8 Hefte Fachrichtung Evangelische Theologie UNIVERSITÄT
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8 Hefte Fachrichtung Evangelische Theologie UNIVERSITÄT
Fachrichtung Evangelische Theologie Zu den Saarbrücker Religionspädagogischen Heften Seit dem Jahr 2006 gibt die Fachrichtung Evangelische Theologie der Universität des Saarlandes die „Saarbrücker Religionspädagogischen Hefte“ heraus. In lockerer Folge werden darin theologische bzw. religionspädagogische Vorträge oder Aufsätze, Dokumentationen, Unterrichtsentwürfe und -materialien für den evangelischen Religionsunterricht veröffentlicht. Es handelt sich um Beiträge, von denen wir meinen, dass sie für Religionslehrerinnen und -lehrer sowie alle Anderen, die insbesondere im Saarland an Fragen evangelischer Bildungsverantwortung interessiert sind, aufschlussreich und anregend sein können. Um die Hefte zu einem anregenden Forum zu gestalten, laden wir Religionslehrerinnen und -lehrer aller Schulformen, Theologinnen und Theologen und andere religionspädagogisch Aktive ein, uns eigene Arbeiten, die zur Wahrnehmung von Bildungsverantwortung aus evangelischer Perspektive beitragen können, zur Veröffentlichung zuzusenden. Vor der Veröffentlichung behalten wir uns allerdings eine Prüfung vor. Die Hefte sind gegen eine Schutzgebühr (Selbstkostenpreis) im Sekretariat unserer Fachrichtung (0681/302-4376 oder -2349) erhältlich; sie stehen unter www.uni-saarland.de/EvangelischeTheologie zum kostenlosen Download zur Verfügung. Verantwortlich für die Herausgabe und im Sinne des Presserechts: Professor Dr. Bernd Schröder Universität des Saarlandes Fachrichtung Evangelische Theologie Postfach 15 11 50 66041 Saarbrücken 0681/ 302-2949 [email protected] Fachrichtung Evangelische Theologie UNIVERSITÄT DES SAARLANDES Saarbrücker Religionspädagogische Hefte 8 Saarbrücker Religionspädagogische Hefte 8 UNIVERSITÄT DES SAARLANDES 1968 und die Religionspädagogik im Saarland 1 EINLEITUNG ZUM SAARBRÜCKER RELIGIONSPÄDAGOGISCHEN HEFT 8 – 2008 1968 ist ein Jahr, dem für die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland gemeinhin große, wenn nicht gar entscheidende Bedeutung zugebilligt wird. Es ist für Manche zum Inbegriff des Endes der Nachkriegszeit, der politischen Wende hin zu „mehr Demokratie“ und der kulturellen Modernisierung geworden, für Andere eben deshalb zur Ursache etlicher Übel wie „Traditionsabbruch“ u.ä. Auch Theologie und Religionspädagogik sind von den Umbrüchen vor vierzig Jahren keineswegs unberührt geblieben – vielmehr ist es in der religionspädagogischen Praxis und Theoriebildung zu Neuorientierungen gekommen, die bis heute als grundlegend gelten. In religionspädagogischer Hinsicht kommt allerdings weniger dem Jahr 1968 selbst als vielmehr der Dekade seit 1966 entscheidende Bedeutung zu: Sichtbar beginnend mit einem Vortrag Hans Bernhard Kaufmanns zur Frage „Muss die Bibel im Mittelpunkt des Religionsunterrichts stehen?“, der im Oktober 1966 gehalten wurde, entwikkeln sich bis Mitte der 70er Jahre in schneller Folge Ideen zur Reform nicht nur des Religionsunterrichts, sondern auch anderer Felder kirchlicher Bildungs(mit-) verantwortung. Doch die religionspädagogische Theorie verstärkte nicht nur, sie reagierte zunächst einmal auf Verschiebungen in der Praxis von (religiöser) Erziehung und Unterricht. Es ist ein Glücksfall, dass die entsprechenden Veränderungen im Saarland zeitnah gewissermaßen ‚zu Protokoll genommen’ wurden. Lore Schmeling, Jahrgang 1932, nahm nach Eheschließung und Geburt ihrer Kinder, nach Umzug ins Saarland und Aufgabe ihres erlernten Berufes als Chemotechnikerin 1969 ein Lehramtsstudium an der damaligen Pädagogische Hochschule des Saarlandes auf: Mit den Fächern Physik/Chemie und Evangelische Theologie strebte sie das erste Examen für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen an, das sie 1972 ablegte. Daraufhin absolvierte sie zunächst mit Erfolg das Referendariat, ehe sie von 1975 bis zu ihrer Pensionierung 1993 als Lehrerin an Saarbrücker Grundschulen tätig wurde. Im Rahmen eines Seminars zur „Praxis und Theorie institutionalisierter Bildung und Erziehung“, das auf der Linie der hochschuldidaktischen Reformen dieser Zeit Projektgruppenarbeit beinhaltete, hat sie im Sommersemester 1971 eine Seminararbeit zum Thema „Evangelische Bildungsarbeit im Saarland“ geschrieben. Die Arbeit datiert auf den 11. Juni 1971 und nimmt eine umfassende Bestandsaufnahme ihres Gegenstandes vor. Dies ist schon allein insofern bemerkenswert, als Lore Schmeling zu einer Zeit, in der die akademische Religionspädagogik ihr Augenmerk nahezu ganz auf den schulischen Religionsunterricht konzentrierte, die ganze Bandbreite der „Lernorte“ evangelischer Bildungsarbeit vom Kindergarten bis zur Erwachsenenbildung – inklusive Medien! – in den Blick nimmt! Wir dokumentieren in diesem Heft diese Seminararbeit mit unverändertem Textbestand. Allerdings wird die Studie an einigen wenigen Stellen knapp He< 8 - 2008 2 erläutert, um heutigen Leserinnen und Lesern die interviewten Personen und damals selbstverständlich geläufige Literatur vor Augen zu stellen. Entsprechende Erläuterungen sind z.T. in eckigen Klammern im Text eingefügt, z.T. in kursiviertem Satz in den Fußnoten zu finden. Ansonsten wurden lediglich offensichtliche Versehen stillschweigend korrigiert und die Rechtschreibung behutsam modernisiert. Beigefügt wird diesem Dokument ein Interview mit dem langjährigen Schulreferenten der evangelischen Kirchenkreise Saarbrücken, Ottweiler und Völklingen, Pfarrer Wolfgang Klein, das im März 2008 stattfand. Dieses Interview bietet einen anderen, i.W. jedoch gleichsinnigen Eindruck von den damaligen Umbrüchen und bemerkenswerte Reflexionen auf deren Wirkung. Um diese Wirkung zu unterstreichen kommt auch ein religionspädagogischer Aufsatz von Wolfgang Klein aus dem Jahr 1987 hier erneut zum Abdruck. Mit der Veröffentlichung dieser drei – von ihrer Gattung her verschiedenartigen – Zeugnisse soll zum einen gezeigt werden, dass der Religionspädagogik Geschichtsbewusstsein gut ansteht, um die jeweilige Gegenwart angemessen verstehen zu können, zum anderen sollen exemplarisch zwei bisher noch selten genutzte Quellen einer solchen geschichtsbewussten Religionspädagogik vorgestellt werden: die Zeitzeugen-Aus- Saarbrücker Religionspädagogische He<e sage und damit ein Zugang zur „oral history“ sowie die studentische Hausarbeit. Letztere ist insofern eine überaus aufschlussreiche Quelle, als sie einerseits ein Licht wirft auf Arbeitsweisen, Fragestellungen, Begrifflichkeiten und Qualitätsansprüche von Lehramtsausbildung, andererseits eben auch ein zeitgenössisches Bild von Wahrnehmung und Wirkung der jeweils untersuchten Gegenstände entwirft, hier der Praxis evangelischer Bildungsarbeit im Saarland. Sowohl Frau Lore Schmeling als auch Herrn Wolfgang Klein gilt mein herzlicher Dank – für die freundliche Überlassung des Manuskripts der einen, für das sorgfältig vorbereitete Interview dem anderen. Möge das Heft den Leserinnen und Leser eine Epoche näher bringen, deren Wirkung bis heute spürbar ist – und so das Geschichtsbewusstsein religionspädagogisch Handelnder fördern! Schließlich: Wer die „Saarbrücker Religionspädagogischen Hefte“ seit dem Jahr 2006 verfolgt, wird sogleich bemerken, dass dieses Heft mit einer modifizierten, verbesserten, kurz: professionalisierten Gestalt des Satzes aufwartet. Dafür danke ich herzlich Frau Evelyne Engel vom „Facility Management“ der Universität des Saarlandes. Saarbrücken, April 2008 Bernd Schröder 3 1968 UND DIE RELIGIONSPÄDAGOGIK IM SAARLAND Einleitung Seite 1 Lore Schmeling: „Evangelische Bildungsarbeit im Saarland“ – eine Seminararbeit im Fach Pädagogik aus dem Jahr 1971 Seite 5 Wolfgang Klein: „Was es eigentlich 40 Jahre danach … erneut bräuchte, wäre eine Vision …“ – Interview zum Thema „1968 und die Folgen für Kirche, Theologie und Religionspädagogik“ (März 2008) Seite 29 Wolfgang Klein: Leben und Erziehen wozu? Perspektiven einer befreienden und solidarischen Religionspädagogik (zuerst in: demokratische erziehung 13, 1987, Heft 10, 11-14) Seite 41 Die bisherigen Saarbrücker Religionspädagogischen Hefte Seite 45 He< 8 - 2008 He< 8 5 PÄDAGOGISCHE HOCHSCHULE DES SAARLANDES SOMMERSEMESTER 1971 Seminar: Praxis und Theorie institutionalisierter Bildung und Erziehung Seminarleiter: [Prof. Dr. Hubert] Rohde/ [Wiss. Assistent Toni] Haser Fach: Pädagogik Projektgruppenbericht der Projektgruppe Nr. 14 THEMA: „EVANGELISCHE BILDUNGSARBEIT IM SAARLAND“ Referent: Lore Schmeling IV. Semester Saarbrücken 2 Paul-Linckestr. 17 Tel.: 0681/498323 Abgabedatum: 11.6.71 He< 8 - 2008 6 INHALTSVERZEICHNIS 1. Vorwort Seite 7 2. Die religiöse Bildungsarbeit des Kindergartens Seite 8 3. Der Kindergottesdienst Seite 10 4. Der Konfirmandenunterricht Seite 12 5. Der Religionsunterricht der Schulen Seite 13 6. Der Religionsunterricht der Berufsschulen Seite 16 7. Die religiöse Bildungsarbeit der Evangelischen Akademie des Saarlandes Seite 19 8. Religiöse Bildungsarbeit durch die Massenmedien Funk und Fernsehen Seite 20 9. Zusammenfassung Seite 23 10. Schlusswort Seite 26 11. Literaturanhang [Der Literaturanhang stellte lediglich die bereits im Text erwähnte Literatur nochmals zusammen und wurde deshalb bei diesem Abdruck beiseite gelassen.] Saarbrücker Religionspädagogische He<e 1. VORWORT Das Thema „Religiöse Bildungsarbeit“ wurde von mir im Rahmen einer Projektarbeit gewählt, da ich als Studentin der Evangelischen Theologie hier eine gute Möglichkeit sah, einen Bezug zwischen wissenschaftlichem Studium und der Praxis herzustellen. Ich wählte das Thema aus, um eine konkrete Vorstellung davon zu gewinnen, was heute auf dem religiösen Bildungssektor getan wird und vor allem, wie es getan wird. Nachdem ich die verschiedenen Vertreter der evangelischen Bildungseinrichtungen zu dem Thema befragt habe, erhielt ich den Eindruck, dass nicht nur auf dem schulischen Sektor allgemein, sondern auch gerade auf dem Sektor der religiösen Bildungsarbeit ein ganz neues Verständnis gewachsen ist, mit dem unter anderen Vorstellungen und Voraussetzungen an die Aufgabe herangegangen wird. Diese neuen Ansatzpunkte mögen aus der Erkenntnis erwachsen sein, dass das Weltbild, das uns die Bibel durch ihre Texte vermittelt, nicht mehr mit dem Weltbild unserer Zeit übereinstimmt, so dass der Zugang zu ihrem Verständnis erschwert zu sein scheint. Es stellt sich die Aufgabe, die biblischen Texte in unsere heutige Zeit hinein zu interpretieren. Schon Rudolf Bultmann stellte sich die Aufgabe, die biblischen Texte, die sich uns im Gewande des Mythos darbieten, auf die heutige Zeit existentiell zu interpretieren. Es kam ihm nicht darauf an, den Mythos zu entfernen, sondern ihn für unsere Zeit verständlich zu machen. Es gilt, das eigentlich Gemeinte herauszuarbeiten. Die Erfolge der Raumfahrt haben bewusst gemacht, dass Gott wohl nicht im Himmel zu suchen ist, sondern unter uns Menschen selber ist. So formulierte schon Bultmann: „Will man von Gott reden, so muss man offenbar vom Menschen selber reden.“1 Wenn wir aber 7 vom Menschen reden wollen, dann müssen wir den konkreten Menschen der Gegenwart in den Blick nehmen. So kommt es also letztlich darauf an, durch das Verständnis des Menschen selber und seiner Zeit den Weg zu erkennen, den uns christlicher Glaube weist. Es ist deshalb nicht das Ziel der religiösen Bildungsarbeit, ein möglichst großes Wissen an biblischem Stoff zu vermitteln, sondern es soll vor allem erkannt werden, was christlicher Glaube meint, dass Gott durch eine geschichtliche Tat zu uns gesprochen hat. Dabei ist es zugleich das Ziel, den Menschen auf einen denkfähigen Glauben hin zu erziehen. Gelingt es nicht, diesen schon im Kinde zu erzeugen, so kann zu einem späteren Zeitpunkt ein Aufstand des Denkens gegen den Glauben erfolgen. Auch Schelsky spricht vom Glauben als einer „Dauerreflexion“2. Wesen und Auftrag der Kirche lassen sich auf den Missionsbefehl (Mt 28,1920) zurückführen. Die Erfüllung des Missionsbefehls als Lebensäußerung und Zeugnis der Kirche geschieht in den Dimensionen Wort, Dienst und Gemeinschaft, die einander zugeordnet sind und untrennbar zusammengehören. Die Kirche beginnt mit ihrem Auftrag beim jungen Menschen und setzt ihn bis zum alten Menschen hin fort. Die religiöse Bildungsarbeit gliedert sich dabei in folgende Bereiche: • Kindergartenerziehung • Kindergottesdienst • Konfirmandenunterricht • Religionsunterricht in Schulen • Erwachsenenbildung. Rudolf Bultmann: Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden? In: Theologische Blätter 4 (1925), 129135, hier 131. 2 Helmut Schelsky: Ist die Dauerreflexion institutionalisierbar? In: Zeitschrift für Evangelische Ethik 1 (1957), 153-174. 1 He< 8 - 2008 8 Auf die einzelnen Bereiche möchte ich im folgenden näher eingehen. Meine Informationen erhielt ich im wesentlichen durch die direkte Befragung, für die ich die zuständigen Leiter und verantwortlichen Herren der verschiedenen evangelischen Bildungsbereiche aufgesucht habe. Dabei wurden mir zum Teil auch schriftliche Unterlagen mitgegeben, die ich versucht habe, in meinem Bericht mit auszuwerten. Eine umfassende Literatur über den gesamten religiösen Bildungsbereich habe ich nicht gefunden. So liegt hier ein sehr umfangsreiches Thema vor, das es wert wäre, ausführlich behandelt zu werden. Wegen der gebotenen Kürze des Referates kann ich mich bei meinen Ausführungen nur auf wesentliche Punkte einlassen und versuchen daran herauszustellen, wie religiöse Bildungsarbeit heute verstanden und geleistet wird. 2. DIE RELIGIÖSE BILDUNGSARBEIT DES KINDERGARTENS Der Leiter des „Diakonischen Werkes an der Saar“, Herr Pfarrer Seidel3, ist neben anderen Aufgaben auch für Kindergartenfragen zuständig. Als Leiter des „Rheinischen Verbandes Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder e.V.