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8 Hefte Fachrichtung Evangelische Theologie UNIVERSITÄT

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8 Hefte Fachrichtung Evangelische Theologie UNIVERSITÄT
Fachrichtung Evangelische Theologie
Zu den Saarbrücker Religionspädagogischen Heften
Seit dem Jahr 2006 gibt die Fachrichtung Evangelische Theologie der Universität
des Saarlandes die „Saarbrücker Religionspädagogischen Hefte“ heraus.
In lockerer Folge werden darin
theologische bzw. religionspädagogische Vorträge oder Aufsätze,
Dokumentationen,
Unterrichtsentwürfe und -materialien für den evangelischen Religionsunterricht
veröffentlicht.
Es handelt sich um Beiträge, von denen wir meinen, dass sie für Religionslehrerinnen und -lehrer sowie alle Anderen, die insbesondere im Saarland an
Fragen evangelischer Bildungsverantwortung interessiert sind, aufschlussreich
und anregend sein können.
Um die Hefte zu einem anregenden Forum zu gestalten, laden wir Religionslehrerinnen und -lehrer aller Schulformen, Theologinnen und Theologen und
andere religionspädagogisch Aktive ein, uns eigene Arbeiten, die zur Wahrnehmung von Bildungsverantwortung aus evangelischer Perspektive beitragen
können, zur Veröffentlichung zuzusenden.
Vor der Veröffentlichung behalten wir uns allerdings eine Prüfung vor.
Die Hefte sind gegen eine Schutzgebühr (Selbstkostenpreis) im Sekretariat
unserer Fachrichtung (0681/302-4376 oder -2349) erhältlich; sie stehen unter
www.uni-saarland.de/EvangelischeTheologie zum kostenlosen Download zur
Verfügung.
Verantwortlich für die Herausgabe und im Sinne des Presserechts:
Professor Dr. Bernd Schröder
Universität des Saarlandes
Fachrichtung Evangelische Theologie
Postfach 15 11 50
66041 Saarbrücken
0681/ 302-2949
[email protected]
Fachrichtung Evangelische Theologie
UNIVERSITÄT
DES
SAARLANDES
Saarbrücker Religionspädagogische Hefte 8
Saarbrücker Religionspädagogische Hefte 8
UNIVERSITÄT
DES
SAARLANDES
1968 und die
Religionspädagogik im Saarland
1
EINLEITUNG ZUM SAARBRÜCKER RELIGIONSPÄDAGOGISCHEN HEFT 8 – 2008
1968 ist ein Jahr, dem für die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung
der Bundesrepublik Deutschland gemeinhin große, wenn nicht gar entscheidende Bedeutung zugebilligt wird.
Es ist für Manche zum Inbegriff des Endes der Nachkriegszeit, der politischen
Wende hin zu „mehr Demokratie“ und
der kulturellen Modernisierung geworden, für Andere eben deshalb zur Ursache etlicher Übel wie „Traditionsabbruch“ u.ä.
Auch Theologie und Religionspädagogik sind von den Umbrüchen vor vierzig Jahren keineswegs unberührt geblieben – vielmehr ist es in der religionspädagogischen Praxis und Theoriebildung zu Neuorientierungen gekommen, die bis heute als grundlegend gelten. In religionspädagogischer Hinsicht
kommt allerdings weniger dem Jahr
1968 selbst als vielmehr der Dekade seit
1966 entscheidende Bedeutung zu:
Sichtbar beginnend mit einem Vortrag
Hans Bernhard Kaufmanns zur Frage
„Muss die Bibel im Mittelpunkt des
Religionsunterrichts stehen?“, der im
Oktober 1966 gehalten wurde, entwikkeln sich bis Mitte der 70er Jahre in
schneller Folge Ideen zur Reform nicht
nur des Religionsunterrichts, sondern
auch anderer Felder kirchlicher Bildungs(mit-) verantwortung.
Doch die religionspädagogische Theorie
verstärkte nicht nur, sie reagierte zunächst einmal auf Verschiebungen in
der Praxis von (religiöser) Erziehung
und Unterricht. Es ist ein Glücksfall,
dass die entsprechenden Veränderungen im Saarland zeitnah gewissermaßen ‚zu Protokoll genommen’ wurden.
Lore Schmeling, Jahrgang 1932, nahm
nach Eheschließung und Geburt ihrer
Kinder, nach Umzug ins Saarland und
Aufgabe ihres erlernten Berufes als Chemotechnikerin 1969 ein Lehramtsstudium an der damaligen Pädagogische Hochschule des Saarlandes auf:
Mit den Fächern Physik/Chemie und
Evangelische Theologie strebte sie das
erste Examen für das Lehramt an
Grund- und Hauptschulen an, das sie
1972 ablegte. Daraufhin absolvierte sie
zunächst mit Erfolg das Referendariat,
ehe sie von 1975 bis zu ihrer Pensionierung 1993 als Lehrerin an Saarbrücker
Grundschulen tätig wurde.
Im Rahmen eines Seminars zur „Praxis
und Theorie institutionalisierter Bildung und Erziehung“, das auf der Linie
der hochschuldidaktischen Reformen
dieser Zeit Projektgruppenarbeit beinhaltete, hat sie im Sommersemester 1971
eine Seminararbeit zum Thema „Evangelische Bildungsarbeit im Saarland“
geschrieben. Die Arbeit datiert auf den
11. Juni 1971 und nimmt eine umfassende Bestandsaufnahme ihres Gegenstandes vor. Dies ist schon allein insofern bemerkenswert, als Lore Schmeling zu einer Zeit, in der die akademische Religionspädagogik ihr Augenmerk nahezu ganz auf den schulischen
Religionsunterricht konzentrierte, die
ganze Bandbreite der „Lernorte“ evangelischer Bildungsarbeit vom Kindergarten bis zur Erwachsenenbildung –
inklusive Medien! – in den Blick nimmt!
Wir dokumentieren in diesem Heft
diese Seminararbeit mit unverändertem
Textbestand. Allerdings wird die Studie an einigen wenigen Stellen knapp
He< 8 - 2008
2
erläutert, um heutigen Leserinnen und
Lesern die interviewten Personen und
damals selbstverständlich geläufige Literatur vor Augen zu stellen. Entsprechende Erläuterungen sind z.T. in eckigen Klammern im Text eingefügt, z.T. in
kursiviertem Satz in den Fußnoten zu
finden. Ansonsten wurden lediglich
offensichtliche Versehen stillschweigend korrigiert und die Rechtschreibung behutsam modernisiert.
Beigefügt wird diesem Dokument ein
Interview mit dem langjährigen Schulreferenten der evangelischen Kirchenkreise Saarbrücken, Ottweiler und Völklingen, Pfarrer Wolfgang Klein, das im
März 2008 stattfand. Dieses Interview
bietet einen anderen, i.W. jedoch gleichsinnigen Eindruck von den damaligen
Umbrüchen und bemerkenswerte Reflexionen auf deren Wirkung.
Um diese Wirkung zu unterstreichen
kommt auch ein religionspädagogischer
Aufsatz von Wolfgang Klein aus dem
Jahr 1987 hier erneut zum Abdruck.
Mit der Veröffentlichung dieser drei –
von ihrer Gattung her verschiedenartigen – Zeugnisse soll zum einen gezeigt
werden, dass der Religionspädagogik
Geschichtsbewusstsein gut ansteht, um
die jeweilige Gegenwart angemessen
verstehen zu können, zum anderen sollen exemplarisch zwei bisher noch selten genutzte Quellen einer solchen geschichtsbewussten Religionspädagogik
vorgestellt werden: die Zeitzeugen-Aus-
Saarbrücker Religionspädagogische He<e
sage und damit ein Zugang zur „oral
history“ sowie die studentische Hausarbeit. Letztere ist insofern eine überaus
aufschlussreiche Quelle, als sie einerseits ein Licht wirft auf Arbeitsweisen,
Fragestellungen, Begrifflichkeiten und
Qualitätsansprüche von Lehramtsausbildung, andererseits eben auch ein zeitgenössisches Bild von Wahrnehmung
und Wirkung der jeweils untersuchten
Gegenstände entwirft, hier der Praxis
evangelischer Bildungsarbeit im Saarland.
Sowohl Frau Lore Schmeling als auch
Herrn Wolfgang Klein gilt mein herzlicher Dank – für die freundliche Überlassung des Manuskripts der einen, für
das sorgfältig vorbereitete Interview
dem anderen.
Möge das Heft den Leserinnen und
Leser eine Epoche näher bringen, deren
Wirkung bis heute spürbar ist – und so
das Geschichtsbewusstsein religionspädagogisch Handelnder fördern!
Schließlich: Wer die „Saarbrücker Religionspädagogischen Hefte“ seit dem
Jahr 2006 verfolgt, wird sogleich bemerken, dass dieses Heft mit einer modifizierten, verbesserten, kurz: professionalisierten Gestalt des Satzes aufwartet. Dafür danke ich herzlich Frau
Evelyne Engel vom „Facility Management“ der Universität des Saarlandes.
Saarbrücken, April 2008
Bernd Schröder
3
1968 UND DIE RELIGIONSPÄDAGOGIK IM SAARLAND
Einleitung
Seite 1
Lore Schmeling:
„Evangelische Bildungsarbeit im Saarland“ – eine
Seminararbeit im Fach Pädagogik aus dem Jahr 1971
Seite 5
Wolfgang Klein:
„Was es eigentlich 40 Jahre danach … erneut bräuchte,
wäre eine Vision …“ – Interview zum Thema „1968
und die Folgen für Kirche, Theologie und Religionspädagogik“ (März 2008)
Seite 29
Wolfgang Klein:
Leben und Erziehen wozu? Perspektiven einer befreienden
und solidarischen Religionspädagogik (zuerst in:
demokratische erziehung 13, 1987, Heft 10, 11-14)
Seite 41
Die bisherigen Saarbrücker Religionspädagogischen Hefte
Seite 45
He< 8 - 2008
He< 8
5
PÄDAGOGISCHE HOCHSCHULE DES SAARLANDES
SOMMERSEMESTER 1971
Seminar: Praxis und Theorie institutionalisierter Bildung und Erziehung
Seminarleiter: [Prof. Dr. Hubert] Rohde/ [Wiss. Assistent Toni] Haser
Fach: Pädagogik
Projektgruppenbericht der Projektgruppe Nr. 14
THEMA: „EVANGELISCHE BILDUNGSARBEIT IM SAARLAND“
Referent: Lore Schmeling IV. Semester
Saarbrücken 2
Paul-Linckestr. 17
Tel.: 0681/498323
Abgabedatum: 11.6.71
He< 8 - 2008
6
INHALTSVERZEICHNIS
1. Vorwort
Seite 7
2. Die religiöse Bildungsarbeit des Kindergartens
Seite 8
3. Der Kindergottesdienst
Seite 10
4. Der Konfirmandenunterricht
Seite 12
5. Der Religionsunterricht der Schulen
Seite 13
6. Der Religionsunterricht der Berufsschulen
Seite 16
7. Die religiöse Bildungsarbeit der Evangelischen Akademie
des Saarlandes
Seite 19
8. Religiöse Bildungsarbeit durch die Massenmedien Funk
und Fernsehen
Seite 20
9. Zusammenfassung
Seite 23
10. Schlusswort
Seite 26
11. Literaturanhang
[Der Literaturanhang stellte lediglich die bereits im Text erwähnte
Literatur nochmals zusammen und wurde deshalb bei diesem Abdruck
beiseite gelassen.]
Saarbrücker Religionspädagogische He<e
1. VORWORT
Das Thema „Religiöse Bildungsarbeit“
wurde von mir im Rahmen einer Projektarbeit gewählt, da ich als Studentin
der Evangelischen Theologie hier eine
gute Möglichkeit sah, einen Bezug zwischen wissenschaftlichem Studium und
der Praxis herzustellen. Ich wählte das
Thema aus, um eine konkrete Vorstellung davon zu gewinnen, was heute auf
dem religiösen Bildungssektor getan
wird und vor allem, wie es getan wird.
Nachdem ich die verschiedenen Vertreter der evangelischen Bildungseinrichtungen zu dem Thema befragt habe, erhielt ich den Eindruck, dass nicht nur
auf dem schulischen Sektor allgemein,
sondern auch gerade auf dem Sektor
der religiösen Bildungsarbeit ein ganz
neues Verständnis gewachsen ist, mit
dem unter anderen Vorstellungen und
Voraussetzungen an die Aufgabe herangegangen wird. Diese neuen Ansatzpunkte mögen aus der Erkenntnis erwachsen sein, dass das Weltbild, das
uns die Bibel durch ihre Texte vermittelt, nicht mehr mit dem Weltbild unserer Zeit übereinstimmt, so dass der Zugang zu ihrem Verständnis erschwert
zu sein scheint. Es stellt sich die Aufgabe, die biblischen Texte in unsere
heutige Zeit hinein zu interpretieren.
Schon Rudolf Bultmann stellte sich die
Aufgabe, die biblischen Texte, die sich
uns im Gewande des Mythos darbieten,
auf die heutige Zeit existentiell zu interpretieren. Es kam ihm nicht darauf an,
den Mythos zu entfernen, sondern ihn
für unsere Zeit verständlich zu machen.
Es gilt, das eigentlich Gemeinte herauszuarbeiten.
Die Erfolge der Raumfahrt haben bewusst gemacht, dass Gott wohl nicht im
Himmel zu suchen ist, sondern unter
uns Menschen selber ist. So formulierte
schon Bultmann: „Will man von Gott
reden, so muss man offenbar vom Menschen selber reden.“1 Wenn wir aber
7
vom Menschen reden wollen, dann
müssen wir den konkreten Menschen
der Gegenwart in den Blick nehmen.
So kommt es also letztlich darauf an,
durch das Verständnis des Menschen
selber und seiner Zeit den Weg zu erkennen, den uns christlicher Glaube
weist. Es ist deshalb nicht das Ziel der
religiösen Bildungsarbeit, ein möglichst
großes Wissen an biblischem Stoff zu
vermitteln, sondern es soll vor allem erkannt werden, was christlicher Glaube
meint, dass Gott durch eine geschichtliche Tat zu uns gesprochen hat. Dabei
ist es zugleich das Ziel, den Menschen
auf einen denkfähigen Glauben hin zu
erziehen. Gelingt es nicht, diesen schon
im Kinde zu erzeugen, so kann zu
einem späteren Zeitpunkt ein Aufstand
des Denkens gegen den Glauben erfolgen. Auch Schelsky spricht vom Glauben als einer „Dauerreflexion“2.
Wesen und Auftrag der Kirche lassen
sich auf den Missionsbefehl (Mt 28,1920) zurückführen. Die Erfüllung des
Missionsbefehls als Lebensäußerung
und Zeugnis der Kirche geschieht in
den Dimensionen Wort, Dienst und Gemeinschaft, die einander zugeordnet
sind und untrennbar zusammengehören. Die Kirche beginnt mit ihrem
Auftrag beim jungen Menschen und
setzt ihn bis zum alten Menschen hin
fort. Die religiöse Bildungsarbeit gliedert sich dabei in folgende Bereiche:
• Kindergartenerziehung
• Kindergottesdienst
• Konfirmandenunterricht
• Religionsunterricht in Schulen
• Erwachsenenbildung.
Rudolf Bultmann: Welchen Sinn hat es, von Gott
zu reden? In: Theologische Blätter 4 (1925), 129135, hier 131.
2 Helmut Schelsky: Ist die Dauerreflexion institutionalisierbar? In: Zeitschrift für Evangelische
Ethik 1 (1957), 153-174.
1
He< 8 - 2008
8
Auf die einzelnen Bereiche möchte ich
im folgenden näher eingehen. Meine Informationen erhielt ich im wesentlichen
durch die direkte Befragung, für die ich
die zuständigen Leiter und verantwortlichen Herren der verschiedenen evangelischen Bildungsbereiche aufgesucht
habe. Dabei wurden mir zum Teil auch
schriftliche Unterlagen mitgegeben, die
ich versucht habe, in meinem Bericht
mit auszuwerten. Eine umfassende Literatur über den gesamten religiösen Bildungsbereich habe ich nicht gefunden.
So liegt hier ein sehr umfangsreiches
Thema vor, das es wert wäre, ausführlich behandelt zu werden. Wegen der
gebotenen Kürze des Referates kann ich
mich bei meinen Ausführungen nur auf
wesentliche Punkte einlassen und versuchen daran herauszustellen, wie religiöse Bildungsarbeit heute verstanden
und geleistet wird.
2. DIE RELIGIÖSE BILDUNGSARBEIT
DES KINDERGARTENS
Der Leiter des „Diakonischen Werkes
an der Saar“, Herr Pfarrer Seidel3, ist
neben anderen Aufgaben auch für Kindergartenfragen zuständig. Als Leiter
des „Rheinischen Verbandes Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder
e.V.“ hat er sich näher mit den Fragen
des Evangelischen Kindergartens beschäftigt. Gleichzeitig obliegt ihm auch
die theologische Ausbildung der Kindergärtnerinnen, die an der Fachschule
für Sozialpädagogik in Saarbrücken erfolgt. Hier werden die Kindergärtnerinnen einmal monatlich unterrichtet, wobei ihnen die notwendigen Grundlagen
für die religiöse Bildungsarbeit im Kindergarten vermittelt werden sollen. Zusätzlich findet einmal jährlich ein zusammenhängender katechetischer Lehrgang statt, an dem auch Psychologen
mitwirken. Diese Stundenzahl erscheint
im Verhältnis zu der Bedeutung, die der
gesamten Vorschulerziehung zukommt,
zu gering. Da im Kindergarten die FunSaarbrücker Religionspädagogische He<e
damente des späteren Glaubens gelegt
werden, erhebt sich die Forderung nach
qualifizierter Ausbildung der Kindergärtnerinnen auch auf theologischem
Gebiet. Denn die Kindergärtnerin kann
letztlich nur das richtig vermitteln, was
auch ihr in richtiger Weise nahegebracht
wurde.
