farbwahrnehmung
Immer selber Blauton, nur Helligkeit variierte
6 VPN: 4 reale (Majorität) und 2 Konföderierte (Minorität)
• Aufgabe für VPN: Farbton benennen
• UV: Konsistenz der Minorität
Konsistent falsch vs. 2/3 falsch vs. nie falsch (KG)
• AV: Wie viele reale VPN geben falsche Antwort?
Ergebnis:
2.) „Die Zwölf geschworenen“
3.) Lex Koller
• Beschränkung der Erwerbsmöglichkeiten von Schweizer Liegenschaften durch Ausländer
• Diskussion über Abschaffung:
Bürgerliche Seite, Teile der sozialdemokratischen Partei,
Tourismuskantone, Teile des Bundesrats dafür.
• Jacqueline Badran (SP-Gemeinderätin) analysiert drohende Folgen:
Spekulation mit Boden würde zunehmen
Mieten in Städten würden drastisch steigen
Exodus in die Agglomeration, kalte Betten
• 1,5 Jahre Überzeugungsarbeit: —> Umschwenken verschiedener Parteien
• März 2008: Nationalrat weist Aufhebung der Lex Koller zurück
Allerdings weiterhin Versuche in Richtung Abschaffung.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Social Impact Theory (Latané, 1981)
• Wahrscheinlichkeit, auf sozialen Einfluss zu reagieren, hängt von drei Variablen ab:
1.) Stärke: Wie wichtig ist die Gruppe?
2.) Unmittelbarkeit: Wie nah ist die Gruppe zeitlich und räumlich?
3.) Wie viele Mitglieder hat die Gruppe?
• Kombination dieser Faktoren sagt erfolgreich Konformität vorher
3.5.) Die macht der Situation
Standford Prison Experiment (Zimbardo - 1972)
Das Standford Prison Experiment war eine „klassische“ Studie der
Sozialpsychologie.
Setup:
-
24 männliche Studenten, die an einer 2-wöchigen Studie teilnehmen
rekrutiert über Zeitungsanzeigen
Zufällige (randomisierte) Zuweisung als „Wärter“ und „Häftling“
Wärter holen die Häftlinge mit dem Polizeiauto zu Hause ab
Häftlinge werden im Keller der Stanford Universität entlaust, fotografiert, mit neuer Kleidung,
Kappen und Kitteln ausgestattet und eingesperrt.
- die Häftlinge bekommen Nummern anstelle von Namen
Ergebnis:
- Häftlinge rebellierten bereits am zweiten Tag
- Die Wärter revanchierten sich (Beleidigungen, Essensentzug, Zwangsfütterung, Keine Toiletten
mehr, Toiletten mit den Händen putzen, Liegestützen, Augen verbinden, Einzelhaft,
Schlafentzug)
- Häftlinge wurden passiv, hilflos und introvertiert
- Ende des Experiments am sechsten (!) Tag
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Diskussion:
Zufällige Zuweisung der Rollen (!)
Macht und Normen der Situation erzeugt das Verhalten
(Implikation = bei umgekehrter Verteilung der Rollen würde dasselbe passieren.)
Voraussetzungen:
- Erniedrigung und De-individuierung
- Verschiebung der moralischen Normen („bad guards“ determinieren die Gruppen-Norm)
- „slippery slopes“ —> „Dammbruch-Argument“ = Argumentationsweise, die darin besteht, dass
der Opponent den Proponenten vor dem Vollzug eines bestimmten Schritts bzw. einer
bestimmten Handlung warnt und dabei geltend macht, dass diese Handlung „den Damm bricht“
bzw. der Beginn einer schiefen Ebene sei und damit Stück für Stück weitere negative
Konsequenzen zur Folge habe.
Kritik:
Studie löste Debatte über Forschungsethik aus.
Wäre es besser gewesen, diese Studie nie durchzuführen? —> Leidvolle Erfahrungen der
Teilnehmer vs. wissenschaftliche Erkenntnis.
Aktuelles Beispiel:
„Abu Ghraib“
Der Abu-Ghraib-Folterskandal war eine Folteraffäre während der
Besetzung des Irak durch die Vereinigten Staaten, die weltweit
Aufsehen erregte.
Dabei wurden irakische Insassen des Abu-Ghuraib-Gefängnisses
vom Wachpersonal misshandelt, vergewaltigt und gefoltert, oft
bis zum Tod.
Die meisten der Insassen seien „Unschuldige, die zur falschen
Zeit am falschen Ort waren“ gewesen, sagte ein General später.
Aufgedeckt wurde der Skandal durch die Veröffentlichung von
Beweisfotos und -videos durch die Presse. Ein Teil der Bilder
wurde im Mai 2004 veröffentlicht, ein weiterer Teil im Februar
und März 2006.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
„Rotten Apples“ in der Armee als Erklärung für das Verhalten.
Zimbardo sagte jedoch es sei ein „Fehler im System“.
—> Es bedarf einer Normvorlebung — „Wie hat man sich zu verhalten“
Die Macht der Situation lässt Menschen Dinge tun, die sie niemals tun würden!
3.6.) Gehorsam gegenüber Autoritäten
Am Beispiel von Stanley Milgram (1963, 1974/1990, 1976)
Setup:
Das Milgram-Experiment ist ein erstmals 1961 in New Haven durchgeführtes psychologisches
Experiment, das von dem Psychologen Stanley Milgram entwickelt wurde, um die Bereitschaft
durchschnittlicher Personen zu testen, autoritären Anweisungen auch dann Folge zu leisten, wenn
sie in direktem Widerspruch zu ihrem Gewissen stehen.
Der Versuch bestand darin, dass ein „Lehrer“ – die eigentliche Versuchsperson – einem
„Schüler“ (ein Schauspieler) bei Fehlern in der Zusammensetzung von Wortpaaren jeweils einen
elektrischen Schlag versetzte. Ein Versuchsleiter (ebenso ein Schauspieler) gab dazu
Anweisungen. Die Intensität des elektrischen Schlages sollte nach jedem Fehler erhöht werden.
Diese Anordnung wurde in verschiedenen Variationen durchgeführt.
Ablauf:
Der ganze Ablauf des Experiments ist wie ein Theaterstück inszeniert, bei dem alle außer dem
Probanden eingeweiht sind. (Solch eine Experimental-Anordnung übernahm Milgram von seinem
Lehrer Solomon Asch)
Eine Versuchsperson und ein Vertrauter des Versuchsleiters, der vorgab, ebenfalls
Versuchsperson zu sein, sollten an einem vermeintlichen Experiment zur Untersuchung des
Zusammenhangs von Bestrafung und Lernerfolg teilnehmen. Ein offizieller Versuchsleiter
(Experimentator, V) bestimmte den Schauspieler durch eine fingierte Los-Ziehung zum
„Schüler“ (S), die tatsächliche Versuchsperson zum „Lehrer“ (L).
Der „Schüler“ war in diesem Fall ein unauffälliger Amerikaner irischer Abstammung und
repräsentierte einen Menschentyp, mit dem Fröhlichkeit und Gelassenheit verbunden wurde. Mit
dieser Auswahl sollte eine Beeinflussung der Handlungsweise durch eine mentale Disposition des
Probanden vermieden werden. Zudem war es wichtig, dass die Versuchspersonen weder von dem
Versuchsleiter noch von dem „Schüler“ unbeabsichtigt beeinflusst werden konnten.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Der „Lehrer“ konnte selbst bestimmen, zu welchem Zeitpunkt er das Experiment abbrechen wollte.
Der Versuchsleiter verhielt sich sachlich, seine Kleidung war in einem unauffälligen Grauton
gehalten. Sein Auftreten war bestimmt, aber freundlich.
Die Versuchspersonen wurden über eine Anzeige in der Lokalzeitung von New Haven gesucht,
wobei die angegebene Gage von vier US-Dollar plus 50 Cent Fahrtkosten schon für das bloße
Erscheinen in Aussicht gestellt wurde. Das Experiment fand in der Regel in einem Labor der YaleUniversität statt und war in der Anzeige als unter der Leitung von Prof. Stanley Milgram stehend
gekennzeichnet.
Die Verabreichung eines elektrischen Schlags, mit einer Spannung von 45 Volt, sollte der
Versuchsperson die körperlichen Folgen elektrischer Schläge vergegenwärtigen. Zudem wurde
das an einen elektrischen Stuhl erinnernde Versuchsinventar gezeigt, auf dem der „Schüler“
getestet werden sollte. Diese Versuchsanordnung mit der gewollten Assoziation wurde von den
Probanden zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt.
Der Versuch bestand darin, dass der „Lehrer“ dem „Schüler“ bei Fehlern in der Zusammensetzung
von Wortpaaren jeweils einen elektrischen Schlag versetzte.
Dabei wurde die Spannung nach jedem Fehler um 15 Volt erhöht. In Wirklichkeit erlebte der
Schauspieler keine elektrischen Schläge, sondern reagierte nach einem vorher bestimmten
Schema, abhängig von der eingestellten Spannung.
Erreichte die Spannung beispielsweise 150 Volt, verlangte der Schauspieler, von seinem Stuhl
losgebunden zu werden, da er die Schmerzen nicht mehr aushalte.
Dagegen forderte der dabei sitzende Experimentator, dass der Versuch zum Nutzen der
Wissenschaft fortgeführt werden müsse.
Wenn der „Lehrer“ Zweifel äußerte oder gar gehen wollte, forderte der Experimentator in vier
standardisierten Sätzen zum Weitermachen auf. Die Sätze wurden nacheinander, nach jedem
geäußerten Zweifel der Versuchsperson, gesprochen und führten nach dem vierten Mal zu einem
Abbruch des Experimentes seitens des Versuchsleiters. Damit die Sätze immer gleich ausfielen,
wurden sie vorher mit dem Schauspieler eingeübt, insbesondere auch, um einen drohenden
Unterton zu vermeiden.
Ergebnis:
Folgende Tabelle gibt die Anzahl der Versuchspersonen (Vpn) (n=40), die das Experiment
abbrachen, abhängig von der Stärke der letzten applizierten „Schocks“ wieder.
26 Personen gingen in diesem Fall bis zur maximalen Spannung von 450 Volt und nur 14 brachen
vorher ab.
Warum gingen so viele Untersuchungsteilnehmer mit den Wünschen des Versuchsleiters so weit
konform, dass sie ehrlich davon überzeugt waren, einem anderen Menschen Schmerz zuzufügen?
(die zwischen 20 und 50 Jahre alt waren und zu denen Arbeiter, Angestellte und Akademiker
gehörten)
Wieso irrten sich Studierenden, Erwachsenen der Mittelschicht und Psychiater so sehr in ihren
Vorhersage dessen, was Menschen tun würden?
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Alle Gründe, die erklären, warum Menschen sich anpassen, wirkten auf gefährliche Weise
zusammen und veranlassten Milgrams Untersuchungsteilnehmer zu gehorchen - so wie es die
Deutschen beim Holocaust und die amerikanischen Soldaten im Abu Ghraib Gefängnis gemacht
haben.
(—> Normativer sozialer Einfluss und informationaler sozialer Einfluss)
4.) Konsistenztheorien
(Vorlesung vom 10.11.2014 - Lernziele: Balancetheorie, Dissonanztheorie, Diese beiden Theorien
auf praktische Fragestellungen anwenden und den vermuteten psychologischen Prozess erläutern,
Wie versucht die Selbstwahrnehmungstheorie Befunde zur D-Theorie anders zu erklären,
Skizzieren des Entscheidungsexperiments zwischen D-Theorie und SWT — Aronson Kapitel 6 &
Gollwitzer & Schmitt Kapitel 2)
Grundgedanke der Konsistenz- und Balancetheorien:
• Konsistenzmotiv: Kognitive Elemente sollen im Einklang miteinander stehen. (Wahrnehmungen
Denkprozesse, Meinungen/Einstellungen, Handlungen) Tut eine Person beispielsweise etwas,
was mit ihren Einstellungen oder Wertvorstellungen nicht vereinbar ist, so erlebt sie einen
Widerspruch zwischen 2 kognitiven Elementen (Handeln und Wertvorstellungen). Andersrum
gilt das Gleiche, wenn etwa eine Person etwas nicht tut, obwohl es ihre Einstellungen verlangen
würden.
• Inkonsistenz ist unangenehm, strebt nach Veränderung.
• Konsistenz ist angenehm, strebt nach Aufrechterhaltung.
—> Konsequenzen von Denken, Fühlen, Handeln:
Subjektive Konstruktion der sozialen Realität
(„Konsistenz“ = „Widerspruchsfrei“)
4.1.) Balancetheorie (Fritz Heider)
Fritz Heider, ein deutscher Sozialpsychologe, der 1930 in die USA emigrierte, formulierte in einem
kurzen Artikel (Heider, 1946) und später in einer Monographie (1958) als erster den
Grundgedanken aller Konsistenztheorien.
1.) Elemente und Relationen:
Elemente:
• Wahrnehmende Person (P)
• Andere Person (O)
• Objekt (X)
Einheits- und Werterelationen: (2 Arten)
1.
2.
Einheitsrelationen (unit relations): sachliche Aspekte einer Beziehung zwischen Elementen
(z.B. „P besitzt X“)
Werterelationen (sentiment relations): gefühlsmäßige Aspekte einer Beziehung zwischen
Elementen (z.B. „P hasst O“)
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Positive und Negative Relationen
• Positive Einheitsrelation: Ähnlichkeit, Nähe, Zusammengehörigkeit, Besitz
• Negative Einheitsrelation: Unähnlichkeit, Distanz, Trennung, Gegensatz, Verlust
• Positive Werterelation: Wertschätzung, Zuneigung
• Negative Werterelation: Geringschätzung, Abneigung
Multiple Relationen
Zwischen zwei Elementen können mehrere Relationen gleichzeitig bestehen:
„P kann ein Objekt X besitzen (Einheitsrelation) und mögen (Werterelation)“
„P und O können befreundet sein (Werterelation) und zusammen wohnen (Einheitsrelation)“
Gerichtete und ungerichtete Relationen
Gilt im allgemeinen nur für Einheitsrelationen (Werterelationen sind i.d.R. Gerichtet)
„Peter besitzt ein Auto“ (gerichtete positive Einheitsrelation)
„Peter wohnt mit Otto zusammen“ (ungerichtete positive Einheitsrelation)
„Peter liebt Susanne“ (gerichtete positive Werterelation)
„Peter und Susanne lieben sich gegenseitig“ (zwei gerichtete positive Werterelationen)
2.) Balanciertheit und Unbalanciertheit
Zwei-elementige Strukturen (Dyaden)
Balanciert:
• Sind balanciert, wenn alle vorhandenen Relationen das gleiche Vorzeichen haben. (Balancierte Dyaden sind stabil)
Unbalanciert:
• Unbalancierte Dyaden (z.B. Person P wohnt in eigener Wohnung X, die sie nicht mag.
Dann ist die Einheitsrelation positiv, die Werberelation negativ und die Struktur unbalanciert)
• Unbalancierte Dyaden sind instabil und motivieren zu Veränderungen.
• Sie werden balanciert, indem auf eine Vereinheitlichung der Valenzen aller Beziehungen
(positiv, negativ) hingewirkt wird.
• Daraus ergeben sich 2 Konsequenzen:
(1)Objekte und Personen, zu denen wir eine positive Werbebeziehung haben, möchten wir
auch besitzen (positive Einheitsrelation).
(2)Objekte, die wir besitzen (positive Einheitsrelation) werden uns zunehmen sympathisch.
Phänomene wie Ortsbindung und Heimatliebe lassen sich also mit Heiders Balancetheorie
erklären.
31
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Drei-elementige Strukturen (Triaden):
• Schwerpunkt der Analyse auf die P-O-X-Triade.
• Zur besseren Veranschaulichung der Verhältnisse hat Heider einige Vereinfachungen
vorgenommen:
1. Keine Unterscheidung zwischen Einheits- und Werterelationen.
2. Keine Unterscheidung zwischen multiplen Relationen und gleichen Elementen.
3. Betrachtung der Valenz einer Relation (positive oder negativ?)
• Durch diese Vereinfachung gibt es genau 3 Relationen:
1. P (Ich) und O (andere Person)
2. P (Ich) und X (Objekt)
3. O (andere Person) und X (Objekt)
• Wenn wir nur noch die Valenz der Relationen betrachten, ergeben sich genau 8
Valenzkonfigurationen (2^3).
• Vier dieser Konfigurationen sind balanciert:
Eine Triade ist balanciert, wenn das Produkt der Valenzen positiv ist
(entweder alle 3 positiv oder 2 negativ und 1 positiv)
• 4 der Konfigurationen sind unbalanciert:
Eine Triade ist unbalanciert, wenn das Produkt der Valenzen negativ ist.
(entweder alle 3 negativ oder 2 positiv und 1 negativ)
z.B. P mag O. O verehrt Musiker X. P findet X allerdings furchtbar. P kann nun diese Imbalance
auflösen indem sie entweder:
ihre Freundschaft zu O auflöst (P-O Relation negativieren)
O von den Nachteilen von X überzeugt (O-X Relation negativieren)
oder selbst anfängt X doch nicht mehr so schlimm zu finden. (P-X Relation positivieren)
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
3.) Kritik an der Balancetheorie
• Komplexitätsproblem:
Seine Theorie ist nur auf extrem einfache (2 oder 3 Elemente) Strukturen anwendbar.
In der Realität sind kognitive Systeme jedoch viel komplexer
• Digitalitätsproblem:
Er unterscheidet nur zwischen positiven und negativen Relationen, berücksichtigt jedoch weder
den Grad der Positivität (bzw. Negativität) und auch nicht die Stärke der Relation.
• Problem der konkreten Vorhersage:
Die Theorie erlaubt keine Voraussagen über die Art der Änderung einer unbalancierten Struktur.
4.) Problemlösung
• Lösung des Komplexitätsproblems:
Cartwright und Harary (1956) haben eine Verallgemeinerung der Balancetheorie
vorgeschlagen.
Mit ihrem Ansatz ist die Theorie auf eine beliebige Anzahl von Kognitionen bzw. Relationen
anwendbar.
• Lösung des Digitalitätsproblems:
Mohazab und Feger (1985) schlugen vor, die Intensität der einzelnen Relationen auf einer
Ordinalskala darzustellen.
• Lösung des Problems der konkreten Vorhersage:
Heider entwickelte keine theoretische Vorstellung darüber, wie unbalancierte Strukturen
verändert werden.
Es haben sich empirisch 2 (von 3) Methoden relativ gut bewährt:
1. Positivitätsprinzip: positive Relationen werden generell bevorzugt. Wenn unbalancierte
Triaden eine negative Relation beinhalten, dann wird eher diese „positiv gemacht“, als dass
eine der beiden positiven „negativ“ gemacht wird.
2. Ökonomieprinzip: so wenige Relationen wie möglich ändern, um unbalancierte Triade zu
balancieren. Dieses Prinzip greift vor allem bei Strukturen, die aus mehr als 3 Elementen
bestehen.
5.) Neue Anwendungen
• „Deservingness“-Theorie ist nach Feather dann gegeben, wenn eine kognitive Triade
(bestehend aus Person, Handlung und Ergebnis) balanciert ist.
Sie lässt allerdings nur durch Termini Heiders beschreiben, wenn zwischen Handlung und dem
Ergebnis ein Zusammenhang wahrgenommen wird. 33
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• „Handlungs-Ergebnis-Kontingenz“ — Können das Ergebnis eines subjektiven
Konstruktionsprozesses sein: „Kinder können ein Ereignis mit einer völlig
unzusammenhängenden vorangegangenen Handlung in Verbindung bringen („immanente
Gerechtigkeit“ oder „moralischen Realismus“ — Jean Piaget)
(Verdientheit)
4.2.) Dissonanztheorie (Leon Festinger)
• Während Heiders Überlegungen ihre Grundlagen in der Wahrnehmungspsychologie haben, ist
die Dissonanztheorie eher eine motivationale Theorie.
• Sie ist eine der einflussreichsten Theorien der Sozialpsychologie.
• Es handelt sich hier nicht um eine genuin der sozialpsychologische Theorie, sondern um eine
kognitive Motivationstheorie. (Sie gilt als sozialpsychologische Theorie, da Festinger ein
Sozialpsychologe war.)
Die große Aufmerksamkeit, die der Theorie zuteil wird, hat drei Ursachen:
1. Die Theorie ist sehr sparsam
2. sie hat einen großen Anwendungsbereich
3. sie kommt zu „nicht-trivialen“, dem „gesunden Menschenverstand“ häufig widersprechenden
Vorhersagen, die sich empirisch bewahrheitet haben.
Kognitive Elemente und Relationen
• Auch hier geht man davon aus, dass Menschen ein Bedürfnis nach Widerspruchsfreiheit und
Harmonie haben. Widersprüche bezeichnet er als Dissonanz — erzeugt Spannungszustand.
Kognitionen:
Dissonanz und Konsonanz bestehen zwischen kognitiven Elementen.
Kognitive Elemente sind hier Aussagen über die Personen und Objekte,
d.h. Vorgänge, Ereignisse oder Charakterisierungen.
Relationen sind psychologische Verbindungen zwischen Kognitionen.
34
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Verbundene und unverbundene Kognitionen:
• Nicht alle Kognitionen sind miteinander verbunden, sie können vielmehr auch voneinander
abhängig sein (isoliert).
z.B. „Ich esse gerne Pommes“ und „Ich möchte gerne abnehmen“.
• Über ein System isolierter Kognitionen macht die Theorie keine Aussage.
• Sie beschränkt sich lediglich auf Kognitionen, zwischen denen Verknüpfungen, d.h. Relationen
bestehen.
konsonante und dissonante Relationen:
• 2 Kognitionen sind konsonant, wenn sie zueinander passen und sich nicht widersprechen
• 2 Kognitionen sind dissonant, wenn sie zueinander im Widerspruch stehen.
„Jemand möchte abnehmen und geht regelmäßig Joggen.“
—> miteinander Verträgliche Kognitionen, somit also konsonant.
„Jemand der abnehmen will, kauf sich am nächsten Schnellimbiss eine Currywurst.“
—> Diese Handlung steht im Widerspruch mit ihrem Ziel, somit also dissonant.
(In Vorlesung: Beispiel Anti-Raucher-Kampagne in Australien)
Dissonante Relationen erzeugen einen unangenehmen Spannungszustand. Der Zustand der
Dissonanz hat einen triebhaften Charakter und verlangt nach Reduktion oder Auflösung.
Die Stärke der Dissonanz steigt mit dem Anteil dissonanter Relationen an der Gesamtmenge aller
Relationen. —> Je stärker die Dissonanz, desto stärker das Bedürfnis, sie zu reduzieren.
Dissonanzreduktion
Es Gibt 5 Möglichkeiten der Dissonanzreduktion:
(Beispiel: Ich rauche, obwohl ich gesund bleiben will)
1. Änderung von Kognitionen: „Rauchen ist gar nicht schädlich.“
2. Addition konsonanter Elemente: „Rauchen macht beliebt.“
3. Subtraktion dissonanter Elemente: „Ich denke gar nicht an Schädlichkeit.“
4. Substitution: „Ob ich später krank werde, ist nicht so wichtig. Hauptsache, Rauchen macht
heute Spaß.“
5. Veränderung der Wichtigkeit von Kognitionen: „Gemessen an der Zeit, in der ich vom Rauchen
profitiere, ist die Chance auf Krankheit gering.“
35
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Regeln der Dissonanzreduktion:
1.) Der kognitive Aufwand der Dissonanzreduktion soll so klein wie möglich sein.
• Je isolierter eine Kognition, desto einfacher ist sie zu ändern (Kognitiver Aufwand so klein
wie möglich). Anzahl von konsonanten Drittrelationen einer Kognition, d.h. Anzahl
derjenigen weiteren Kognitionen, mit denen die fragliche konsonant verbunden ist: Würde
man die Anzahl der Drittrelationen ändern, handelte man sich damit neue Dissonanzen ein.
In unserem Beispiel: Je mehr Konsonanzen mit der Kognition „Ich will gesund leben“
verbunden sind, desto aufwendiger ist es, sie beispielsweise zu subtrahieren, zu
verändern, zu substituieren oder abzuwerten.
• Manche Kognitionen sind einfacher zu ändern als andere. Handlungen („ich habe meine
Versicherung betrogen“) sind beispielsweise im Nachhinein nicht mehr leicht zu ändern —
man kann sie lediglich herunterspielen oder leugnen.
Einstellungen sind tendenziell leichter zu ändern als Handlungen, allerdings nur dann,
wenn:
ihre persönliche Bedeutsamkeit nicht groß ist.
es sich um subjektive Ansichten handelt
nicht mit gesellschaftlichen Sanktionen zu rechnen ist. (moralisch „ok“)
2.) Die Effektivität der Dissonanzreduktion soll so groß wie möglich sein.
• Die Änderung einer Kognition ist umso effektiver, je mehr dissonante Relationen damit
gleichzeitig behoben werden können.
Die Änderung einer Kognition ist ineffektiv, wenn sich am Anteil dissonanter Relationen
(Dissonanzstärke) nichts ändert, sondern es lediglich zu einer Umverteilung der Dissonanz
kommt.
z.B. Ich habe 8 gute Freunde, 4 davon wollen dass Ich nicht auf die Party gehe und
appellieren an mein Gewissen. Egal wie ich mich entscheide, es wird immer 4 Personen
(d.h. Relationen) geben, die meine Entscheidung begrüßen und 4 andere, die sie
kritisieren. In diesem Falle würde man Dissonanz nicht reduzieren, sondern lediglich verlagern.
(ineffektiv)
3.) Der Erfolg der Dissonanzreduktion soll so stabil wie möglich sein.
• Stabil ist sie dann, wenn die beteiligten Kognitionen stabil sind. Dies ist dann der Fall,
wenn eine stabile Kognition durch eine Handlung bekräftigt werden kann.
• Zu solchen stabilen Kognitionen gehören Inhalte des Selbstkonzepts einer Person.
d.h. wenn ich auf die Frage: „Wer bin Ich?“ mit „Ich bin ein Partylöwe“ antworte, dann ist
dies für mich eine stabile Kognition. „Ich halte schlechte Vorträge, wenn ich
unausgeschlafen bin“ hingegen eine weniger stabile Kognition.
Somit wäre die Reduktion für mich stabiler, wenn ich auf die Party ginge.
36
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Anwendungen
Dissonanz nach Entscheidungen
Jede Entscheidung zwischen 2 Alternativen impliziert Dissonanzen.
• Das kommt daher, dass jede Alternative ihre jeweils eigenen Vor- und Nachteile hat.
• Wenn man sich also zwischen 2 Alternativen A und B entscheiden soll und wählt B, so
verzichtet man auf die Vorteile der Alternative A und nimmt die Nachteile von B in kauf.
• Dissonanztheoretisch kann man vorhersagen, dass Personen nach Entscheidungen versuchen,
eine Dissonanz mit den 5 genannten Maßnahmen zu reduzieren.
z.B. Kauf eines neuen Smartphones.
• Man fokussiert sich hier eher auf die Vorteile des Smartphones (Addition konsonanter
Kognitionen), während man Informationen über ihre Nachteile entweder zu vermeiden versucht
(Subtraktion dissonanter Kognitionen) oder deren Wichtigkeit herunterspielt (Veränderung der
Wertigkeit).
• Die Aufwertung der gewählten Alternative bei gleichzeitiger Abwertung der nicht-gewählten
Alternative wird als „Spreading-apart-Effekt“ bezeichnet.
Dieser Effekt soll umso ausgeprägter sein, je „knapper“ die Entscheidung war, d.h. je unsicherer
man sich mit seiner Entscheidung schon vorher war.
Evidenz:
Experiment: „Gewählte oder nicht gewählte Alternativen“
Ablauf:
Brehm (1956) ließ in seinem Experiment, das als Marktforschungsuntersuchung getarnt war,
8 Gegenstände, die den gleichen Geldwert hatten (z.B. Toaster, Wecker, Radio) hinsichtlich ihrer
Attraktivität auf einer achtstufigen Ratingskala einschätzen. (von 1 = nicht attraktiv bis 8 = sehr
attraktiv).
Nach dieser Einschätzung durften sich die VPN 1 von 2 zur Wahl gestellten Gegenständen als
„Dankeschön“ für ihre Teilnahme aussuchen.
UV:
• Bedingung 1: 2 Gegenstände zur Auswahl, die von der jeweiligen Person im vorangegangenen
Rating als sehr unterschiedlich eingestuft worden waren.
• Bedingung 2: 2 Gegenstände zur Auswahl, die von der jeweiligen Person im vorangegangenen
Rating als relativ gleichwertig eingestuft worden waren.
• Bedingung 3: Die VPN der Kontrollgruppe durften sich ihre Geschenke nicht aussuchen,
sondern bekamen einfach eines zugeteilt (KG).
37
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
AV:
Neues bewerten der Attraktivität.
Hypothesen:
• Nach einer Entscheidung werden die Alternativen im Sinne der Dissonanzreduktion
umbewertet.
• Diese Umbewertung ist bei gleichwertig eingestuften Alternativen stärker als bei unterschiedlich
eingestuften Alternativen.
Die Kontrollgruppe sollte sicherstellen, dass nicht alleine die Tatsache, dass man einen
Gegenstand geschenkt bekommen hat, schon zu dessen Aufwertung führte.
Ergebnisse:
• der gewählte Gegenstand wurde im Nachhinein als attraktiver beurteilt
• der nicht-gewählte wurde als weniger attraktiv beurteilt.
• der nicht-gewählte Gegenstand wurde besonders dann abgewertet, wenn die Alternative als
ähnlich eingestuft worden waren (hohe Dissonanzen).
• Der Effekt trat nicht ein, wenn die VPN das Geschenk nicht selbst aussuchen durften (KG).
Dissonanz nach Einstellungs-diskrepantem Verhalten
(Effekte von Belohnungen)
Dissonanz entsteht, wenn Menschen sich abweichend von ihren Werthaltungen, Einstellungen und
Interessen verhalten. Dabei nimmt die Dissonanz umso mehr zu, je weniger gute Gründe es für
das einstellungs-diskrepante Verhalten gibt.
Eine Möglichkeit, die Dissonanz zu reduzieren, besteht in der nachträglichen Veränderung der
eigenen Werthaltungen, Einstellungen und Interessen.
(Nur bei Fehlen externer Rechtfertigung)
Evidenz:
Experiment: „Rechtfertigung einstellungs-diskrepanten Verhaltens“ (Festinger & Carlsmith 1959)
Ablauf:
• Die Vpn wurden angewiesen, 1 Stunde lang 2 monotone Aufgaben zu verrichten.
• Anschließend bat der Versuchsleiter sie um Hilfe: Sie sollten der nächsten Versuchsperson, die
im Wartezimmer saß, glaubwürdig mitteilen, dass die zu verrichtende Tätigkeit sehr interessant
sei.
• Die Vpn sollten also lügen. (Ein solches „erzwungenes“ einstellungskonträres Verhalten wird in
der Fachliteratur als „forced compliance“ bezeichnet — „erzwungene Einwilligung“)
UV:
• Bedingung 1: Der VL bot den VPN 1 $
• Bedingung 2: Der VL bot den VPN 20 $
• Bedingung 3: Es wurde nicht verlangt, der nachfolgenden Person etwas zu sagen (KG)
38
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
AV:
- Nachdem die VP die nachfolgende belogen hatten, sollten sie auf einer Skala von -5 bis +5
angeben, wie interessant sie die Aufgabe selbst fanden.
- Ferner sollten sie (ebenfalls auf einer Skala von -5 bis +5) ihre Bereitschaft angeben, künftig an
ähnlichen Experimenten teilzunehmen.
Hypothese:
• Durch die Lüge sollte bei den VPN in den ersten beiden Bedingungen kognitive Dissonanz
entstehen.
• Diese Dissonanz sollte bei VPN, die 1$ bekommen hatten größer sein als bei 20$, da eine
Lüge, die hoch belohnt wird, leichter gerechtfertigt werden kann, als eine Lüge mit einem
„symbolischen“ Betrag von 1$.
Ergebnis:
Tatsächlich zeigt sich die erwartete Einstellungsänderung in der Gruppe „hohe Dissonanz“ (1$).
Die Vpn dieser Gruppe fanden das Experiment interessanter als die Vpn der Gruppe „niedrige
Dissonanz“ (20$) und der Kontrollgruppe:
Sie waren außerdem bereicht, auch in Zukunft für ähnliche Experimente zur Verfügung zu stehen:
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Man beachte: Die Ergebnisse sind ein gutes Beispiel für die kontra-intuitiven Voraussagen der
Dissonanztheorie. Laien sagen nämlich voraus, dass Personen die Aufgabe umso anregender
finden und umso eher bereit sind, künftig an solchen Untersuchungen teilzunehmen je höher sie
dafür bezahlt werden.
Dissonanz nach enttäuschten Erwartungen
(Aufwandsrechtfertigung)
Dissonanz entsteht auch dann, wenn man viel in die Erreichung eines Ziels investiert,
welches sich dann doch als weniger attraktiv erweist als erwartet.
Evidenz:
„Aufwandsrechtfertigung“ (Aronson & Mills 1959)
Ablauf:
Den Vpn (Psychologiestudentinnen) wurde in Aussicht gestellt, an einer interessanten
Gruppendiskussion über Sexualität teilnehmen zu dürfen. Dazu mussten sie sich jedoch zunächst
einer Aufnahmeprüfung unterziehen — angeblich um sicherzustellen, dass sie auch dazu geeignet
sind.
UV:
• Bedingung 1: Die VPN mussten einem männlichen VL ohne zu zögern, zu stottern oder zu
erröten eine Liste mit obszönen Worten, sowie eine pornografische Textpassage vorlesen.
• Bedingung 2: Die Wörter und die Textpassage waren ebenfalls sexualitätsbezogen, aber „zivil“
• Bedingung 3: Keine Aufnahmeprüfung (KG)
Anschließend durften sie die laufende Gruppendiskussion „Live“ über Kopfhörer hineingehören (in
Wirklichkeit handelte es sich um ein vorbereitetes Tonband).
Entgegen der Ankündigung und der Erwartung war die Diskussion allerdings todlangweilig und
zäh.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
AV:
Nach dem zuhören, wurden sie gebeten, persönliche Einschätzungen über die Diskussion
abzugeben.
Hypothesen:
• Wenn sich etwas, was man zuvor unbedingt haben wollte, im Nachhinein als unattraktiv
herausstellt, ist die kognitive Dissonanz umso höher, je mehr man dafür investiert hat.
• Die Dissonanz kann reduziert werden, indem man die Attraktivität dessen, was man bekam, im
Nachhinein aufwertet.
Ergebnisse:
• Den Erwartungen entsprechend wurde die Diskussion in der Kontrollgruppe („keine
Aufnahmeprüfung“) als am wenigsten interessant bewertet.
• Die Vpn der Gruppe „leichte Aufnahmeprüfung“ bewerteten sie als etwas interessanter.
• Die Vpn der Gruppe „schwere Aufnahmeprüfung“ bewerteten sie als am interessantesten —
hier war die größte Dissonanz entstanden.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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Wirksamkeit von Strafen
Evidenz:
Experiment: „forbidden Toy“ Studie (Aronson & Carlsmith 1963)
Ablauf:
• Kinder bringen Spielzeuge in eine Rangreihe (welche ihnen am besten gefallen)
• Für die Kinder attraktivstes Spielzeug wird verboten.
UV:
• Bedingung 1: Androhung einer milden Strafe
• Bedingung 2: Androhung einer harten Strafe
Danach werden die Kinder alleine mit den Spielzeugen gelassen
AV:
• Erneute Bewertung der Spielzeuge.
Hypothesen:
• Es gibt einen Grund bzw. eine Externe Rechtfertigung
„Ich mag das Spielzeug“ —> „Darf aber nicht“ —> Dissonanz.
• Daher sollten die Kinder bei einer harten Strafe danach noch genau so gerne damit spielen
wollen.
Ergebnisse:
Ohne Rechtfertigung = Interessenverlust
Kleine Belohnungen und milde Bestrafungen als unzureichende Rechtfertigung für eigenes
Verhalten.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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Große Belohnung oder Harte Bestrafung —> Externe Rechtfertigung (Ich tue oder denke etwas,
weil man mich dazu zwingt) —> Vorübergehende Änderung
Kleine Belohnung oder milde Bestrafung —> Interne Rechtfertigung (ich tue oder denke etwas,
weil ich mir suggerieren konnte, dass es richtig ist.) —> Dauerhafte Änderung
( => Die erstaunliche Wirkung unzureichender Rechtfertigung)
Voraussetzungen für Einstellungs/Verhaltensänderung:
• Annahme der Theorie:
Inkonsistente Kognitionen („Widersprüchlich“)
Internale Attribution für eigenes Handeln —> Die Gründe eines Ereignisses werden einer
Person oder deren Eigenschaften zugeschrieben. (z.B. Erfolg bei Klausur — Ereignis —>
Eigene gute Leistung/Fähigkeit — Ursache)
Attribution der Erregung auf Inkonsistenz
Dissonanzerleben führt zu physiologischer Erregung.
(Attribution = eine Eigenschaft zuschreiben — „attribuieren“)
Evidenz:
Die Rolle physiologischer Erregung (Zanna & Cooper 1974)
Ablauf:
Man sollte einen Aufsatz über Meinungsfreiheit schreiben (Kontra!)
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
UV:
• Bedingung 1: Man wurde dazu gezwungen (externe Rechtfertigung)
• Bedingung 2: Man durfte Frei wählen ob pro oder kontra
AV:
Placebo = Tablette —> Keine Notwendigkeit ihre Einstellung zu ändern.
—> Reduktion der Dissonanz durch starke Einstellungsänderung
(Aufsatz = Ich habe was geschrieben, was ich eigentlich nicht denke)
Ergebnisse:
Pille erregt: Physiologische Erregung durch die Pille —> Also keine Rechtfertigung.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Dissonanz und Therapieerfolg
Axsom und Cooper (1985)
•
•
•
•
Programm zu Gewichtsverlust
Annahme: Hoher Aufwand bei freiwilliger Teilnahme macht das Ziel attraktiver
UV: hoher Aufwand vs. geringer Aufwand vs. KG
AV: Gewichtsveränderung
Praktische Relevanz der Dissonanztheorie
•
•
•
•
•
•
Erfolg von Psychotherapie
Sympathie vs. Antipathie gegenüber sozialen Gruppen
Einstellungen gegenüber Opfern
Beeinflussung von und Zufriedenheit mit Kaufentscheidungen
Effekt von harten vs milden Strafen
Kondomnutzung/HIV-Prävention
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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4.3 .) Selbstwahrnehmungstheorie (Bem, 1972)
• Ist eine Alternativerklärung zur Dissonanztheorie
• Hypothese: Menschen erschließen Einstellungen aus ihrem Verhalten
Nur uneindeutige Einstellung und Gefühle
Abwägung mit situationalen Umständen (Zwang? Verbot?)
„Externer Beobachter“ — Man zieht Schlüsse über eigenes Verhalten und das was man denkt
anhand der Beobachtung des eigenen Verhaltens.
(Bsp. Ich verhalte mich so, also bin ich so…)
Dissonanztheorie vs. Selbstwahrnehmungstheorie
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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Beispiel: Aufsatz (+ Tablette) — Doppelte Betrachtung
(SWT —> Keine physiologische Erregung in dieser Theorie.)
Ergebnisse:
47
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Intrinsische vs extrinsische Motivation
• Wie bringt man Kinder dazu, sich mit „sinnvollen“ Dingen zu beschäftigen? Belohnungen? √
• Aber: Zusätzliche Belohnung kann intrinsische Motivation reduzieren.
Negativer Effekt einer zusätzlichen Erklärung für eigenes Verhalten
Besonders für Kinder, die die Aktivität bereits vorher gerne ausgeübt haben.