“ hat er sich näher mit den Fragen des Evangelischen Kindergartens beschäftigt. Gleichzeitig obliegt ihm auch die theologische Ausbildung der Kindergärtnerinnen, die an der Fachschule für Sozialpädagogik in Saarbrücken erfolgt. Hier werden die Kindergärtnerinnen einmal monatlich unterrichtet, wobei ihnen die notwendigen Grundlagen für die religiöse Bildungsarbeit im Kindergarten vermittelt werden sollen. Zusätzlich findet einmal jährlich ein zusammenhängender katechetischer Lehrgang statt, an dem auch Psychologen mitwirken. Diese Stundenzahl erscheint im Verhältnis zu der Bedeutung, die der gesamten Vorschulerziehung zukommt, zu gering. Da im Kindergarten die FunSaarbrücker Religionspädagogische He<e damente des späteren Glaubens gelegt werden, erhebt sich die Forderung nach qualifizierter Ausbildung der Kindergärtnerinnen auch auf theologischem Gebiet. Denn die Kindergärtnerin kann letztlich nur das richtig vermitteln, was auch ihr in richtiger Weise nahegebracht wurde. Die Begründung des Evangelischen Kindergartens beruht auch auf Jesu Missionsbefehl.4 Die Kirche entspricht mit Errichtung und Unterhalt von Kindergärten ihrem Wesen und Auftrag. Dabei erhebt sie jedoch keinen Anspruch auf Alleinberechtigung und bestreitet nicht das Recht anderer Gruppen der Gesellschaft, aus ihrer Motivation heraus Kindergärten zu errichten und zu unterhalten. Die evangelische Kindergartenarbeit geschieht als Hilfe zum Leben. Sie setzt die Grundlage für eine Erziehung, die als Ziel den sündigen Menschen sieht, der zu einem verantwortungsbewussten Handeln innerhalb der Gesellschaft gelangt. Da diese Arbeit im Kindergarten in der bildsamsten und empfindsamsten Phase des menschlichen Lebens beginnt, kommt ihr eine große Bedeutung zu. Nach den Erkenntnissen der modernen Psychologie hat das Kind bis zum 6. Lebensjahr den größten Teil seiner Intelligenzentwicklung abgeschlossen. Die Fundamente für die wichtigsPfarrer Konrad Seidel (*1933), 1968-1971 Leiter des „Evangelischen Gemeindedienstes für Innere Mission und Hilfswerk“ (der während seiner Amtszeit in „Diakonisches Werk an der Saar“ umbenannt wurde); danach in gleicher Funktion in Düsseldorf; seit 1969/70 zugleich Vorsitzender des Rheinischen Verbandes evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder e.V., heute wohnhaft in Hilden. 4 Die folgenden Ausführungen beziehen sich zum Teil auf den Aufsatz von Konrad Seidel: Begründung und Auftrag des Ev. Kindergartens. In: Diakonie. Mitteilungen aus dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche im Rheinland, Jahrgang 8, 1971, Heft 1. 3 ten Lernprozesse werden in dieser Zeit gelegt. Gleichzeitig wird auch für den Glauben das Verständnis gelegt. So arbeitet der Kindergarten praktisch im Vorfeld der Bibel. Im Gegensatz zu früheren Zeiten, wo man versuchte, den Kindern schon hier ein möglichst großes Wissen an biblischen Texten zu vermitteln, geht man heute von der Erkenntnis aus, dass dies nur in einem begrenzten Rahmen möglich ist, weil den Kindern noch das nötige Verständnis für die meisten Texte fehlt. Ein falsches Verständnis wirkt sich aber auf einen späteren Glauben nachteilig aus. Deshalb geht man heute den Weg, dass man versucht, aus dem Umweltbezug der Kinder oder einer Erlebnissituation behutsam an die Gottesfrage heranzugehen. Die Kinder sollen dadurch nicht verbal, sondern emotional herangeführt werden. Wenn biblische Geschichten erzählt werden, so müssen diese sachgemäß dargeboten werden, um kein falsches Bild zu erwecken. Die Texte dürfen nicht psychologisiert, nicht platt historisiert und auch nicht dramatisiert werden. Denn dadurch wird der Zugang zur eigentlichen Aussage versperrt. Bevor jedoch mit dem Erzählen biblischer Texte begonnen wird, sollten die Kinder zum Zuhören erzogen werden, das als Voraussetzung das Stillseinkönnen verlangt. Das Gehörte soll im Kinde nachklingen und zum betrachtenden Hören werden, damit die Kinder die bildhafte Sprache der Bibel verstehen lernen. Zur Vertiefung der Texte kann das Werken, Basteln, Spielen und Musizieren herangezogen werden. Die Kinder können die biblischen Geschichten nachspielen, Lieder dazu singen oder auch Szenen basteln oder malen. Auch können mit Hilfe einer besonderen Tafel Flanellbilder zusammengestellt werden. Auf diese Weise wird nicht verbal ein bestimmter Stoff vermittelt, sondern er wird in kindgemäßer Form konkret und anschaulich umgesetzt. 9 Bisher liegen noch keine verbindlichen Pläne vor, welche biblischen Stoffe überhaupt im Kindergarten erzählt werden sollen. Es wird aber versucht, solche Pläne zu erstellen. Gleichnisgeschichten werden bisher nicht als geeignet angesehen. Werden Wundergeschichten erzählt, so muss vermieden werden, dass Jesus als Zauberer erscheint. Es sind hierbei weitgehend auch entwicklungspsychologische Voraussetzungen des Kindes zu berücksichtigen. Wichtig ist es auch, wie im Kindergarten von Gott gesprochen wird. Es darf grundsätzlich nichts gesagt werden, was später zurückgenommen werden muss. So darf kein Kleinkindergott entworfen werden oder Gott als Kinderschreck dargestellt werden, der bestraft. Ebenso wenig soll in plumper Vertraulichkeit vom „lieben Gott“ erzählt werden. Das Kind soll erkennen, dass „christlicher Glaube in der Verborgenheit Gottes“ besteht. Dabei ist das Gottesbild über Jesus einzuführen. Er darf Gott Vater nennen, über ihn kann Gott in Handlung aufgelöst werden. Es wird außerdem versucht, kindgemäße Gebetsformen zu finden, die einen dem Kinde verständlichen Text beinhalten und inhaltlich aus dem Lebensbereich des Kindes stammen. Ein Gebet braucht nicht in Versform gesprochen zu werden, sondern kann aus schlichten Sätzen und Prosaform bestehen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die religiöse Bildungsarbeit im Kindergarten heute darin besteht, dem Kinde ein richtiges Vorverständnis für die spätere Bibelarbeit zu geben und es gleichzeitig für Glaubensfragen zu öffnen. Dabei wird versucht, das Kind behutsam an Glaubensfragen heranzuführen, ohne es mit biblischen Texten zu überschütten, die es noch nicht begreifen kann. Kindgemäßheit und Sachlichkeit sind bei dieser Arbeit die wichtigsten Voraussetzungen. He< 8 - 2008 10 3. DER KINDERGOTTESDIENST Eine weitere Veranstaltung der Kirche, auf der religiöse Bildungsarbeit erfolgt, ist der Kindergottesdienst. Um mir über die Arbeit in diesem Bereich einen Eindruck zu verschaffen, suchte ich den Synodalbeauftragten der Evangelischen Kirche für Fragen des Kindergottesdienstes, Herrn Pfarrer Pohl5, auf, der gleichzeitig das Gemeindezentrum im Füllengarten leitet. Er versucht, bei der Arbeit im Kindergottesdienst neue Wege zu gehen, wobei er an die Arbeitsweise des Kindergartens anschließt. Im Gegensatz zu einem Kindergottesdienst, bei dem der Schwerpunkt also auf dem biblischen Wort liegt, versucht Herr Pfarrer Pohl, den Kindergottesdienst in Handlung aufzulösen. Er berücksichtigt dabei weitgehend die psychologischen Erkenntnisse, die besagen, dass das kindliche Lernen am leichtesten über konkrete Anschauung oder eigenes Handeln und nicht rein verbalistisch erfolgt. Herr Pfarrer Pohl zieht auf diese Weise einen kindgemäßen Kindergottesdienst auf, der die Kinder zugleich in ganz anderer Weise motiviert als dies bei einer rein verbalen Belehrung der Fall ist. Statt durch verbale Information sollen dem Kinde durch eigenes Handeln biblische Texte verständlich und anschaulich gemacht werden. Dies kann auf verschiedene Weise erfolgen. Es kann einmal über das Werken oder die gestaltende Beschäftigung erfolgen. Als Techniken kommen dafür das Zeichnen, Malen, Kneten, Reißen, Kleben und Bauen in Frage. Die Kinder arbeiten getrennt für sich oder an einer gemeinsamen Aufgabe, etwa dem Basteln eines Krippenspiels. Eine gemeinsame Aufgabe hat zugleich einen erzieherischen Wert in Bezug auf das Verhältnis zur Gemeinschaft. Eine andere Möglichkeit, von einer verbalistischen Information abzukommen, bietet sich in der Musik an. Für den Kindergottesdienst sind neue rhythmische Saarbrücker Religionspädagogische He<e Lieder komponiert worden, die die Kinder nicht nur singen, sondern zu denen sie auch selbst musizieren. Hierfür werden vor allem die Orff’schen Instrumente benutzt. Die Unterrichtsarbeit auf diesen Instrumenten erfolgt unter Mitwirkung von Herrn Professor Paul6 von der Pädagogischen Hochschule des Saarlandes. Zum Musizieren kommt der tänzerische Ausdruck hinzu, wobei die Kinder als Ausdruck der Freude um den Altar herum tanzen. Die Freude ist überhaupt als ein Hauptanliegen des Kindergottesdienstes zu sehen. Die Kinder sollen sich dort gerne einfinden und sich darauf freuen, hier die Möglichkeit zu haben, gemeinsam etwas tun zu können. In der Gemeinschaft soll dann die Bedeutung zentral biblischer Begriffe wie Freude, Liebe und Frieden bewusst werden. Die Bibeltexte treten bei dieser Art des Gottesdienstes weitgehend zurück. Biblische Gedanken werden durch unbiblische Geschichten nahegebracht. Es wird auch, ähnlich wie im Kindergarten, von den Situationen des täglichen Lebens und der Umwelt des Kindes ausgegangen und von dort ein Zugang zum Bibelverständnis gegeben. Durch Dias und Tonfilme können zudem konkrete Situationen des Lebens aufgezeigt werden, die dann erörtert werden. Ein anderer Weg ist das Aufstellen von Themen, die dann auf verschiedene Weise Pfarrer Werner Pohl (*1930), 1963-1995 Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde SaarbrückenBurbach und 1968-1995 Synodalbeauftragter für den Kindergottesdienst des Evangelischen Kirchenkreises Saarbrücken, heute wohnhaft in IdarOberstein. 6 Prof. Dr. Heinz Paul (*1926), Professor für Musik und Musikwissenschaft zunächst an der Pädagogischen Hochschule des Saarlandes (1957-1978), dann bis zur Pensionierung an der Hochschule für Musik des Saarlandes (1978-1991), ehrenamtlich langjähriger Synodalbeauftragter für Kirchenmusik der evangelischen Kirchenkreise Saarbrücken und Völklingen, wohnhaft in Saarbrücken. 5 erarbeitet werden. Ein solches Thema ist zum Beispiel „Zwei Kirchen in unserer Stadt“, das dann an mehreren aufeinander folgenden Kindergottesdiensten im Mittelpunkt steht. Ein katholischer Gast kommt auch zu Wort und berichtet von der Arbeit in seiner Kirche. Abschließend wird ein Elternnachmittag veranstaltet, zu dem dann Eltern beider Konfessionen eingeladen werden. Auf diese Weise wird ein Verständnis für ökumenische Fragen geschaffen und zugleich die Verschiedenheit beider Kirchen bewusst gemacht. Der Kindergottesdienst, der so gestaltet wird, findet vorwiegend im Gemeindesaal oder in besonderen Gruppenräumen statt. Findet aber ein Kindergottesdienst in der Kirche statt, so gestalten die Kinder selbst die Liturgie, die auf diese Weise kindgemäß und verständlich wird. Bei seiner Arbeit im Kindergottesdienst wird der Pfarrer von eigens dafür ausgebildeten Helfern unterstützt, für die als Arbeitshilfe das Heft „Der Kindergottesdienst“ erscheint, das Anleitungen und Hinweise gibt. Obwohl dieses Heft überwiegend nur Ratschläge für die kindgemäße Auslegung biblischer Texte gibt, war dem letzten Januar-Heft (1971) ein Artikel vorangestellt, der Forderungen enthielt, die Arbeit im Kindergottesdienst neu zu überdenken. Es wird daher ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Auffassung, Kinder rechtzeitig an den Gottesdienst der Erwachsenen zu gewöhnen, pädagogisch nicht mehr vertretbar ist. Stattdessen soll der Kindergottesdienst sich inhaltlich dem Stil und der Vielfalt der Jugendarbeit anpassen und dabei auf feste Formen verzichten. Da sich eine gewisse Schwierigkeit ergibt, Kinder verschiedener Altersstufen zusammenzufassen, muss versucht werden, die Kinder in feste Gruppen aufzuteilen, die jeweils von einem Helfer betreut werden, wobei 11 die Voraussetzung allerdings mehrere Gruppenräume sind.7 Die Redaktion des Heftes gibt zu diesen Forderungen folgende Anmerkung: „Wir stellen diese Dokumentation bewusst an der Anfang der ersten Nummer eines neuen Jahrgangs unserer Zeitschrift. In ihr kommen Beobachtungen und Tendenzen zur Sprache, die vielerorts anzutreffen sind.“ Mit dieser Bemerkung wird gleichzeitig verdeutlicht, dass Herr Pfarrer Pohl mit seinem Bestreben, einen zeitgemäßen und kindgemäßen Kindergottesdienst zu schaffen, keineswegs alleine dasteht. Es lässt sich daraus erkennen, dass die Kirche nach neuen Wegen sucht, ihrem Bildungsauftrag gerecht zu werden. An anderer Stelle wird in dem erwähnten Artikel bemerkt: „Um den gottesdienstlichen Charakter nicht ganz aufzugeben, finden in wenigstens vierteljährlichem, besser monatlichem Turnus ausgesprochene „Familiengottesdienste“ bzw. Gottesdienste mit offener Form statt, die in Form und Inhalt dem Teilnehmerkreis Rechnung tragen.“ Obwohl nach dem bisherigen Bericht der Eindruck entstanden sein könnte, dass die Zusammenarbeit zwischen Kindergarten, Kindergottesdienst und auch der Schule gegeben ist, um einen nahtlosen Übergang von einer Bildungsinstitution zur anderen zu gewährleisten, ist dies bisher noch nicht der Fall. Es scheint eine gebotene Forderung zu sein, dass man hier zu einheitlichen Plänen und Absprachen gelangt, um die religiöse Bildungsarbeit in einheitlicher Weise zu betreiben und gleichzeitig dabei Ergänzung zu geben. 7 Walter Wiese, in: Der Kindergottesdienst, Laß mich hören, Bielefeld, Gütersloh, 81. Jahrgang (1971), Heft 1, S. 4-5. He< 8 - 2008 12 4. DER KONFIRMANDENUNTERRICHT Durch die Konfirmation, die gleichzeitig die Wiederholung des Taufbekenntnisses bedeutet, wird der mündig gewordene Mensch in die Gemeinde aufgenommen und zum Abendmahl zugelassen. Der zweijährige vorangehende Unterricht wurde bislang in der Weise durchgeführt, dass hier zusätzlich zum Schulunterricht ein breiteres Wissen in Bezug auf Katechismus und Bibel gewonnen werden sollte. In neuerer Zeit sind aber Bestrebungen im Gange, den Konfirmandenunterricht in anderer Weise zu gestalten. Um mich über diese neue Arbeitsweise informieren zu können, wurde ich an Herrn Pfarrer Schauer8 verwiesen, der in Alt-Saarbrücken mit mehreren Pfarrern zusammen einen Konfirmandenunterricht im Kursverfahren durchführt. Dieser Unterricht ist thematisch aufgegliedert und lässt sich in gewisser Weise mit dem Epochalunterricht der Schule vergleichen, bei dem auch ein Thema längere Zeit im Mittelpunkt steht. Bei diesem thematischen Unterricht ergibt sich der Vorteil, dass dadurch eine kontinuierliche und intensive Beschäftigung mit einem Themenkreis gewährleistet ist. Diese Unterrichtsform wurde in Norwegen noch weiterentwickelt, indem dort der gesamte Stoff des Konfirmandenunterrichts in einer gemeinsamen Freizeit, die über mehrere Wochen geht, konzentriert erarbeitet wird. Der Kursunterricht in Saarbrücken wird nicht alleine von Herrn Pfarrer Schauer durchgeführt, sondern es arbeiten mehrere, zumeist jüngere Pfarrer zusammen, wobei sie ihre Themen untereinander absprechen. Die Kurse werden nach Wahl- und Pflichtkursen unterschieden. Die Kurse laufen während eines Jahres 2-4 mal, so dass sich der Präparand den Zeitpunkt beliebig auswählen kann. Während die Pflichtkurse verbindlich sind, kann der Thematik der Wahlkurse frei gewählt werden, wobei Saarbrücker Religionspädagogische He<e nur eine bestimmte Anzahl an Kursen belegt werden muss. Der Präparand hat zudem die Möglichkeit, während eines Zeitraumes mehrere Kurse nebeneinander zu besuchen, wenn ihm dies zeitlich günstiger erscheint. Zusätzlich zu den Kursen werden Freizeiten veranstaltet, die zum großen Teil im Schullandheim der Stadt Saarbrücken in Weiskirchen stattfinden. Auch diese Freizeiten stehen unter einer bestimmten Thematik, und es werden häufig auch außerkirchliche Vertreter, wie z.B. Psychologen, dazu eingeladen. Die Freizeiten werden stundenmäßig auf die zu erbringende Gesamtstundenzahl von 100 Stunden in 2 Jahren angerechnet. Die Themen der Kurse sind im ersten Jahr des Konfirmandenunterrichts überwiegend biblisch ausgerichtet. Einige Themen seien als Beispiel genannt: • Gottesdienst • Jesus Christus • Kirche und Gemeinde • Bibel Im zweiten Jahr des Unterrichts wird dagegen größeres Gewicht auf die praktische kirchliche Arbeit und Themen der Umwelt gelegt. Dabei kommen die verschiedenen sozialen Berufe und diakonischen Einrichtungen zur Sprache, indem Leute, die auf diesem Gebiet arbeiten, eingeladen werden und anschaulich von ihrer Arbeit berichten. Außerdem werden Exkursionen zu sozialen Institutionen gemacht, so wird etwa ein Altersheim aufgesucht oder das S.O.S. Kinderdorf. Auf diese Weise wird den Schülern ein Bild der sozialen Wirklichkeit vermittelt und gleichzeitig der Aufgabenbereich der sozialen Arbeit bewusst gemacht. 