Die Begründung des Evangelischen
Kindergartens beruht auch auf Jesu
Missionsbefehl.4 Die Kirche entspricht
mit Errichtung und Unterhalt von Kindergärten ihrem Wesen und Auftrag.
Dabei erhebt sie jedoch keinen Anspruch auf Alleinberechtigung und bestreitet nicht das Recht anderer Gruppen der Gesellschaft, aus ihrer Motivation heraus Kindergärten zu errichten
und zu unterhalten.
Die evangelische Kindergartenarbeit geschieht als Hilfe zum Leben. Sie setzt die
Grundlage für eine Erziehung, die als
Ziel den sündigen Menschen sieht, der
zu einem verantwortungsbewussten
Handeln innerhalb der Gesellschaft gelangt. Da diese Arbeit im Kindergarten
in der bildsamsten und empfindsamsten Phase des menschlichen Lebens beginnt, kommt ihr eine große Bedeutung
zu. Nach den Erkenntnissen der modernen Psychologie hat das Kind bis
zum 6. Lebensjahr den größten Teil seiner Intelligenzentwicklung abgeschlossen. Die Fundamente für die wichtigsPfarrer Konrad Seidel (*1933), 1968-1971 Leiter
des „Evangelischen Gemeindedienstes für Innere
Mission und Hilfswerk“ (der während seiner Amtszeit in „Diakonisches Werk an der Saar“ umbenannt wurde); danach in gleicher Funktion in Düsseldorf; seit 1969/70 zugleich Vorsitzender des
Rheinischen Verbandes evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder e.V., heute wohnhaft in Hilden.
4 Die folgenden Ausführungen beziehen sich
zum Teil auf den Aufsatz von Konrad Seidel:
Begründung und Auftrag des Ev. Kindergartens. In: Diakonie. Mitteilungen aus dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche im
Rheinland, Jahrgang 8, 1971, Heft 1.
3
ten Lernprozesse werden in dieser Zeit
gelegt. Gleichzeitig wird auch für den
Glauben das Verständnis gelegt. So arbeitet der Kindergarten praktisch im
Vorfeld der Bibel. Im Gegensatz zu früheren Zeiten, wo man versuchte, den
Kindern schon hier ein möglichst großes
Wissen an biblischen Texten zu vermitteln, geht man heute von der Erkenntnis
aus, dass dies nur in einem begrenzten
Rahmen möglich ist, weil den Kindern
noch das nötige Verständnis für die
meisten Texte fehlt. Ein falsches Verständnis wirkt sich aber auf einen späteren Glauben nachteilig aus. Deshalb
geht man heute den Weg, dass man versucht, aus dem Umweltbezug der Kinder oder einer Erlebnissituation behutsam an die Gottesfrage heranzugehen.
Die Kinder sollen dadurch nicht verbal,
sondern emotional herangeführt werden.
Wenn biblische Geschichten erzählt
werden, so müssen diese sachgemäß
dargeboten werden, um kein falsches
Bild zu erwecken. Die Texte dürfen
nicht psychologisiert, nicht platt historisiert und auch nicht dramatisiert werden. Denn dadurch wird der Zugang
zur eigentlichen Aussage versperrt. Bevor jedoch mit dem Erzählen biblischer
Texte begonnen wird, sollten die Kinder
zum Zuhören erzogen werden, das als
Voraussetzung das Stillseinkönnen verlangt. Das Gehörte soll im Kinde nachklingen und zum betrachtenden Hören
werden, damit die Kinder die bildhafte
Sprache der Bibel verstehen lernen. Zur
Vertiefung der Texte kann das Werken,
Basteln, Spielen und Musizieren herangezogen werden. Die Kinder können
die biblischen Geschichten nachspielen,
Lieder dazu singen oder auch Szenen
basteln oder malen. Auch können mit
Hilfe einer besonderen Tafel Flanellbilder zusammengestellt werden. Auf
diese Weise wird nicht verbal ein bestimmter Stoff vermittelt, sondern er
wird in kindgemäßer Form konkret und
anschaulich umgesetzt.
9
Bisher liegen noch keine verbindlichen
Pläne vor, welche biblischen Stoffe überhaupt im Kindergarten erzählt werden
sollen. Es wird aber versucht, solche
Pläne zu erstellen. Gleichnisgeschichten werden bisher nicht als geeignet angesehen. Werden Wundergeschichten
erzählt, so muss vermieden werden,
dass Jesus als Zauberer erscheint. Es
sind hierbei weitgehend auch entwicklungspsychologische Voraussetzungen
des Kindes zu berücksichtigen. Wichtig ist es auch, wie im Kindergarten von
Gott gesprochen wird. Es darf grundsätzlich nichts gesagt werden, was später zurückgenommen werden muss. So
darf kein Kleinkindergott entworfen
werden oder Gott als Kinderschreck
dargestellt werden, der bestraft. Ebenso
wenig soll in plumper Vertraulichkeit
vom „lieben Gott“ erzählt werden. Das
Kind soll erkennen, dass „christlicher
Glaube in der Verborgenheit Gottes“ besteht. Dabei ist das Gottesbild über Jesus
einzuführen. Er darf Gott Vater nennen,
über ihn kann Gott in Handlung aufgelöst werden.
Es wird außerdem versucht, kindgemäße Gebetsformen zu finden, die
einen dem Kinde verständlichen Text
beinhalten und inhaltlich aus dem
Lebensbereich des Kindes stammen. Ein
Gebet braucht nicht in Versform gesprochen zu werden, sondern kann aus
schlichten Sätzen und Prosaform bestehen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass
die religiöse Bildungsarbeit im Kindergarten heute darin besteht, dem Kinde
ein richtiges Vorverständnis für die spätere Bibelarbeit zu geben und es gleichzeitig für Glaubensfragen zu öffnen. Dabei wird versucht, das Kind behutsam
an Glaubensfragen heranzuführen,
ohne es mit biblischen Texten zu überschütten, die es noch nicht begreifen
kann. Kindgemäßheit und Sachlichkeit
sind bei dieser Arbeit die wichtigsten
Voraussetzungen.
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10
3. DER KINDERGOTTESDIENST
Eine weitere Veranstaltung der Kirche,
auf der religiöse Bildungsarbeit erfolgt,
ist der Kindergottesdienst. Um mir über
die Arbeit in diesem Bereich einen Eindruck zu verschaffen, suchte ich den
Synodalbeauftragten der Evangelischen
Kirche für Fragen des Kindergottesdienstes, Herrn Pfarrer Pohl5, auf, der
gleichzeitig das Gemeindezentrum im
Füllengarten leitet. Er versucht, bei der
Arbeit im Kindergottesdienst neue
Wege zu gehen, wobei er an die Arbeitsweise des Kindergartens anschließt. Im
Gegensatz zu einem Kindergottesdienst, bei dem der Schwerpunkt also
auf dem biblischen Wort liegt, versucht
Herr Pfarrer Pohl, den Kindergottesdienst in Handlung aufzulösen. Er berücksichtigt dabei weitgehend die psychologischen Erkenntnisse, die besagen,
dass das kindliche Lernen am leichtesten über konkrete Anschauung oder
eigenes Handeln und nicht rein verbalistisch erfolgt. Herr Pfarrer Pohl zieht
auf diese Weise einen kindgemäßen
Kindergottesdienst auf, der die Kinder
zugleich in ganz anderer Weise motiviert als dies bei einer rein verbalen
Belehrung der Fall ist. Statt durch verbale Information sollen dem Kinde
durch eigenes Handeln biblische Texte
verständlich und anschaulich gemacht
werden. Dies kann auf verschiedene
Weise erfolgen. Es kann einmal über das
Werken oder die gestaltende Beschäftigung erfolgen. Als Techniken kommen
dafür das Zeichnen, Malen, Kneten, Reißen, Kleben und Bauen in Frage. Die
Kinder arbeiten getrennt für sich oder
an einer gemeinsamen Aufgabe, etwa
dem Basteln eines Krippenspiels. Eine
gemeinsame Aufgabe hat zugleich
einen erzieherischen Wert in Bezug auf
das Verhältnis zur Gemeinschaft.
Eine andere Möglichkeit, von einer verbalistischen Information abzukommen,
bietet sich in der Musik an. Für den Kindergottesdienst sind neue rhythmische
Saarbrücker Religionspädagogische He<e
Lieder komponiert worden, die die Kinder nicht nur singen, sondern zu denen
sie auch selbst musizieren. Hierfür werden vor allem die Orff’schen Instrumente benutzt. Die Unterrichtsarbeit auf
diesen Instrumenten erfolgt unter Mitwirkung von Herrn Professor Paul6 von
der Pädagogischen Hochschule des
Saarlandes. Zum Musizieren kommt
der tänzerische Ausdruck hinzu, wobei
die Kinder als Ausdruck der Freude um
den Altar herum tanzen. Die Freude ist
überhaupt als ein Hauptanliegen des
Kindergottesdienstes zu sehen. Die Kinder sollen sich dort gerne einfinden und
sich darauf freuen, hier die Möglichkeit
zu haben, gemeinsam etwas tun zu können. In der Gemeinschaft soll dann die
Bedeutung zentral biblischer Begriffe
wie Freude, Liebe und Frieden bewusst
werden.
Die Bibeltexte treten bei dieser Art des
Gottesdienstes weitgehend zurück.
Biblische Gedanken werden durch unbiblische Geschichten nahegebracht. Es
wird auch, ähnlich wie im Kindergarten, von den Situationen des täglichen
Lebens und der Umwelt des Kindes
ausgegangen und von dort ein Zugang
zum Bibelverständnis gegeben. Durch
Dias und Tonfilme können zudem konkrete Situationen des Lebens aufgezeigt
werden, die dann erörtert werden. Ein
anderer Weg ist das Aufstellen von Themen, die dann auf verschiedene Weise
Pfarrer Werner Pohl (*1930), 1963-1995 Pfarrer
der Evangelischen Kirchengemeinde SaarbrückenBurbach und 1968-1995 Synodalbeauftragter für
den Kindergottesdienst des Evangelischen Kirchenkreises Saarbrücken, heute wohnhaft in IdarOberstein.
6 Prof. Dr. Heinz Paul (*1926), Professor für Musik
und Musikwissenschaft zunächst an der Pädagogischen Hochschule des Saarlandes (1957-1978),
dann bis zur Pensionierung an der Hochschule für
Musik des Saarlandes (1978-1991), ehrenamtlich
langjähriger Synodalbeauftragter für Kirchenmusik der evangelischen Kirchenkreise Saarbrücken
und Völklingen, wohnhaft in Saarbrücken.
5
erarbeitet werden. Ein solches Thema
ist zum Beispiel „Zwei Kirchen in unserer Stadt“, das dann an mehreren aufeinander folgenden Kindergottesdiensten im Mittelpunkt steht. Ein katholischer Gast kommt auch zu Wort und
berichtet von der Arbeit in seiner Kirche. Abschließend wird ein Elternnachmittag veranstaltet, zu dem dann Eltern
beider Konfessionen eingeladen werden. Auf diese Weise wird ein Verständnis für ökumenische Fragen geschaffen und zugleich die Verschiedenheit beider Kirchen bewusst gemacht.
Der Kindergottesdienst, der so gestaltet
wird, findet vorwiegend im Gemeindesaal oder in besonderen Gruppenräumen statt. Findet aber ein Kindergottesdienst in der Kirche statt, so gestalten
die Kinder selbst die Liturgie, die auf
diese Weise kindgemäß und verständlich wird.
Bei seiner Arbeit im Kindergottesdienst
wird der Pfarrer von eigens dafür ausgebildeten Helfern unterstützt, für die
als Arbeitshilfe das Heft „Der Kindergottesdienst“ erscheint, das Anleitungen und Hinweise gibt. Obwohl dieses
Heft überwiegend nur Ratschläge für
die kindgemäße Auslegung biblischer
Texte gibt, war dem letzten Januar-Heft
(1971) ein Artikel vorangestellt, der Forderungen enthielt, die Arbeit im Kindergottesdienst neu zu überdenken. Es
wird daher ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Auffassung, Kinder
rechtzeitig an den Gottesdienst der Erwachsenen zu gewöhnen, pädagogisch
nicht mehr vertretbar ist. Stattdessen
soll der Kindergottesdienst sich inhaltlich dem Stil und der Vielfalt der Jugendarbeit anpassen und dabei auf feste
Formen verzichten. Da sich eine gewisse
Schwierigkeit ergibt, Kinder verschiedener Altersstufen zusammenzufassen,
muss versucht werden, die Kinder in
feste Gruppen aufzuteilen, die jeweils
von einem Helfer betreut werden, wobei
11
die Voraussetzung allerdings mehrere
Gruppenräume sind.7
Die Redaktion des Heftes gibt zu diesen
Forderungen folgende Anmerkung:
„Wir stellen diese Dokumentation bewusst an der Anfang der ersten Nummer eines neuen Jahrgangs unserer Zeitschrift. In ihr kommen Beobachtungen
und Tendenzen zur Sprache, die vielerorts anzutreffen sind.“ Mit dieser Bemerkung wird gleichzeitig verdeutlicht,
dass Herr Pfarrer Pohl mit seinem Bestreben, einen zeitgemäßen und kindgemäßen Kindergottesdienst zu schaffen, keineswegs alleine dasteht. Es lässt
sich daraus erkennen, dass die Kirche
nach neuen Wegen sucht, ihrem Bildungsauftrag gerecht zu werden.
An anderer Stelle wird in dem erwähnten Artikel bemerkt:
„Um den gottesdienstlichen Charakter
nicht ganz aufzugeben, finden in
wenigstens vierteljährlichem, besser
monatlichem Turnus ausgesprochene
„Familiengottesdienste“ bzw. Gottesdienste mit offener Form statt, die in
Form und Inhalt dem Teilnehmerkreis
Rechnung tragen.“
Obwohl nach dem bisherigen Bericht
der Eindruck entstanden sein könnte,
dass die Zusammenarbeit zwischen
Kindergarten, Kindergottesdienst und
auch der Schule gegeben ist, um einen
nahtlosen Übergang von einer Bildungsinstitution zur anderen zu gewährleisten, ist dies bisher noch nicht
der Fall. Es scheint eine gebotene Forderung zu sein, dass man hier zu einheitlichen Plänen und Absprachen gelangt, um die religiöse Bildungsarbeit
in einheitlicher Weise zu betreiben und
gleichzeitig dabei Ergänzung zu geben.
7
Walter Wiese, in: Der Kindergottesdienst, Laß
mich hören, Bielefeld, Gütersloh, 81. Jahrgang
(1971), Heft 1, S. 4-5.
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12
4. DER KONFIRMANDENUNTERRICHT
Durch die Konfirmation, die gleichzeitig
die Wiederholung des Taufbekenntnisses bedeutet, wird der mündig gewordene Mensch in die Gemeinde aufgenommen und zum Abendmahl zugelassen. Der zweijährige vorangehende
Unterricht wurde bislang in der Weise
durchgeführt, dass hier zusätzlich zum
Schulunterricht ein breiteres Wissen in
Bezug auf Katechismus und Bibel gewonnen werden sollte. In neuerer Zeit
sind aber Bestrebungen im Gange, den
Konfirmandenunterricht in anderer
Weise zu gestalten. Um mich über diese
neue Arbeitsweise informieren zu können, wurde ich an Herrn Pfarrer
Schauer8 verwiesen, der in Alt-Saarbrücken mit mehreren Pfarrern zusammen einen Konfirmandenunterricht im
Kursverfahren durchführt. Dieser
Unterricht ist thematisch aufgegliedert
und lässt sich in gewisser Weise mit
dem Epochalunterricht der Schule vergleichen, bei dem auch ein Thema längere Zeit im Mittelpunkt steht. Bei diesem thematischen Unterricht ergibt sich
der Vorteil, dass dadurch eine kontinuierliche und intensive Beschäftigung mit
einem Themenkreis gewährleistet ist.
Diese Unterrichtsform wurde in Norwegen noch weiterentwickelt, indem
dort der gesamte Stoff des Konfirmandenunterrichts in einer gemeinsamen
Freizeit, die über mehrere Wochen geht,
konzentriert erarbeitet wird.
Der Kursunterricht in Saarbrücken wird
nicht alleine von Herrn Pfarrer Schauer
durchgeführt, sondern es arbeiten mehrere, zumeist jüngere Pfarrer zusammen, wobei sie ihre Themen untereinander absprechen. Die Kurse werden
nach Wahl- und Pflichtkursen unterschieden. Die Kurse laufen während
eines Jahres 2-4 mal, so dass sich der
Präparand den Zeitpunkt beliebig auswählen kann. Während die Pflichtkurse
verbindlich sind, kann der Thematik der
Wahlkurse frei gewählt werden, wobei
Saarbrücker Religionspädagogische He<e
nur eine bestimmte Anzahl an Kursen
belegt werden muss. Der Präparand hat
zudem die Möglichkeit, während eines
Zeitraumes mehrere Kurse nebeneinander zu besuchen, wenn ihm dies zeitlich günstiger erscheint. Zusätzlich zu
den Kursen werden Freizeiten veranstaltet, die zum großen Teil im Schullandheim der Stadt Saarbrücken in
Weiskirchen stattfinden. Auch diese
Freizeiten stehen unter einer bestimmten Thematik, und es werden häufig
auch außerkirchliche Vertreter, wie z.B.
