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Saarbrücker Religionspädagogische Hefte 6
Saarbrücker Religionspädagogische Hefte 6 Fachrichtung Evangelische Theologie UNIVERSITÄT DES SAARLANDES Evangelische Stadtkirchenarbeit in Saarbrücken 1 EINLEITUNG ZUM SAARBRÜCKER RELIGIONSPÄDAGOGISCHEN HEFT 6 – 2007 Am 22./23. Juni 2007 hat die Kreissynode des Kirchenkreises Saarbrücken (Evangelische Kirche im Rheinland) über „Stadtkirchenarbeit“ beraten. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie die evangelische Kirche in der größten Stadt des Saarlandes – Saarbrücken hat knapp 178.000 Einwohner (per 30. September 2006), davon sind gut 20% Mitglieder der evangelischen (Landes-)Kirche – Menschen mit ihrer Botschaft erreichen kann, wie sie Menschen, die auf Distanz zu ihr gegangen sind, einladen kann. Neben einem praktisch-theologischen Vortrag boten dazu Präsentationen verschiedener Handlungsfelder vielfältige, beflügelnde Anregungen. Diese Präsentationen waren medial gestützt und können deshalb hier nicht ‚abgebildet’ werden – dennoch aber kann und will dieses Heft einige der mitgeteilten Informationen und Anregungen weitergeben. Präsentiert wurden vier Felder von Stadtkirchenarbeit: 1. Jugendkirchen – sowohl auf der Synode als auch hier von Willy Schönauer, Geschäftsführer beim Jugendkirchen-Netzwerk e.V., vorgestellt (auf der Synode beeindruckend multimedial, hier in nüchternen Worten), 2. Citykirchenarbeit am Beispiel des „Projekt[es] Johanneskirche“, auf der Synode präsentiert von Martin Heuer und Pfarrer Jörg Metzinger, vgl. dazu www.j-kirche.de, 3. Diakonische Arbeit in der Stadt am Beispiel eines projektierten „Gebrauchtwarenhauses“, getragen vom Diakonischen Werk an der Saar gGmbH, auf der Synode wie auch hier vorgestellt vom Sprecher der Geschäftsführung des DWSAAR, Wolfgang Biehl, 4. Kirchliche Öffentlichkeitsarbeit, vertreten durch den Öffentlichkeitsbeauftragten der drei (rheinischen) Kirchenkreise an der Saar, Helmut Paulus, vgl. dazu www.evangelischekirche-saar.de bzw. die Broschüre „Wir sind für sie da: die evangelischen Kirchenkreise Ottweiler, Saarbrücken, Völklingen“ (Saarbrücken 2007). Natürlich umreißen diese vier Initiativen nicht alles, was in der evangelischen Kirche in Saarbrücken im Blick auf die Eingangsfrage nach den sog. nahen Fernen geschieht – insbesondere die Gemeinden der Innenstadt sind auch bisher schon in vielfältiger Weise engagiert (Alt-Saarbrücken: www.Ludwigskirche.de; St. Johann: www.ekir.de/st.johann; St. Arnual: www.musikstiftskirche.de) – doch die vier Initiativen markieren örtliche „Leuchtfeuer“ (Evangelische Kirche in Deutschland: Kirche der Freiheit, Hannover 2006). Möge das Heft die Leserinnen und Leser auf neue Ideen bringen und zum Nachdenken, -fragen und, vielleicht sogar, Mitgestalten ermutigen! Saarbrücken, Juli 2007 Bernd Schröder Heft 6 - 2007 2 Saarbrücker Religionspädagogische Hefte 3 EVANGELISCHE STADTKIRCHENARBEIT IN SAARBRÜCKEN Einleitung Seite 1 Prof. Dr. Bernd Schröder: Stadtkirchenarbeit in Saarbrücken – eine praktisch-theologische Einführung Seite 5 Willy Schönauer: Jugendkirche, oder: Warum Bachläufe durch die Kirche spirituelles Feuer entfachen können Seite 23 Wolfgang Biehl: Diakonische Arbeit in der Stadt – das Beispiel „Gebrauchtwarenkaufhaus“ Seite 33 Kreissynode des Kirchenkreises Saarbrücken: Überparochiale Stadtkirchenarbeit in Saarbrücken – ein Konzept Seite 39 Bernd Schröder Nachwort – Stadtkirchenarbeit und Religionsunterricht Seite 43 Bisher erschienene „Saarbrücker Religionspädagogische Hefte“ Seite 45 Heft 6 - 2007 4 Saarbrücker Religionspädagogische Hefte 5 PROF. DR. BERND SCHRÖDER: STADTKIRCHENARBEIT IN SAARBRÜCKEN – EINE PRAKTISCH-THEOLOGISCHE EINFÜHRUNG VORTRAG VOR DER SYNODE DES EVANGELISCHEN KIRCHENKREISES SAARBRÜCKEN AM 22./23.JUNI 2007 Hohe Synode, so ungelegen diese Synode Ihnen in der Zeit des „Endspurts“ vor den Sommerferien kommen mag, so wichtig ist das Thema, dem sie sich widmet. Denn mit dem Thema „Stadtkirchenarbeit in Saarbrücken“ diskutiert sie exemplarisch – das heißt an einem Beispiel, aber eben an einem Beispiel, dem grundsätzliche Bedeutung zukommt – welchen Weg wir als evangelische Kirche in Saarbrücken mittelfristig gehen wollen, in welche Richtung wir uns als evangelische Kirche, soviel an uns Menschen ist, entwickeln wollen, was genau hier mit vereinten Kräften anders, besser zu machen ist als es bisher gelang. Ich spreche bewusst von „wir“ und „von vereinten Kräften“, denn die Zeit des Sich-mißtrauisch-Beäugens, die Zeit des Aneinander-vorbei- oder gar Gegeneinander-Handelns, die Zeit des Ich-werde-den-Anderenschon-zeigen-was-eine-Harke-ist ist vorbei, sie muss vorbei sein – gerade auch in Saarbrücken. Warum? Ganz schlicht: weil es unserer Kirche nicht gut geht. Ich denke dabei nicht in erster Linie an die Finanzen – obwohl es auch um die besser bestellt sein dürfte. Ich denke an Folgendes: - Wir reden über christliche Werte und hoffen darauf, dass sie unsere - - Gesellschaft in heiklen Fragen orientieren sollen: bei Fragen des Militäreinsatzes, der Bioethik, beim Umgang mit Arbeitslosigkeit und Arbeit. Und lassen doch in unserem Handeln als Gemeinden viel zu selten die Klarheit und das Anderssein erkennen, die daraus entspringen, dass man die Welt und die Mitmenschen im Licht des Evangeliums zu betrachten versucht. Wir klagen über Mitgliederschwund, verbreitete Kirchenkritik und Gleichgültigkeit. Und halten doch im Großen und Ganzen unverändert an den kirchlichen Arbeitsformen fest, die wir seit hundert Jahren kennen und bislang an dieser Misere nichts ändern konnten. Ich möchte hinzufügen: Wir lassen selbst in dem, was wir anbieten zwar viel Routine, aber viel zu selten das erkennen, was uns selbst an christlichem Glauben und Gemeinde fasziniert. Wir reden – und träumen vielleicht auch – von Ökumene. Und lassen selbst nicht einmal die Einheit der evangelischen Kirche erkennbar werden, sondern gefallen uns darin, Gemeinde X von Gemeinde Y abzugrenzen, vielleicht nicht selten auch darin, der Nachbarpfarrerin oder dem Nachbarpfarrer den Erfolg nicht zu Heft 6 - 2007 6 gönnen, den wir uns für uns selbst wünschen. Kurz: Es geht unserer Kirche nicht gut; sie ist blass geworden und über weite Strecken unscheinbar. Jede und jeder von uns könnte eigene Beobachtungen hinzufügen, Gründe nennen, vielleicht auch Ideen bieten, was zu tun ist. Ich möchte es so zuspitzen: Die Lage ist mittlerweile so, dass nicht mehr die unter Rechtfertigungsdruck stehen, die etwas verändern möchten, sondern diejenigen, die die alten Bahnen fortschreiben möchten! 1. Arbeitsgruppe „Überparochiale Stadtkirchenarbeit in Saarbrücken“ Vor zwei Jahren bereits hat diese Synode diese Misere gesehen und eine Arbeitsgruppe einberufen, die Ideen für Stadtkirchenarbeit in Saarbrücken entwickeln sollte – eine Arbeitsgruppe, in der Vertreterinnen und Vertreter der drei Innenstadtgemeinden St. Johann, Alt-Saarbrücken und St. Arnual, dazu Repräsentanten nicht-parochialer Arbeit, pars pro toto Ev. Studierendengemeinde, Rundfunk- und Jugendarbeit, Diakonisches Werk und Frauenarbeit vertreten waren. Diese Arbeitsgruppe legt der Synode nun Ergebnisse vor. Bewusst knapp ist ihr Konzept gehalten, um es wirklich lesen und damit arbeiten zu können; ganz bewusst werden nur einige wenige Vorschläge stark gemacht, damit sie auch tatsächlich umsetzbar sind. In Anknüpfung an das, was bereits gelingt, schlagen wir vor in den nächsten fünf Jahren das Heft des Handelns in die Hand zu Saarbrücker Religionspädagogische Hefte nehmen, Kräfte zu bündeln und Neues auszuprobieren mit dem Ziel, - Menschen anzusprechen, die in Ortsgemeinden keine Heimat finden oder eine solche Heimat dort gar nicht erst suchen, - Gemeinden von bestimmten Aufgaben zu entlasten, um Kräfte für Neues freizusetzen, - und mit dem Ziel, durch Zusammenarbeit und Öffentlichkeitsarbeit in Zukunft mehr als bislang deutlich zu machen, dass in allen Gemeinden und funktionalen Diensten eine Evangelische Kirche in Saarbrücken am Werk ist. Nach fünf Jahren soll Bilanz gezogen werden. Vorgeschlagen werden Schwerpunkte, die in Saarbrücken dringend Not tun – aus verschiedenen Gründen: - Jugendarbeit, denn die ist so gut wie unsichtbar in den Gemeinden und in dieser Stadt – und wenn das so noch einige Jahre bleibt, dann sieht unsere Kirche nicht nur alt aus, sondern dann hat sie mit den Jugendlichen auch ihre Zukunft verloren. - Diakonie, hier soll ein Schwerpunkt gesetzt werden – nicht weil es keine Diakonie