8 Pfarrer Heinrich Schauer (*1936), von 1968 bis 1977 Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Alt-Saarbrücken, anschließend Krankenhaus-Seelsorger, heute wohnhaft in SaarbrückenSt. Johann Andere Themen dieses zweiten Unterrichtsjahres sind: • Was ist der Mensch? • Die Zukunft unserer Welt • Krieg und Frieden Die Thematik lässt erkennen, dass dem Schüler hier Vorgänge aus unserem täglichen Leben bewusst gemacht werden sollen. Aus dem Verstehen wichtiger Zusammenhänge und Probleme soll der Schüler zu einem verantwortungsbewussten Handeln gelangen. Während dieses zweiten Jahres wird außerdem während eines Pflichtkurses mit dem Thema „Hilfe im Gottesdienst“ von den Schülern ein eigener Gottesdienst erarbeitet, der dann abschließend gefeiert wird. Dabei wird eine eigene Liturgie verwandt, es wird mit einer eigenen Band moderne Musik gespielt und gesungen. Hier lässt sich eine Parallele ziehen zu der Ausgestaltung eines Kindergottesdienstes, wie ihn Herr Pfarrer Pohl durchführen lässt. Als Abschluss dieses neuzeitlichen Konfirmandenunterrichts findet eine mündliche Prüfung statt, die kirchlicherseits gefordert wird. Die Voraussetzung für diese Prüfung sind außer dem Nachweis über die Teilnahme an mindestens 100 Unterrichtsstunden ein bestimmter katechetischer Lernstoff, selbst wenn dieser nicht innerhalb der Kurse durchgenommen wurde. Die Prüfung besteht nicht im Abfragen von Lernstoff, sondern es findet ein Gespräch statt, an dem sich möglichst alle beteiligen sollen. Nur jene Konfirmanden, die sich hier zurückgehalten haben, erhalten noch einige zusätzliche Fragen. Die Konfirmanden sind bei der Konfirmation keineswegs an einen Pfarrer gebunden, bei dem sie den Kursunterricht besucht haben, sondern sie können sich den Pfarrer frei auswählen, wenn sie den Nachweis über die abgelegte Prüfung erbringen. 13 Die Vorteile dieser Unterrichtsform liegen, wie mir Herr Pfarrer Schauer sagte, einmal in der Möglichkeit der thematischen Konzentration, zum anderen auf arbeitstechnischem Gebiet in einer besseren intensiveren Nutzung der Arbeitsmittel wie Filme und Dias. Auch Exkursionen können effektiv gestaltet werden. Außerdem hat der Präparand größte Freiheit in Bezug auf den zeitlichen Ablauf und die Zusammenstellung der Themen, so dass der Unterricht nicht als Automatismus abläuft, sondern einen individuellen Spielraum lässt. Als Nachteil dieser Unterrichtsform wird allerdings von einigen Eltern empfunden, dass der persönliche Kontakt zu einem Pfarrer über die gesamte Zeit des Unterrichts nicht gegeben ist. Auch wird bemängelt, dass sich die Gruppen immer wieder neu zusammenstellen und damit der Kontakt und Zusammenhalt unter den Konfirmanden nicht groß genug ist. Mögen diese Einwände zum Teil auch berechtigt sein, so weist diese Form des Konfirmandenunterrichts einen Weg, von den starren Formen eines bloßen Katechismusunterrichts abzukommen und in einer zeitgemäßeren Form nicht nur biblisches Wissen zu vermitteln, sondern gleichzeitig einen Bezug zur Lebenswirklichkeit herzustellen. Aus einer Verbindung von Bibelwissen und Verständnis der Umwelt soll der junge Mensch zu einem verantwortungsbewussten Handeln gelangen. 5. DER RELIGIONSUNTERRICHT DER SCHULEN Den breitesten Raum auf dem Gebiet der religiösen Bildungsarbeit nimmt der Religionsunterricht der Schulen ein. Um in diesem Bereich Informationen zu bekommen, suchte ich den Schulreferenten der Kirchenkreise Saarbrücken, OttHe< 8 - 2008 14 weiler und Völklingen, Herrn Dr. Kasten9, auf, der in seinem Amt für Evangelische Schulfragen der Grund-, Haupt-, Sonderschule und des Gymnasiums zuständig ist. Ich erhielt von ihm wertvolle Hinweise und schriftliches Material, das ich aber nur zum Teil mit auswerten konnte. Der Religionsunterricht ist in den letzten Jahren in eine Krise geraten, die ausgelöst wurde durch „unsere sich wandelnde geistige, politische und gesellschaftliche Situation, die ihren Ausdruck nicht nur in der Entwicklung der Theologie, der Lage der Kirche und dem allgemeinen Lebensgefühl findet, sondern vor allem auch in einer radikalen Veränderung der Schule, die noch keineswegs abgeschlossen ist. Dass von alledem gerade der Religionsunterricht in der öffentlichen Schule zutiefst berührt wird, ist selbstverständlich.“10 Die Schule von morgen kann nur als Veranstaltung der Gesamtgesellschaft gedacht werden. In dieser Schule ist der Religionsunterricht nicht als Anspruch der Kirche, sondern als Dienst zu verstehen. Ein schulischer Religionsunterricht, der in einseitiger Weise Zubringerdienste für Religionsgemeinschaften leistet, der mehr auf treue Gliedschaft der Schüler in der Kirche bedacht ist, als auf mündige Mitverantwortung, der mithin in unserer Gesellschaft und Pädagogik wichtigen Leitgedanken der Emanzipation, Mitverantwortung, Mündigkeit und Demokratisierung nicht auch auf die Bereiche der christlichen Erziehung anwendet, ist im Raum der Schule pädagogisch nicht tragbar.11 So kann der Religionsunterricht nicht mehr verstanden werden als bloße Information oder Einführung in die christlich abendländische Überlieferung, sondern er muss die Erziehung zur Mündigkeit bezwecken und zum Verständnis der Wirklichkeit beitragen. Er darf Saarbrücker Religionspädagogische He<e nicht als bloßer Überlieferer von historischer Tradition oder Bildungsinhalten verstanden werden, sondern er soll helfen, Antwort auf Lebens- und Sinnfragen zu finden, indem er das biblische Zeugnis in die konkrete Situation von Mensch und Gesellschaft auslegt. Es stellt sich damit an den Religionsunterricht der Schule die Forderung, dass der Schwerpunkt nicht nur auf der Vermittlung biblischen Wissens liegen soll, sondern dass der Schüler in gleicher Weise zu einem denkfähigen Glauben und zum Verständnis seiner Umwelt und Zeit gelangen soll. Hieraus soll im Schüler ein verantwortungsbewusstes Handeln entstehen. „Aus dem Unterricht über biblische Texte wird ein Unterricht über das Christsein und Menschsein in der Gegenwart.“12 Es ergeben sich für den schulischen Unterricht drei didaktische Ansätze: 1. Die biblischen Überlieferungen 2. Die Erkenntnisse der modernen theologischen Forschung 3. Die Gegenwart des Kindes Es scheint, dass eine Synthese aus diesen drei Ansätzen einen bestmöglichen Religionsunterricht gewährleistet. Dabei bietet sich als Unterrichtsform, die alle drei Elemente in sich vereinigt, ein thematischer Unterricht an. Das soll Pfarrer Dr. Horst Kasten (*1935), von 1969 bis 2000 (erster) Schulreferent bzw. Leiter des Schulreferates der drei saarländischen evangelischen Kirchenkreise Saarbrücken, Ottweiler und Völklingen, wohnhaft in Saarbrücken. 10 Unterrichtsziel: Mündigkeit [– Gespräch mit Oberkirchenrat Dr. Hans-Martin Schreiber, Darmstadt], in: Evangelische Kommentare 3 (1970), Heft 6, [S. 345-348, hier] S. 345. 11 Ev. Kirche und Religionsunterricht, eine Dokumentation, herausgegeben von der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover-Herrenhausen [1969], Dokument Nr. 7, S. 31. 12 Klaus Dessecker u.a. [Gerhard Martin, Klaus Meyer zu Uptrup]: Religionspädagogische Projektforschung [RPF], Stuttgart 1970, S. 27. 9 nicht heißen, dass der biblische Unterricht entfällt, sondern er wird nur anders angegangen. Das biblische Wort wird in Bezug gesetzt zu unserer Zeit. Dabei kann von einer Lebenssituation ausgegangen werden und dann der biblische Text herangezogen werden, oder der umgekehrte Weg beschritten werden, indem man von einer Textstelle ausgeht und den Bezug zur Gegenwart herstellt. Dieser thematisch gegliederte Unterricht ist keineswegs nur geeignet für ältere Kinder, sonder er kann in gleicher Weise auch schon in der Grundschule durchgeführt werden. Die Themen sind zum Teil sehr gegenwartsbezogen oder mehr biblisch orientiert. Ein Beispiel für einen thematischen Unterricht sei mit folgendem gegeben: „Wie Christen auf Jesus zu hören versuchen“ – Nachfolger Jesu finden sich in Jerusalem zusammen (Apg. 2,36-47; 4,35) Christen in aller Welt: Vom „Hauskreis in Jerusalem“ zur „Weltkirchenkonferenz“ (z.B. Bilder aus Upsala) Aus dem Leben der Ortsgemeinde – wie Paulus als Bote Jesu Christi auszog, um eine neue Welt anzukündigen (nach Gal. 1,1-24 und Apg. 16 i.A.: er reist, nach 1. Kor. 12, 12 u. 13; 13, Gal. 6.2: er lehrt) Paulus sammelt für die Gemeinde in Jerusalem (nach Römer 15, 25-27; 2. Kor.9, 1-5) – wofür die Gemeinde heute sammelt (Kollekte), z.B. den Christen in Nies fehlen Bücher, eine Schule, ein Krankenauto, Medikamente, ein Transportschiff Bethel, eine Stadt der Hilfe – Was Gerda im „Diakonischen Jahr“ zu tun hat Vater Bodelschwinghs Aufbauarbeit – Was eine Gemeindeschwester zu tun hat 15 Christlicher Friedensdienst in Entwicklungsländern z.B. junge Menschen aus aller Welt bauen ein Gemeindehaus Gespräch: Helfen – schwerer als Lesenlernen? 13 An Hand dieses Beispieles wird sichtbar, wie umfassend, vielseitig und auch interessant ein thematisch gegliederter Unterricht gestaltet werden kann. Die Lehrpläne werden für die verschiedenen Schultypen unterschiedlich aufgestellt und berücksichtigen den Entwicklungsstand der Kinder. Bestimmte biblische Stoffe, wie beispielsweise die Schöpfungsberichte, sind für die Grundschule noch nicht geeignet. Auch die historisch-kritische Methode ist erst für etwas ältere Kinder geeignet. Um den Religionsunterricht zeitgemäßer und attraktiver zu machen, werden die Lehrpläne ganz neu durchdacht; zum Teil ist es auch schon geschehen, wie am Entwurf für den Unterricht der Grundschule ersichtlich ist, der nur noch von kirchlicher Stelle bestätigt werden muss. In Württemberg schlossen sich 1968 mehrere Religionslehrer zu einem Team zusammen, um gemeinsam einen Entwurf für einen RU zu erarbeiten, der die Relevanz des christlichen Glaubens für die Probleme der Gegenwart verdeutlicht. Eine Zusammenstellung ihrer Arbeit erfolgte in dem Buch „Religionspädagogische Projektforschung“, in dem sie einen Lehrplan für die Gymnasien vorstellen.14 Auch hier findet ein thematisch orientierter Unterricht weitgehende Berücksichtigung. Das Beispiel wurde dem Entwurf für den Grundschullehrplan der Evangelischen Religionslehre entnommen, dort S. 10. 14 Klaus Dessecker u.a. Religionspädagogische Projektforschung (s.o. Anm. 12). 13 He< 8 - 2008 16 Doch nicht nur der Unterrichtsstoff muss im RU neu durchdacht werden, sondern auch in der Unterrichtsform müssen neue Wege gesucht werden. Da es gerade im RU entscheidend darauf ankommt, die Kinder zu motivieren, müssen hier alle methodischen Möglichkeiten ausgespielt werden, um einen wechselnden und fesselnden Unterricht zu schaffen. Dies erfordert allerdings vom Lehrer einigen Einfallsreichtum. Es scheint zunächst einmal wichtig zu sein, vom reinen Frontalunterricht abzukommen. Es kann zuerst von einem schriftlichen Arbeitsauftrag ausgegangen werden, bei dem Partnerarbeit gestattet ist. Aus der Partnerarbeit kann dann zu arbeitsgleichem und schließlich arbeitsteiligem Gruppenunterricht übergegangen werden. Auch das Rundgespräch, das die freie Diskussion gestattet, ist eine Möglichkeit, den Unterricht aufzulockern. Durch das Einsetzen der Medien Ton, Funk und Lichtbild kann der Unterricht eine zusätzliche Bereicherung erfahren. Da der RU das einzige Schulfach ist, in dem sich Lehrer und Schüler ohne Leistungsdruck begegnen, sollte dieses Fach genutzt werden, dass hier ein echtes Gespräch zwischen Lehrer und Schüler zustande kommt. Nur wenn der RU alle Möglichkeiten nutzt, die sich ihm thematisch und methodisch bieten, hat er die Chance, aus der gegenwärtigen Krise herauszukommen. Zudem erscheint es eine dringende Forderung, dass eine Zusammenarbeit zwischen Schule und den anderen Bereichen, auf denen religiöse Bildungsarbeit geleistet wird, anzustreben ist, damit die Dinge des Glaubens in einheitlicher Weise vermittelt werden. Saarbrücker Religionspädagogische He<e 6. DER RELIGIONSUNTERRICHT DER BERUFSSCHULEN Meine Informationen über den RU an Berufsschulen habe ich durch ein Gespräch mit Herrn Pfarrer Boué15 gewonnen, der für Fragen des Berufsschulunterrichts im evangelischen Bereich zuständig ist. Der RU der Berufsschule, der den Unterricht der Schule fortsetzt, ist gegenüber diesem an andere Voraussetzungen geknüpft. Die Schüler sind inzwischen durch den Eintritt in das Berufsleben mit der Lebenswirklichkeit des Berufsalltages in Berührung gekommen und sehen sich von dorther den vielfältigsten Problemen gegenübergestellt. Da dieser Übergang in der Phase der Pubertät erfolgt, die ohnehin im Leben des jungen Menschen ein schwieriger Zeitabschnitt ist, wird er von mannigfaltigen Problemen begleitet. So ergibt sich von dieser Voraussetzung her die Notwendigkeit, den jungen Menschen in dieser schwierigen Phase Lebenshilfe zu geben. Deshalb wurde der RU der berufsbildenden Schulen seit seiner Einführung als ordentliches Lehrfach im Jahre 1953 von Anfang an nicht als evangelische Unterweisung verstanden, d.h. als speziell kirchliche Schulung der jungen, getauften Gemeindemitglieder, sondern er nahm in besonderem Maße auf die Lebenswirklichkeit der Schüler Bezug. Damit fand der problemorientierte oder situative Religionsunterricht im Gegensatz zu den anderen Schulen, wo er sich erst allmählich durchsetzte, schon verhältnismäßig früh einen Eingang in das Berufsschulwesen. 