Psychologen, dazu eingeladen. Die Freizeiten werden stundenmäßig auf die zu
erbringende Gesamtstundenzahl von
100 Stunden in 2 Jahren angerechnet.
Die Themen der Kurse sind im ersten
Jahr des Konfirmandenunterrichts überwiegend biblisch ausgerichtet. Einige
Themen seien als Beispiel genannt:
• Gottesdienst
• Jesus Christus
• Kirche und Gemeinde
• Bibel
Im zweiten Jahr des Unterrichts wird
dagegen größeres Gewicht auf die praktische kirchliche Arbeit und Themen der
Umwelt gelegt. Dabei kommen die verschiedenen sozialen Berufe und diakonischen Einrichtungen zur Sprache, indem Leute, die auf diesem Gebiet arbeiten, eingeladen werden und anschaulich von ihrer Arbeit berichten.
Außerdem werden Exkursionen zu sozialen Institutionen gemacht, so wird
etwa ein Altersheim aufgesucht oder
das S.O.S. Kinderdorf. Auf diese Weise
wird den Schülern ein Bild der sozialen
Wirklichkeit vermittelt und gleichzeitig
der Aufgabenbereich der sozialen Arbeit bewusst gemacht.
8
Pfarrer Heinrich Schauer (*1936), von 1968 bis
1977 Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Alt-Saarbrücken, anschließend Krankenhaus-Seelsorger, heute wohnhaft in SaarbrückenSt. Johann
Andere Themen dieses zweiten Unterrichtsjahres sind:
• Was ist der Mensch?
• Die Zukunft unserer Welt
• Krieg und Frieden
Die Thematik lässt erkennen, dass dem
Schüler hier Vorgänge aus unserem täglichen Leben bewusst gemacht werden
sollen. Aus dem Verstehen wichtiger
Zusammenhänge und Probleme soll der
Schüler zu einem verantwortungsbewussten Handeln gelangen. Während
dieses zweiten Jahres wird außerdem
während eines Pflichtkurses mit dem
Thema „Hilfe im Gottesdienst“ von den
Schülern ein eigener Gottesdienst erarbeitet, der dann abschließend gefeiert
wird. Dabei wird eine eigene Liturgie
verwandt, es wird mit einer eigenen
Band moderne Musik gespielt und gesungen. Hier lässt sich eine Parallele ziehen zu der Ausgestaltung eines Kindergottesdienstes, wie ihn Herr Pfarrer
Pohl durchführen lässt.
Als Abschluss dieses neuzeitlichen
Konfirmandenunterrichts findet eine
mündliche Prüfung statt, die kirchlicherseits gefordert wird.
Die Voraussetzung für diese Prüfung
sind außer dem Nachweis über die Teilnahme an mindestens 100 Unterrichtsstunden ein bestimmter katechetischer
Lernstoff, selbst wenn dieser nicht innerhalb der Kurse durchgenommen
wurde. Die Prüfung besteht nicht im
Abfragen von Lernstoff, sondern es findet ein Gespräch statt, an dem sich möglichst alle beteiligen sollen. Nur jene
Konfirmanden, die sich hier zurückgehalten haben, erhalten noch einige zusätzliche Fragen. Die Konfirmanden
sind bei der Konfirmation keineswegs
an einen Pfarrer gebunden, bei dem sie
den Kursunterricht besucht haben, sondern sie können sich den Pfarrer frei
auswählen, wenn sie den Nachweis
über die abgelegte Prüfung erbringen.
13
Die Vorteile dieser Unterrichtsform liegen, wie mir Herr Pfarrer Schauer sagte,
einmal in der Möglichkeit der thematischen Konzentration, zum anderen auf
arbeitstechnischem Gebiet in einer besseren intensiveren Nutzung der Arbeitsmittel wie Filme und Dias. Auch Exkursionen können effektiv gestaltet werden. Außerdem hat der Präparand
größte Freiheit in Bezug auf den zeitlichen Ablauf und die Zusammenstellung der Themen, so dass der Unterricht nicht als Automatismus abläuft,
sondern einen individuellen Spielraum
lässt.
Als Nachteil dieser Unterrichtsform
wird allerdings von einigen Eltern empfunden, dass der persönliche Kontakt
zu einem Pfarrer über die gesamte Zeit
des Unterrichts nicht gegeben ist. Auch
wird bemängelt, dass sich die Gruppen
immer wieder neu zusammenstellen
und damit der Kontakt und Zusammenhalt unter den Konfirmanden nicht
groß genug ist.
Mögen diese Einwände zum Teil auch
berechtigt sein, so weist diese Form des
Konfirmandenunterrichts einen Weg,
von den starren Formen eines bloßen
Katechismusunterrichts abzukommen
und in einer zeitgemäßeren Form nicht
nur biblisches Wissen zu vermitteln,
sondern gleichzeitig einen Bezug zur
Lebenswirklichkeit herzustellen. Aus
einer Verbindung von Bibelwissen und
Verständnis der Umwelt soll der junge
Mensch zu einem verantwortungsbewussten Handeln gelangen.
5. DER RELIGIONSUNTERRICHT DER
SCHULEN
Den breitesten Raum auf dem Gebiet
der religiösen Bildungsarbeit nimmt der
Religionsunterricht der Schulen ein. Um
in diesem Bereich Informationen zu bekommen, suchte ich den Schulreferenten der Kirchenkreise Saarbrücken, OttHe< 8 - 2008
14
weiler und Völklingen, Herrn Dr.
Kasten9, auf, der in seinem Amt für
Evangelische Schulfragen der Grund-,
Haupt-, Sonderschule und des Gymnasiums zuständig ist. Ich erhielt von ihm
wertvolle Hinweise und schriftliches
Material, das ich aber nur zum Teil mit
auswerten konnte.
Der Religionsunterricht ist in den letzten Jahren in eine Krise geraten, die ausgelöst wurde durch „unsere sich wandelnde geistige, politische und gesellschaftliche Situation, die ihren Ausdruck nicht nur in der Entwicklung der
Theologie, der Lage der Kirche und
dem allgemeinen Lebensgefühl findet,
sondern vor allem auch in einer radikalen Veränderung der Schule, die noch
keineswegs abgeschlossen ist. Dass von
alledem gerade der Religionsunterricht
in der öffentlichen Schule zutiefst berührt wird, ist selbstverständlich.“10
Die Schule von morgen kann nur als
Veranstaltung der Gesamtgesellschaft
gedacht werden. In dieser Schule ist der
Religionsunterricht nicht als Anspruch
der Kirche, sondern als Dienst zu verstehen. Ein schulischer Religionsunterricht, der in einseitiger Weise Zubringerdienste für Religionsgemeinschaften
leistet, der mehr auf treue Gliedschaft
der Schüler in der Kirche bedacht ist, als
auf mündige Mitverantwortung, der
mithin in unserer Gesellschaft und Pädagogik wichtigen Leitgedanken der
Emanzipation,
Mitverantwortung,
Mündigkeit und Demokratisierung
nicht auch auf die Bereiche der christlichen Erziehung anwendet, ist im
Raum der Schule pädagogisch nicht
tragbar.11
So kann der Religionsunterricht nicht
mehr verstanden werden als bloße Information oder Einführung in die christlich abendländische Überlieferung, sondern er muss die Erziehung zur Mündigkeit bezwecken und zum Verständnis der Wirklichkeit beitragen. Er darf
Saarbrücker Religionspädagogische He<e
nicht als bloßer Überlieferer von historischer Tradition oder Bildungsinhalten
verstanden werden, sondern er soll helfen, Antwort auf Lebens- und Sinnfragen zu finden, indem er das biblische Zeugnis in die konkrete Situation
von Mensch und Gesellschaft auslegt.
Es stellt sich damit an den Religionsunterricht der Schule die Forderung, dass
der Schwerpunkt nicht nur auf der Vermittlung biblischen Wissens liegen soll,
sondern dass der Schüler in gleicher
Weise zu einem denkfähigen Glauben
und zum Verständnis seiner Umwelt
und Zeit gelangen soll. Hieraus soll im
Schüler ein verantwortungsbewusstes
Handeln entstehen. „Aus dem Unterricht über biblische Texte wird ein Unterricht über das Christsein und
Menschsein in der Gegenwart.“12
Es ergeben sich für den schulischen Unterricht drei didaktische Ansätze:
1. Die biblischen Überlieferungen
2. Die Erkenntnisse der modernen theologischen Forschung
3. Die Gegenwart des Kindes
Es scheint, dass eine Synthese aus diesen drei Ansätzen einen bestmöglichen
Religionsunterricht gewährleistet. Dabei bietet sich als Unterrichtsform, die
alle drei Elemente in sich vereinigt, ein
thematischer Unterricht an. Das soll
Pfarrer Dr. Horst Kasten (*1935), von 1969 bis
2000 (erster) Schulreferent bzw. Leiter des Schulreferates der drei saarländischen evangelischen
Kirchenkreise Saarbrücken, Ottweiler und Völklingen, wohnhaft in Saarbrücken.
10 Unterrichtsziel: Mündigkeit [– Gespräch mit
Oberkirchenrat Dr. Hans-Martin Schreiber,
Darmstadt], in: Evangelische Kommentare 3
(1970), Heft 6, [S. 345-348, hier] S. 345.
11 Ev. Kirche und Religionsunterricht, eine
Dokumentation, herausgegeben von der
Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in
Deutschland,
Hannover-Herrenhausen
[1969], Dokument Nr. 7, S. 31.
12 Klaus Dessecker u.a. [Gerhard Martin, Klaus
Meyer zu Uptrup]: Religionspädagogische
Projektforschung [RPF], Stuttgart 1970, S. 27.
9
nicht heißen, dass der biblische Unterricht entfällt, sondern er wird nur anders angegangen. Das biblische Wort
wird in Bezug gesetzt zu unserer Zeit.
Dabei kann von einer Lebenssituation
ausgegangen werden und dann der
biblische Text herangezogen werden,
oder der umgekehrte Weg beschritten
werden, indem man von einer Textstelle
ausgeht und den Bezug zur Gegenwart
herstellt. Dieser thematisch gegliederte
Unterricht ist keineswegs nur geeignet
für ältere Kinder, sonder er kann in gleicher Weise auch schon in der Grundschule durchgeführt werden. Die Themen sind zum Teil sehr gegenwartsbezogen oder mehr biblisch orientiert. Ein
Beispiel für einen thematischen Unterricht sei mit folgendem gegeben:
„Wie Christen auf Jesus zu hören versuchen“ – Nachfolger Jesu finden sich in
Jerusalem zusammen (Apg. 2,36-47;
4,35)
Christen in aller Welt: Vom „Hauskreis
in Jerusalem“ zur „Weltkirchenkonferenz“ (z.B. Bilder aus Upsala)
Aus dem Leben der Ortsgemeinde – wie
Paulus als Bote Jesu Christi auszog, um
eine neue Welt anzukündigen (nach
Gal. 1,1-24 und Apg. 16 i.A.: er reist,
nach 1. Kor. 12, 12 u. 13; 13, Gal. 6.2: er
lehrt)
Paulus sammelt für die Gemeinde in Jerusalem (nach Römer 15, 25-27; 2. Kor.9,
1-5) – wofür die Gemeinde heute sammelt (Kollekte), z.B. den Christen in
Nies fehlen Bücher, eine Schule, ein
Krankenauto, Medikamente, ein Transportschiff
Bethel, eine Stadt der Hilfe – Was Gerda
im „Diakonischen Jahr“ zu tun hat
Vater Bodelschwinghs Aufbauarbeit –
Was eine Gemeindeschwester zu tun
hat
15
Christlicher Friedensdienst in Entwicklungsländern z.B. junge Menschen aus
aller Welt bauen ein Gemeindehaus
Gespräch: Helfen – schwerer als Lesenlernen? 13
An Hand dieses Beispieles wird sichtbar, wie umfassend, vielseitig und auch
interessant ein thematisch gegliederter
Unterricht gestaltet werden kann.
Die Lehrpläne werden für die verschiedenen Schultypen unterschiedlich aufgestellt und berücksichtigen den Entwicklungsstand der Kinder. Bestimmte
biblische Stoffe, wie beispielsweise die
Schöpfungsberichte, sind für die Grundschule noch nicht geeignet. Auch die
historisch-kritische Methode ist erst für
etwas ältere Kinder geeignet.
Um den Religionsunterricht zeitgemäßer und attraktiver zu machen, werden
die Lehrpläne ganz neu durchdacht;
zum Teil ist es auch schon geschehen,
wie am Entwurf für den Unterricht der
Grundschule ersichtlich ist, der nur
noch von kirchlicher Stelle bestätigt
werden muss. In Württemberg schlossen sich 1968 mehrere Religionslehrer
zu einem Team zusammen, um gemeinsam einen Entwurf für einen RU
zu erarbeiten, der die Relevanz des
christlichen Glaubens für die Probleme
der Gegenwart verdeutlicht. Eine Zusammenstellung ihrer Arbeit erfolgte in
dem Buch „Religionspädagogische Projektforschung“, in dem sie einen Lehrplan für die Gymnasien vorstellen.14
Auch hier findet ein thematisch orientierter Unterricht weitgehende Berücksichtigung.
Das Beispiel wurde dem Entwurf für den
Grundschullehrplan der Evangelischen Religionslehre entnommen, dort S. 10.
14 Klaus Dessecker u.a. Religionspädagogische
Projektforschung (s.o. Anm. 12).
13
He< 8 - 2008
16
Doch nicht nur der Unterrichtsstoff
muss im RU neu durchdacht werden,
sondern auch in der Unterrichtsform
müssen neue Wege gesucht werden. Da
es gerade im RU entscheidend darauf
ankommt, die Kinder zu motivieren,
müssen hier alle methodischen Möglichkeiten ausgespielt werden, um einen
wechselnden und fesselnden Unterricht
zu schaffen. Dies erfordert allerdings
vom Lehrer einigen Einfallsreichtum.
Es scheint zunächst einmal wichtig zu
sein, vom reinen Frontalunterricht abzukommen. Es kann zuerst von einem
schriftlichen Arbeitsauftrag ausgegangen werden, bei dem Partnerarbeit gestattet ist. Aus der Partnerarbeit kann
dann zu arbeitsgleichem und schließlich arbeitsteiligem Gruppenunterricht
übergegangen werden. Auch das Rundgespräch, das die freie Diskussion gestattet, ist eine Möglichkeit, den Unterricht aufzulockern. Durch das Einsetzen der Medien Ton, Funk und Lichtbild kann der Unterricht eine zusätzliche Bereicherung erfahren.
Da der RU das einzige Schulfach ist, in
dem sich Lehrer und Schüler ohne
Leistungsdruck begegnen, sollte dieses
Fach genutzt werden, dass hier ein
echtes Gespräch zwischen Lehrer und
Schüler zustande kommt.
Nur wenn der RU alle Möglichkeiten
nutzt, die sich ihm thematisch und
methodisch bieten, hat er die Chance,
aus der gegenwärtigen Krise herauszukommen. Zudem erscheint es eine dringende Forderung, dass eine Zusammenarbeit zwischen Schule und den
anderen Bereichen, auf denen religiöse
Bildungsarbeit geleistet wird, anzustreben ist, damit die Dinge des Glaubens in
einheitlicher Weise vermittelt werden.
Saarbrücker Religionspädagogische He<e
6. DER RELIGIONSUNTERRICHT DER
BERUFSSCHULEN
Meine Informationen über den RU an
Berufsschulen habe ich durch ein Gespräch mit Herrn Pfarrer Boué15 gewonnen, der für Fragen des Berufsschulunterrichts im evangelischen Bereich zuständig ist.
Der RU der Berufsschule, der den Unterricht der Schule fortsetzt, ist gegenüber diesem an andere Voraussetzungen geknüpft. Die Schüler sind inzwischen durch den Eintritt in das Berufsleben mit der Lebenswirklichkeit des
Berufsalltages in Berührung gekommen
und sehen sich von dorther den vielfältigsten Problemen gegenübergestellt.
Da dieser Übergang in der Phase der
Pubertät erfolgt, die ohnehin im Leben
des jungen Menschen ein schwieriger
Zeitabschnitt ist, wird er von mannigfaltigen Problemen begleitet. So ergibt
sich von dieser Voraussetzung her die
Notwendigkeit, den jungen Menschen
in dieser schwierigen Phase Lebenshilfe
zu geben. Deshalb wurde der RU der
berufsbildenden Schulen seit seiner Einführung als ordentliches Lehrfach im
Jahre 1953 von Anfang an nicht als evangelische Unterweisung verstanden, d.h.
als speziell kirchliche Schulung der jungen, getauften Gemeindemitglieder,
sondern er nahm in besonderem Maße
auf die Lebenswirklichkeit der Schüler
Bezug. Damit fand der problemorientierte oder situative Religionsunterricht
im Gegensatz zu den anderen Schulen,
wo er sich erst allmählich durchsetzte,
schon verhältnismäßig früh einen Eingang in das Berufsschulwesen.
15
Pfarrer Hans-Joachim Boué (*1932), 1962-1974
(erster) Berufsschulpfarrer im Saarland, tätig zunächst an einer Kaufmännischen, später an einer
Gewerblichen Berufschule; von 1963 bis 1974 zugleich (erster) Bezirksbeauftragter für Religionsunterricht an Berufsschulen der evangelischen
Kirchenkreise Saarbrücken, Ottweiler und Völklingen, heute wohnhaft in Neuwied.