• Effekt der übermäßigen Rechtfertigung
Intrinsische (primäre) Motivation = Motivation von innen heraus (einem selbst)
Extrinsische (sekundäre) Motivation = Motivation von außen, Fremdeinfluss (z.B. Belohnung)
„Overjustification“ Effekt bzw. „Korrumpierungseffekt“
• Zusätzliche Belohnung kann internistische Motivation reduzieren.
• Zusätzliche Erklärung für eigenes Verhalten kann sich negativ auswirken.
• Greene et al. (1976):
Neue Mathematikspiele für Kinder
Prozedur:
Anfangs-, Belohnungs-, Endphase ohne Belohnung
AV: Spielzeit für Kinder
(KG = Keine Belohnung)
Verdrängung
von
primärer
Motivation
(intrinsisch) durch sekundäre Motivation (extrinsisch)
•
• Fällt der äußere Anreiz weg, reduziert sich auch das ursprüngliche — gerne & freiwillig gezeigte
Verhalten.
—> „Verdrängungseffekt“
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Theorie der symbolischen Selbstergänzung
Gollwitzer & Wicklund (1985)
Die Theorie der Symbolischen Selbstergänzung geht von den Problemen aus, welche durch
Diskrepanzen zwischen Selbstbild und Idealbild hervorgerufen werden.
So können selbstbezogene Ziele, die noch nicht erreicht sind, durch geeignete Symbole
repräsentiert werden, welche als Ersatzziel dienen.
• Menschen verfolgen identitätsstiftende Ziele
• Darstellung über identitätsbestätigende Symbole
Identitätsbestätigendes Verhalten
Erwerb/zur Schau stellen
identitätsbestätigender Gegenstände
Selbstbeschreibungen
• Bedrohung eines Identitätsziels —> Motivation, resultierende „kognitive Dissonanz“ zu reduzieren
—> Identitätsbezogene Symbole einsetzen
• Zentral: Soziale Realität
• Öffentlicher Einsatz identitätsstiftender Symbole reduziert „Dissonanz“
Beispiele:
• Geschäftlicher Erfolg kann durch ein großes Auto zum Ausdruck kommen. Ein großes Auto
wäre also ein typisches geeignetes Symbol dafür.
• Akademische Titel sind geeignete Symbole, um vorzugeben, ein guter Forscher/
Wissenschaftler zu sein, selbst wenn man in der letzten Zeit wenig Erfolg in seinem Fach hatte.
49
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
5.) Personenwahrnehmung
(Vorlesung vom 17.11.2014 — Lernziele: Wie kommen wir zu Urteilen über andere, Welche
Hinweisreize nutzen wir, was beeinflusst die Interpretation von Hinweisreizen und
Schlussfolgerungen, Konsequenzen der Eindrucksbildung — Aronson Kapitel 4)
Welche Cues (Hinweise) benutzen wir?
•
•
•
•
•
Nonverbale Cues — Mimik & Gestik
Paraverbale Cues — Stimme, Sprechweise
Erscheinungsbild — Phsyiognomie, Kleidung, Körperhaltung
Kommunikationsverhalten — Blickkontakt, persönliche Umgebung
Sonstiges Verhalten
5.1.) Nonverbale bzw. Mimische Cues (Paul Ekman & Friesen — 1971, 1975)
Annahme: Basisemotionen sind universell!
(Wut, Freude, Überraschung, Furcht, Ekel, Traurigkeit, Verachtung)
• Gemeinsam mit seinem Kollegen W. V. Friesen stellte Ekman das Facial Action Coding System
(FACS) auf.
• Es ist eine physiologisch orientierte Klassifikation der emotionalen Gesichtsausdrücke. Das
System spielt in der Ausdruckspsychologie und der psychoanalytischen Therapieforschung eine
wichtige Rolle.
• Es stellt gleichzeitig eine Methode dar, mit der zeitlich ablaufende emotionale Ausdrucksmuster
erfasst und beschrieben werden können.
• Nicht erfasst werden von dem System können jedoch nicht-emotionale Ausdrücke, die ca. 70 %
aller Gesichtsausdrücke ausmachen, sowie Körperausdrücke.
• Ekman fand außerdem statistische Hinweise für die erbliche Bedingtheit zahlreicher
emotionaler Ausdrücke, darunter die von ihm unterschiedenen sieben Basisemotionen:
—> Fröhlichkeit, Wut, Ekel, Furcht, Verachtung, Traurigkeit und Überraschung
50
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Diese Basisemotionen werden von allen Menschen kulturübergreifend in gleicher Weise erkannt
und ausgedrückt.
• Die von Ekman als elementar beschriebenen Gesichtsausdrücke sind nicht kulturell erlernt,
sondern genetisch bedingt.
(US-Serie „Lie to me“ basiert auf Paul Ekmans Theorie)
Teil 1:
-
Datenerhebung in Neuguinea
Den Eingeborenen wurden Geschichten mit Emotionen vorgelesen.
Diese sollten jeweils die jeweiligen Emotionen auf Basis von U.S.-Fotos benennen.
—> Hohe Trefferrate.
51
Sozialpsychologie
Skript 2015
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Teil 2:
-
Die Eingeborenen sollten die Emotionen darstellen und anschließend wurden Fotos gemacht.
Amerikanische Probanden sollten die Emotionen auf den Fotos benennen.
—> Hohe Trefferrate
5.2.) Thin Slices (Nalini Ambady
et al. 2000)
(wenige Informationen um Urteile zu bilden)
Thin-slicing is a term used in psychology and philosophy to describe the ability to find patterns in
events based only on "thin slices," or narrow windows, of experience.
• Kurzer Ausschnitt einer Verhaltenssequenz (Mimik, Gestik, Sprache, Stimme)
• Automatische Schlüsse auf emotionale Zustände, Persönlichkeitseigenschaften etc.
Zusammenhänge mit „informierten“ Urteilen
Zusammenhänge mit objektiven Maßen
• Funktioniert besonders bei klar beobachtbaren und/oder hoch affektiven Variablen
Thin Slices politischer Einstellungen:
(Samochowiec et al. — 2010)
• Können Personen die politische Einstellung anderer auf Basis von wenig Information
feststellen?
Fotos von Schweizer Politikern
extrem links
1
2
3
4
5
6
(Tatsächlich: 4,3)
52
7
extrem rechts
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Prädiktor: Einschätzung der politischen Einstellung
• AV: Abstimmungsverhalten im Schweizer Parlament (Objektives Kriterium)
Ergebnis:
Hoch Signifikante Korrelation zwischen
Einschätzung und objektivem Kriterium
One of the most popular books on thin-slicing is Blink written by Malcolm Gladwell. In this book, the
author goes through and describes interesting examples and research which exploit the idea of
thin-slicing.
Malcolm Gladwell: Blink
„So wie wir unser Leben gestalten, so sind wir.“
(Auf Basis der individuellen Persönlichkeit)
5.3.) Persönliche Umwelt als Hinweisreiz (Cue)
Gosling et al. (2002):
•
•
•
•
•
Beobachter sehen ein Privatzimmer einer fremden Person
Beobachter schätzen die Persönlichkeit des Bewohners ein
Bewohner schätzt eigene Persönlichkeit ein
Bewohner-Freunde schätzen dessen Persönlichkeit ein
Kodierer notieren und kategorisieren alle Inhalte des Zimmers
• Frage 1: Spiegelt sich die Persönlichkeit in dem Zimmer wider?
• Frage 2: Nutzen Beobachter das Zimmer für die Einschätzung?
• Frage 3: Korreliert die Einschätzung mit der echten Eigenschaft?
Schwierigkeiten bei der Dekodierung
Warum liegen Einschätzungen manchmal daneben?
1.
2.
Sich widersprechende Cues — Affektmischung in Mimik oder Mimik & Gestik widersprechen
sich.
Personen verstecken Cues — Emotionsunterdrückung, kulturelle Regeln für nonverbalen
Verhalten, Selbstpräsentationstendenzen.
Welche Inferenzen werden gezogen?
• Dasselbe Verhalten kann verschiedene Schlüsse erlauben — „Peter lernt am Wochenende in
der Bibliothek“
• Abhängig von der Zugänglichkeit passender kognitiver Repräsentationen. (kürzliche
Aktivierung, häufige/chronische Aktivierung, Erwartung, Motive, Stimmung, Kontext/Situation)
„Priming“ („Bahnung“) — Beeinflussung der Verarbeitung (Kognition) eines Reizes dadurch, dass
ein vorangegangener Reiz implizite Gedächtnisinhalte aktiviert hat.
Diese Aktivierung spezieller Assoziationen im Gedächtnis aufgrund von Vor-Erfahrungen mit den
betreffenden Informationen geschieht häufig und zum allergrößten Teil unbewusst.
(Stichwort: Bottom-Up und Top-Down)
53
Sozialpsychologie
Skript 2015
Goslings „Linsenmodell“ — Aufbau und Logik
5.4.) Attributionsprozess
(Nach Gilbert 1989)
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Skript 2015
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5.5.) Implizite Persönlichkeitstheorien
• Schemata zu Mustern von Eigenschaften (abgeleitet aus den Gesichtszügen)
(1) Babygesicht — Gutmütig, naiv, ehrlich, freundlich
(2) Physische Größe — Kompetenz, Führungsqualitäten
(3) Halo Effekt — Kognitive Verzerrung, die darin besteht, von bekannten Eigenschaften einer
Person auf unbekannte Eigenschaften zu schließen. (z.B bei physischer Attraktivität)
z.B. Eine Lehrerin bewertet die Leistung eines gut aussehenden und freundlichen Schülers
höher, als sie es objektiv im Vergleich mit anderen Schülern sind.
Der Effekt tritt häufig dann auf, wenn der sich zu Beurteilende durch besonders
hervorstechenden, ausgeprägten Eigenschaften oder Verhaltensweisen auszeichnet.
(4) Wärme — großzügig, vertrauenswürdig, hilfsbereit
(5) Kompetenz — mächtig, dominant.
5.6.) Bedeutung des ersten Eindrucks
Der erste Eindruck beeinflusst:
• Die weitere Informationsverarbeitung (z.B. Interpretation weiterer Informationen)
• Urteile
• Das Verhalten gegenüber der Person
55
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
„Primacy Effekt“:
• Gedächtnisphänomen: An früher eingehende Informationen erinnert man sich besser, als an
spätere.
Grund: Diese Information geht leichter in das Langzeitgedächtnis über, da noch keine
Information eingegangen ist, die mit dem Abspeicherungsprozess im Langzeitgedächtnis
(Konsolidierung) interferieren und ihn negativ beeinflussen könnte.
• Ein anderes Phänomen des Primäreffekts kann bei Beurteilung auftreten.
Früher eingehende Informationen können einen stärkeren Effekt auf Einstellungen haben als
spätere:
z.B. „Dieser Mensch ist egoistisch!“ —> Selbst wenn dieser sich anschließend als freundlich,
offen, etc. zeigt, wird ein solches Verhalten sehr wahrscheinlich nicht zur Akkommodation der
ursprünglichen Einstellung herangezogen, sondern eher als „schleimen“ interpretiert.
Diese Form des Primacy-Effekts ist der erste Eindruck. Er tritt auch als Beurteilungsfehler bei Befragungen und psychischen Tests auf.
Wenn die ersten Fragen einen Einfluss auf die späteren Fragen & Antworten ausüben. Dieser
Effekt ist zuweilen besonders einstellungsresistent.
Evidenz:
Jonas et al. (1968)
Erste Information/erstes Urteil hat einen größeren Effekt auf das
Gesamturteil als nachfolgende Informationen.
30 Testfragen - 2 Gruppen - 50 % Richtig/50 % Falsch
—> Beurteilung der Testteilnehmer fand schon statt bevor ihre Sequenz vorbei war.
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Sozialpsychologie
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Asch (1946)
intelligent —> fleißig —> impulsiv —> kritisch —> hartnäckig —> neidisch
vs.
neidisch —> hartnäckig —> kritisch —> impulsiv —> fleißig —> intelligent
AV: Passung verschiedener Adjektive zu dieser Person
Ergebnisse:
Erste und evtl. zweite Information bestimmt, in welchem Licht man den Rest der Adjektive
interpretiert. —> „Anker“
(Wichtig ist, dass man überhaupt einen Unterschied sah.)
„Rezenzeffekt“:
Gegenüber dem Primacy-Effekt steht der sogenannte „Rezenzeffekt“.
• Beim Rezenzeffekt handelt es sich um ein psychologisches Phänomen, welches besagt, dass
später eingehende Informationen einen größeren Einfluss auf die Erinnerungsleistung einer
Person ausüben als früher eingehende Informationen.
• Im engeren Sinne ist der Rezenzeffekt ein Phänomen, welches das Kurzzeitgedächtnis betrifft.
Im weiteren Sinne tritt er auf, wenn zuletzt wahrgenommenen Informationen aufgrund der
besseren Erinnerungsfähigkeit stärkeres Gewicht verliehen wird als früheren Informationen. Er tritt bei fast allen Beurteilungsszenarien auf.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Ursprung des Rezenzeffektes ist die längere Verfügbarkeit von aktuellen Informationen im
Kurzzeitgedächtnis, da sie nicht durch nachkommende Informationen überschrieben werden. Dieser Effekt wird beispielsweise in der Gedächtnisforschung benutzt, um zu testen, wie groß
die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses ist.
• Außerdem kann man sich mit der zuletzt wahrgenommenen Information besser
auseinandersetzen. Dadurch bleibt sie eher im Gedächtnis haften und hat einen größeren
Einfluss auf die Einstellung. Der Rezenzeffekt hat somit eine besondere Bedeutung bei Beurteilungen, die aufeinander
folgend stattfinden (z. B. wenn bei Bewerbungsgesprächen ein Kandidat nach dem anderen
besprochen und erst am Ende entschieden wird).
Insgesamt ist es jedoch immer Situationsabhängig, welcher Effekt stärker ausgeprägt ist.
Bei Reproduktion längerer Informationsketten werden jedoch generell eher zuerst & zuletzt
gelernte Begriffe erinnert
6.) Attribution
(Vorlesung vom 24.11.2014 — Lernziele: Annahmen der Attributionstheorien von Heider, Kelley
und Weiner; was ist der fundamentale Attributionsfehler, wann taucht er besonders auf und wie
hängt er mit der Akteur-Beobachter-Verzerrung zusammen; experimentelle Anordnungen
beschreiben, die zwischen kognitiv unterschiedlichen Attributionsprozessen differenzieren können;
False Consensus Effekt + seine Ursachen — Parkinson (2007) + Gollwitzer & Schmitt (2009)
Kapitel 9)
6.1.) Attributionstheorien
• Obwohl nichtverbale Kommunikation manchmal leicht zu dekodieren ist und implizite
Persönlichkeitstheorien die Bildung eines Eindrucks stark beschleunigen können, gibt es immer
noch große Unsicherheiten darüber, was das Verhalten eines Menschen wirklich bedeutet.
• Mithilfe unserer unmittelbaren Beobachtungen werden wir elegantere und komplexere
Schlussfolgerungen darüber ziehen, wie die Menschen wirklich sind und welche Motive sie
dafür haben, so zu handeln, wie sie es tun.
• Die Vorgehensweise bei der Beantwortung der Frage: „Warum hat sich jemand so verhalten?“
ist der Gegenstand der Attributionstheorie, der Theorie zur Art und Weise, wie wir bei anderen
Menschen auf die Ursachen ihres Verhaltens schließen.
Wie erklären sich Menschen das Eintreffen oder Ausbleiben bestimmter Ereignisse?
(Wieso tut jemand anderes etwas bestimmtes?)
Ziel der Attribution:
Die Welt vorhersagbarer und kontrollierbarer machen
58
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
1.) Naive Handlungsanalyse (Fritz Heider — 1958)
• Fritz Heider gilt nicht nur als Begründer der Balancetheorie, sondern
auch als „Vater“ der Attributionstheorie.
Heider ging davon aus, dass Laien in ihren naiven Handlungstheorien
zwei Kategorien von Ursachen unterscheiden, nämlich die simple
Dichotomie:
1.
2.
Ursachen, die in der Person liegen (effektive Kraft der Person) —
„internale Attribution“
Ursachen, die außerhalb der Person, also in der Umgebung liegen
(effektive Kraft der Umgebung) — „externale Attribution“
Liegt die Ursache für eine Handlung in der Person oder der Umgebung?
(Vorliebe für internale Attribution)
a.) Effektive Kraft der Person:
In diese „Kraft“ gehen 2 Faktoren ein:
(1) Motivation (M) —> d.h. der Wille der Person, ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
(2) Fähigkeit (F) —> Die (körperlichen und geistigen) Fähigkeiten der Person.
• Diese beiden Faktoren sind multiplikativ miteinander verknüpft, d.h. die effektive Kraft der
Person ist gleich 0, wenn die Person nicht motiviert oder nicht fähig ist, ein Ziel zu erreichen.
• Je kleiner die Motivation/Fähigkeit ist, desto kleiner ist das Produkt aus beiden —> kein guter
Prädiktor
• Es gibt eine Asymmetrie: Menschen tendieren eher zur internalen Attribution.
b.) Effektive Kraft der Umgebung:
In diese „Kraft“ gehen 2 Faktoren ein:
(1) Schwierigkeit (S) —> d.h. das Ausmaß an Anstrengungen (allgemeiner: Ressourcen), das
eine bestimmte Aufgabe erfordert.
(2) Zufall (G) —> d.h. Zufalls- bzw. Gelegenheitsstrukturen, die die Zielerreichung begünstigen
oder behindern (bspw. schönes Wetter, wenn man angeln will).
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Kommt ein Handlungsergebnis zustande, obwohl die effektive Kraft der Person gleich 0 ist,
(d.h. eine Person ist entweder nicht willens oder nicht in der Lage, das Ergebnis
herbeizuführen), so ist das Ergebnis allein auf die Umstände zurückzuführen.
• Ist hingegen die „effektive Kraft der Umgebung“ gleich 0 (d.h. ist das Ergebnis weder durch
Schwierigkeits- noch durch Gelegenheitsstrukturen beeinflusst), so ist das Handlungsergebnis
allein auf die Person zu attribuieren.
2.) Ursachenschema (Bernard Weiner — 1986)
• Er entwickelte Heiders Theorie weiter und übernahm die Unterteilung
in interne (effektive Kraft der Person) und externe (effektive Kraft der
Umgebung) Ursachen, die er Lokationsdimension nannte.
• Er fügte aber noch 2 weitere Dimensionen hinzu:
1. Die zeitliche Stabilität der Ursache (stabil-variabel)
2. Die Kontrollierbarkeit der Ursache (unkontrollierbar-kontrollierbar)
• Er untersuchte, wie sich Schüler Erfolge und Misserfolge in der
Schule erklären.
• Wenn man 3 Dimensionen (Lokation, Kontrolle und Stabilität)
vollständig kombiniert, erhält man 8 prototypische Attributionsmöglichkeiten:
Erfolg und Misserfolg, z.B. die Leistung in einer Klausur, können auf Ursachen atrophiert werden,
die entweder außerhalb oder innerhalb der Person liegen (Lokation), kontrollierbar oder
unkontrollierbar sind (Kontrolle) und die entweder variabel oder stabil sind (Stabilität).
Beispiel: Ein Student hat seine Klausur nicht bestanden.
• Er kann sich diesen Misserfolg dadurch erklären, dass die Prüfung zu schwierig war.
Dies wäre nach Weine eine Attribution auf externale (nicht vom Studenten, sondern von den
äußeren Umständen abhängige), variable (nicht notwendigerweise auch für andere Prüfungen
geltend) und unkontrollierbare (nicht beeinflussbare) Ursachen.
• Eine Person die über die Zeit und über Situation hinweg dazu neigt, externale, stabile und
unkontrollierbare Ursachenattribution vorzunehmen kann man als eine Person mit einem
externalen „Locus of Control“ im Sinne Rotters bezeichnen.
• Eine Person die zum Gegenteil neigt (internal, stabil, kontrollierbar) besitzt einen internalen
„Locus of Control“
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
(Aus Vorlesung)
3.) Das Kovariationsmodell (Harold Kelley — 1967, 1973)
• Auch Kelley nimmt an, dass Menschen, um zu Attributionen zu
gelangen, eine systematische Verrechnung bestimmter Variationsund Kovariationsmuster vornehmen.
Er zeigt, dass diese Verrechnung der statistischen
Korrelationsanalyse entspricht.
• Für Kausalattributionen müssen sich Personen 3 Fragen stellen:
1.
2.
3.
„Wie haben sich andere Personen in der gleichen Situation verhalten, bzw. was ist anderen
Personen in einer ähnlichen Situation widerfahren?“ (Vergleich über Personen hinweg)
„Hat eine Person sich schon zu anderen Zeitpunkten so verhalten, bzw. ist ihr das Ereignis
schon früher öfter widerfahren?“ (Vergleich über die Zeit hinweg)
„Hat eine Person sich schon gegenüber anderen Dingen (oder Personen oder in anderen
Situationen) so verhalten, bzw. ist ihr das Ereignis auch im Zusammenhang mit anderen
Dingen (oder Personen oder Situationen) widerfahren?“ (Vergleich über Entitäten hinweg)
(Entität = alle möglichen Umgebungsvariablen außer der Zeit)
• Kovariationsprinzip: Attribution auf die Ursache, mit der das Ereignis kovariiert.
• Liegen alle 3 Dimensionen vor (Zeit, Person und Entität), dann ist eine Kausalattribution
möglich.
• Logik des Modells: Bestimmte Elemente müssen vorhanden sein, um ein bestimmtes Verhalten
zu zeigen.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Der Datenwürfel in der Theorie von Kelley:
Nach Kelley werden für Kausalattributionen Unterschiede
zwischen Personen, Entitäten und Zeitpunkten
herangezogen.
Liegen aus allen 3 Dimensionen Beobachtungen vor, so
konstituieren diese Beobachtungen eindeutige
Kausalattributionen auf die Person, auf die Entität oder auf
spezielle situative Umstände.
Beispiel: Wenn man erfährt, dass Max eine Klausur nicht
bestanden hat, kann man nicht wissen, woran es liegt. Es
könnte sein, dass:
1.
2.
3.
Max einfach ein schlechter Student ist (Attribution auf die Person)
es sich um ein extrem schweres Fach handelt (Attribution auf die Entität)
Max sich aufgrund einer plötzlichen Erkrankung nicht auf die Klausur hat vorbereiten können
(Attribution auf spezielle situative Umstände)
Welches Datenmuster müsste vorliegen, wenn man zu dem Schluss kommen wollte, dass Max ein
schlechter Student ist?
• Ein Hinweis darauf wäre, dass alle außer Max die Klausur bestanden haben (Vergleich über
Personen hinweg)
Dieser Hinweis alleine reicht jedoch noch nicht aus.
• Ein zweiter Hinweis wäre, dass Max auch in anderen Prüfungsfächern schlechte Leistungen
erbracht hat. (Vergleich über Entitäten hinweg) Dies würde dann eine Attribution auf die Entität (z.B. dass diese Klausur zu schwer war)
ziemlich sicher ausschließen.
• Ein dritter (sehr deutlicher) Hinweis auf Max mangelnde Fähigkeiten wäre schließlich, dass er
schon einmal durch diese Klausur gefallen ist. (Vergleich über die Zeit hinweg)
Konsens, Distinktheit, Konsistenz:
1.
Konsens = liegt vor, wenn es bei einem Vergleich über Personen hinweg keine Unterschiede
zwischen diesen gibt. —> „Alle Personen handeln so“
(Wenn alle in Max Semester die Klausur nicht bestanden haben. In diesem Fall wäre klar,
dass die Klausur zu schwierig ist)
2.
Distinktheit = liegt vor, wenn es bei einem Vergleich über Entitäten hinweg Unterschiede
zwischen diesen gibt. —> „Unterschiede zwischen Entitäten“
(Wenn Max nur diese Klausur nicht bestanden hat, die anderen allerdings schon)
3.
Konsistenz = liegt vor, wenn es bei einem Versuch über Zeitpunkte keine Unterschiede
zwischen diesen gibt. —> „Keine Unterschiede über die Zeit“
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
(Wenn Max die Klausur also bereits schon einmal nicht bestanden hatte)
Person:
- Konsens niedrig = Nur Max
- Distinktheit niedrig = auch durch andere Klausuren gefallen
- Konsistenz hoch = Mehrfach
Entität:
- Konsens hoch = viele Leute
- Distinktheit hoch = insbesondere in einem bestimmten Fach
- Konsistenz hoch = mehrfach durch diese Klausur
Spezielle situative Umstände:
- Konsens niedrig = nur Max
- Distinktheit hoch = nur diese Prüfung
- Konsistenz niedrig = nur 1 mal
—> Irgendetwas war los, was mit dieser Prüfungssituation zusammenhängt
63
Sozialpsychologie
Skript 2015
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Bewertung des Modells:
Gute Bestätigung, wenn Randbedingungen gegeben sind, aber:
- relevante Informationen im Alltag sind häufig nicht vorhanden
- hohe Anforderungen an kognitive Leistungsfähigkeit und -willigkeit
—> Attributionen sind im Alltag häufig Verzerrt. (nicht plausibel)
4.) Differenzmethode (nach Heider)
Wie gelangen Personen zu bestimmten Attributionen?
Bsp.: Sagen wir, eine Person empfindet einem bestimmten Objekt gegenüber Freude.
Dann kann die Ursache für diese Empfindung entweder:
1.
in der Person liegen (und kein Spezifikum des Objekts sein)
Wäre der Fall, wenn eine Person sich generell allen Objekten gegenüber erfreut
2.
in dem Objekt liegen (und kein Spezifikum der Person sein)
Wäre der Fall, wenn sich die Person nur an diesem Objekt erfreut und wenn andere Personen
ebenfalls mit Freude auf das Objekt reagieren würden.
z.B: Eine Person reagiert mit Verzückung und Begeisterung auf einen Bugatti T35 Oldtimer im
Schaufenster eines Autohauses.
Mag sein, dass diese Person auf alle Oldtimer so reagiert (Begeisterung ist ein Spezifikum der
Person) oder dass alle, die im Schaufenster des Autohauses vorbeigehen, mit Begeisterung auf
den Oldtimer reagieren (Begeisterung ist ein Spezifikum des Objektes).
Das Beispiel zeigt, dass Attributionen auf systematischen Vergleichen beruhen, die entweder einen
Unterschied (Differenz) oder keinen Unterschied (keine Differenz) ergeben.
- Ist die Freude ein Spezifikum der Person, differiert die Freude zwischen Personen, nicht aber
zwischen Objekten.
- Ist die Freude ein Spezifikum des Objekts, differiert sie zwischen Objekten, nicht aber zwischen
Personen.
Um eine Attribution vornehmen zu können, muss ein Effekt (z.B. Freude) bei verschiedenen
Personen und in verschiedenen Situationen bzw. gegenüber verschiedenen Objekten beobachtet
und mit diesen in Zusammenhang gebracht werden.
Folglich geht der Mensch im Alltag bei der Beantwortung von Warum-Fragen ähnlich vor wie ein
Wissenschaftler. Auch dieser sucht nach Kontingenzmustern in Daten und schließt von diesen auf
zugrunde liegende Ursachen.
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Sozialpsychologie
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5.) Theorie der gelernten Hilflosigkeit (Seligman — 1975)
Wenn Menschen in einer Situation die Erfahrung machen, dass sie ein bestimmtes Ereignis nicht
kontrollieren können, entwickeln sie die Erwartung, auch in zukünftigen Situationen
unkontrollierbaren Ereignissen ausgeliefert zu sein.
• Idee: Depression geht auf Erfahrung zurück, dass das eigene Handeln Ergebnisse nicht
beeinflusst.
- Belohnungen und Bestrafungen ohne Kontingenz zu eigenem Verhalten.
(Kontingenz = Häufigkeit bzw. Grad der Wahrscheinlichkeit des gemeinsamen Auftretens zweier
Sachverhalte, Merkmale, usw.)
• Aber: Nicht alle unkontrollierbaren Situationen führen zu Depression. (Auch andere Faktoren
müssen gegeben sein.)
• Antriebslosigkeit —> „Das was ich tue, hat nichts damit zu tun ob Ich eine Belohnung bekomme
oder nicht“ (Tiere würden einfach aufhören etwas zu tun)
Attributionstheoretische Neufassung: (Abramson — 1978)
Er erweiterte Seligmans Theorie.
Demnach nehmen Menschen bei der Erfahrung von Kontrollverlust eine Ursachenzuschreibung
vor. Nur wenn sie dabei zu der Wahrnehmung gelangen, dass der Kontrollverlust zeitlich stabil,
universell und global, über mehrere relevante Lebensbereiche konsistent und auf internale
Ursachen zurückzuführen ist (d.h. immer nur an der Person selbst, nicht an den Umständen liegt),
bildet sich ein Hilflosigkeitssymptom aus:
Bei einem solchen Attributionsstil (stabil, universell, internal) wird auch für die Zukunft
Nichtkontrollierbarkeit, d.h. eine Inkontingenz zwischen Handlungsmöglichkeiten und Ereignisse,
erwartet.
Entsprechend könnte eine Form der Intervention gegen eine depressive Symptomatik darin
bestehen, den Attributionsstil der betroffenen Person zu ändern.
• Wie wird Unkontrollierbarkeit attribuiert? (Wie erklärt man sich selber das unkontrollierbare?)
• Klinisches Schlüsselmerkmal: Gefühl persönlicher Verantwortung.
• Idee: Hilflosigkeit führt nur bei intrinsischer Attribution zu Depression.
• Erweiterung:
Dimension — Global vs Spezifisch (viele Situationen vs. nur aktuelle Situation)
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Sozialpsychologie
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Bsp. Eine Frau ist verliebt und wird verschmäht —> Hilflosigkeit.
Wie attribuiert sie diese Erfahrung?
Man schätzt sich häufig besser ein, als man ist.
Die positiven Illusionen über sich selbst — man profitiert davon in Form von psychischer
Gesundheit und Stabilität.
6.2.) Attributionsfehler und Attributionsverzerrung
• Entstehen häufig durch Informationsmangel.
• Nicht alle Informationen werden systematisch verarbeitet.
• Kausalattributionen werden beeinflusst durch:
- Vorwissen und Erwartungen
- Erlernte Attributionsstile
- Kontextvariablen
• Attributionsfehler/-verzerrungen:
- Fundamentaler Attributionsfehler
- Actor-Observer Bias
- False-consensus Bias
1.) Fundamentaler Attributionsfehler (Ross et al. — 1977)
(Korrespondenzverzerrung — Korrespondenz zwischen
einer Persönlichkeitseigenschaft und gezeigtem Verhalten)
• Menschen sind für Informationen, die für eine Person-Attribution sprechen, sensibler als für
Informationen, die für eine Attribution auf die Entität bzw. auf spezielle situative Umstände
sprechen.
• Menschen haben die Tendenz, von dem Verhalten auf Eigenschaften zu schließen.
—> Dabei vernachlässigen sie jedoch situative Faktoren
• Generell zeigte sich, dass mehr unberechtigte Person-Attributionen vorgenommen werden.
Ross et al. (1977) haben diesen systematischen Verzerrungseffekt den fundamentalen
Attributionsfehler genannt. 66
Sozialpsychologie
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• Etwas bescheidener ist die Bezeichnung „Korrespondenzverzerrung“ (Gilbert, 1995), d.h. die Neigung von Beobachtern, aus dem Verhalten eines anderen Menschen auf dessen
Persönlichkeitseigenschaften zu schließen.
• Diese Ergebnisse sprechen übrigens auch dagegen, dass Menschen — ähnlich wie ein
Computer oder ein unbestechlicher Wissenschaftler — allen Informationen in ihrer Umwelt
(Konsens, Distinktheit, Konsistenz) die gleiche Aufmerksamkeit schenken und gleichwertig
„verrechnen“.
• Prominente Studie: Jones und Harris (1967)
Die Tendenz, das menschliche Verhalten als Ausdruck von Dispositionen und Überzeugungen
und nicht als von der Situation beeinflusst zu sehen, ist vielfach empirisch belegt worden. Man bat Studierende, einen Aufsatz zu lesen, der von einem Kommilitonen verfasst worden war
und sich entweder positiv oder negativ zu Fidel Castros Rolle in Kuba äußerte, und dann zu
mutmaßen, wie der Autor des Aufsatzes wirklich über Castro dachte.
In einem Versuchsdurchgang erzählten die Forscher den Studierenden, dass der Autor die
Haltung, die er in dem Aufsatz vertrat, frei gewählt habe, so dass es leicht war, zu erraten, wie
er wirklich dachte.
Schrieb er pro Castro, musste er auch wirklich für Castro sein.
In einem zweiten Versuchsdurchgang allerdings erfuhren die Untersuchungsteilnehmer, dass
dem Autor seine Position als Teilnehmer einer Debatte zugewiesen worden war.
Man konnte also nicht annehmen, dass der Autor wirklich an das glaubte, was er schrieb.
Trotzdem nahmen die Teilnehmer dieses und Dutzender ähnlicher Versuche genau das an,
auch wenn sie wussten, dass sich der Autor seine Position nicht selbst ausgesucht hatte.
Ergebnis:
• Wie man sehen kann, schwächten die Untersuchungsteilnehmer ihre Vermutungen zwar ein
wenig ab — der Unterschied in ihrer Einschätzung der Einstellung des Autors war dann
zwischen dem Pro-Castro- und dem Anti-Castro-Aufsatz nicht ganz so groß wie in der
Bedingung, bei der sie frei entscheiden konnten.
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Sozialpsychologie
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• aber sie nahmen immer noch an, dass der Inhalt des Aufsatzes die wahre gefühlsmäßige
Haltung des Autors wiedergebe
• Sogar dann, wenn bekannt war, dass die Wahl eines Aufsatzthemas external verursacht war (in
der Bedingung ohne freie Entscheidung), nahmen die Untersuchungsteilnehmer an, dass das,
was der Autor schrieb, wiedergebe, was er wirklich über Castro dache.
Das heißt, sie machten eine internale Attribution aufgrund seines Verhaltens.(nach Jones &
Harris, 1967)
Warum ist der fundamentale Attributionsfehler so grundlegend?
Eine internale Attribution vorzunehmen ist nicht immer falsch:
- Die Leute verhalten sich eben oft auf eine bestimmte Weise, weil sie die Menschen sind, die sie
nun einmal sind.
- Es gibt allerdings vielfache Belege dafür, dass soziale Situationen das Verhalten stark
beeinflussen können:
eigentlich ist es die grundlegende Erkenntnis der Sozialpsychologie, dass diese Einflüsse
außerordentlich bestimmend sein können.
Das Argument für den fundamentalen Attributionsfehler lautet, dass Menschen dazu neigen,
externe Einflüsse zu unterschätzen, wenn sie das Verhalten anderer Personen erklären wollen.
Sogar wenn der Einfluss der Situation auf das Verhalten offensichtlich ist — wie im Experiment
gezeigt — nehmen die Menschen weiterhin internale Attributionen vor.
Ursachen des Fundamentalen Attributionsfehlers:
• Die Rolle der Wahrnehmungs-Salienz beim fundamentalen Attributionsfehler.
Salienz der Person ist größer als die der Situation.
(Person sichtbar, Umstände nicht)
(Salienz = Das, was besonders viel Aufmerksamkeit erregt)
• Ein Grund für den Fehler ist, dass sich unsere Aufmerksamkeit, wenn wir das Verhalten eines
Menschen erklären wollen, sich gewöhnlich auf diesen Selbst und nicht auf seine Umgebung
konzentrieren.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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• Tatsächlich sind die situationsbezogenen Ursachen des Verhaltens eines Menschen für uns
praktisch unsichtbar. Wenn wir nicht wissen, was jemandem heute schon passiert ist, können wir diese Information
nicht nutzen, um uns das gegenwärtige Verhalten dieser Person zu erklären. (Und selbst wenn
wir ihre Situation kennen, wissen wir immer noch nicht, wie sie selbst sie interpretiert.)
—> Wenn wir nicht wissen, was die Situation für sie bedeutet,
können wir die Effekte auf ihr Verhalten nicht genau beurteilen.
Sehr oft ist die Information über die situationsbezogenen Ursachen des Verhaltens gar nicht
verfügbar oder aber schwer zu interpretieren.
• Wir können die Situation nicht sehen, also ignorieren wir ihre Bedeutung. Menschen, nicht
Situationen, haben Wahrnehmungssalienz für uns; wir achten auf sie und neigen zu der
Auffassung, dass nur sie Ursache ihres Verhaltens sind.
Evidenz Wahrnehmungssalienz:
Shelley Taylor & Susan Fiske (1975)
In dieser Studie führen 2 männliche Studierende eine Unterhaltung, um einander kennenzulernen.
(Sie waren in Wirklichkeit beide in das Experiment eingeweiht — sie waren also Konföderierte der
Versuchsleiterin — und folgen in ihrer Unterhaltung einem Skript.)
An jeder Sitzung wirkten auch 6 echte Untersuchungsteilnehmer mit. Sie bekamen Plätze
zugewiesen, die links und rechts von den beiden Gesprächspartnern waren.
- Jeweils 2 saßen zu beiden Seiten der Darsteller, sie hatten einen klaren Blick auf beide von der
Seite.
- 2 andere Beobachter saßen hinter jedem Darsteller, sie konnten einen der Darsteller nur von
hinten sehen, dem anderen aber ins Gesicht blicken.
Somit war durch diese geschickte Manipulation in der Studie genau festgelegt,
wer visuell salient war, das heißt, wen die Teilnehmer besser sehen konnten.
- Nach der Unterhaltung wurden die Teilnehmer über die 2 Darsteller befragt: Wer hat das
Gespräch dominiert? Wer hat den Gesprächsgegenstand bestimmt? etc.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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- Die Personen, die die Untersuchungsteilnehmer besser sehen konnten, war für sie auch
diejenige, die einen größeren Einfluss auf die Unterhaltung hatte.
Erklärung:
• Die Wahrnehmungssalienz, oder unser visueller Standpunkt, hilft uns, zu erklären, warum der
fundamentale Attributionsfehler so verbreitet ist.
• Wir konzentrieren uns stärker auf Menschen als auf die Situation im Umfeld, weil die Situation
schwer zu erkennen oder zu verstehen ist.
Wenn wir das Verhalten von Menschen erklären, unterschätzen wir den Einfluss der Situation
oder vergessen ihn sogar.
• Das Problem dabei besteht jedoch darin, dass die Menschen ihre Urteile oft nicht ausreichend
anpassen.
• Im Experiment von Jones & Harris (1967) glaubten die Untersuchungsteilnehmer, die wussten,
dass sich der Verfasser des Aufsatzes sein Thema nicht hatte aussuchen können, trotzdem,
dass er die Ansichten vertrat, die er geschrieben hatte.
Zumindest bis zu einem gewissen Grad.
• Sie passten also ihr Urteil, ausgehend von der salientesten Information (der im Aufsatz
vertretenen Ansicht), nur unzureichend an.
2.) Actor-Observer-Bias (Jones & Nisbett — 1972)
- Diejenigen, die eine Handlung ausführen (die Akteure), attribuieren ihr Handeln eher auf die
Situation, während diejenigen, die das Handeln anderer beobachten, eher auf die Person des
Handelnden attribuieren.
Mit anderen Worten:
• Beobachter begehen den fundamentalen Attributionsfehler, wenn sie das Verhalten anderer
erklären. (primär internale Gründe —> FAF)
• Akteure überschätzen dagegen eher den Einfluss der Situation auf ihr eigenes Handeln. (primär
externe Gründe/Situation)
Bsp.: Sie geben dem Kellner Trinkgeld, Sie werden das eher situational attribuieren (der Service
war schlecht). Sie können aber davon ausgehen, dass andere Restaurantgäste, die Sie
beobachtet haben, Ihr Verhalten auf ihre Person attribuieren (Sie sind ein Geizhals!)
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Für diese Perspektivendivergenz werden im Allgemeinen 4 Erklärungsansätze vorgeschlagen:
1.
2.