gibt, im Gegenteil: Diakonische Arbeit ist in vielerlei Gestalt vorhanden, in den Gemeinden wie im Diakonischen Werk, doch Not tut hier ein sichtbarer Ort, den möglichst alle in der Stadt als 7 Diakonisches Zentrum kennen, der auf andere diakonische und kirchliche Orte verweist, der vor allem erkennbarer als bisher ein integraler Teil ist von „Evangelisch in Saarbrücken“. - Und Not tut ein Schwerpunkt auf der Arbeit für Distanzierte und Einsteiger: Zwar gibt es seit Jahren solche Arbeit, getragen von viel ehrenamtlichem Engagement und Herzblut, sehr ideenreich und mutig, doch es fehlt an personeller Kontinuität, an einem oder einer Hauptamtlichen, die den Ehrenamtlichen mit Perspektive einen Teil der Last von den Schultern nimmt, und es fehlt an einer Struktur, die deutlich macht: Was hier geschieht, ist Arbeit für die ganze Stadt; was hier geschieht, wird von der ganzen evangelischen Kirche in Saarbrücken getragen; was hier geschieht ist kirchliche Arbeit eigener Art – unabhängig von Parochien. Wie gesagt, es sind drei Schwerpunkte, die in Saarbrücken dringend Not tun. Und es sind zugleich Schwerpunkte, die nicht nur ein paar delegierte „Arbeitsgruppler“ für richtig erachten, sondern ein breiter Strom von Reformwilligen in der ganzen EKD – zunächst in anderen, vergleichbaren Stadt-Kirchenkreisen, dann in der EKD insgesamt und, nicht zuletzt, in der Praktischen Theologie, also in dem Teil der Theologie als Wissenschaft, der auf das Handeln der Kirche reflektiert. Eben dies möchte ich Ihnen nun vorstellen. 2. Stadtkirchenarbeit anderswo in Deutschland Schauen wir also zunächst auf andere städtische, großstädtische Kirchenkreise, dann sieht man schnell, dass allein in Deutschland in 35, 40 Städten solche Arbeit betrieben wird, mehr noch, dass diejenigen, die nicht stur sind oder zerstritten, sich in den notwendigen Reformen einig sind – dazu gehören: Erstens die Nutzung der profilierten Kirchengebäude in der Stadt als programmatische Aushängeschilder – ich wähle Dortmund als Beispiel, könnte aber ebenso gut Nürnberg, Leipzig oder Verden an der Aller nehmen. Die Reinoldikirche in Dortmund steht für offene Arbeit, für Kirche und Kunst, für intellektuellen Streit um Glauben und Christsein, für Arbeit am Wegesrand der alten Hansestadt; die benachbarte Marienkirche für missionarischen Ernst, für Glaubenskurse und Auf- MenschenZugehen. Die Kirchengebäude sind die Häfen, an denen das Schiff, das sich Gemeinde nennt, vor Anker geht. Zweitens die programmatische Hinwendung zu Kindern und Jugendlichen. Während Landeskirchen und einzelne Gemeinden landauf landab in den vergangenen Jahren ihre Arbeit mit Kindern verstärkt haben – ich erinnere hier nur an die Entwicklung der Kindergottesdienstbewegung zur „Kirche mit Kindern“ – ging und geht Heft 6 - 2007 8 es in der Stadtkirchenarbeit v.a. um Jugendliche, oft zum Glück um die Schaffung eines Zentrums für Jugendarbeit, einer Jugendkirche. Dabei geht es nicht mehr um gesichtslose Freiräume für Jugend-liche, die dann ent-sprechend auch „JUZ“ heißen, sondern um Kirchen, die ganz allein Jugendlichen zur Verfügung stehen – umgebaut, um Musikalisches zu ermöglichen, Aus-stellungen und kreatives Gestalten, programmatisch geöffnet für die Ko-operation mit Schulen oder Schülern, also für den Ort, an dem sich Jugend heute zu großen Teilen abspielt. „Jugendkirchen“ sind das Leitbild der Stunde – schauen Sie nach Mann-heim, Oberhausen, Münster! Die dritte Gemeinsamkeit von Stadtkirchenarbeit in Deutschland ist das Durchbrechen des Zwangs, immer alles weiter machen zu müssen. In Zeiten knappen Personals ist allzu deutlich geworden – keiner allein, keine Gemeinde kann alles machen. Wenn allein schon allsonntäglich um 10 Uhr sieben Predigtstätten auf 3 Quadratkilometern bedient werden, wenn vier Pfarrerinnen und Pfarrer in ihren Gemeinde je 6 Konfirmanden zur Konfirmation führen, dann bleibt eben weder Zeit noch Kraft noch Energie, um etwas Neues anzugehen. Man muss, zumal in Innenstädten, Menschen von parochialen Aufgaben entlasten, damit sie sich den Menschen zuwenden können, die Kirche und Gemeinde bislang für sich nicht attraktiv finden, damit sie die Milieugebundenheit unserer Gemeinden überschreiten können, damit sie die Saarbrücker Religionspädagogische Hefte dringend nötigen Erfahrungen sammeln können mit Arbeitsformen, die uns noch nicht hinreichend vertraut sind. Viertens die Vernetzung der Arbeit. Allerorten geteilt wird die paradoxe Beobachtung: Für die Menschen, die in Gemeinden aktiv sind, ist ihre Gemeinde ein wichtiger, unverzichtbarer Ankerpunkt; für die Menschen, die sich in einer Gemeinde nicht zuhause fühlen, ist das Gemeindemilieu abschreckend – sie fühlen sich als Mitglied der einen evangelischen Kirche und nicht der Gemeinde X oder Y, sie suchen Angebote dieser einer Kirche, nicht die Konkurrenz der Gemeinden. Um diese Identität der einen Kirche zu stärken, ist Vernetzung wichtig – angebahnt durch viele kleine Zeichen des Zusammenhalts: - durch einen Ort, der auf Aktionen in allen Gemeinden und Diensten hinweist, etwa einen Kirchenladen, - durch ein Logo „Evangelisch in ...“, das sichtbar macht: Wir gehören zusammen, durch gemeinsame Programme für einen oder zwei Monate, durch Flyer oder Broschüren aller Einrichtungen der einen Kirche, also durch konzentrierte Öffentlichkeitsarbeit, - durch Kanzeltausch, Kooperation und gemeinsame Initiativen. Schauen Sie nach Mainz, Würzburg und Aachen! Fünftens die Hinwendung zu denen, die bisher von kirchlicher Arbeit 9 nicht erreicht werden, und dabei zugleich Konzentration auf das für wesentlich Erachtete: auf Gottesdienst und Dienst am Nächsten. Die kirchliche Arbeit hat fraglos viele Säulen, auf die sie nicht verzichten kann: Bildung, Seelsorge, Zielgruppenarbeit u.a.m. Doch als Schlüssel für die kirchliche Identität erweist sich allerorten, dass zweierlei zusammengehalten werden – Gottesdienst und Nächstenliebe. Ohne eins der beiden wird Kirche unglaubwürdig, beides muss aufeinander verweisen und zumindest der Gottesdienst muss ungleich vielgestaltiger werden. Die evangelische Kirche, die für sich in Anspruch nimmt, nicht die Tradition, sondern allein die Schrift sei maßgeblich, befindet sich im Bereich der Gottesdienstgestaltung noch immer in einer Art babylonischen Gefangenschaft – erstarrt in Fixierung auf den sonntäglichen 10-Uhr-Gottesdienst, variantenarm und vielerorts ohne Strahlkraft. Stadtkirchenarbeit setzt hier an – Ludwigsburg, Hannover und Hamburg lassen grüßen. Stadtkirchenarbeit ist vielerorts ein sehr lebendiger Arbeitszweig, gewiss je nach Ort und Herausforderungen verschieden akzentuiert, aber eben doch – überraschenderweise – in vielen Einsichten verbunden!1 Vgl. das „Netzwerk Citykirchenprojekte. Ökumenische Arbeitsgemeinschaft in Deutschland“ (Flyer) und, speziell im Blick auf das Rheinland, wo die Citykirchenarbeit 1980 in Bonn ihren Anfang nahm, Engelbert Kerkhoff u.a. (Hg.): CityKirchenArbeit. Grundlagen, Modelle und Impulse zur sozialen und kirchlichen Arbeit, Mönchengladbach 2004. 1 3. Kirchenreform in der EKD Neben den Kirchenkreisen und Gemeinden vor Ort unterstützt nach meinem Eindruck vor allem die EKD als Dachorganisation unserer Kirchen das Bemühen, angesichts mancher Krisensymptome das Heft des Handelns in der Hand zu behalten und der Kirche von Morgen programmatisch Gestalt zu geben. Und zwar, das allein ist schon ein starkes Signal, weil sie der Versuchung widerstanden hat, ihr Beraten und Handeln allein auf Sparbemühungen zu reduzieren – im Vergleich dazu haben die Landeskirchen, die Ev. Kirche im Rheinland inbegriffen, kaum die Kraft entwickelt, finanzielle Engpässe mit programmatischen Konzepten einzuholen oder sogar zu überholen.2 Schade! Die EKD nun hat vor etwa einem Jahr, im Juli 2006, ihr „Impulspapier“ „Kirche der Freiheit“ vorgelegt. Es ist, ein gutes Zeichen, außerordentlich lebhaft rezipiert worden und es ist – der „Zukunftskongress“ der EKD im Januar 2007 hat es gezeigt – die Grundlage des weiteren Reformdenkens und Erprobens in unserer ganzen Kirche, also auch hier in Saarbrücken.3 Zielpunkt des Papiers sind 12 sog. Leuchtfeuer – sie betreffen vier Bereiche notwendiger Veränderung: die „kirchlichen Kernangebote“, die „Mitarbeiter/innen“, das „kirchliche EKiR: „Vom offenen Himmel erzählen missionarisch Volkskirche sein“, Düsseldorf 2006. Vgl. außerdem das Proponendum „Auf Sendung“, das von der Rheinischen Landessynode im Januar 2005 verabschiedet wurde. 