So formulierten die Bezirksbeauftragten für den Evangelischen Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen
im Rheinland anlässlich einer Konferenz im Jahre 1969: „Der von uns vertretene und durchgeführte RU an berufsbildenden Schulen ist Orientierungshilfe und Aktivierung zu einem
verantwortlichen Handeln zugleich. Er
schließt Religions- und Konfessionskunde, theologische, anthropologische,
psychologische, soziologische, philosophische und ethische Fragen ebenso ein
wie Erziehung zum kritischen Denken
und Urteilen. Er versucht Vorurteile abzubauen, Ideologisierungen zu entschleiern und Halbwissen durch qualifizierte, auf wissenschaftlicher Basis beruhende Information zu korrigieren. Er
zielt letztlich auf ein Mündigsein hin,
das in einem verantwortlichen Engagement wirksam wird. Nach unserer Auffassung ist ein solcher Unterricht das
vom Evangelium Gebotene.16
Mit dieser Formulierung ist ein weiter
thematischer Bogen für den Unterricht
gespannt worden. An Hand eines Themenkreises, der dem Rahmenplan für
den evangelischen Religionsunterricht
an Berufsschulen entnommen wurde,
wird deutlich, wie umfangreich und
vielseitig die Themen sind.
Thema: Der Christ in der Begegnung
mit den Kräften und Mächten unserer
Zeit
A: Kultur und Zivilisation
1. Technik
2. Sport und Körperkultur
3. Mode und Kosmetik
4. Unterhaltung und Vergnügen
5. Alkohol und Nikotin
6. Geld
7. Film, Funk, Fernsehen, Illustrierte
8. Kunst und Kitsch
B: Verschiedene Versuche der Lebensbewältigung und Lebensdeutung
1. Materialismus
17
2. Marxismus
3. Nationalismus
4. Rationalismus
5. Idealismus
6. Aberglaube
7. Das Evangelium und die Weltreligionen
So versteht sich der RU der Berufsschulen in erster Linie als Hilfe im Leben und Beitrag zum Sozialisationsprozess. Doch wird gerade ihm häufig ein
falsches Vorurteil entgegengebracht.
„Viele Schüler erwarten aufgrund von
Vorurteilen und Erfahrungen vorwiegend Langeweile, Moralismus oder klerikale Manipulation; andere eine ihre
Existenz nicht betreffende religiöse Gedankenspielerei; wieder andere gar
nichts. Oft muss daher der RU zunächst
zum Erkennen von Problemen und falschen Verhaltensweisen führen. Erst
dann begegnen uns – im günstigen Verlauf – Fragen nach Möglichkeiten der
Aufgabenbewältigung.“17
Es kommt aber nicht nur darauf an, Vorurteile abzubauen, sondern gleichzeitig
auch Motivationen zu schaffen. Dieses
kann bei Schülern, deren Begabung
mehr auf dem praktischen Bereich liegt
und denen abstraktes Denken schwerfällt, am leichtesten erfolgen, wenn sie
emotional angesprochen werden. So
bietet sich als bester Ausgang für den
Unterricht die konkrete und anschauliche Situation aus dem Alltag an, die
durch entsprechende Arbeitsmittel wie
Film, Dias und Ton bereitgestellt werden kann. Auch Zeitungs- und Bildberichte oder brennende aktuelle Fragen
sind ein guter Einstieg in die Stunde.
Auch provokative Fragen wie: Was
Sonderblatt der Konferenz der Bezirksbeauftragten für evangelischen Religionsunterricht
an berufsbildenden Schulen der Evangelischen Kirche im Rheinland 1959.
17 A.o.
16
He< 8 - 2008
18
haltet ihr von Gott? ergeben eine gute
Gesprächsbasis.
Da die Schüler ihre Probleme von sich
aus kaum vortragen aus irgendwelchen
Hemmungen heraus, lässt Herr Pfarrer
Boué die Fragen der Schüler gewissermaßen anonym in seiner Abwesenheit
an die Tafel schreiben. Dabei werden
dann Fragen aus allen Lebensbereichen
gestellt, die zum Teil eine seelsorgerliche Behandlung erfordern.
Andere Fragen werden gemeinsam diskutiert. Das Besprechen von Problemen
soll „den jungen Menschen befähigen,
Zusammenhänge zu durchschauen, zu
ausgewogenen Urteilen zu kommen
und schließlich aus eigener Erkenntnis
den Forderungen unserer Zeit gerecht
zu werden.“18
Gleichzeitig sollen die jungen Menschen
erkennen, dass für das Leben in der Gemeinschaft Toleranz nötig ist und auch
die Meinung des anderen geachtet werden muss. Außerdem soll aber auch ein
kritisches Bewusstsein gelegt werden.
Da die Lehrlinge häufig zu einer kritiklosen Anpassung an ihre Berufswelt gezwungen sind, erscheint es wichtig, ihnen wenigstens eine kritische Urteilsfähigkeit bewusst zu machen.
Da der RU der Berufsschule in erster
Linie Lebenshilfe sein soll, wird „der
Religionslehrer (...) sich mit der Gemeinde verbunden wissen, sich über
den Unterricht hinaus seines seelsorgerlichen Auftrags bewußt sein und den
Unterricht ergänzende Schülerveranstaltungen und Aktionen organisieren.“19
Der RU der Berufsschule endet damit
nicht im Klassenraum der Schule, sondern geht über die Schule hinaus. Es
stellt sich dem Religionslehrer die Aufgabe, mit Berufsverbänden und Innungen zusammenzuarbeiten und dem
Lehrling auch bei Schwierigkeiten in
Saarbrücker Religionspädagogische He<e
seinem Arbeitsbereich Hilfe angedeihen
zu lassen.
Die Schüler empfinden häufig eine
Kluft, die zwischen den anzustrebenden christlichen Verhaltensweisen und
der Berufswirklichkeit liegt. Hier gilt es
oft nur, die Ellenbogen zu gebrauchen,
um sich durchsetzen zu können. Damit
wird ihnen zugleich eine Grundproblematik unseres Lebens bewusst.
Obwohl der RU der Berufsschule im eigentlichen Sinne nicht mehr als Religionsunterricht anzusehen ist, da er in
erster Linie nur auf die Fragen der
Lebenswirklichkeit Bezug nimmt, befindet auch er sich in einer Krise, was
aus den Abmeldungen der Schüler von
diesem Unterricht zu ersehen ist. „Der
im Bereich der berufsbildenden Schulen
spürbar werdende Widerstand gegen
den RU resultiert u.a. aus einer zunehmenden kritischen Haltung gegenüber
der Kirche. Enttäuschungen rufen bittere Klagen hervor. Angestauter Ärger
macht sich in berechtigten und unberechtigten Vorwürfen und Angriffen
Luft. Da wir von unseren Schülern weithin mit der Kirche identifiziert werden
und wir uns selbst als Mitarbeiter der
Kirche verstehen, müssen wir uns diesen Vorwürfen und Angriffen stellen.“20
Der RU der Berufsschule stellt an den
Lehrer hohe Anforderungen, da nicht
nur theologisches Wissen dafür Voraussetzung ist, sondern er muss in gleichem Maße mit allen aktuellen Lebensfragen vertraut sein. Der Unterricht
wird von vollausgebildeten Pfarrern gehalten oder auch von Katecheten, die
an kirchlichen Seminaren eine speziell
auf die Berufsschularbeit zugeschnittene Ausbildung erhalten haben.
18 A.o.
19 A.o.
20 A.o.
7. DIE RELIGIÖSE BILDUNGSARBEIT
DER EVANGELISCHEN AKADEMIE DES
SAARLANDES
Bei der Frage, welche religiösen Bildungseinrichtungen für den erwachsenen Menschen vorhanden sind, wurde
ich an die Evangelische Akademie des
Saarlandes verwiesen, deren Leitung
Herr Dr. Hummel21 hat. Sie wurde im
Frühjahr 1971 begründet, nachdem am
8.4.70 ein Gesetz zur Förderung der Erwachsenenbildung verabschiedet worden war. Die Kirche hat sich mit der
Gründung der Evangelischen Akademie in die Reihe der Bildungsinstitutionen eingereiht, die eine intensivere Erwachsenenbildung anstreben. Während
bisher kirchliche Bildungseinrichtungen
in diesem Bereich nur punktförmig
wirkten, d.h. nur einem kleinen Bevölkerungskreis, meistens der Stadtbevölkerung, zugute kamen, will die neu gegründete Akademie als Flächenakademie arbeiten. Sie versucht durch Errichtung von insgesamt fünfzehn Abteilungen mit jeweils einem regionalen
Schwerpunkt, eine Ausstrahlung auf
das gesamte Saarland zu gewinnen.
Mit ihrer Arbeitsweise unterscheidet sie
sich grundlegend von allen anderen
evangelischen Bildungseinrichtungen
dieser Art und stellt im gesamten Bundesgebiet etwas Neues dar. „Sie besitzt
kein zentrales Tagungshaus, sondern
führt ihre Veranstaltungen in Gemeindezentren, öffentlichen Räumen, Schulen oder auch Gastwirtschaften durch.
Damit wird zum Ausdruck gebracht,
dass Bildungsarbeit und konkreter
Lebensbereich unmittelbar zusammengehören.“ 22
Nicht nur der äußere Rahmen ist ein
anderer, auch die eigentliche Bildungsarbeit wird anders angegangen, indem
von einer rezeptiven Form wie sie im
Vortrag und anderen Konsumveranstaltungen gegeben wird, zu einer aktiven Mitarbeit übergegangen werden
19
soll. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt
nicht auf dem Vortrag, sondern auf Seminaren und Arbeitsgruppen, die ein
intensiveres Studium ermöglichen und
zudem die Möglichkeit bieten, Zertifikate zu erwerben, die zu einem beruflichen Aufstieg verhelfen.
Die Bildungsarbeit der Akademie, deren
Geschäftsstelle in Saarbrücken ist, wird
von drei Gremien geleitet und durchgeführt, von
1. dem Vorstand der evangelischen
Akademie, der sich aus haupt- und
ehrenamtlichen Mitgliedern zusammensetzt, wobei die hauptamtlichen
Mitglieder als Studienleiter arbeiten
und die verschiedenen Fachrichtungen vertreten;
2. den regionalen Planungsgruppen,
deren Leiter überwiegend aus ehrenamtlichen Mitarbeitern bestehen;
3. dem Dozentenkollegium, das in
Fachbereiche untergliedert ist und das
sich aus den Fachvertretern der verschiedenen Fachbereiche zusammensetzt.
Die Evangelische Akademie sieht ihren
Bildungsauftrag nicht darin, in erster
Linie ein biblisches Wissen zu vermitteln und durch ihre Arbeit der Kirche
neue Mitglieder zuzuführen, sondern
sie will „aus der Sicht eines zeitgerechten Verständnisses des Evangeliums
praktische Lebenshilfe und Hilfe zum
Selbstverstehen leisten. Das geschieht
nicht zuletzt dazu, dass er (der Mensch)
Prof. Dr. Gert Hummel (1933-2004), 1970-72
Privatdozent am Institut für Evangelische Theologie der Universität des Saarlandes, von 1972 bis
1998 Professor für Evangelische Theologie ebenda;
Mitbegründer und langjähriger Leiter des Kuratoriums der Evangelischen Akademie des Saarlandes.
22 Entnommen einer Pressemitteilung der Evangelischen Akademie im Saarland e.V. 1971.
21
He< 8 - 2008
20
zur mündigen Mitverantwortung und
Mitgestaltung der Gesellschaft fähig
und willig wird.“ 23
Der Mensch wird dabei im Brennpunkt
aller seiner Daseinsbeziehungen gesehen, wodurch sich für die Thematik der
Wissensvermittlung ein umfangreicher
Bereich ergibt. „Das Angebot erstreckt
sich (...) von allen Dingen auf theologische, gesellschaftspolitische, pädagogische und psychologische Probleme,
deren Bewältigung in unserer Zeit von
vordringlichem Interesse ist.“24
Als Beispiel für die Vielfalt der Themen
seien hier nur einige erwähnt, die dem
Programmheft des 1. Halbjahres 1971
entnommen wurden:
• Zur Problematik des Rauschmittelgebrauchs
• Erlernen der Sexualität
• Ehescheidung und Scheidungsfolgen
• Umweltschutz
Auch der alte Mensch, der in unserer
heutigen Gesellschaft zum Teil eine problematische Stellung einnimmt, wird
mit entsprechenden Themen einbezogen.
• Was tut der Staat für den alten Menschen?
• Psychologische Probleme des Alterns
• Geragogik – Hilfe für den alten Menschen
• Altern will gelernt sein
Diese Vorträge werden zum Teil auch in
Altersheimen gehalten; sie sind dabei
in erster Linie als Informationsbeitrag
und weniger als seelsorgerliche Arbeit
zu sehen, zumal hier besonders Mediziner und Psychologen zu Worte kommen.
Die Evangelische Akademie liefert mit
ihrer Arbeit auf diese Weise einen wertvollen Beitrag auf dem Sektor der Erwachsenenbildung. Es bleibt zu hoffen,
dass es in der Zukunft zu einer Zusammenarbeit auch mit anderen InstitutioSaarbrücker Religionspädagogische He<e
nen der Erwachsenbildung kommt, um
die Arbeit möglichst effektiv gestalten
zu können.
8. RELIGIÖSE BILDUNGSARBEIT
DURCH DIE MASSENMEDIEN FUNK
UND FERNSEHEN
Funk und Fernsehen übertreffen in ihrer
Einflusssphäre bei weitem die der anderen Bildungseinrichtungen. Sie sind
ein wichtiger Bestandteil unserer modernen Gesellschaft auf dem Gebiete
der Information und Unterhaltung geworden. Wieweit sie aber im umfassenden Sinne Bildungsarbeit leisten können, scheint umstritten zu sein. Allzu
leicht ist hier die Gefahr der Manipulation und der Nivellierung gegeben, da
der Bildungsprozess eindimensional
verläuft. Es ist keine Rückkopplung und
auch keine Wiederholungsmöglichkeit
gegeben. Da diese Medien aber in ihrer
Publikationsmöglichkeit bei weitem die
anderer Bildungseinrichtungen übertreffen, können sie zu einem wichtigen
Bindeglied auch zwischen Kirche und
Bevölkerung werden und über die schulischen Einrichtungen hinaus vor allem
den erwachsenen Menschen ansprechen. Während Kirchgang oder der Besuch eines Vortrages immer aus einem
Bewusstseinsakt oder einer Willensentscheidung heraus erfolgen, haben diese
Medien die Möglichkeit auch jene Leute
zu erreichen, die primär nicht an kirchlichen Fragen interessiert sind. Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass
auch 50 % der Kirchgänger sich über
die Publizistik über kirchliche Fragen
informiert. Wegen der Bedeutung dieser
Medien, die auch auf dem religiösen
Bildungssektor noch nicht abzuschätzen ist, scheint es angebracht zu sein,
23 A.o.
24 Entnommen dem Programmheft des 1. Halb-
jahres 1971 der Evangelischen Akademie im
Saarland, Abteilung Saarbrücken.
21
ihre Arbeit auf dem Gebiet der religiösen Bildung mit in das Thema des Referates einzubeziehen. Herr Pfarrer Osenberg25, der als Beauftragter der Kirche
für deren Fragen am Saarländischen
Rundfunk arbeitet, gab mir für meine
Arbeit wichtige Unterlagen und Informationen.
Zunächst erscheint es sehr bemerkenswert, dass Kirchenfunk und Fernsehen
keine kirchliche Einrichtung sind, sondern vom Saarländischen Rundfunk
ausgehen und somit in letzter Verantwortung dem Intendanten unterstehen.
Sie werden damit finanziell vom Saarländischen Rundfunk getragen. Daraus
ergibt sich die Tatsache, dass viele der
Mitarbeiter, die auf diesem Sektor arbeiten, nicht Theologen sind, sondern
aus dem publizistischen Bereich kommen. Dies hat zu heftiger Kritik seitens
der Kirche Anlass gegeben, die eine Gefahr darin sieht, dass breite Schichten
der Bevölkerung von Nichttheologen
über kirchliche Dinge informiert werden. In einer erstmals von der Hörfunkund Fernsehkommission der EkiD herausgebrachten Broschüre „Kirchenfunk
1969“ heißt es u.a.:
„Nach wie vor ist es für die beiden
großen Kirchen ein unbewältigtes Problem, dass Christen zunehmend nicht
nur von Theologen, sondern auch von
Journalisten in Sachen ihres Glaubens
informiert werden. Den Kirchenfunkredaktionen kommt bei dieser Vermittlertätigkeit eine unübersehbare
Bedeutung zu. Aus bescheidenen Anfängen entstanden, haben die Redaktionen rasch an Selbstbewusstsein gewonnen und an Bedeutung im Gesamtprogramm zugenommen. Es gibt
heute neben dem Rundfunk (Hörfunk
und Fernsehen) kein Medium, das
eine breite Öffentlichkeit ähnlich umfassend über Ereignisse im Umkreis
Kirche informiert und damit die Kirche entweder direkt oder indirekt am
Zeitgespräch der Gesellschaft beteiligt.
Man darf mit Recht fragen, ob diese
verantwortungsbewusste Tätigkeit
von den Kirchen ausreichend erkannt
und gewürdigt wird. Es wäre gut, in
der Arbeit des Kirchenfunks keine
böswillige Konkurrenz für die Kirchen
zu sehen, sondern allemal auch das
Bemühen, die gleiche Wahrheit mit
anderen Akzenten ,in die Mediengrammatik auszubuchstabieren’.“ 26
Die Kirche hat mit dieser Regelung am
Rundfunk auch keine angemieteten
Sendezeiten, wie dies etwa bei den Parteien oder der Werbung der Fall ist. Sie
hat aber bestimmt Sendezeiten innerhalb des Programms, die durchgängig
sind und zum Teil zeitlich sehr günstig
liegen. Außer diesen festen Sendungen
gibt es auch solche, die unterschiedlich
in das Programm eingestreut werden.