Zwei kognitive Erklärungen: Unterschiedliche Informationsgrundlagen und Unterschiede in der
Wahrnehmungsperspektive.
Zwei motivatonale Erklärungen: Selbstwertdienlichkeit der Attributionsverzerrungen und
Kontrollbedürfnis.
(1) Unterschiedliche Informationsgrundlagen: Akteure kennen sich selbst aus vielen ähnlichen
Situationen. Sie verfügen also nach Kelley über Konsistenz- und Distinktheitsinformationen.
Im Beispiel: Sie wissen, ob Sie in anderen Situationen als im Restaurant ebenfalls kleinlich
sind (Distinktheit). Beobachter hingegen kennen die beobachtete Person i.d.R. nur aus dieser
einen Situation. Ihnen liegen also keine Konsistenz- und/oder Distinktheitsinformationen vor.
In dieser Situation rückt Konsensinformation in den Vordergrund: Der Beobachter versucht,
Vergleiche mit dem Verhalten fiktiver anderer (Die meisten Leute geben im Restaurant
Trinkgeld) oder mit einem „Mittelwert“ des eigenen bisherigen Verhaltens (Ich gebe im
Restaurant immer Trinkgeld) oder mit einem normativen Sollwert (Man sollte im Restaurant
Trinkgeld geben) anzustellen.
Ein so konstruierter hoher Konsens wird eine dispositionale Attribution nahe legen (Der ist
aber geizig!).
(2) Unterschiede in der Wahrnehmungsperspektive: Für Akteure sind in einer gegebenen
Situation eher die Anforderungen und Spezifika dieser Situation salient. Die eigene Person tritt
dahinter zurück. Für Beobachter ist in einer solchen Situation eher die Person des
Handelnden salient. Der situative Kontext tritt zurück. Man könnte dieses unterschiedliche
Hervortreten von Person oder situativem Kontext als eine „Figur-Grund-Asymmetrie“
bezeichnen.
(3) Selbstwertdienlichkeit der Attributionsverzerrungen: Das Attribuieren auf (negative)
Personeneigenschaften anderer kann selbstwertdienlich sein. Von Personen, die negative
Eigenschaften besitzen, kann man sich wohltuend abheben. Allerdings würde das bedeuten,
dass der Actor-Observer-Bias allein in Bezug auf negatives Verhalten anderer zum Tragen
kommen dürfte.
Diesbezüglich ist die empirische Befundlage jedoch widersprüchlich.
(4) Kontrollbedürfnis: Menschen haben das Bedürfnis, das Verhalten anderer menschen
vorhersagen und kontrollieren zu können. In vielen sozialen Situationen ist es von Vorteil,
wenn man den anderen „kennt“, sein Verhalten vorhersagen kann und ihm damit einen Schritt
voraus ist. Das kennen wir insbesondere aus strategiebasierten Interaktionen, beispielweise
Karten-, Brett- und Rollenspielen, aber auch bei Verhandlungen, Konfliktsituationen oder
politischen Debatten.
Ein gutes Beispiel für solche Situationen und ihre Brisanz ist das sogenannte
„Gefangenendilemma“, in dem der eine Outcome wesentlich vom Verhalten der anderen
Person abhängt.
Erklärungen: Salienz: Für Handelnden Situation salient, für Beobachter Handelnder salient.
Wissen: Handelnder weiß mehr über sich selbst. (Konsistenz, Distinktheit)
Kontrollbedürfnis: Bedürfnis, das Verhalten anderer vorhersagen zu können.
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Sozialpsychologie
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3.) False-Consensus-Bias (Ross, Greene & House — 1977)
- Menschen neigen dazu, ihr eigenes Verhalten als typisch einzuschätzen: Sie glauben, dass
andere sich in der gleichen Situation in gleicher oder ähnlicher Weise verhalten würden wie sie
selbst.
- Das bekannteste Untersuchungsbeispiel stammt von Ross et al. (1977):
Sie fragten Studierende, ob sie bereit wären, ein Plakat mit einer
Werbung für eine Pizzabude über den Campus zu tragen.
Jene die bereit waren, schätzten, dass 63,3% aller Studierenden
ebenfalls dazu bereit sein würden.
Jene die nicht bereit waren, schätzten, dass 76,7% ebenfalls nicht
bereit sein würden.
In der Summe ergibt das 140,2% (!).
Ergebnis:
Es gibt 2 Erklärungen für den False-Consensus-Effekt:
(1) der Wunsch, der Mehrheit anzugehören und sich dadurch mit seiner Meinung bzw. seinem
Verhalten auf der „richtigen“ Seite zu glauben. (Wunsch, auf der „richtigen“ Seite zu stehen)
(2) selektiver Kontakt: Menschen suchen den Kontakt zu anderen, die ihnen ähnlich sind. Sie
beobachten deshalb viel häufiger das Verhalten bei anderen, das dem eigenen ähnlich ist, als
Verhalten, das vom eigenen abweicht.
Aus dieser selektiven (künstlich homogenen) „Stichprobe“ schließen sie fälschlicherweise auf
die „Population“. (Falscher Schluss)
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Sozialpsychologie
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4.) Attributionsasymmetrie bei Erfolg und Misserfolg (Zuckerman — 1979)
- Eigene Erfolge werden häufiger personal (internal) und eigene Misserfolge häufiger situativ
(external) attribuiert.
Beispiel: Wer eine Klausur besteht, wird diesen Erfolg wahrscheinlich eher auf Intelligenz und Begabung
zurückführen (also internal, stabil).
Wer die Klausur dagegen nicht besteht, wird mit größerer Wahrscheinlichkeit argumentieren, die
Klausur sei zu schwierig gewesen. (also external, instabil/variabel)
- Die überzeugendste Begründung für diese Verzerrung scheint zu sein, dass sie
selbstwertdienlich ist:
Eigene Erfolge als Resultate persönlicher Fähigkeiten darstellen zu können, dürfte Stolz
hervorrufen, und eigene Misserfolge als Ausrutscher zu bezeichnen, dürfte ein positives Bild von
sich selbst nicht allzu stark gefährden.
- Die Tendenz, Erfolg internal und Misserfolg external zu attribuieren, findet man nicht bei
Menschen mit depressiver Symptomatik.
Sie neigen im Gegenteil eher dazu, Erfolg auf den Zufall (also external) und Misserfolge auf
eigene Schwächen (also internal) zu attribuieren.
—> Daher besteht ein wichtiger Ansatz kognitiver Depressionstherapien darin,
den Attributionsstil zu verändern.
5.) Gruppenstützende Verzerrungen
- Ein positives Verhalten der eigenen Gruppe wird internal attribuiert, wohingegen ein negatives
Gruppenverhalten eher external attribuiert wird.
- Ein positives Verhalten einer fremden Gruppe wird eher external attribuiert, wohingegen ein
negatives Fremdgruppenverhalten internal attribuiert wird.
6.3.) Zwei Stufen des Attributionsprozesses
Zusammengefasst durchlaufen wir also ein „Zwei-Schritte-Prozess“ (Gilbert, 1989, 1991, 1993;
Krull, 1993).
Wir machen eine internale Attribution — wir nehmen an, dass das Verhalten eines Menschen an
dieser Person selbst liegt.
Wir versuchen dann, diese Attribution durch Einbeziehung der Situation dieser Person
anzupassen. Bei diesem zweiten Schritt geht die Anpassung allerdings oft nicht weit genug.
Wenn wir abgelenkt oder beschäftigt sind, überspringen wir of sogar den zweiten Schritt und
nehmen eine extreme internale Attribution vor.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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Warum?
- Weil der erste Schritt (internale Attribution) schnell und spontan erfolgt, während der zweite
Schritt (Anpassung an die Situation) mehr Anstrengung und bewusste Aufmerksamkeit erfordert.
Schritt 1 : automatische internale Attribution
— Geht schnell und spontan - wenig Aufwand.
Schritt 2: Anpassung unter Einbezug der Situation
— Häufig nicht weit genug, benötigt Zeit, kognitive Kapazität,
Motivation und bewusste Aufmerksamkeit.
- Wir führen den zweiten Schritt des Attributionsprozesses dann durch, wenn wir bewusst
innehalten und vor einem Urteil sorgfältig nachdenken, wenn wir motiviert sind, zu einem
möglichst zutreffenden Urteil zu kommen, oder wenn uns das Verhalten der beobachteten
Person verdächtig vorkommt.
z.B. wenn wir glauben, dass sie lügt oder verborgene Motive hat.
Evidenz:
Gilbert, Pelham, & Krull (1988)
- Die Versuchspersonen sahen ein Video einer nervösen Frau in einem Interview.
- UV1: sensible vs. harmlose Themen
Die Themen wurden auf dem Monitor eingeblendet.
—> Situationaler Grund (vs. kein Grund) für Nervosität (Falsche bzw. richtige Themen
vorgegeben)
- UV2: hohe vs. geringe kognitive Belastung (lange Zahlenkette merken vs. keine)
- AV: Wie ängstlich/nervös ist die Frau allgemein?
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Ergebnis:
Links = erste spontane Antwort (internale)
Rechts = diejenigen, die zeitgleich eine Gedächtnisaufgabe bekamen.
7.) Soziale Kognition (I & II)
(Vorlesung vom 01.12.2014 & 08.12.2014 — Lernziele: Unterschied zwischen automatischen und
kontrollierten Prozessen und dessen Eigenschaften, Was sind Schemata und was beeinflussen
sie, experimentelle Studien dazu, theoretisches Verständnis für Randbedingungen der Tiefe der
Informationsverarbeitung + Studie skizzieren, Konzepte Verfügbarkeitsheuristik,
Simulationsheuristik, Repräsentativitätsheuristik und Ankereffekte, Phänomene auf Kontexte
anwenden, Studien skizzieren — Aronson Kapitel 3 + Bless & Schwarz „Konzeptgesteuerte
Informationsverarbeitung“ — Strack & Deutsch 2002 Theorien Der Sozialpsychologie Band III)
-
Wie denken Menschen über sich und ihr soziales Umfeld?
Wie wählt der Mensch soziale Informationen aus, wie interpretiert er sie, wie erinnert und nutzt er sie?
(Mentale Prozesse, die Verhalten zu Grunde liegen)
-
Forschungsfragen:
Auf welche Informationen richten wir Aufmerksamkeit?
Wie werden sozial relevante Informationen wahrgenommen, abgespeichert, organisiert & abgerufen?
Wie beeinflussen diese Informationen Entscheidungs- und Urteilsprozesse sowie Verhalten?
Wie vereinfachen wir die Urteilsbildung?
• Durch Informationsbeschränkung: selektive Informationsaufnahme, begrenzter
Informationsabruf
• Nutzung von weniger aufwändigen Prozessen: Automatische Prozesse, Nutzung von
Schemata/Skripten und Heuristiken.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
7.1.) Zwei Arten sozialer Kognition
Um zu begreifen, wie Menschen ihre soziale Welt einschätzen und wie zutreffend ihre Eindrücke
wahrscheinlich sind, müssen wir zwischen 2 unterschiedlichen Formen der sozialen Kognition
unterscheiden:
1.
Automatische Prozesse
(„Autopilot“)
Wenn wir eine Person zum ersten mal treffen, bilden wir uns oft, ohne bewusst darüber
nachzudenken, einen blitzschnellen Eindruck von ihr. (Nicht beabsichtigt)
Auf ähnliche Weise fällen wir häufig Entscheidungen, „ohne zu denken“, wenn wir
beispielsweise im Auto beim Anblick eines Kindes, das auf die Straße läuft, voll auf die
Bremse treten.
—> unkontrollierbar, ohne Anstrengung & unbewusst.
2.
Kontrollierte Prozesse
(„Kontrollierte Steuerung“)
Ein andermal machen Menschen selbstverständlich eine Pause und denken sorgfältig über
den richtigen Ablauf einer Handlung nach.
—> beabsichtigt, kontrollierbar, mit Anstrengung verbunden & bewusst.
Zusammen bilden beide ein Kontinuum,
d.h. dass kontrollierte Prozesse in automatische übergehen können!
(Automatische & kontrollierte Prozesse sind also NICHT Dichotom!)
7.2.) Schemata
Wenn wir einem Unbekannten begegnen, fangen wir nicht bei 0 an, um herauszufinden, wie er
oder sie ist; wir kategorisieren die Person als „Maschinenbaustudent“ oder „wie meine Cousine
Laura“. (Dasselbe gilt für Orte, Gegenstände und Situationen)
Genauer gesagt benutzt der Mensch „Schemata“, also mentale Strukturen, die unser Wissen über
die soziale Welt ordnen. (Sie können bei der Informationsverarbeitung helfen)
Diese mentalen Strukturen haben einen Einfluss darauf, welche Informationen wir wahrnehmen,
über welche wir nachdenken und welche wir erinnern.
Die Bezeichnung „Schema“ ist sehr allgemein; sie umfasst einen breiten Wissensbereich — über
andere Menschen, uns selbst, soziale Rollen und spezifische Ereignisse.
Für jeden Einzelfall enthalten Schemata unser grundlegendes Wissen und unsere Bewertungen,
mit denen wir ordnen, was wir über die soziale Welt wissen, und neue Situationen interpretieren.
Stereotype — Personen-, Selbst-, Rollen-, Kausal- und Ereignisschemata (Skripte). also:
„Allgemeine, abstrakte Wissensstrukturen über Dinge,
Personen und Zusammenhänge in der Welt“
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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Funktion:
Schemata sind nützlich um unsere Umwelt zu ordnen, ihr einen Sinn zu geben und um unsere
Wissenslücken zu schließen.
Schemata sind besonders dann wichtig, wenn wir uns in einer verwirrenden Situation befinden,
weil sie uns helfen, herauszufinden, was da vor sich geht.
Je vieldeutiger unsere Informationen sind, desto eher greifen wir also auf unsere Schemata
zurück, um die Wissenslücken zu schließen.
Wie wäre es ohne Schemata?
Menschen die am sogenannten „Korsakow-Syndrom“ leiden, verlieren die Fähigkeit, neue
Erinnerungen zu bilden, und müssen jeder Situation so begegnen, als wären sie zum ersten Mal
damit konfrontiert. (selbst wenn sie sie schon häufig erlebt haben).
Kontinuität und die Fähigkeit, neue Erfahrungen mit unseren bestehenden Schemata in
Verbindung zu bringen, sind so wichtig, dass Menschen, die diese Fähigkeit verlieren, sogar
Schemata erfinden, wo es gar keine gibt.
„Schemageleitete Informationsverarbeitung“
• spart Ressourcen und geht schnell
• Wahrnehmung und Interpretation der sozialen Welt ist ein konstruktiver Prozess.
bottom-up = System/Reflektierte Informationsverarbeitung
top-down = oberflächliche Informationsverarbeitung (weniger Aufwand und daher schneller)
Wie unterscheiden sich Verarbeitungsprozesse?
Welche Randbedingungen (Moderatoren) bestimmen den
Aufwand bei der Informationsverarbeitung?
Was wird durch Schemata beeinflusst?
• Enkodierung
Kategorisierung eines Stimulus
z.B. Krebspatient vs Skinhead
oder betrunken vs. psychisch krank
• Inferenzen
In Beziehung setzen zu bestehendem Wissen
„going beyond the information given“
Skinhead —> Aggressiv
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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• Gedächtnis
Schema-konsistente Rekonstruktion der Erinnerung
• „Automatisches“ Verhalten.
7.3.) Einfluss von Priming: Enkodierung
Schemata, welche einem in bestimmten Situationen einfallen und unseren Eindruck steuern,
können von Zugänglichkeit beeinflusst werden. Also von dem Ausmaß, in dem Schemata und
Konzepte gedanklich im Vordergrund stehen und daher aller Wahrscheinlichkeit nach genutzt
werden, wenn wir Urteile über die soziale Welt fällen.
Es gibt 3 Gründe, die etwas zugänglich machen können.
1.
Verfügbarkeit
Manche Schemata sind wegen früherer Erfahrungen dauerhaft zugänglich. Diese Schemata
sind also ständig aktiviert und stehen zur Verfügung, um mehrdeutige Situationen zu
interpretieren.
z.B. Bei einem Fall von Alkoholismus in der Familie, sind die Persönlichkeitsmerkmale (traits)
dauerhaft zugänglich, und damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man diese in
verschiedenen Situationen nutzt.
2.
Zugänglichkeit
1. Chronisch: Häufigkeit relevant (frequency) z.B. hat man ein Konzept über Skinheads im
Kopf, wenn man in der Antifa ist.
2. Temporär: kürzliche Aktivierung (recency) z.B. hat man vor 2 Tagen etwas darüber gelesen
oder gehört.
3. Temporär: zielrelevant z.B. wenn man sich gerade für eine Prüfung vorbereitet und eins der
Themen wäre „Haarverlust“.
3.
Anwendbarkeit
—> Nutzung, wenn anwendbar und zugänglich
Ein Schema muss sich überhaupt erst einmal gebildet haben.
Konzepte werden über Schemata aktiviert.
Das alles sind Beispiele für Priming, ein Prozess, bei dem kürzlich gemachte Erfahrungen die
Zugänglichkeit eines Schemas, eines Persönlichkeitsmerkmals (trait) oder eines Begriffs erhöhen.
Evidenz 1:
Priming-Effekt (Higgins, Rholes & Jones — 1977)
Den Untersuchungsteilnehmern wurde gesagt, sie würden an 2 voneinander unabhängigen
Studien teilnehmen.
Im ersten, einer Wahrnehmungsstudie, sollten sie verschiedene Farben identifizieren und sich
gleichzeitig eine Liste von Wörtern einprägen.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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Bei der zweiten Studie ging es um das Leseverständnis, bei der sie einen Abschnitt über jemanden
namens „Donald“ lesen und dann ihren Eindruck von ihm wiedergeben sollten.
Viele von Donalds Handlungen sind mehrdeutig — sie können entweder positiv oder negativ
bewertet werden — etwa dass er ein Boot steuerte, ohne sich besonders damit auszukennen, etc.
Wie erwartet hing die Beurteilung seiner Handlungen davon ab, ob zuvor positive oder negative
Persönlichkeitseigenschaften geprimed worden und zugänglich waren.
Im ersten Test teilten die Forscher die Untersuchungsteilnehmer in zwei Gruppen ein und legten
ihnen unterschiedliche Wortlisten zum Einprägen vor.
Diejenigen, die sich zuerst Wörter wie „unternehmungslustig“, „selbstbewusst“, „unabhängig“ und
„ausdauernd“ eingeprägt hatten, beurteilen Donald später positiv und sahen ihn als sympathischen
Mann, der gerne neue Herausforderungen suchte.
Diejenigen, die sich Wörter wie „waghalsig“, „eingebildet“, „unnahbar“ und „dickköpfig“ eingeprägt
hatten, beurteilen Donald später als negativ und sahen in ihm einen Angeber, der unnötig hohe
Risiken einging.
Ergebnis:
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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- Die negative Beurteilung von Donald ging aber nicht nur auf das Einprägen positiver oder
negativer Wörter zurück.
- Unter anderen Versuchsbedingungen prägten sich die Untersuchungsteilnehmer sowohl
positive als auch negative Wörter ein, etwa „gepflegt“ oder „unhöflich“.
Diese Persönlichkeitseigenschaft hatten jedoch keinen Einfluss auf den Eindruck, weil die
Wörter nicht zu seinem Verhalten passten.
Demnach müssen Gedanken sowohl zugänglich, als auch anwendbar sein, um als Primes
wirksam zu werden und unsere Bewertungen der sozialen Welt zu beeinflussen.
- Priming ist ein gutes Beispiel für automatisches Denken, denn es läuft schnell, unabsichtlich
und nicht bewusst ab.
- In unserem Urteil über andere machen wir uns normalerweise nicht bewusst, dass wir Begriffe
oder Schemata verwenden, über die wir vorher zufällig nachgedacht haben.
Evidenz 2:
Priming von Verhalten (Bargh et al. — 1996)
-
30 Trials: Versuchspersonen bilden aus 5 Wörtern einen 4-Wort Satz
UV: Priming des Altersstereotyps — ja vs. nein
„Der Fahrstuhl ist da hinten den Flur runter“
AV: Gehgeschwindigkeit
Ergebnis:
Evidenz 3:
Einfluss der Bewusstheit des Primings (Strack et al. — 1993)
-
UV1: Aktivierung von „hilfsbereit“ vs. „unehrlich“
Distraktoraufgabe
Beschreibung der Zielperson
UV2: Erinnerung vs. keine Erinnerung an Gedächtnisaufgabe
Eindrucksbildung: Studentische Hilfskraft (Zielperson) kopiert Prüfung für einen Freund
AV: Beurteilung der Zielperson
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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Ergebnis:
Assimilation = Annäherung an das was vorher aktiviert wurde.
Kontrast = „bewusst“, kann erste Aufgabe beeinflussen —> man steuert bewusst dagegen
(Überkorrektur)
Intrusionsfehler = Man erinnert sich an Dinge, die gar nicht passiert sind.
Einfluss des Zeitpunktes der Aktivierung:
1.
Darbietung des Schemas beeinflusst Interpretation der spezifischen Information:
Einfluss auf Eindrucksbildung.
2.
Darbietung der spezifischen Information.
3.
Urteilsbildung schon beim Lesen der spezifischen Information: kein Einfluss des aktivierten
Schemas.
4.
Urteilsbildung nach Lesen der spezifischen Information:
Rückgriff auf Schema —> Einfluss des Schemas auf Urteilsbildung.
Der Perserveranzeffekt:
Als Perseveranzeffekt bezeichnet man den Umstand, dass Überzeugungen über sich selbst und
über die soziale Welt fortbestehen, selbst wenn die Grundlagen dieser Annahmen widerlegt
worden sind.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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7.4.) Die Selbsterfüllende Prophezeiung
Wie wir dafür sorgen, dass unsere Schemata wahr werden. (self-fulfilling prophecy)
Menschen sind nicht einfach nur passive Informationsempfänger — sie wirken oft so auf ihre
Schemata ein, dass sich ändert, wie sehr diese Schemata unterstützt werden oder nicht.
Sie können tatsächlich ihre Schemata etwa durch die Art ihres Umgangs mit anderen Menschen
unbeabsichtigt wahr werden lassen.
Diese „sich selbst erfüllende Prophezeiung“ funktioniert so:
• Menschen haben eine Erwartung dazu, wie eine andere Person ist, und diese Erwartung
beeinflusst ihren Umgang mit ihr.
• Das Veranlasst die betreffende Person dazu, sich so zu verhalten, dass es im Einklang mit den
ursprünglichen Erwartungen der Menschen steht; sie erfüllt damit genau diese Erwartungen.
(Eigenes Verhalten kann dazu führen, dass die eigenen Erwartungen Wirklichkeit werden)
Evidenz:
Nachweis der self-fulfilling-prophecy in einer Grundschule
(Robert Rosenthal und Lenore Jacobson — 1968/1976)
Man ließ alle Schüler der Einrichtung einen Test durchführen und sagte den Lehrern, dass einige
Schüler dabei so gut abgeschnitten hätten, dass man sicher sein könne, sie würden im
kommenden Schuljahr geradezu „aufblühen“.
Das entsprach allerdings nicht unbedingt der Wahrheit: Die Schüler, die als „Aufblüher“ identifiziert
worden waren, waren von der Wissenschaftlern nach dem Zufall ausgewählt worden.
(Sie waren im Schnitt also nicht klüger als die anderen Kinder)
Diese Kinder unterschieden sich von den gleichaltrigen Mitschülern nur durch das, was im Kopf
ihrer Lehrer stattfand. (Weder die Schüler, noch die Eltern erfuhren etwas über die Testergebnisse)
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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Was passierte dann?
Rosenthal und Jacobson beobachteten in regelmäßigen Abständen das Geschehen im
Klassenzimmer, und am Ende des Schuljahrs mussten alle Schüler einen Intelligenztest machen.
Sollte sich die Prophezeiung bewahrheiten? — Es geschah wirklich.
In allen Klassen wiesen diejenigen Schüler, die als „Aufblüher“ bezeichnet worden waren, größere
Zuwächse in ihren IQ-Werten auf als die übrigen Schüler.
- Die Erwartungen der Lehrer waren zu einer Realität geworden. Die Befunde von Rosenthal &
Jacobson wurde seither in zahlreichen experimentellen und korrelativen Studien repliziert.
Erklärung:
- Die sich selbst erfüllende Prophezeiung ist alles andere als eine bewusst, absichtliche
Handlung, sondern vielmehr ein Beispiel für automatisches Denken.
- Interessanterweise gaben die Lehrer der Studie an, dass sie mit den Schülern, die den
„Aufblühern“ zugewiesen worden waren, etwas weniger Zeit verbrachten als mit den anderen.
- In den Folgestudien wurde jedoch nachgewiesen, dass Lehrer die „Aufblüher“ (also die, an die
sie höhere Erwartungen haben) in 4 Hauptpunkten anders behandeln:
1. Sie schaffen ein herzlicheres emotionales Klima für die „Aufblüher“. (Wärmeres
Kommunikationsklima)
2. Geben ihnen mehr persönliche Zuwendung, Ansporn und Unterstützung und Sie versorgen
die „Aufblüher“ mit mehr und schwierigerem Lernmaterial. (Mehr Input)
3. Sie geben ihnen mehr und positivere Rückmeldung über ihre Arbeit. (Feedback)
4. Sie bieten „Aufblühern“ mehr Gelegenheiten, sich im Unterricht zu Wort zu melden, und sie
lassen ihnen auch mehr Zeit für ihre Antworten. (mehr Möglichkeiten sich positiv zu zeigen)
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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- Die Tatsache, dass „sich selbst erfüllende Prophezeiungen“ automatisch ablaufen, impliziert
leider auch, dass sich unsere Schemata Veränderungen gegenüber als ziemlich resistent
erweisen können.
Fazit: Durch das einpflanzen falscher Erwartungen
durch die Psychologen, verändert sich die
Wahrnehmung des Lehrers im Bezug auf seine
Schüler.
Lehrer können unabsichtlich bewirken, dass sich ihre
Erwartungen an ihre Schüler erfüllen, indem sie
bestimmte Schüler anders behandeln als die übrigen.
Grenzen der „self-fulfilling-prophecy“
• Neuere Untersuchungen bestätigen, dass es häufig zu „sich selbst erfüllenden
Prophezeiungen“ kommt, illustrieren aber auch einige der Bedingungen, unter denen die wahre
Persönlichkeit des Einzelnen in der sozialen Situation die Oberhand gewinnt.
Bsp.: So kommt es häufig dann zu einer SFP, wenn sich Personalverantwortliche nicht sorgfältig
auf den Bewerber oder die Bewerberin konzentriert.
Wenn er motiviert ist, sich ein korrektes Bild zu machen, und aufmerksam bleibt, ist er häufig
sehr wohl in der Lage, seine Erwartungen zurückzustellen und die wahre Persönlichkeit eines
Bewerbers zu erkennen.
—> Es ist also wichtig, dass derjenige nicht beschäftigt oder unter Zeitdruck ist.
7.5.) Metaphern zu Körper und Kopf:
Der Geruch von Sauberkeit vergrößert die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen Fremden
vertrauen, und ihre Bereitschaft, anderen zu Helfen, nimmt zu.
Evidenzen:
(Liljenquist, Zhong & Galinsky — 2009)
- Die Untersuchungsteilnehmer sitzen in einem Zimmer, in dem gerade das Mittel „Windex“ mit
Zitrusaroma versprüht worden war, oder in einem Zimmer ohne irgendeinen besonderen
Geruch.
- Die Forscher sagten voraus, dass diejenigen, die sich in dem sauber riechenden Raum
befanden, gegenüber Fremden vertrauensseliger sind und eher bereit dazu seien, Zeit und Geld
für wohltätige Zwecke aufzuwenden.
(Williams & Bargh — 2008)
- In einer anderen Studie dachten die Teilnehmer, die eine Tasse mit heißem Kaffee in der Hand
hielten, dass ein Fremder freundlicher war, als dies bei Teilnehmern der Fall war, die eine Tasse
mit Eiskaffee in der Hand hielten.
- Ein heißes oder ein kaltes Getränk in der Hand zu haben, scheint die Metapher aktiviert zu
haben, dass freundliche Menschen „warm“ sind und unfreundliche „kalt“; dadurch wird bei
Menschen der Eindruck des Fremden beeinflusst.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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(Jostmann, Lakens & Schubert — 2009)
- In noch einer weiteren Studie dachten Studierende, die einen Fragebogen ausfüllten, der an
einem schweren Klemmbrett befestigt war, dass die studentische Meinung bei einem lokalen
Problem auf dem Campus stärker berücksichtigt werden sollte, als Studierende, die einen
Fragebogen ausfüllen sollten, der an einem leichten Klemmbrett befestigt war.
Warum?
- Es gibt eine Metapher, die Gewicht mit Bedeutung in Verbindung bringt, wie es etwa in den
Sätzen zum Ausdruck kommt: „Das hat Gewicht“ und „Das verleiht dem Argument Gewicht“.
- Offensichtlich wirkte das Gefühl des Gewichts des schweren Klemmbretts als Prime für diese
Metapher und führte bei den Teilnehmern zu der Auffassung, dass die Meinung der
Studierenden mehr Gewicht bekommen sollte.
Bei all diesen Studien aktivierte eine Körperempfindung (etwas Sauberes riechen, ein heißes
Getränkt fühlen, etwas Schweres halten) eine Metapher zu einem Thema oder einer Person, die
überhaupt nichts damit zu tun hatten.
Diese Forschung zeigt:
Nicht nur Schemata können auf eine Weise als Prime dienen; auch Priming Metaphern zur
Beziehung zwischen Denken und Körper rufen das hervor.
Zusammengefasst:
• Die Flut an Informationen, denen wir täglich ausgesetzt sind, ist so umfangreich, dass wir sie
auf eine Menge reduzieren müssen, die wir bewältigen können.
• Zudem ist ein Großteil dieser Informationen zudem mehrdeutig oder schwer zu entschlüsseln.
Ein Weg, damit umzugehen, ist der Rückgriff auf Schemata.
Sie helfen uns, die Menge die wir aufnehmen müssen, zu verringern und mehrdeutige
Informationen zu interpretieren.
Die Schemata kommen schnell, mühelos und unabsichtlich zur Anwendung.
—> Sie sind eine Form des automatischen Denkens. (Jedoch nicht die einzige)
7.6.) Schemata & Gedächtnis
• Schemata als effiziente Form der Speicherung und Erinnerung.
- schema-konsistent vs. schema-inkonsistent vs. schema-irrelevant
• Konsistente Infos: Schema ist eine effiziente Hilfe
- Aber: Intrusionsfehler (Top-Down)
• Inkonsistente Infos: Schema auch effiziente Hilfe (!)
- Inkonsistenz —> Aufmerksamkeit —> Gedächtnis (Bottom-Up!)
• Irrelevante Infos: Schema keine Hilfe.
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Evidenz:
Schemata & Gedächtnis (Carli — 1999)
- Bericht einer Romanze zwischen „Barbara“ und „Jack“
- UV: Geschichte endet mit Heiratsantrag von Jack vs. Vergewaltigung durch Jack
- AV: Erinnerungstest über Geschichte zwei Wochen später.
Ergebnis:
7.7.) Schemata & Automatisches Verhalten
• Schemata bieten schnelle Verhaltensgrundlage
• Wichtig unter Zeitdruck, Ablenkung, etc.
• Prototypisches Beispiel: Ist jemand gefährlich oder nicht?
Evidenz:
Shooter-Paradigma — Der Fall von Amadou Diallo
- Portemonnaie vs. Waffe
- schnelle Entscheidung
- Rassismus?
Das Paradigma:
- Schiesse auf die bewaffneten personen!
- Schiesse nicht auf die unbewaffneten Personen!
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Skript 2015
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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Shooter-Bias in Reaktionszeiten:
Shooter-Bias in Fehlern:
Die Teilnehmer neigten besonders stark dazu, den Abzug zu drücken, wenn die Leute auf den
Bildern schwarz waren, ob sie nun eine Waffe trugen oder nicht.
Diese „Schützenverzerrung“ bedeutete, dass die Personen relativ wenige Fehler machten, wenn
eine schwarze Person tatsächlich eine Waffe trug; es bedeutete jedoch auch, dass sie die meisten
Fehler machten, wenn eine schwarze Person keine Waffe trug.
Wenn die Männer auf dem Bild weiße waren, begingen die Teilnehmer an der Untersuchung etwa
die gleiche Anzahl von Fehlern, gleichgültig, ob die Männer bewaffnet waren oder nicht.
Als dieses Experiment mit Polizeibeamten durchgeführt wurde, assoziierten die Beamten in
gleicher Weise schwarze Personen mit Waffen, sie nahmen sich weniger Zeit, auf einen
bewaffneten weißen Mann, selbst wenn die Hintergrundsituation sicher und nicht bedrohlich
aussah.
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Sozialpsychologie
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7.8.) Randbedingungen der Informationsverarbeitungstiefe
- Allgemein: Möglichkeit und Motivation für tiefe Verarbeitung von Informationen.
Möglichkeit:
•
•
•
•
•
•
•
•
Geringe kognitive Belastung
Geringer Zeitdruck
Geringe Müdigkeit
kein Alkohol
kein ego
Hohe Arbeitsgedächtniskapazität
Hohe inhibitorische Kontrolle
…
Motivation:
•
•
•
•
•
Hohe Selbstrelevanz
Hohe Vorurteilskontrolle
Hoher Rechtfertigungsdruck
Hohes need for cognition
…
Je mehr Möglichkeit und Motivation zur Verarbeitung, desto…
-
eher datengesteuerte Verarbeitung
weniger konzeptgeleitete Verarbeitung
eher systematische Verarbeitung
weniger oberflächliche/heuristische Verarbeitung
mehr Einfluss kontrollierter Prozesse
weniger Einfluss automatischer Prozesse
Evidenz:
Kognitive Kapazität (Macrae, Hewstone & Griffiths — 1993)
-
Die Versuchspersonen sehen eine Konversation zwischen 2 Frauen
Sowohl stereotyp-konsistente als auch -inkonsistente Informationen in Gespräch
UV1: Priming Friseuse vs. Ärztin
UV2: Kognitive Belastung hoch vs. niedrig (lange vs. keine Zahlenkette merken)
AV: Stereotyp-konsistente und -inkonsistente Erinnerungen an das Gespräch
Ergebnis:
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Je weniger man die Möglichkeit hat sauber und reflektiert nachzudenken, desto eher greift man auf
Stereotype/Schemata zurück. Man greift auf das zurück was sowieso schon da ist!
Motivation (Petty, Cacioppo & Goldman — 1981)
-
Uni denkt über zusätzliche große Prüfung am Ende des Studiums nach
UV1: Probanden sind davon betroffen vs. nicht betroffen
UV2: Kommunikator ist ein Experte vs. Laie
AV: Einstellung gegenüber der Prüfung
Ergebnis:
(groß/klein = „Chance, dass Prüfung kommt“)
zu UV1: Manipulation der Motivation, richtig nachzudenken (hohe Motivation um herauszufinden
ob die Prüfung wirklich nötig ist) —> Betroffen: Hohe Motivation richtig darüber nachzudenken
zu UV2: Sowohl der Experte als auch der Laie haben dieselben Argumente gebracht.
—> Oberflächliche Verarbeitung bei „Highschool Studenten“ unter der Bedingung „nicht betroffen“
- Jemand der hoch motiviert ist, setzt sich mit den Argumenten auseinander („nur weil es ein
Experte ist, hat er noch lange nicht recht“)
- Jemand der keine große Motivation hat, setzt sich nicht ausreichend mit den Argumenten
auseinander (warum auch? es betrifft ihn nicht)
Die Meinung sollte besser sein, wenn sie von einem Experten formuliert wurde, als von einem
Laien.
Stimmung als Moderator:
•
•
•
•
Weder klar Möglichkeit noch Motivation
Fröhliche Stimmung signalisiert: „alles ist in Ordnung!“
Traurige Stimmung hingegen: „Es gibt ein Problem!“
Annahme: Mehr Schema-Nutzung, unter fröhlicher Stimmung
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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Bless et. al (1996)
- Die Versuchspersonen hören eine Restaurant-Geschichte
—> Enthält typische, untypische und Skript-relevante Information
- UV: fröhliche vs. traurige Stimmung
- AV: Erinnerung an Skript-konsistente Information
Stimmung kann das Zurückfallen auf vorhandene Wissensstrukturen erhöhen. Traurige Personen
sollten eher motiviert sein sich mit Gründen zu beschäftigen (durch tiefere
Informationsverarbeitung).
Manipulation, die dafür gesorgt hat, dass die eine Gruppe fröhlicher war, als die andere. Am
Schluss sollte gesagt werden, ob die Informationen in der Geschichte vorkamen oder nicht.
Ergebnis:
Rechts: Intrusionen (Dinge, die gut dazu passen, werden erinnert obwohl sie nicht da waren)
- Positive Stimmung signalisiert, dass nichts verändert werden sollte, da alles in Ordnung ist.
- Negative Stimmung signalisiert, dass etwas verändert werden sollte, da nicht alles in Ordnung
ist.
Die Stimmung wurde durch einen traurigen Aufsatz (oder positiven) manipuliert. (z.B. Erlebnisse
aus der Vergangenheit)
Zusammenfassung:
Möglichkeit
Motivation
Gute vs. Schlechte Stimmung
Kulturelle Einflussfaktoren auf Schemata:
- Menschen, die in westlichen Kulturen aufgewachsen sind, neigen eher zu seinem analytischen
Denkstil. (Eine Art des Denkens, bei der sich die Menschen auf die Eigenschaften der Objekte
konzentrieren, ohne den Umgebungskontext zu berücksichtigen.)
- Menschen, die in ostasiatischen Kulturen aufwachsen, neigen eher zu einem holistischen
Denkstil. (eine Art des Denkens, bei der sich die Menschen auf den Gesamtkontext
konzentrieren, vor allem auf die Art und Weise, in der die Objekte zueinander in Beziehung
stehen.)
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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7.9.) Urteilsheuristiken („Faustregeln“)
Die Nutzung von Schemata ist eine Möglichkeit, um neue Situationen zu erfassen. Statt beim
Prüfen unserer Optionen bei null anzufangen, aktivieren wir häufig unsere bereits erworbenen
Kenntnisse und Schemata.
Wenn wir jedoch ganz spezielle Abwägungen und Entscheidungen vorzunehmen haben, verfügen
wir nicht immer über ein vorgefertigtes Schema.
In solchen Situationen nutzen wir häufig mentale Abkürzungen, die man als Urteilsheuristiken
bezeichnet. (griech. = „entdecken“)
- Im Bereich der sozialen Kognition versteht man unter Heuristik mentale Abkürzungen, die
Menschen nutzen, um schnell und effizient Urteile zu fällen.
- Sie sind keine Garantie dafür, dass die Schlussfolgerungen, die mit ihrer Hilfe in Bezug auf die
Welt gezogen werden, zutreffend sind.
Manchmal sind Heuristik auf den betreffenden Fall nicht anwendbar oder werden falsch
angewandt, so dass es zu Fehlurteilen kommt.
Urteilsheuristiken:
•
•
•
•
•
Sind einfache Entscheidungsregeln („Faustregeln“)
Nutzen heuristische Hinweisreize („Cues“)
Führen meist zu hinreichend korrekten Urteilen
Bestimmte Fehler/Verzerrungen sind aber wahrscheinlicher
sind aufschlussreich
Funktion:
• Als „mentale Abkürzung“ — hilfreich in mehrdeutigen, unsicheren Situationen
• Vorteile:
Geringer kognitiver Aufwand und häufig zutreffende Ergebnisse
• Nachteile:
Nicht immer zutreffende Ereignisse.
1.) Die Verfügbarkeitsheuristik
Wie leicht ist ein Umstand abrufbar?
- Urteile werden davon beeinflusst, wie leicht einem relevante Beispiele einfallen.
„Wenn mir ein Ereignis leicht einfällt, dann wird es wohl häufig auftreten“.