3 Vgl. das „Schlusswort des Ratsvorsitzenden der EKD“ vom 27.1.2007, Abschnitte 1 und 4. 2 Heft 6 - 2007 10 Handeln in der Welt“ und die „kirchliche Selbstorganisation“ (Übersicht im Anhang). Weithin sind es Dinge, die auf landeskirchlicher Ebene zu regeln sind – denn das Papier ist „entschieden überregional orientier[t]“ wie Jan Hermelink es formuliert hat4 – doch einige dieser Leuchtfeuer erhellen auch unmittelbar die Saarbrücker Wirklichkeit, etwa der Ruf nach „Vielfalt evangelischer Gemeindeformen“ (LF 2), der Ruf nach „zielgerichteter [leistungsfördernder] Fortbildung“ der Mitarbeiter/innen (LF 4), der Ruf nach „Drittmittelfinanzierung von Projekten“ (LF 10). Einige dieser Ideen finden sich auch im Papier der Arbeitsgruppe wieder, vor allem aber finden sich Anklänge an das, was „Kirche der Freiheit“ diesen Leuchtfeuern vorschaltet, nämlich die „vier biblisch geprägten Grundannahmen“ (s. S. 8 und 45): „Geistliche Profilierung statt undeutlicher Aktivität“ „Schwerpunktsetzung statt Vollständigkeit“ „Beweglichkeit in den Formen statt Klammern an Strukturen“ „Außenorientierung statt Selbstgenügsamkeit“ Näherhin werden diese auf eine Analyse der Situation der Kirche bezogen, die acht „Herausforderungen“ erkennen lässt (1. „Demographische Entwicklung“, 2. „Finanzielle Entwicklung“, 3. Nicht zufrieden stellender Jan Hermelink: Die Freiheit des Glaubens und die kirchliche Organisation, in: PTh 96 (2007), 45-55, hier 47. 4 Saarbrücker Religionspädagogische Hefte Gottesdienstbesuch und Kasualnachfrage, 4. Traditionsabbruch, 5. „Mentalitätswandel“ in der Mitarbeiterschaft, 6. Kirchgebäude, 7. „SelbstVerwaltungskosten der Kirchen“, 8. „Analyse kirchlicher Schwachstellen“ /Qualitätsmanagement; s. S. 20ff) und in fünf Leitworte (s. S. 40ff) sowie einen Zukunfts-Grundsatz überführt: • • • • • Mission verstärken Kernkompetenzen definieren Stärken entdecken und aktivieren Organisation verbessern Lernen von wirtschaftlichem Denken Der „Zukunfts-Grundsatz“ beinhaltet die „Umkehrung der Begründungspflicht“: „Nicht mehr die lange oder gute Tradition … ist ausschlaggebend, sondern die zukünftige Bedeutung.“ Ist es „für die Zukunft des Protestantismus in Deutschland von herausragender Bedeutung“, diese oder jene Aufgabe fortzusetzen? (42) Wie gesagt die Rezeption war lebhaft; insbesondere die Konkreta wurden heftiger Kritik unterzogen, doch überraschend sind im Grunde Grundannahmen und Leitworte weit-hin akzeptiert worden.5 Sowohl von Synode der EKD (Würzburg 2006) als auch vom Zukunftskongress unserer Zur Rezeption siehe den hilfreichen Überblick von zwei der Autoren, nämlich Thomas Begrich und Thies Gundlach: Reaktionen und Stellungnahmen zum Impulspapier ...“ = „Einleitung“ in den "Materialband Diskussion des Impulspapiers", Hannover 1997 (dokumentiert unter: www.ekd.de). 5 11 Kirche in Wittenberg (Januar 2007) wurden sie bestätigt! Es kommt nun darauf an in ihrem Geist vor Ort Ideen und Projekte zu entwickeln, ja, so möchte ich es mit dem Pädagogen Hartmut von Hentig sagen: Es kommt darauf an, die „Menschen“, die in dieser Richtung denken und handeln, zu „stärken“; die „Sachen“, also Infrastruktur, Finanzen, personelle Optionen, zu „klären“ und auch Strukturen entsprechend zu verändern!6 „Alles hat seine Zeit“ (Sprüche 3,1 u.ö.), weiß schon die Bibel; die Zeit für das Hineindenken und Aufgreifen dieser Ideen ist nun da. Die EKD jedenfalls ruft zu einer „Reformdekade“ auf – der Prozess soll und wird andauern bis ins Jahr 2017, bis zum 500-jährigen Jubiläum der Reformation! Bis dahin, so der Vorsitzende des Rates der EKD, Wolfgang Huber, und so auch das Votum des Zukunftskongresses soll „eine veränderte Kirche“ erkennbar sein!7 Jetzt ist die Zeit, den entstandenen Reformschwung tatsächlich zu nutzen. Das freilich kann und soll nicht nur im fernen Hannover geschehen, sondern in allen Landeskirchen, Kirchenkreisen, Gemeinden! 4. Kirchenreform und Praktische Theologie Sollte bei Ihnen bisher der Eindruck entstanden sein, dass sich andernorts Hartmut von Hentig: Die Menschen stärken, die Sachen klären, Stuttgart 1985. 7 Interview Wolfgang Huber (Matthias Drobinski): „Wir wollen eine veränderte Kirche“, in: Süddeutsche Zeitung 15.2.2007. 6 bereits Vieles tut, so ist dieser Eindruck zutreffend – an bemerkenswert vielen Orten werden neue Wege beschritten, mit viel Engagement von Haupt- und Ehrenamtlichen, mit tollen Ideen und getragen nicht zuletzt von einem breiten Konsens in der Praktischen Theologie, also dem Fach der Theologie als Wissenschaft, das sich der Reflexion kirchlichen Handelns widmet. In diese praktisch-theologische Debatte gebe ich einen kleinen Einblick – mit zwei Vorbemerkungen. Eine methodische Vorbemerkung: Obwohl Theologie insgesamt, Praktische Theologie im Besonderen als so etwas wie das Langzeitgedächtnis der Kirche fungiert, fragt sie nicht zuerst und keineswegs ausschließlich nach Tradition. Im Gegenteil, sie nutzt ihre Einsichten in die Vergangenheit, um das zu bestimmen, was gegenwärtig zu tun und für die Zukunft von Bedeutung ist. Sie tut dies, vereinfacht formuliert, durch Überlegungen im Sinne des praktisch-theologischen Ypsilons. D.h. Praktische Theologie verknüpft drei Fragerichtungen. Sie fragt historisch, empirisch und vergleichend nach dem Ist-Zustand eines religionspädagogisch relevanten Phänomens und seiner Genese; sie fragt systematisch nach biblisch, theologiegeschichtlich oder pädagogisch begründeten Beurteilungskriterien und sie fragt handlungsorientierend nach den bestmöglichen Handlungs8 weisen. Notiert in Anlehnung an Christian Grethlein: Abriss der Liturgik, Gütersloh 1989. 8 Heft 6 - 2007 12 Das praktisch-theologische Ypsilon - eine schematische Darstellung der Arbeitsweise Praktischer Theologie Historische, empirische und vergleichende Fragestellung Verstehen des Ist-Zustandes Systematische Fragestellung Gewinnung von theologischen Urteilskriterien Handlungsorientierende Fragestellung Erkennen, Begründen und Ausloten von Handlungsoptionen Diese Struktur der Gedankenführung steht im Hintergrund der folgenden Anstöße, auch wenn sie hier nur verkürzt zur Sprache kommt. Eine fachliche Vorbemerkung: Auch wenn ich hier den Konsens in der Praktischen Theologie hervorheben kann, so ist nicht zu leugnen, dass es natürlich unterschiedliche Strömungen und Akzente gibt – die Fachkundigen unter Ihnen wissen es –, hier seien, zugegebenermaßen vergröbert, vier Strömungen unterschieden (Tabelle s. Folgeseite): Saarbrücker Religionspädagogische Hefte 13 PRAKTISCHE THEOLOGIE STRÖMUNGEN UND KIRCHENREFORM – SCHEMATISCHE DARSTELLUNG DER Kirchenreform als Hinwendung zu moderner Mission Kirchenreform als Strukturreform bzw. Organisationsentwicklung Kirchenreform Kirchenreform als als hermeneuStep-by-Steptisch-kulturtheo- Improvement logische Wende Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung, Greifswald Wissenschaftlicher Beirat zur (Studien- und Planungsgruppe der) EKD-Mitgliedschaftsuntersuchung Institut für Religionssoziologie und Gemeindeaufbau, Berlin Spirituelles Gemeindemanagement VELKD-Gemeindekolleg Celle Amt für Gemeindeentwicklung u. missionarische Dienste, Wuppertal Michael Herbst Peter Böhlemann Hans-Hermann Pompe Evangelische Gemeindeakademie Rummelsberg Gemeindeberatung Jan Hermelink Rüdiger Schloz Angesichts dieser durchaus fundamentalen Unterschiede ist es um so erstaunlicher, dass im Konkreten ein weitreichender Konsens zu identifizieren ist. Dem Pfarrkonvent Saarbrücken konnte ich vor zwei Jahren zehn solcher Konsenspunkte vorstellen, hier belasse ich es um der Zeit willen bei zweien. 1. Milieugebundenheit der Kirchengemeinden bewusst machen und aufbrechen Empirische Forschung und alltägliche Beobachtung zeigen es: Die kirchliche Wilhelm Gräb Herbert Lindner Uta Pohl-Patalong Ortsgemeinde ist keineswegs Spiegelbild aller gesellschaftlichen Gruppen, sondern sie ist in hohem Maße milieugebunden. Gemeint ist damit nicht, dass wie noch im 19. Jh. konfessionelle Milieus bestünden, die in die Gesellschaft ausstrahlen – das gerade nicht! Gemeint ist vielmehr, dass in den Kirchengemeinden ein bestimmter Lebensstil vorherrscht, dass Gemeinden nur für Menschen bestimmter Milieus anziehend und ansprechend sind – und allein schon durch diese ganz und gar nichttheologischen Umstand vielen Heft 6 - 2007 14 Menschen ausgegrenzt werden. Es droht, so hat es kürzlich der Münchner evangelische Theologe Friedrich-Wilhelm Graf in seinem Büchlein „Der Protestantismus“ zugespitzt, eine „elementare Milieuverengung“.9 In geradezu bedrückender Deutlichkeit hat dies die vierte Mitgliedschaftsuntersuchung der EKD aus dem Jahr 2002 vor Augen gestellt.10 Sie konnte fünf Typen unterscheiden, wie Mitglieder der Evangelischen Kirche ihre Mitgliedschaft gestalten und dazu sechs Lebensstile, sechs Milieus unter evangelischen Kirchenmitgliedern. So Friedrich-Wilhelm Graf: Der Protestantismus. Geschichte und Gegenwart, München 2006, 109. 