Innerhalb der Programme wird dabei
unterschieden zwischen Sendungen mit
reinem Verkündigungsgehalt und solchen, die ihre Thematik aus der Aktualität wählen und aus christlicher Sicht
eine Stellung dazu nehmen. Der gesamte Kirchenfunk auf evangelischer
Seite untersteht Herrn Barwitz, der
Nichttheologe ist.
Für die Sendungen der Verkündigung
übt Herr Pfarrer Osenberg eine beratende und planende Funktion aus, obwohl auch diese in letzter Entscheidung
dem Intendanten unterstellt sind.
Im Rundfunk sind die kirchlichen Sendungen mit festen Sendezeiten bei weitem zahlreicher als die des Fernsehens.
Auf der Europawelle sind folgende Sendungen zu hören:
Pfarrer Hans Dieter Osenberg (*1929), von 19641992 ev. Rundfunkbeauftragter beim Saarländischen Rundfunk (SR), nach wie vor wohnhaft in
Saarbrücken.
26 Entnommen dem Jahresbericht vom 1.7.68
bis 30.6.69 des kirchlichen Beauftragten beim
Saarländischen Rundfunk, Herrn Pfarrer
Osenberg.
25
He< 8 - 2008
22
Am Sonntagmorgen werden von 8.05 –
8.20 Uhr aktuelle kirchliche Kommentare und Interviews gesendet. Die neue
Sendereihe „Fragen an den Autor“ von
11.00 – 12.00 Uhr, in der Autoren von
besonders bekanntgewordenen Sachbüchern im Studio live interviewt werden (mit telefonischer Hörerbeteiligung)
berücksichtigt in relativ starkem Maße
Theologen (z.B. Heinz Zahrnt, Dorothee
Sölle, Dietrich von Oppen).
Damit finden sich jetzt in den beiden
Programmen des SR folgende feste
Sendezeiten für kirchliche Sendungen,
die zwar abgesehen von den Gottesdiensten und den Morgenandachten
nicht mehr streng nach Konfessionen
aufgeteilt sind, aber doch gleichmäßig
und sachlich der Problematik und den
Ereignissen in beiden Kirchen Rechnung tragen.
Montag – Samstag 6.55 – 7.00 Uhr EW +
SW und 8.25 – 8.30 Uhr SW
GLAUBEN IN DIESER ZEIT
Dienstag und Freitag 18.45 – 19.00 Uhr
SW
AUS KIRCHE UND WELT (Aktuelles)
Freitag 8.30 – 9.00 Uhr SW
BREVIER FÜR DEN ALLTAG
(Theologisch-Literarische Sendungen,
vorwiegend für Kranke)
Samstag 19.45 – 20.0 Uhr SW
AUS DER CHRISTLICHEN WELT
Sonntag 8.05 – 8.20 Uhr EW
AUS KIRCHE UND WELT (Aktuelles)
9.00 – 9.15 Uhr SW
STANDPUNKTE
10.00 – 11.00 Uhr SW
GOTTESDIENST (an besonderen Feiertagen EW angeschlossen)27
Bei der Planung der Sendungen ging
Herr Pfarrer Osenberg auf verschiedene
Weise vor. Da die kirchlichen Sendungen hier im Gegensatz zu den GottesSaarbrücker Religionspädagogische He<e
diensten der Kirche keinen vorgeschriebenen Predigttext haben, ist eine
freie Auswahl möglich. So wählte Herr
Pfarrer Osenberg einmal Bibeltexte aus,
oder er verwendete Themen oder Zitate
aus Büchern und Zeitschriften, die als
Denkanstöße für die Sprecher fungierten. Bei der Ausgestaltung der Texte
bleibt den Sprechern dann größte Freiheit.
Auch die Auswahl der Sprecher und
der Chöre obliegt Herrn Pfarrer Osenberg. Dabei ergibt sich in Bezug auf die
Sprecher eine gewisse Schwierigkeit,
weil nicht jeder gute Pfarrer zugleich
auch mediengeeignet ist. Zudem erscheint es günstig, wenn die Sprecher
sich auch öfters ablösen, damit auf diese
Weise mehrere Stimmen zu Wort kommen.
Während die Verkündigungssendungen
im eigentlichen Sinne nicht als Bildungsarbeit zu verstehen sind, da sie
mehr als Zuspruch zu werten sind, fallen vor allem die Informationssendungen unter den Begriff der religiösen Bildungsarbeit. Sie stellen sogenannte
„feature-Sendungen“ dar und beziehen
ihre Themen aus der Aktualität, die sie
von christlicher Sicht aus interpretieren.
Aber auch Dokumentationen und Hörspiele fallen unter diesen Bereich. Außer
den festen Sendezeiten, die auch zum
Teil für diese Sendungen bestehen, gibt
es Sendereihen verschiedener Länge,
die verschieden in das Programm eingeplant werden. Themen für solche Sendungen sind z.B.:
• Christen und Marxisten
• Wandel der Moral
• Christentum und Sozialismus.
27
EW = Europawelle; SW = Studiowelle; entnommen dem Jahresbericht vom 1.7.68 bis
30.6.69 des kirchlichen Beauftragten beim
Saarländischen Rundfunk, Herrn Pfarrer
Osenberg.
Außer diesen Sendereihen gibt es Rundfunk- und Fernsehkommentare. Einige
Beispiele für die Themen der Fernsehkommentare sind folgende:
• Keine Angst vor Menschen (zu den
Demonstrationen in Saarbrücken)
• Man lebt nur einmal (zum Tode Ph.
Blaibergs in Kapstadt)
• Einfluss nach Prozenten (zu einer
Meinungsumfrage nach der Macht im
Staat)
Bei den Sendungen herrscht im allgemeinen eine gute Zusammenarbeit mit
der katholischen Kirche. Jede Kirche
wird im Programm in gleicher Weise
berücksichtigt, darüber hinaus gibt es
viele ökumenische Sendungen.
Ein Nachteil all dieser Sendungen ist
die Tatsache, dass sie eindimensional
verlaufen. Nur in Ausnahmefällen wie
bei der Sendung „Fragen an den Autor“
oder der Einrichtung beim Hessischen
Rundfunk, wo die Hörer die Gelegenheit haben, schriftlich Anfragen vorzutragen, die dann in einer eigenen Sendung beantwortet werden, besteht die
Möglichkeit einer Rückkoppelung. Zudem stellt sich die Forderung vor allem
an das Fernsehen, die Sendungen
mediengerechter zu übermitteln. Da
viele der Sendungen als reine Informationssendungen nur durch einen Sprecher dargeboten werden, könnte man
hier ansetzen und überlegen, wie diese
Sendungen anschaulicher und damit
attraktiver gestaltet werden könnten.
Neuerdings versucht man auch, die
durch Infratest gemachten statistischen
Untersuchungen, die das Hör- und
Fernsehverhalten der Bevölkerung ergründen sollten, bei der Programmgestaltung mit einzubeziehen. Eine solche
Untersuchung wurde auch durchgeführt, um das Hörverhalten in Bezug
auf die kirchliche Bindung herauszufinden.
Dabei ergaben sich folgende Werte:
23
• Hörer kirchlicher Sendungen sind zu
26% von intensiver Glaubensbindung
• 41% nur aus Gewohnheit mit der Kirche verbunden
• 17% nur von sachlichem Interesse
• 15% desinteressiert.
Eine Möglichkeit, Fernsehsendungen zu
konservieren, besteht in der Herstellung
von Filmkassetten, die dann eine gute
Nutzung für den Unterricht bedeuten
könnten. Die Versuche auf diesem Gebiet laufen noch. Auf dem Halberg werden bereits einige Fernsehseminare mit
der Evangelischen Studentengemeinde
zusammen durchgeführt, bei denen
nach Sichtvorführung ausgewählter
Produktionen der verschiedenen Anstalten dann Form und Inhalt kritisch
besprochen wurde.
Auch im Schulfunk, der einen besonderen Bereich der Rundfunkarbeit darstellt, werden Sendungen mit religiösem Inhalt hergestellt.
Diese Sendungen sind ökumenisch aufgezogen und beziehen sich vor allem
auf Themen des AT und der Kirchengeschichte. Da der Schulfunk aber allgemein eine rückläufige Tendenz aufweist, haben diese Sendungen keine
große Ausstrahlung.
Es kann zusammenfassend gesagt werden, dass die Medien Funk und Fernsehen auf dem Sektor der religiösen Bildung einen nicht zu unterschätzenden
Faktor darstellen. Die Möglichkeiten
aber, die sich bei einer mediengerechteren Form der Darbietung ergeben, sind
noch nicht ausgeschöpft.
9. ZUSAMMENFASSUNG
Die Kirche leitet ihren Bildungsauftrag
ab von Jesu Missionsbefehl in Mt 28,19
– 20. Die Erfüllung geschieht in den Dimensionen Wort, Dienst und Gemeinschaft. Da das Weltbild der Bibel nicht
He< 8 - 2008
24
mehr mit dem unseren übereinstimmt,
ist der Zugang zum Verständnis der
biblischen Texte erschwert. Die Kirche
ist in eine Krise geraten und sucht deshalb nach neuen Wegen, um ihrem Bildungsauftrag in zeitgemäßer Form gerecht zu werden. Das Ziel religiöser Bildungsarbeit ist heute der mündige
Mensch, der zu einem verantwortungsbewussten, christlichen Handeln innerhalb der Gesellschaft geführt werden
soll.
Religiöse Bildungsarbeit geschieht evangelischerseits in folgenden Bereichen:
• Kindergarten
• Kindergottesdienst
• Konfirmandenunterricht
• Schulen
• Berufsschule
• Evangelische Einrichtungen für Erwachsenenbildung
• Funk und Fernsehen
Der Kindergarten
Die religiöse Bildungsarbeit im Kindergarten geschieht in der bildsamsten und
empfindsamsten Phase des menschlichen Lebens. Hier werden die Fundamente des späteren Glaubens gelegt, indem ein Vorverständnis geschaffen
wird. Dabei findet kindgemäße Sachlichkeit weitgehende Berücksichtigung.
Das Kind wird nicht verbal, sondern
emotional behutsam an die Gottesfrage
herangeführt. Dies geschieht, indem aus
der kindlichen Erlebenswelt ein Bezug
zur Bibel hergestellt wird. Das Kind
wird nicht mit biblischen Texten überschüttet, die es noch nicht verstehen
kann. Werden aber biblische Texte erzählt, so muss dies sachlich einwandfrei
erfolgen. Es darf grundsätzlich nicht erzählt werden, was später zurückgenommen werden muss. Durch Werken,
Malen und Musizieren werden biblische Texte in Handlung umgesetzt und
zugleich vertieft.
Saarbrücker Religionspädagogische He<e
Der Kindergottesdienst
Obwohl zwischen der religiösen Bildungsarbeit des Kindergartens und des
Kindergottesdienstes noch keine Zusammenarbeit besteht, besteht in beiden Fällen ein ähnlicher Ansatz. Auch
im Kindergottesdienst neuerer Prägung
wird das Prinzip der Kindgemäßheit
weitgehend berücksichtigt, da es pädagogisch nicht mehr vertretbar erscheint,
Kinder rechtzeitig an den Gottesdienst
der Erwachsenen zu gewöhnen. So wird
auch hier versucht, in kindgerechter
Weise an biblische Texte heranzugehen,
indem von einer konkreten Situation
des Lebens ausgegangen wird, die auch
durch Film oder Dias bereitgestellt werden kann. Außerdem wird auch hier
versucht, durch das Tun des Kindes, das
sich im Werken, Basteln, Malen, Musizieren, Singen und Tanzen ausdrückt,
biblische Texte anschaulich zu machen.
Daneben kommen aber auch allgemein
kirchliche Themen der Gegenwart zur
Sprache. Ein Kindergottesdienst, der in
dieser Weise gehalten wird, findet überwiegend in Gemeinschaftsräumen statt.
Wird ein kirchlicher Gottesdienst gefeiert, so dürfen die Kinder ihn selbst gestalten helfen.
Der Konfirmandenunterricht
Im Konfirmandenunterricht versucht
man durch einen Kursunterricht zu
neuen Formen zu kommen. Die Kurse
stehen jeweils unter einem umfassenden Thema und bieten damit die Möglichkeit einer stofflichen Konzentration.
Sie werden nach Pflicht- und Wahlkursen unterschieden, von denen eine bestimmte Anzahl belegt werden muss.
Die Reihenfolge der Kurse kann der
Präparand selbst bestimmen. Inhaltlich
beschränkt sich der Unterricht nicht
mehr auf die Katechese und Vermittlung rein biblischer Themen, sondern
die soziale Wirklichkeit und die Probleme der Gegenwart werden mit in
den Unterricht einbezogen. Exkursio-
nen zu sozialen Institutionen und Vorträge von Leuten, die in diesem Bereich
arbeiten, stellen eine anschauliche Ergänzung des Unterrichts dar. So wird
neben der Vermittlung biblischen Wissens in gleicher Weise ein Bezug zur
Lebenswirklichkeit hergestellt und der
Unterricht von allzu starren Formen befreit.
Der Religionsunterricht der Schulen
Auch den Religionsunterricht der Schulen versucht man neu zu gestalten, um
durch ein zeitgemäßes Verständnis die
Kinder für dieses Unterrichtsfach zu
motivieren. „Er (der RU) darf nicht als
bloßer Überlieferer von historischer Tradition oder Bildungsinhalten verstanden werden, sondern er soll helfen, Antwort auf Lebens- und Sinnfragen zu finden, indem er das biblische Zeugnis in
die konkrete Situation von Mensch und
Gesellschaft auslegt.“
Der Schüler soll zu einem denkfähigen
Glauben und verantwortungsbewussten Handeln gelangen. Es ergeben sich
für den Unterricht dabei drei didaktische Ansätze:
• Die biblischen Texte
• Die Erkenntnisse der modernen Theologie
• Die Gegenwart
Diese drei Ansätze lassen sich am besten
in einem thematisch aufgebauten Unterricht verwirklichen. Auch im methodischen Bereich wird versucht, durch
wechselnde Unterrichtsformen und
durch Medieneinsatz den Unterricht attraktiver und interessanter zu machen.
Der Religionsunterricht der Berufsschule
Der Religionsunterricht der Berufsschule ist seit seiner Begründung im
Jahre 1953 in erster Linie als Lebenshilfe
verstanden worden. Der junge Mensch,
in einer schwierigen Phase der Ent-
25
wicklung, wird durch seinen Eintritt in
das Berufsleben mit mannigfaltigen Problemen konfrontiert, in denen er Hilfe
braucht. Deshalb bezieht sich der RU
der Berufsschule überwiegend auf Gegenwartsprobleme und weniger auf
biblische Themen. Über den Unterricht
hinaus arbeitet der Lehrer mit Verbänden und Innungen zusammen und steht
dem Schüler auch am Arbeitsplatz zur
Seite. Dabei kann die Hilfe des Lehrers
seelsorgerliche Züge annehmen.
Der eigentliche Unterricht wird in der
Weise gestaltet, dass die Kinder zunächst mehr emotional angesprochen
werden, indem von konkreten Situationen ausgegangen wird. Diese lassen
sich durch Arbeitsmittel wie Filme,
Dias, Fotos und Zeitungsartikel sehr gut
bereitstellen. Der Schüler soll nicht nur
zu einem Verständnis seiner Umwelt,
sondern auch zu einer kritischen Betrachtung dieser geführt werden.
Erwachsenenbildung durch die Evangelische Akademie des Saarlandes
Die neugegründete Evangelische Akademie des Saarlandes hat sich in die
Reihe der Bildungsinstitutionen eingereiht, die Erwachsenenbildung betreiben. Sie tut dies aus ihrer Motivation
heraus, dem Menschen ein Verständnis
seiner Zeit und damit Lebenshilfe zu
geben. Der Mensch soll zur mündigen
Mitverantwortung und Mitgestaltung
in der Gesellschaft fähig und willig werden. Die angebotenen Themen beziehen sich auf theologische, gesellschaftspolitische, pädagogische und psychologische Probleme. In ihrer Arbeitsweise
unterscheidet sich die Evangelische
Akademie, die in ihrer Form die erste
im Bundesgebiet ist, grundlegende von
anderen kirchlichen Institutionen. Sie
stellt eine Flächenakademie dar, da sie
durch ihre Aufteilung in 15 verschiedene Abteilungen mit jeweils einem regionalen Schwerpunkt über das ganze
Saarland wirken kann. Ihre VeranstalHe< 8 - 2008
26
tungen finden nicht in eigenen Tagungshäusern statt, sondern in öffentlichen Räumen, Gemeindezentren,
Schulen und auch Gastwirtschaften. Dabei werden nicht nur Vorträge angeboten, sondern der eigentliche Schwerpunkt liegt auf den Seminaren, in denen
von einer rezeptiven Form zur aktiven
Mitarbeit übergegangen werden soll. Es
können auf diese Weise Zertifikate erworben werden, die einen beruflichen
Aufstieg ermöglichen.
Religiöse Erwachsenenbildung durch
Funk und Fernsehen
Funk und Fernsehen stellen wegen ihrer
breiten Publikumswirkung auch im religiösen Bereich einen noch nicht zu
überschauenden Faktor der Wissensvermittlung dar, zumal sie auch jene
Leute erreichen, die sich sonst wenig
oder kaum über kirchliche Dinge informieren. Ein Nachteil der Sendungen ist
jedoch, dass sie eindimensional verlaufen und eine Rückkopplung nicht gegeben ist. Kirchenfunk und kirchliche
Fernsehsendungen sind Veranstaltungen des Saarländischen Rundfunks und
damit der Verantwortung des Intendanten und nicht der Kirchen unterstellt. So sind zum überwiegenden Teil
Nichttheologen, die aus dem publizistischen Bereich kommen, auf diesem Gebiet tätig.