(Beispiele für Durchsetzungsvermögen eines Freundes, oder Beispiele, in denen er keines
zeigte)
- Ein Urteil wird hier danach gefällt, wie leicht bestimmte Informationen aus dem Gedächtnis
abgerufen werden können.
- Primär bei Schätzungen von Häufigkeiten und Wahrscheinlichkeiten
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
- Häufig sehr sinnvoll, manchmal aber irreführend.
Problematisch an dieser Heuristik ist der Umstand, dass das, woran man sich am leichtesten
erinnert, nicht unbedingt typisch für das Gesamtbild ist; und das kann zu Fehlschlüssen führen.
(Beispiel: Diagnose bei Medizinern - Studien zeigen, dass auch diese bei der Diagnose auf
Heuristiken zurückgreifen.)
- Wie leicht lassen sich Informationen abrufen?
Determinanten von „Leichtigkeit“
•
•
•
•
•
•
•
Häufigkeit der Aktivierung
„Recency“ (wenn grade etwas aktiviert wurde - Gedächtnisinhalt - daher besonders zugänglich)
Vertrautheit
persönliche Erfahrung
Salienz
Lebhaftigkeit
…
Bsp.: Diagnose PAI (Porphyria acuta intermittens)
Dr. Marion nutzte die Verfügbarkeitsheuristik (Sie hatte zuvor ein Buch über genetische
Krankheiten geschrieben, welches dieses Thema behandelte), daher war ihre Diagnose sehr
schnell und einfach.
- Ein positives Beispiel für die Verwendung dieser Heuristik. Man kann sich jedoch vorstellen, wie
leicht das auch schiefgehen kann.
Nutzen wir Verfügbarkeitsheuristiken auch, wenn wir uns selbst beurteilen?
Man könnte meinen, wir hätten eine gut ausgebildete Vorstellung von unserer eigenen
Persönlichkeit, wüssten also, wie durchsetzungsfähig wir sind; doch häufig fehlen uns stabile
Schemata zu unseren eigenen Persönlichkeitsmerkmalen (Markus, 1977)
Demnach können wir uns bei der Beurteilung unserer eigenen Person darauf stützen, wie leicht wir
uns Beispiele unserer eigenen Verhaltens ins Gedächtnis rufen können.
Ist es wirklich die Leichtigkeit, die Urteile beeinflusst, oder schlicht die Menge, die einem Einfällt?
Evidenz:
Dissoziation von Menge und Leichtigkeit (Schwarz et al. — 1991)
In einer Versuchsgruppe sollten sich die Untersuchungsteilnehmer an 6 Gelegenheiten erinnern,
bei denen sie sich gut durchgesetzt haben.
Die meisten dachten gleich an Situationen, in denen sie aufdringliche Vertreter abgewiesen und
ihre eigenen Interessen durchgesetzt hatten.
In der anderen Versuchsgruppe forderten die Wissenschaftler die Untersuchungsteilnehmer auf,
sich an 12 Gelegenheiten zu erinnern, bei denen sie sich gut durchgesetzt hatten.
Diese Gruppe tat sich schwer damit, sich an so viele Beispiele zu erinnern.
Anschließend sollten alle Untersuchungsteilnehmer bewerten, für wie durchsetzungsfähig sie sich
selbst hielten.
93
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Ergebnis:
Bei der Studie ging es um die Frage, ob die Teilnehmer eine Verfügbarkeitsheuristik nutzten (die
Leichtigkeit, mit der ihnen Beispiele einfielen), um mit ihrer Hilfe darauf zu schließen, wie
durchsetzungsfähig sie waren.
Links:
- Die Untersuchungsteilnehmer, die an 6 Beispiele denken sollten, schätzten sich als relativ
durchsetzungsfähig ein, weil es ihnen so leicht fiel, sich an 6 Beispiele zu erinnern.
- Die Teilnehmer, die an 12 Beispiele denken sollten, bewerteten sich selbst als relativ wenig
durchsetzungsfähig, weil es ihnen schwer viel, sich an so viele Beispiele zu erinnern.
Rechts:
Andere Untersuchungsteilnehmer sollten an 6 beziehungsweise 12 Male denken, bei denen sie
nicht sehr durchsetzungsfähig gewesen waren, und die Ergebnisse fielen ähnlich aus.
- Diejenigen, die an 6 Beispiele denken mussten, stuften sich selbst als relativ wenig
durchsetzungsfähig ein.
Kurz:
Menschen nutzen Verfügbarkeitsheuristiken, wenn sie sich selbst und andere beurteilen.
2.) Simulationsheuristik
Primär Wahrscheinlichkeitseinschätzungen
1. Je leichter ein Ereignis vorstellbar ist, desto wahrscheinlicher ist es.
- Sherman et al. (1985): Krankheiten
2. Je leichter ein Ereignis gedanklich rückgängig gemacht werden kann, desto größer der
Einfluss auf affektive Reaktionen (kontrafaktisches Denken —> wo hätte man etwas anders
machen können? = Mentales Revidieren der Vergangenheit)
- Medvec et al. (1995): Olympiamedaillen
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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Man ärgert sich mehr, wenn man etwas knapp verpasst hat, als wenn man sowieso zu spät
gekommen wäre, also: Je knapper desto größer der Ärger.
Wir verändern also gewisse Aspekte der Vergangenheit mit dem Ziel, uns auszumalen, was auch
hätte passieren können.
Kontrafaktische Schlussfolgerungen können einen großen Einfluss darauf haben, wie wir auf die
Ereignisse emotional reagieren.
Je leichter es ist, ein Ereignis mental zu revidieren, desto stärker fällt die emotionale Reaktion
darauf aus. (kann paradoxe Auswirkungen auf Emotionen haben)
Kontrafaktisches Schlussfolgern ist bewusst, absichtlich, willentlich und aufwändig.
Man hat herausgefunden, dass ein solches „grübeln“ (meist über negativ Lebenssituationen) das
Auftreten von Depressionen fördert. Es ist also nicht ratsam, ständig über das schlechte
nachzudenken, so dass man an nichts anderes mehr denken kann.
Es kann aber auch nützlich sein, wenn man die Aufmerksamkeit darauf richtet, wie man es künftig
besser machen kann.
3.) Repräsentativitätsheuristik
Eine mentale Abkürzung, über die wir etwas danach einordnen, wie ähnlich es einem Prototypen
ist.
- Personen beurteilen die Wahrscheinlichkeit, mit der X der Kategorie Y angehört, aufgrund der
Typikalität von X für Y
- Beispiele:
- Person repräsentativ (typisch) für die Gruppe
- Stichprobe repräsentativ für die Population
- Handlung repräsentativ für den Handelnden
- Wirkung repräsentativ für Ursache
„Jens Jensen ist blond und etwas wortkarg, wirkt ansonsten umgänglich und geht gerne ans Meer“
—> Passt in ein verbreitetes Stereotyp vom Ostfriesen.
Wichtige Begriffe:
1. Kategorie:
Gruppierung von 2 oder mehreren unterscheidbaren Objekten, die ähnlich behandelt werden.
(Klasse von in der Welt vorhandenen Objekten)
2. Prototyp:
Das beste Exemplar einer gegebenen Kategorie. Eine abstrakte Repräsentation der
Merkmale, die mit einer Kategorie assoziiert werden.
3. Basisrate:
Information über die relative Häufigkeit der Mitglieder verschiedener Gruppierungen in der
Gesamtpopulation. (z.B. die Anzahl Berliner Studenten an Berliner Universitäten)
95
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Wie gehen wir vor, wenn wir sowohl Informationen über die Basisrate zur Verfügung haben (z.B.
die Tatsache, dass es an einer bestimmten Universität mehr Berliner als Ostfriesen gibt) als auch
widersprechende Informationen über die betreffende Person (z.B. Jens ist blond, wortkarg und
liegt gerne am Meer)
Evidenz:
Kahneman & Tversky (1973)
Sie wiesen nach, dass wir Informationen über die Basisrate nicht ausreichend nutzen und die
meiste Aufmerksamkeit darauf richten, wie repräsentativ die Informationen über die betreffende
Person für die übergeordnete Kategorie sind (z.B. für Ostfriesen).
Wir konzentrieren uns oft zu sehr auf die individuellen Merkmale dessen, was wir beobachten, und
zu wenig auf die Basisraten.
Fehlerquellen der Repräsentativitätsheuristik:
• Vernachlässigung von Basisraten
• Konjunktionsfehler (conjunction fallacy)
- Spielart: Detailreichtum eines Szenarios
Beispiel: Linda ist 31 Jahre alt, selbstbewusst, sehr intelligent und nimmt kein Blatt vor den
Mund. Sie hat Philosophie studiert. Als Studentin beschäftigte sie sich intensiv mit Fragen der
sozialen Gerechtigkeit und Diskriminierung. Außerdem hat sie an Anti-KernkraftDemonstrationen teilgenommen.
Linda ist
(a) Bankangestellt
(b) Bankangestellte und in der Frauenbewegung aktiv
b ist nur eine Subgruppe (der Bankangestellten), daher muss rein logisch die
Wahrscheinlichkeit für a großer sein als für b
• Repräsentativität von Zufallsreihenfolgen
- Eine Familie hat 6 Kinder, 3 Jungen und 3 Mädchen.
Welche Geschlechterreihenfolge ist wahrscheinlicher?
JJJ MMM oder JMM JMJ?
Welche Lottozahlen würden Sie setzen?
15,3,8,47,23,14 oder 1,2,3,4,5,6
96
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Repräsentativitätsheuristik und Stereotypisierung:
• Evolutionspsychologie:
Frauen sind fürsorglicher als Männer, da fürsorgliches Verhalten von Frauen nach dem Prinzip
der natürlichen Selektion bevorzugt wird.
• Fehler der Repräsentativitätsheuristik:
Frauen wird Eigenschaft „Fürsorglichkeit“ des weiblichen Prototyps zugeschrieben, Männern die
Eigenschaft „weniger fürsorglich“ des männlichen Prototyps.
• Aber:
- Im Mittel gibt es tatsächlich Unterschiede zwischen Männern und Frauen
- Unterschiede innerhalb der Gruppen sind aber weitaus größer.
• Allport: Stereotypisierung als „das Gesetz der geringsten Anstrengung“
—> Stereotypisierung als Komplexitätsreduktion.
4.) Verankerung und Adjustierung (anchoring and adjustment)
Personen wenden eine Urteilsstrategie an, die Tversky und Kahneman (1974) als Verankerung
und Adjustierung bezeichneten: Individuen schätzen numerische Größen ein, indem sie von einem Ausgangswert (Anker)
ausgehen, um zu ihrem endgültigen Urteil zu gelangen.
Die Adjustierung des Urteils, so nahmen T & K an, ist jedoch typischerweise unzureichend und
führt zu Urteilen, die in Richtung des Ausgangswertes verzerrt sind. Dieses Urteilsphänomen, die
Annäherung (Assimilation) eines Urteils an einen Ausgangswert, wird als „Ankereffekt“ oder
„Ankerassimilation“ bezeichnet.
Personen gehen bei Urteilen von einem ersten (groben) Anfangsschätzwert aus und passen
diesen im Folgenden nur ungenügend an. (Verankerung in der sozialen Urteilsbildung)
- Verhandlungen, Preisschätzungen (siehe folgende Beispiele)
- Fundamentaler Attributionsfehler (Überschätzung des Einflusses von Personenfaktoren auf das
Verhalten anderer bei gleichzeitiger Unterschätzung des Einflusses von Personenfaktoren.)
- Rückschaufehler (Personen überschätzen rückblickend die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine
bestimmte Aufgabe richtig gelöst haben oder hätten, wenn man ihnen die korrekte Lösung
vorgibt. Möglicherweise wirkt die richtige Lösung als Anker und beeinflusst dementsprechend
die Erinnerung an die zuvor gegebene Antwort)
97
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Der Ankereffekt:
Mussweiler at al. (2000)
„Ich denke, dieses Auto ist noch 2800 € Wert. Was
meinen Sie?“
Mechanikereinschätzung: 2520 €
„Ich denke, dieses Auto ist noch 5000 € wert. Was
meinen Sie?“
Mechanikereinschätzung: 3563 €
—> Differenz von über 1000 €
Erklärungen:
• Insufficient Adjustment (Tversky & Kahneman, 1974)
- Anpassung vom Startpunkt (Anker) ist unzureichend.
• Modell selektiver Zugänglichkeit (Strack & Mussweiler, 1997)
- selective accessability model (SAM)
- Einseitiges (selektives) Hypothesentesten
- Ankerkonsistente Information dadurch besonders zugänglich (semantisches Priming)
- Zugängliche Information wird zur Schätzung benutzt
Aus welchem Grund ist die Adjustierung meist unzureichend? Warum kommt es zu einer
Annäherung des Urteils an den Anker?
Das Modell der selektiven Zugänglichkeit (selective accessibility model — SAM) erklärt den
Ankereffekt mit der Wirksamkeit zweier grundlegender kognitiver Prozesse:
1. des Selektiven Hypothesentestens
2. des semantischen Primings.
Selektives Hypothesentesten: Tritt bei der Verarbeitung der Ankerinformation auf: Personen
überprüfen dabei die Möglichkeit dass der Ankerwert der tatsächlichen Ausprägung des
Urteilsgegenstands auf der Urteilsdimension entspricht.
Modelltest SAM 1: Kognitive Zugänglichkeit (Mussweiler & Strack, 2000)
- „Allgemeiner Wissenstest“
- UV1: Ankerhöhe
Durchschnittspreis eines neuen Autos höher/tiefer als 40.000 DM vs. 20.000 DM?
- UV2: Wortklassen im Lexical Decision Task
Teure Autos vs. günstige Autos (vs. neutrale Wörter vs. Nichtwörter)
- AV: Kognitive Zugänglichkeit der Wortklassen 98
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Die Teilnehmer hatten zunächst zu entscheiden, ob der durchschnittliche Preis eines deutschen
Autos mehr oder weniger als 20.000 DM (niedriger Anker) bzw. 40.000 DM (hoher Anker) beträgt.
Nachdem die Teilnehmer diese Aufgabe bearbeitet hatten, wurden sie vor die folgende Aufgabe
gestellt:
Ihnen wurden Wörter gezeigt, und sie sollten so schnell wie möglich entscheiden, ob es sich bei
dem dargebotenen Wort um ein sinnvolles oder um ein sinnloses Wort handelt.
Bei einer solchen lexikalischen Entscheidungsaufgabe erkennen Personen Wörter schneller, die in
eine Kategorie fallen, die der Person besonders zugänglich ist.
Unter den sinnvollen Wörtern befanden sich auch solche, die mit preiswerten Autos assoziiert sind
(„Golf“, „Volkswagen“) oder mit teureren Autos („Mercedes“, „BMW“).
Ergebnis:
Tatsächlich erkannten die Probanden „teure Autos“ schneller, wenn sie einen hohen Anker
bearbeitet hatten.
Bezeichnungen „preiswerter Autos“ wurden hingegen schneller als sinnvolles Wort erkannt, wenn
die Teilnehmer einen niedrigen Anker erhalten hatten.
99
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Auf welche Weise führt die selektiv erhöhte (kognitive) Zugänglichkeit zum Ankereffekt?
Nach der zweiten These des SAM gleicht der vermittelnde Prozess semantischem Priming:
- Zur Beantwortung der eigentlichen Frage („Wie hoch ist der Durchschnittspreis?“) ziehen
Personen dasjenige Wissen heran, welches zum Zeitpunkt der Urteilsabgabe besonders
zugänglich ist.
Und nach der ersten These des SAM ist nach der Verarbeitung der Ankerinformation solches
Wissen besonders zugänglich, das für eine ankerähnliche Ausprägung des Urteilsgegenstandes
spricht.
- Zugängliche Information beeinflusst ein Urteil nur dann, wenn sie auf den Urteilsgegenstand
anwendbar ist.
Demzufolge sollte kein Ankereffekt auftreten, wenn sich die Ankerinformation auf eine
Urteilsdimension bezieht, die nicht auf das eigentliche Urteil anwendbar ist.
z.B.: Würde man Ankerinformationen über die Höhe des Brandenburger Tors erhalten („höher
oder niedriger als 150 m?“) und das absolute Urteil aber auf dessen Breite beziehen, so wäre
die in der Folge zugänglichere Information, also die Information, die für eine gewisse höhe
spricht („Es können Doppeldeckerbusse hindurchfahren“), nur in beschränktem Maße
aussagekräftig für die Breite.
- Der Ankereffekt fällt wesentlich schwächer aus, wenn sich die Urteilsdimensionen
unterscheiden.
Modelltest SAM2: Ankern entgegenwirken
„Ich denke, dieses Auto ist noch 2800 DM wert. Ein Freund von mir sagte gestern, dieser Preis sei
zu niedrig. Was meinen Sie?“
- Mechanikereinschätzung: 2783 DM (statt 2520 DM)
„Ich denke, dieses Auto ist noch 5000 DM Wert. Ein Freund von mir sagte gestern, dieser Preis sei
zu hoch. Was meinen Sie?“
- Mechanikereinschätzung: 3130 DM (statt 3563 DM)
—> Differenz nur noch ca. 350 DM
• „Ein Freund von mir“ ist ein entgegenwirkender Anker -> Effekt nimmt deutlich ab.
• Ankereffekte sind extrem Robust, beeinflussen sogar Experten, etc.
8.) Selbst
(Wegen Demonstration gestrichen)
100
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
9.) Einstellungen (I & II)
(Vorlesung vom 05.01.2015 & 12.01.2015 — Lernziele: / — Aronson Kapitel 7, Stahlberg & Frey
(1993) Das Elaboration-Likelihood Modell von Petty und Cacioppo, Frey et al. (1993) Einstellung
und Verhalten: Die Theorie des überlegten Handelns und die Theorie des geplanten Verhaltens.)
• Einstellungen sind Bewertungen von Menschen, Gegenständen oder Ideen.
• Sie sind bedeutsam, weil sie häufig als Richtschnur für unser Handeln wirken.
„Eine psychologische Tendenz, die sich in der Bewertung eines Objektes durch ein
gewisses Maß an Wohlwollen oder Missfallen ausdrückt“ (Eagly & Chaiken, 1993)
„Allgemeines positives oder negatives Gefühl für eine Person, ein Objekt oder einen Sachverhalt“
(Petty & Cacioppo, 1981)
Funktionen von Einstellungen:
•
•
•
•
•
Schnelle Einteilung in gut und schlecht
Sie organisieren und vereinfachen die Orientierung in der Umwelt
Soziale Identität: Ausdruck zentraler Werte
Soziale Anpassung
„Einstellungen ersparen uns die Mühe, jedes mal wenn wir auf einen Gegenstand stoßen, neu
herauszufinden, wie wir uns ihm gegenüber verhalten sollen.“ (Smith et al. 1956)
9.1.) Drei Komponenten einer Einstellung
1.) Kognitive Komponente
- Basiert auf Wissen & Überzeugungen über ein Einstellungsobjekt.
z.B. „Das iPhone sieht toll aus und bietet viel.“
- Der Zweck dieser Art Einstellung ist, die Vor- und Nachteile eines Objektes zu klassifizieren, so
dass wir schnell entscheiden können, ob wir uns damit beschäftigen möchten.
2.) Affektive Komponente
- Emotionale Reaktion auf das Einstellungsobjekt.
z.B. „Freude, angenehmes Gefühl beim Erblicken eines iPhones.“
- Sie gehen auf eine Vielzahl von Quellen zurück.
Sie können aus dem Wertesystem der Menschen stammen, wie z.B. ihren religiösen und
moralischen Überzeugungen. (Abtreibung, Todesstrafe, etc.)
- Die Funktion solcher Einstellungen ist weniger, ein exaktes Bild der Welt wiederzugeben, als
das eigene Wertesystem auszudrücken und zu bestätigen.
- Andere affektiv basierte Einstellungen können sich auch aus einer sensorischen Reaktion
ergeben, wie dem Geschmack von Schokolade, oder aus einer ästhetischen Reaktion, wie der
Bewunderung eines Gemäldes oder der Form und Farbe eines Autos.
101
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
3.) Behaviorale Komponente (Verhaltensbasierte Einstellungen)
- Verhaltenstendenz gegenüber dem Einstellungsobjekt.
z.B. „Sich nach Merkmalen des neuen iPhones erkundigen, sich ein iPhone kaufen.“
- Sie gehen auf die Beobachtung zurück, wie man sich einem Objekt gegenüber verhält.
Woher weiß man, wie man sich verhalten soll, wenn man noch nicht weiß, was man empfindet?
Laut der Selbstwahrnehmungstheorie wissen Menschen unter bestimmten Umständen
tatsächlich nicht, was sie empfinden, bevor sie sehen, wie sie sich verhalten.
Bsp.: „Sie fragen eine Freundin, wie gerne sie Sport treibt.“ Wenn sie erwidert: „Naja,
wahrscheinlich ziemlich gerne, weil ich irgendwie dauernd auf dem Weg zum Joggen oder ins
Fitnessstudio bin“, kann man das als eine verhaltensbasierte Einstellung bezeichnen.
Ihre Einstellung beruht also stärker auf der Beobachtung des eigenen Verhaltens, als auf
Kognition oder Affekt.
- Man schließt nur unter bestimmten Bedingungen aus eigenem Verhalten auf die eigene
Einstellung.
1. Anfängliche Einstellung muss schwach ausgeprägt oder mehrdeutig sein.
2. Schließt man nur dann aus dem eigenen Verhalten auf die Einstellung, wenn es keine andere
plausible Erklärung für das eigene Verhalten gibt. (z.B. könnte sie auch abnehmen wollen, dann
wir sie kaum aus Freude Sport treiben)
9.2.) Einstellungen als temporäre Konstruktionen
• Einstellungen als:
a.) überdauernde, abgespeicherte Konstrukte (Schubladenmodell)
oder
b.) in der Situation konstruierte, temporäre Konstrukte
• Einstellungen sind kontextabhängig.
1.
Kontext beeinflusst, welche Information für Einstellungsbildung verfügbar/zugänglich ist.
- Salienz der Information
- Recency
- Frequency
- Verknüpfungsgrad im assoziativen Netzwerk
- chronische Verfügbarkeit
Annahme: Was leichter verfügbar ist, nimmt größeren Einfluss auf die Einstellung.
2.
Kontext beeinflusst, wie ein Objekt in einer bestimmten Situation beurteilt wird.
- momentane Ziele
- Vergleichsstandards
- Stimmung
102
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Mood as information
• Annahme: Menschen nutzen ihr momentanes Gefühl als Basis für Bewertungen.
• Das Gefühl kann durch das Einstellungsobjekt ausgelöst sein — oder durch andere Umstände.
Evidenz: Schwarz & Cole (1983)
-
Die Probanden werden angerufen
UV1: Sonniger vs. regnerischer Tag
UV2: Auf Wetter hingewiesen: Ja vs. nein
AV: Allgemeine Lebenszufriedenheit
Ergebnis:
Schublade vs. temporäre Konstruktion
- Flexibilität und Stabilität von Konstruktionen
103
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
9.3.) Einstellungsmessung
Unterschiedliche Wege:
• direkt vs. indirekt
• explizit vs. implizit
1.) Explizite & Direkte Verfahren
Explizite Einstellungen sind solche, die wir bewusst bekräftigen und über die wir leicht Auskunft
geben können.
Sie sind das, was wir als unsere Bewertung angeben, wenn uns jemand zum Beispiel fragt:
„Was halten Sie vom Programm zur Gleichstellung von Frauen und Minderheiten?“
Worauf gehen explizite Einstellungen zurück?
- Explizite Einstellungen sind stark in ihren aktuellen Erfahrungen verwurzelt.
•
•
•
•
•
Selbsteinschätzung der Person
Meist Skalen, Fragebogen
Meistens mehrere Items
Erfassen Richtung und Intensität der Einstellung
reaktiv
Beispiele:
- Likert Skala
„Ich halte Kernkraftwerke für eine der größten Gefahren der heutigen Zeit“
- Semantisches Differential
„Ich finde Kernkraftwerke…“
2.) Implizite & Indirekte Verfahren
Implizite Einstellungen stellen unwillkürliche, unkontrollierbare und manchmal unbewusste
Bewertungen dar.
Worauf gehen Implizite Einstellungen zurück?
- Implizite Einstellungen haben ihre Wurzeln in den Kindheitserfahrungen der Menschen.
104
Sozialpsychologie
•
•
•
•
•
•
Skript 2015
Maximilian Bungart
Physiologische Messungen (z.B. Elektromyogramm, EMG)
Verhaltensbeobachtung
Projektive Verfahren (TAT, Rorschach)
Evaluatives Priming
Affect Misattribution Procedure
Impliziter Assoziationstest
(Überblick: Fazio und Olson (2003))
Menschen können explizite und implizite Einstellungen gegenüber so gut wie allem haben, nicht
nur gegenüber Menschen (anderer Hautfarbe). Studierende können z.B. explizit glauben, dass sie
Mathematik ablehnen, haben aber auf der impliziten Ebene eine positivere Einstellung.
Menschen können gegenüber demselben Einstellungsgegenstand (z.B. Übergewicht)
unterschiedliche Einstellungen haben; die eine ist stärker in Kindheitserfahrungen verwurzelt, und
die andere beruht stärker auf Erfahrungen im Erwachsenenalter.
Woher wissen wir das?
Es wurde eine Vielzahl von Methoden entwickelt, um implizite Einstellungen zu messen. Eine der
beliebtesten ist der „implicit association test“ (IAT).
Der Implizite Assoziationstest (IAT): (Greenwald et al., 1998)
Allgemein:
Wenn z.B. Weiße länger brauchen, um auf schwarze Gesichter zu reagieren, die mit positiven
Wörtern (z.B. „Triumph“ oder „ehrlich“) assoziiert werden, als auf schwarze Gesichter, die mit
negativen Wörtern (z.B. „Teufel“ oder „versagen“) assoziiert werden, muss das bedeuten, dass
Weiße ein unbewusstes Vorurteil gegenüber Schwarzen haben.
- Befürworter des IAT haben Befunde so zusammengestellt, dass die implizite Verzerrung, die er
aufdeckt, damit zusammenhängt, wie sich die Menschen tatsächlich in diversen Situationen
Verhalten.
Andere Sozialpsychologen sind der Überzeugung, dass es sich nicht um ein stabiles Vorurteil
handelt, was immer der Test auch misst.
- 2 Forscher erzielten einen IAT-Effekt, indem sie die Gesichter einer Zielperson zusammen mit
sinnlosen Wörtern und neutralen Wörtern darboten, die überhaupt keine bewertenden
Konnotationen hatten.
Sie kamen zu der Schlussfolgerung, dass mithilfe des IAT bei der Zielperson keine emotionalen
Bewertungen erfasst werden, sondern vielmehr die Salienz des Wortes, die damit assoziiert wird
— wie subjektiv wichtig es also ist.
Andere Forscher glauben, dass der IAT vielleicht schlicht die mangelnde Vertrautheit weißer
Teilnehmer mit Afroamerikanern oder die stärkere Salienz weißer Gesichter für sie erfasst und
weniger ein echtes Vorurteil.
- Entsprechend besteht eine überzeugendere Methode, implizite Vorurteile zu erfassen, darin,
dass man beobachtet, wie sich Menschen tatsächlich Verhalten, wenn sie gestresst bzw. wütend
sind oder auf andere Weise ihre bewussten Absichten nicht vollständig unter Kontrolle haben.
105
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Greenwald et al. (1998)
- Erfasst die Geschwindigkeit positiver und negativer Assoziationen auf eine Zielgruppe.
- Misst Assoziationen zwischen Konzepten:
gut/schlecht und schwarz/weiß
gut/schlecht und Deutscher/Türke
gut/schlecht und Mac/PC
- Stimuli von 4 Kategorien, 2 Antworttasten
- Reaktionszeiten
106
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Der IAT-Effekt:
• Mittlere Reaktionszeiten aus dem einen kritischen Block minus mittlere Reaktionszeit aus dem
anderen kritischen Block.
• Beispiel:
Mittlere RT aus Block „Türken/unangenehm“ vs. „Deutsche/angenehm“
Minus
Mittlere RT aus Block „Türken/angenehm“ vs. „Deutsche/unangenehm“
Relativität der Messung im IAT:
Wie misst der IAT implizite Einstellungen?
Beim IAT werden Sie gebeten, zwei Konzepte (z.B. "jung" und "gut" oder "alt" und "gut") zu
verbinden. Je enger Sie die beiden Konzepte assoziieren, desto einfacher wird es für Sie, diese als
eine Einheit zu reproduzieren. Wenn Sie also "jung" und "gut" stark verbinden, wird es für Sie
einfacher zu reagieren, wenn für beide Konzepte die gleiche Antwort gegeben werden muss und
Sie werden deshalb schneller reagieren können.
Wenn Sie "alt" and "gut" nicht so stark assoziieren, wird es für Sie schwerer, schnell zu reagieren,
wenn beide Merkmale verbunden sind. Daraus kann ein Maß gebildet werden, wie stark zwei
Konzepte im Vergleich zu einer anderen Kombination assoziiert sind:
Je stärker die Assoziation, desto kürzer die durchschnittliche Reaktionszeit. Der IAT ist nur eine
Methode zum messen impliziter bzw. automatischer Assoziationen. Es gibt auch andere Methoden
mit anderen Abläufen, die in Laborstudien untersucht wurden.
107
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
9.4.) Entstehung und Veränderung von Einstellungen
Woher kommen Einstellungen?
-
Provokante Antwort: Zumindest einige von ihnen hängen mit unseren Genen zusammen.
Ein Beleg dafür ist unter anderem, dass eineiige Zwillinge mehr Einstellungen gemeinsam
haben, als zweieiige, selbst wenn die eineiigen Zwillinge in verschiedenen Familien
aufgewachsen sind und einander nie kennengelernt haben.
(Keine Behauptung dass es dafür spezielle Gene gibt!)
-
Es scheint allerdings so zu sein, dass einige Einstellungen indirekt von unserer genetischen
Ausstattung abhängig sind. (Temperament & Persönlichkeit, die direkt mit den Genen
zusammenhängen)
Man kann ein Temperament und eine Persönlichkeit von seinen Eltern geerbt haben, die einen
eher für Jazz als für Rock’n’Roll prädisponieren.
-
Unsere sozialen Erfahrungen spielen eine große Rolle bei der Bildung unserer Einstellungen.
Sozialpsychologen haben 3 Einstellungskomponenten ausgemacht
Zusammengefasst durch:
1.
2.
Genetik
Aneignung:
- mere exposure effect
- evaluatives und operantes Konditionieren
- Modelllernen
3.
Dissonanzreduktion
- siehe auch Selbstwarnehmungstheorie und Balancetheorie
4.
Persuasion
- politische Kommunikation
- Werbung
- Informationskampagnen
Der Mere Exposure Effekt (Zajonc, 1968)
-
allein durch die mehrfache Darbietung von Personen, Situationen oder Dingen, d.h. allein
aufgrund von Familiarität, kann die Einstellung eines Menschen zu diesen Dingen positiv
beeinflusst werden. z.B. macht bloße Vertrautheit mit einem Menschen diesen attraktiver und sympathischer.
Voraussetzung ist allerdings, dass die Bewertung bei der ersten Darbietung nicht negativ
ausfiel; in diesem Fall wird durch wiederholte Darbietung die Abneigung stärker.
108
Sozialpsychologie
-
Skript 2015
Maximilian Bungart
-
Der Effekt tritt auch bei unterschwelliger Wahrnehmung auf, das heißt es spielt keine Rolle, ob
sich die Person des Kontakts bewusst ist oder nicht.
Die reine Exposition zu einem Stimulus reicht aus, um die Einstellung zu diesem Stimulus zu
verbessern.
• Effekt ist stärker bei:
- komplexen Stimuli
- kurzer Darbietungszeit (sogar subliminal)
- größerem zeitlichen Abstand zwischen Präsentation und Einstellungsmessung
- auch wenn andere Stimuli dargeboten werden
• geringer bei Wiedererkennen der Stimuli!
• Bornstein (1989): Meta-Analyse
• Erklärung: perzeptuelle Geläufigkeit (perceptual fluency) — „the ease with which information is
processed“.
Evaluatives Konditionieren:
• Paarung eines neutralen Stimulus (CS) mit positivem oder negativem Stimulus (CS) führt zu
•
•
•
•
Übertragung der Bewertung.
Viele unterschiedliche Arten von Stimuli möglich
Annahme: Paarung muss nicht bewusst sein
Evaluatives Konditionieren vs. klassisches Konditionieren: Unterschiedliche Prozesse?
Meta-Analyse: Hofmann et al. (2010)
1.) Klassische Konditionierung:
Ein Stimulus (Reiz), der eine emotionale Reaktion hervorruft, geht wiederholt mit einem neutralen,
nichtemotionalen Stimulus einher, bis der ursprüngliche Stimulus einschließlich allein die
emotionale Reaktion hervorruft.
z.B. Als Kind hatte man ein Gefühl der Wärme und Liebe, wenn es seine Großmutter besucht hat.
Ihr Haus roch immer leicht nach Mottenkugeln. Schließlich wird schon der Geruch von
Mottenkugeln allein die Emotionen auslösen, die das Kind während seiner Besuche erlebt hat, und
zwar vermittelt über den Vorgang der klassischen Konditionierung.
2.) Operante Konditionierung: (Instrumentelles)
Wir entscheiden uns freiwillig dafür, Verhaltensweisen seltener oder häufiger auszuführen, je
nachdem, ob auf sie eine Belohnung (positive Verstärkung) oder eine Bestrafung folgte.
(Die Verstärkung/Bestrafung muss nicht notwendigerweise bewusst erlebt werden!)
109
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Wie lässt sich das auf Einstellungen anwenden?
z.B. Ein 4 jähriges Mädchen geht mit ihrem Vater zum Spielplatz und beginnt dort mit einem
dunkelhäutigen Mädchen zu spielen. Der Vater des weißen Mädchens drückt seine entschiedene
Missbilligung aus und sagt: „Wir spielen nicht mit solchen Kindern“
Binnen kurzer Zeit wird das Kind Interaktionen mit dunkelhäutigen Menschen mit Missbilligung
assoziieren und daher die rassistische Einstellung ihres Vaters übernehmen.
Fazit:
Einstellungen können sowohl durch klassische als auch durch operante (instrumentelle)
Konditionierung einen positiven oder negativen Affekt annehmen.
Obwohl affektiv basierte Einstellungen aus unterschiedlichen Quellen stammen, können wir sie zu
einer Gruppe zusammenfassen, weil sie…
(1)
(2)
(3)
nicht durch die rationale Untersuchung des Themas zustande kommt
nicht durch Logik bestimmt sind
oft mit dem Wertesystem eines Menschen verbunden sind, so dass ein
Beeinflussungsversuch dieses Wertesystem angreift.
Beispiel: Evaluatives Konditionieren in der Werbung
Gorn (1982)
-
„Werbeagentur sucht Musik für Stift-Werbung“
UV1: Blauer vs. beiger Stift
UV2: Musik induzierte positiven oder negativen Affekt
AV: Auswahl eines Stifts zur Belohnung für die Teilnahme
110
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Ergebnis:
Wie ändern sich Einstellungen?
Wenn sich Einstellungen ändern, geschieht das oft als Reaktion auf einen sozialen Einfluss.
Unsere Einstellungen gegenüber allem, von Präsidentschaftskandidaten, bis hin zu einer
Waschmittel-Marke, kann davon beeinflusst werden, was andere Menschen tun oder sagen.
Selbst etwas so persönliches und privates wie eine Einstellung ist ein hochgradig soziales
Phänomen, das vom angenommenen oder tatsächlichen Verhalten anderer Menschen beeinflusst
wird.
z.B. das gesamte Konzept der kommerziellen Werbung ist, dass unsere Einstellungen gegenüber
Konsumartikeln durch Öffentlichkeitsarbeit beeinflusst werden können.
Einstellungsänderung durch Verhaltensänderung: Nochmal die Theorie der kognitiven Dissonanz
- Wenn Menschen sich im Widerspruch zu ihren Einstellungen verhalten und keine hinreichende
externe Rechtfertigung für ihr Verhalten finden können, empfinden Menschen Dissonanz, wenn
sie etwas tun, was ihr Selbstbild als anständige, sympathische und ehrliche Person bedroht.
Besonders dann, wenn es keine Möglichkeit gibt, dieses Verhalten als Folge äußerer Umstände
zu erklären.
- Das Ziel besteht darin, die Dissonanz zu verringern, indem man sich dafür entscheidet, dass
man von dem überzeugt ist, was man sagt.
Aber wie ändert man die Einstellung von einer großen Anzahl von Menschen?
Obwohl Dissonanz-Techniken effektiv sind, können Sie bei einem Massenpublikum nur sehr
schwer eingesetzt werden.
Um die Einstellung möglichst vieler Menschen zu ändern, müsste man auf andere Techniken
zurückgreifen.
111
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Man würde wahrscheinlich eine Art „persuasive Kommunikation“ entwickeln, also eine Mitteilung
wie z.B. eine Rede oder einen Fernsehwerbespot, in dem eine bestimmte Meinung zu einem
Thema vertreten wird.
Wie sollte eine solche Botschaft aufgebaut sein, damit die Einstellung der Menschen verändert
wird?
Persuasive Kommunikation
(Am Beispiel einer Raucherkampagne)
Was lässt eine persuasive Kommunikation wirkungsvoll werden?
1.) Yale-Ansatz zur Einstellungsänderung (Yale attitude change
approach)
Die Effektivität persuasiver Kommunikation hängt davon ab, wer was
zu wem sagt.
• Wer: Die Quelle der Botschaft
- Glaubwürdige Sprecher (z.B. Experten) überzeugen eher als solche ohne Glaubwürdigkeit.
- Attraktive Sprecher (z.B. äußere oder persönliche Eigenschaften) überzeugen eher als
unattraktive.
• Was: Die Merkmale der Botschaft
- Man wird eher durch Botschaften überzeugt, die nicht als Beeinflussungsversuch erscheinen.
- Im Allgemeinen wirken zweiseitige Botschaften besser, wenn die Argumente zugunsten der
anderen Seite sicher widerlegt werden können.
- Wenn die Reden unmittelbar nacheinander gehalten werden und das Publikum seine
Entscheidung erst nach einer Pause trifft, ist es besser, als Erster zu sprechen.
(Unter diesen Umständen wird wahrscheinlich ein Primacy-Effekt eintreten)
Wenn hingegen zwischen den beiden Reden eine Pause eintritt und das Publikum sich direkt
nach der zweiten Rede entscheidet, tritt man besser als Zweiter an.
(Unter diesen Umständen wird ein wahrscheinlich Recency-Effekt eintreten)
• Zu wem: Die Merkmale der Rezipienten
- Ein abgelenktes Publikum lässt sich oft besser überzeugen als ein nicht abgelenktes
- Weniger intelligente Menschen sind leichter beeinflussbar als intelligente und Menschen mit
mittlerem Selbstwertgefühl leichter als solche mit einer niedrigen oder hohen
Selbsteinschätzung.
- Menschen sind im Alter von 18-25 besonders offen für Einstellungsänderungen (man nimmt
Eindrücke leichter auf).
Jenseits dieser Altersstufe stabilisieren sich Einstellungen und widerstehen Veränderungen
eher.
112
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
2.) Das Elaboration-Likelihood-Modell (ELM) (Petty & Cacioppo, 1981)
(Das Modell der Elaborationswahrscheinlichkeit der Persuasion)
Das ELM unterscheidet zwischen 2 Wegen, auf denen Einstellungsänderungen durch
Überzeugungsversuche hervorgerufen werden.
Wann betont man am besten zentrale Faktoren der Botschaft, wie etwa die Stärke der Argumente,
und wann am besten solche, die lediglich peripher zur Logik der Argumentation sind, wie etwa die
Glaubwürdigkeit oder Attraktivität dessen, der die Rede hält.