15 Pfarrer Hans-Joachim Boué (*1932), 1962-1974 (erster) Berufsschulpfarrer im Saarland, tätig zunächst an einer Kaufmännischen, später an einer Gewerblichen Berufschule; von 1963 bis 1974 zugleich (erster) Bezirksbeauftragter für Religionsunterricht an Berufsschulen der evangelischen Kirchenkreise Saarbrücken, Ottweiler und Völklingen, heute wohnhaft in Neuwied. So formulierten die Bezirksbeauftragten für den Evangelischen Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen im Rheinland anlässlich einer Konferenz im Jahre 1969: „Der von uns vertretene und durchgeführte RU an berufsbildenden Schulen ist Orientierungshilfe und Aktivierung zu einem verantwortlichen Handeln zugleich. Er schließt Religions- und Konfessionskunde, theologische, anthropologische, psychologische, soziologische, philosophische und ethische Fragen ebenso ein wie Erziehung zum kritischen Denken und Urteilen. Er versucht Vorurteile abzubauen, Ideologisierungen zu entschleiern und Halbwissen durch qualifizierte, auf wissenschaftlicher Basis beruhende Information zu korrigieren. Er zielt letztlich auf ein Mündigsein hin, das in einem verantwortlichen Engagement wirksam wird. Nach unserer Auffassung ist ein solcher Unterricht das vom Evangelium Gebotene.16 Mit dieser Formulierung ist ein weiter thematischer Bogen für den Unterricht gespannt worden. An Hand eines Themenkreises, der dem Rahmenplan für den evangelischen Religionsunterricht an Berufsschulen entnommen wurde, wird deutlich, wie umfangreich und vielseitig die Themen sind. Thema: Der Christ in der Begegnung mit den Kräften und Mächten unserer Zeit A: Kultur und Zivilisation 1. Technik 2. Sport und Körperkultur 3. Mode und Kosmetik 4. Unterhaltung und Vergnügen 5. Alkohol und Nikotin 6. Geld 7. Film, Funk, Fernsehen, Illustrierte 8. Kunst und Kitsch B: Verschiedene Versuche der Lebensbewältigung und Lebensdeutung 1. Materialismus 17 2. Marxismus 3. Nationalismus 4. Rationalismus 5. Idealismus 6. Aberglaube 7. Das Evangelium und die Weltreligionen So versteht sich der RU der Berufsschulen in erster Linie als Hilfe im Leben und Beitrag zum Sozialisationsprozess. Doch wird gerade ihm häufig ein falsches Vorurteil entgegengebracht. „Viele Schüler erwarten aufgrund von Vorurteilen und Erfahrungen vorwiegend Langeweile, Moralismus oder klerikale Manipulation; andere eine ihre Existenz nicht betreffende religiöse Gedankenspielerei; wieder andere gar nichts. Oft muss daher der RU zunächst zum Erkennen von Problemen und falschen Verhaltensweisen führen. Erst dann begegnen uns – im günstigen Verlauf – Fragen nach Möglichkeiten der Aufgabenbewältigung.“17 Es kommt aber nicht nur darauf an, Vorurteile abzubauen, sondern gleichzeitig auch Motivationen zu schaffen. Dieses kann bei Schülern, deren Begabung mehr auf dem praktischen Bereich liegt und denen abstraktes Denken schwerfällt, am leichtesten erfolgen, wenn sie emotional angesprochen werden. So bietet sich als bester Ausgang für den Unterricht die konkrete und anschauliche Situation aus dem Alltag an, die durch entsprechende Arbeitsmittel wie Film, Dias und Ton bereitgestellt werden kann. Auch Zeitungs- und Bildberichte oder brennende aktuelle Fragen sind ein guter Einstieg in die Stunde. Auch provokative Fragen wie: Was Sonderblatt der Konferenz der Bezirksbeauftragten für evangelischen Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen der Evangelischen Kirche im Rheinland 1959. 17 A.o. 16 He< 8 - 2008 18 haltet ihr von Gott? ergeben eine gute Gesprächsbasis. Da die Schüler ihre Probleme von sich aus kaum vortragen aus irgendwelchen Hemmungen heraus, lässt Herr Pfarrer Boué die Fragen der Schüler gewissermaßen anonym in seiner Abwesenheit an die Tafel schreiben. Dabei werden dann Fragen aus allen Lebensbereichen gestellt, die zum Teil eine seelsorgerliche Behandlung erfordern. Andere Fragen werden gemeinsam diskutiert. Das Besprechen von Problemen soll „den jungen Menschen befähigen, Zusammenhänge zu durchschauen, zu ausgewogenen Urteilen zu kommen und schließlich aus eigener Erkenntnis den Forderungen unserer Zeit gerecht zu werden.“18 Gleichzeitig sollen die jungen Menschen erkennen, dass für das Leben in der Gemeinschaft Toleranz nötig ist und auch die Meinung des anderen geachtet werden muss. Außerdem soll aber auch ein kritisches Bewusstsein gelegt werden. Da die Lehrlinge häufig zu einer kritiklosen Anpassung an ihre Berufswelt gezwungen sind, erscheint es wichtig, ihnen wenigstens eine kritische Urteilsfähigkeit bewusst zu machen. Da der RU der Berufsschule in erster Linie Lebenshilfe sein soll, wird „der Religionslehrer (...) sich mit der Gemeinde verbunden wissen, sich über den Unterricht hinaus seines seelsorgerlichen Auftrags bewußt sein und den Unterricht ergänzende Schülerveranstaltungen und Aktionen organisieren.“19 Der RU der Berufsschule endet damit nicht im Klassenraum der Schule, sondern geht über die Schule hinaus. Es stellt sich dem Religionslehrer die Aufgabe, mit Berufsverbänden und Innungen zusammenzuarbeiten und dem Lehrling auch bei Schwierigkeiten in Saarbrücker Religionspädagogische He<e seinem Arbeitsbereich Hilfe angedeihen zu lassen. Die Schüler empfinden häufig eine Kluft, die zwischen den anzustrebenden christlichen Verhaltensweisen und der Berufswirklichkeit liegt. Hier gilt es oft nur, die Ellenbogen zu gebrauchen, um sich durchsetzen zu können. Damit wird ihnen zugleich eine Grundproblematik unseres Lebens bewusst. Obwohl der RU der Berufsschule im eigentlichen Sinne nicht mehr als Religionsunterricht anzusehen ist, da er in erster Linie nur auf die Fragen der Lebenswirklichkeit Bezug nimmt, befindet auch er sich in einer Krise, was aus den Abmeldungen der Schüler von diesem Unterricht zu ersehen ist. „Der im Bereich der berufsbildenden Schulen spürbar werdende Widerstand gegen den RU resultiert u.a. aus einer zunehmenden kritischen Haltung gegenüber der Kirche. Enttäuschungen rufen bittere Klagen hervor. Angestauter Ärger macht sich in berechtigten und unberechtigten Vorwürfen und Angriffen Luft. Da wir von unseren Schülern weithin mit der Kirche identifiziert werden und wir uns selbst als Mitarbeiter der Kirche verstehen, müssen wir uns diesen Vorwürfen und Angriffen stellen.“20 Der RU der Berufsschule stellt an den Lehrer hohe Anforderungen, da nicht nur theologisches Wissen dafür Voraussetzung ist, sondern er muss in gleichem Maße mit allen aktuellen Lebensfragen vertraut sein. Der Unterricht wird von vollausgebildeten Pfarrern gehalten oder auch von Katecheten, die an kirchlichen Seminaren eine speziell auf die Berufsschularbeit zugeschnittene Ausbildung erhalten haben. 18 A.o. 19 A.o. 20 A.o. 7. DIE RELIGIÖSE BILDUNGSARBEIT DER EVANGELISCHEN AKADEMIE DES SAARLANDES Bei der Frage, welche religiösen Bildungseinrichtungen für den erwachsenen Menschen vorhanden sind, wurde ich an die Evangelische Akademie des Saarlandes verwiesen, deren Leitung Herr Dr. Hummel21 hat. Sie wurde im Frühjahr 1971 begründet, nachdem am 8.4.70 ein Gesetz zur Förderung der Erwachsenenbildung verabschiedet worden war. Die Kirche hat sich mit der Gründung der Evangelischen Akademie in die Reihe der Bildungsinstitutionen eingereiht, die eine intensivere Erwachsenenbildung anstreben. Während bisher kirchliche Bildungseinrichtungen in diesem Bereich nur punktförmig wirkten, d.h. nur einem kleinen Bevölkerungskreis, meistens der Stadtbevölkerung, zugute kamen, will die neu gegründete Akademie als Flächenakademie arbeiten. Sie versucht durch Errichtung von insgesamt fünfzehn Abteilungen mit jeweils einem regionalen Schwerpunkt, eine Ausstrahlung auf das gesamte Saarland zu gewinnen. Mit ihrer Arbeitsweise unterscheidet sie sich grundlegend von allen anderen evangelischen Bildungseinrichtungen dieser Art und stellt im gesamten Bundesgebiet etwas Neues dar. „Sie besitzt kein zentrales Tagungshaus, sondern führt ihre Veranstaltungen in Gemeindezentren, öffentlichen Räumen, Schulen oder auch Gastwirtschaften durch. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass Bildungsarbeit und konkreter Lebensbereich unmittelbar zusammengehören.“ 22 Nicht nur der äußere Rahmen ist ein anderer, auch die eigentliche Bildungsarbeit wird anders angegangen, indem von einer rezeptiven Form wie sie im Vortrag und anderen Konsumveranstaltungen gegeben wird, zu einer aktiven Mitarbeit übergegangen werden 19 soll. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt nicht auf dem Vortrag, sondern auf Seminaren und Arbeitsgruppen, die ein intensiveres Studium ermöglichen und zudem die Möglichkeit bieten, Zertifikate zu erwerben, die zu einem beruflichen Aufstieg verhelfen. Die Bildungsarbeit der Akademie, deren Geschäftsstelle in Saarbrücken ist, wird von drei Gremien geleitet und durchgeführt, von 1. dem Vorstand der evangelischen Akademie, der sich aus haupt- und ehrenamtlichen Mitgliedern zusammensetzt, wobei die hauptamtlichen Mitglieder als Studienleiter arbeiten und die verschiedenen Fachrichtungen vertreten; 2. den regionalen Planungsgruppen, deren Leiter überwiegend aus ehrenamtlichen Mitarbeitern bestehen; 3. dem Dozentenkollegium, das in Fachbereiche untergliedert ist und das sich aus den Fachvertretern der verschiedenen Fachbereiche zusammensetzt. Die Evangelische Akademie sieht ihren Bildungsauftrag nicht darin, in erster Linie ein biblisches Wissen zu vermitteln und durch ihre Arbeit der Kirche neue Mitglieder zuzuführen, sondern sie will „aus der Sicht eines zeitgerechten Verständnisses des Evangeliums praktische Lebenshilfe und Hilfe zum Selbstverstehen leisten. Das geschieht nicht zuletzt dazu, dass er (der Mensch) Prof. Dr. Gert Hummel (1933-2004), 1970-72 Privatdozent am Institut für Evangelische Theologie der Universität des Saarlandes, von 1972 bis 1998 Professor für Evangelische Theologie ebenda; Mitbegründer und langjähriger Leiter des Kuratoriums der Evangelischen Akademie des Saarlandes. 22 Entnommen einer Pressemitteilung der Evangelischen Akademie im Saarland e.V. 1971. 21 He< 8 - 2008 20 zur mündigen Mitverantwortung und Mitgestaltung der Gesellschaft fähig und willig wird.“ 23 Der Mensch wird dabei im Brennpunkt aller seiner Daseinsbeziehungen gesehen, wodurch sich für die Thematik der Wissensvermittlung ein umfangreicher Bereich ergibt. „Das Angebot erstreckt sich (...) von allen Dingen auf theologische, gesellschaftspolitische, pädagogische und psychologische Probleme, deren Bewältigung in unserer Zeit von vordringlichem Interesse ist.“24 Als Beispiel für die Vielfalt der Themen seien hier nur einige erwähnt, die dem Programmheft des 1. Halbjahres 1971 entnommen wurden: • Zur Problematik des Rauschmittelgebrauchs • Erlernen der Sexualität • Ehescheidung und Scheidungsfolgen • Umweltschutz Auch der alte Mensch, der in unserer heutigen Gesellschaft zum Teil eine problematische Stellung einnimmt, wird mit entsprechenden Themen einbezogen. • Was tut der Staat für den alten Menschen? • Psychologische Probleme des Alterns • Geragogik – Hilfe für den alten Menschen • Altern will gelernt sein Diese Vorträge werden zum Teil auch in Altersheimen gehalten; sie sind dabei in erster Linie als Informationsbeitrag und weniger als seelsorgerliche Arbeit zu sehen, zumal hier besonders Mediziner und Psychologen zu Worte kommen. Die Evangelische Akademie liefert mit ihrer Arbeit auf diese Weise einen wertvollen Beitrag auf dem Sektor der Erwachsenenbildung. Es bleibt zu hoffen, dass es in der Zukunft zu einer Zusammenarbeit auch mit anderen InstitutioSaarbrücker Religionspädagogische He<e nen der Erwachsenbildung kommt, um die Arbeit möglichst effektiv gestalten zu können. 8. RELIGIÖSE BILDUNGSARBEIT DURCH DIE MASSENMEDIEN FUNK UND FERNSEHEN Funk und Fernsehen übertreffen in ihrer Einflusssphäre bei weitem die der anderen Bildungseinrichtungen. Sie sind ein wichtiger Bestandteil unserer modernen Gesellschaft auf dem Gebiete der Information und Unterhaltung geworden. Wieweit sie aber im umfassenden Sinne Bildungsarbeit leisten können, scheint umstritten zu sein. Allzu leicht ist hier die Gefahr der Manipulation und der Nivellierung gegeben, da der Bildungsprozess eindimensional verläuft. Es ist keine Rückkopplung und auch keine Wiederholungsmöglichkeit gegeben. Da diese Medien aber in ihrer Publikationsmöglichkeit bei weitem die anderer Bildungseinrichtungen übertreffen, können sie zu einem wichtigen Bindeglied auch zwischen Kirche und Bevölkerung werden und über die schulischen Einrichtungen hinaus vor allem den erwachsenen Menschen ansprechen. Während Kirchgang oder der Besuch eines Vortrages immer aus einem Bewusstseinsakt oder einer Willensentscheidung heraus erfolgen, haben diese Medien die Möglichkeit auch jene Leute zu erreichen, die primär nicht an kirchlichen Fragen interessiert sind. Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass auch 50 % der Kirchgänger sich über die Publizistik über kirchliche Fragen informiert. Wegen der Bedeutung dieser Medien, die auch auf dem religiösen Bildungssektor noch nicht abzuschätzen ist, scheint es angebracht zu sein, 23 A.o. 24 Entnommen dem Programmheft des 1. Halb- jahres 1971 der Evangelischen Akademie im Saarland, Abteilung Saarbrücken. 21 ihre Arbeit auf dem Gebiet der religiösen Bildung mit in das Thema des Referates einzubeziehen. Herr Pfarrer Osenberg25, der als Beauftragter der Kirche für deren Fragen am Saarländischen Rundfunk arbeitet, gab mir für meine Arbeit wichtige Unterlagen und Informationen. Zunächst erscheint es sehr bemerkenswert, dass Kirchenfunk und Fernsehen keine kirchliche Einrichtung sind, sondern vom Saarländischen Rundfunk ausgehen und somit in letzter Verantwortung dem Intendanten unterstehen. Sie werden damit finanziell vom Saarländischen Rundfunk getragen. Daraus ergibt sich die Tatsache, dass viele der Mitarbeiter, die auf diesem Sektor arbeiten, nicht Theologen sind, sondern aus dem publizistischen Bereich kommen. Dies hat zu heftiger Kritik seitens der Kirche Anlass gegeben, die eine Gefahr darin sieht, dass breite Schichten der Bevölkerung von Nichttheologen über kirchliche Dinge informiert werden. In einer erstmals von der Hörfunkund Fernsehkommission der EkiD herausgebrachten Broschüre „Kirchenfunk 1969“ heißt es u.a.: „Nach wie vor ist es für die beiden großen Kirchen ein unbewältigtes Problem, dass Christen zunehmend nicht nur von Theologen, sondern auch von Journalisten in Sachen ihres Glaubens informiert werden. Den Kirchenfunkredaktionen kommt bei dieser Vermittlertätigkeit eine unübersehbare Bedeutung zu. Aus bescheidenen Anfängen entstanden, haben die Redaktionen rasch an Selbstbewusstsein gewonnen und an Bedeutung im Gesamtprogramm zugenommen. Es gibt heute neben dem Rundfunk (Hörfunk und Fernsehen) kein Medium, das eine breite Öffentlichkeit ähnlich umfassend über Ereignisse im Umkreis Kirche informiert und damit die Kirche entweder direkt oder indirekt am Zeitgespräch der Gesellschaft beteiligt. Man darf mit Recht fragen, ob diese verantwortungsbewusste Tätigkeit von den Kirchen ausreichend erkannt und gewürdigt wird. Es wäre gut, in der Arbeit des Kirchenfunks keine böswillige Konkurrenz für die Kirchen zu sehen, sondern allemal auch das Bemühen, die gleiche Wahrheit mit anderen Akzenten ,in die Mediengrammatik auszubuchstabieren’.