Nur bei Verkündigungssendungen, wie
Gottesdienst, Andacht und kirchlicher
Feier, übt ein kirchlicher Vertreter eine
beratende Funktion aus.
Neben die Sendungen der Verkündigung treten die sogenannten „feature“
Sendungen, die einen Informationscharakter haben und aus christlicher
Sicht eine Deutung aktueller Probleme
geben oder auch nur einfache Kommentare darstellen. Der Schulfunk, der
jedoch nicht dem Kirchenfunk angeschlossen ist, stellt für den Schulunterricht zusätzlich vorwiegend ökumeniSaarbrücker Religionspädagogische He<e
sche Sendungen her, die einen religiösen Inhalt haben.
Durch statistische Untersuchungen versucht man neuerdings das Hörverhalten
zu erfassen und daraus Rückschlüsse
für die Programmgestaltung zu ziehen.
Für die Zukunft ergibt sich dabei vor allem für das Fernsehen die Forderung
nach einer mediengerechten Darbietung.
10. SCHLUSSWORT
Die vorangegangenen Ausführungen
haben gezeigt, wie heute auf dem religiösen Bildungssektor versucht wird,
durch neue Ansätze aus der gegenwärtigen Krise herauszukommen. Religiöse
Bildungsarbeit erschöpft sich deshalb
nicht mehr in der Vermittlung nur
biblischen Wissens, sondern in gleicher
Weise wird die Gegenwart mit einbezogen. Obwohl diese Verknüpfung von
Bibelwort und Gegenwart eine gebotene Forderung ist, weil damit der Gegenwartsbezug des biblischen Wortes
deutlich wird, ist die Gefahr gegeben,
dass der Akzent dabei allzu sehr auf
das Zeitverständnis gelegt wird und das
Wort der Bibel, das Anrede Gottes bedeutet, zu kurz kommt. Da der christliche Glaube aber erst aus der Erkenntnis
heraus wachsen kann, dass Gott durch
die Bibel zu uns spricht, erscheint es
nach wie vor eine gebotene Forderung
zu sein, dass ein Schwerpunkt der religiösen Bildungsarbeit auf dem biblischen Wort selbst liegt. Da biblische
Texte aber noch häufig als historische
Berichte missverstanden werden und
sich dadurch ihr eigentlicher Aussagegehalt verschließt, erhebt sich die Notwendigkeit, in stärkerem Maße als bisher die Erkenntnisse der modernen
Theologie über die Entstehung der
Texte weiterzugeben. Auf diese Weise
werden die Texte zum Sprechen gebracht und erscheinen transparent. Ihr
zeitlos gültiger Gehalt schält sich dabei
heraus.
Damit außerdem die Dinge des Glaubens in einheitlicher Weise vermittelt
werden, scheint es unumgänglich zu
sein, dass auf dem religiösen Bildungssektor zu einer größeren Zusammenarbeit der einzelnen Bereiche gefunden
27
wird. Durch das Aufstellen von Plänen,
die in gegenseitiger Absprache entstehen müssten, könnte dann auch die Gewähr gegeben werden, dass das biblische Wort im gesamten Bildungsprozess nicht zu kurz kommt und der junge
Mensch ein konkretes biblisches Wissen vermittelt bekommt, das seinen Bezug in der Gegenwart hat.
He< 8 - 2008
He< 8
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„WAS ES EIGENTLICH 40 JAHRE DANACH … ERNEUT BRÄUCHTE, WÄRE EINE
VISION …“
– Interview zum Thema „1968 und die Folgen für Kirche, Theologie und Religionspädagogik“ mit Pfarrer Wolfgang Klein (März 2008)
Pfr. Wolfgang Klein, Jahrgang 1944, geboren in Neunkirchen (Saarland), verheiratet mit einer Buchhändlerin, hat
zwei erwachsene Kinder und einen Enkel. Nach Studium der Evangelischen
Theologie in Bonn, Heidelberg und
Wuppertal war er 1969-70 Vikar in
Karlsruhe und Wiesloch (Baden), ab
1970 in Saarbrücken und 1971-1979
Pfarrer der Ev. Kirchengemeinde AltSaarbrücken. Von 1979-1992 arbeitete er
als Berufsschulpfarrer ebenfalls in Saarbrücken, ehe er von 1992-2005 als Schulreferent der Kirchenkreise Saarbrücken,
Völklingen und Ottweiler für die Religionslehrerfort- und -weiterbildung zuständig war. Auch nach seiner Pensionierung 2005 ist er Mitglied in der Theologischen Prüfungskommission der
Evangelischen Kirche im Rheinland und
Vertreter beider evangelischen Kirchen
im Saarland im Medienrat der Landesmedienanstalt Saar.
Er hat zahlreiche religionspädagogische
und theologische Gesprächsbeiträge sowie Anthologien theologischer Literatur publiziert – auf das Jahr 1968 und
die damaligen Umbrüche beziehen sich
etwa seine Aufsätze „Politik und Protestantismus heute“ (in: Deutsches Pfarrerblatt 69, 1969, 684-686), „Probleme
politischer Theologie“ (in: Wissenschaft
und Praxis in Kirche und Gesellschaft
61, 1972, 439-442) und „Liturgie der Revolution – oder: Kirche ohne Politik?
(in: Der Sonntagsgruss Nr. 35 v. 27. August 1972, 8).
Das folgende Gespräch fand am 6. März
2008 statt. Die Fragen stellte Prof. Dr.
Bernd Schröder
S.: Herr Klein, wir wollen miteinander über
das Thema „1968 und die Folgen für Kirche,
Theologie, Religionspädagogik“ sprechen.
Deshalb zunächst die Frage: Wofür steht
für Sie das Jahr 1968?
Klein: Für mich ist das Jahr 1968 allgemein verbunden mit dem Begriff „Befreiung“ oder „Freiheit“, mit einer großen Horizonterweiterung sowohl politisch wie auch kulturell. Ich muss dazu
sagen, dass es nicht nur um Politisierung ging, sondern insgesamt auch um
völlig neue Ansätze im Hinblick auf Gesellschaft und Politik.
Ich bin in den fünfziger Jahren groß geworden, die für mich – Stichwort: Restauration – als damals 15-jährigen gekennzeichnet waren vor allem von einer
doppelten Moral. Einerseits wurden die
so genannten bürgerlichen Werte, Wohlanständigkeit und auch eine prüde
Sexualmoral, hoch gehalten; auf der anderen Seite waren alle diese Werte im
Dritten Reich zusammengebrochen und
durch die NS-Ideologie auch desavouiert. Dass in den 60er Jahren die Politisierung unsere Generation ergriff, hatte
zwei Gründe:
Der eine war die Auseinandersetzung
mit der Vergangenheit, mit der Frage
an die Eltern bzw. an die Großeltern damals: „Wie konntet Ihr das zulassen?“
Für uns war es völlig unverständlich,
wie es dazu kommen konnte, zu diesem NS-Staat, zu diesem Unrechtsstaat.
Was war der Beitrag der Eltern und der
Großeltern dazu, der immer verschwiegen wurde und in vielen Familien taHe< 8 - 2008
30
buisiert war? Hinzu kam, dass wir, viele
meiner Generation und auch ich selbst,
Kriegswaisen waren. Wir haben zu einer
vaterlosen Generation gehört. Insofern
waren wir mit unseren Biografien besonders betroffen von der Nazi-Zeit.
Meine Mutter zum Beispiel war eine
überzeugte Nationalsozialistin – was
mich immer gewundert hat. Sie ist mir
und meinen Fragen in diese Richtung
stets ausgewichen. Und meinen Vater
konnte ich nicht fragen, er war 1944 gefallen. Ich habe ihn gar nicht kennen gelernt. Demgegenüber waren die Eltern
meiner Frau in der Bekennenden Kirche
im Saarland aktiv. Mein Schwiegervater,
der als evangelischer Buchhändler in
Saarbrücken die Anti-Nazi-Blätter von
Bischof [Theophil] Wurm verteilt hat,
war 14 Tage im Gestapo-Haft, hier auf
der Lerchesflur, im Saarbrücker Gefängnis; anschließend wurde er zwangsrekrutiert zur Wehrmacht. Als er heimkehrte, war sein Geschäft und alles verloren gegangen. Der Riss ging quer
durch die Familie, das wollte ich damit
sagen.
Und der zweite Grund war eigentlich
ein [damals] aktueller, er war eine der
wesentlichen Triebfedern der Studentenbewegung. Es war die Politisierung
durch den US-amerikanischen Imperialismus, vor allem durch den VietnamKrieg. Das war wirklich eine wichtige
Triebkraft. Hinzu kam kulturell interessanterweise die so genannte sexuelle
Befreiung: durch die Einführung der
Anti-Baby-Pille in den 60er Jahren etwa
und die ganze sexuelle Aufklärungsdebatte; das war ein Stück Befreiung im
Blick auf die einzelnen Personen, spürbar auch in der Jugendkultur der Hippiebewegung („Make love, not war“).
S.: Das bisher Gesagte betrifft die Gesellschaft insgesamt.
Klein: Ja.
Saarbrücker Religionspädagogische He<e
S: Wie würden Sie sagen war es in der Kirche? Gab es dort auch die doppelte Moral,
den Drang nach Freiheit, von dem Sie
sprachen?
Klein: Also in der Kirche habe ich das
nicht so wahrgenommen. Dazu muss
ich allerdings sagen: Ich bin überhaupt
nicht kirchlich sozialisiert, ich wurde
vielmehr erst später ein so genanntes
„schwarzes Schaf“ der Familie. Meine
komplette Familie war neutral oder
gleichgültig der Kirche gegenüber, und
ich kam eigentlich erst durch einen sehr
guten Religionsunterricht auf dem
Gymnasium in St. Ingbert in der Oberstufe zum Theologie-Studium. Ja, meine
Motivation, Theologie zu studieren kam
aus dem Religionsunterricht – eben das
hat mich bis heute in meiner gesamten
beruflichen Laufbahn und auch sonst
geprägt.
S.: Das, was in der Kirche geschah, war also
nicht ausschlaggebend für Ihre Wahrnehmung von 1968? Für Sie war es eher ein gesellschaftlicher Impuls?
Klein: Ja, das Interesse an der Studentenbewegung und die Politisierung
folgte einem gesellschaftlichen Impuls.
Ich hatte 1963 Abitur gemacht und im
Sommer ‘63 angefangen zu studieren.
Ich habe mich natürlich zunächst mit
dem Studium, mit Evangelischer Theologie auseinandergesetzt – und habe dabei dann die Kirche eigentlich genauso
zwiespältig erlebt wie die Gesellschaft.
Auf der einen Seite gab es die konservativen bis evangelikalen Kräfte, damals
die Bewegung „Kein anderes Evangelium“, die Bekenntnis-Bewegung, die
Front gegen alle historisch-kritische
Theologie machte, vor allem gegen [Rudolf] Bultmann, das war ihr Lieblingsgegner, später gegen Dorothee Sölle. Die
Bekenntnis-Bewegung hat Front gemacht gegen eigentlich alle Erkenntnisse der evangelischen Theologie seit
der Aufklärung, vor allem gegen das
Entmythologisierungsprogramm. Ich
habe bei meinem Studium im Wuppertal erstmals in meinem Leben Pietisten
erlebt aus dem Siegerland und von Vielem gehört, was für mich völlig befremdlich war, von der Zeltmission von
Herrn Henkelbach etwa – die Älteren
werden sich erinnern – und Ähnliches
mehr. Das war für mich eine absurde,
völlig fremde Welt. Auf der anderen
Seite gab es die linken Theologie-Studenten, seit Mitte der 60er Jahre, die
sich mit dem neuen Dialog Christentum und Marxismus, mit der Frage nach
dem Sozialismus auf theologische Weise
auseinander gesetzt haben. Ich würde
sagen: in der Tradition der früheren
„Religiösen Sozialisten“, Leonhard Ragaz, Karl Barth und dem linken Flügel
der Barthianer. Das war für uns, für
mich schon prägend.
S.: Sie waren 1967/68 noch an der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal ?
Klein: Nein, da war ich in Bonn.
S.: Wie sind Sie dort in diese Politisierung
hinein geraten? Gingen Sie aktiv auf die
Studenten zu, die schon engagiert waren,
oder gab es Anstöße von außen?
Klein: Das war ein Prozess. Nach meiner Erinnerung ging es etwa 1964/65 los,
damals habe ich in Heidelberg studiert
und bei Georg Picht Vorlesungen gehört, der damals die „Bildungskatastrophe“ proklamiert hat. Zugleich hatte ich
1964/65 die ersten Demos erlebt, beispielsweise eine in Heidelberg gegen
den Bildungsnotstand. Das hat schon
den ersten Schub der Politisierung gegeben. Theoretisch wurde er durch das
Theologiestudium forciert – und dann
immer wieder durch die Ereignisse,
etwa als ab 1967 in Bonn die ersten Demos gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetze in der BRD begannen, zudem durch die ganzen Aufrufe und die
Kampagnen und die ganze „Agitation“
wie man damals sagte.
31
S.: Hatten Sie damals nur die westdeutschen Verhältnisse vor Augen oder spielte
auch der reale Sozialismus in der damaligen
DDR eine Rolle?
Klein: Die DDR war für uns relativ wenig im Blick; es war die Zeit des kalten
Krieges und die Möglichkeiten der
Kommunikation mit der DDR waren
sehr gering damals in den 60er Jahren.
Die Öffnung kam ja erst in den 70ern
aufgrund der Ostverträge Willy
Brandts. In den 60er Jahren gab es kaum
Möglichkeiten, sich mal authentisch vor
Ort mit der DDR auseinanderzusetzen.
Ich kann mich erinnern an die Zeit ein
paar Wochen vor dem Mauerbau, 1961;
wir waren auf Klassenfahrt im Westberlin und sind damals über die Friedrichstrasse nach Ostberlin gefahren.
Später haben wir als Vikare mit dem
Predigerseminar eine Fahrt nach Ostberlin gemacht. Wir wussten zudem,
dass es da kirchliche Kontakte gab, von
Seiten der EKD, aber für uns als Studenten war das eigentlich nicht maßgebend. Der DDR-Sozialismus war nicht
das, was wir uns politisch erhofft oder
gewünscht hatten.
Aber wir wussten, dass aus dem Osten
Flüchtlinge kamen und die auch in der
Studentenbewegung aktiv waren, Bernd
Rabehl zum Beispiel oder auch Rudi
Dutschke. Wir haben auch sehr intensiv
den Prager Frühling von Alexander
Dubcek verfolgt – das war ein Sozialismus, der uns Hoffnung gemacht hat.
Das war ja in der gleichen Zeit, Ende der
60er, es ging um einen „Sozialismus mit
menschlichem Antlitz“. Das waren so
die Parolen, und dafür standen Dubcek
und auch andere so genannte Reformkommunisten aus dem damaligen Ostblock.
S.: Zum Beispiel Ota Sik.
Klein: Ja, Sik und andere. Doch vor
allem waren wir interessiert an dem,
was im Westen geschah, was in den
He< 8 - 2008
32
USA passierte. Wir haben die Bürgerrechtsbewegung von Martin Luther
King verfolgt. Wir waren natürlich entsetzt im April ‘68, als innerhalb einer
Woche zunächst das Attentat auf King
geschah und dann das Attentat auf
Dutschke, kurz vor Ostern, beide in einer Woche. Da ist für uns fast eine Welt
zusammengebrochen.
Am 4. April 1968 war das Attentat auf
King und am 11. April auf Rudi
Dutschke, ein Jahr davor, am 2. Juni
1967 war das Attentat oder die Polizeikugel auf Benno Ohnesorg – das alles
hat zur Radikalisierung der Studentenbewegung beigetragen. Und ich war ‘63,
ich kann mich gut erinnern, begeistert
von [John F.] Kennedy. Er war für uns
ein Symbol des Aufbruchs in der USA,
seine Unterstützung der Bürgerrechtsbewegung und im Juni ‘63 sein Besuch
in Berlin mit dem berühmten Diktum
„Ich bin ein Berliner“. Da hatten wir das
Gefühl, jetzt kommt die Demokratie,
jetzt kommt was Neues – auch mit Willy
Brandt natürlich. Er war ja damals
Oberbürgermeister von Berlin; er hatte
mit Kennedy zusammen diesen Auftritt
– und dann der Schock im November
‘63: die Ermordung Kennedys! Ich war
in Wuppertal und hörte die Nachricht
im Radio; wir waren fassungslos.
S.: Kommen wir zurück vom Blick nach
Westen zur Studentenbewegung und Ihrer
Beteiligung daran.
Klein: Es war zuerst eine persönliche
Entscheidung, als Student sich da zu
engagieren, aber man muss auch sehen:
In der intellektuellen Szene damals
waren ganze viele Leute, die in der
Kirche sozialisiert waren. Unter den Anführern der Studentenbewegung kam
zum Beispiel auch Rudi Dutschke aus
der kirchlichen Jugendbewegung in der
DDR. Oder denken Sie an die spätere
RAF, an Gudrun Ensslin als Pfarrerstochter, an Ulrike Meinhof , die bei der
Heidelberger Pädagogik-Professorin
Saarbrücker Religionspädagogische He<e
Renate Riemeck als Adoptivtochter groß
geworden ist und sehr stark davon geprägt war; oder an das Erbe des linken
Flügels der Bekennenden Kirche – da
waren Leute wie [Helmut] Gollwitzer,
[Kurt] Scharf, [Heinrich] Albertz, die
man später als zornige alte Männer bezeichnet hat. In der Richtung war Vieles
auch innerkirchlich angelegt, aus der
theologischen Auseinandersetzung mit
dem Erbe der Bekennenden Kirche heraus.