• Das ELM der Persuasion gibt genau an, wann ein Publikum vom Inhalt einer Rede (d.h. der
Logik der Argumente) und wann es von eher oberflächlichen Faktoren (z.B. wer spricht und wie
lange) beeinflusst wird.
Der erste Weg der Überzeugung wird dann eingeschlagen, wenn eine Person dazu motiviert und
fähig ist, die angebotenen Informationen und Argumente sorgfältig zu erarbeiten und zu bewerten.
(tiefe Verarbeitung von Informationen und Argumenten)
Die Zentrale Route
- Menschen sind unter bestimmten Bedingungen motiviert, den Fakten in einer Botschaft
Aufmerksamkeit zu schenken. (am ehesten wird man sie dann überzeugen, wenn die Fakten
logisch und schlüssig sind)
Das heißt, dass Menschen manchmal intensiv auf das eingehen, was sie hören oder lesen,
indem sie über den Inhalt der Botschaft sorgfältig nachdenken und ihn geistig verarbeiten.
113
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Der zweite Weg der Überzeugung wird dagegen dann relevant, wenn eine Person nicht motiviert
und/oder nicht fähig ist, sich mit den dargebotenen Informationen und Argumenten wirklich
auseinander zu setzen.
In diesem Falle wird sie sich nicht durch die Güte der Argumente oder den Überzeugungsgehalt
der Informationen beeinflussen lassen. Vielmehr wird sie ihre Einstellungen primär dann ändern,
wenn in der Überzeugungssituation gewisse Reize vorhanden sind (Verstärker, wie z.B. die
Attraktivität des Redners), die sie zu einer Annahme der Botschaft verleiten, weil sie z.B. die
Botschaftsposition mit positiven Gefühlen koppeln.
Die Periphere Route
- Jede Strategie, die nicht auf sorgfältigem Durchdenken der Argumente beruht.
- Hinweisreize: (oberflächlich)
Attraktivität, Sympathie, Expertise, Anzahl der Argumente, Länge der Botschaft, Musik, Preis…
Bsp.: Werbung
Anzahl vs. Inhalt der Argumente
Die Anzahl der Argumente wirkt auch ohne gründliche Verarbeitung, Inhalt nur mit gründlicher
Verarbeitung!
114
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Überblick:
Einflussfaktoren auf die Verarbeitungstiefe (Motivation, auf die Argumente zu achten)
1.) Verarbeitungsfähigkeit
•
•
•
•
•
Ablenkung
Zeitdruck
Mentale Müdigkeit
Kognitive Fähigkeit
…
2.) Verarbeitungsmotivation
• Persönliche Relevanz (!)
Wie wichtig ist das Thema für das Wohlbefinden des Betreffenden?
Je relevanter ein Thema für die Rezipienten ist, desto eher ist man bereit, den Argumenten in
einer Rede zu folgen, und desto wahrscheinlicher ist es, dass man die zentrale Route der
Persuasion nimmt.
•
•
•
•
Kognitionsbedürfnis (Need for cognition)
Rechfertigungsdruck
Ziele
…
3.) Weitere
• Stimmung
115
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Evidenz:
Petty et al. (1981)
Studenten wurden geben, sich eine Rede anzuhören, in der für ein allgemeines Examen im
Hauptfach argumentiert werden sollte.
Der einen Hälfte der Teilnehmer wurde gesagt, dass ihre Universität die Einführung eines solchen
Examens ernsthaft erwäge.
Für diese Studenten war die Frage also persönlich relevant.
Für die andere Hälfte blieb sie dagegen eine Frage von geringer Bedeutung — man sagte ihnen,
dass die Universität zwar solche Examen einführen könnte, aber erst in zehn Jahren.
- Die Forscher führten anschließend 2 Variablen ein, die Einfluss auf die Zustimmung zu der
Rede haben können.
Die erste war die Stärke der vorgebrachten Argumente. Die Hälfte der Teilnehmer an der Studie
bekam starke und überzeugende Argumente zu hören („Die Qualität des Grundstudiums hat
sich an Universitäten mit diesem Examen verbessert“), die andere Hälfte dagegen schwache
und wenig überzeugende Argumente („Das Risiko durchzufallen ist eine Herausforderung, die
den meisten Studenten willkommen wäre“).
Die zweite war ein peripherer Hinweisreiz — das Prestige des Sprechers.
Der einen Hälfte der Teilnehmer wurde gesagt, der Verfasser der Rede sei ein anerkannter
Professor von der Princeton University, während die andere Hälfte in dem Glauben gelassen
wurde, er sei ein Schüler aus der Sekundarstufe.
Ergebnis:
Die linke Grafik zeigt, was passierte, wenn die Frage für die Zuhörer von großer Relevanz war.
Diese Studenten wurden stark von der Qualität der Argumente beeinflusst (d.h. die Überzeugung
erfolgte auf der zentralen Route).
Diejenigen, die starke Argumente zu hören bekamen stimmten der Rede signifikant stärker zu als
diejenigen, denen schwache Argumente vorgetragen wurden.
Es kam nicht darauf an, wer die Argumente präsentierte.
(Ein gutes Argument bleibt ein gutes Argument, unabhängig vom Prestige des Verfassers)
116
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Die rechte Grafik zeigt, was passiert, wenn die Frage für die Zuhörer keine hohe Relevanz hatte.
Hier kam es also nicht auf die Stärke der Argumente an, sondern wer sie vortrug.
Die Teilnehmer an der Untersuchung, denen starke Argumente präsentiert wurden, stimmten der
Rede nur unwesentlich stärker zu als diejenigen, die schwache Argumente präsentiert bekamen,
während die Zuhörer des Princeton-Professors stärker überzeugt wurden als die des Schülers.
Fazit:
• Wenn ein Thema also von persönlicher Relevant ist, achten die Rezipienten auf die Argumente,
und werden so weit überzeugt, wie die Argumente triftig sind.
• Wenn eine Frage nicht persönlich relevant ist, achtet das Publikum dagegen weniger auf die
Argumente. Stattdessen bedient es sich einer mentalen Abkürzung und folgt peripheren Regeln.
• Zusätzlich zur persönlichen Relevanz eines Themas, hängt die Bereitschaft von Menschen zur
intensiven Informationsverarbeitung auch von ihrer Persönlichkeit ab.
Manche Menschen haben mehr Spaß daran, Probleme zu durchdenken, als andere; sie haben
also ein hohes „Kognitionsbedürfnis“ („need for cognition“).
Es handelt sich hierbei um eine Persönlichkeitsvariable, die den Grad zum Ausdruck bringt, in
dem sich Menschen auf anstrengende kognitive Tätigkeiten einlassen und Freude daran haben.
Menschen mit einem hohen Kognitionsbedürfnis bilden ihre Einstellungen eher dadurch aus,
dass sie ihre Aufmerksamkeit auf die relevanten Argumente richten (zentrale Route), während
sich Menschen mit niedrigem eher auf periphere Hinweisreize verlassen, etwa die
Glaubwürdigkeit oder Attraktivität des Sprechers.
Wie erreicht man eine langfristige Einstellungsänderung?
- Wenn wir daran interessiert sind, eine langfristige Einstellungsänderung zu erreichen, dann
sollte es uns wichtig sein.
- Menschen, die ihre Einstellung auf einer sorgfältigen Analyse der Argumente gründen, behalten
diese Einstellung länger bei, werden wahrscheinlich eher in Übereinstimmung mit ihr handeln
und sind widerstandsfähiger gegen Änderungsversuche, als solche, deren Einstellungen auf der
peripheren Route gebildet wurden.
—> Einstellungen, die auf der zentralen Route zur Überzeugung verändert werden, halten länger.
Emotionen und Einstellungsänderung
Bevor man sorgfältig über Argumente nachdenkt, muss zunächst die Aufmerksamkeit gewonnen
werden.
Wie?
1.) Furchtauslösende Botschaften
(Beispiel: Rauchen)
Diese Art von persuasiven Botschaften (Versuch, die Einstellung von Menschen zu ändern, indem
man an ihre Ängste appelliert) wird als „furchtauslösende Kommunikation“ bezeichnet.
(Zigarettenpackungen mit abschreckenden Bildern, etc.)
117
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Funktionieren sie?
- Es hängt davon ab, ob die Furcht die Fähigkeit der Rezipienten beeinflusst, auf die Argumente
zu achten und sie zu verarbeiten.
Wenn mäßige Furcht erregt wird und die Adressaten glauben, dass sie in der Botschaft
erfahren, wie man diese Furcht vermindert, motiviert sie das, die Botschaft sorgfältig zu
analysieren, und sie werden ihre Einstellung wahrscheinlich auf der zentralen Route verändern.
Bsp.: Gruppe von Rauchern sieht einen abschreckenden Film über Lungenkrebs und bekam
danach Broschüren mit genauen Anweisungen, wie man mit dem Rauchen aufhört.
- Der Film machte den Menschen Angst, und die Broschüre zeigte ihnen, dass es einen Weg gab,
diese Angst zu verringern.
Sich nur die Broschüre anzusehen, hatte nicht eine so gute Wirkung, da ohne den
furchtauslösenden Reiz die Motivation zur Informationsverarbeitung geringer war.
Der Film alleine wirkte ebenfalls weniger erfolgreich, da eine furchtauslösende Botschaft eher
verdrängt wird, wenn sie keinen furchtverringernden Ausweg aufzeigt.
- Das könnte erklären, warum manche Versuche, Einstellungen und Verhaltensweisen durch
Auslösen von Furcht zu ändern, scheitern:
Zwar wird Furcht aufgebaut, aber die spezifischen Empfehlungen vergessen, wie man die
Furcht wieder abbaut.
Fazit:
Furchtauslösende Appelle scheitern gleichfalls, wenn sie so stark ausfallen, dass die Menschen
davon überwältigt werden.
Werden Menschen in intensive Angst versetzt, werden sie defensiv, leugnen die Relevanz der
Drohung und werden unfähig nachzudenken.
- Man muss versuchen genug Furcht zu erregen, um die Menschen zu motivieren, Ihren
Argumenten aufmerksam zuzuhören, aber nicht so viel, dass sie sich abwenden oder
missverstehen, was man zu sagen hat.
- Außerdem sollte man unbedingt spezifische Empfehlungen dazu geben, wie man diese Angst
reduzieren kann. Denn dann könnten die Rezipienten sicher sein, dass dies, wenn sie Ihre Argumente
aufmerksam folgen, dazu beitragen wird, die Furcht wieder abzubauen.
2.) Emotionen als Heuristiken
Emotionen können auch Einstellungsänderungen bewirken, indem sie als Signal für unsere
Emotionen gegenüber einem Einstellungsobjekt fungieren.
Menschen bedienen sich - wenn sie die periphere Route der Persuasion wählen - häufig
heuristischer Denkschemata. (heuristisch-systematisches Modell).
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Heuristiken waren „Abkürzungen“, mit denen wir schnell und effizient zu Urteilen kommen können.
Interessanterweise können unsere Emotionen und Stimmungen selbst als Heuristik dienen, um
unsere Einstellungen zu bestimmen.
- Wenn wir herauszubekommen versuchen, was unsere Einstellung zu etwas ist, verlassen wir
uns oft auf die Heuristik „Welches Gefühl habe ich dabei?“.
- Wenn wir ein gutes Gefühl haben, muss das eine positive Einstellung bedeuten; ein schlechtes
dagegen nicht.
Das Problem dabei ist nur, dass es manchmal schwer zu sagen ist, woher unsere Gefühle
kommen.
Wir können uns darin irren, woher unsere Stimmung kommt, indem wir Gefühle, die einer
bestimmten Quelle entstammen, fälschlicherweise auf eine andere attribuieren.
—> Dies kann zu Fehlentscheidungen führen.
Persuasiven Botschaften widerstehen
Ist man bei all diesen cleveren Methoden, Ihre Einstellung zu ändern, überhaupt noch sicher vor
persuasiven Botschaften?
- Ja, oder zumindest kann man es sein, wenn man sich an einige Strategien hält.
1.) Einstellungsimpfung
Man kann Argumente gegen ihre Einstellung durchdenken, bevor man unter Beschuss kommt.
Je mehr man im Voraus über die Argumente nachdenkt, die dafür und dagegen sprechen, und
zwar mit der als „Einstellungsimpfung“ bezeichneten Technik, desto besser kann man Versuche
anderer, die eigene Einstellung zu verändern, mithilfe logischer Argumente abwehren.
- indem man sich „kleinen Dosen“ an Argumenten gegen die eigene Position aussetzt, wird man
immun gegen die Effekte späterer Botschaften.
- Im Gegensatz dazu sind Menschen, die sich noch nicht intensiv mit einer Frage befasst haben
— die also ihre Einstellung auf der peripheren Route gebildet haben —, besonders anfällig für
einen Angriff mit logischen Argumenten auf diese Einstellung.
2.) Auf der Hut sein vor Produktplatzierungen (Bewusstsein vor Beeinflussungsversuchen)
Ein Grund dafür, dass Produktplatzierung funktionieren kann, besteht darin, dass sich die
Menschen nicht des Versuchs bewusst sind, ihre Einstellungen und Verhaltensweisen zu
beeinflussen.
- Sie sind nicht auf Abwehr eingestellt
- Kinder sind besonders anfällig für product-placements.
Mehrere Studien haben gezeigt, dass eine Warnung vor einem bevorstehenden Versuch, die
Einstellung von Menschen zu verändern, diese weniger verwundbar macht.
- Wenn man die Menschen vorwarnt, analysieren sie sorgfältiger, was sie sehen und hören, und
vermeiden mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Einstellungsänderung.
- Ohne diese Warnungen achten die Menschen nicht sehr auf Persuasionsversuche und neigen
dazu, die Botschaften unkritisch zu akzeptieren.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
3.) Dem Gruppenzwang widerstehen
Kann man die Effekt von Appellen ebenso abwehren wie die Meinungsänderungstechniken?
Das Problem hierbei ist, dass viele dieser Änderungen auf emotionalen Appellen beruhen.
(Beispiel: Drogenkonsum in der Jugend — leicht empfängliches Alter)
Der Druck, der ausgeübt wird, basiert eher auf den Werten und Emotionen der Menschen, bedient
sich der Angst vor Zurückweisung und benutzt den Drang nach Freiheit und Autonomie.
Wie macht man junge Menschen resistenter gegenüber diesem Einfluss?
• Logik des Einstellungsimpfungsansatzes auf stärker affektiv basierte Überzeugungsmethoden
übertragen, wie z.B. dem Gruppendruck.
Zusätzlich zur „Impfung“ mit kleinen Dosen logischer Argumente, auf die sie möglicherweise
hören, können wir die Menschen auch mit Beispielen für die Arten emotionaler Appelle „impfen“
denen sie begegnen können.
Wie? Indem man die jugendlichen mit schwächeren Versionen des sozialen Drucks immunisiert bzw.
vertraut macht. (Situation: Zwang einen Zug an der Zigarette zu nehmen). Durch ein „Rollenspiel“ z.B.
Achtung: Reaktanztheorie (Brehm, 1966)
! Verbote !
• Je stärker Verbote sind, desto eher kommt es zur Gegenreaktion, nämlich zu einem verstärkten
Interesse an der verbotenen Aktivität.
• Nach der Reaktanztheorie mögen es die Menschen nicht, wenn sie in ihrer Freiheit bedroht
sind, das zu tun oder zu denken, was sie wollen.
• Ein unangenehmer Zustand der Reaktanz kann abgebaut werden, indem sie das verboten
bedrohte Verhalten zeigen (z.B. Rauchen).
• Menschen, die streng davor gewarnt werden, zu rauchen, Drogen zu nehmen oder sich die
Nase piercen zu lassen, werden mit größerer Wahrscheinlichkeit genau das tun, um ihr Gefühl
persönlicher Freiheit und Selbstbestimmung wiederzugewinnen.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Subliminale Beeinflussung
Subliminal = unterschwellige Darbietung bzw. Wahrnehmung von Reizen.
„Unterschwellig“ bedeutet, dass die Schwelle des Bewusstseins nicht überschritten wird, dass also
Menschen die ihnen dargebotenen subliminalen Reize nicht bemerken oder sie zumindest nicht
diskriminieren (trennen) können; sie sind dem Bewusstsein nicht zugänglich.
Subliminale Werbung: Eine Form von Bewusstseinskontrolle?
Der „RATS“-Vorfall war weder die erste noch
die letzte derartige Kontroverse über
subliminale Botschaften, die als nicht
bewusst wahrgenommene Wörter oder
Bilder definiert werden, aber die Urteile,
Einstellungen und Verhaltensweisen der
Menschen beeinflussen können.
Andere Beispiele: „Drink Coca-Cola“ und
„Eat Popcorn“ in Kinos. (James Vicary,
1950er)
Subliminale Botschaften werden nicht nur visuell, sondern unter Umständen auch auditiv
übermittelt.
Bringt es überhaupt etwas?
Die meisten Menschen glauben, dass subliminale Botschaften ihre Einstellungen und
Verhaltensweisen beeinflussen können, selbst wenn sie sich nicht bewusst sind, dass diese
Botschaften sie innerlich erreicht haben.
Die Antwort ist: Nein.
Richtigstellung:
Es gibt keine Belege, dass die Arten subliminaler Botschaften, die einem im Alltagsleben
begegnen, irgendeinen Einfluss auf das Verhalten ausüben.
Allerdings gibt es Belege dafür, dass Menschen durch subliminale Botschaften unter sorgfältig
kontrollierten Laborbedingungen beeinflusst werden können.
Evidenz:
Karremans et al. (2006)
Studenten sahen subliminal aufblitzende Wörter: „Lipton Ice“
oder ein sinnloses Wort, das sich aus denselben Buchstaben
zusammensetzte.
Alle Studenten wurden dann gefragt, ob sie lieber Lipton Ice
oder eine niederländische Mineralwasser-Marke haben
würden, wenn man ihnen jetzt ein Getränkt anbieten würde.
121
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Ergebnis:
Wenn die Studenten in diesem Moment nicht durstig waren, hatte das subliminale aufblitzen von
Wörtern keine Auswirkung auf die Vorliebe für bestimmte Getränke.
Doch wenn sie durstig waren, was bei denjenigen, die die Wörter „Lipton Ice“ sahen, signifikant
wahrscheinlicher, dass sie dieses Getränk auswählten, als bei Studenten die nur ein sinnloses
Wort sahen.
- Um subliminale Effekt zu erzielen, muss man sicherstellen, dass der Raum genau richtig
ausgeleuchtet ist, dass die Teilnehmer in der richtigen Entfernung zum Bildschirm sitzen und
dass keine Ablenkung auftreten darf, wenn die subliminalen Stimuli eingeblendet werden.
- Außerdem gibt es keine Hinweise darauf, dass diese Botschaften einen dazu bringen können,
entgegen der eigenen Wünschen, Werten oder Persönlichkeitszügen zu handeln.
Es ist daher sehr unwahrscheinlich, dass das Wort „RATS“ im Bush-Wahlwerbespot Anhänger von
Gore dazu gebracht hat, Bush zu wählen.
9.5.) Einstellung und Verhalten
Wann lässt sich Verhalten auf der Basis von Einstellungen vorhersagen?
Anwendungsfelder: Klinische Psychologie, Marktforschung, Umfrageforschung
Neuausrichtung der Forschung:
- weniger Zusammenhang ja vs. nein (IF)
- Mehr Randbedingungen/Moderatoren (WHEN)
- Mehr vermittelnde Prozesse/Mediatoren (HOW)
(Siehe Experiment LaPiere, 1934)
Etliche erfolgreiche Vorhersagen (Mischel, Wicker; Persönlichkeitseigenschaften/Einstellungen
korrelieren nur um .30 mit Verhalten), aber auch etliche Fehlschläge (LaPiere)
—> Konsistenzdebatte
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Es hat sich herausgestellt, dass man zwar aufgrund von Einstellungen das Verhalten vorhersagen
kann, aber nur unter bestimmten spezifizierteren Bedingungen.
Ein entscheidender Faktor ist dabei, ob das Verhalten, das wir voraussagen wollen, spontan oder
überlegt ist.
Die Vorhersage spontanen Verhaltens
Einstellungen erlauben nur dann eine Vorhersage des spontanen Verhaltens, wenn wie sehr gut
zugänglich sind.
Einstellungszugänglichkeit bezieht sich auf die Stärke der Verbindung zwischen dem Objekt und
seiner Bewertung. Diese Verbindung wird normalerweise anhand der Geschwindigkeit gemessen,
mit der Menschen angeben können, wie sie über eine Frage oder einen Gegenstand denken.
• Bei hoher Zugänglichkeit werden sie sich Ihrer Einstellung bewusst, sowieso Sie das
Einstellungsobjekt sehen oder daran denken.
• Bei geringer Zugänglichkeit wird Ihnen Ihre Einstellung langsamer bewusst.
Daraus folgt, dass sich aufgrund leicht zugänglicher Einstellungen mit höherer Wahrscheinlichkeit
spontanes Verhalten vorhersagen lässt, weil die Betroffenen eher an ihre Einstellungen denken
werden, wenn sie handeln sollen.
Was macht Einstellungen zugänglich?
• Das Ausmaß der Verhaltenserfahrung, die Menschen mit dem Einstellungsgegenstand haben.
(z.B. ein Obdachloser —> praktische Erfahrungen)
• Andere Einstellungen werden ohne viel Erfahrung gebildet, wie etwa die Einstellung einer
Person zu Obdachlosen, die darauf beruht, dass sie etwas über sie und der Zeitung gelesen
hat.
Je unmittelbarer die Erfahrung ist, die Menschen mit einem Einstellungsgegenstand haben, desto
zugänglicher ist ihre Einstellung; und je zugänglicher sie ist, desto wahrscheinlicher wird es, dass
ihr spontanes Verhalten mit ihren Einstellungen im Einklang steht.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Theorie des überlegten Handelns (Fishbein & Ajzen, 1975)
Hier ist die Zugänglichkeit unserer Einstellung weniger wichtig.
Wenn man genügend Zeit hat, über eine Frage nachzudenken, kann man sich mit unzugänglichen
Einstellungen bewusst werden, wie man etwas wahrnimmt.
Nur wenn wir sofort entscheiden müssen, wie wir uns verhalten sollen, ohne Zeit zum Überlegen
zu haben, hat die Einstellungszugänglichkeit einen entscheidenden Einfluss.
Laut der „Theorie des geplanten Verhaltens“, kann man aufgrund von Einstellungen überlegtes
Verhalten voraussagen. Die Absicht oder Intention ist der beste Prädiktor für das Verhalten der
Menschen, wenn sie Zeit haben, zu überlegen, wie sie sich verhalten werden.
Grenzen der Anwendung des Modells des überlegten Handelns (Ajzen-Theorie):
Entsprechend der Theorie des überlegten Handelns lässt sich Verhalten unmittelbar aus
Verhaltensintentionen ableiten.
Intentionen sagen Verhalten aber nur dann vorher, wenn folgende 2 Bedingungen gegeben sind:
1. die Intentionen müssen kurz vor Ausführung des Verhaltens reflektiert werden
2. das Verhalten muss unter willentlicher Kontrolle stehen.
Willentliche Kontrolle heißt dabei, dass Menschen, wenn sie es wollen, bestimmte
Verhaltensweisen auch ohne Probleme ausführen können.
Zu nicht unter willentlicher Kontrolle stehendem Verhalten gehören z.B. Gewohnheiten.
Oft fallen Menschen in solch vertraute Reaktionsmuster zurück, wodurch die Theorie ihre
prädiktive Fähigkeit verliert. Diese Vorgänge könnten erklären, warum es so schwierig ist,
Gewohnheitshandlungen wie Trinken und Rauchen zu ändern; es handelt sich hier überwiegend
um nicht überlegtes und oft auch um nicht „freiwilliges“ Verhalten.
• Intentionen sollten kurz vor Ausführung reflektiert werden
• Verhalten muss unter willentlicher Kontrolle entstehen
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
- Gewohnheiten?
- impulsives Verhalten?
Effekte der Zeit auf die Intentionsänderung
- Negative Aspekte eines Verhaltens werden um so salienter, je näher das Verhalten rückt.
Dies kann bewirken, dass Intentionen kurz vor einer Handlung revidiert werden, weil bestimmte
positive oder negative Aspekte plötzlich umgewichtet werden.
- Viele Änderungen von Intentionen sind ein Ergebnis neuer unvorhersehbarer Ereignisse, die die
Einstellungen gegenüber dem Verhalten oder die subjektive Norm ändern und so eine Revision
der Intention herbeiführen können.
- Die Intentions-Verhaltens-Korrelationen sind deshalb meistens um so stärker, je geringer das
vergangene Zeitintervall zwischen der Messung der Intention und des Verhaltens ist.
- Sich auf kurzfristige Verhaltensvorhersagen zu beschränken ist aber oft von geringem Interesse.
z.B. müssten Produktanbieter in der Lage sein, das Kaufverhalten von Konsumentengruppen
über Monate oder gar Jahre hinweg im voraus antizipieren.
- Das heißt es muss z.B. aufgrund gemessener Intentionen im Rahmen der Marktforschung
vorhergesagt werden, wie hoch der Prozentsatz derjenigen sein wird, die ein bestimmtes
Produkt kaufen.
Man spricht in diesem Falle von „Aggregatintentionen“, die viel stabiler als individuelle
Intentionen sind. Denn eine Vielzahl von nichtantizipierbaren Ereignissen kann Änderungen in den Intentionen
von Individuen hervorrufen, wie z.B. plötzliche Krankheit, ein Lottogewinn oder
Arbeitsplatzverlust. (hierbei handelt es sich jedoch größtenteils um Zufallsereignisse)
- Die durch sie hervorgerufenen Änderungen von Intentionen werden dabei in unterschiedliche
Richtungen gehen, so dass die aggregierten Intentionen relativ stabil bleiben und daher auch
befriedigende Verhaltensvorhersagen erlauben.
Sicherheit der Intentionen
- Intentionen variieren in der mit ihnen verbundenen Sicherheit (Stärke) sowie in ihrer Richtung,
und es können durchaus Änderungen in ihrer Stärke auftreten, ohne dass dies im Verhalten
sichtbar wird.
Bsp.: „2 Wähler, die beide intendieren, die SPD zu wählen“
• Die Intention des Wählers A ist stark — d.h. er ist sich sehr sicher, dass er die SPD wählen
möchte.
• Der Wähler B intendiert ebenfalls, die SPD zu wählen, ist sich dieser Absicht aber weitaus
weniger sicher.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Bei wem wird die Verhaltensvorhersage eher zutreffen?
Wenn eine Person angibt, dass die Wahrscheinlichkeit die SPD zu wählen .70 und die
Wahrscheinlichkeit die CDU zu wählen .30 betrage, so bewirkt das Auftreten neuer Informationen
während der Wahlkampagne vielleicht eine Reduktion der Wahrscheinlichkeit für die SPD (z.B.
auf .65) und einen Anstieg für die CDU (z.B. auf .35).
Trotz dieser Änderung in der Stärke der Absicht würde die Person vermutlich immer noch die SPD
wählen.
- Wird eine Intention also mit großer Sicherheit geäußert, so werden auch neue Informationen ein
geplantes Verhalten nicht ändern.
- Bei Verhaltens-Intentionen, die mit geringer Sicherheit assoziiert sind, können dagegen schon
nichtantizipierte Ereignisse von geringer Wichtigkeit die Intention so verändern, dass sofort auch
eine Verhaltensänderung erfolgt.
—> Intentions-Verhaltens-Korrelationen sollten also höher ausfallen,
wenn die Intentionen mit großer statt niedriger Sicherheit verknüpft sind.
Öffentliche Festlegung auf die Intentionen (commitment)
Neben der Sicherheit, mit der die Intention geäußert wird, spielt für die Güte der
Verhaltensprognose auch eine Rolle, ob sich eine Person der von ihr geäußerten Absicht öffentlich
verpflichtet fühlt.
- Sherman (1980) wies nach, dass allein das öffentliche Aussprechen einer Intention eine erhöhte
Verhaltensbereitschaft bewirkt.
Bei Probanden, die öffentlich vorhersagten, wie sie sich verhalten würden, war die
Wahrscheinlichkeit, sich tatsächlich so zu verhalten, im Vergleich zu Personen, die keine
öffentliche Vorhersage gemacht hatten, erhöht.
Interindividuelle Unterschiede
a.) Self-Monitoring (Snyder — 1974, 1982)
Personen lassen sich danach differenzieren, inwieweit ihr Verhalten (nicht ihre Intentionen!) eher
von situativen Hinweisreizen (Cues) oder von inneren Merkmalen (Einstellungen, Werten,
Dispositionen) gesteuert wird.
Snyder entwickelte die sogenannte Self-Monitoring-Skala, um zu erfassen, ob eine Person mehr
von inneren Merkmalen (niedriges Self-Monitoring) oder von situativen Erfordernissen und
Anreizen (hohes Self-Monitoring) geleitet wird.
- Die Intentionen von Personen mit hohem Self-Monitoring, die sensitiv gegenüber externen Cues
sind, werden sehr schnell durch unvorhersehbare Ereignisse verändert.
- Die Intentionen von Personen mit niedrigem Self-Monitoring werden durch externe Ereignisse
dagegen nur wenig beeinflusst und sind deshalb relativ stabil.
Eine Person mit hohem Self-Monitoring ist gegenüber einer Person mit niedrigem sensitiver für die
Erwartungen der Umgebung und eher motiviert, dem Druck dieser Erwartungen zu entsprechen.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
b.) Selbstaufmerksamkeit (Duval & Wicklund — 1972, 1975)
Eine Voraussetzung für die Gültigkeit der Theorie des überlegten Handelns ist die Bedingung, dass
Einstellungen, Intentionen und deren Implikationen für das Verhalten kurz vor der Ausführung
reflektiert werden.
Genau diese Bedingung ist Gegenstand der Theorie der Selbstaufmerksamkeit:
• Die Aufmerksamkeit einer Person, die sich in einem Zustand hoher Selbstaufmerksamkeit
befindet, ist primär auf das eine Selbst gerichtet, d.h. auf eigene Gefühle, Normen, Einstellung
und andere innere Zustände.
• Geringe Selbstaufmerksamkeit beschreibt einen Zustand, in dem die Aufmerksamkeit einer
Person nach außen, auf die personale und nicht-personale Umwelt gerichtet ist.
Mit Selbstaufmerksamkeit wird also ein Zustand charakterisiert, in dem die Person sich selbst als
ein Objekt sieht und somit in den Brennpunkt ihrer Aufmerksamkeit rückt.
Gegenstand der Selbstaufmerksamkeit können alle Aspekte sein, die eine Person als Teil ihres
Selbst wahrnimmt, also auch die in der Theorie des überlegten Handelns relevanten Komponenten
der Einstellung zum Verhalten und der subjektiven Normen inklusive der zugehörigen
Überzeugungen und Bewertungen.
Der Zustand der Selbstaufmerksamkeit bewirkt generell eine Aktualisierung und Intensivierung all
dieser Aspekte, die in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit gelangen, wie auch eine Aktualisierung
des Bedürfnisses nach Widerspruchsfreiheit.
—> Hieraus folgt, dass eine Person im Zustand der Selbstaufmerksamkeit bemüht sein sollte, die
Einstellung und das Verhalten miteinander in Einklang zu bringen.
- In verschiedenen Untersuchungen konnte tatsächlich nachgewiesen werden, dass der
Zusammenhang zwischen der gemessenen Einstellung und einem späteren Verhalten unter
Selbstaufmerksamkeitsbedingungen erhöht ist (Selbstaufmerksamkeit wurde dabei sowohl als
Persönlichkeitsdisposition erfasst als auch situativ manipuliert).
Die Theorie der Selbstaufmerksamkeit erklärt diesen Effekt durch das Motiv, wahrgenommene
Diskrepanzen zwischen aktualisierten Einstellungen und tatsächlichem Verhalten zu beseitigen.
Solche Diskrepanzen werden im Zustand der Selbstaufmerksamkeit als (besonders) aversiv erlebt.
Die Theorie des überlegten Handelns betrachtet den Effekt als Ergebnis des Umstandes, dass im
Zustand der Selbstaufmerksamkeit Einstellungen und Intentionen gedanklich besonders präsent
(salient) sind und daher Verhaltensentscheidungen auch eher beeinflussen können.
c.) Selbstkonsistenz
(Bem und Allen — 1974)
Folgend lässt sich argumentieren, dass nur bei Personen, die ihr eigenes Verhalten als über
verschiedene Situationen hinweg konsistent beschreiben, ein enger Zusammenhang zwischen
Einstellungen und Verhalten beobachtbar sein dürfte.
- Für solche Personen, die sich selbst als relativ inkonsistent in ihrem Verhalten charakterisieren,
ist dagegen nur eine geringe Einstellungs-Verhaltens-Korrelation zu erwarten.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Aber:
• Motivation und Möglichkeit für angenommene Berechnungen sind häufig nicht gegeben.
• Probleme von Selbstberichts-Maße
Randbedingungen des Zusammenhangs
1.) Erfassung der Einstellung
- Konstruktebene vs. Messebene
- Erhöhung des E-V Zusammenhangs durch verbesserte Erfassung der Einstellung
—> Kontrolle oder Reduktion der diversen Einflüsse:
- Messfehler reduzieren
- Reduktion sozialer Erwünschtheit:
• Anonymisierung
• Theorie der objektiven Selbstaufmerksamkeit (Duval & Wicklund, 1972)
• Bogus Pipeline Verfahren (Jones & Sigall, 1971)
- Korrespondenzprinzip (Ajzen & Fishbein, 1977)
•
•
•
•
•
Einstellung und Verhalten sollten den gleichen Grad an Spezifität aufweisen.
Handlung: Allgemein vs. spezifisch
Objekt/Zielaspekt: z.B. Fußball anschauen vs. Panini Bilder sammeln.
Kontext: z.B. allein vs. mit anderen
Zeit: z.B. heute vs. nächste Woche vs. nächstes Jahr
Beispiel: Verwendung der Anti-Baby-Pille (Davidson & Jaccard, 1979)
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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2.) Aspekte der Situation
• Normative Einflüsse
- Gruppeneinflüsse (Siehe Asch-Studien)
- Bezug der Theorie des geplanten Verhaltens
• Zugänglichkeit der Einstellung
- Je zugänglicher die Einstellung, desto stärker der Einfluss auf spontanes Verhalten
3.) Aspeke der Einstellung
• Stärke der Einstellung
- Ausmaß an Vorwissen
- Elaboriertheit der Einstellung
- Direkte vs. indirekte Erfahrung (Regan & Fazio, 1977)
- Zugänglichkeit
• Wichtigkeit der Einstellung
• Stabilität der Einstellung
• Konsistenz der Einstellung
—> Häufig hängen diese Indikatoren positiv zusammen.
Regan & Fazio (1977)
-
Einstellung zu Wohnungsnot unter Studierenden und Verhalten, dem entgegenzuwirken
UV: Probanden sind selber von Wohnungsnot betroffen vs. nicht betroffen
AV: Verhalten, der Wohnungsnot entgegen zu wirken
Zusammenhang Einstellung und Verhalten:
- Nicht betroffene Probanden: r = .04
- Betroffene Probanden: r = .42
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
4.) Aspekte des Individuums
• Selbstaufmerksamkeit (Duval & Wicklund, 1972)
- Fokus auf innere Vorgänge, Einstellungen, Werte, etc.
- Höhere E-V Korrelationen unter hoher Selbstaufmerksamkeit
• Self-monitoring (Snyder, 1974)
- high self-monitors: richten Verhalten nach sozialen Standards aus
- low self-monitors: richten Verhalten nach persönlichen Standards aus
- Höhere E-V Korrelationen für low als high self-monitors
Die Theorie geplanten Verhaltens (Ajzen & Madden, 1986)
Laut der „Theorie des geplanten Verhaltens“, kann man aufgrund von Einstellungen überlegtes
Verhalten voraussagen. Die Absicht oder Intention ist der beste Prädiktor für das Verhalten der
Menschen, wenn sie Zeit haben, zu überlegen, wie sie sich verhalten werden.
Die Intention wird von 3 Faktoren bestimmt:
1.) Spezifische Einstellungen gegenüber dem Verhalten:
z.B. die allgemeine Einstellung der Frauen zur Geburtenkontrolle sagte nichts darüber aus, ob sie
überhaupt Geburtenkontrolle praktizierten.
• Diese allgemeine Einstellung bezog die anderen Faktoren nicht mit ein, die ihre Entscheidung
hätten beeinflussen können.
• Je spezifischer es in der Frage um das Handeln bei der Einnahme von Antibabypillen ging,
desto besser konnte man aufgrund dieser Einstellung das tatsächliche Verhalten vorhersagen.
2.) Subjektive Norm:
• Annahmen darüber, wie Menschen, die ihnen etwas bedeuten, das fragliche Verhalten
bewerten.
• Um Verhaltensabsichten vorherzusagen kann es genauso wichtig sein, diese Überzeugungen
zu kennen wie die Einstellung.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
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3.) Wahrgenommene Verhaltenskontrolle:
Die Absichten der Menschen werden auch von der Leichtigkeit beeinflusst, mit der sie meinen, ein
Verhalten umsetzen zu können — der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle.
• Wenn man glaubt, dass ein Verhalten schwierig durchzuführen sei, dann wird man keine starke
Intention Aufgaben, es zu tun.
• Wenn man dagegen glaubt, ein Verhalten sei leicht auszuführen, dann wird man eher eine
starke Intention haben, es auch zu tun.
Fazit:
Zahlreiche Studien stützen die Annahme, dass die Vorhersagegenauigkeit geplanten, überlegten
Verhaltens größer wird (z.B. welchen Job man annehmen wird, etc.) wenn diese 3 bestimmenden
Faktoren für die Verhaltensintention einbezogen werden.
Erweiterung:
Die Theorie des überlegten Handelns greift dort zu, wo nicht willentlich kontrollierbare
Komponenten die Ausführung des intendierten Verhaltens beeinflussen.
Da dies potentiell immer der Fall sein kann, darf man intendierte Verhaltensweisen auch als Ziele
betrachten, deren Verwirklichung mit einem gewissen Grad an Unsicherheit verbunden ist.
- Die Komponenten beeinflussen sich untereinander
- „Wahrgenommene Verhaltenskontrolle“ hat einen direkten Einfluss auf das Verhalten.
Die neue Komponente („perceived behavioral control“ - „Wahrgenommene Verhaltenskontrolle“)
In der Ergänzung der Theorie des überlegten Handelns - der Theorie des geplanten Verhaltens geht man davon aus, dass Intentionen als alleinige Prädiktoren für Verhalten dann unzureichend
sind, wenn die persönliche Kontrolle über das Verhalten eingeschränkt ist.
• Die Theorieergänzung berücksichtigt deshalb als neue Komponente, inwieweit das
vorherzusagende Verhalten überhaupt von der handelnden Person uneingeschränkt kontrolliert
werden kann.
• Diese wahrgenommene bzw. tatsächliche willentliche Verhaltenskontrolle über das in Frage
stehende Verhalten soll sowohl die Verhaltensabsicht (Intention) als auch das Verhalten
determinieren.
131
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
- Intentionen sagen nach der Theorie des geplanten Verhaltens „nur“ den Versuch einer
Verhaltensausführung vorher, nicht notwendigerweise aber eine tatsächliche Ausführung (wie
noch bei der Theorie des überlegten Handelns)
Wenn das Verhalten also nicht auftritt, können sich entweder die Intentionen geändert haben (nach
dem Zeitpunkt ihrer Messung) oder die Verhaltensrealisierung kann der Kontrolle der Person
entzogen sein.
Verhaltensintentionen — so die neue Theorie — sind daher bessere Prädiktoren von versuchtem
als von tatsächlichem Verhalten.
Um Verhalten vorherzusagen, müssen wir also wissen, inwieweit die Personen Kontrolle über ihr
Verhalten wahrnehmen und auch tatsächlich ausüben können.