“ 26 Die Kirche hat mit dieser Regelung am Rundfunk auch keine angemieteten Sendezeiten, wie dies etwa bei den Parteien oder der Werbung der Fall ist. Sie hat aber bestimmt Sendezeiten innerhalb des Programms, die durchgängig sind und zum Teil zeitlich sehr günstig liegen. Außer diesen festen Sendungen gibt es auch solche, die unterschiedlich in das Programm eingestreut werden. Innerhalb der Programme wird dabei unterschieden zwischen Sendungen mit reinem Verkündigungsgehalt und solchen, die ihre Thematik aus der Aktualität wählen und aus christlicher Sicht eine Stellung dazu nehmen. Der gesamte Kirchenfunk auf evangelischer Seite untersteht Herrn Barwitz, der Nichttheologe ist. Für die Sendungen der Verkündigung übt Herr Pfarrer Osenberg eine beratende und planende Funktion aus, obwohl auch diese in letzter Entscheidung dem Intendanten unterstellt sind. Im Rundfunk sind die kirchlichen Sendungen mit festen Sendezeiten bei weitem zahlreicher als die des Fernsehens. Auf der Europawelle sind folgende Sendungen zu hören: Pfarrer Hans Dieter Osenberg (*1929), von 19641992 ev. Rundfunkbeauftragter beim Saarländischen Rundfunk (SR), nach wie vor wohnhaft in Saarbrücken. 26 Entnommen dem Jahresbericht vom 1.7.68 bis 30.6.69 des kirchlichen Beauftragten beim Saarländischen Rundfunk, Herrn Pfarrer Osenberg. 25 He< 8 - 2008 22 Am Sonntagmorgen werden von 8.05 – 8.20 Uhr aktuelle kirchliche Kommentare und Interviews gesendet. Die neue Sendereihe „Fragen an den Autor“ von 11.00 – 12.00 Uhr, in der Autoren von besonders bekanntgewordenen Sachbüchern im Studio live interviewt werden (mit telefonischer Hörerbeteiligung) berücksichtigt in relativ starkem Maße Theologen (z.B. Heinz Zahrnt, Dorothee Sölle, Dietrich von Oppen). Damit finden sich jetzt in den beiden Programmen des SR folgende feste Sendezeiten für kirchliche Sendungen, die zwar abgesehen von den Gottesdiensten und den Morgenandachten nicht mehr streng nach Konfessionen aufgeteilt sind, aber doch gleichmäßig und sachlich der Problematik und den Ereignissen in beiden Kirchen Rechnung tragen. Montag – Samstag 6.55 – 7.00 Uhr EW + SW und 8.25 – 8.30 Uhr SW GLAUBEN IN DIESER ZEIT Dienstag und Freitag 18.45 – 19.00 Uhr SW AUS KIRCHE UND WELT (Aktuelles) Freitag 8.30 – 9.00 Uhr SW BREVIER FÜR DEN ALLTAG (Theologisch-Literarische Sendungen, vorwiegend für Kranke) Samstag 19.45 – 20.0 Uhr SW AUS DER CHRISTLICHEN WELT Sonntag 8.05 – 8.20 Uhr EW AUS KIRCHE UND WELT (Aktuelles) 9.00 – 9.15 Uhr SW STANDPUNKTE 10.00 – 11.00 Uhr SW GOTTESDIENST (an besonderen Feiertagen EW angeschlossen)27 Bei der Planung der Sendungen ging Herr Pfarrer Osenberg auf verschiedene Weise vor. Da die kirchlichen Sendungen hier im Gegensatz zu den GottesSaarbrücker Religionspädagogische He<e diensten der Kirche keinen vorgeschriebenen Predigttext haben, ist eine freie Auswahl möglich. So wählte Herr Pfarrer Osenberg einmal Bibeltexte aus, oder er verwendete Themen oder Zitate aus Büchern und Zeitschriften, die als Denkanstöße für die Sprecher fungierten. Bei der Ausgestaltung der Texte bleibt den Sprechern dann größte Freiheit. Auch die Auswahl der Sprecher und der Chöre obliegt Herrn Pfarrer Osenberg. Dabei ergibt sich in Bezug auf die Sprecher eine gewisse Schwierigkeit, weil nicht jeder gute Pfarrer zugleich auch mediengeeignet ist. Zudem erscheint es günstig, wenn die Sprecher sich auch öfters ablösen, damit auf diese Weise mehrere Stimmen zu Wort kommen. Während die Verkündigungssendungen im eigentlichen Sinne nicht als Bildungsarbeit zu verstehen sind, da sie mehr als Zuspruch zu werten sind, fallen vor allem die Informationssendungen unter den Begriff der religiösen Bildungsarbeit. Sie stellen sogenannte „feature-Sendungen“ dar und beziehen ihre Themen aus der Aktualität, die sie von christlicher Sicht aus interpretieren. Aber auch Dokumentationen und Hörspiele fallen unter diesen Bereich. Außer den festen Sendezeiten, die auch zum Teil für diese Sendungen bestehen, gibt es Sendereihen verschiedener Länge, die verschieden in das Programm eingeplant werden. Themen für solche Sendungen sind z.B.: • Christen und Marxisten • Wandel der Moral • Christentum und Sozialismus. 27 EW = Europawelle; SW = Studiowelle; entnommen dem Jahresbericht vom 1.7.68 bis 30.6.69 des kirchlichen Beauftragten beim Saarländischen Rundfunk, Herrn Pfarrer Osenberg. Außer diesen Sendereihen gibt es Rundfunk- und Fernsehkommentare. Einige Beispiele für die Themen der Fernsehkommentare sind folgende: • Keine Angst vor Menschen (zu den Demonstrationen in Saarbrücken) • Man lebt nur einmal (zum Tode Ph. Blaibergs in Kapstadt) • Einfluss nach Prozenten (zu einer Meinungsumfrage nach der Macht im Staat) Bei den Sendungen herrscht im allgemeinen eine gute Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche. Jede Kirche wird im Programm in gleicher Weise berücksichtigt, darüber hinaus gibt es viele ökumenische Sendungen. Ein Nachteil all dieser Sendungen ist die Tatsache, dass sie eindimensional verlaufen. Nur in Ausnahmefällen wie bei der Sendung „Fragen an den Autor“ oder der Einrichtung beim Hessischen Rundfunk, wo die Hörer die Gelegenheit haben, schriftlich Anfragen vorzutragen, die dann in einer eigenen Sendung beantwortet werden, besteht die Möglichkeit einer Rückkoppelung. Zudem stellt sich die Forderung vor allem an das Fernsehen, die Sendungen mediengerechter zu übermitteln. Da viele der Sendungen als reine Informationssendungen nur durch einen Sprecher dargeboten werden, könnte man hier ansetzen und überlegen, wie diese Sendungen anschaulicher und damit attraktiver gestaltet werden könnten. Neuerdings versucht man auch, die durch Infratest gemachten statistischen Untersuchungen, die das Hör- und Fernsehverhalten der Bevölkerung ergründen sollten, bei der Programmgestaltung mit einzubeziehen. Eine solche Untersuchung wurde auch durchgeführt, um das Hörverhalten in Bezug auf die kirchliche Bindung herauszufinden. Dabei ergaben sich folgende Werte: 23 • Hörer kirchlicher Sendungen sind zu 26% von intensiver Glaubensbindung • 41% nur aus Gewohnheit mit der Kirche verbunden • 17% nur von sachlichem Interesse • 15% desinteressiert. Eine Möglichkeit, Fernsehsendungen zu konservieren, besteht in der Herstellung von Filmkassetten, die dann eine gute Nutzung für den Unterricht bedeuten könnten. Die Versuche auf diesem Gebiet laufen noch. Auf dem Halberg werden bereits einige Fernsehseminare mit der Evangelischen Studentengemeinde zusammen durchgeführt, bei denen nach Sichtvorführung ausgewählter Produktionen der verschiedenen Anstalten dann Form und Inhalt kritisch besprochen wurde. Auch im Schulfunk, der einen besonderen Bereich der Rundfunkarbeit darstellt, werden Sendungen mit religiösem Inhalt hergestellt. Diese Sendungen sind ökumenisch aufgezogen und beziehen sich vor allem auf Themen des AT und der Kirchengeschichte. Da der Schulfunk aber allgemein eine rückläufige Tendenz aufweist, haben diese Sendungen keine große Ausstrahlung. Es kann zusammenfassend gesagt werden, dass die Medien Funk und Fernsehen auf dem Sektor der religiösen Bildung einen nicht zu unterschätzenden Faktor darstellen. Die Möglichkeiten aber, die sich bei einer mediengerechteren Form der Darbietung ergeben, sind noch nicht ausgeschöpft. 9. ZUSAMMENFASSUNG Die Kirche leitet ihren Bildungsauftrag ab von Jesu Missionsbefehl in Mt 28,19 – 20. Die Erfüllung geschieht in den Dimensionen Wort, Dienst und Gemeinschaft. Da das Weltbild der Bibel nicht He< 8 - 2008 24 mehr mit dem unseren übereinstimmt, ist der Zugang zum Verständnis der biblischen Texte erschwert. Die Kirche ist in eine Krise geraten und sucht deshalb nach neuen Wegen, um ihrem Bildungsauftrag in zeitgemäßer Form gerecht zu werden. Das Ziel religiöser Bildungsarbeit ist heute der mündige Mensch, der zu einem verantwortungsbewussten, christlichen Handeln innerhalb der Gesellschaft geführt werden soll. Religiöse Bildungsarbeit geschieht evangelischerseits in folgenden Bereichen: • Kindergarten • Kindergottesdienst • Konfirmandenunterricht • Schulen • Berufsschule • Evangelische Einrichtungen für Erwachsenenbildung • Funk und Fernsehen Der Kindergarten Die religiöse Bildungsarbeit im Kindergarten geschieht in der bildsamsten und empfindsamsten Phase des menschlichen Lebens. Hier werden die Fundamente des späteren Glaubens gelegt, indem ein Vorverständnis geschaffen wird. Dabei findet kindgemäße Sachlichkeit weitgehende Berücksichtigung. Das Kind wird nicht verbal, sondern emotional behutsam an die Gottesfrage herangeführt. Dies geschieht, indem aus der kindlichen Erlebenswelt ein Bezug zur Bibel hergestellt wird. Das Kind wird nicht mit biblischen Texten überschüttet, die es noch nicht verstehen kann. Werden aber biblische Texte erzählt, so muss dies sachlich einwandfrei erfolgen. Es darf grundsätzlich nicht erzählt werden, was später zurückgenommen werden muss. Durch Werken, Malen und Musizieren werden biblische Texte in Handlung umgesetzt und zugleich vertieft. Saarbrücker Religionspädagogische He<e Der Kindergottesdienst Obwohl zwischen der religiösen Bildungsarbeit des Kindergartens und des Kindergottesdienstes noch keine Zusammenarbeit besteht, besteht in beiden Fällen ein ähnlicher Ansatz. Auch im Kindergottesdienst neuerer Prägung wird das Prinzip der Kindgemäßheit weitgehend berücksichtigt, da es pädagogisch nicht mehr vertretbar erscheint, Kinder rechtzeitig an den Gottesdienst der Erwachsenen zu gewöhnen. So wird auch hier versucht, in kindgerechter Weise an biblische Texte heranzugehen, indem von einer konkreten Situation des Lebens ausgegangen wird, die auch durch Film oder Dias bereitgestellt werden kann. Außerdem wird auch hier versucht, durch das Tun des Kindes, das sich im Werken, Basteln, Malen, Musizieren, Singen und Tanzen ausdrückt, biblische Texte anschaulich zu machen. Daneben kommen aber auch allgemein kirchliche Themen der Gegenwart zur Sprache. Ein Kindergottesdienst, der in dieser Weise gehalten wird, findet überwiegend in Gemeinschaftsräumen statt. Wird ein kirchlicher Gottesdienst gefeiert, so dürfen die Kinder ihn selbst gestalten helfen. Der Konfirmandenunterricht Im Konfirmandenunterricht versucht man durch einen Kursunterricht zu neuen Formen zu kommen. Die Kurse stehen jeweils unter einem umfassenden Thema und bieten damit die Möglichkeit einer stofflichen Konzentration. Sie werden nach Pflicht- und Wahlkursen unterschieden, von denen eine bestimmte Anzahl belegt werden muss. Die Reihenfolge der Kurse kann der Präparand selbst bestimmen. Inhaltlich beschränkt sich der Unterricht nicht mehr auf die Katechese und Vermittlung rein biblischer Themen, sondern die soziale Wirklichkeit und die Probleme der Gegenwart werden mit in den Unterricht einbezogen. Exkursio- nen zu sozialen Institutionen und Vorträge von Leuten, die in diesem Bereich arbeiten, stellen eine anschauliche Ergänzung des Unterrichts dar. So wird neben der Vermittlung biblischen Wissens in gleicher Weise ein Bezug zur Lebenswirklichkeit hergestellt und der Unterricht von allzu starren Formen befreit. Der Religionsunterricht der Schulen Auch den Religionsunterricht der Schulen versucht man neu zu gestalten, um durch ein zeitgemäßes Verständnis die Kinder für dieses Unterrichtsfach zu motivieren. „Er (der RU) darf nicht als bloßer Überlieferer von historischer Tradition oder Bildungsinhalten verstanden werden, sondern er soll helfen, Antwort auf Lebens- und Sinnfragen zu finden, indem er das biblische Zeugnis in die konkrete Situation von Mensch und Gesellschaft auslegt.“ Der Schüler soll zu einem denkfähigen Glauben und verantwortungsbewussten Handeln gelangen. Es ergeben sich für den Unterricht dabei drei didaktische Ansätze: • Die biblischen Texte • Die Erkenntnisse der modernen Theologie • Die Gegenwart Diese drei Ansätze lassen sich am besten in einem thematisch aufgebauten Unterricht verwirklichen. Auch im methodischen Bereich wird versucht, durch wechselnde Unterrichtsformen und durch Medieneinsatz den Unterricht attraktiver und interessanter zu machen. Der Religionsunterricht der Berufsschule Der Religionsunterricht der Berufsschule ist seit seiner Begründung im Jahre 1953 in erster Linie als Lebenshilfe verstanden worden. Der junge Mensch, in einer schwierigen Phase der Ent- 25 wicklung, wird durch seinen Eintritt in das Berufsleben mit mannigfaltigen Problemen konfrontiert, in denen er Hilfe braucht. Deshalb bezieht sich der RU der Berufsschule überwiegend auf Gegenwartsprobleme und weniger auf biblische Themen. Über den Unterricht hinaus arbeitet der Lehrer mit Verbänden und Innungen zusammen und steht dem Schüler auch am Arbeitsplatz zur Seite. Dabei kann die Hilfe des Lehrers seelsorgerliche Züge annehmen. Der eigentliche Unterricht wird in der Weise gestaltet, dass die Kinder zunächst mehr emotional angesprochen werden, indem von konkreten Situationen ausgegangen wird. Diese lassen sich durch Arbeitsmittel wie Filme, Dias, Fotos und Zeitungsartikel sehr gut bereitstellen. Der Schüler soll nicht nur zu einem Verständnis seiner Umwelt, sondern auch zu einer kritischen Betrachtung dieser geführt werden. Erwachsenenbildung durch die Evangelische Akademie des Saarlandes Die neugegründete Evangelische Akademie des Saarlandes hat sich in die Reihe der Bildungsinstitutionen eingereiht, die Erwachsenenbildung betreiben. Sie tut dies aus ihrer Motivation heraus, dem Menschen ein Verständnis seiner Zeit und damit Lebenshilfe zu geben. Der Mensch soll zur mündigen Mitverantwortung und Mitgestaltung in der Gesellschaft fähig und willig werden. Die angebotenen Themen beziehen sich auf theologische, gesellschaftspolitische, pädagogische und psychologische Probleme. In ihrer Arbeitsweise unterscheidet sich die Evangelische Akademie, die in ihrer Form die erste im Bundesgebiet ist, grundlegende von anderen kirchlichen Institutionen. Sie stellt eine Flächenakademie dar, da sie durch ihre Aufteilung in 15 verschiedene Abteilungen mit jeweils einem regionalen Schwerpunkt über das ganze Saarland wirken kann. Ihre VeranstalHe< 8 - 2008 26 tungen finden nicht in eigenen Tagungshäusern statt, sondern in öffentlichen Räumen, Gemeindezentren, Schulen und auch Gastwirtschaften. Dabei werden nicht nur Vorträge angeboten, sondern der eigentliche Schwerpunkt liegt auf den Seminaren, in denen von einer rezeptiven Form zur aktiven Mitarbeit übergegangen werden soll. Es können auf diese Weise Zertifikate erworben werden, die einen beruflichen Aufstieg ermöglichen. Religiöse Erwachsenenbildung durch Funk und Fernsehen Funk und Fernsehen stellen wegen ihrer breiten Publikumswirkung auch im religiösen Bereich einen noch nicht zu überschauenden Faktor der Wissensvermittlung dar, zumal sie auch jene Leute erreichen, die sich sonst wenig oder kaum über kirchliche Dinge informieren. Ein Nachteil der Sendungen ist jedoch, dass sie eindimensional verlaufen und eine Rückkopplung nicht gegeben ist. Kirchenfunk und kirchliche Fernsehsendungen sind Veranstaltungen des Saarländischen Rundfunks und damit der Verantwortung des Intendanten und nicht der Kirchen unterstellt. So sind zum überwiegenden Teil Nichttheologen, die aus dem publizistischen Bereich kommen, auf diesem Gebiet tätig. Nur bei Verkündigungssendungen, wie Gottesdienst, Andacht und kirchlicher Feier, übt ein kirchlicher Vertreter eine beratende Funktion aus. Neben die Sendungen der Verkündigung treten die sogenannten „feature“ Sendungen, die einen Informationscharakter haben und aus christlicher Sicht eine Deutung aktueller Probleme geben oder auch nur einfache Kommentare darstellen. Der Schulfunk, der jedoch nicht dem Kirchenfunk angeschlossen ist, stellt für den Schulunterricht zusätzlich vorwiegend ökumeniSaarbrücker Religionspädagogische He<e sche Sendungen her, die einen religiösen Inhalt haben. Durch statistische Untersuchungen versucht man neuerdings das Hörverhalten zu erfassen und daraus Rückschlüsse für die Programmgestaltung zu ziehen. Für die Zukunft ergibt sich dabei vor allem für das Fernsehen die Forderung nach einer mediengerechten Darbietung. 