S.: Das geschah zeitgleich oder wurde
gleichzeitig wahrgenommen …
Klein: Es war zeitgleich; ich erinnere
mich: 1967 erschien auch die wunderbare Biographie Bonhoeffers von Eberhard Bethge im Kaiser-Verlag; das war
die Wiederentdeckung Bonhoeffers für
uns, wirklich phänomenal. Dietrich
Bonhoeffer stand uns vor Augen, er war
für die damalige Zeit so etwas von modern und entsprach unserem Zeitgefühl
völlig! Das war eine richtige Entdekkung.
Kurz zuvor [1965] die Ostdenkschrift
der EKD, die dazu beigetragen hat, das
das theologische Gedankengut der Versöhnung in die Politik der Ostverträge
Eingang gefunden hat, das war ganz
wichtig. Die Kirche als Institution war
sicher eher ambivalent – dort gab es wie
gesagt diesen alten traditionellen
Strang. Die Kirche war damals zwischen
Protest und Tradition beheimatet. Vordenker waren die Theologen, die Universitätstheologie, die Intellektuellen,
die protestantischen Intellektuellen.
S.: Gab es jemanden, der in dieser Hinsicht
eine besondere Rolle spielte, eine Art Vordenker?
Klein: Geprägt hat uns natürlich Jürgen Moltmann; 1964 ist seine „Theologie
der Hoffnung“ erschienen, das war gerade zu Beginn meines Studiums und
wir sind in den Genuss gekommen, das,
was später als „Theologie der Hoffnung“ berühmt wurde, zuvor als Vorlesung bei Moltmann selbst gehört und
mitdiskutiert zu haben. Das war für uns
faszinierend, weil diese „Theologie der
Hoffnung“ genau der gesellschaftlichen
Atmosphäre entsprochen hat. Die 60er
waren ja geprägt von Aufbruchsstimmung, politisch, wirtschaftlich, kulturell. Es gab Wohlstand, es gab kaum Arbeitslosigkeit – wir wussten als Studenten, wenn wir Examen gemacht haben
als Theologen, würden wir zwischen
zehn Pfarrstellen frei auswählen können. Es gab außer bei der Zahnmedizin
keinen Numerus Clausus. Alle Fakultäten waren frei zugänglich für alle.
Und auch bei den anderen Fachrichtungen gab es keine beruflichen Existenzprobleme nach dem Examen.
S.: Das ist für das Lebensgefühl der Studenten wirklich ein wichtiger Faktor …
Klein: Es gab jedenfalls überhaupt
keine Depression und dem entsprach
der kulturelle Aufbruch. Wir hatten die
Beatles, wir hatten die Entdeckung der
amerikanischen Pop-Music. In der damaligen Zeit waren wir alle begeistert
davon, aber man muss auch sagen – ich
muss noch mal auf die 50er Jahre zurückkommen – es wird immer vergessen, dass es ja so etwas wie proletarische
Vorläufer der Studentenbewegung gab.
Es gab ja unheimliche Auseinandersetzungen mit den so genannten „Halbstarken“. Ich weiß noch, 1958 kam der
amerikanische Rock-Sänger Bill Haley
nach Deutschland, in die Waldbühne
nach Berlin vor 2- bis 3000 Zuschauern,
und nach diesem Konzert haben sie die
Bühne zerlegt, in alle Einzelteile – heute
wäre das ein Kapitalverbrechen. Es gab
zudem diese Kultfilme mit Marlon
Brando, wo dieses Proletariats-Image
stark geprägt wurde – also das war
durchaus auch schon Protest und ging
der Studentenbewegung voraus.
Auch politische Proteste gab es in den
50er Jahren schon, auch in der Kirche,
33
Leute wie [Martin] Niemöller, die gegen
die Wiederbewaffnung der Bundeswehr
protestiert haben, später auch gegen die
Atombewaffnung. Schon damals war
diese Ambivalenz vorhanden zwischen
Protest und Tradition. Man kann also
nicht sagen, dass 1968 aus dem Nichts
kam. Es gab eine Vorgeschichte, eine
Entwicklung dorthin in der Geschichte
der BRD und der Evangelischen Kirche.
S.: Werfen wir einen Blick auf das Theologie-Studium. Wie war das in Vorlesungen?
Haben die Studierenden damals kritische
Fragen gestellt, hat sich das Klima in der
Universität verändert?
Klein: Ich erinnere mich an Walter
Kreck zum Beispiel, der in der Bekennenden Kirche eine große Rolle gespielt
hatte. In Bonn hat er sich selbst stark
eingebracht in der Vorlesung, bei den
Anderen ging es noch konservativ zu.
Und ich habe dann ab ‘68 schon im
Examensstress gestanden, da habe ich
mich etwas ausklinken müssen aus existentiellen Gründen. Ich war ein schon
relativ alter 68er, ich weiß, dass es nachher, 1968 bis ‘70 an den Hochschulen
auch ganz andere Formen gegeben hat:
Sit-ins und Go-ins – aber das war eher
an den großen Universitäten wie Berlin,
Frankfurt, Hamburg und München,
nicht an den kleinen kirchlichen Hochschulen oder Universitäten wie Bonn.
S.: Sie sind 1969 nach Ihrem ersten theologischen Examen ins Vikariat gegangen. Wie
haben Sie Ihre erste Gemeinde damals wahrgenommen? War die Aufbruchstimmung
an den Universitäten in den Gemeinden angekommen?
Klein: Es war schon ein Berufsschock.
Ich hatte allerdings nur eine Halbtagsstelle als Vikar gehabt, als Gastvikar –
mit der anderen halben Stelle war ich als
Assistent an der Uni tätig –, insofern
hatte ich keinen kompletten Einblick in
die Gemeinde. Was für mich auffällig
war: dass man sehr viel mehr politisch
He< 8 - 2008
34
gepredigt hat. Das hat sich wirklich in
der Praxis durchgesetzt, dieses Selbstverständnis einer politischen Predigt,
das ich heute manchmal vermisse, wenn
ich weltfremde oder individualisierte
Predigten höre.
Wir haben auch versucht, durch Predigten und Bibelarbeiten die Erkenntnisse der Theologie an die Gemeinde
zu vermitteln so weit es möglich war.
1969 war z.B. der Kirchentag in Stuttgart, als Vikar bin ich dorthin gefahren
und habe danach darüber in der Gemeinde referiert, berichtet. Wir haben
versucht, so etwas wie theologische
Aufklärung zu betreiben in der Gemeinde – jedenfalls was meine Generation betrifft.
S.: 1970 sind Sie ins Saarland gekommen –
zunächst als Vikar, dann als Gemeindepfarrer. Fanden Sie hier schon Spuren von
„1968“ vor? Oder war das Saarland davon
unberührt geblieben?
Klein: Die Landschaft v.a. in Saarbrücken war schon aufgewühlt, es gab
auch hier eine linke kirchliche Szene als
ich kam, es gab hier eine starke Ostermarsch-Bewegung, zu der gehörten
Leute wie [Hans-Dieter] Osenberg, der
Rundfunkpfarrer, mein Kollege [Heinrich] Schauer aus der Gemeinde AltSaarbrücken, Volker Junge zum Beispiel, Hermann Wuttke, damals Berufsschulpfarrer. In der Gemeinde waren
wir damals zu viert: Schauer und [KarlGeorg] Holzkamp noch ein weiterer auf
der Folsterhöhe, [Hermann] Segschneider und ich – ich habe mich da relativ
schnell angeschlossen. Und ich kann
mich an eine Geschichte erinnern:
Gleich als ich kam, am ersten Mai 1970,
habe ich einen Gemeindebrief herausgegeben zum Tag der Arbeiterklasse;
auf dem Titel stand „Erster Mai = Tag
der Arbeiterklasse“ und dann folgte ein
Artikel, dementsprechend mit einem
linken Touch versehen. Bald schon kam
ein Mitglied der Industriellen-Familie
Saarbrücker Religionspädagogische He<e
Röchling, die zu unserer Kirchengemeinde gehörte und natürlich, aus dem
industriellen Milieu stammend, konservativ war. In einem Brief, den sie unserem Presbyterium geschrieben hatte,
formulierte sie ihren Protest: Wieso in
einem kirchlichen Gemeindebrief der
Tag der Arbeiterklasse verherrlicht
werde? Sie würde so viel Kirchensteuer
bezahlen, dass sie sich einen eigenen
Pfarrer leisten könnte. Die Antwort des
Presbyteriums war, das solle sie dann
auch tun. Aber es war ihr wohl doch zu
teuer, sie hat es jedenfalls nicht getan.
Also es gab schon diese Politisierung.
Und wir haben versucht, vor allem in
den ersten 5 Jahren, bis etwa 1975/76
Kirchenreform zu praktizieren. Es gab
damals diese Diskussion in der Praktischen Theologie über Kirchenreform –
sie wurde ganz stark institutionell, organisatorisch vor allem, bedacht – und
Ideen wurden überall verhandelt, etwa
von der „aktion kirchenreform“.
Wir haben drei gute Sachen gemacht:
ein Konfirmandenunterrichts-Modell,
das darauf beruhte, dass wir die Bezirksgrenzen aufgehoben und den Konfirmandenunterricht inhaltlich nach
Kursen ausgerichtet haben. Wir haben
die Kurse nach Themen verteilt auf die
vier Pfarrer. Die Konfirmanden konnten
frei wählen, unabhängig davon, ob es
ihr Bezirkspfarrer war oder nicht, der
den Kurs anbot. Wir haben gesagt, sie
können sich nach Themen entscheiden.
Nur am Schluss sollte die Konfirmation
beim eigenen Pfarrer, d.h. beim Pfarrer
des eigenen Bezirks, stattfinden. Das
war die einzige Bedingung – außerdem
sollte ein Kurs beim Bezirkspfarrer stattgefunden haben. Zusätzlich haben wir
am Anfang und am Ende der 2 Jahre jeweils eine fast einwöchige Konfirmandenfreizeit gemacht, in den Ferien sind
wir mit den Schülern fortgefahren. Dort
haben wir sehr intensiv gearbeitet und
damit zugleich auch Jugendarbeit praktiziert.
Das zweite: Wir haben versucht das so
genannte ROSTA-Modell der Rheinischen Kirche umzusetzen. ROSTA war
eine Abkürzung für Raum-, Ordnungsund Struktur-Ausschuss der Rheinischen Kirche. Das lief auch darauf hinaus, die Bezirksgrenzen in Großgemeinden vor allem in Städten aufzuheben und die Pfarrer dann innerhalb der
Gemeinde nach Interesse und Eignung
einzusetzen. Ich war z. Beispiel für die
gesamte Gemeinde Alt-Saarbrücken zuständig für Jugendarbeit und Konfirmandenunterricht, mein Kollege
Schauer war für Altenarbeit, Frauenarbeit und Männerarbeit zuständig. Und
der dritte war zuständig für die Verwaltung, für die Kindergärten und für
all die Einrichtungen, die wir da hatten. Der vierte Kollege war für das neue
entstandene Wohngebiet, den sozialen
Brennpunkt Folsterhöhe zuständig.
Funktionale Spezialisierung in der Gemeinde war das Stichwort! Wir haben
zwischen Grund- und Spezialfunktionen unterschieden. Grundfunktionen
waren das Kerngeschäft: Gottesdienste,
Hausbesuche, Kasualien, die wurden
nach Bezirken gemacht, wobei die Gottesdienste nicht mehr fest von jedem an
‚seiner’ Kirche gehalten wurden, sondern an allen Predigtstätten im Turnus.
Hinzu kamen die Spezialfunktionen, die
ich gerade geschildert habe. Dies Modell hat gut funktioniert, zumindest in
unserem Team, nachher nicht mehr – es
war doch stark an Personen gebunden.
Das Presbyterium hat voll dahinter gestanden – eigentlich ein Wunder. Und
wir haben damals auch Kontakte über
die Gemeindegrenzen hinaus gehabt.
Ich als Jugendpfarrer habe damals den
Rainer Trappmann eingestellt für
Jugendarbeit in St. Arnual und Alt-Saarbrücken. Wir haben also über die Gemeindegrenzen hinaus geblickt – Trappmann ist dann später zum [Evangelischen] Jugendwerk [an der Saar] gewechselt.
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Und das dritte war: Ich hatte wie gesagt den Schwerpunkt auf Jugendarbeit
gelegt. Ich hatte zeitweise 150 Jugendliche in der offenen Arbeit und ich hatte
große soziale Brennpunkte zu betreuen
– abgesehen von der Folsterhöhe war
das damals die Moltkestraße. Heute
kann man sich das nicht mehr vorstellen. Noch immer sind es zwar Sozialwohnungen, aber doch immerhin Neubauten. Damals war die alte ArtillerieKaserne in unbeschreiblichem Zustand.
Es war wirklich ein soziales Elend. Mich
hat das dermaßen beschäftigt, dass ich
berufsbegleitend zwei Jahre im Burckhardt-Haus in Gelnhausen eine Ausbildung zum Gemeinwesenarbeiter gemacht habe, ganz gezielt im Blick auf
die soziale Arbeit, bezahlt vom Presbyterium, freigestellt von der Gemeinde –
und es waren immerhin mehrere 14-tägige Kurse über 2 Jahre hin –, nach zwei
Jahren gab es ein Kolloquium und ein
Zertifikat als Gemeinwesenarbeiter. Da
habe ich sehr viel gelernt, einmal für
diese soziale Arbeit, dann auch für die
offene Jugendarbeit mit Methoden und
Inhalten. Ich war übrigens der einzige
Theologe in dieser Fortbildung, alle anderen waren Sozialarbeiter oder Diakone, einer kam z.B. aus Frankfurt, der
hat dort Rocker-Arbeit gemacht. Nicht
zuletzt haben wir auch neue Gottesdienstformen ausprobiert. Jugendgottesdienst war damals en vogue und
dementsprechend haben wir auch Jugend- und Familien-Gottesdienste gemacht, dazu viele Schulgottesdienste.
S.: Ich greife das Stichwort Schulgottesdienst auf, um nun auch auf Schule und Religionsunterricht zu sprechen zu kommen.
Klein: Ich habe von Anfang an, schon
als Gastvikar in Wiesloch, Unterricht erteilt – dort musste ich das tun wie alle
Pfarrer in der Badischen Kirche. Als ich
nach Alt-Saarbrücken kam, habe ich
1973/74 nach einer Anfrage begonnen
nebenamtlich am Deutsch-FranzösiHe< 8 - 2008
36
schen Gymnasium [DFG] zu unterrichten – bis 1979.
S.: Haben Sie denn auch dort Wirkungen
von „‘68“ zu spüren bekommen?
Klein: In den 70er Jahren habe ich ca. 56 Stunden in der Woche unterrichtet;
der Unterricht selber lief noch ganz traditionell, es war Frontalunterricht – was
neu war und allmählich überall eingeführt wurde, war die Problemorientierung als Konzeption und von daher die
neuen Lehrpläne, die an Themen orientiert waren, vor allem an den gesellschaftlichen Problemen. So war das
Thema Dritte Welt ganz stark vertreten,
was heute kaum noch eine Rolle spielt.
In den 70er Jahren rückte es ziemlich in
den Mittelpunkt des Religionsunterrichts, bald schon kam die Friedensfrage
hinzu.
S.: Aber was den Unterrichtsablauf anging
blieb alles beim Alten? In der Selbstsicht
der 68er übte man sich damals doch erstmals
wirklich in Demokratie: Schülermitbestimmung, Diskussion statt Lehrervortrag, Rollenspiel statt Textarbeit …
Klein: Ja, aber der Unterricht war, soweit ich das wahrgenommen habe, zunächst eigentlich konventionell im Großen und Ganzen.
S.: Sie haben die Problemorientierung als didaktischen Ansatz erwähnt. Hat man denn
im Zuge dessen auch über die APO selbst
und später den Terrorismus gesprochen?
Waren die Schüler selbst ‚politisiert’?
Klein: Im Grunde wenig; ‘68 ist mit
Recht als Studenten-Bewegung apostrophiert worden. Es gab in großen Städten
Ableger des SDS [„Sozialistischer Deutscher Studentenbund“; 1946-1970] in
Schülergruppen, aber im Saarland hat er
keine große Rolle gespielt. Es war eine
Minderheit. Die Politisierung der Schülerschaft habe ich so im Saarland nicht
wahrnehmen können, jedenfalls nicht
Saarbrücker Religionspädagogische He<e
mehrheitlich. Das war aufs „Reich“ beschränkt, auch die Austrittswelle aus
dem Religionsunterricht war im Saarland marginal.
S.: Hatten Sie den religionspädagogischen
Umbruch zur Problemorientierung schon
im Studium kennen gelernt?
Klein: Ansatzweise im Studium und im
Schulvikariat habe ich das mitgekriegt,
dann aber vor allem auf Grund der Tatsache, dass ich regelmäßig unterrichtet
habe. Ich habe mich selber darum bemüht, im Selbststudium, und habe diese
Ansätze auch versucht zumindest ansatzweise in die Praxis einzuführen. Beflügelt hat mich, was ein katholischer
Kollege, ein Priester, dort in den 70er
Jahren am Deutsch-Französischen Gymnasium angepackt hat. Als erster in
Saarbrücken hat er eine schulische Jugendarbeit angeboten, ein Diskussionsforum – eine Arbeit, die wesentlich von
ihm und den Schülern der Oberstufe
getragen war. Zudem hat er Freizeiten
in den Schulferien gemacht mit Klassen, mit Schülern, er hat am Wochenende Seminare veranstaltet, er hat in der
Woche Abenddiskussionen angeboten
und als ich später ans DFG kam, habe
ich mit ihm teilgenommen. Es gab eine
sehr gute ökumenische Zusammenarbeit. Was wir damals eingeführt hatten,
war sicher außerhalb der Legalität. Wir
haben den Religionsunterricht ökumenisch gestaltet, nämlich nach Themen.