Bei der neuen Komponente (der Verhaltenskontrolle) ist zwischen tatsächlicher und
wahrgenommener Verhaltenskontrolle zu unterscheiden:
1. Tatsächliche Verhaltenskontrolle:
ist sehr schwer zu ermitteln.
2. Wahrgenommene Verhaltenskontrolle:
relativ einfach zu ermitteln. Die Überzeugung einer Person, wie leicht oder wie schwierig ein
Verhalten für sie auszuüben ist. Je mehr Ressourcen, Fertigkeiten und
Verhaltensmöglichkeiten eine Person zu besitzen glauben, um so größer wird die
wahrgenommene Kontrolle über das Verhalten sein.
• Genauso wie Überzeugungen (beliefs) bezüglich der Konsequenzen des Verhaltens als
Determinanten von Einstellungen gesehen werden und normative Überzeugungen als
Determinanten subjektiver Normen, werden Überzeugungen darüber, Ressourcen, Fertigkeiten
und Verhaltensmöglichkeiten zu besitzen, als Determinanten der wahrgenommenen
Verhaltenskontrolle gesehen.
Diese wahrgenommene Verhaltenskontrolle kann auf vergangenen eigenen Erfahrungen
beruhen, aber auch auf Beobachtungen und den Erfahrungen anderer Personen.
2 Einflussmöglichkeiten der neuen Komponente
- Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle kann auf 2 Arten zur Vorhersage von Verhalten
beitragen:
1. Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle wird unabhängig von der Einstellungs- und der
sozialen Normkomponente die Intention, das Verhalten auszuführen, beeinflussen.
Direkte Determinante des Verhaltens ist damit wiederum ausschließlich die
Verhaltensintention, und die Einflüsse der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle auf das
Verhalten würden nur durch die Verhaltensintention vermittelt.
Dieser motivatonale Effekt wird wie folgt erklärt:
Personen, die sich aufgrund mangelnder Fähigkeiten, Ressourcen oder externer Hindernisse
nicht in der Lage sehen, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen, werden i.d.R. auch keine
entsprechende Verhaltensintention entwickeln.
132
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Das gilt auch, wenn sie sehr positive Einstellungen gegenüber dem Verhalten besitzen und
davon überzeugt sind, dass für sie persönlich wichtige Bezugspersonen die Durchführung
dieses Verhaltens begrüßen würden.
Ein Effekt also, der nicht über die Einstellungen oder sozialen Normen vermittelt wird.
2. Einstellungen, subjektive Normen und wahrgenommene Verhaltenskontrolle können sich
wechselseitig beeinflussen, so dass auch von indirekten Einflüssen der wahrgenommenen
Verhaltenskontrolle (vermittelt über ihre Beziehungen zur Einstellungs- und subjektiven Norm
Komponente) auf die Verhaltensintention auszugehen ist.
In der neueren Version der Theorie des geplanten Verhaltens wird zusätzlich zu den bisher
beschriebenen Effekten der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle angenommen, dass letztere
dann einen direkten (d.h. nicht über die Verhaltensintention) vermittelten Einfluss, auf das
Verhalten ausübt, wenn sie die tatsächliche Kontrolle über das Verhalten reflektiert.
In dieser Modellversion würde also das tatsächliche Verhalten nicht mehr ausschließlich durch die
Verhaltensintention determiniert werden, sondern es wird ein direkter Einfluss der
wahrgenommenen Kontrolle auf das Verhalten postuliert.
- In dem Ausmaß, wie die wahrgenommene Kontrolle die tatsächliche Kontrolle widerspiegelt
(z.B. in hohem Maße dann, wenn Vor-Erfahrungen mit dem intendierten Verhalten vorliegt), wird
erstere auch direkten Einfluss auf beobachtbares Verhalten nehmen.
- Es ist also Strenggenommen nicht die wahrgenommene, sondern die tatsächliche Kontrolle, die
für direkte Verhaltenseffekte verantwortlich ist.
Fazit:
Die Theorieausweitung setzt also wahrgenommene Verhaltenskontrolle über das Verhalten sowohl
als zusätzliche Determinante der Intention (Version 1), als auch des Verhaltens (Version2) ein.
Die zusätzliche Berücksichtigung von wahrgenommener Kontrolle im Modell des geplanten
Verhaltens verbessert die Vorhersagekraft.
Determinanten der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle
1.) Internale Faktoren
a.) Interindividuelle Unterschiede:
• Menschen unterscheiden sich in ihrer Fähigkeit, Kontrolle über eigene Handlungen auszuüben
und Kontrollmöglichkeiten in angemessener Weise wahrzunehmen.
• Rotter (1966) entwickelte eine Skala zum Intervallen vs. externalen „Locus of control“, um die
generalisierten Erwartungen einer Person darüber zu ermitteln, wie viel Einfluss sie auf die
Ereignisse und deren Konsequenzen in ihrem Leben zu haben glaubt.
• Die Attribution internaler Kontrolle über das Erreichen spezifischer Verhaltensziele sollte dazu
ermutigen, das Verhalten zu realisieren.
Ob diese Versuche erfolgreich werden, hängt davon ab, wie realistisch die Kontrollerwartungen
einer Person sind, also von der tatsächlich vorhandenen Kontrolle.
Da Kontrollerwartungen jedoch häufig Kontrollillusionen sind, wird auf Basis wahrgenommener
Kontrolle initiiertes Verhalten oft nicht erfolgreich ausgeführt werden können.
133
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Eine Person, die dagegen keine Kontrolle erwartet, wird unabhängig davon, ob objektiv
Kontrolle besitzt, nur wenig motiviert sein, das Verhalten zu realisieren.
So kann es passieren, dass eine Person, die hinsichtlich ihrer Kontrollmöglichkeiten
pessimistisch ist, ein bestimmtes Verhalten gar nicht erst zu initiieren versucht und deshalb nie
herausfindet, dass ihr Pessimismus berechtigt ist.
• Es ist daher anzunehmen, dass die wahrgenommene Verhaltenskontrolle mit der
Verhaltensausführung korreliert.
Diese Korrelation wird aber nur dann hoch sein, wenn die wahrgenommene Verhaltenskontrolle
der tatsächlichen Kontrolle weitgehend entspricht.
• Wahrgenommene Verhaltenskontrolle begünstigt die Ausführung der Handlungen.
b.) Informationen, Fertigkeiten und Fähigkeiten
• Häufig kommt es vor, dass man eine Handlung ausführen möchte und plötzlich merkt, dass die
nötigen Informationen, die nötigen Fertigkeiten und Fähigkeiten fehlen.
Aus die Tatsache, dass unser Verhalten eine Funktion nicht nur der Intention (trying) ist,
sondern auch der Fähigkeit (ability), hat als erster Heider (1958) in seiner Analyse naiver
Verhaltenserklärungen hingewiesen.
c.) Selbstdisziplin und Willensstärke
• Wichtig, um bestimmte Verhaltensziele zu erreichen.
• Abnehmen, mit dem Rauchen aufhören, etc.
Ziele dieser Art zu erreichen, bleiben dabei häufig erfolglos.
• Menschen mit hoher Willenskraft und Selbstdisziplin gehen möglicherweise davon aus, hohe
Kontrolle über ihr Verhalten zu besitzen, und werden deshalb bei positiven Einstellungen und
subjektiv wahrgenommenen Normen eher entsprechende Verhaltensintentionen entwickeln.
• Ferner sollten sie auch eher dazu in der Lage sein, einmal gefasste Absichten auch in
tatsächliches Verhalten umzusetzen.
Kuhl (1981,1982) hat in seiner Analyse der Handlungskontrolle das Konzept der Handlungs- und
Lageorientierung eingeführt, was dem Konstrukt der Selbstdisziplin sehr ähnlich ist.
- Handlungsorientierte Personen richtigen ihre Aufmerksamkeit auf die Realisierung von
Handlungen und nutzen ihre Kenntnisse und Fähigkeiten, um die Ausführung einer ins Auge
gefassten Handlung zu kontrollieren.
- Lageorientierte Personen richten ihre Aufmerksamkeit dagegen auf ihre Gedanken und Gefühle
in der Gegenwart, Vergangenheit oder Zukunft anstatt auf die Handlungsausführung.
Kuhl fand eine höhere Intentions-Verhaltens-Korrelation für handlungsorientierte im Vergleich zu
lageorientierten Personen.
d.) Zwänge und Gewohnheiten
• Menschen sind oft unfähig, Gewohnheiten und Zwangsverhaltensweisen abzustellen.
• Eine Person besitzt bezüglich solcher Verhaltensweisen wenig internale Kontrolle.
• Gewohnheiten üben einen direkten Einfluss auf Verhalten aus, der nicht durch die
Komponenten der subjektiven Norm und der Einstellung vermittelt wird.
134
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Im Modell des geplanten Handelns finden die Effekte von Gewohnheiten im Konzept der
„wahrgenommenen Verhaltenskontrolle“ Berücksichtigung.
2.) Externale Faktoren
Ungünstige Gelegenheiten (keine Ressourcen wie Geld, Zeit, etc.) und unerwartete Ereignisse
(z.B. Krankheit, Unfälle, etc.) machen die Ausführung eines intendierten Verhaltens oft unmöglich.
Häufig ist die Realisierung von Verhaltensweisen auch vom Verhalten anderer Personen abhängig.
In besonderem Maße gilt dies für Verhaltensweisen, die eine Kooperation erfordern.
Kooperation setzt die Bereitschaft und den Willen aller beteiligten Personen voraus.
Experimentelle Untersuchungen zur Kooperation und zum Wettbewerb bestätigen diese Annahme:
- Azjen und Fishbein (1970) berechneten Korrelationen von etwa r = .90 zwischen
Kooperationsstrategien der beiden Spieler in Gefangenendilemma-Spielen.
Die Wahl von kooperativen Verhaltensweisen hängt also maßgeblich vom Verhalten des
Gegenübers ab.
Fazit:
Insgesamt lässt sich also feststellen, dass eine Vielzahl von internalen und externalen Faktoren
mitbestimmt, ob wir in der Lage sind, ein intendiertes Verhalten auszuführen.
Reflektiv-Impulsiv Modell (RIM) (Strack & Deutsch, 2004)
• Reflektives und impulsives System steuern Verhalten gemeinsam
- Reflektiv eher langsam, aufwändig und ressourcenintensiv
- Impulsiv eher schnell, effizient, mühelos
• Impulsives System macht Verhaltensvorschlag, reflektives System kann IS kontrollieren
—> abhängig von der Verfügbarkeit von Ressourcen
135
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Impulsives und reflektives System interagieren.
• Einfluss reflektiver und impulsiver Prozesse auf Verhalten abhängig von Kontrollressourcen
- explizite Einstellungen (reflektiv) sagen Verhalten besser unter Bedingungen hoher
Ressourcen vorher.
- implizite Einstellungen (impulsiv) sagen Verhalten besser unter Bedingungen geringer
Ressourcen vorher. • Identische Vorhersagen (in diesem Kontext) durch das MODE-Model von Fazio (1990)
—> „motivation and opportunity as determinants“
Evidenz:
Wenn Ressourcen in bestimmter Situation nicht vorhanden sind
(z.B: Zeitdruck, Ablenkung — Einschränkung), dann wird eher
impulsiv gehandelt, weniger reflektiv.
Kognitive Kapazität - Friese et al. (2008)
• Wahrverhalten Schokoriegel vs Früchte
• Prädiktoren:
- Explizite Einstellungen (reflektive Prozesse)
- Implizite Einstellungen (IAT, impulsive Prozesse)
• UV: Kognitive Kapazität hoch vs. niedrig (Ressourcen)
• AV: Wahlverhalten von Schokolade und Obst
Ergebnis:
(Anzahl der Schokoriegel = Y Achse)
-
Je positiver die Einstellung zu Schokoriegeln, desto mehr haben sie auch genommen.
Bei Impliziten Einstellungen war es umgekehrt.
Je positiver die implizite desto mehr haben sie genommen.
Alle Leute die mitgemacht haben, haben sowohl Fragen gestellt bekommen als auch einen IAT
gemacht (Indikator für impliziten UND Indikator für explizit)
136
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
10.) Stereotype (I & II)
(Vorlesung vom 19.01.2015 & 26.01.2015 — Gemeinsamkeiten und Unterschiede von
Stereotypen, Vorurteil und Diskriminierung + diese mit Einstellungskonzept in Verbindung bringen,
verschiedene Erklärungen für die Entstehung von Stereotypen, Erklärungsansatz illusorischen
Korrelation via shared distinctiveness und information loss account, Versuchsaufbau um
Stereotype automatisch zu aktivieren, Randbedingungen für Einfluss von Stereotypen und was
man dagegen tun kann, Stereotypenbedrohnung, Verfahren zur direkten und indirekten Messung
und deren stärken und schwächen + Funktionsprinzip —Aronson Kapitel 13 & Pendry 2007)
Einstellungen gegenüber X
Kognitive Komponente: Was wissen wir über X?
Affektive Komponente: Was fühlen wir gegenüber X?
Behaviorale Komponente: Wie verhalten wir uns gegenüber X?
137
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
10.1.) Vorurteile
Vorurteile sind ein weit verbreitetes, in allen Gesellschaften der Welt existierendes Phänomen.
Allerdings unterscheiden sich in den einzelnen Gesellschaften die sozialen Gruppen, die Opfer von
Vorurteilen werden, und das Ausmaß, in dem die Gesellschaften Diskriminierung fördern oder
erschweren.
Menschen haben nicht einfach nur bestimmte Einstellungen, sie handeln auch dementsprechend.
Definition:
• Feindselige oder negative Einstellung gegenüber den Mitgliedern einer klar unterscheidbaren
Gruppe, und zwar allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gruppe. (d.h. affekt-geladen)
Bsp.: Jemand hat Vorurteile gegenüber Schwarzen.
Damit ist gemeint, dass Jemand Schwarzen gegenüber kühl oder feindselig verhält und das Gefühl
hat, sie seien im Grund alle gleich.
- Die Merkmale, die er ihnen zuschreibt, sind negativ und gelten für die Gruppe als Ganzes.
- Die individuellen Merkmale oder Verhaltensweisen der individuellen Zielperson des Vorurteils
bleiben entweder unbemerkt oder werden ignoriert.
Vorurteile haben ein kognitives Element (ein Stereotyp) und können das Verhalten beeinflussen (in
Form von Diskriminierung).
Wie entstehen Vorurteile?
Als weitverbreitete und universelle Einstellung kann das Vorurteil ursprünglich als
Überlebensmechanismus gedient haben, der die Menschen veranlasste, ihre eigenen Familien
und Stämme zu begünstigen.
Aber Menschen sind auch biologisch so ausgestattet, dass sie freundlich und kooperativ sind.
Sozialpsychologen bemühen sich, die Bedingungen auszumachen, unter denen
Intergruppenvorurteile gefördert oder verringert werden.
Vorurteile werden durch viele Einflussfaktoren in der sozialen Welt hervorgerufen und
aufrechterhalten.
- Einige wirken auf der Ebene der Gruppe oder der Institution, was Konformität gegenüber den
normativen Standards oder Regeln in der Gesellschaft erfordert.
- Andere wirken innerhalb des Individuums.
- Und wieder andere Einflussfaktoren entfalten ihre Wirkung auf ganze Gruppen von Menschen,
wie dies etwa bei den Auswirkungen von Wettbewerb, Konflikt und Frustration der Fall ist.
1.) Normative Regeln (Druck, sich konform zu verhalten)
• Bei der institutionellen Diskriminierung, einschließlich des institutionalisierten Rassismus und
Sexismus, geht es um Normen, die ihre Wirkung über die gesamte Struktur der Gesellschaft
hinweg entfalten.
• Normative Konformität oder der Wunsch, akzeptiert zu werden und sich einzufügen, veranlasst
viele Menschen dazu, sich den stereotypisierten Überzeugungen und den vorherrschenden
Vorurteilen ihrer Gesellschaft zu fügen und sie nicht infrage zu stellen.
138
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Wenn sich Normen verändern, verändern sich oft auch die Vorurteile
2.) Die soziale Kategorisierung (Wir gegen sie)
• Vorurteile werden durch die Neigung gefördert, Menschen in Eigen- und Fremdgruppen
einzuordnen.
• Die Prozesse der sozialen Kognition sind wichtig bei der Schaffung und Aufrechterhaltung von
Stereotypen und Vorurteilen.
• Die Kategorisierung von Menschen in Gruppen führt zur Eigengruppenverzerrung:
der Tendenz, die Mitglieder unserer eigenen Gruppe besser zu behandeln, als Mitglieder der
Fremdgruppe.
• und zur Fremdgruppenhomogenität:
die Fehlwahrnehmung, dass „sie“ alle gleich sind.
3.) Die Attributionsverzerrung (Wie wir Bedeutung zuschreiben)
• Der fundamentale Attributionsfehler betrifft Vorurteile:
Wir neigen dazu, bei der Beurteilung des Verhaltens anderer die Rolle dispositionaler Faktoren
zu überschätzen.
Die Neigung, disposotionale Attribution über das individuelle negative Verhalten einer Person
vorzunehmen und dann auf ihre gesamte ethnische, rassische oder religiöse Gruppe oder auf
das Geschlecht zu verallgemeinern, wird als ultimativer Attributionsfehler bezeichnet.
Die Neigung, negative dispositionale Attributionen bezüglich einer gesamten Gruppe von
Menschen vorzunehmen.
• Wenn sich Mitglieder einer Fremdgruppe nicht stereotyp verhalten, nehmen wir gerne
situationsbezogene Attributionen vor, um so unsere Stereotype aufrechterhalten zu können.
• Eine verbreitete Fremdgruppenattribution besteht darin, dem Opfer die Schuld für die eigenen
Vorurteile und das eigene diskriminierende Verhalten zuzuweisen.
• Die Schuldzuweisung an das Opfer fördert auch bei der Eigengruppe Gefühle der
Überlegenheit, ihre religiöse und politische Identität sowie die Legitimität ihrer Macht
4.) Wirtschaftliche Konkurrenz (Die Theorie des realistischen Gruppenkonflikts)
• Vorurteile die unvermeidbare Nebenwirkung realer Konflikte zwischen Gruppen wegen
begrenzter Ressourcen sind, egal ob es dabei um wirtschaftliche Ressourcen, um Macht oder
Status geht.
• Der Kampf um Ressourcen führt zur Abwertung und Diskriminierung der konkurrierenden
Fremdgruppe(n).
• Der „Sündenbock-Mechanismus“ beschreibt die Neigung wütender oder frustrierter Menschen,
die eigentliche Ursache ihrer Aggressionen zu verdrängen und diese auf ein zweckmäßiges Ziel
zu verlagern — eine Fremdgruppe, die unbeliebt, leicht identifizierbar und relativ machtlos ist.
139
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Die 3 Komponenten von Vorurteilen
Ein Vorurteil ist eine Einstellung, und zwar eine emotional besonders wirkungsvolle.
Wie wir bereits wissen, setzen sich Einstellungen aus 3 Komponenten zusammen:
- affektive/emotionale Komponente (sowohl Emotionen, als auch Intensität dieser)
- kognitive Komponente (Überzeugungen oder Gedanken)
- Verhaltenskomponente (Handeln)
1.) Stereotype (die kognitive Komponente)
Wir neigen dazu, Menschen gemäß dem zu kategorisieren, was wir als Norm ansehen. Und
innerhalb einer bestimmten Kultur gleichen sich die Normen der Menschen sehr stark, was unter
anderem daran liegt, dass Bilder durch die Medien am Leben erhalten und ständig verbreitet
werden.
Die Bildung von Stereotypen geht jedoch noch einen Schritt über die einfache Kategorisierung
hinaus.
Definition:
• Ein Stereotyp ist eine verallgemeinernde Annahme über eine Gruppe von Menschen, die
praktisch all ihren Mitgliedern, unabhängig von tatsächlichen Unterschieden zwischen ihnen,
dieselben charakteristischen Merkmale zuschreibt. (körperlich, seelisch oder berufsbezogen)
Die Bildung von Stereotypen ist ein kognitiver Prozess, und Stereotype können sowohl positiv als
auch negativ sein. (Mag man die Gruppe, wird unser Stereotyp positiv sein)
140
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
2.) Diskriminierung (die Verhaltenskomponente)
Vorurteile führen oft dazu, dass eine Zielgruppe unfair behandelt wird. Wir nennen dies
„Diskriminierung“. Diskriminierung ist ein tatsächliches Verhalten.
Definition:
• Eine ungerechtfertigte negative oder schädliche Verhaltensweise gegenüber einem Mitglied
einer Gruppe allein wegen dessen Zugehörigkeit zu dieser Gruppe.
Jede Gruppe in einer Gesellschaft, die stigmatisiert wird, wird Erfahrungen mit Diskriminierung
sammeln, sowohl mit offener als auch mit subtiler.
- Moderner Rassismus (oder Sexismus) ist ein Beispiel für einen Wandel bezogen auf die
normativen Regeln beim Vorurteil:
Heutzutage haben die Menschen gelernt, ihre Vorurteile in Situationen zu verstecken, bei denen
sie als Rassist, Sexist, Antisemit, Homophober etc. etikettiert werden könnten.
a.) Die Messung impliziter Vorurteile
Viele Menschen wollen ihre Vorurteile nicht offen zugeben, daher hat man ein Verfahren
entwickelt, um nicht so leicht durchschaubare Maße des impliziten Rassismus und anderer
Vorurteile zu messen.
- Die „Bogus Pipeline“ zählte zu den ersten dieser Messverfahren, und der „Implicit Association
Test“ (IAT) findet heute am meisten Verwendung.
- Es gibt jedoch eine Kontroverse darüber, was der IAT tatsächlich misst und ob er
vorurteilsbehaftetes Verhalten vorhersagt.
b.) Die Aktivierung impliziter Vorurteile
Eine überzeugendere Methode, implizite Vorurteile zu erfassen, besteht darin, zu beobachten, wie
sich Menschen tatsächlich verhalten, wenn sie gestresst, wütend, niedergeschlagen sind nach
einem Nackenschlag für ihr Selbstbewusstsein oder auf andere Weise nicht ganz in Kontrolle ihrer
bewussten Absichten sind.
Sie Verhalten sich oft aggressiver oder feindseliger gegenüber der stereotypisierten Zielperson als
gegenüber Mitgliedern ihrer eigenen Gruppe.
c.) Die Auswirkungen von Vorurteilen auf das Opfer
Das häufige Vorkommen von Stereotypen und Vorurteilen kann zu „sich selbst erfüllenden
Prophezeiungen“ sowohl für die Mitglieder der Mehrheit, als auch für die Opfer des Vorurteils
werden.
- Eine Ursache für den Unterschied der schulischen und universitären Leistungen ist die
„Bedrohung durch Stereotype“, die Angst, die einige Gruppen empfinden, wenn ein Stereotyp
bezogen auf ihre Gruppe aktiviert wird.
z.B. dass Frauen nicht so gut in Mathematik sind wie Männer, oder dass Asiaten klüger sind als
Weiße, etc.
141
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
3.) Emotionen (die affektive Komponente)
Der tief gehende emotionale Aspekt des Vorurteils ist etwas, wodurch es so schwierig wird, mit
einer vorurteilsbehafteten Person zu argumentieren.
• logische Argumente sind nicht wirksam, um Emotionen entgegenzutreten.
• Genau darum können Vorurteile lange, nachdem eine Person sie loswerden wollte, unbewusst
fortbestehen.
Gemeinsames Kennzeichen:
Wissen, Gefühle und Handlungen werden auf die gesamte Gruppe generalisiert, individuelle
Faktoren werden vernachlässigt.
- Ergibt sich notwendigerweise aus der Funktion sozialer Kategorien/Gruppen
- Warum teilen wir die Welt ein?
Funktionen von Kategorien
•
•
•
•
Vereinfachung der Welt — Welt geordneter und vorhersagbarer machen
Sinnvolle Einteilung der Welt — „groß“ und „schwer“ sind normalerweise korreliert
Erlaubt „going beyond the information given“ — erspart uns schmerzhafte Lernerfahrungen
Reduziert die kognitive Belastung — „Gruppe X hat Eigenschaft Y“, erspart die mentale
Repräsentation jedes Mitglieds von Gruppe X.
Soziale Kategorien
• Zuordnung von Menschen zu Kategorien aufgrund salienter Merkmale
• Generell:
- Geschlecht/Alter/Religion
• Ansonsten: Extrem Kontextabhängig!
- Psychologie- vs. BWL-Studierende
- 1. FC Saarbrücken vs. 1. FC Kaiserslautern Fands
- Saarländer vs. Deutscher vs. Europäer
Kategorisierung und Akzentuierung
142
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Akzentuieren — Unterschiede zwischen Gruppen (A und B linken) werden akzentuiert
wahrgenommen. Stärker wahrgenommen als es eigentlich ist.
„Deutlich gelten Männer deutlich aggressiver als Frauen“
• In Gruppe B sind auch nicht alle gleich, es gibt Varianz.
• Unterschiede zwischen Gruppen werden akzentuiert wahrgenommen — INNERHALB der
Gruppen jedoch weniger.
Wie kann man Vorurteile abbauen?
Es reicht schlicht nicht aus, vorurteilsbehafteten Menschen Informationen zu liefern, dass sie die
Fremdgruppe mit Stereotypen belegen; sie werden dann oft sogar noch heftiger an ihre
Überzeugungen klammern.
1.) Die Kontakthypothese
Über einen Kontakt zwischen rassischen und ethnischen Gruppen, durch den Mitglieder von
Eigen- oder Fremdgruppen zusammengebracht werden.
- Ein solcher Kontakt hat sich in vielen Situationen als wirksam erwiesen.
- Der Kontakt allein reicht jedoch nicht aus und kann bestehende negative Einstellungen sogar
noch verschärfen.
Damit Vorurteile durch den Kontakt zwischen 2 Gruppen wirklich erfolgreich abgebaut werden
können, müssen 6 Bedingungen erfüllt sein:
•
•
•
•
•
•
wechselseitige Abhängigkeit
ein gemeinsames Ziel
gleicher Status
zwangloser zwischenmenschlicher Kontakt
mehrere Kontakte
soziale Normen der Gleichheit
2.) Kooperation und Interdependenz (Die Jigsaw-Klasse)
Die Jigsaw-Klasse ist eine Form des kooperativen Lernens, bei der Kinder aus unterschiedlichen
ethnischen Gruppen zusammenarbeiten müssen, um eine Lektion zu lernen.
Es konnte gezeigt werden, dass sie sehr wirksam dabei ist, das Selbstwertgefühl und die Leistung
von Schülern aus einer Minderheit zu verbessern, ihre Empathie zunehmen zu lassen und
Intergruppenfreundschaften zu fördern.
143
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
10.2.) Stereotype
- Inhalte: physisches Äußeres, typische Interessen, bevorzugte Aktivitäten, typische Berufe,
Persönlichkeitseigenschaften, …
- Stereotype können bestimmte Emotionen hervorrufen
- sie können wahr oder falsch, positiv oder negativ sein
- sie führen zu Fehlwahrnehmung von Individuen (Gruppen- vs. Individualebene)
Oft dient uns die Stereotypisierung nur als Technik, auf die wir bis zu einem gewissen Grad alle
zurückgreifen, um unsere Sicht von der Welt zu vereinfachen — ein nützliches Mittel in unserem
geistigen Werkzeugkasten.
Gordon Allport (1954/1985) beschrieb die Stereotypisierung als „Gesetz der geringsten
Anstrengung“. Weil die Welt einfach zu kompliziert für uns ist, um allem gegenüber eine hoch
differenzierte Einstellung zu haben, nutzen wir unsere Zeit und unsere kognitive Energie auf die
beste Weise, um zu einigen Themen elegante, exakte Einstellungen zu entwickeln, verlassen uns
bei anderen Themen jedoch auf einfache, lückenhafte Überzeugungen.
1.) Entstehung von Stereotypen
• durch die ständige Wahrnehmung von Kategorien und damit sozialen Gruppen
• Entstehung „wahrer“ Stereotype:
- Wahrnehmung einer Kovariation von Gruppe und Attribut (z.B. „Alle Roten sind spitz“)
• Entstehung „falscher“ Stereotype:
- Rollenverhalten —> falsche Korrespondenz-Schlüsse
- Illusorische Korrelationen
- Falsche Stichproben (soziales Lernen, Medien, saliente Information)
- Wir übernehmen gewisse Faustregeln und wählen Abkürzungen, bei dem Versuch, andere zu
verstehen.
- Informationen, die mit unserer Auffassung von der Gruppe übereinstimmen, widmen wir mehr
Aufmerksamkeit, sie werden häufiger wiederholt (oder abgerufen) und werden daher besser
erinnert als Informationen, die dieser Auffassung widersprechen.
Immer wenn sich also ein Mitglied der Gruppe so verhält, wie wir es von ihm erwarten, bestätigt
das Verhalten unser Stereotyp und festigt es; aber wir neigen nicht dazu, „Ausnahmen“ zu
decken, sie zu bemerken oder zu erinnern. Jeder, der nicht ins Vorurteil passt, kann als Ausnahme angesehen werden, so dass wir das
Stereotyp nicht ändern müssen.
144
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
- Solange das gebildete Stereotyp auf Erfahrung beruht und im Großen und Ganzen stimmig ist,
kann es ein anpassungsfähiger, kurzer Weg sein, um mit komplexen Ereignissen besser
umzugehen.
- Wenn es jedoch gegenüber individuellen Unterschieden einer Gruppe von Menschen blind
macht, ist es unangemessen, unfair und schädlich.
Das gilt sowohl für die Person, der das Stereotyp anhaftet als auch für die anderen Menschen,
die durch diese Kategorie zusammengefasst werden.
Was ist falsch an positiven Stereotypen?
Die potenziell missbräuchliche Verwendung von Stereotypen kann subtiler sein, und dazu könnte
auch ein Stereotyp über eine positive Eigenschaft gehören.
z.B. hat man die Amerikaner asiatischen Ursprungs oft als eine „vorbildliche Minderheit“
bezeichnet. Jedoch gibt es viele, die gegenüber dem Stereotyp „ehrgeizig und intelligent“
Einspruch erheben.
- Dadurch werden nämlich Erwartungen gegenüber denjenigen aufgebaut, die diesem Stereotyp
nicht entsprechen (wollen).
- Zudem fasst das Stereotyp alle Amerikaner asiatischen Ursprungs zu einer Gruppe zusammen
und lässt Unterschiede zwischen asiatischen Kulturen außer Acht.
Er gibt genügend Belege dafür, dass diese Art herabsetzender Stereotypisierung nicht unüblich ist.
a.) Von Rollen zu Stereotypen
145
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Evidenz:
Hoffman & Hurst (1990)
• 2 hypothetische Gruppen
- Ackmians
- Orinthians
• 2 Aufgaben
- Arbeiter in der Stadt vs. Fürsorger der
Kinder
• 2 Charakteristika
- Alle Arbeiter sind dominant und durchsetzungsfähig
- Alle Fürsorger sind liebevoll und behutsam
•
Ergebnisse:
Fürsorge hat abgefärbt auf etwas, was eigentlich ihre Rolle war.
Die Ackmians die Fürsorglich waren, wurden nicht so eingeschätzt.
• Übertragung der Charakteristika der „typischen“ Arbeit auf die Gruppe
- Ackmians —> dominant und durchsetzungsfähig
- Orinthians —> liebevoll und behutsam
Implikationen: Beispiel
Stereotype über Männer und Frauen:
Männer (Frauen) arbeiten in Berufen, in denen Dominanz (Fürsorge) gefordert ist.
(Männer sind dominant und Frauen sind fürsorglich)
Selbsterfüllende Prophezeiung?
Sagt noch nichts über die wahren Unterschiede aus.
— Warum verteilen sich die Geschlechter ungleich auf unterschiedliche Jobs?
146
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
b.) Soziales Lernen
• Stereotype entstehen oft auch dann, wenn keine eigenen Erfahrungen gegeben sind.
• Stereotype werden sozial vermittelt.
- Familie, Freunde, Bekannte oder auch Zeitschriften, Fernsehen, Filme
• Soziale Kommunikation kann Stereotype verstärken.
- Berichte von Gruppen rufen Stereotype hervor
- Witze können Stereotype verstärken
Beispiel: Werbung
- Werbung verstärkt kulturelle Stereotype
- Frauen werben für Schuhe
- Männer verkaufen Rasenmäher
Effekte:
- Medieninhalte verstärken die Akzeptanz von
Geschlechtsstereotypen.
Stereotype zum Geschlecht
Frau: „empathischer und geschwätziger“
Mann: „kompetenter und aggressiver“
Doch wie gewöhnlich werden bei den Stereotypen
die Unterschiede zwischen den Geschlechtern
übertrieben, und Unterschiede in Bezug auf
Persönlichkeitsmerkmale und Fähigkeiten
innerhalb jedes einzelnen Geschlechts werden
schlicht nicht zur Kenntnis genommen und zu stark
vereinfacht.
Einige angebliche Unterschiede lösen sich, wenn
man genauer hinsieht, in Luft auf.
Beispiel:
Stereotyp: „Frauen sind geschwätziger als Männer“ — Um diese Behauptung zu überprüfen,
statteten Psychologen eine Stichprobe von Männern und Frauen mit Tonbandgeräten aus, mit
deren Hilfe ihre Gespräche verfolgt wurden, in denen es um ihr Leben im Alltag ging.
Es gab keinen signifikanten Unterschied in Bezug auf die Anzahl der gesprochenen Wörter: Beide
Geschlechter verwendeten im Schnitt etwa 16.000 Wörter pro Tag; dabei gab es große individuelle
Unterschiede zwischen den Teilnehmern (Mehl, 2007).
Durch Jahrzehnte langes Forschen an der 15.000 Männer und Frauen in 19 Ländern
teilgenommen hatten, hat man Folgendes herausgefunden:
Der Sexismus überall auf der Welt kann 2 grundlegende Formen annehmen, die sie als
feindseligen Sexismus und wohlwollenden Sexismus bezeichnen.
147
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Feindselige Sexisten:
• haben negative Stereotype von Frauen: Frauen sind netter als Männer, emphatischer,
umsorgender etc.
• Nach Glick und Fiske sind beide Formen von Stereotypen herabwürdigend für Frauen, weil
wohlwollende Sexisten, aber auch feindselige annehmen, dass Frauen das schwächere
Geschlecht sind.
Wohlwollende Sexisten:
• neigen dazu, Frauen romantisch zu idealisieren, sie bewundern sie vielleicht als wunderbare
Köchin und Mütter und wollen sie in Bereichen beschützen, in denen sie gar keinen Schutz
brauchen.
• Diese Art des Sexismus ist ihnen liebevoll zugetan, aber bevormundend; sie vermitteln die
Einstellung, dass Frauen so wunderbar, gut, nett und moralisch sind, dass sie zu Hause bleiben
sollten, sich Fernhalten sollten von der Aggressivität und Korruption im öffentlichen Leben.
Weil beim wohlwollenden Sexismus nicht der Unterton von Feindseligkeit gegenüber Frauen
mitschwingt, erscheint er vielen Menschen nicht als Vorurteil.
Und viele Frauen empfinden es als verlockend, zu der Auffassung zu kommen, dass sie besser als
Männer sind.
Aber beide Formen des Sexismus — gleichgültig ob jemand meint, Frauen seien zu gut oder nicht
gut genug für Gleichberechtigung — legitimieren die Diskriminierung von Frauen und können dazu
eingesetzt werden, zu rechtfertigen, dass sie in die traditionellen stereotypisierten Rollen
zurückgedrängt werden.
Es gibt auch sehr viele negative Stereotype im Hinblick auf Männer — dass sie „sexuelle Monster,
emotional herzlos, dominant und arrogant sind.“
Als dieselbe Forschergruppe in 16 Ländern eine Studie über Einstellungen gegenüber Männern
abgeschlossen hatte, fand man tatsächlich heraus, dass viele Menschen wirklichen glauben,
Männer seien aggressiv und raubtierhaft sowie insgesamt einfach nicht so warmherzig und nett
wie Frauen.
Diese Einstellung scheint feindselig gegenüber Männern zu sein, fanden die Forscher, aber sie
bringt auch die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und Vorurteile gegenüber Frauen zum
Ausdruck und stützt sie, indem sie Männer so charakterisiert, als seien sie „von Natur aus“ für
Führung und Dominanz vorgesehen.
c.) Die illusorische Korrelation
Zur Erinnerung:
- Tatsächliche Kovariationen/Korrelationen in der Umwelt erklären, warum Menschen soziale
Kategorien und als Folge Stereotype bilden.
- Falsche Stereotype entstehen, wenn die gleichen Mechanismen, welche Menschen falsche
Korrelationen lernen lassen, auf Stereotype angewendet werden.
Bsp.: „Die meisten Pilze sind essbar“
—> Fliegenpilze sind selten, rot und ungenießbar.
—> Folgerung: Vermeide alle seltenen Pilze!
148
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Die menschliche Kognitionsverarbeitung erhält das stereotyp Denken durch das Phänomen der
illusorischen Korrelation aufrecht.
Wenn wir die Erwartung haben, dass 2 Dinge zusammenhängen, tricksen wir uns selbst mit der
Überzeugung aus, dass dies so ist, auch wenn sie überhaupt nicht zusammenhängen.
- In unserer Gesellschaft gibt es viele illusorische Korrelationen, wie etwa die verbreitete
Überzeugung, dass Paare, die bisher keine Kinder haben konnten, Nachwuchs zeugen werden,
nachdem sie ein Kind adoptiert haben. (angeblich, weil sie sich nach der Adoption weniger
ängstlich und belastet fühlen)
Diese Korrelation ist vollständig illusorisch. Gelegentlich bekommt ein „unfruchtbares“ Paar ein
Kind, nachdem es eins adoptiert hat, doch dies geschieht nicht mit größerer Häufigkeit als bei
„unfruchtbaren“ Paaren, die kein Kind adoptieren.
Das erwähnte Ereignis macht, weil es so entzückend lebendig ist, einen größeren Eindruck auf
uns, wenn es dann geschieht, und führt zur illusorischen Korrelation (Gilovich, 1991).
Evidenz:
Hamilton & Gifford (1976)
Ergebnisse:
•
•
•
•
Teilnehmer mochten Gruppe B weniger
Teilnehmer nahmen die Korrelation zwischen Gruppe und Valenz des Verhaltens wahr
Teilnehmer überschätzen die Häufigkeit der Zelle Gruppe B/negatives Verhalten
Teilnehmer erinnern die Zelle Gruppe B/negatives Verhalten
besser.
Erklärung: „Shared distinctiveness“
149
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Erklärungsansätze:
1.) Shared distinctiveness
• Seltene (distinkte) Ereignisse sind besonders salient.
• Minoritäten sind danach salient, negative Attribute auch.
- Bei Gruppe B und negativen Ereignissen kommen zwei saliente Ereignisse zusammen.
-
stärker mit Aufmerksamkeit belegt
besser enkodiert
bessere Abrufbereit und Verfügbarkeit
Illusion eines Zusammenhangs
Sie erklärt, warum die meisten Stereotype negative Inhalte haben und warum Stereotype
hauptsächlich über Fremdgruppen oder Minderheiten existieren.
Sie geht von Null-Korrelationen in der Umwelt aus (anders als Rollenerklärung!)
Sie erklärt nicht, warum Minderheiten nicht auch mit distinkten positiven Merkmalen assoziiert
werden.
2.) Information loss account
• Illusorische Korrelation entsteht durch schlechtere,
nicht bessere Informationsverarbeitung.
• Informationsverlust
• Kleine Kategorien werden über-, große unterschätzt.
• Viel Information erlaubt bessere Schätzung
2.) Automatische und kontrollierte Verarbeitung von Stereotypen
Selbst Menschen, die nicht vorurteilsbehaftet sind, können durch eine ganze Reihe kultureller
Stereotype (Afroamerikaner, Frauen, Juden, etc.) beeinflusst werden.
Patricia Devine differenziert zwischen der automatischen Verarbeitung von Informationen, über die
wir keine Kontrolle haben, und der kontrollierten Verarbeitung von Informationen.