10. SCHLUSSWORT Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, wie heute auf dem religiösen Bildungssektor versucht wird, durch neue Ansätze aus der gegenwärtigen Krise herauszukommen. Religiöse Bildungsarbeit erschöpft sich deshalb nicht mehr in der Vermittlung nur biblischen Wissens, sondern in gleicher Weise wird die Gegenwart mit einbezogen. Obwohl diese Verknüpfung von Bibelwort und Gegenwart eine gebotene Forderung ist, weil damit der Gegenwartsbezug des biblischen Wortes deutlich wird, ist die Gefahr gegeben, dass der Akzent dabei allzu sehr auf das Zeitverständnis gelegt wird und das Wort der Bibel, das Anrede Gottes bedeutet, zu kurz kommt. Da der christliche Glaube aber erst aus der Erkenntnis heraus wachsen kann, dass Gott durch die Bibel zu uns spricht, erscheint es nach wie vor eine gebotene Forderung zu sein, dass ein Schwerpunkt der religiösen Bildungsarbeit auf dem biblischen Wort selbst liegt. Da biblische Texte aber noch häufig als historische Berichte missverstanden werden und sich dadurch ihr eigentlicher Aussagegehalt verschließt, erhebt sich die Notwendigkeit, in stärkerem Maße als bisher die Erkenntnisse der modernen Theologie über die Entstehung der Texte weiterzugeben. Auf diese Weise werden die Texte zum Sprechen gebracht und erscheinen transparent. Ihr zeitlos gültiger Gehalt schält sich dabei heraus. Damit außerdem die Dinge des Glaubens in einheitlicher Weise vermittelt werden, scheint es unumgänglich zu sein, dass auf dem religiösen Bildungssektor zu einer größeren Zusammenarbeit der einzelnen Bereiche gefunden 27 wird. Durch das Aufstellen von Plänen, die in gegenseitiger Absprache entstehen müssten, könnte dann auch die Gewähr gegeben werden, dass das biblische Wort im gesamten Bildungsprozess nicht zu kurz kommt und der junge Mensch ein konkretes biblisches Wissen vermittelt bekommt, das seinen Bezug in der Gegenwart hat. He< 8 - 2008 He< 8 29 „WAS ES EIGENTLICH 40 JAHRE DANACH … ERNEUT BRÄUCHTE, WÄRE EINE VISION …“ – Interview zum Thema „1968 und die Folgen für Kirche, Theologie und Religionspädagogik“ mit Pfarrer Wolfgang Klein (März 2008) Pfr. Wolfgang Klein, Jahrgang 1944, geboren in Neunkirchen (Saarland), verheiratet mit einer Buchhändlerin, hat zwei erwachsene Kinder und einen Enkel. Nach Studium der Evangelischen Theologie in Bonn, Heidelberg und Wuppertal war er 1969-70 Vikar in Karlsruhe und Wiesloch (Baden), ab 1970 in Saarbrücken und 1971-1979 Pfarrer der Ev. Kirchengemeinde AltSaarbrücken. Von 1979-1992 arbeitete er als Berufsschulpfarrer ebenfalls in Saarbrücken, ehe er von 1992-2005 als Schulreferent der Kirchenkreise Saarbrücken, Völklingen und Ottweiler für die Religionslehrerfort- und -weiterbildung zuständig war. Auch nach seiner Pensionierung 2005 ist er Mitglied in der Theologischen Prüfungskommission der Evangelischen Kirche im Rheinland und Vertreter beider evangelischen Kirchen im Saarland im Medienrat der Landesmedienanstalt Saar. Er hat zahlreiche religionspädagogische und theologische Gesprächsbeiträge sowie Anthologien theologischer Literatur publiziert – auf das Jahr 1968 und die damaligen Umbrüche beziehen sich etwa seine Aufsätze „Politik und Protestantismus heute“ (in: Deutsches Pfarrerblatt 69, 1969, 684-686), „Probleme politischer Theologie“ (in: Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft 61, 1972, 439-442) und „Liturgie der Revolution – oder: Kirche ohne Politik? (in: Der Sonntagsgruss Nr. 35 v. 27. August 1972, 8). Das folgende Gespräch fand am 6. März 2008 statt. Die Fragen stellte Prof. Dr. Bernd Schröder S.: Herr Klein, wir wollen miteinander über das Thema „1968 und die Folgen für Kirche, Theologie, Religionspädagogik“ sprechen. Deshalb zunächst die Frage: Wofür steht für Sie das Jahr 1968? Klein: Für mich ist das Jahr 1968 allgemein verbunden mit dem Begriff „Befreiung“ oder „Freiheit“, mit einer großen Horizonterweiterung sowohl politisch wie auch kulturell. Ich muss dazu sagen, dass es nicht nur um Politisierung ging, sondern insgesamt auch um völlig neue Ansätze im Hinblick auf Gesellschaft und Politik. Ich bin in den fünfziger Jahren groß geworden, die für mich – Stichwort: Restauration – als damals 15-jährigen gekennzeichnet waren vor allem von einer doppelten Moral. Einerseits wurden die so genannten bürgerlichen Werte, Wohlanständigkeit und auch eine prüde Sexualmoral, hoch gehalten; auf der anderen Seite waren alle diese Werte im Dritten Reich zusammengebrochen und durch die NS-Ideologie auch desavouiert. Dass in den 60er Jahren die Politisierung unsere Generation ergriff, hatte zwei Gründe: Der eine war die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, mit der Frage an die Eltern bzw. an die Großeltern damals: „Wie konntet Ihr das zulassen?“ Für uns war es völlig unverständlich, wie es dazu kommen konnte, zu diesem NS-Staat, zu diesem Unrechtsstaat. Was war der Beitrag der Eltern und der Großeltern dazu, der immer verschwiegen wurde und in vielen Familien taHe< 8 - 2008 30 buisiert war? Hinzu kam, dass wir, viele meiner Generation und auch ich selbst, Kriegswaisen waren. Wir haben zu einer vaterlosen Generation gehört. Insofern waren wir mit unseren Biografien besonders betroffen von der Nazi-Zeit. Meine Mutter zum Beispiel war eine überzeugte Nationalsozialistin – was mich immer gewundert hat. Sie ist mir und meinen Fragen in diese Richtung stets ausgewichen. Und meinen Vater konnte ich nicht fragen, er war 1944 gefallen. Ich habe ihn gar nicht kennen gelernt. Demgegenüber waren die Eltern meiner Frau in der Bekennenden Kirche im Saarland aktiv. Mein Schwiegervater, der als evangelischer Buchhändler in Saarbrücken die Anti-Nazi-Blätter von Bischof [Theophil] Wurm verteilt hat, war 14 Tage im Gestapo-Haft, hier auf der Lerchesflur, im Saarbrücker Gefängnis; anschließend wurde er zwangsrekrutiert zur Wehrmacht. Als er heimkehrte, war sein Geschäft und alles verloren gegangen. Der Riss ging quer durch die Familie, das wollte ich damit sagen. Und der zweite Grund war eigentlich ein [damals] aktueller, er war eine der wesentlichen Triebfedern der Studentenbewegung. Es war die Politisierung durch den US-amerikanischen Imperialismus, vor allem durch den VietnamKrieg. Das war wirklich eine wichtige Triebkraft. Hinzu kam kulturell interessanterweise die so genannte sexuelle Befreiung: durch die Einführung der Anti-Baby-Pille in den 60er Jahren etwa und die ganze sexuelle Aufklärungsdebatte; das war ein Stück Befreiung im Blick auf die einzelnen Personen, spürbar auch in der Jugendkultur der Hippiebewegung („Make love, not war“). S.: Das bisher Gesagte betrifft die Gesellschaft insgesamt. Klein: Ja. Saarbrücker Religionspädagogische He<e S: Wie würden Sie sagen war es in der Kirche? Gab es dort auch die doppelte Moral, den Drang nach Freiheit, von dem Sie sprachen? Klein: Also in der Kirche habe ich das nicht so wahrgenommen. Dazu muss ich allerdings sagen: Ich bin überhaupt nicht kirchlich sozialisiert, ich wurde vielmehr erst später ein so genanntes „schwarzes Schaf“ der Familie. Meine komplette Familie war neutral oder gleichgültig der Kirche gegenüber, und ich kam eigentlich erst durch einen sehr guten Religionsunterricht auf dem Gymnasium in St. Ingbert in der Oberstufe zum Theologie-Studium. Ja, meine Motivation, Theologie zu studieren kam aus dem Religionsunterricht – eben das hat mich bis heute in meiner gesamten beruflichen Laufbahn und auch sonst geprägt. S.: Das, was in der Kirche geschah, war also nicht ausschlaggebend für Ihre Wahrnehmung von 1968? Für Sie war es eher ein gesellschaftlicher Impuls? Klein: Ja, das Interesse an der Studentenbewegung und die Politisierung folgte einem gesellschaftlichen Impuls. Ich hatte 1963 Abitur gemacht und im Sommer ‘63 angefangen zu studieren. Ich habe mich natürlich zunächst mit dem Studium, mit Evangelischer Theologie auseinandergesetzt – und habe dabei dann die Kirche eigentlich genauso zwiespältig erlebt wie die Gesellschaft. Auf der einen Seite gab es die konservativen bis evangelikalen Kräfte, damals die Bewegung „Kein anderes Evangelium“, die Bekenntnis-Bewegung, die Front gegen alle historisch-kritische Theologie machte, vor allem gegen [Rudolf] Bultmann, das war ihr Lieblingsgegner, später gegen Dorothee Sölle. Die Bekenntnis-Bewegung hat Front gemacht gegen eigentlich alle Erkenntnisse der evangelischen Theologie seit der Aufklärung, vor allem gegen das Entmythologisierungsprogramm. Ich habe bei meinem Studium im Wuppertal erstmals in meinem Leben Pietisten erlebt aus dem Siegerland und von Vielem gehört, was für mich völlig befremdlich war, von der Zeltmission von Herrn Henkelbach etwa – die Älteren werden sich erinnern – und Ähnliches mehr. Das war für mich eine absurde, völlig fremde Welt. Auf der anderen Seite gab es die linken Theologie-Studenten, seit Mitte der 60er Jahre, die sich mit dem neuen Dialog Christentum und Marxismus, mit der Frage nach dem Sozialismus auf theologische Weise auseinander gesetzt haben. Ich würde sagen: in der Tradition der früheren „Religiösen Sozialisten“, Leonhard Ragaz, Karl Barth und dem linken Flügel der Barthianer. Das war für uns, für mich schon prägend. S.: Sie waren 1967/68 noch an der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal ? Klein: Nein, da war ich in Bonn. S.: Wie sind Sie dort in diese Politisierung hinein geraten? Gingen Sie aktiv auf die Studenten zu, die schon engagiert waren, oder gab es Anstöße von außen? Klein: Das war ein Prozess. Nach meiner Erinnerung ging es etwa 1964/65 los, damals habe ich in Heidelberg studiert und bei Georg Picht Vorlesungen gehört, der damals die „Bildungskatastrophe“ proklamiert hat. Zugleich hatte ich 1964/65 die ersten Demos erlebt, beispielsweise eine in Heidelberg gegen den Bildungsnotstand. Das hat schon den ersten Schub der Politisierung gegeben. Theoretisch wurde er durch das Theologiestudium forciert – und dann immer wieder durch die Ereignisse, etwa als ab 1967 in Bonn die ersten Demos gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetze in der BRD begannen, zudem durch die ganzen Aufrufe und die Kampagnen und die ganze „Agitation“ wie man damals sagte. 31 S.: Hatten Sie damals nur die westdeutschen Verhältnisse vor Augen oder spielte auch der reale Sozialismus in der damaligen DDR eine Rolle? Klein: Die DDR war für uns relativ wenig im Blick; es war die Zeit des kalten Krieges und die Möglichkeiten der Kommunikation mit der DDR waren sehr gering damals in den 60er Jahren. Die Öffnung kam ja erst in den 70ern aufgrund der Ostverträge Willy Brandts. In den 60er Jahren gab es kaum Möglichkeiten, sich mal authentisch vor Ort mit der DDR auseinanderzusetzen. Ich kann mich erinnern an die Zeit ein paar Wochen vor dem Mauerbau, 1961; wir waren auf Klassenfahrt im Westberlin und sind damals über die Friedrichstrasse nach Ostberlin gefahren. Später haben wir als Vikare mit dem Predigerseminar eine Fahrt nach Ostberlin gemacht. Wir wussten zudem, dass es da kirchliche Kontakte gab, von Seiten der EKD, aber für uns als Studenten war das eigentlich nicht maßgebend. Der DDR-Sozialismus war nicht das, was wir uns politisch erhofft oder gewünscht hatten. Aber wir wussten, dass aus dem Osten Flüchtlinge kamen und die auch in der Studentenbewegung aktiv waren, Bernd Rabehl zum Beispiel oder auch Rudi Dutschke. Wir haben auch sehr intensiv den Prager Frühling von Alexander Dubcek verfolgt – das war ein Sozialismus, der uns Hoffnung gemacht hat. Das war ja in der gleichen Zeit, Ende der 60er, es ging um einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“. Das waren so die Parolen, und dafür standen Dubcek und auch andere so genannte Reformkommunisten aus dem damaligen Ostblock. S.: Zum Beispiel Ota Sik. Klein: Ja, Sik und andere. Doch vor allem waren wir interessiert an dem, was im Westen geschah, was in den He< 8 - 2008 32 USA passierte. Wir haben die Bürgerrechtsbewegung von Martin Luther King verfolgt. Wir waren natürlich entsetzt im April ‘68, als innerhalb einer Woche zunächst das Attentat auf King geschah und dann das Attentat auf Dutschke, kurz vor Ostern, beide in einer Woche. Da ist für uns fast eine Welt zusammengebrochen. Am 4. April 1968 war das Attentat auf King und am 11. April auf Rudi Dutschke, ein Jahr davor, am 2. Juni 1967 war das Attentat oder die Polizeikugel auf Benno Ohnesorg – das alles hat zur Radikalisierung der Studentenbewegung beigetragen. Und ich war ‘63, ich kann mich gut erinnern, begeistert von [John F.] Kennedy. Er war für uns ein Symbol des Aufbruchs in der USA, seine Unterstützung der Bürgerrechtsbewegung und im Juni ‘63 sein Besuch in Berlin mit dem berühmten Diktum „Ich bin ein Berliner“. Da hatten wir das Gefühl, jetzt kommt die Demokratie, jetzt kommt was Neues – auch mit Willy Brandt natürlich. Er war ja damals Oberbürgermeister von Berlin; er hatte mit Kennedy zusammen diesen Auftritt – und dann der Schock im November ‘63: die Ermordung Kennedys! Ich war in Wuppertal und hörte die Nachricht im Radio; wir waren fassungslos. S.: Kommen wir zurück vom Blick nach Westen zur Studentenbewegung und Ihrer Beteiligung daran. Klein: Es war zuerst eine persönliche Entscheidung, als Student sich da zu engagieren, aber man muss auch sehen: In der intellektuellen Szene damals waren ganze viele Leute, die in der Kirche sozialisiert waren. Unter den Anführern der Studentenbewegung kam zum Beispiel auch Rudi Dutschke aus der kirchlichen Jugendbewegung in der DDR. Oder denken Sie an die spätere RAF, an Gudrun Ensslin als Pfarrerstochter, an Ulrike Meinhof , die bei der Heidelberger Pädagogik-Professorin Saarbrücker Religionspädagogische He<e Renate Riemeck als Adoptivtochter groß geworden ist und sehr stark davon geprägt war; oder an das Erbe des