10 Wolfgang Huber u.a. (Hg.): Kirche in der Vielfalt der Lebensbezüge. Die vierte EKDErhebung über Kirchenmitgliedschaft, Gütersloh 2006. Zur römisch-katholische Kirche kommt zu ähnlichen Ergebnissen die von der Medien-Dienstleistung GmbH in Auftrag gegebene und herausgegebene Studie "Religiöse und kirchliche Orientierungen in den Sinus-Milieus 2005", München 2006. 9 Saarbrücker Religionspädagogische Hefte Diese Lebensstile lassen sich identifizieren anhand zweier Kriterien: sozialer Status und Modernität der Auffassungen.11 In Kirchengemeinden vorzugsweise anzutreffen sind: Typ 1: Hochkulturell-traditionsorientiert (ca. 13 %) – hohes Interesse an Bildung, klassischer Kunst und Kultur; hohes Interesse an Mitverantwortung in kirchlichen Gremien, Typ 2: Gesellig-traditionsorientiert (ca. 16%) – hohes Interesse an Geselligkeit in Vereinen, Nachbarschaft und Familie; hohes Maß an Dienstund Pflichterfüllungsbereitschaft und Typ 4: Hochkulturell-modern (ca. 14%) – hohes Interesse an Bildung und klassischer Kultur, gepaart mit Computer, Kino, Aktivsport In Kirchengemeinden kaum vertreten sind: Typ 3: Jugendkulturell-modern (ca. 22%) – Interesse an jugendkulturellen Aktivitäten, nicht an Nachbarschaft, Dauerbindung und klassischer Kultur, Typ 5: Von Do-it-yourself geprägter Lebensstil (ca. 18%) – v.a. Männer; kennzeichnend ist das Vertrauen auf den eigenen Verstand und das eigene Tun sowie Skepsis gegenüber Religion, Typ 6: Traditionsorientiert- unauffällig (ca. 16%) – niedrige formale Aus Wolfgang Huber u.a. (Hg.): Kirche in der Vielfalt der Lebensbezüge. Die vierte EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, Gütersloh 2006, hier 216 (sowie nach dem Vorabdruck von Ergebnissen in „Kirche – Horizont und Lebensrahmen“, Hannover 2003, 65). 11 15 Bildung, Ablehnung von Gemeinschaft, Skepsis gegenüber Kirche. Zwei Dinge sind für unseren Zusammenhang von entscheidender Bedeutung: Erstens, nur ein kleiner Teil der Mitglieder unserer evangelischen Kirche, in Zahlen: 15,5%, ist überhaupt als „religiös und kirchennah“ zu verstehen – ich füge hinzu: Dies sind cum grano salis die Menschen, die überhaupt eine Affinität, einen Bezug zur klassischen Parochie haben! Zweitens, von diesen 15% gehört die Hälfte zu einem ganz bestimmten Milieu, nämlich zum „hochkulturelltraditionsorientierten Lebensstil“, ein weiteres gutes Viertel gehört zum „gesellig-traditionsorientierten Lebensstil“ – andere Lebensstile finden faktisch überhaupt keinen Zugang zur traditionellen Kirchlichkeit, das sind insbesondere „jugendkulturellModerne“. Zugespitzt formuliert: Die klassische Ortsgemeinde ist gerade nicht Volkskirche, sie ist Milieukirche, Nischenkultur! Nur ein Bruchteil der Kirchenmitglieder nimmt an ihrem Leben teil.12 Was folgt daraus? Jeder Pfarrer, jede Pfarrerin, jede Gemeinde muss sich angesichts dieser Befunde bewusst machen, dass er oder sie nicht gleichsam objektiv das Evangelium repräsentiert, sondern in einem solchen Maße kontextuell, eben milieugebunden arbeitet, dass die Botschaft, die er oder sie auszurichten versucht, da12 Vgl. Wolfgang Huber u.a. (Hg.): Kirche in der Vielfalt der Lebensbezüge. Die vierte EKDErhebung über Kirchenmitgliedschaft, Gütersloh 2006, 64. durch nur für Menschen eines bestimmten Lebensstils, einer bestimmten Lebensorientierung plau-sibel wird. Nun kann man diese Milieuorientierung nicht einfach wechseln wie das Hemd oder die Hose, um so wichtiger aber werden alle Arbeitszweige und Einrichtungen der Evangelischen Kirche, die sich in anderen Milieus bewegen und andere Menschen erreichen als die Parochien! Sie sind es, die überhaupt nur den großen Pool der „Kirchendistan-zierten“ erreichen, sie sind es, die den Anspruch auf das Volkskirchesein nicht vollends Makulatur werden lassen! Eben deshalb ist es so wichtig für die Kirche, etwa eine Diakonie zu unterhalten, die tatsächlich Außen-seiter unserer Gesellschaft erreicht, deshalb ist es so wichtig, eine über-parochiale Stadtkirche zu haben, die kirchenkritische Gebildete erreicht, deshalb ist so wichtig, sich mit unabhängigen Arbeitsformen an Jugendliche, „jugendkulturell Moder-ne“ zu wenden. Mit dieser Form der Zielgruppenarbeit durchbricht die Kirche zeichenhaft ihr Milieu. Das ist nicht nur wichtig für diejenigen, die durch diese Arbeitsformen erreicht werden, sondern für die öffentliche Wahrneh-mung von Kirche überhaupt. Mit großer Dringlichkeit hat sich, so der Bonner Praktische Theologe Eberhard Hauschildt, die Kirche, jeder Kirchenkreis und jede Gemein-de zwei selbstkritische Fragen zu stellen: „Welche Milieus werden in der Kirche (bzw. in der Gemeinde) strukturell übergangen ...?“ „Wie verhält sich die faktische Milieu- Heft 6 - 2007 16 segmentierung der Kirche zu ihrem milieuübergreifenden Auftrag?“13 Das Postulat lautet: Milieugebundenheit der Kirche bewusst gestalten und aufbrechen 2. Ein differenziertes und koordiniertes Gottesdienstangebot entwickeln Oben habe ich es erwähnt: Stadtkirchenarbeit an vielen Standorten hat „Gottesdienst“ als zentrales Handlungsfeld entdeckt. Zu Recht. Auch praktisch-theologische Überlegungen weisen den Gottesdienst als zentrales Handlungsfeld von Kirche aus; Liturgiewissenschaft erfährt seit ca. 20 Jahren einen bemerkenswerten Aufschwung; normativ gesprochen gilt nach wie vor: Gottesdienst ist der Ort der Kirchenbildung und des Kirche-Seins! Allerdings, das ist Konsens in der PTh, Gottesdienst kann und soll nicht heißen Gottesdienst am Sonntagmorgen! Auch hier sprechen die Zahlen für sich: Zwar geben 10% der Evangelischen in Deutschland an, jeden Sonntag am Gottesdienst teilzunehmen, weitere 13% meinen, sie seien jeden zweiten Sonntag im Gottesdienst – de facto sind es indes nur 5% - mit anderen Worten: nur jedes 20. Kirchenmitglied!14 Beispiel: Sonntag „Invokavit“ in der Passionszeit, der als sog. Zählgottesdienst fungiert und wohl am ehesten den durchschnittlichen Gottesdienstbesuch widerspiegelt, werEberhard Hauschildt: Milieus in der Kirche, in: Pastoraltheologie 87 (1998), 392-404, hier 402f. 14 Huber u.a.: KVL 2006 (s.o. Anm. 9), 54. den bundesweit etwa 25.000 evangelische Gottesdienste gefeiert (bei einer Zahl von insgesamt 16.000 Gemeinden, also fast zwei pro Gemeinde) – allerdings nehmen daran nur 3,8% der Kirchenmitglieder teil!15 Bedenklich stimmt das Missverhältnis zwischen dem hohen Aufwand und dem geringen Radius! Bedenklich stimmt auch, dass die überwältigende Mehrheit dieser Gottesdienste, ein Blick in das Gottesdiensttableau der evangelischen Gemeinden in Saarbrücken genügt, zeitgleich stattfindet: Sie folgen gestalterisch alle einer (agendarischen) Form und zielen allesamt auf dieselbe Klientel: die sog. Kerngemeinde. Man kann also den Sonntagsgottesdienst mit einigem Recht in der Krise sehen – um eine Krise des Gottesdienstes überhaupt handelt es sich keineswegs. Andere, vielgestaltige Gottesdienste finden in der Regel große Beachtung, denken Sie an - Kasualien, allein schon die über 300.000 Bestattungen pro Jahr, - Familiengottesdienste, die allerorten signifikant mehr Menschen zur Teilnahme locken als ein „normaler“ Got-tesdienst, - Schulgottesdienste, besonders zur Einschulung, für die dasselbe gilt, - Fernsehgottesdienste, die im Durchschnitt in etwa genauso viele Menschen ansprechen wie die große Zahl aller Sonntagsgottesdienste zusammen, 13 Saarbrücker Religionspädagogische Hefte Evangelische Kirche in Deutschland. Zahlen und Fakten zum kirchlichen Leben in Deutschland 2005, 15. 15 17 - Spezialformen wie ThomasMessen, Go-alive-Gottes-dienste, Gottesdienste für Nachtschwärmer, Taizé-Gottesdienste u.a.m., die zu ungewöhnlichen Zeiten und „in anderer Gestalt“ Menschen mit dem Evangelium in Kontakt bringen! Christian Grethlein, der Münsteraner Praktische Theologe resümiert: Zu „bestimmten Zeiten, besonders [an Feiertagen wie] Weihnachten [und Ostern: Osternacht!] und an Übergängen im Lebenslauf [man denke an Taufe und Konfirmation, Einschulung, Goldene Konfirmation, Bestattungen u.ä.], besteht großes, teilweise wachsendes Interesse an liturgischer Feier.