Wir sind vor die Klassen getreten und
haben gesagt: Der Herr Hönscheid hat
die und die Themen in diesem Schuljahr
anzubieten, der Herr Klein bietet die
und die Themen an, da können Sie Ihre
Themen frei auswählen, unabhängig
von der Konfession.
S.: Es gab also ein gewisses subversives Moment … Spielten denn die klassisch-dogmatischen Themen überhaupt noch eine
Rolle im RU?
Klein: Natürlich; es gab ja offizielle
Lehrpläne und die waren vor allem im
Blick auf das Abitur einzuhalten. Damals war ja die Oberstufe gerade frisch
reformiert worden – 1972. Also hatten
wir in der Abiturvorbereitung ähnliche
Themen wie heute; mein Kollege [Gebhard] Neumüller in St. Ingbert hat damals die Lehrpläne entwickelt und zugleich auch diese wunderbaren Hefte,
„Konzepte“ hießen die.
Wenn ich mich an die Themen erinnere,
dann war ein Jesus-Kurs enthalten,
dazu die Gottesfrage. Und es gab damals einen Kurs „Glauben und Wissen“, Theologie und Naturwissenschaft
– das war ein großes Thema. Es gab das
Thema „Kirche“ mit Schwerpunkt auf
Kirchendemokratie und auf aktuellen
Fragen. So kann man sagen, dass die
Themen, auch die klassischen Themen,
zumindest in der Oberstufe vorhanden
waren.
S.: Noch einmal zum Stil des Unterrichts.
Haben Sie denn neue Methoden eingesetzt?
Medien? Zeitungen?
Klein: Neue Methoden gab es schon,
z.B. wurden mehr 16 mm-Filme eingesetzt, der Dia-Projektor, die Musikkassette; ich habe auch sehr stark versucht,
in der Oberstufe neue Literatur einzuführen, ich habe z.B. Eli Wiesel gelesen,
ich habe viel mit Referaten gearbeitet
in der Oberstufe, das war damals noch
möglich. Wir haben schon versucht den
Schüler als Subjekt zu verstehen, in Beziehung zu lernen – das gab es schon
damals in Ansätzen. Ich habe dann Wochenendseminare mit meinen Oberstufenschülern gemacht, auf freiwilliger
Basis; das ist sehr gut angenommen damals. Ich hatte gerade TZI [Themenzentrierte Interaktion] gelernt; wir haben Meditationskurse gemacht, Selbstwahrnehmungsübungen, die TZI- Methoden auch im Unterricht angewandt.
Wir haben zusammen gearbeitet mit
dem Evangelischen Jugendwerk an der
37
Saar, z.B. mit Wolfgang Biehl, der heute
Geschäftsführer des Diakonischen Werkes ist; mit Rainer Trappmann zusammen habe ich die Schülerfreizeiten gemacht in Brotdorf bei Merzig, am Wochenende Seminare mit Schülern. Ich
war ja durch meine Aufgaben in der Gemeinde eng mit dem Jugendwerk verflochten; zudem war ich 10 Jahre lang
selber Jugendpfarrer des Kirchenkreises Saarbrücken und als solcher in der
Geschäftsleitung des Jugendwerkes. In
der gesamten Leitung des Evangelischen Jugendwerkes hatte ich die besten Kontakte und habe sie intensiv genutzt.
S.: Wenn ich diese Schilderungen höre,
drängt sich die Frage auf, ob der Religionsunterricht das Fach in der Schule
war, das den neuen Themen und dem
neuen Stil am offensten ein Forum bot.
Stand er im Mittelpunkt der schulischen
Aufmerksamkeit?
Klein: Ich kann das von zwei verschiedenen Erfahrungen her einschätzen,
einmal von der gymnasialen Seite in
den 70er Jahren und später auch von
Seiten der Berufschule.
Ich würde sagen: In den 70er Jahren war
der Religionsunterricht im Gymnasium
ein Randfach, exotisch gewissermaßen.
Man hat gemeinhin gesagt: Ja, der X
kann es sich leisten, solche Sachen zu
machen im RU, als Nebenfach ist RU
nicht so relevant, „wir“ können das in
den Hauptfächern nicht machen, da
ging es denn auch relativ traditionell
zu, was Methoden und Didaktik anging.
In der Berufsschule war es anders. Ich
habe mich damals sehr stark mit einem
Buch beschäftigt von Hubertus Assig
[Hubertus Assig / Hansjürgen von Mallinckrodt (Hg.): Politische Katechese.
Theologische und didaktische Skizzen,
München 1972]. Das formulierte genau
das Anliegen, das wir hatten, und ich
He< 8 - 2008
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denke, dass die Berufsschule für sich in
Anspruch nehmen kann, bei der Umsetzung Vorreiter gewesen zu sein. Der
so genannte Crüwell-Plan [„Lehrplan
für den evangelischen Religionsunterricht der Berufsschule im Rahmen der
Sekundarstufe II – Entwurf“, Dortmund
1974, erschienen im Crüwell-Verlag],
der erst durch den jetzigen Lehrplan abgelöst wurde, hat das umgesetzt; schon
damals hatten wir den Ruf nach Schlüsselkompetenzen!
Dadurch ist es uns gelungen, den BRU
[Religionsunterricht an Berufsschulen]
vom Rand in die Mitte zu rücken. Wir
haben die Schule als Lebensraum ernst
genommen, z.B. indem wir auch mit
den BVJ/ BGJ-Schülern [Berufsvorbereitungsjahr/Berufsgrundbildungsjahr]
Wochenendseminare machten. Man
muss sich das mal vorstellen: Als Pfarrer
war ich lange Zeit Personalratsvorsitzender meiner Schule – ich denke, das
zeigt, dass der BRU durchaus Anerkennung fand: bei den Schülern, aber eben
auch unter den Kollegen.
S.: Zogen denn alle Religionslehrer in der
Schule am gleichen Strang oder haben Sie
als Pfarrer in der Schule eine besondere
Rolle gespielt?
Klein: Die Religionslehrer waren relativ
einig, immer eigentlich, das muss ich
sagen. Ich habe nur wenige Ausreißer
erlebt. Gerade mit dem bereits genannten katholischen Kollegen war ich ganz
einig; wir haben eng zusammengearbeitet: Manfred Hönscheid und ich.
S.: Brechen wir hier die Schilderungen von
damals ab – 1968 ist vierzig Jahre her. Was
ist nach Ihrer Meinung von den Aufbrüchen
damals bis heute geblieben?
Klein: Das ist schwierig zu beantworten. Wenn ich mir im Rückblick den
Stellenwert des RU im Fächerkanon der
Schule ansehe, hat er in den letzten 2030 Jahren unglaublich an Renommee geSaarbrücker Religionspädagogische He<e
wonnen. Er war für meine Begriffe in
der Regel Vorreiter im Blick auf Methodik und Didaktik, vom curricularen Ansatz über die Problemorientierung bis
zur Schülerorientierung – Sie wissen es
selber, was heute diskutiert wird in der
Religionspädagogik. Der RU hat sich
insofern ein Renommee verschafft, als er
sich dann in den 70er Jahren von seinem
Bildungsauftrag in der Schule her neu
definiert hat und auch die wissenschaftliche Diskussion der allgemeinen
Pädagogik aufgriff. [Wolfgang] Klafki
und die anderen hat der RU damals
ernst genommen und auf unser Fach
angewendet. So ist er von einer Randerscheinung in die Mitte gerückt – das
ist sicher eine implizite Auswirkung
dieser Entwicklung, dieser Modernisierung, die das Fach seit dem Ende der
60er Jahre erlebt hat. Das würde ich so
sagen. Auch was Schülerzentrierung angeht, für das Ernstnehmen des Gegenübers, für den Umstand, dass der Lehrer
nicht mehr nach dieser NürnbergerTrichter-Pädagogik handelt, hat der RU
eine Vorreiterrolle gespielt. Paulo Freire
war damals ja einer der Ersten, er hat
sich in Amerika gegen diese „Containerpädagogik“ gewendet. Gut, ich war
nie ein Anhänger von Summerhill, der
ganz radikal antiautoritären Strömung
der Pädagogik, von [Ivan] Illich u.a. –
aber von Freire schon! Diesen Ansatz
der Alphabetisierung habe ich gerade
in religiösen Dingen für sehr wichtig
gehalten, für gerade auch in Europa
[nicht nur Lateinamerika] entscheidend,
weil wir hier einen wachsenden religiösen Analphabetismus erleben. Da ist
sehr viel geschehen.
Ansonsten hat 1968 innerkirchlich viel
Aufmerksamkeit für die Dritte Welt gebracht – die heutige Sensibilisierung für
Globalisierungsfragen ist ein Ergebnis
von damals; ebenso die Friedensbewegung, die auch innerhalb der Kirche
weite Kreise gezogen hat.
S.: Die Friedensbewegung war eine Art Verlängerung von 1968?
Klein: Ja, das war die Verlängerung,
nachher bis in die 80er Jahre, was die
Nachrüstung, den Kalten Krieg, den
Ost-West-Konflikt anging. Zu nennen
ist natürlich auch die Sensibilisierung
für Umweltfragen, die Ökologie, die
Anfänge der Bürgerbewegungen, der
Bürgerinitiativen bis hin zu den „Grünen“ später mit der Parteigründung
Ende der 70er.
S.: Wie haben denn die Strukturreformen in
der Kirche aus Ihrer Sicht weitergewirkt,
auch die „Politisierung“? Davon ist nach
meinem Eindruck wenig geblieben.
Klein: Was ich bedauere, ich habe 2-3
mal einen Kommentar im „Sonntagsgruß“ geschrieben zu diesem angeblich
nötigen Rückzug der Kirche auf ihre
Kernkompetenzen. Das kann nämlich
auch eine Entpolitisierung bedeuten,
eine Individualisierung. Ich ziehe mich
zurück aus der Zeitgenossenschaft, bin
nicht mehr interessiert an dem, was
Draußen passiert, um stattdessen meine
Klientel zu befriedigen. Diese Entwicklung sehe ich skeptisch, ich vermisse
auch Impulse von Seiten der Kirchenleitung, da ist kein Interesse an Innovation, da sehe ich viel Besitzstandswahrung und Defensivverhalten .
S.: Was ist mit der „theologischen Aufklärung“ der Gemeinden?
Klein: Auch da gab es ein roll-back. Ich
habe das z.B. als Mitglied der Prüfungskommission der Rheinischen Landeskirche erlebt. In den vielen Jahren, in
denen ich am zweiten Theologischen
Examen teilgenommen habe, konnte ich
beobachten, dass die Theologen-Generation seit Ende der 80er, Anfang der
90er Jahre mit ganz anderer Motivation
das Studium absolviert hat als die vorangegangenen Jahrgänge – manchmal
habe ich den Eindruck: ohne Motiva-
39
tion oder nur mit einer Sekundärmotivation nach dem Motto „Ich habe mein
Wunsch-Studium nicht geschafft, dann
mache ich eben Theologie“. Auch bei
manchen Lehrerkollegen und -kolleginnen habe ich das erlebt, wenn ich gefragt habe, warum sie ins Lehramt gegangen sind. Die pädagogische Motivation war mir dann manches Mal sehr
fraglich.
S.: Gibt es Anliegen von damals, die noch
eingelöst werden müssten, Hoffnungen, die
sich noch erfüllen sollten?
Klein: Was es eigentlich 40 Jahre danach sowohl in der Theologie als auch
in der Kirche noch bräuchte, wäre erneut eine Vision, eine klare Zielsetzung.
Ich habe manchmal den Eindruck, dass
der Weg das Ziel ist. Aber was ist das
Ziel? Ich vermisse in der Theologie klare
Ansätze und Utopien.
Es ginge darum, noch einmal einen Entwurf zu wagen – so wie [Jürgen] Moltmann damals – der auch wirklich zeitlich ‚auf der Höhe’ ist. Das bedeutet
nicht Anpassung an den Zeitgeist, doch
er sollte der gesellschaftlichen Problematik und der gesellschaftlichen Situation entsprechen. Kirchlich bräuchte es
das, was die Katholiken damals aggiornamento genannt haben, also eine Kirche, die in der Zeit lebt. Damals gab es
eine schöne Zeitschrift, die das als Programm hatte: „Kirche in der Zeit“. Nötig ist doch eine Kirche in der Welt, die
die aktuellen Problemen nicht ausklammert, sondern versucht sich offensiv damit auseinanderzusetzen – das ist
das, was ich vermisse und was für mich
ein Desiderat wäre, eben auch für die
Theologie. Die Religionspädagogik, die
sehe ich allerdings auf die Höhe der
Zeit, die würde ich mal ausklammern.
Was ich hingegen in der Homiletik vermisse, ist eben genau dies: wahrzunehmen, was dran ist, und dies dann in einer Predigt umzusetzen. Erst kürzlich
habe ich eine Predigt von einer Kollegin
He< 8 - 2008
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erlebt, bei der hat meine Frau mich nur
angeguckt und gesagt ‚Das steht im Gütersloher Taschenbuch sowieso’ – die
Predigerin hat das einfach als ihre eigene Geschichte ausgegeben und als
Predigteinstieg verwendet. Das war
peinlich, aber solche Dinge sind Ausdruck der Beliebigkeit der Predigt. Auch
vermisse ich oft eine wirkliche theologische Grundlegung, eine wirkliche
Auseinandersetzung mit der Exegese,
mit der Theologie. Man kann von der
historisch-kritischen Exegese halten,
was man will, aber sie hat ernsthaft
Theologie betrieben. Und in ihrem Gefolge hat es genügend Versuche gegeben, Texte kontextuell auszulegen –
etwa die materialistische Bibelauslegung oder die sozialgeschichtliche Auslegung von [Frank] Crüsemann ...
S.: Dass dies alles sich nicht auf breiter
Front durchgesetzt hat – ist das aus Ihrer
Sicht die Folge von Fehlern der 68er oder haben sich in erster Linie die Zeiten geändert?
Klein: Sicher gab es auch schwierige
Entwicklungen innerhalb der damaligen Aufbrüche. Manche Formen und
Methoden des Protests waren überspannt und alles wurde desavouiert
durch die RAF. Das hat natürlich sehr
viel geschadet, weil in der öffentlichen
Meinung 1968 und der Terrorismus
gleichgesetzt wurden. In dieser Lesart
sind die 68er schuld an allem, was
schlecht läuft. Gegen so eine pauschale
Kritik möchte ich mich verwahren! Es
handelte sich doch damals um eine mit
Sicherheit nötige Protestbewegung der
Saarbrücker Religionspädagogische He<e
Jugend – aus den Gründen, die ich anfangs genannt habe: Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich, Auseinandersetzung mit politischen Gegenwartsfragen, Bildung einer emanzipatorischen Bewegung.
Politisch hat diese Bewegung sicherlich
Manches angestoßen, aber in die Gesellschaft hat sie eher subversiv gewirkt
– das Stichwort „Emanzipation“ beschreibt diese Wirkungen, angefangen
von der Frauenbewegung bis hin zur
Bildungsreform. Wir haben damals als
Studenten z.B. die Drittelparität in der
Hochschule gefordert.
Es hat also eine ganze Menge Anstöße
gegeben, die dann sozial und gesellschaftspolitisch im Rahmen der Parteien
aufgegriffen worden sind, auch teilweise in den Kirchen. Insgesamt haben
sie ein neues politisches Bewusstsein
geschaffen – jedenfalls im Vergleich zu
den 50er und den beginnenden 60er Jahren. Nur sehe ich heute sowohl innerkirchlich als auch in der Gesellschaft
diesen roll-back. Und was mir auch zuwider ist, ist die Instrumentalisierung
von Theologie und Kirche als Erfüllungsgehilfen gesellschaftlich-politischer Wünsche und moralischer Ansprüche. Ich habe nichts gegen Ethik,
aber wir dürfen uns nicht darauf reduzieren lassen, wir haben auch noch etwas Anderes zu verkünden.
S.: Herr Klein, herzlichen Dank für dieses
Gespräch.
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Saarbrücker Religionspädagogische He<e
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Saarbrücker Religionspädagogische He<e
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DIE BISHERIGEN SAARBRÜCKER RELIGIONSPÄDAGOGISCHEN HEFTE
Heft 1 (2006):
Evangelische Bildungskonferenz Saar: Globalisierung und Bildung – Auswirkungen
in der Region
Heft 2 (2006):
Martin Stöhr: Abrahamische Ökumene – Leitbild für Theologie und Religionsunterricht?
Heft 3 (2006):
Bernhard Dressler: Religiöse Bildung in der Schule „nach PISA“ – warum und
wozu?
Heft 4 (2007):
Konfessionen und Religionsgemeinschaften im Saarland – Selbstdarstellungen
Heft 5 (2007):
Eröffnung Werkstatt Religionsunterricht – Rainer Lachmann: 40 Jahre religionspädagogische Mittäterschaft
Heft 6 (2007):
Evangelische Stadtkirchenarbeit in Saarbrücken
Heft 7 (2008):
Arnulf von Scheliha: Umformung christlichen Denkens in der Neuzeit
He< 8 - 2008
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