linken Flügels der Bekennenden Kirche – da waren Leute wie [Helmut] Gollwitzer, [Kurt] Scharf, [Heinrich] Albertz, die man später als zornige alte Männer bezeichnet hat. In der Richtung war Vieles auch innerkirchlich angelegt, aus der theologischen Auseinandersetzung mit dem Erbe der Bekennenden Kirche heraus. S.: Das geschah zeitgleich oder wurde gleichzeitig wahrgenommen … Klein: Es war zeitgleich; ich erinnere mich: 1967 erschien auch die wunderbare Biographie Bonhoeffers von Eberhard Bethge im Kaiser-Verlag; das war die Wiederentdeckung Bonhoeffers für uns, wirklich phänomenal. Dietrich Bonhoeffer stand uns vor Augen, er war für die damalige Zeit so etwas von modern und entsprach unserem Zeitgefühl völlig! Das war eine richtige Entdekkung. Kurz zuvor [1965] die Ostdenkschrift der EKD, die dazu beigetragen hat, das das theologische Gedankengut der Versöhnung in die Politik der Ostverträge Eingang gefunden hat, das war ganz wichtig. Die Kirche als Institution war sicher eher ambivalent – dort gab es wie gesagt diesen alten traditionellen Strang. Die Kirche war damals zwischen Protest und Tradition beheimatet. Vordenker waren die Theologen, die Universitätstheologie, die Intellektuellen, die protestantischen Intellektuellen. S.: Gab es jemanden, der in dieser Hinsicht eine besondere Rolle spielte, eine Art Vordenker? Klein: Geprägt hat uns natürlich Jürgen Moltmann; 1964 ist seine „Theologie der Hoffnung“ erschienen, das war gerade zu Beginn meines Studiums und wir sind in den Genuss gekommen, das, was später als „Theologie der Hoffnung“ berühmt wurde, zuvor als Vorlesung bei Moltmann selbst gehört und mitdiskutiert zu haben. Das war für uns faszinierend, weil diese „Theologie der Hoffnung“ genau der gesellschaftlichen Atmosphäre entsprochen hat. Die 60er waren ja geprägt von Aufbruchsstimmung, politisch, wirtschaftlich, kulturell. Es gab Wohlstand, es gab kaum Arbeitslosigkeit – wir wussten als Studenten, wenn wir Examen gemacht haben als Theologen, würden wir zwischen zehn Pfarrstellen frei auswählen können. Es gab außer bei der Zahnmedizin keinen Numerus Clausus. Alle Fakultäten waren frei zugänglich für alle. Und auch bei den anderen Fachrichtungen gab es keine beruflichen Existenzprobleme nach dem Examen. S.: Das ist für das Lebensgefühl der Studenten wirklich ein wichtiger Faktor … Klein: Es gab jedenfalls überhaupt keine Depression und dem entsprach der kulturelle Aufbruch. Wir hatten die Beatles, wir hatten die Entdeckung der amerikanischen Pop-Music. In der damaligen Zeit waren wir alle begeistert davon, aber man muss auch sagen – ich muss noch mal auf die 50er Jahre zurückkommen – es wird immer vergessen, dass es ja so etwas wie proletarische Vorläufer der Studentenbewegung gab. Es gab ja unheimliche Auseinandersetzungen mit den so genannten „Halbstarken“. Ich weiß noch, 1958 kam der amerikanische Rock-Sänger Bill Haley nach Deutschland, in die Waldbühne nach Berlin vor 2- bis 3000 Zuschauern, und nach diesem Konzert haben sie die Bühne zerlegt, in alle Einzelteile – heute wäre das ein Kapitalverbrechen. Es gab zudem diese Kultfilme mit Marlon Brando, wo dieses Proletariats-Image stark geprägt wurde – also das war durchaus auch schon Protest und ging der Studentenbewegung voraus. Auch politische Proteste gab es in den 50er Jahren schon, auch in der Kirche, 33 Leute wie [Martin] Niemöller, die gegen die Wiederbewaffnung der Bundeswehr protestiert haben, später auch gegen die Atombewaffnung. Schon damals war diese Ambivalenz vorhanden zwischen Protest und Tradition. Man kann also nicht sagen, dass 1968 aus dem Nichts kam. Es gab eine Vorgeschichte, eine Entwicklung dorthin in der Geschichte der BRD und der Evangelischen Kirche. S.: Werfen wir einen Blick auf das Theologie-Studium. Wie war das in Vorlesungen? Haben die Studierenden damals kritische Fragen gestellt, hat sich das Klima in der Universität verändert? Klein: Ich erinnere mich an Walter Kreck zum Beispiel, der in der Bekennenden Kirche eine große Rolle gespielt hatte. In Bonn hat er sich selbst stark eingebracht in der Vorlesung, bei den Anderen ging es noch konservativ zu. Und ich habe dann ab ‘68 schon im Examensstress gestanden, da habe ich mich etwas ausklinken müssen aus existentiellen Gründen. Ich war ein schon relativ alter 68er, ich weiß, dass es nachher, 1968 bis ‘70 an den Hochschulen auch ganz andere Formen gegeben hat: Sit-ins und Go-ins – aber das war eher an den großen Universitäten wie Berlin, Frankfurt, Hamburg und München, nicht an den kleinen kirchlichen Hochschulen oder Universitäten wie Bonn. S.: Sie sind 1969 nach Ihrem ersten theologischen Examen ins Vikariat gegangen. Wie haben Sie Ihre erste Gemeinde damals wahrgenommen? War die Aufbruchstimmung an den Universitäten in den Gemeinden angekommen? Klein: Es war schon ein Berufsschock. Ich hatte allerdings nur eine Halbtagsstelle als Vikar gehabt, als Gastvikar – mit der anderen halben Stelle war ich als Assistent an der Uni tätig –, insofern hatte ich keinen kompletten Einblick in die Gemeinde. Was für mich auffällig war: dass man sehr viel mehr politisch He< 8 - 2008 34 gepredigt hat. Das hat sich wirklich in der Praxis durchgesetzt, dieses Selbstverständnis einer politischen Predigt, das ich heute manchmal vermisse, wenn ich weltfremde oder individualisierte Predigten höre. Wir haben auch versucht, durch Predigten und Bibelarbeiten die Erkenntnisse der Theologie an die Gemeinde zu vermitteln so weit es möglich war. 1969 war z.B. der Kirchentag in Stuttgart, als Vikar bin ich dorthin gefahren und habe danach darüber in der Gemeinde referiert, berichtet. Wir haben versucht, so etwas wie theologische Aufklärung zu betreiben in der Gemeinde – jedenfalls was meine Generation betrifft. S.: 1970 sind Sie ins Saarland gekommen – zunächst als Vikar, dann als Gemeindepfarrer. Fanden Sie hier schon Spuren von „1968“ vor? Oder war das Saarland davon unberührt geblieben? Klein: Die Landschaft v.a. in Saarbrücken war schon aufgewühlt, es gab auch hier eine linke kirchliche Szene als ich kam, es gab hier eine starke Ostermarsch-Bewegung, zu der gehörten Leute wie [Hans-Dieter] Osenberg, der Rundfunkpfarrer, mein Kollege [Heinrich] Schauer aus der Gemeinde AltSaarbrücken, Volker Junge zum Beispiel, Hermann Wuttke, damals Berufsschulpfarrer. In der Gemeinde waren wir damals zu viert: Schauer und [KarlGeorg] Holzkamp noch ein weiterer auf der Folsterhöhe, [Hermann] Segschneider und ich – ich habe mich da relativ schnell angeschlossen. Und ich kann mich an eine Geschichte erinnern: Gleich als ich kam, am ersten Mai 1970, habe ich einen Gemeindebrief herausgegeben zum Tag der Arbeiterklasse; auf dem Titel stand „Erster Mai = Tag der Arbeiterklasse“ und dann folgte ein Artikel, dementsprechend mit einem linken Touch versehen. Bald schon kam ein Mitglied der Industriellen-Familie Saarbrücker Religionspädagogische He<e Röchling, die zu unserer Kirchengemeinde gehörte und natürlich, aus dem industriellen Milieu stammend, konservativ war. In einem Brief, den sie unserem Presbyterium geschrieben hatte, formulierte sie ihren Protest: Wieso in einem kirchlichen Gemeindebrief der Tag der Arbeiterklasse verherrlicht werde? Sie würde so viel Kirchensteuer bezahlen, dass sie sich einen eigenen Pfarrer leisten könnte. Die Antwort des Presbyteriums war, das solle sie dann auch tun. Aber es war ihr wohl doch zu teuer, sie hat es jedenfalls nicht getan. Also es gab schon diese Politisierung. Und wir haben versucht, vor allem in den ersten 5 Jahren, bis etwa 1975/76 Kirchenreform zu praktizieren. Es gab damals diese Diskussion in der Praktischen Theologie über Kirchenreform – sie wurde ganz stark institutionell, organisatorisch vor allem, bedacht – und Ideen wurden überall verhandelt, etwa von der „aktion kirchenreform“. Wir haben drei gute Sachen gemacht: ein Konfirmandenunterrichts-Modell, das darauf beruhte, dass wir die Bezirksgrenzen aufgehoben und den Konfirmandenunterricht inhaltlich nach Kursen ausgerichtet haben. Wir haben die Kurse nach Themen verteilt auf die vier Pfarrer. Die Konfirmanden konnten frei wählen, unabhängig davon, ob es ihr Bezirkspfarrer war oder nicht, der den Kurs anbot. Wir haben gesagt, sie können sich nach Themen entscheiden. Nur am Schluss sollte die Konfirmation beim eigenen Pfarrer, d.h. beim Pfarrer des eigenen Bezirks, stattfinden. Das war die einzige Bedingung – außerdem sollte ein Kurs beim Bezirkspfarrer stattgefunden haben. Zusätzlich haben wir am Anfang und am Ende der 2 Jahre jeweils eine fast einwöchige Konfirmandenfreizeit gemacht, in den Ferien sind wir mit den Schülern fortgefahren. Dort haben wir sehr intensiv gearbeitet und damit zugleich auch Jugendarbeit praktiziert. Das zweite: Wir haben versucht das so genannte ROSTA-Modell der Rheinischen Kirche umzusetzen. ROSTA war eine Abkürzung für Raum-, Ordnungsund Struktur-Ausschuss der Rheinischen Kirche. Das lief auch darauf hinaus, die Bezirksgrenzen in Großgemeinden vor allem in Städten aufzuheben und die Pfarrer dann innerhalb der Gemeinde nach Interesse und Eignung einzusetzen. Ich war z. Beispiel für die gesamte Gemeinde Alt-Saarbrücken zuständig für Jugendarbeit und Konfirmandenunterricht, mein Kollege Schauer war für Altenarbeit, Frauenarbeit und Männerarbeit zuständig. Und der dritte war zuständig für die Verwaltung, für die Kindergärten und für all die Einrichtungen, die wir da hatten. Der vierte Kollege war für das neue entstandene Wohngebiet, den sozialen Brennpunkt Folsterhöhe zuständig. Funktionale Spezialisierung in der Gemeinde war das Stichwort! Wir haben zwischen Grund- und Spezialfunktionen unterschieden. Grundfunktionen waren das Kerngeschäft: Gottesdienste, Hausbesuche, Kasualien, die wurden nach Bezirken gemacht, wobei die Gottesdienste nicht mehr fest von jedem an ‚seiner’ Kirche gehalten wurden, sondern an allen Predigtstätten im Turnus. Hinzu kamen die Spezialfunktionen, die ich gerade geschildert habe. Dies Modell hat gut funktioniert, zumindest in unserem Team, nachher nicht mehr – es war doch stark an Personen gebunden. Das Presbyterium hat voll dahinter gestanden – eigentlich ein Wunder. Und wir haben damals auch Kontakte über die Gemeindegrenzen hinaus gehabt. Ich als Jugendpfarrer habe damals den Rainer Trappmann eingestellt für Jugendarbeit in St. Arnual und Alt-Saarbrücken. Wir haben also über die Gemeindegrenzen hinaus geblickt – Trappmann ist dann später zum [Evangelischen] Jugendwerk [an der Saar] gewechselt. 35 Und das dritte war: Ich hatte wie gesagt den Schwerpunkt auf Jugendarbeit gelegt. Ich hatte zeitweise 150 Jugendliche in der offenen Arbeit und ich hatte große soziale Brennpunkte zu betreuen – abgesehen von der Folsterhöhe war das damals die Moltkestraße. Heute kann man sich das nicht mehr vorstellen. Noch immer sind es zwar Sozialwohnungen, aber doch immerhin Neubauten. Damals war die alte ArtillerieKaserne in unbeschreiblichem Zustand. Es war wirklich ein soziales Elend. Mich hat das dermaßen beschäftigt, dass ich berufsbegleitend zwei Jahre im Burckhardt-Haus in Gelnhausen eine Ausbildung zum Gemeinwesenarbeiter gemacht habe, ganz gezielt im Blick auf die soziale Arbeit, bezahlt vom Presbyterium, freigestellt von der Gemeinde – und es waren immerhin mehrere 14-tägige Kurse über 2 Jahre hin –, nach zwei Jahren gab es ein Kolloquium und ein Zertifikat als Gemeinwesenarbeiter. Da habe ich sehr viel gelernt, einmal für diese soziale Arbeit, dann auch für die offene Jugendarbeit mit Methoden und Inhalten. Ich war übrigens der einzige Theologe in dieser Fortbildung, alle anderen waren Sozialarbeiter oder Diakone, einer kam z.B. aus Frankfurt, der hat dort Rocker-Arbeit gemacht. Nicht zuletzt haben wir auch neue Gottesdienstformen ausprobiert. Jugendgottesdienst war damals en vogue und dementsprechend haben wir auch Jugend- und Familien-Gottesdienste gemacht, dazu viele Schulgottesdienste. S.: Ich greife das Stichwort Schulgottesdienst auf, um nun auch auf Schule und Religionsunterricht zu sprechen zu kommen. Klein: Ich habe von Anfang an, schon als Gastvikar in Wiesloch, Unterricht erteilt – dort musste ich das tun wie alle Pfarrer in der Badischen Kirche. Als ich nach Alt-Saarbrücken kam, habe ich 1973/74 nach einer Anfrage begonnen nebenamtlich am Deutsch-FranzösiHe< 8 - 2008 36 schen Gymnasium [DFG] zu unterrichten – bis 1979. S.: Haben Sie denn auch dort Wirkungen von „‘68“ zu spüren bekommen? Klein: In den 70er Jahren habe ich ca. 56 Stunden in der Woche unterrichtet; der Unterricht selber lief noch ganz traditionell, es war Frontalunterricht – was neu war und allmählich überall eingeführt wurde, war die Problemorientierung als Konzeption und von daher die neuen Lehrpläne, die an Themen orientiert waren, vor allem an den gesellschaftlichen Problemen. So war das Thema Dritte Welt ganz stark vertreten, was heute kaum noch eine Rolle spielt. In den 70er Jahren rückte es ziemlich in den Mittelpunkt des Religionsunterrichts, bald schon kam die Friedensfrage hinzu. S.: Aber was den Unterrichtsablauf anging blieb alles beim Alten? In der Selbstsicht der 68er übte man sich damals doch erstmals wirklich in Demokratie: Schülermitbestimmung, Diskussion statt Lehrervortrag, Rollenspiel statt Textarbeit … Klein: Ja, aber der Unterricht war, soweit ich das wahrgenommen habe, zunächst eigentlich konventionell im Großen und Ganzen. S.: Sie haben die Problemorientierung als didaktischen Ansatz erwähnt. Hat man denn im Zuge dessen auch über die APO selbst und später den Terrorismus gesprochen? Waren die Schüler selbst ‚politisiert’? Klein: Im Grunde wenig; ‘68 ist mit Recht als Studenten-Bewegung apostrophiert worden. Es gab in großen Städten Ableger des SDS [„Sozialistischer Deutscher Studentenbund“; 1946-1970] in Schülergruppen, aber im Saarland hat er keine große Rolle gespielt. Es war eine Minderheit. Die Politisierung der Schülerschaft habe ich so im Saarland nicht wahrnehmen können, jedenfalls nicht Saarbrücker Religionspädagogische He<e mehrheitlich. Das war aufs „Reich“ beschränkt, auch die Austrittswelle aus dem Religionsunterricht war im Saarland marginal. S.: Hatten Sie den religionspädagogischen Umbruch zur Problemorientierung schon im Studium kennen gelernt? Klein: Ansatzweise im Studium und im Schulvikariat habe ich das mitgekriegt, dann aber vor allem auf Grund der Tatsache, dass ich regelmäßig unterrichtet habe. Ich habe mich selber darum bemüht, im Selbststudium, und habe diese Ansätze auch versucht zumindest ansatzweise in die Praxis einzuführen. Beflügelt hat mich, was ein katholischer Kollege, ein Priester, dort in den 70er Jahren am Deutsch-Französischen Gymnasium angepackt hat. Als erster in Saarbrücken hat er eine schulische Jugendarbeit angeboten, ein Diskussionsforum – eine Arbeit, die wesentlich von ihm und den Schülern