“16 Wenn nicht alles täuscht, deuten sich in diesen Zahlen tiefgreifende Veränderungen an: - Menschen regeln ihr gottesdienstliches Leben wie ihre Teilnahme am kirchlichen Leben überhaupt nicht nach dem Takt, den die Kirche vor-gibt, sondern sie regeln es „von ihrem primären Lebens-kontext her und auf ihn hin“17! - Gottesdienst wird von einer wachsenden Zahl von Menschen nicht länger im kurzfristigen Wochentakt als notwendig wahrgenommen, sondern als besonderes Ereignis in größeren Abständen und als Begleitung des Lebenslaufes! Kurz und gut: Man mag das beklagen – man beklagt damit allerdings einen Umstand, der mindestens seit zweihundert Jahren, seit den Zeiten Friedrich Schleiermachers konstant ist. Oder man ändert die eigenen, kirchlichen Gewohnheiten, man be-ginnt Gottesdienst zu variieren und vervielfältigen – zu Letzterem lädt Praktische Theologie nachhaltig ein:18 - Es braucht ein differenziertes und koordiniertes Gottesdienstangebot auf Kirchenkreisebene, das Gottesdienste zu verschiedenen Zeiten und Gottesdienste unterschiedlichen Stils als Teil eines Gesamtpaketes „Gottesdienst“ ausweist. - Es braucht ein Gottesdienstangebot, dass Höhepunkte und Kernbotschaften der christlichen Kirche erfahrbar aufwertet: Das Gros der Kraft sollte nicht in den steten Fluss gleicher Gottesdienst an möglichst vie-len Orten fließen, sondern in die Profilierung diskontinuierlicher Höhepunkte! Weihnachten gelingt dies, andere Anlässe sind die Osternacht, das Pfingstfest als Tag der offenen Kirche, Tauffeiern u.a.m. - Es braucht neben Angeboten der Kontinuität auch experi- Vgl. hier nur das „Handbuch der Liturgik“, in 3. A. hg. von Karl-Heinrich Bieritz, Michael Meyer-Blanck u.a., Göttingen/Leipzig 2003, sowie das „Liturgische Kompendium“, hg. von Christian Grethlein und Günter Ruddat, Göttingen 2004. 18 Christian Grethlein: Grundfragen der Liturgik, Gütersloh 2001, 35. 17 Christsein gestalten. Eine Studie zum Weg der Kirche, hg. vom Kirchenamt der EKD, Gütersloh 1986, 28. 16 Heft 6 - 2007 18 mentelle Gottesdienste: Gottesdienste, die in ungewohnter Form, mit fremden Worten, mit besonderen Zielgruppen arbeiten: Familiengottesdienste – ja! Go alive Gottesdienste – ja! Jugendgottesdienste! ThomasMessen – ja! Taizé-Gebete, Gottesdienst für Nachteulen, musikalische Gottesdienste, liturgische Nächte, interreligiöse Gebete, auch sog. Hochliturgische Messen, thematische Predigtreihen u.a. – ja! Nicht eine einzelne Gemeinde kann solche Vielfalt bieten, doch ein Kirchenkreis kann und sollte sie im Blick haben und er kann dazu auch die Vielgestaltigkeit der vorhandenen gottesdienstlichen Räume profilieren! Und ich füge einen Gesichtspunkt hinzu: M.E. kann sich die Kirche den Verzicht auf jugendspezifische Gottesdienstangebote nicht länger erlauben. Es ist ein Skandal, dass sie den schulischen Religionsunterricht in dieser Hinsicht im Regen stehen lässt!19 Das Postulat lautet: Ein differenziertes und koordiniertes Gottesdienstangebot entwickeln! Ich breche ab, obwohl das, was Praktische Theologie zu sagen hat, noch keineswegs erschöpft ist. Nun mag sich mancher und manche fragen: Ja, soll denn kein Stein auf dem anderen bleiben? Soll die OrtsChristian Grethlein: Gottesdienst ohne Jugendliche!? Empirische Befunde und biblisch-theologische Perspektiven zu einem Dilemma, in: Texte aus der VELKD 92/1999. 19 Saarbrücker Religionspädagogische Hefte gemeinde abgewickelt werden? Deshalb: 5. Kirchenreform und kirchliche Tradition Nein, natürlich nicht, ist die Antwort auf die Frage. Aber mit gleicher Deutlichkeit muss hinzugefügt werden: „Prüfet alles, aber (nur) das Gute behaltet!“ (1. Thess 5,21) Oder mit den Worten des Impulspapiers der EKD gesprochen: „Nicht mehr die lange und gute Tradition ist ausschlaggebend, sondern die zukünftige Bedeutung“20 – wobei daran zu erinnern ist: Längst nicht alles, was wir für „lange und gute Tradition“ halten, ist es auch. So möchte ich in diesem Sinne stark machen: Evangelische Kirche ist in der Tat eine Kirche der Freiheit, eine Kirche der Freiheit zu Veränderungen! Dieser Reformwille, dieses Wissen, dass „Kirche stets reformiert zu werden hat, um Kirche zu bleiben“ (ecclesia semper reformanda), das ist doch gerade ihre Stärke – ich sage es plakativ: - Die Reformation besticht doch dadurch, dass sie das, was sie für richtig hielt, tatsächlich geändert hat – gerade trotz alter Traditionen! Denken Sie an den Ablass, das Messopfer, die Ehelosigkeit der Priester, das Klosterwesen u.a.m. Die Reformation hat hier nicht bloß diskutiert, sondern Struk-turen geändert – aus gutem Grund! - Auch systematisch entfaltete Evangelische Theologie ist sich 20 Kirche der Freiheit 42. 19 - 21 von Philipp Melanchthon bis zu Eilert Herms einig daran, dass längst nicht alles, was Kirche tut und wie sie sich darstellt, konstitutiv und unverzichtbar ist – im Gegenteil: Die Kirche ist ganz minimalistisch definiert: „ein heilige christliche Kirche ..., welche ist die Versammlung aller Glaubigen, bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakrament lauts des Evangelii gereicht werden“. Mit anderen Worten: „gleichförmige Ceremonien“ und Beibehalten dessen, was war, ist weder ein Kennzeichen der Kirche noch notwendig „zur wahren Einigkeit der christlichen Kirche“ (CA VII) – alles außer den notae ist „nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit“ zu regeln21. Und in der Tat: Der Blick auf die Ökumene zeigt so anschaulich und eindringlich wie kaum etwas Anderes, wie unterschiedlich kirchliches Leben aussieht. Was unsereinem hier wie ein ehernes Gesetz erscheint, haben Gemeinden in Amerika nie gekannt; was uns etwa im Gottesdienst sakrosankt ist, stößt bei lutherischen oder unierten Gemeinden in Afrika auf Verwunderung und Skepsis. Man sage also nicht zu schnell: Anders geht es nicht! So der konzise Artikel „Kirche VIII.Praktischtheologisch“ von Reiner Preul, in: RGG IV (42001), 1026-1029. - Und schließlich die Grundlage unseres Denkens und Handelns: Die Bibel ist nun wahrhaftig kein Zeugnis der Beharrung und Unveränderlichkeit. Die Geschichte des Volkes Israel, die Geschichte der jungen Christenheit sind vielmehr Zeugnisse einer Weggemeinschaft, eben des „wandernden Gottesvolkes“. Konkrete Beispiele für Aufbrüche und Veränderungen sind Legion: angefangen von Abraham über Mose, David und die Propheten bis hin zu Jesus und Paulus. Die Bibel insgesamt ruft uns zu, was die Jahreslosung 2007 sagt: „Gott spricht: Siehe, ich will ein Neues schaffen. Jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?“ Kurz: Weder die Geschichte unserer Kirche noch systematische theologische Reflexion noch der Blick auf die weltweite Christenheit und erst recht nicht die Heilige Schrift legitimieren ein „Alles-bleibt-wie-es-ist“. 6. Ausblick Hohe Synode, das Konzept für überparochiale Stadtkirchenarbeit, das Ihnen vorliegt, greift Manches von dem auf, was ich erwähnen konnte, was andernorts verwirklicht wird, was viele Praktiker und Theologen für sinnvoll und hilfreich erachten, was theologisch mit guten Gründen zu fordern ist. Noch ist es nur ein Papier, es kann und darf kritisiert werden, aber es ist eine Chance – eine Chance, der evan- Heft 6 - 2007 20 gelischen Kirche in Saarbrücken ihre Blässe zu nehmen, eine Chance, manche Gräben zuzuschütten und mit vereinten Kräften zu arbeiten, eine Chance, sich nicht in eine Krise hineinzureden, sondern das Heft des Handeln zielorientiert in die Hand zu nehmen – und zwar dort, wo es besonders brennt: - im Blick auf die Mehrheit der evangelischen Kirchenmitglieder, die sich von den Ortsgemeinden nicht angesprochen und angezogen fühlen, - im Blick auf Jugendliche, die in kaum einer unserer Gemeinden eine Heimat finden, - im Blick auf Menschen, die in der Gesellschaft Verlierer wurden, aber zu unserer Kirche so viel Vertrauen haben, dass sie hier Beratung und Hilfe suchen, - im Blick auf die Öffentlichkeit, die in der Fülle der Gemeinden und Einrichtungen nicht mehr die eine Evangelische Kirche in Saarbrücken erkennt. Aus meiner Sicht hat es diese Synode in der Hand, ein wichtiges Signal zu senden: Wir sehen die Herausforderungen, vor denen unsere Kirche in Saarbrücken steht – und wir raufen uns zusammen, um diesen Herausforderungen gemeinsam etwas entgegen zu setzen. Dafür engagieren wir uns mit exemplarischen Projekten, mit Ideen, mit ehrlicher Kooperation, und natürlich auch mit Geld. Ein solches Signal nicht zu geben, eine Haltung des „Interessiert-michnicht“, des „Lass-die-mal-machendie-werden-sich-noch-wundern“ oder des „Funktioniert sowieso nicht“ wäre