Aktivierung von Stereotypen
Ein Stereotyp wird automatisch aktiviert, wenn wir einem Mitglied einer Minderheitsgruppe
begegnen, und das Stereotyp kann mithilfe bewusster Verarbeitung ignoriert oder entkräftet
werden.
150
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Doch was geschieht, wenn die Person beschäftigt, überwältigt, abgelenkt oder unaufmerksam ist?
- Sie ist möglicherweise nicht in der Lage, dieses kontrollierte Niveau der Verarbeitung in Gang
zu setzen
•
•
•
•
•
Aktivierung von Kategorien
Entscheidend ist Salienz
Aktivierung —> Zugänglichkeit —> Nutzung
Automatische Aktivierung
Auch Vorurteile können automatisch aktiviert werden (siehe Messung von Stereotypen/
Vorurteilen)
Evidenz:
Devine (1989)
- Als erstes teilte sie entsprechend ihrer Testwerte in Gruppen mit starken und geringen
Vorurteilen ein.
- Als nächstes wies man nach, dass alle Teilnehmer gleich viel über Rassenvorurteile wussten.
- Als Drittes folgte der Test zur automatischen und bewussten Verarbeitung.
Sie lies stereotype Begriffe (z.B. „schwarz“, „feindselig“, „faul“, „Sozialhilfe“) und neutrale Wörter
(z.B. „jedoch“, „was“, „sagte“) so schnell auf einer Leinwand aufleuchten, dass sie von Teilnehmern
nicht mehr bewusst wahrgenommen werden konnten.
-
UV1: Vorurteile gegenüber Schwarzen: stark vs. schwach
UV2: Priming des Stereotyps von schwarzen: ja vs. nein
Vermeintlich andere, zweite Studie
Verhalten von Zielperson in mehrdeutigem Text
Sie sahen etwas, waren sich aber nicht sicher, was. Sie konnten die Wörter nicht mithilfe der
bewussten Verarbeitung ausmachen, erkannten sie jedoch aufgrund des automatischen
Verarbeitungsprozesses. Wie konnte Devine sich sicher sein?
Nachdem die Wörter aufleuchteten, bat sie die Teilnehmer, eine Geschichte über „Donald“ zu lesen
(einem Mann, dessen ethnische Zugehörigkeit nicht erwähnt wurde) und ihre Eindrücke von ihm
wiederzugeben.
Donald wurde nicht eindeutig beschrieben; er tat einiges in der Geschichte, was positiv oder
negativ interpretiert werden konnte.
- AV: Ausmaß der interpretierten Feindseligkeit der Zielperson
Ergebnis:
(Nach Priming feindseligere Interpretation der Personenbeschreibung, unabhängig von UV1)
Die Teilnehmer, die die Wörter gesehen hatten, mit denen Stereotype über Afroamerikaner zum
Ausdruck gebracht wurden, schätzten Donald negativer ein als diejenigen, die die neutralen Wörter
gesehen hatten.
- Bei einer Gruppe war also das negative Stereotyp (unbewusst durch automatische
Verarbeitung) aktiviert worden
- Ohne sich dessen bewusst zu werden, wurden die Teilnehmer, wie ihre Einstufung von Donald
zeigt, von diesen feindseligen Begriffen beeinflusst.
151
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Da diese Stereotype außerhalb ihrer bewussten kognitiven Kontrolle wirksam wurden, zeigten sich
diejenigen weißen Studenten, die kaum Vorurteile hatten, von den kulturellen Stereotypen (z.B.
dass Afroamerikaner feindselig sind) genauso beeinflusst, wie die vorurteilsbehafteten Studenten.
3.) Einfluss von Stereotypen
Stereotype können…
• Urteile und Handlungen gegenüber
- einer Gruppe beeinflussen
- einzelnen Individuen aus dieser Gruppe beeinflussen
• die Attribution von Handlungen beeinflussen
• die Interpretation von (mehrdeutigen) Situationen beeinflussen
Randbedingungen:
Motivation & Möglichkeit
Motivation:
• Rechtfertigungsdruck für Urteile
• Zusammenarbeit
Möglichkeit:
•
•
•
•
Zeit
kognitive Kapazität
Alkohol
Arousal, starke Emotionen, Stress
Weitere Einflussfaktoren:
• Stimmung, Macht
152
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Einfluss von Stereotypen und Zeitdruck
Van Knippenberg et al. (1999):
- „Eindruck bilden bzgl. einer kriminellen Handlung“
- Einbruch in ein Haus und Diebstahl diverser Gegenstände
-
UV1: Manipulation Stereotyp: positiv vs. negativ
Versuchspersonen lesen Informationen über den Delikt
UV2: geringer oder hoher Zeitdruck beim Lesen
Abhängige Variablen:
1. schuldig vs. nicht schuldig
2. Wahrscheinlichkeit, dass der Angeklagte die Tat begangen hat
3. Länge der Gefängnisstrafe
Ergebnisse:
Weiterer Einfluss: Stereotype threat
(Bedrohung durch Stereotype)
Es gibt in den USA einen statistischen Unterschied in Bezug auf die Leistungen verschiedener
kultureller Gruppen bei wissenschaftlichen Prüfungen.
Amerikaner asiatischer Herkunft schneiden trotz beträchtlicher Überschneidung als Gruppe etwas
besser ab, als Angloamerikaner, und die wiederum besser als Afroamerikaner.
Warum ist das so?
Dafür könnte es eine ganze Reihe von Erklärungen geben — wirtschaftliche, kulturelle, historische,
politische.
Doch ein wichtiger Einflussfaktor hat etwas mit der Situation und mit der Angst, die durch negative
Stereotype hervorgerufen wird, zu tun.
153
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Die meisten Afroamerikaner haben in einer Prüfungssituation Angst davor, das negative kulturelle
Stereotyp von der „intellektuellen Unterlegenheit“ zu bestätigen.
Diese zusätzliche Belastung beeinträchtigt die Fähigkeit, in solchen Situationen gute Leistungen zu
erbringen.
Die Wirkungen des Phänomens wurden auch in anderen Leistungsbereichen nachgewiesen wie
z.B. Schwarze Sportler schnitten bei einem Minigolfspiel schlechter ab als weiße, wenn es hieß,
dieses Spiel sei ein Maß für „strategische Intelligenz im Sport“.
Galt das spiel als Maß für „natürliche Begabung im Sport“, trat das Gegenteil ein:
Die schwarzen Sportler zeigten besondere Leistungen als die weißen.
Das Phänomen gilt auch für die Geschlechter:
(Spencer, Steele & Quinn, 1999)
Das übliche Stereotyp lautet, dass Männer in Mathematik besser sind als Frauen.
Als man Frauen bei einem Experiment in diesem Sinne glauben machte, ein bestimmter Test sei
dazu entwickelt worden, die Unterschiede hinsichtlich der mathematischen Fähigkeiten von
Männern und Frauen zu messen, schnitten sie nicht so gut ab wie die Männer
- Wurde ihnen jedoch in einer anderen Versuchsbedingung gesagt, der Test habe nichts mit
Unterschieden zwischen Männern und Frauen zu tun, waren ihre Leistungen gleich.
• Beobachtung: Frauen sind bei schwierigen Mathe-Tests weniger erfolgreich als Männer
• Sozialisation? Genetik?
• Situationale Erklärung
- Wissen um Stereotyp
- Sorge, Stereotyp zu erfüllen, kann Performanz beeinträchtigen.
—> „Stereotype threat“
154
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Erweiterung der Studie:
Kultureller Stereotyp: „Asiaten sind besser in Mathematik“
Dieses Phänomen gibt es sowohl bei Frauen, als auch bei Männern.
Beide zeigten schlechtere Leistungen, wenn sie davon ausgingen, mit asiatischen Männern
verglichen zu werden.
- In mehr als 300 Studien konnte man nachweisen, dass die Bedrohung durch Stereotype nicht
nur bei vielen Afroamerikanern und Frauen aus allen Ethnien, sondern auch bei
Lateinamerikanern, Personen aus unteren Einkommensschichten und älteren Menschen die
Testleistung beeinflussen kann.
Sie zeigen alle bessere Leistung, wenn sie sich selbst nicht bewusst sind, dass sie einer mit
negativen Stereotypen besetzten Gruppe angehören.
Je stärker sich Personen des Stereotyps zu ihrer Gruppe bewusst sind, desto eher wirkt sich
das auf ihre Leistungen aus.
Fazit:
Stereotype threat
• Vielfach repliziert - Dunkelhäutige Amerikaner und standardisierte Tests
- Lateinamerikaner und Mathematik
- Ältere Menschen und Gedächtnis
- …
• Stereotype threat geschieht, wenn…
- die relevante Kategorie salient ist.
- die Domäne relevant ist
- der Test vermeintlich diagnostisch ist
- einem das Testergebnis wichtig ist
4.) Maßnahmen gegen den Einfluss von Stereotypen
• Stereotyp unterdrücken
Macrae et al. (1994)
-
Foto eines Skinhead gezeigt
Text 1: Typischen Tag dieser Person beschreiben
UV1: Stereotyp unterdrücken vs. KG
Foto eines weiteren Skinheads gezeigt
Text 2: Typischen Tag auch dieser Person beschreiben
AV: Stereotypikalität der Texte
155
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
„Einladung zum Stereotypen schreiben“
Der anderen Gruppe wurde gesagt —> „Lass sich bitte nicht von deinen Stereotype beeinflussen“
Ergebnisse:
Rebound Effekt:
Unerwünschte und unterdrückte Rückkehr von Gedanken, die in verstärktem Maße zurückkehren.
Lief gleich ab, bis auf zweite Phase.
(Diesmal wirst du die Person treffen— Person war noch nicht da, nur die Klamotten — Die Person
kam nicht. Gemessen wurde wo sich die Person hingesetzt hat. „Wie weit weg setzen sich die
VPN“)
Andere Maßnahmen:
• Gegenkorrektur von Urteilen
• Aktivierung stereotyp-inkonsistenter Information
• Einbezug individueller Informationen
Bedingungen:
1. Einfluss von Stereotypen müssen bewusst sein
2. Ausreichend Motivation und Ressourcen zur Kontrolle (Nicht immer einfach)
156
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
5.) Messung von Stereotypen & Vorurteilen
a.) Direkte Verfahren/Fragebögen
Modern Racism Scale
Ein paar „Items“:
1.
2.
3.
4.
5.
It is easy to understand the anger of black people in America.
Blacks have more influence upon school desegregation plans than they ought to have.
Blacks are getting too demanding in their push for equal rights.
Over the past few years blacks have gotten more economically than they deserve.
Over the past few years the government and news media have shown more respect to blacks
than they deserve.
6. Blacks should not push themselves where they’re not wanted.
7. Discrimination against blacks is no longer a problem in the United States.
8. …
157
Sozialpsychologie
Skript 2015
158
Maximilian Bungart
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Subtle & Blatant Prejudice Scales
• Versuch, 2 Arten von Vorurteilen zu erfassen
- Offen
- „West Indians have jobs that the British should have“
- „West Indians come from less able races and this explains why they…“
- Verdeckt/Subtil
- „West Indians living here should not push themselves where they are not wanted“
- „West Indians living here teach their children values and skills different from those…“
• Unterschiedliche Konsequenzen für Verhalten
- Keine vs. subtile vs. direkte Ablehnung
„The instrument comprises 2 main scales (Blatant and Subtle Prejudice) and 5 subscales
(Rejection and Anti-intimacy subscales for Blatant Prejudice Scale and Traditional values, Cultural
differences, and Affective subscales for the Subtle Prejudice Scale). „
159
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
b.) Indirekte Verfahren
•
•
•
•
Direkte Fragen in vielen Bereichen ist schwierig
Erschließen Stereotype/Vorurteile aus Verhalten
Häufig Fokus auf schwer zu kontrollierende Verhaltensaspekte
Beispiele (Überblick: Fazio & Olson, 2003)
- Impliziter Assoziationstest (IAT)
- Single Category IAT
- Affektives Priming
- Affect Misattribution Procedure
- Shooter Bias
Affektives Priming
• Inhalte des impliziten Gedächtnisses beeinflussen das Verhalten, ohne dass man sich dessen
bewusst wird. Menschen bemerken zum Beispiel ihre eigenen Vorurteile nicht. Fazio entwickelte eine objektive Messmethode für Einstellungen. Die Probanden sollen Wörter
(Target) so schnell wie möglich per Tastendruck als positiv oder negativ bewerten, nachdem
ihnen zuvor ein anderer Reiz (Prime) dargeboten wurde.
Dies kann zum Beispiel ein anderes emotionales Wort sein oder auch ein Foto. 160
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Dieser Reiz wird nur für einen kurzen Zeitraum (einige 100 ms)
oder auch unter der Wahrnehmungsschwelle präsentiert
(subliminales Priming). Der Prime-Reiz aktiviert durch Assoziation gleich bewertete
Gedächtnisinhalte. Die Reaktionszeit ist kürzer, wenn Prime und
Target die gleichen Affekte auslösen, also in ihrer Bewertung
kongruent sind. Hingegen ist die Reaktionszeit länger, wenn Prime und Target
unterschiedliche Affekte auslösen, also in ihrer Bewertung
inkongruent sind. Beispiel: Das Wort „freundlich“ wird schneller bewertet (positiv), wenn der Prime-Reiz das Wort
„schön“ ist, als wenn der Prime-Reiz das Wort „hässlich“ ist (inkongruenter Affekt). • Derselbe Effekt tritt auf, wenn man als Prime-Reiz Fotos von Angehörigen der eigenen oder
einer anderen Ethnie verwendet. Auch wenn die Probanden sich selbst für vorurteilsfrei halten,
assoziieren sie signifikant häufiger Fotos von Menschen der eigenen Gruppe mit positiv, die
Fotos anderer Gruppen mit negativ besetzten Wörtern. • Ein Vorteil des affektiven Primings gegenüber herkömmlichen Methoden zur
Einstellungsmessung wie Fragebögen besteht darin, dass die Einstellung der Probanden
indirekt aus ihren Reaktionen erfasst wird. Da die Probanden sehr schnell reagieren müssen und die Priming-Reize für deren eigentliche
Aufgabe (die Bewertung der Target-Reize) irrelevant sind, kann man davon ausgehen, dass die
Ergebnisse des affektiven Primings spontane Bewertungen widerspiegeln.
Damit ist unwahrscheinlicher, dass sie durch die Neigung zu sozial erwünschten Antworten
beeinflusst sind.
161
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
- Prime aktiviert bestimmte Gedächtnisinformation
- Idee: ein Prime der von den meisten als positiv beurteilt wird, aktiviert eine reihe von positiven
Eigenschaften.
- positive info wird vorgewarnt, freundlich drücken einfacher.
- kein positiver prime aktiviert = hemmend
Der Affektive Priming Effekt
- Vergleich von 4 Kombinationen
- t(T+ | P+), t(T+ | P-), t(T- | P+), t(T- | P-)
- Kongruenz-Effekt
- con = (t(T+ | P-) + t(T- | Pü)) - (t(T+ | P+) + t(T- | P-))
Affect Misattribution Procedure (AMP)
War der Prime positiv und das Target
auch, geht es besonders Schnell (die
Einteilung).
War er negativ und das Target auch,
ebenso.
Prime erleichtert die Kategorisierung
des darauf folgenden Stimuli.
Der AMP-Effekt:
162
Sozialpsychologie
Skript 2015
Indirekte Verfahren: Wozu einsetzbar?
1. Erfassung von Stereotypen/Vorurteilen
- Kontextabhängigkeit
2. Vorhersage von Verhalten
- Randbedingungen Motivation und Ressourcen
Vorhersage von Verhalten
Dovidio et al. (2002)
- Erfassung impliziter Vorurteile
- Soziale Interaktionen
- Nacheinander mit weißem und schwarzem Konföderierten
- AV’s:
- Wahrgenommene Freundlichkeit durch Konföderierten
- Nonverbalen Verhalten
- Verbales Verhalten
- Wahrgenommene Freundlichkeit durch Beobachter
Fazit:
• Kein heimlicher Zugang zur „wahren“ Einstellung
• Erfassen anderer Aspekte als direkte Verfahren
- Mehr „automatische“ Prozesse
• Ergänzen direkte Verfahren, ersetzen sie nicht.
163
Maximilian Bungart
Sozialpsychologie
Skript 2015
6.) Warum bleiben Stereotype bestehen?
• Stereotype beeinflussen Wahrnehmung
• Stereotype beeinflussen Interpretation von Information
- Rosenhan (1973): „On being sane in insane places“
• Selbsterfüllende Prophezeiungen
- Rosenthal & Jacobson (1968): „Pygmalion in the classroom“
Überblick: Stereotype sind selbsterhaltend
164
Maximilian Bungart
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
11.) Intergruppenprozesse
(Vorlesung vom 02.02.2015 — Lernziele: Theorie des realistischen Gruppenkonflikts sowie der
sozialen Identitätstheorie (SIT), Minimalgruppen-Paradigma und Zusammenhang mit SIT,
Vorhersagen wann SIT welche Möglichkeiten zum Umgang mit negativen sozialen Identität
wahrscheinlicher sind, Ansätze zur Reduktion von Intergruppenkonflikten, Stärken und Schwächen
dieser Ansätze benennen — Aronson Kapitel 13 + Mummendey & Otten)
Rückblick: Kategorisierung
-
Menschen teilen die Welt in „wir“ und „die“
- Männer vs. Frauen, jung vs. alt, etc.
-
Resultat der Kategorienbildung:
- Unterschiede zwischen Gruppen werden deutlicher gesehen (Akzentuierung)
- Fremdgruppenhomogenität
11.1.) Fremdgruppenhomogenität
Der Glaube, dass „sie“ alle gleich sind.
• Allgemeiner Befund:
Mitglieder einer Eigengruppe neigen zu der Wahrnehmung, die Mitglieder der Fremdgruppe
seien einander ähnlicher (homogener), als dies tatsächlich der Fall ist, und auch homogener,
als die Mitglieder der Eigengruppe es sind.
„Menschen nehmen ihre Eigengruppe variabler wahr als Fremdgruppen“
• Mögliche Gründe:
Wenn man mehr über ein Mitglied einer Fremdgruppe weiß, hat man leicht das Gefühl, etwas
über alle Mitglieder dieser Gruppe zu wissen. (Man kennt mehr Mitglieder der Eigengruppe)
Ein Mitglied der Eigengruppe kennt man sehr gut: sich selber.
—> entspannteres Interaktionsklima mit Eigengruppe
Evidenz:
Quattrone & Jones (1980)
Studie zweier rivalisierender Universitäten: Princeton & Rutgers
Die Rivalität zwischen diesen Colleges beruht darauf, dass man sich dort der sportlichen
Leistungen, des akademischen Niveaus und der sozialen Herkunft bewusst ist (Princeton ist ein
privates, Rutgers ein staatliches College).
Männliche Studenten beider Colleges sahen sich auf Video aufgenommene Szenen an, in denen 3
junge Männer gebeten wurde, eine Entscheidung zu treffen.
165
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
So fragte z.B. auf einem Video der Versuchsleiter den Mann, der an einem Experiment zur
auditiven Wahrnehmung teilnahm, ob er lieber Rockmusik oder lieber klassische Musik hören
wolle.
Den Teilnehmern sagte man entweder, der Mann studiere in Princeton oder in Rutgers, so dass er
für einige Teilnehmer Mitglied der Eigengruppe, für andere Mitglied der Fremdgruppe war.
Die Teilnehmer mussten vorhersagen, wie sich der männliche Student entscheiden würde.
Nachdem sie seine Entscheidung gehört hatten, sollten sie vorhersagen, wie viel % der
männlichen Studenten an dieser Universität dieselbe Entscheidung treffen würden.
Variierten die Voraussagen abhängig vom Eigengruppen- oder Fremdgruppenstatus der
Zielpersonen?
Die Ergebnisse stützten die Hypothese von der Fremdgruppenhomogenität.
•
War die Zielperson Mitglied der Fremdgruppe, so glaubten die Teilnehmer, dass ihre
Entscheidung eher das vorhersagen würde, was die Mitglieder ihrer Gruppe entscheiden
würden, als wenn er Mitglied der Eigengruppe gewesen wäre (Student am eigenen College).
•
Man fand eine Verzerrung in Richtung Fremdgruppenhomogenität:
Die Studenten dachten, die Mitglieder der Fremdgruppe seien einander ähnlicher, während sie
innerhalb ihrer Eigengruppe eher Unterschiede beobachteten.
11.2.) Theorie des realistischen Gruppenkonflikts
(Vorurteile & wirtschschaftliche Konkurrenz)
Was sind die Gründe für Konflikte zwischen Gruppen?
• Eine der offensichtlichsten Quellen für Konflikte und Vorurteile ist schließlich Konkurrenz — um
knappe Ressourcen, politische Macht und sozialen Status.
• Die Probleme der Fremd- und Eigengruppe werden durch den tatsächlichen wirtschaftlichen
und politischen Wettbewerb und durch Statuskonkurrenz verstärkt.
166
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Die Theorie des realistischen Gruppenkonflikts besagt, dass begrenzte Ressourcen zu einem
Konflikt zwischen Gruppen sowie zu Vorurteilen und Diskriminierung führen.
Annahmen:
- Gruppenkonflikte entstehen aus dem Wettbewerb um knappe Ressourcen
- Positive Abhängigkeit —> Kooperation
- Negative Abhängigkeit —> Konflikt
Entscheidend für:
- Identifikation mit Eigengruppe
- Solidarität innerhalb der Gruppen
- Bewertung von Eigen- und Fremdgruppe
Die Veränderung im Hinblick darauf, worauf sich die Wut der Mehrgruppe richtet, legt nahe, dass
sich Mitglieder der Fremdgruppe stärker bedroht fühlen, und dass Vorfälle mit Vorurteilen,
Diskriminierung und Gewalt gegenüber Mitgliedern der Fremdgruppe zunehmen.
Evidenz:
„The Robber’s Cave Experiment“ — Muzafer Sherif et al. (1961)
Sie testeten die Theorie des Gruppenkonflikts in der natürlichen Umgebung eines
Pfadfinderlagers.
Phase 1:
Die Teilnehmer des Lagers waren gesunde, angepasste
12-jährige Jungen, die nach dem Zufallsprinzip 1 von 2
Gruppen zugeteilt wurden,den :
- Adlern (Eagles) oder
- Klapperschlangen (Rattlers)
• Jede Gruppe hatte ihre eigene Hütte, und die beiden
Hütte lagen ein ganzes Stück voneinander entfernt,
um den Kontakt zwischen den beiden Gruppen zu
erschweren.
Durch angenehme Aktivitäten wie Wandern und Schwimmen, die gemeinsame Arbeit an
verschiedenen Bauprojekten, die Vorbereitung von Gruppenmahlzeiten und so weiter, sollte das
Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppenmitglieder gestärkt werden.
-
isoliert voneinander
getrennte Quartiere
eigene Normen
eigene Aktivitäten
Phase 2: (Intergruppenkonflikt)
Nachdem sich innerhalb der beiden Gruppen tatsächlich solche Gefühle entwickelt hatten,
veranstalteten die Forscher eine Reihe von Wettbewerben, bei denen die beiden Gruppen
gegeneinander antraten — z.B. Football, Baselball und Tauziehen.
167
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
(Eagles & Rattlers beim Tauziehen und „capture the flag“)
Diese Spiele führten zu Konflikten und Spannungen zwischen den beiden Gruppen. Die Forscher
schufen andere Situationen, um den Konflikt zu fördern:
• Sie organisierten eine Lagerparty, teilten den Gruppen aber unterschiedliche Anfangszeiten mit,
um sicherzustellen, dass die Adler geraume Zeit vor den Klapperschlangen eintreffen würden.
• Auch die Snacks, die bei dieser Party angeboten wurden, waren von zweierlei Art:
- Die eine Hälfte war frisch und appetitanregend
- Die andere zermatscht und unappetitlich.
• Wie zu erwarten, stürzten sich die Adler, die früh eingetroffen waren, zufrieden auf die leckeren
Snacks, während die zu spät gekommenen Klapperschlangen mit dem, was sie vorfanden,
nicht glücklich waren.
Sie begannen, die Adler dafür zu beschimpfen, dass sie gierig seien. Da die Adler glaubten, verdient zu haben, was sie bekommen hatten („wer zuerst kommt, mahlt
zuerst“), ärgerten sie sich über die Beschimpfungen und zahlten es den Klapperschlangen in
gleicher Münze heim.
• Schon bald beschimpften sich die Gruppen nicht nur, sondern bewarfen sich auch mit
Lebensmitteln; schließlich kam es zu einer ausgewachsenen Schlägerei
- Gruppen treten in Wettbewerb
- (Antezedenzien und) Folgen:
- Abwertung der anderen Gruppe (verbal und physisch)
- Aufwertung der eigenen Gruppe
168
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Phase 3: (Kooperation)
Nach diesem Vorfall versuchten die Forscher, die Feindseligkeit, die sie gefördert hatten, wieder
abzubauen.
• Sie veranstalteten keine Wettbewerbe mehr, aber dadurch wurde die Feindseligkeit, die zuvor
genährt worden war, nicht beseitigt.
Tatsächlich eskalierten die Feindseligkeiten auch weiterhin, selbst wenn die Gruppen sich nur
gemeinsam einen Film ansahen.
• Schließlich gelang es den Forschern jedoch, die Feindseligkeit zwischen ihnen zu verringern.
- Beenden des Wettbewerbs alleine reicht nicht
- Gemeinsame Ziele, Notwendigkeit zur Zusammenarbeit
- Folge: Abbau von Feindseligkeiten
Ergebnisse:
Als die Adler und die Klapperschlangen in Konkurrenz miteinander standen, hatten nur sehr
wenige der Jungen in beiden Gruppen Freunde aus der anderen Gruppe.
Spannungen zwischen den Gruppen wurden erst abgebaut, nachdem die Jungen miteinander
kooperiert hatten, um gemeinsam Vorrechte zu bekommen, und die Jungen begannen,
Freundschaften über „die feindlichen Linien“ hinweg zu schließen.
Wann durch Kontakt Vorurteile abgebaut werden: 6 Bedingungen
1.
Wechselseitige Interdependenz
Die Notwendigkeit, sich aufeinander zu verlassen, um ein Ziel zu erreichen, das für beide
wichtig ist.
2.
Ein gemeinsames Ziel
169
Sozialpsychologie
3.
Skript 2015
Maximilian Bungart
gleicher Status
Keiner war der Boss und keiner der weniger einflussreiche Angestellte. Ist der Status
ungleich, können die Interaktionen leicht stereotypen Mustern folgen. Doch geht es bei den
Kontakten ja grade darum, zu lernen, dass die Stereotype nicht zutreffen; Kontakt und
Interaktion sollten dazu führen, negative stereotype Vorstellungen zu widerlegen.
4.
zwangloser zwischenmenschlicher Kontakt
Kontakt muss in einer freundlichen, zwanglosen Umgebung stattfinden, in der die Mitglieder
der Eigengruppe ungehindert mit den Mitgliedern der Fremdgruppe interagieren können.
Gruppen in einem Raum zusammenbringen, in dem sie getrennt bleiben können, wird ihr
Verständnis füreinander und ihr Wissen über die andere Gruppe nicht sonderlich Fördern.
5.
mehrere typische Mitglieder der Fremdgruppe
Es müssen mehrere Mitglieder der Fremdgruppe vorhanden sein; andernfalls kann man das
Stereotyp aufrechterhalten, indem man sie als besondere Ausnahmen einstuft.
6.
soziale Normen, die die Gleichheit unter Gruppen fördern und unterstützen
Soziale Normen üben einen großen Einfluss aus; hier können sie genutzt werden, um
Menschen dazu zu motivieren, Mitgliedern der Fremdgruppe die Hand zu reichen.
Fazit:
2 Gruppen werden ihre wechselseitigen Stereotype, ihre Vorurteile und ihr diskriminierendes
Verhalten eher ändern, wenn diese 6 Bedingungen erfüllt sind:
•
•
•
•
Beide Parteien müssen gegenseitig voneinander abhängig sein
sie haben Möglichkeiten für informellen Kontakt miteinander
es gibt mehrere Mitglieder in jeder Gruppe
die umfassenderen sozialen Normen fördern die Gleichberechtigung
Kritik:
• Interessenskonflikt notwendige Bedingung für Konflikt? —> keine Kontrollgruppe
• Objektiver vs. subjektiver Interessenskonflikt
• Intergruppeneinstellungen bereits vor Beginn der Wettkämpfe beobachtet
170
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
11.3.) Minimale Gruppen
(Frage in Vorlesung: „Welches der Bilder gefällt ihnen besser?“)
Das Minimalgruppen-Paradigma:
Welche Bedingungen sind tatsächlich notwendig und hinreichend für das
Auftreten von sozialer Diskriminierung zwischen Gruppen?
Tajfel, Billig, Bundy & Flament (1971) wandten sich dieser Frage zu und
etablierten das Minimalgruppen-Paradigma (minimal group paradigm, MGP).
Ziel war es, den Effekt reiner Kategorisierung auf das Verhalten zwischen
Gruppen zu prüfen. Die Versuchsleiter teilten den am Versuch teilnehmenden
Schuljungen mit, dass sie auf der Grundlage ihrer zuvor ermittelten Vorliebe für 1 von 2 abstrakten
Malern in 2 Gruppen eingeteilt würden.
- Tatsächlich erfolgte diese Zuordnung nach dem Zufall.
Dabei erfuhren die Jungen nur, zu welcher Gruppe sie selbst zugeordnet wurden. Die anderen
Mitglieder ihrer eigenen und der anderen Gruppe wurden mit Code-Nummern gekennzeichnet
und blieben im Übrigen anonym.
- Dann wurden sie gebeten, kleinere Geldbeträge jeweils 2 anderen Teilnehmern zuzuteilen, von
denen nur deren Gruppenzugehörigkeit, entweder zur eigenen oder zur anderen Gruppe,
mitgeteilt wurde.
Die Versuchsteilnehmer konnten das Geld immer nur anderen, niemals aber sich selbst
zuteilen.
Mit dieser Vorgehensweise wurden die Kriterien des MGP erfüll:
a.) keine face-to-face Interaktion der Probanden (sei es innerhalb oder zwischen den Gruppen)
b.) Anonymität der Gruppenmitgliedschaft
c.) Fehlen jeglicher instrumentellen oder rationalen Verknüpfung zwischen Art der
Gruppeneinteilung und Art des Verhaltens zwischen den Gruppen.
d.) kein persönlicher Nutzen der geforderten Verhaltensweisen
e.) die Verhaltensweisen stellten für die Probanden reale und bedeutsame Entscheidungen dar.
171
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Das Paradigma sollte eine extrem reduzierte Intergruppensituation schaffen, von der dann durch
sukzessive Anreicherung mit weiteren Faktoren schließlich der kritische Faktor identifiziert werden
sollte, der zu sozialer Diskriminierung bzw. Favorisieren der eigenen und Abwertung der anderen
Gruppe führte.
Mittels unterschiedlicher Aufteilungsmatrizen wurde gemessen, in welchem Ausmaß jeder einzelne
Proband jeweils verschiedene Aufteilungsstrategien bevorzugte.
So konnte jeder z.B. den gemeinsamen Gewinn von Eigengruppe und Fremdgruppe maximieren,
zwischen Eigen- und Fremdgruppe gleich aufteilen oder einfach den Gewinn der Eigengruppe
maximieren.
Verteilungsstrategien:
1.
„Fairness“
- gleiche Verteilung von Punkten zwischen den Gruppen.
2.
„Maximum Joint Profit“
- maximale Punktzahl unabhängig von der Gruppenzugehörigkeit.
3.
„Maximum Ingroup Profit“
- maximale Punktzahl für eigene Gruppe
4.
„Maximum difference“
- maximale Differenz zwischen den Gruppen zum Vorteil der eigenen Gruppe
172
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Die Ergebnisse waren ebenso eindeutig wie überraschend:
- Neben deutlichen Tendenzen, zwischen Mitgliedern der eigenen und der anderen Gruppe fair
(d.h. in diesem Fall gleich) aufzuteilen, bevorzugten die Probanden selbst unter diesen
minimalen Bedingungen Mitglieder der eigenen Gruppe vor denen der Fremdgruppe.
Mehr noch; wichtiger als der absolute schien oft für die Probanden der relative Gewinn für die
Eigengruppe zu sein:
Wenn eine Aufteilungsentscheidung entweder der Maximierung des Eigengruppengewinns oder
aber der Maximierung der positiven Differenz zwischen Eigen- und Fremdgruppe dienen konnte,
war letzteres das bedeutsamere Motiv.
Diskriminierung im MGP hat sich im Laufe der folgenden Forschung als bemerkenswert robuster
Effekt erwiesen.
- Studien in verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Gruppen von Probanden und variierten
abhängigen Maßen zeigen immer wieder das grundlegende Ergebnis:
Die einfache, ja triviale Kategorisierung in 2 soziale Gruppen reicht anscheinend aus, um
diskriminierendes Verhalten gegenüber der Fremdgruppe hervorzurufen („reiner
Kategorisierungseffekt“).
Explizite Konflikte bzw. realistischer Wettbewerb zwischen Gruppen scheint nur indirekt zu
wirken, indem er die Kategorisierung deutlicher bzw. bedeutsamer macht und damit das
Ausmaß der Diskriminierung noch verstärkt.
11.4.) Die Theorie der sozialen Identität (SIT)
2 Fragen die sich aus den Experimenten des MGP gebildet haben:
1. Warum veranlassen beliebige und bedeutungslose Kategorisierungen in Eigen- und
Fremdgruppe Personen dazu, soziale Diskriminierung zugunsten der eigenen Gruppe zu
zeigen?
2. Warum ist anstelle einer deutlichen Maximierung des Gewinns für die eigene Gruppe
stattdessen mehr Wert auf die Maximierung der Differenz zwischen eigener und fremder
Gruppe, und zwar zugunsten der ingroup gelegt worden?
Ausgangspunkt der Theorie:
- Das Selbstkonzept wird nicht nur über solche Merkmale bestimmt, die das Individuum als
einzigartig definiert und von anderen Individuen unterscheidet (personale Identität), sondern
auch über Gruppenmitgliedschaften, also sozial geteilte Merkmale (soziale Identität).
Abhängig von der Art der Situation werden sich Individuen eher über ihre personale oder eher
über ihre soziale Identität definieren.
Das Herzstück der SIT:
- Soziale Vergleiche zwischen Gruppen, die für die Bewertung der sozialen Identität von
Bedeutung sind, drängen in die Richtung auf eine Distinktheit der Eigengruppe („Ingroup“) von
der anderen, Fremdgruppe („Outgroup“) mit dem Ziel, eine positive Selbstbewertung im Sinne
dieser sozialen Identität zu ermöglichen.
173
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Die SIT verknüpft also 4 theoretische Konzepte:
1.
2.
3.
4.
soziale Kategorisierung
soziale Identität
sozialer Vergleich
soziale Distinktheit
zu einem funktionalen Modell:
- Über den Prozess der sozialen Kategorisierung teilen Individuen ihre soziale Welt auf
Grundlage von Merkmals- und Wertdimensionen in soziale Kategorien oder Gruppen ein.
Sie unterscheiden zwischen „Ingroup“ und „Outgroup“.
Diese Kategorisierung dient zur Orientierung in der sozialen Realität und über den eigenen
Platz darin. Aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe und aus der Art der
Beziehungen dieser zu anderen Gruppen bestimmt sich die soziale Identität eines Individuums.
- Informationen über die Charakteristika dieser sozialen Identität gewinnt das Individuum über
Ergebnisse von sozialen Vergleichen zwischen der eigenen und der anderen Gruppen.
Diese können auf unterschiedlichen Vergleichsdimensionen stattfinden.
Jedes Individuum ist bestrebt, eine positive soziale Identität zu besitzen.
- Positiv wird sie, wenn soziale Vergleiche zwischen Ingroup und Outgroup positive Ergebnisse
zugunsten der Ingroup ergeben.
- Es wird ein Bedürfnis nach positiver sozialer Identität angenommen, das mit dem Wunsch
einhergeht, eine positiv bewertete Distinktheit der Ingroup im Vergleich zur Outgroup
herzustellen, aufrechtzuerhalten oder zu vergrößern.
—> geschieht, wenn sie sich mit ihrer Ingroup identifizieren.
Der „Kategorisierungseffekt“ findet nur unter spezifischen Bedingungen statt:
a.) die Identifikation mit der Ingroup
b.) ein in der Situation verfügbarer Intergruppenvergleich auf relevanten Bewertungsdimensionen.
c.) die Verfügbarkeit einer relevanten Vergleichsgruppe
Die SIT erstreckt ihre Annahmen über psychologische Prozesse des Intergruppenverhaltens auf
Bedingungen von Intergruppenbeziehungen in komplexen und differenzierten gesellschaftlichen
Kontexten.
Die Beziehungen zwischen sozialen Gruppen in natürlichen sozialen Kontexten sind durch die
wahrgenommenen Statusbeziehungen der Gruppen zueinander bestimmt.
- Mitglieder können ihre Gruppe in statusgleicher, unterlegener oder überlegener Statusposition
sehen.
Diese Positionen implizieren negative oder positive Vergleichsergebnisse zur Outgroup und
dementsprechend zufriedenstellend oder nicht zufrieden stellende Informationen für die
Bewertung der eigenen sozialen Identität.
174
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Was tut man bei negativer sozialer Identität?
Strategien für die positive Distinktheit der eigenen Gruppe
1.) Soziale Mobilität
• Mitglieder einer statusinferioren Gruppe können entweder ihre Gruppe verlassen, oder zu einer
statushöheren aufsteigen.
2.) Sozialer Wettbewerb
• Sie können versuchen, durch direkten Wettbewerb mit der Outgroup um die überlegene
Position auf der bestehenden Vergleichsdimension die Statusbeziehung zwischen In- und
Outrgroup umzukehren und mit der Position ihrer Gruppe ihre soziale Identität kollektiv zu
verbessern.
• Bürgerbeweung
• Lobbyismus
• Krieg
In beiden Fällen (1 und 2) handelt es sich um faktische Verhaltensweisen zur Verbesserung der
sozialen Identität.
Anstelle der tatsächlichen Veränderung der eigenen Position im spezifischen Statusvergleich
besteht aber auch die Möglichkeit der kognitiven Umdeutung oder Veränderung der
Vergleichsparameter:
3.) Soziale Kreativität
• Mit sozialer Kreativität kann durch „Umdefinition“ eine neue und für die soziale Identität
günstigere Vergleichssituation „erfunden“ werden:
a.) eine neue Vergleichsdimension wird gefunden.
b.) mit der Umkehrung ihrer Bewertungsrichtung wird eine Uminterpretation vorgenommen.
c.) nicht die Vergleichsdimension, sondern die Vergleichsgruppe wird verändert.
(Neue Vergleichsdimension suchen, Werte bestehender Dimension
umdefinieren, Vergleich mit anderen Fremdgruppen)
Diese Veränderungen können aber nur dann Auswirkungen auf die soziale Identität von Mitgliedern
einer Gruppe haben, wenn die resultierenden neuen Bewertungen sowohl von der Ingroup
konsensual geteilt werden als auch zumindest längerfristig von der Outgroup angenommen
werden.
Das Grundmuster sozialen Verhaltens zwischen Gruppen ist zu jeder Zeit sozialer Wettbewerb um
positive soziale Identität; sie wird nur auf Kosten der jeweiligen Outgroup erreicht; Verhalten
zwischen sozialen Gruppen ist „Kampf um Anerkennung“.
• Wird eine inferiore Gruppe versuchen positive Distinktheit gegenüber einer dominanten Gruppe
zu erlangen?
• Sozialer Wettbewerb wahrscheinlicher, wenn:
- Gruppengrenzen undurchlässig, Statussystem instabil oder als illegitim empfunden.