der Oberstufe getragen war. Zudem hat er Freizeiten in den Schulferien gemacht mit Klassen, mit Schülern, er hat am Wochenende Seminare veranstaltet, er hat in der Woche Abenddiskussionen angeboten und als ich später ans DFG kam, habe ich mit ihm teilgenommen. Es gab eine sehr gute ökumenische Zusammenarbeit. Was wir damals eingeführt hatten, war sicher außerhalb der Legalität. Wir haben den Religionsunterricht ökumenisch gestaltet, nämlich nach Themen. Wir sind vor die Klassen getreten und haben gesagt: Der Herr Hönscheid hat die und die Themen in diesem Schuljahr anzubieten, der Herr Klein bietet die und die Themen an, da können Sie Ihre Themen frei auswählen, unabhängig von der Konfession. S.: Es gab also ein gewisses subversives Moment … Spielten denn die klassisch-dogmatischen Themen überhaupt noch eine Rolle im RU? Klein: Natürlich; es gab ja offizielle Lehrpläne und die waren vor allem im Blick auf das Abitur einzuhalten. Damals war ja die Oberstufe gerade frisch reformiert worden – 1972. Also hatten wir in der Abiturvorbereitung ähnliche Themen wie heute; mein Kollege [Gebhard] Neumüller in St. Ingbert hat damals die Lehrpläne entwickelt und zugleich auch diese wunderbaren Hefte, „Konzepte“ hießen die. Wenn ich mich an die Themen erinnere, dann war ein Jesus-Kurs enthalten, dazu die Gottesfrage. Und es gab damals einen Kurs „Glauben und Wissen“, Theologie und Naturwissenschaft – das war ein großes Thema. Es gab das Thema „Kirche“ mit Schwerpunkt auf Kirchendemokratie und auf aktuellen Fragen. So kann man sagen, dass die Themen, auch die klassischen Themen, zumindest in der Oberstufe vorhanden waren. S.: Noch einmal zum Stil des Unterrichts. Haben Sie denn neue Methoden eingesetzt? Medien? Zeitungen? Klein: Neue Methoden gab es schon, z.B. wurden mehr 16 mm-Filme eingesetzt, der Dia-Projektor, die Musikkassette; ich habe auch sehr stark versucht, in der Oberstufe neue Literatur einzuführen, ich habe z.B. Eli Wiesel gelesen, ich habe viel mit Referaten gearbeitet in der Oberstufe, das war damals noch möglich. Wir haben schon versucht den Schüler als Subjekt zu verstehen, in Beziehung zu lernen – das gab es schon damals in Ansätzen. Ich habe dann Wochenendseminare mit meinen Oberstufenschülern gemacht, auf freiwilliger Basis; das ist sehr gut angenommen damals. Ich hatte gerade TZI [Themenzentrierte Interaktion] gelernt; wir haben Meditationskurse gemacht, Selbstwahrnehmungsübungen, die TZI- Methoden auch im Unterricht angewandt. Wir haben zusammen gearbeitet mit dem Evangelischen Jugendwerk an der 37 Saar, z.B. mit Wolfgang Biehl, der heute Geschäftsführer des Diakonischen Werkes ist; mit Rainer Trappmann zusammen habe ich die Schülerfreizeiten gemacht in Brotdorf bei Merzig, am Wochenende Seminare mit Schülern. Ich war ja durch meine Aufgaben in der Gemeinde eng mit dem Jugendwerk verflochten; zudem war ich 10 Jahre lang selber Jugendpfarrer des Kirchenkreises Saarbrücken und als solcher in der Geschäftsleitung des Jugendwerkes. In der gesamten Leitung des Evangelischen Jugendwerkes hatte ich die besten Kontakte und habe sie intensiv genutzt. S.: Wenn ich diese Schilderungen höre, drängt sich die Frage auf, ob der Religionsunterricht das Fach in der Schule war, das den neuen Themen und dem neuen Stil am offensten ein Forum bot. Stand er im Mittelpunkt der schulischen Aufmerksamkeit? Klein: Ich kann das von zwei verschiedenen Erfahrungen her einschätzen, einmal von der gymnasialen Seite in den 70er Jahren und später auch von Seiten der Berufschule. Ich würde sagen: In den 70er Jahren war der Religionsunterricht im Gymnasium ein Randfach, exotisch gewissermaßen. Man hat gemeinhin gesagt: Ja, der X kann es sich leisten, solche Sachen zu machen im RU, als Nebenfach ist RU nicht so relevant, „wir“ können das in den Hauptfächern nicht machen, da ging es denn auch relativ traditionell zu, was Methoden und Didaktik anging. In der Berufsschule war es anders. Ich habe mich damals sehr stark mit einem Buch beschäftigt von Hubertus Assig [Hubertus Assig / Hansjürgen von Mallinckrodt (Hg.): Politische Katechese. Theologische und didaktische Skizzen, München 1972]. Das formulierte genau das Anliegen, das wir hatten, und ich He< 8 - 2008 38 denke, dass die Berufsschule für sich in Anspruch nehmen kann, bei der Umsetzung Vorreiter gewesen zu sein. Der so genannte Crüwell-Plan [„Lehrplan für den evangelischen Religionsunterricht der Berufsschule im Rahmen der Sekundarstufe II – Entwurf“, Dortmund 1974, erschienen im Crüwell-Verlag], der erst durch den jetzigen Lehrplan abgelöst wurde, hat das umgesetzt; schon damals hatten wir den Ruf nach Schlüsselkompetenzen! Dadurch ist es uns gelungen, den BRU [Religionsunterricht an Berufsschulen] vom Rand in die Mitte zu rücken. Wir haben die Schule als Lebensraum ernst genommen, z.B. indem wir auch mit den BVJ/ BGJ-Schülern [Berufsvorbereitungsjahr/Berufsgrundbildungsjahr] Wochenendseminare machten. Man muss sich das mal vorstellen: Als Pfarrer war ich lange Zeit Personalratsvorsitzender meiner Schule – ich denke, das zeigt, dass der BRU durchaus Anerkennung fand: bei den Schülern, aber eben auch unter den Kollegen. S.: Zogen denn alle Religionslehrer in der Schule am gleichen Strang oder haben Sie als Pfarrer in der Schule eine besondere Rolle gespielt? Klein: Die Religionslehrer waren relativ einig, immer eigentlich, das muss ich sagen. Ich habe nur wenige Ausreißer erlebt. Gerade mit dem bereits genannten katholischen Kollegen war ich ganz einig; wir haben eng zusammengearbeitet: Manfred Hönscheid und ich. S.: Brechen wir hier die Schilderungen von damals ab – 1968 ist vierzig Jahre her. Was ist nach Ihrer Meinung von den Aufbrüchen damals bis heute geblieben? Klein: Das ist schwierig zu beantworten. Wenn ich mir im Rückblick den Stellenwert des RU im Fächerkanon der Schule ansehe, hat er in den letzten 2030 Jahren unglaublich an Renommee geSaarbrücker Religionspädagogische He<e wonnen. Er war für meine Begriffe in der Regel Vorreiter im Blick auf Methodik und Didaktik, vom curricularen Ansatz über die Problemorientierung bis zur Schülerorientierung – Sie wissen es selber, was heute diskutiert wird in der Religionspädagogik. Der RU hat sich insofern ein Renommee verschafft, als er sich dann in den 70er Jahren von seinem Bildungsauftrag in der Schule her neu definiert hat und auch die wissenschaftliche Diskussion der allgemeinen Pädagogik aufgriff. [Wolfgang] Klafki und die anderen hat der RU damals ernst genommen und auf unser Fach angewendet. So ist er von einer Randerscheinung in die Mitte gerückt – das ist sicher eine implizite Auswirkung dieser Entwicklung, dieser Modernisierung, die das Fach seit dem Ende der 60er Jahre erlebt hat. Das würde ich so sagen. Auch was Schülerzentrierung angeht, für das Ernstnehmen des Gegenübers, für den Umstand, dass der Lehrer nicht mehr nach dieser NürnbergerTrichter-Pädagogik handelt, hat der RU eine Vorreiterrolle gespielt. Paulo Freire war damals ja einer der Ersten, er hat sich in Amerika gegen diese „Containerpädagogik“ gewendet. Gut, ich war nie ein Anhänger von Summerhill, der ganz radikal antiautoritären Strömung der Pädagogik, von [Ivan] Illich u.a. – aber von Freire schon! Diesen Ansatz der Alphabetisierung habe ich gerade in religiösen Dingen für sehr wichtig gehalten, für gerade auch in Europa [nicht nur Lateinamerika] entscheidend, weil wir hier einen wachsenden religiösen Analphabetismus erleben. Da ist sehr viel geschehen. Ansonsten hat 1968 innerkirchlich viel Aufmerksamkeit für die Dritte Welt gebracht – die heutige Sensibilisierung für Globalisierungsfragen ist ein Ergebnis von damals; ebenso die Friedensbewegung, die auch innerhalb der Kirche weite Kreise gezogen hat. S.: Die Friedensbewegung war eine Art Verlängerung von 1968? Klein: Ja, das war die Verlängerung, nachher bis in die 80er Jahre, was die Nachrüstung, den Kalten Krieg, den Ost-West-Konflikt anging. Zu nennen ist natürlich auch die Sensibilisierung für Umweltfragen, die Ökologie, die Anfänge der Bürgerbewegungen, der Bürgerinitiativen bis hin zu den „Grünen“ später mit der Parteigründung Ende der 70er. S.: Wie haben denn die Strukturreformen in der Kirche aus Ihrer Sicht weitergewirkt, auch die „Politisierung“? Davon ist nach meinem Eindruck wenig geblieben. Klein: Was ich bedauere, ich habe 2-3 mal einen Kommentar im „Sonntagsgruß“ geschrieben zu diesem angeblich nötigen Rückzug der Kirche auf ihre Kernkompetenzen. Das kann nämlich auch eine Entpolitisierung bedeuten, eine Individualisierung. Ich ziehe mich zurück aus der Zeitgenossenschaft, bin nicht mehr interessiert an dem, was Draußen passiert, um stattdessen meine Klientel zu befriedigen. Diese Entwicklung sehe ich skeptisch, ich vermisse auch Impulse von Seiten der Kirchenleitung, da ist kein Interesse an Innovation, da sehe ich viel Besitzstandswahrung und Defensivverhalten . S.: Was ist mit der „theologischen Aufklärung“ der Gemeinden? Klein: Auch da gab es ein roll-back. Ich habe das z.B. als Mitglied der Prüfungskommission der Rheinischen Landeskirche erlebt. In den vielen Jahren, in denen ich am zweiten Theologischen Examen teilgenommen habe, konnte ich beobachten, dass die Theologen-Generation seit Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre mit ganz anderer Motivation das Studium absolviert hat als die vorangegangenen Jahrgänge – manchmal habe ich den Eindruck: ohne Motiva- 39 tion oder nur mit einer Sekundärmotivation nach dem Motto „Ich habe mein Wunsch-Studium nicht geschafft, dann mache ich eben Theologie“. Auch bei manchen Lehrerkollegen und -kolleginnen habe ich das erlebt, wenn ich gefragt habe, warum sie ins Lehramt gegangen sind. Die pädagogische Motivation war mir dann manches Mal sehr fraglich. S.: Gibt es Anliegen von damals, die noch eingelöst werden müssten, Hoffnungen, die sich noch erfüllen sollten? Klein: Was es eigentlich 40 Jahre danach sowohl in der Theologie als auch in der Kirche noch bräuchte, wäre erneut eine Vision, eine klare Zielsetzung. Ich habe manchmal den Eindruck, dass der Weg das Ziel ist. Aber was ist das Ziel? Ich vermisse in der Theologie klare Ansätze und Utopien. Es ginge darum, noch einmal einen Entwurf zu wagen – so wie [Jürgen] Moltmann damals – der auch wirklich zeitlich ‚auf der Höhe’ ist. Das bedeutet nicht Anpassung an den Zeitgeist, doch er sollte der gesellschaftlichen Problematik und der gesellschaftlichen Situation entsprechen. Kirchlich bräuchte es das, was die Katholiken damals aggiornamento genannt haben, also eine Kirche, die in der Zeit lebt. Damals gab es eine schöne Zeitschrift, die das als Programm hatte: „Kirche in der Zeit“. Nötig ist doch eine Kirche in der Welt, die die aktuellen Problemen nicht ausklammert, sondern versucht sich offensiv damit auseinanderzusetzen – das ist das, was ich vermisse und was für mich ein Desiderat wäre, eben auch für die Theologie. Die Religionspädagogik, die sehe ich allerdings auf die Höhe der Zeit, die würde ich mal ausklammern. Was ich hingegen in der Homiletik vermisse, ist eben genau dies: wahrzunehmen, was dran ist, und dies dann in einer Predigt umzusetzen. Erst kürzlich habe ich eine Predigt von einer Kollegin He< 8 - 2008 40 erlebt, bei der hat meine Frau mich nur angeguckt und gesagt ‚Das steht im Gütersloher Taschenbuch sowieso’ – die Predigerin hat das einfach als ihre eigene Geschichte ausgegeben und als Predigteinstieg verwendet. Das war peinlich, aber solche Dinge sind Ausdruck der Beliebigkeit der Predigt. Auch vermisse ich oft eine wirkliche theologische Grundlegung, eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Exegese, mit der Theologie. Man kann von der historisch-kritischen Exegese halten, was man will, aber sie hat ernsthaft Theologie betrieben. Und in ihrem Gefolge hat es genügend Versuche gegeben, Texte kontextuell auszulegen – etwa die materialistische Bibelauslegung oder die sozialgeschichtliche Auslegung von [Frank] Crüsemann ... S.: Dass dies alles sich nicht auf breiter Front durchgesetzt hat – ist das aus Ihrer Sicht die Folge von Fehlern der 68er oder haben sich in erster Linie die Zeiten geändert? Klein: Sicher gab es auch schwierige Entwicklungen innerhalb der damaligen Aufbrüche. Manche Formen und Methoden des Protests waren überspannt und alles wurde desavouiert durch die RAF. Das hat natürlich sehr viel geschadet, weil in der öffentlichen Meinung 1968 und der Terrorismus gleichgesetzt wurden. In dieser Lesart sind die 68er schuld an allem, was schlecht läuft. Gegen so eine pauschale Kritik möchte ich mich verwahren! Es handelte sich doch damals um eine mit Sicherheit nötige Protestbewegung der Saarbrücker Religionspädagogische He<e Jugend – aus den Gründen, die ich anfangs genannt habe: Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich, Auseinandersetzung mit politischen Gegenwartsfragen, Bildung einer emanzipatorischen Bewegung. Politisch hat diese Bewegung sicherlich Manches angestoßen, aber in die Gesellschaft hat sie eher subversiv gewirkt – das Stichwort „Emanzipation“ beschreibt diese Wirkungen, angefangen von der Frauenbewegung bis hin zur Bildungsreform. Wir haben damals als Studenten z.B. die Drittelparität in der Hochschule gefordert. Es hat also eine ganze Menge Anstöße gegeben, die dann sozial und gesellschaftspolitisch im Rahmen der Parteien aufgegriffen worden sind, auch teilweise in den Kirchen. Insgesamt haben sie ein neues politisches Bewusstsein geschaffen – jedenfalls im Vergleich zu den 50er und den beginnenden 60er Jahren. Nur sehe ich heute sowohl innerkirchlich als auch in der Gesellschaft diesen roll-back. Und was mir auch zuwider ist, ist die Instrumentalisierung von Theologie und Kirche als Erfüllungsgehilfen gesellschaftlich-politischer Wünsche und moralischer Ansprüche. Ich habe nichts gegen Ethik, aber wir dürfen uns nicht darauf reduzieren lassen, wir haben auch noch etwas Anderes zu verkünden. S.: Herr Klein, herzlichen Dank für dieses Gespräch. 41 He< 8 - 2008 42 Saarbrücker Religionspädagogische He<e 43 He< 8 - 2008 44 Saarbrücker Religionspädagogische He<e 45 DIE BISHERIGEN SAARBRÜCKER RELIGIONSPÄDAGOGISCHEN HEFTE Heft 1 (2006): Evangelische Bildungskonferenz Saar: Globalisierung und Bildung – Auswirkungen in der Region Heft 2 (2006): Martin Stöhr: Abrahamische Ökumene – Leitbild für Theologie und Religionsunterricht? Heft 3 (2006): Bernhard Dressler: Religiöse Bildung in der Schule „nach PISA“ – warum und wozu? Heft 4 (2007): Konfessionen und Religionsgemeinschaften im Saarland – Selbstdarstellungen Heft 5 (2007): Eröffnung Werkstatt Religionsunterricht – Rainer Lachmann: 40 Jahre religionspädagogische Mittäterschaft Heft 6 (2007): Evangelische Stadtkirchenarbeit in Saarbrücken Heft 7 (2008): Arnulf von Scheliha: Umformung christlichen Denkens in der Neuzeit He< 8 - 2008