fatal – mit einer solchen Haltung der stillen Enthaltung oder Blockade, ist niemandem gedient: der Stadtkirchenarbeit nicht, aber, da bin ich sicher, auch den Gemeinden nicht. Deshalb meine Bitte: Unterstützen Sie die Vorschläge des Konzeptes, unterstützen Sie sie mit Ihrer Stimme, aber auch mit Rat und Tat! Ich bedanke mich Aufmerksamkeit. für Ihre ANHANG Kirche der Freiheit. Perspektiven für die Evangelische Kirche im 21. Jahrhundert Ein Impulspapier des Rates der EKD, Hannover Juli 2006 (tabellarische Zusammenfassung von B.S.) „Vier Veränderungsbereiche“ Aufbruch in den kirchlichen Kernangeboten Saarbrücker Religionspädagogische Hefte „Zukunftsvision in zwölf Leuchtfeuern“ 1. „Qualitätsstandards in den Kernvollzügen … sicherstellen“ 21 2. „Vielfalt evangelischer Gemeindeformen bejahen“ – Ziel: 50% Parochien, 25% Profilgemeinden und 25% Netzwerke 3. „Geistliche Zentren“ bzw. „Begegnungsorte“ schaffen Aufbruch bei allen kirchlichen Mitarbeitenden 4. „Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft“ fördern 5. Ehrenamt würdigen und vermehren 6. Pfarrberuf als „Schlüsselberuf“ und entsprechende Kompetenzen stärken Aufbruch beim kirchlichen Handeln in der Welt 7. „Bildungsarbeit“ als „eines der wichtigsten Arbeitsfelder“ ausweisen 8. „Verbindung zwischen verfasster Kirche und Diakonie“ verbessern 9. Stärker Themen setzen – etwa bis 2017 jedes Jahr eines! Aufbruch bei der kirchlichen Selbstorganisation 10. Drittmittelfinanzierung von Projekten aufbauen 11. Zahl der Landeskirchen auf 8-12 reduzieren 12. Bundesweit „Kompetenz-„ und thematische Zentren aufbauen Heft 6 - 2007 22 Saarbrücker Religionspädagogische Hefte 23 WILLI SCHÖNAUER: JUGENDKIRCHE, ODER: WARUM BACHLÄUFE DURCH DIE KIRCHE SPIRITUELLES FEUER ENTFACHEN KÖNNEN Von Jugendlichen begeistert gefeiert, von Gemeinden gelegentlich gefürchtet, gibt es sie bereits 100-mal in Deutschland, Österreich, Schweiz, Dänemark und Luxemburg. „Gebt uns eine leer stehende Kirche und wir machen was daraus!“ wird daher einerseits als Drohung, andererseits als Aufbruch zu neuen Formen der Beziehung von Jugend und Kirche verstanden - das Phänomen Jugendkirche. Das Ergebnis der jüngsten evangelischen Reichweiten-Studie bestätigt ähnlich der katholischen SinusStudie, was Insider aus der Jugendarbeit längst schmerzlich erfahren: Die Kirche hat den Kontakt vor allem zu jungen Milieus weitgehend verloren. Wie kommt es, dass Kirche Jugendliche kaum noch erreicht? Zumindest sind diejenigen, die noch in den traditionellen Sonntag-Morgen-Gottesdienst gehen, eine kleine Minderheit, die „Abnormen“ – denn normal ist etwas anderes. Das klingt hart, man kann das auch positiv formulieren: Obwohl sonntags früh meist ein Zielgruppengottesdienst für Frauen ab 55 mit Interesse an Orgelmusik läuft (so beschrieben von Rolf Ulmer, Landesjugendpfarrer Württemberg in seinem Buch „one of us“), der mit den Lebenswelten der Jugendlichen fast keine Gemeinsamkeiten mehr hat, kommen immer noch einige unerschrockene Jugendliche. Jetzt gilt es, Kirche auch für die anderen wieder attraktiv zu gestalten. Hier setzt Jugendkirche („Juki“) an. Der Begriff ist (bisher) nicht genormt und subsummiert eine große Bandbreite von Konzepten zielgruppenorientierter Arbeit, die in ihrer verorteten Form und mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung dennoch einige wesentliche Gemeinsamkeiten haben, selbst wenn sie unter „jugendpastorales Zentrum“, „Kirche der Jugend“ oder „Jugendgemeinde“ noch zusätzliche Merkmale aufweisen. Jugendkirche – was ist das? In erster Linie: Ein Raumaneignungskonzept. Erstmals wird Jugendlichen eine Kirche ganz oder teilweise überlassen. Meist ohne starre Kirchenbänke, ein spiritueller Raum, der zu Experimenten und Auseinandersetzung, zu Umgestaltung und Erfahrbarkeit einlädt und anregt. Ein wertvoller Raum, der einerseits durch die Überlassung Wertschätzung für die Jugendlichen ausdrückt, der durch seine Leere aber geradezu nach Gestaltung schreit. Fragen entstehen wie z.B.: „Müssen wir nicht leise sein, damit Gott weiterschlafen kann?“ „Und dürfen wir darin auch einmal übernachten, obwohl Gott hier sein Zuhause hat?“ Wenn im Kirchraum eine Kunstausstellung entsteht oder ein Musical, Heft 6 - 2007 24 sind Fragen nach Spiritualität vorprogrammiert – zwar nicht vordergründig, eher beiläufig, deshalb aber nicht minder wichtig und vor allem auf Augenhöhe Gleichaltriger. Deshalb ist in vielen Jukis die Musicalarbeit ein wichtiges Standbein, von „Jesus Christ Superstar“, „Godspell“ bis hin zum gewagten „Erotica“, in Wien ebenso wie in Mannheim, Oberhausen, Hannover, Chemnitz, von Berlin bis Bad Segeberg. Kunstinstallationen, bei denen zuweilen 15 m hohe Lichtskulpturen und 360°-Projektionen den Kirchraum in buchstäblich neuem Licht erscheinen lassen und Sonderaktionen zu aktuellen Themen wie die Umwandlung mancher Kirchen in ein komplettes Fußballfeld, regen die Auseinandersetzung mit dem Kirchraum an. Die sich darin aufbauende Spannung zu Altar, Taufbecken, Kreuz und Kirchenfenster lädt zu Diskussion und Reflexion ein. Jugendkirche bietet deshalb idealerweise eine Art Studio-Charakter, alles ein wenig rau und unfertig, auf keinen Fall perfekt durchgestylt bis in den letzten Winkel. Einen ‚Freiraum’ mit viel Platz fürs Ausprobieren und für Neues, da ist es auch von Vorteil, wenn die schweren Kirchenbänke durch flexible (und meist auch bequemere) Stühle ersetzt sind. Damit es gelingen kann, müssen Jugendliche auf die ‚Location’ aufmerksam werden, größere gelegentliche Events und besondere Aktionen zu außergewöhnlichen Zeiten können das bewirken, untermauert durch regelmäßige zielgruppengenaue An- Saarbrücker Religionspädagogische Hefte gebote. Außerdem muss für Kirchenferne die Schwelle zum Sakralraum und das bisherige Kirchen-Image überwunden werden – es soll locker und unverbindlich ein Herantasten ermöglicht werden, dafür eignet sich z.B. ein unabhängig von kirchlichen Veranstaltungen regelmäßig geöffnetes Kirchen-Café. In zweiter Linie: Inkulturation satt Sozialisation In den zurückliegenden Jahrzehnten hat man viel Kraft darauf ver(sch)wendet, Jugendliche für Kirche zu sozialisieren, d.h. sie sollten genug Wissen vermittelt bekommen, um Kirche in ihrer vorhandenen, traditionellen Ausprägung kennen und verstehen zu lernen. Diese Aufgabe wurde früher gleichermaßen von Familie, Freunden, Kirche und Schule übernommen. Mit dem Wegbrechen familiärer Sozialisation, dem schwindenden sozialen Druck und der Wandlung von der Volkskirche zur Minderheitenkirche ist auch die Sozialisation Jugendlicher weitgehend auf der Strecke geblieben. Zwar sind Jugendliche immer in Kirche eingeladen gewesen, oftmals aber unausgesprochen zu den Bedingungen der einladenden Erwachsenen. Heute beurteilen Jugendliche die Kirche u.a. nach intuitiver Verständlichkeit, nach erfahrbarer Freude am Glauben (nicht zu verwechseln mit der „Spaßgesellschaft“), nach erleb- und auslebbaren Emotionen, nach Gehalt und unmittelbarer Relevanz für ihr Leben, ob sie „hier nette (junge) Leute treffen können“ und ob es „locker möglich 25 ist, einfach mal so hinzugehen“. Bei traditioneller Kirche sind diese Faktoren kaum vorhanden, die Jugendlichen stimmen mit den Füßen ab und bleiben einfach weg. Während man an anderen Orten der Erde die frohe Botschaft in fremde Kulturen und Völker hineingetragen hat, in dem man sie in deren Sprache, kulturelle, ästhetische und rituelle Welten übersetzt und damit inkulturiert hat, ist das in die Welt der Jugendlichen hinein seit ca. 1968 nur noch vereinzelt und punktuell gelungen. Erst jetzt entdeckt man diese Herangehensweise wieder neu. Heute müssen Jugendliche mit unglaublich vielen visuellen Eindrücken pro Tag umgehen können – einem Vielfachen dessen, was frühere Generationen verkraften mussten. Denken wir nur an die Schnittfolge von Filmklassikern und vergleichen sie mit heutigen Musik-Film-Clips der „Generation Viva“ – das Tempo hat sich verzehnfacht. Oder nehmen wir das Tempo von Weltrevolutionen, mit denen Jugendliche heute klar kommen müssen: Während frühere weltumspannende Wandlungen 100 Jahre brauchten (z.B. Automobilität), jagen sich Umbrüche mittlerweile im 10-Jahres Rhythmus: Viele Ältere haben in der Schule noch mit dem Rechenschieber gearbeitet, heute hat man einen Taschenrechner dabei, der die gleiche Rechenleistung aufweist, die damals zur Mondlandung nötig war, ganz zu schweigen von dem MultimediaRechner, der daheim im Jugendzimmer steht. Oder nehmen wir die Mediengesellschaft (z.B. von zwei s/w-Fernseh-Programmen in den 60er Jahren zu derzeit 600 Sendern in HDTV), Telefon/Handy, Internet, Gentechnologie, Bionik … – Jugendliche müssen sich diesen Wandlungen stellen, sie sich aneignen, mit ihnen leben. Wie können wir dann erwarten, dass sie all das außen vor lassen und Kirche wie vor 40 Jahren annehmen? Inkulturation statt Sozialisation funktioniert natürlich nicht nur in Jugendkirchen – an dieser Stelle jedoch besonders gut, weil es umfassend realisierbar ist. In dritter Linie: Beteiligungskirche mit echter Beteiligung Jugendlicher Jugendkirche entsteht nicht durch Fürbitten, die Erwachsene aussuchen und einem herbeigenötigten Jugendlichen kurz vor dem Gottesdienst zum Vorlesen in die Hand drücken – auch die wohlmeinendsten Erwachsenen liegen oft neben den Wünschen jüngerer. Statt routinierter Perfektion ist vielmehr gleiche Augenhöhe gefragt: von Jugendlichen für Jugendliche. Während evangelische Kirche durch ihre formell durchgängig demokratische Struktur prinzipiell keine Probleme mit dieser Beteiligung hat und eher nach pragmatischen Wegen sucht, um Entscheidungsgremien für Jüngere attraktiv zu gestalten, sind bei katholischen Konzepten die intensive Beteiligung Jugendlicher bei wesentlichen Entscheidungen erst in jüngster Zeit mit festgeschrieben worden, wenngleich die erste (katholische) große Juki „TABGHA“ in Oberhausen u.a. von Anfang an Heft 6 - 2007 26 diese Mitbestimmung vorbildlich praktiziert haben. Dazu gehören aufgeschlossene, aber authentische Erwachsene, die den Jugendlichen den Rücken freihalten und sie begleiten, ohne dabei überwiegend eigenen Selbstverwirklichungswünschen nachzugeben. Erwachsene, die nicht erwarten, dass sich Jugendliche mehrere Jahre lang durch einen Sitzungsmarathon quälen und ihnen dennoch Entscheidungskompetenz zugestehen, die hierfür geeignete Strukturen schaffen und dabei Überforderungen vermeiden. Häufig gibt es themenorientierte Arbeitsgruppen, in denen es leicht fällt, sich einzubringen (in einem befristeten, überschaubaren Zeitraum), z.B. Technik-Teams (Licht/ Ton/Medien), Programmgruppe, Jugendgottesdienst-Team, Café-Team, Security-Team, Dekorations-Team, Musicalgruppe, Filmteam, Trendscouts … In vierter Linie: Aufenthaltsqualität im Sakralraum Selbst wenn man es kaum glauben mag – sobald die Kirche interessant ist, wollen sich Jugendliche darin aufhalten – länger als nur für einen Gottesdienst, auch davor und danach und zusätzlich für Kulturveranstaltungen. Das erfordert – neben der Erkennbarkeit als Kirche – ein einladendes Ambiente: Wer Jugendliche nach Wünschen für „ihre“ Kirche fragt, bekommt regelmäßig genannt: Gemütliche Sitze (keine Bänke), ein paar Couchen, vielleicht auch eine Hängematte, Bistrotische, CaféTheke, Palmen, einen Brunnen oder Saarbrücker Religionspädagogische Hefte einen Bachlauf quer durch die Kirche (Bauanleitung gibt es im Internetportal www.jugendkirchen.org) … – kurz eine Mischung aus südlicher Hotel-Lobby und verlängertem heimischen Wohnzimmer. Selbstverständlich gehört dazu auch ein gemütliches Klima mit ausreichendem Tageslicht und guter Heizung im Winter (was gelegentlich zu Problemen mit der Sicherheitsabschaltung der Temperaturregelung zum Schutz der Orgel führt). Außerdem: Niedrigschwelligkeit Normalerweise steht ein Jugendlicher, der nach vielen Jahren Abwesenheit spontan beschließt, eine Kirche zu betreten, vor verschlossenen Türen. Im beschlagenen Schaukasten ist zwar der nächste Altennachmittag angekündigt, aber Kirchenöffnungszeiten und Jugendaktionen fehlen. Im Internet sucht er vergeblich nach dieser Kirche. Nach einigen Recherchen bringt der Anruf bei der Seelsorgeeinheit dann Bekanntschaft mit dem Anrufbeantworter und endlich die Auskunft, dass der nächste Jugendgottesdienst in zwei Monaten stattfindet. Wer an diesem Termin die Kirchentüre öffnet, sieht sich 20 Jugendlichen gegenüber, die sich untereinander alle kennen und gemeinsam auf den „Fremden“ starren ... Es muss möglich sein, erst einmal unverbindlich vorbeizuschauen, in ungezwungener Atmosphäre, ohne jede Peinlichkeiten. Hierfür ist ein in die Jugendkirche ein-gebautes Café mit langen, verlässlichen Öffnungszeiten ein bewährter Baustein. 27 Toll ist natürlich, wenn sich Jugendliche aus dem „Gastro-Team“ ihre Dienste im Café so einteilen, dass zu bestimmten Tagen im Monat immer die gleichen Personen anwesend sind und dadurch zusätzlich persönliche Bindungen entstehen können. Eine Kooperation mit den Schulen aus dem Einzugsbereich ist ebenso wichtig, um auch die kirchenfernen Jugendlichen zu erreichen und durch besondere, schulspezifische Angebote ein Kennenlernen zu ermöglichen. Generation Viva: Technik- und Medieneinsatz Die Erwartungen Jugendlicher sind hoch – nicht etwa durch snobistische oder elitäre Erziehung, sondern durch Sehgewohnheiten, die von Jugend-TV-Sendern wie Viva und MTV oder kommerziellen Veranstaltungen wie selbstverständlich geprägt werden, ohne dass die Jugendlichen gleich den gewaltigen Aufwand abschätzen können, der dahinter steht. Tritt eine Newcomer-Band mit kratzendem, rumpelndem Sound auf und hat als Beleuchtung nur selbstgefärbte Neonröhren dabei, wirkt das für die BesucherInnen wie „gewollt, aber nicht gekonnt“. Dagegen bietet gute Ausstattung mit Veranstaltungstechnik über Technik-Team und Ausbildung an den Geräten gleich mehrfach Andockpunkte für kirchenferne und eher praktisch orientierte Jugendliche, sie unterstützt Inhalte wirkungsvoll und das Technik-Team kann als Multiplikator zusätzlich umliegenden Gemeinden technische Unterstützung bieten (z.B. Jugendkirche „Marie“ / Einbeck). Ein Jugendgottesdienst mit LiveBand, kleinen Theater-Elementen, Multimedia-Meditation, mit eingebundenem, selbstgedrehtem FilmClip und Fürbitten per Handy-SMS von den BesucherInnen direkt auf die Leinwand gesendet, erfordert zwar Planung und Ausstattung wie ein Großevent, ermöglich aber auch erstaunliche BesucherInnen-Zahlen, Inkulturation der frohen Botschaft in jugendliche Lebenswelten und intensives emotionales Mitgehen (z.B. „find-fight-follow“-Jugodis im Umkreis der Jugendkirche Wien). Mischung von Events und nachhaltiger Arbeit Große unkommerzielle („NonProfit“-) Events für junge Menschen sind selten, alleine deshalb sind solche Veranstaltungen im Interesse der Jugendlichen wünschenswert und genug Legitimation für Kirche, sie mit anspruchsvollen Inhalten zu veranstalten. Es entspricht dem Wunsch Jugendlicher, sich mit vielen Gleichaltrigen zu treffen und dorthin zu gehen, „wo etwas los ist“. Besondere Events sind unverzichtbare Kristallisationspunkte in der Öffentlichkeitsarbeit der Jugendkirchen, sie helfen, das Image der Einrichtung zu prägen und zu zeigen, dass Kirche unkonventionelle neue Wege geht. Die Presse berichtet selten über einen guten Trommel-Workshop, dagegen ist das Abseilen vom Kirchendach mit abschließender Feuershow immer eine Meldung wert. Diese „sichtbare Spitze eines im Heft 6 - 2007 28 Wasser treibenden Eisbergs“ wird in Jugendkirche durch nachhaltige, kontinuierliche Angebote untermauert, ohne die die Events ein Strohfeuer blieben (das ist dann der „unter Wasser liegende Teil des Eisbergs“): Von der Musicalgruppe über das Jugendgottesdienst-Team bis hin zu einer Jugendseelsorgegruppe, wo erfahrene Jugendliche nach dem Peer-Group-Education-Prinzip zu Seelsorgehelfern ausgebildet werden, um dann beim nächsten Event als Ansprechpersonen auf gleicher Augenhöhe dabei zu sein (z.B. Seelsorgeprojekt Jugendkulturkirche Sankt Peter / Frankfurt/M). Fünf Angebotssäulen finden sich in vielen JugendkirchenKonzepten (z.B. evangelische Jugendkirche Kassel), in unterschiedlicher Gewichtung: - Eventagentur / Veranstaltungsmanagement (z.B. Konzerte frommer Bands, Musicals) - Seminarbetrieb (z.B. Trommelworkshop) - Café / Bistrobetrieb (niedrigwelliges Angebot, Internetcafé integriert) - Jugendseelsorge (möglichst durch ausgebildete Jugendliche) - Jugendgottesdienste (in unterschiedlichen Formaten, meist multimedial) Diese Angebots-Hauptsäulen machen Sinn – in ihrem Zusammenwirken ermöglichen sie, Jugend und Kirche intensiv in Beziehung zu setzen und Saarbrücker Religionspädagogische Hefte auch kirchenferne Jugendliche wieder anzusprechen. Um einseitige Prägung z.B. als HipHop-Juki zu vermeiden, werden rasterartig unterschiedliche Gruppierungen angesprochen, dabei entsteht eine Wechselwirkung zwischen den verschiedenen jugendkulturellen Scenes und der Jugendkirche, sie wirkt in diese Milieus hinein und kann entsprechende Kompetenzen auch für die kirchliche Arbeit nutzbar machen (z.B. Techno-Gottesdienst im Umfeld des Events „ChurchVibration“ / Jugendkirche Stuttgart). Als der Bund Deutscher Katholischer Jugend vor einem Jahr die erste Jugendkirche Bayerns in München eröffnete, sagte Johannes Merkl (BDKJ-Präses) im Interview: „Es geht nicht darum zu sagen, ui, ich mache ja ganz provokante Sachen, also dieser Knister, ich mache was Verbotenes, sondern es geht wirklich darum zu sagen: „Ich möchte mit dem, was ich gut finde, cool finde, was mich bewegt, einfach auch mal in diesem Gottesdienst vorkommen, und wenn es Rollerblades wären in Gottes Namen, dann wäre das tatsächlich so.