• Fremdgruppenfavorisierung (!) bei geringem Status wenn Statussystem stabil und legitim.
175
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Übersicht:
Realistischer Konflikt vs. Soziale Identitätstheorie
• Theorie des realistischen Konflikts:
- Wettbewerb um Ressourcen als Ursache von Konflikten.
• Soziale Identitätstheorie:
- Salienz bestimmt, welche Identität in einer Situation dominant wird
- Verhalten maßgeblich bestimmt durch Normen, Werte & Überzeugungen der aktivierten
sozialen Identität
- Wettbewerb um positive soziale Distinktheit als Ursache von Konflikten ausreichend
Bedingungen:
- Internalisierung eigener Gruppenmitglieder
- soziale Vergleiche möglich
- Outgroup ist relevant.
176
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
11.5.) Ansätze zur Reduktion von Konflikten
Voraussetzungen für Formen des Intergruppenverhaltens wie etwa die Favorisierung der eigenen
Gruppe oder die soziale Diskriminierung einer Fremdgruppe liefert demnach:
a.) die Salienz einer sozialen Kategorisierung als kognitive Präsentation der Realität
b.) das Streben nach der Herstellung oder Aufrechterhaltung einer auf der salienten
Kategorisierung gegründeten positiven sozialen Identität in einer gegebenen Situation.
Folglich setzen Überlegungen zur Verbesserung von Intergruppenbeziehungen und zur positiveren
Haltung gegenüber Fremdgruppen an diesen beiden Prozessen an.
- Zum einen bei der Verringerung der Salienz der Kategorisierung in Ingroup und Outgroup
- Zum anderen bei der Ausweitung des Angebots an Bereichen für die Herstellung einer positiven
sozialen Identität.
Es lassen sich 4 verschiedene Möglichkeiten zur Verbesserung der Beziehungen zwischen
Ingroup und Outgroup ableiten. (Kontakt, Dekategorisierung, Rekategorisierung & wechselseitige
Differenzierung).
1.) Kontakthypothese & deren 6 Bedingungen (Siehe 12.2.)) —> möglich, aber nicht einfach.
Kann Kontakt Stereotype verändern?
Funktioniert Kontakt nie?
• Meta-Analyse (Pettigrew & Tropp, 2006):
Personen mit mehr Intergruppenkontakt haben weniger Stereotype und Vorurteile.
• Mediatoren des Effekts:
1. Kontakt erhöht Wissen über die Fremdgruppe.
2. Kontakt reduziert Angst/Sorge bzgl. Fremdgruppenkontakt.
3. Kontakt erhöht Empathie und Perspektivenübernahme
• Mehr Kontakt von Personen mit a priori weniger Vorurteilen?
177
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
2.) Andere Möglichkeiten
a.) Dekategorisierung (Brewer & Miller, 1984)
(Individualität einer Person im Vordergrund)
Die Wahrnehmung der Gruppenmitglieder bewegt sich von der mittleren Gruppenebene herunter
auf die Ebene der personalen Selbstkategorisierung.
Zuvor gleichförmige und austauschbare Gruppenmitglieder werden zu jeweils unverwechselbaren
Individuen.
Dieser Prozess der Differenzierung ermöglicht Interaktionen nicht mehr zwischen Gruppen,
sondern zwischen einzelnen Individuen mit ihren jeweiligen individuellen Besonderheiten.
Von der Übung im personalisierten Kontakt mit Outgroup-Mitgliedern verspricht man sich die
langfristige Verbesserung der Haltung zur anderen Gruppe im Allgemeinen.
b.) Rekategorisierung (Gaertner et al., 1989)
(Kategorisierung auf höherer Ebene)
Im Gegensatz zur Personalisierung zielt er nicht auf die Auflösung von Kategorisierung, sondern
auf eine neue Kategorisierung auf der nächst höheren Inklusionsebene.
Die Mitglieder die zuvor einer Outrgroup angehörten, werden nun Mitglieder der neuen Ingroup
und profitieren von der Eigengruppen-Favorisierung, nämlich der mit der Identifikation mit einer
gemeinsamen Ingroup („common-ingroup“) einhergehenden positiven Beziehung.
Fazit 1. & 2.:
Die ersten beiden Modelle setzen auf Prozesse, die die gegebene Salienz einer sozialen
Kategorisierung aufbrechen und auf diese Weise die für die Outgroup problematischen Effekte
beseitigen.
Jedoch setzt das voraus, dass Individuen bereitwillig ihre mit der ursprünglichen Kategorisierung
verbundene soziale Identität aufgeben.
Eine Alternative zur Verringerung der Kategorisierungssalienz liegt im Aufbrechen der negativen
Interdependenz zwischen In- und Outgroup beim Streben nach positiver sozialer Identität.
c.) Wechselseitige Distinktheit (Hewstone & Brown, 1986)
(Anerkennung wechselseitiger Überlegenheit)
Ein Weg dazu führt über die Vergrößerung der Anzahl von Vergleichsdimensionen.
Es attackiert gerade nicht die Salienz der sozialen Kategorisierung, sondern hebt diese im
Gegenteil noch hervor. Zugleich sucht dieses Modell die Lösung intergruppaler Konflikte in der
Milderung des sozialen Wettbewerbs um Überlegenheit zur Stützung der eigenen positiven
sozialen Identität.
Eine Möglichkeit wäre z.B. die Zuweisung komplementärer Rollen zu den beiden Gruppen bei der
Kooperation zur Lösung von Aufgaben oder Bewältigung von Problemen.
178
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Die Generalisierung sollte deshalb leichter fallen als bei 1.) und 2.), weil die Ebene der
Kategorisierung nicht gewechselt werden muss.
Die erhöhte Genrealisierbarkeit macht natürlich bei positiven Effekten nicht Halt, sondern wirkt
auch dann, wenn die Effekte der Interaktion zwischen Gruppenmitgliedern negativ waren.
z.B. Führte die Kooperation an einer gemeinsamen Aufgabe zu einem Misserfolg, so würde es
dann nicht bei der Verschlechterung der Beziehung bleiben, sondern vielmehr wäre die
Wahrscheinlichkeit hoch, dass z.B. negative Einstellung oder unterstellte negative Eigenschaften
auf die Outgroup allgemein übertragen werden.
12.) Intragruppenprozesse
(Vorlesung vom 09.02.2015 — Lernziele: soziale Erleichterung & Inhibierung, wann und wie?,
welche Auswirkungen auf Leistungen, Brainstorming-Sitzung, Hidden Profile Paradigma,
Gruppepolarisation und Gruppendenken, Entstehung und Vorbeugung — Aronson Kapitel 9,
Gollwitzer Kapitel 15)
12.1.) Allgemeines zu Gruppen
Was ist eine Gruppe?
• Eine Gruppe besteht aus 2 oder mehr Personen, die miteinander interagieren und insofern
interdependent sind, also ihre Bedürfnisse und Ziele eine gegenseitige Beeinflussung bewirken.
Warum schließen sich Menschen Gruppen an?
• Das Bedürfnis nach Zusammengehörigkeit könnte angeboren sein.
• Gruppen dienen auch als Informationsquelle über die soziale Welt und machen einen wichtigen
Teil unserer sozialen Identität aus.
• Menschen reagieren sehr sensibel auf Ablehnung durch Gruppen und machen alles, was sie
können, um das zu vermeiden.
• Gruppen erzeugen in ihren Mitgliedern auch das Gefühl, sich klar von Mitgliedern anderer
Gruppen zu unterscheiden.
Zusammensetzung und Funktionen von Gruppen
• Gruppen bestehen am ehesten aus homogenen Mitgliedern, zum Teil deshalb, weil in Gruppen
soziale Normen gelten, deren Befolgung erwartet wird.
Soziale Normen
Normen im Bezug darauf, welches Verhalten akzeptabel ist; die Einhaltung einiger dieser Normen
wird von allen erwartet, andere variieren von Gruppe zu Gruppe.
• Gruppen verfügen auch über klar definierte soziale Rollen und gemeinsame Erwartungen an
das Verhalten ihrer Mitglieder.
Soziale Rollen
Gruppeninterne gemeinsame Erwartungen dazu, wie sich bestimmte Personen verhalten sollten.
Während Normen Regeln angeben, die für alle gelten, definieren Rollen, wie sich Personen, die
innerhalb der Gruppe bestimmte Positionen einnehmen, zu verhalten haben.
179
Sozialpsychologie
•
Skript 2015
Maximilian Bungart
•
•
Man kann sich so weit in seine soziale Rolle hinein begeben, dass die persönliche Identität und
die Persönlichkeit verloren gehen.
Soziale Rollen werden durch unsere Kultur geformt.
Die geschlechtsspezifischen Rollen haben sich während der vergangenen Jahrzehnte in den
USA und in Europa stark verändert, obwohl Studien zur Werbung darauf hindeuten, das
Frauen immer noch häufiger in untergeordneten Rollen dargestellt werden als Männer.
Gruppenkohäsion, also die Aspekte einer Gruppe, die die Mitglieder aneinander binden und die
Zuneigung innerhalb der Gruppe fördern, ist eine weitere wichtige Eigenschaft von Gruppen,
die die Leistung der Gruppe beeinflusst.
•
12.2.) Intragruppenbeziehungen
Einfluss der Anwesenheit anderer auf individuelles Verhalten
(„Individualverhalten im Kontext der Gruppe“)
In Gruppen kann es einen massiven sozialen Einfluss geben, denn sie neigen dazu, spontan
Normen und Standards zu entwickeln, die wiederum Verhalten und Meinungen der
Gruppenmitglieder massiv beeinflussen oder zumindest bahnen.
Der Einfluss kann explizit sein (durch Gesetze und Regeln), oder implizit (durch die nicht
ausgesprochene Erwartungen).
1.) Die Soziale Erleichterung
• Eine andere Form sozialer Beeinflussung durch eine Gruppe ist durch die bloße Anwesenheit
anderer Personen gegeben.
z.B. hat sich in vielen Untersuchungen gezeigt, dass Menschen bestimmte Aufgaben schneller
und besser bearbeiten, wenn noch weitere Personen anwesend sind.
Dieses Phänomen wurde von Allport (1920) als soziale Erleichterung (social facilitation) und
später etwas allgemeiner als „Mere-Presence-Effekt“ bezeichnet.
180
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Soziale Erleichterung wurde auch bei Tieren nachgewiesen:
Ratten führen in Anwesenheit anderer Ratten eine motorische Geschicklichkeitsaufgabe
schneller durch als alleine.
Ameisen schleppen Baumaterial für das Nest schneller, wenn andere Ameisen anwesend sind.
Kakerlaken lernen ein Vermeidungsverhalten schneller in Anwesenheit anderer Kakerlaken.
2.) Die Soziale Hemmung
• In vielen Untersuchungen zeigte sich sogar das Gegenteil, dass nämlich die Anwesenheit
anderer das eigene Verhalten eher hemmte als erleichterte.
Dieses Gegenphänomen wurde als „soziale Hemmung“ (social inhibition) bezeichnet.
„Arousal Theorie“
Eine Theorie zur Erklärung der Divergenz zwischen sozialer Erleichterung und sozialer Hemmung
stammt von Robert Zajonc (1965).
1.
Er nahm an, dass die Anwesenheit anderer zu einem Anstieg des Erregungsniveaus einer
Person führte.
Dies sei evolutionär sinnvoll, schließlich kann man nicht genau vorhersagen, ob eine Person
einem wohl besonnen ist oder nicht.
2.
Im Zustand eines erhöhten Erregungsniveaus die Ausführung dominanter, gut gelernter
Verhaltensweisen begünstigt. („Soziale Erleichterung“)
3.
Die Ausführung neuer, schwieriger, ungeübter Verhaltensweisen wird hingegen jedoch
erschwert. („Soziale Inhibierung“)
181
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Macht die bloße Tatsache, dass andere Menschen anwesend sind, einen Unterschied aus, selbst
wenn Sie mit ihnen zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Form sprechen oder interagieren?
Evidenz:
Überprüfung mit Kakerlaken — Zajonc (1965)
Robert Zajonc (et al.) baute eine Vorrichtung, um zu untersuchen, wie das Verhalten von
Kakerlaken durch die Anwesenheit anderer Kakerlaken beeinflusst wurde.
Die Forscher brachten an einem Ende einer Laufstrecke eine helle Lichtquelle an (die Kakerlaken
verabscheuen) und maßen die Zeit, die die Schabe brauchte, um dem Licht zu entkommen, indem
sie an das andere Ende lief und in eine abgedunkelte Nische kroch.
„Bewältigte die Schabe diese einfache Aufgabe schneller,
wenn sie allein waren oder wenn noch andere Kakerlaken ebenfalls da waren?“
Die Wissenschaftler setzten andere Kakerlaken als Zuschaue in durchsichtige Plastikschalen
neben die Laufstrecke.
Der Hypothese gemäß erledigten die einzelnen Kakerlaken die Aufgabe schneller, wenn die
anderen Kakerlaken anwesend waren, als wenn sie allein waren.
Ergebnis:
• Solange die Aufgabe relativ einfach bleibt und gut eingeübt ist (etwa die Flucht vor einer
Lichtquelle für eine Kakerlake), verbessert die bloße Anwesenheit anderer die Leistung.
• War die Aufgabe schwieriger (mehrere Laufstrecken), brauchten die Kakerlaken länger dafür,
wenn andere Kakerlaken anwesend waren.
182
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Erregung und dominante Reaktion:
Die Anwesenheit anderer lässt die
physiologische Erregung stärker werden
(unser Körper erhält also mehr Energie).
Wenn eine solche Erregung vorhanden ist, ist
es leichter, eine dominante Reaktion
auszuführen, aber schwieriger, etwas
Komplexes zu tun oder etwas neu zu erlernen.
Erklärung:
Warum führt die Anwesenheit anderer zu höherer Erregung?
es wurden 3 Theorien entwickelt, um die Rolle der Erregung bei der sozialen Erleichterung zu
erklären: Andere Menschen bewirken, dass wir besonders aufmerksam und wachsam sind, sie
lassen uns um unsere Bewertung bangen, und sie lenken uns von der vorliegenden Aufgabe ab.
1.) Erhöhte Aufmerksamkeit als Schutz (Zajonc, 1980)
• Die Anwesenheit anderer macht uns aufmerksamer.
• Menschen sind „unberechenbarer“ als z.B. Gegenstände, und deswegen müssen wir in deren
Gegenwart wachsamer sein.
Diese Aufmerksamkeit oder Wachsamkeit bewirkt eine leichte Erregung.
2.) Bewertungsunsicherheit (Cottrell, 1972)
• Menschen machen sich häufig Sorgen darüber, wie andere sie bewerten.
Wenn andere sehen können, wie man sich anstellt, steht einiges auf dem Spiel:
Man fühlt sich so, als würde man von den anderen bewertet, und es wäre einem peinlich, wenn
man sich dumm anstellt, und angenehm, wenn man etwas gut macht.
• Das Bangen um die Bewertung, kann eine leichte Erregung zur Folge haben.
3.) Ablenkung (Baron 1986)
• Wie sehr können andere Personen ablenkend wirken.
Er ähnelt in gewisser Hinsicht Zajoncs These, dass wir in Anwesenheit anderer aufmerksam
sein müssen, setzt den Akzent aber auf die Vorstellung, dass jede Ablenkungsquelle uns in eine
Konfliktsituation versetzt, weil es schwierig ist, 2 Dinge gleichzeitig aufmerksam zu verfolgen.
• Diese geteilte Aufmerksamkeit bewirkt Erregung.
Die folgende Grafik zeigt, dass es mehr als nur einen Grund dafür gibt, dass die Anwesenheit
anderer Erregung verursacht.
Die Auswirkungen dieser Erregung sind dagegen dieselben: Wenn Menschen von anderen
Menschen umgeben sind, schneiden sie bei einfachen und gut eingeübten Aufgaben besser ab,
erbringen aber schlechtere Leistungen bei komplexen Aufgaben oder solchen, die das Erlernen
von etwas Neuem erfordern.
183
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Erweiterungsmodell aus Volersungsfolien:
(Tipp: Wo sollte man eine Klausur schreiben? Es ist zu empfehlen, bei seinen Kommilitonen zu
bleiben, sofern man den Stoff gut beherrscht, ihn also relativ leicht abrufen kann. Die Erregung, die
aus dem hautnahen Kontakt zu seinen Kommilitonen resultiert, müsste die Leistung dann
verbessern. Wenn man aber auf eine Prüfung lernen - also neuen Stoff lernt - dann sollte man das
alleine tun, fern von anderen. Denn in dieser Situation würde die von anderen bewirkt Erregung die
Konzentration erschweren. Und nicht nur die Anwesenheit realer Menschen kann das Verhalten
beeinflussen - auch der Fernseher, der Computer, oder das Handy)
Evidenz:
„Reine Anwesenheit vs.
Bewertungsunsicherheit“ Schmitt et al. (1986)
• Probanden/innen erledigten
Aufgabe (s.u.)
• UV 1:
- allein vs Personen mit
Ohrstöpsel und Augenbinde
anwesend vs. bewertender
Versuchsleiter
• UV 2:
- Einfache Aufgabe: Zeit, um
eigenen Namen zu tippen
- Schwierige Aufgabe: Zeit, um eigenen Namen rückwärts zu tippen + aufsteigende Zahlen
zwischen den Buchstaben.
• AV: benötigte Zeit in Sekunden
184
Sozialpsychologie
Skript 2015
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12.3.) Soziales Faulenzen („social loafing“)
(Wenn die Anwesenheit anderer für Entspannung sorgt — andere Bezeichnung = „Trittbrettfahren“)
Social loafing beschreibt die Tendenz, in einer Gruppe weniger hart zu arbeiten, wenn man glaubt,
dass andere ebenfalls an der gleichen Sache arbeiten.
Erklärungsalternativen:
• Gruppenmitglieder können damit rechnen, dass auch die anderen Mitglieder versuchen zu
faulenzen. (Attributionsvoreingenommenheit)
In diesem Sinne wäre man der Dumme, würde man selbst die maximale Leistung erbringen —
also tut man es nicht.
• Es basiert nicht auf einer egoistischen Motivation, sondern vielmehr austausch- oder
gerechtigkeitspsychologischen Gründen.
• Andere Erklärungsmodelle sind:
1. Evaluation apprehension: Je größer die Gruppe, desto geringer die Bewertungsangst
des Einzelnen. Daher strengt man sich auch nicht mehr an.
2. Soziale Vergleichsprozesse: Wenn man alleine ist, ist man motiviert, die persönliche
Maximalleistung zu erbringen; in einer Gruppe orientiert sich die Motivation jedoch
vielmehr daran, der Durchschnittsleistung der Gruppe entsprechen zu wollen.
Diese liegt häufig niedriger als die persönliche Maximalleistung.
3. Verantwortungsdiffusion: Einzelne fühlen sich in einer Gruppe für die Leistung, die
erbracht werden muss, weniger verantwortlich.
185
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Eine weitere Frage im Zusammenhang mit dem Einfluss der Anwesenheit anderer auf die
individuelle Leistungsfähigkeit ist die nach der Gruppenleistung im Verhältnis zur Leistung
einzelnen Gruppenmitglieder.
- Entspricht die Gruppenleistung genau der Summe der Einzelleistungen?
Es wäre auch denkbar, dass die Gruppenleistung unter Umständen mehr ist als die Summe der
Einzelleistungen.
Die Gruppe erlaubt „verstecken“, wenn die eigene Leistung nicht messbar ist.
Es folgt eine Entspannung anstatt von Erregung —> Umgekehrte Hypothesen
Ringelmann-Effekt
- Die Leistung jedes Einzelnen nahm umso mehr ab,
je größer die Gruppe war:
Zu zweit betrug die aufgewendete Kraft beim
Seilziehen nur noch 93%, zu dritt 85%.
- Die Leistungen, die ein einzelnes Gruppenmitglied
aufwendet, sinkt proportional zur Anzahl der
Gruppenmitglieder.
Zwei Erklärungsformen kommen für den Effekt in
Betracht:
1.
Motivationsverluste: Der Mensch ist faul und versucht, mit der
geringstmögliche Anstrengung das Meiste
herauszuholen. Je größer die Gruppe, desto
weniger fällt man auf, wenn man nicht
mitmacht:
„Die anderen werden es schon machen.“
Bewusstes Ausnutzen der Gruppe (soziales Faulenzen); Geringe Bewertungsangst; Soziale
Vergleichsprozesse; Verantwortungsdiffusion.
2.
Koordinationsverluste/Prozessverluste:
Alle versuchen ihr Bestes, aber bei mehreren Leuten wird es schwieriger, die einzelnen Kräfte
sinnvoll zu koordinieren, denn alle müssen zum gleichen Zeitpunkt ziehen.
Tauziehen braucht Koordination und Übung.
186
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Wie vermeidet man nun soziales Faulenzen?
Der „Social loafing“ Effekt wird geringer oder verschwindet, wenn…
• Probanden glauben, dass ihre individuelle Leistung vom Versuchsleiter herausgelesen werden
könne.
eine Gruppe von Probanden glaubt, sie stehe mit einer anderen Gruppe (Outgroup) im
Wettbewerb.
die Aufgabe ansprechend (z.B. komplex) ist und man motiviert ist, ein bestimmtes Ziel zu
erreichen. (klares Ziel für Gruppenleistung vorgeben)
man — unter der Bedingung dass das Ziel auch wirklich attraktiv ist — glaubt, dass die
Leistungen der anderen Gruppenmitglieder schlechter sind als die eigene.
man eine dispositionell stark ausgeprägte Gruppenorientierung hat, also der Gruppenarbeit an
sich bereits einen positiven Wert beimisst.
•
•
•
•
—> Motivation steigern.
Performanz in Gruppen: Brainstorming
Der Ringelmann-Effekt und die Befunde zum social loafing lassen es fragwürdig erscheinen, dass
eine Gruppe stets bessere Leistungen erbringt als einzelne Personen.
Dies wird allerdings oft nicht problematisiert.
Ein gutes Beispiel für die Missachtung der Befunde ist das Brainstorming (Osborn, 1957)
• Beim Brainstorming soll eine Gruppe möglichst viele Ideen zu einer Sache produzieren.
Man erhofft sich davon die Freisetzung einer Art „kreativer Energie“, so dass die produzierten
Ideen immer zahlreicher und besser werden.
Brainstorming Regeln:
-
The more ideas the better
The wilder the ideas the better
Improve or combine ideas already suggested
Do not be critical
Grundlegendes Prinzip: Gegenseitige Stimulation
• Man kann sich aber fragen, ob es nicht auch beim Brainstorming Koordinationsverluste gibt.
Empirischer Test:
Diehl & Stroebe (1957) haben festgestellt, dass die Anzahl der generierten Ideen in nichtinteragierenden Gruppen höher ist als in interagierenden Gruppen.
UV: Nominale vs. reale Gruppen:
- Reale Gruppen: Ideen generieren in der Gruppensituation
- Nominale Gruppen: Alleine Ideen generieren, die dann am Ende zusammengefasst werden.
AV’s: Quantität und Qualität generierter Ideen.
187
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Ergebnisse:
Sie erklären dies damit, dass man während die anderen Gruppenmitglieder sprechen, seine
eigenen Ideen schneller vergisst oder durch die Ideen der anderen bei der Suche nach eigenen
Vorschlägen eingeschränkt ist.
- Produktionsblockierung
- Bewertungsunsicherheit
- Trittbrett fahren
12.4.) Gruppenentscheidungen
Sind zwei (oder mehr) Köpfe besser als einer?
Eine der Hauptfunktionen von Gruppen ist die
Entscheidungsfindung, denn im Allgemeinen
arbeiten Gruppen erfolgreicher als Individuen,
wenn sie sich auf die Person mit dem meisten
Fachwissen verlassen und wenn sie motiviert
sind, nach der Antwort zu suchen, die am
besten für die gesamte Gruppe ist und nicht
nur für sie selbst.
Ein auf sich gestellter Einzelner kann allen möglichen Launen und Urteilsverzerrungen unterliegen,
während mehrere Menschen zusammen ihre Gedanken austauschen, die Fehler der anderen
erkennen und zu besseren Entscheidungen kommen können.
Manchmal dagegen sind 2 oder mehr Köpfe nicht besser als einer — oder zumindest nicht besser
als 2 selbstständig arbeitende Köpfe. Mehrere Faktoren können Gruppen dahingehend
beeinflussen, dass sie schlechtere Entscheidungen treffen, als es Individuen tun würden.
• Gruppen sollen:
- moderieren
- Extreme ausgleichen
- beste Entscheidungen finden
• Spearman-Brown Idee:
Über mehrere Items (Gruppendiskutanten) sollten Entscheidungen reliabler abgebildet werden.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Prozessverluste:
Interaktion in Gruppen als Beeinträchtigung guten Problemlösungsverhaltens.
Ein Problem besteht darin, dass eine Gruppe nur dann gut funktioniert, wenn das kompetenteste
Mitglied die anderen von seiner Ansicht überzeugen kann — was nicht immer ganz leicht ist, denn
viele von uns werden plötzlich stur wie Esel, wenn es darum geht, ein Irrtum einzugestehen.
Dieses Phänomen heißt „Prozessverlust“ und umfasst alle Aspekte der Interaktion in Gruppen, die
gutes Problemlösungsverhalten beeinträchtigen.
Prozessverluste können aus ganz unterschiedlichen Gründen auftreten:
- Gruppen können zu wenig Sorgfalt darauf verwenden, herauszufinden, wer das kompetenteste
Mitglied ist, und sich stattdessen auf jemanden verlassen, der gar nicht weiß, wovon er redet.
- Das kompetenteste Mitglied könnte sich damit schwertun, eine andere Meinung zu vertreten als
alle übrigen Gruppenmitglieder.
- Andere Ursachen sind Kommunikationsschwierigkeiten innerhalb der Gruppe:
In manchen Gruppen hört keine dem anderen zu; in anderen wird hingenommen, dass eine
Person die Diskussion dominiert, während die anderen abschalten.
Wenn einzigartige Informationen nicht mitgeteilt werden
Gruppen neigen dazu, sich auf die allen bekannten Informationen zu konzentrieren und Umstände
zu ignorieren, die nur einzelnen Gruppenmitgliedern bekannt sind.
Nicht allgemein bekannte Informationen werden gewöhnlich später in die Diskussion eingebracht,
daher scheint es sinnvoll, Gruppendiskussionen lange genug dauern zu lassen, damit klar wird,
was jeder Einzelne bereits weiß.
Es ist auch hilfreich, den Gruppenmitgliedern nicht zu sagen, worin ihre anfänglichen Vorlieben zu
Beginn der Diskussion bestanden hatte; wenn dies der Fall ist, werden sie sich weniger auf
einzigartige Informationen konzentrieren, die nicht Gemeingut sind.
Ein weiterer Ansatz ist, verschiedene Gruppenmitglieder für bestimmte Wissensgebiete zu
Experten zu erklären, damit ihnen bewusst ist, dass sie allein dafür verantwortlich sind, bestimmte
Informationen beizutragen.
- Das kombinierte Gedächtnis zweier Personen, das effizienter ist als das Gedächtnis des
Einzelnen, nennt man „transaktives“ Gedächtnis.
Indem Paare lernen, sich in ihrer Gedächtnisleistung zu spezialisieren, und wissen, wofür ihr
Partner zuständig ist, schneiden sie beim Erinnern wichtiger Informationen häufig recht gut ab. Dasselbe kann auch für Gruppen gelten, wenn sie ein System entwickeln, bei dem
verschiedene Personen dafür verantwortlich sind, sich verschiedene Teile einer Aufgabe zu
merken.
189
Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Zusammenfassend:
Die Neigung von Gruppen, wichtige Informationen, über die nur einige der Mitglieder verfügen,
nicht miteinander zu teilen, lässt sich also überwinden, wenn die Menschen lernen, wer für
welchen Typ von Informationen zuständig ist, und wenn sie sich die Zeit nehmen, dieses nicht
allen zugängliche Material zu besprechen
Hidden-Profile-Paradigma
Disjunktive Aufgaben (Die Gruppenleistung entspricht der Leistung des besten Gruppenmitglieds,
z.B. das plötzliche Lösung eines Rätsels) werden von Gruppen oft nicht optimal gelöst.
Stasser und Titus (1985) haben versucht, derart suboptimale Gruppenentscheidungen zu
modellieren und zu beschreiben. Sie biederen sich eines ausgeklügelten
Untersuchungsparadigmas, des sogenannten „Hidden-Profile-Paradigmas“.
Personalauswahlkommission
Eine Kommission, bestehend aus 3 Personen, soll entscheiden, welche von 2 Bewerbern (A und
B) der bessere ist. Es gibt eine Anzahl von Argumenten, die für A sprechen und eine Anzahl von
Argumenten die für B sprechen.
Die „richtige“ Entscheidung wäre die für den Bewerber mit der größeren Anzahl von Argumenten.
Sagen wir, es gibt 7 Argumente, die für A sprechen und 4 Argumente, die für B sprechen.
A wäre also objektiv gesehen der bessere Bewerber.
(Blau = Geteilte Information. Hat jeder Entscheidungsträger /
Rot = Ungeteilte Information. Hat nur ein Entscheidungsträger)
Nun liegen aber nicht allen Mitgliedern der Kommission alle Argumente gleichzeitig vor.
- Die 4 Argumente für B sind allen Mitgliedern verfügbar (geteilte Argumente).
- Von den 7 für A sind jedem Kommissionsmitglied jeweils nur 3 verfügbar.
Unterm Strich gibt es für Bewerber A nur ein einziges geteiltes Argument (a1) und 6 ungeteilte
Argumente.
Lösung:
Die Gruppe muss nichts weiter tun, als alle Argumente auszutauschen, auszuzählen und dann zu
ermitteln, dass es objektiv mehr Argumente für A als für B gibt.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Stasser und Titus (1985) konnten jedoch zeigen, dass sich die meisten Gruppen für B entscheiden
und somit die geteilten Argumente gegenüber den ungeteilten bevorzugen.
Erklärung:
• Geteilte Argumente werden im Laufe einer Diskussion öfter genannt, da sie mehreren Personen
bekannt sind; daher beeinflussen sie die Entscheidung allein aus stochastischen Gründen
stärker.
• Geteilte Argumente werden in der Diskussion früher genannt und setzen somit einen Anker, von
dem man widerwilliger abweicht.
• Geteilte Argumente werden von den Gruppenmitgliedern als glaubwürdiger und relevanter
betrachtet als nicht-geteilte Argumente.
• Es ist für eine Gruppe unangenehmer, nicht-geteilte Informationen zu diskutieren. Im Sinne
eines Strebens nach Uniformität wird die Entscheidung eher auf Basis geteilter Argumente
getroffen, denn hier gibt es Konsens.
Fazit:
Gruppendiskussionen haben keinen Mehrwert — sie bestätigen nur, was zuvor sowieso schon alle
wussten.
Gegenmaßnahmen:
• Ungeteilte Informationen werden später eingebracht.
—> Diskussionen sollten hinreichend lange dauern.
• Verantwortliche für einzelne Bereiche bestimmen, die für Infos aus diesem Bereich zuständig
sind.
12.5.) Gruppenpolarisierung (Extreme Entscheidungen)
Werden riskante Entscheidungen eher von Gruppen oder von Individuen getroffen?
Diese Frage wurde in zahlreichen Studien untersucht.
Typischerweise erhalten die Teilnehmer dabei einen „Choice Dilemmas Questionnaire“ (CDQ).
Dieser Fragebogen zu Dilemmas bei Entscheidungen enthält eine Reihe von Szenarien, die für
den Protagonisten ein Dilemma darstellen.
Der Leser soll angeben, wie wahrscheinlich der Erfolg der risikoreicheren Alternative sein muss,
damit er diese empfehlen würde.
• Früher: Gruppen treffen risikoreichere Entscheidungen als Individuen.
z.B. Wenn sie alleine zu entscheiden hatten, gaben die Probanden an, der Schachspieler solle
nur dann das riskante Gambit spielen, wenn er eine mindestens 30%ige Chance auf Erfolgt
hätte.
Nach der Gruppendiskussion gaben sie an, er solle das Risiko eingehen, selbst wenn die
Chance nur 10% betrüge.
„Risikoschub“
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Jetzt: Diese Schübe sind nur die halbe Wahrheit.
Gruppen neigen nämlich dazu extremere Entscheidungen zu treffen, die aber in dieselbe
Richtung gehen wie die ursprünglichen Neigungen der Individuen; beim Schachproblem war
das eben die risikoreiche Alternative.
Was wäre, wenn die Probanden anfänglich eher zur konservativeren Position neigen?
In solchen Fällen neigen Gruppen zu noch konservativeren Entscheidungen als Individuen.
Die Neigung von Gruppen, Entscheidungen zu treffen, die extremer ausfallen als die ursprüngliche
Neigung ihrer Mitglieder — hin zu größerem Risiko, wenn die Mitglieder ursprünglich zum Risiko
neigten, und zu größerer Vorsicht, wenn die Mitglieder ursprünglich zur Vorsicht neigten — wird als
„Gruppenpolarisierung“ bezeichnet.
Gründe:
1.
Nach dem Modell der persuasiven Argumente liefern alle Individuen der Gruppe eine Reihe
von Argumenten, von denen die anderen Individuen einige noch nicht bedacht hatten, obwohl
sie ihre ursprüngliche Empfehlung unterstützen.
Jemand anderes hat vielleicht eine bestimmte Möglichkeit noch nicht ins Auge gefasst und
wird nun noch konservativer als zuvor.
2.
Nach dem Modell der sozialen Vergleichsprozesse sondieren die Teilnehmer einer
Gruppendiskussion zunächst die Meinung der anderen. Was favorisiert die Gruppe? Risikoreiches oder vorsichtiges Verhalten?
Um von den anderen gemocht zu werden, nehmen viele Teilnehmer dann eine Position ein,
die der allgemeinen Auffassung ähnelt, aber etwas extremer ausfällt.
Auf diese Weise stützt sich das Individuum auf die Einschätzung der Gruppe und stellt sich
zugleich selbst in einem positiven Licht dar — als Avantgardist, als eindrucksvoller Vordenker.
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Sozialpsychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Gruppennormen sind oft extremer als individuelle Normen
- „Das Gute wird besser, das Schlechte wird schlechter“
• Vorherrschende Meinung zu Beginn der Diskussion wird verstärkt
Nur bei zunächst ausgeglichenem Meinungsbild führt Gruppendiskussion
zu einem Ausgleich der Extreme.
Erklärungen:
• Soziale Vergleichsprozesse
- Bedürfnis, gutes Gruppenmitglied zu sein
- Positive Abgrenzung
—> Gruppennorm verschiebt sich.
• Argumente der Majorität
- sind zahlreicher
- werden häufiger wiederholt
- werden stärker diskutiert
- erscheinen überzeugender
12.6.) Gruppendenken („Groupthink“)
Wir-Gefühl und Kohäsion einer Gruppe behindert klares Denken und gute Entscheidungsfindung.
Irving Janis (1972, 1982) entwickelte eine einflussreiche Theorie über Entscheidungsprozesse in
der Gruppe, die er „Gruppendenken“ nannte:
- Eine Form des Denkens, bei der der Erhalt der Gruppenkohäsion und der Solidarität wichtiger
ist als die realistische Berücksichtigung der Tatsachen.
Nach seiner Theorie tritt Gruppendenken am wahrscheinlichen dann auf, wenn bestimmte
Vorbedingungen erfüllt sind, etwa wenn die Gruppe sehr kohäsiv (Zusammenhaltend) ist, von
anders lautenden Meinungen isoliert ist und einem autoritär auftretenden Führer untersteht, der
seine Wünsche klar äußert. (z.B. John F. Kennedy - Kuba Invasion)
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Skript 2015
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Nach Janis (1992) war der Grund für die Dummheit, dass bei der Entscheidung viele der
Symptome des Gruppendenkens vorhanden waren.
- Kennedy und sein Team ritten nach ihrem knappen Wahlsieg von 1960 noch auf einer Welle der
Hochstimmung und bildeten eine eng verwobene, homogene Gruppe.
- Zudem stellte Kennedy klar, dass er die Invasion befürwortete, und er ließ die Gruppe nur
Details der Durchführung durchdenken, statt die Frage zu stellen, ob sie überhaupt stattfinden
sollte.
Wenn diese Bedingungen für Gruppendenken gegeben sind, treten verschiedene Symptome auf.
(Gruppendenken: Voraussetzungen, Symptome und Folgen.)
• Die Gruppe beginnt sich unverwundbar zu fühlen und meint, sie wäre unfehlbar.
Einzelne äußern ihre gegenteiligen Standpunkte nicht (Selbstzensur), weil sie die gute
Stimmung in der Gruppe nicht stören wollen oder weil sie Kritik vonseiten der anderen
befürchten.
• Befindet sich eine Gruppe in der gefälligen Situation des Gruppendenkens, verleitet dies
Menschen dazu, den Entscheidungsprozess schlecht ablaufen zu lassen.
Die Gruppe sichtet die bestehenden Alternativen nicht, entwickelt keine Krisenpläne und
analysiert die Risiken der favorisierten Alternative nur mangelhaft.
Fazit:
• Fehlerhafte Entscheidungsprozesse sind womöglich verbreiteter als ursprünglich
wahrgenommen.
Die Theorie des Gruppendenkens nahm an, dass eine bestimmte Menge an Bedingungen
erfüllt sein musste, damit Gruppendenken auftrat.
• Heute hat es den Anschein, als könne Gruppendenken auch auftreten, wenn einige dieser
Voraussetzungen nicht gegeben sind.
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Skript 2015
Maximilian Bungart
Es könnte ausreichen wenn sich die Beteiligten stark mit der Gruppe identifizieren, über klare
Normen im Hinblick darauf verfügen, was die Gruppe tun sollte, und wenig Vertrauen haben,
dass die Gruppe das Problem tatsächlich lösen kann.
• Man fand außerdem heraus, dass einige Menschen besonders stark dazu neigen, eine
Gruppenentscheidung, die falsch ist, infrage zu stellen.
Bei einer Studie kam heraus, dass sich bi-kulturelle Personen, die sich stark mit der einen oder
der anderen Kultur identifizierten, am ehesten der Gruppe gegenüber konform verhielten, selbst
wenn es falsch war.
Interessanterweise verhielten sich die bi-kulturellen Personen, die sich in ihrer Identität m
stärksten hin und her gerissen fühlten am wenigsten konform.
Wie vermeidet man Gruppendenken?
Ein umsichtiger Führer kann mehrere Schritt befolgen, um sicherzustellen, dass seine Gruppe bei
der Entscheidungsfindung gegen Gruppendenken gefeit ist.
1.
Unparteiisch bleiben
Der Führer der Gruppe sollte keine direktive Rolle einnehmen, sondern unparteiisch bleiben.
2.
Fremdmeinungen einholen
Der Führer der Gruppe sollte von außerhalb Meinungen von Personen einholen, die keine
Gruppenmitglieder sind und es daher weniger darauf abgesehen haben, die Kohäsion der
Gruppe aufrechtzuerhalten.
3.
Untergruppen bilden
Der Führer der Gruppe sollte die Gruppen in Untergruppen einteilen, die zunächst separat
und erst später gemeinsam zusammentreffen, um ihre unterschiedlichen Vorschläge zu
diskutieren.
4.
Namenlos abstimmen
Der Führer der Gruppe kann auch eine geheime Abstimmung vornehmen oder die Mitglieder
auffordern, ihre Meinung anonym niederzuschreiben; damit wäre gewährleistet, dass jeder
seine wirkliche Meinung äußert und sich nicht aus Furcht vor Schuldzuweisungen aus der
Gruppe selbst zensiert.
5.
„Advocatus Diaboli“
Eine Person, die mit ihren Argumenten die Position der Gegenseite vertritt, ohne ihr selbst
anzugehören.
6.
7.
8.
Ermutigung, Zweifel zu äußern
Einzelbesprechungen der Mitglieder mit anderen vertrauten Personen
Zeitliche Entspannung
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