“ Fünf Entstehungs-Varianten: Oft steht am Anfang einer zielgruppengerechten Ansprache Jugendlicher nicht gleich der Wunsch nach einer Jugendkirche. Vielmehr gibt es zahlreiche Vorstufen, die sich in vier Hauptgruppen zusammenfassen lassen: 29 Jugendgemeinden entstehen (meist im evangelisch-freikirchlichen Bereich) aus missionarisch angelegten Hauskreisen, die zu groß werden, sich mehrmals teilen und irgendwann auch wieder gemeinsame Veranstaltungen wünschen, dafür einen Raum suchen und so auf den Weg zur Jugendkirche kommen. Gemeindejugendarbeit gibt sich bei Zusammenlegung zu Pastoralverbünden und Seelsorgeeinheiten für die ortsübergreifende Arbeit zunächst ein „Label“, konzentriert dann seine Arbeit zunehmend in der am wenigsten genutzten Kirche des Verbunds und ist schließlich auf dem Weg zur Jugendkirche. Jugendgottesdienstreihen laufen erfolgreich, werden umfangreicher, müssen mehrfach in Kirchen mit größerer Kapazität umziehen, haben enormen Aufwand bei Auf- und Abbau, bis sie schließlich in einer dauerhaft nutzbaren Kirche auch zusätzliches Programm anbieten können. Ein Beispiel hierfür ist die Jugodi-Reihe „find-fight-follow“ in Wien, die den Anstoß zur ersten Österreichischen Jugendkirche gegeben hat oder „MOC“ in Leonberg. Temporäre Jugendkirchen-Projekte fangen mit einem befristeten Projekt an, z.B. drei Wochen „Jugendliche erfinden Kirche ganz neu“. Nach der Projektphase wird ausgewertet und eine Wiederholung geplant, neue Ideen kommen hinzu, bisherige Erfahrungen fließen ein und nach einigen Aktionszeiträumen kann sich schließlich die Frage nach einer dauerhaften Einrichtung stellen (z.B. Meschede „light my fire“). Diese Projekte weisen meist eine hohe Effizienz und große ZielgruppenNähe auf. Jugendkirchen, die gleich von Anfang an als umfassendes Projekt geplant werden, haben häufig die längste Vorlaufzeit, werden meist von top to down entwickelt, verfügen über das größte Start-Budget, müssen sich dabei jedoch intensiv um Zielgruppenausrichtung bemühen, da die Vorplanungen überwiegend ohne Jugendbeteiligung lief. Wenn sie schließlich starten, können sie sich der medialen Aufmerksamkeit sicher sein, bei geschicktem Handling auch ein größeres Sponsorenpotential nutzen, stehen andererseits jedoch unter gewaltigem Erfolgsdruck (z.B. Jugendkulturkirche Sankt Peter / Frankfurt/M). Begriffsdefinition für Jugendkirche fehlt noch Vor über einem Jahrzehnt schwappte die Jugendkirchenidee aus England in den deutschsprachigen Raum herüber. Zunächst mehr ein Konzept von Jugendgemeinde, war sie stark missionarisch ausgelegt. Erste kleine Heft 6 - 2007 30 Jugendkirchen entstanden im evangelisch-freikirchlichen Bereich. Die Katholische und Evangelische Kirche entwickelten parallel eigene Ansätze mit einer Betonung des Raumaneignungskonzepts. So entstand TABGHA in Oberhausen (Deutschland / Ruhrgebiet) als erste katholische und erste größere Jugendkirche im deutschsprachigen Raum überhaupt. Seit sechs Jahren ist sie ausgesprochen erfolgreich in Betrieb, hat den Status eines Experiments verlassen und gilt nun als Innovationsmodell, hat zahlreichen weiteren Jukis „Geburtshilfe“ gegeben, blieb in jüngster Zeit jedoch von den allgemeinen Kürzungen im Bistum Essen bedauerlicherweise nicht verschont – die „Führungsrolle“ hat mittlerweile TABGHAs Tochter „effata!“ in Münster übernommen, mit etwas konservativerer Ausrichtung. Die erste evangelisch-landeskirchliche Juki entstand in Chemnitz und ist aus kleinen Anfängen seither kontinuierlich gewachsen, während die erste große norddeutsche Juki in Hannovers Lutherkirche im kommenden Jahr vor einschneidenden Umstrukturierungen steht und die süddeutsche Jugendkirche Stuttgart nach drei Jahren erfolgreichem Projektaufbau zunächst nicht in einen Regelbetrieb überführt werden konnte und seit diesem Jahr auf einen beachtlichen, aber temporären Betrieb zurückgefahren ist. Dafür eröffnet Ende dieses Jahres die lange geplante, auf absehbare Zeit größte Jugendkirche Deutschlands in der Frankfurter Sankt-Peter-Kirche, ganz in der Saarbrücker Religionspädagogische Hefte Nähe der Haupteinkaufsmeile „Zeil“ und ist neben freikirchlicher und der ebenfalls großen katholischen Jugendkirche „Jona“ bereits die dritte Einrichtung dieser Art in der Mainmetropole. In Berlin gab es den ersten ausdrücklich ökumenischen Jugendkirchen-Versuch, der jedoch nicht zustande kam, dafür weist die Hauptstadt mit sieben Locations die höchste Jugendkirchen-Anzahl auf. Aktuell entstehen neue Jugendkirchen u.a. in Saarbrücken, Karlsruhe, Nürnberg, Kassel, Bremen, Ham-burg … Aktuelle Infos gibt es auf dem Jugendkirchen-Portal oder dem zugehörigen Portal für Jugendliche www. (www.jugend-kirchen.org; jukis.org). Erst in jüngster Zeit bemühen sich die Projekte in einem langsam entstehenden ökumenischen Netzwerk Jugendkirchen (www.jukinetz.de) im Zusammenwirken mit der katholischen Arbeitsstelle afj, der evangelischen Jugend aej und dem Jugendkirchen-Netzwerk e.V. (www.jukis.de), den Begriff innerhalb der ACK genauer zu fassen, denn nicht immer ist Jugendkirche drin, wenn Jugendkirche darauf steht. Bis es allerdings so weit ist, bis es vielleicht sogar zu einer Registered Trademark kommt, ist es noch ein weiter Weg. „Ein Bach soll durch die Kirche fließen!“ – so oder ähnlich äußern Jugendliche immer wieder eine Gestaltungsidee für die Jugendkirche. Wer einmal miterlebt hat, wie solch ein Projekt ungeahnte Potentiale freisetzt, Anknüpfungsmöglichkeiten für breit gestreute Aktionen und 31 Gespräche bietet, Gemeinde lebendig werden lässt, viele Menschen (nicht nur junge) in ihren Bann zieht und auch kirchenferne Jugendliche anspricht, wird „Kirche nicht mehr nur so weitermachen wollen wie bisher“. Warum hierbei Zielgruppenangebote speziell für Jugendliche nötig sind, hat der aej-Vorsitzende Rolf Ulmer in seinem Buch „one of us“ ein-leuchtend an einem Beispiel erklärt: Die Seniorentanzgruppe und jugendliche Tänzer treffen sich, die Jugendlichen laden die Senioren in ihre TechnoDisco ein, damit sie dort mitfeiern und tanzen können – das funktioniert höchstens fünf Minuten lang und danach geht jeder wieder seines Weges: Trotz gleichem Hobby („tanzen“) haben wir es hier mit zwei völlig unterschiedliche Lebenswelten zu tun, die unterschiedliche Räume, Ambiente, Beleuchtung, Uhrzeit, Musikstil etc. erfordern. Oft fürchten Gemeinden, in deren Nähe eine Jugendkirche entsteht, dass ihre „letzten Jugendlichen abgesaugt“ werden. Nach sechs Jahren Erfahrung im Jugendkirchen-Betrieb kann man aber Entwarnung geben, es passiert nicht, sondern es entstehen im Gegenteil neue und zusätzliche Chancen, um Jugendliche zu halten. Nicht jede zweite Kirche muss zur Jugendkirche umgestaltet werden und vieles vom Wirkprinzip einer Jugendkirche kann man sich für die normale Gemeindejugendarbeit „abschneiden“. Sinnvoll wäre allerdings die Einrichtung von einer Jugendkirche je Region im Umkreis von 25 km, damit alle interessierten Jugendlichen zwei Mal im Monat die Chance hätte, sie zu besuchen, so zumindest die Vision unseres JugendkirchenNetzwerk e.V. – denn, so das Statement von Konstantin (Jugendlicher): „Sie soll ein Ort sein, wo Kirche lebendig sein kann, wo Kirche von Jugendlichen für Jugendliche gestaltet wird, Jugendliche, die sich der großen Tradition ihrer Kirche bewusst sind, aber die sie einfach notfalls mit einem kleinen Tritt ins 21. Jahrhundert versetzen wollen und dort einfach auch die wieder ansprechen können, die vielleicht ein bisschen den Faden verloren haben.“ Zum Autor: Willi Schönauer, Bj. 59, Architekt, Kulturmanager, Projektberater und Geschäftsführer beim JugendkirchenNetzwerk e.V. (Sitz: Schlossstr. 7, 76456 Kuppenheim bei BadenBaden), Aufbau der JugendkirchenInternet-Portale www.jugendkirchen.org, www.jukis. org, Mitorganisator des Jugendkirchen-Symposiums „Innovation Jugendkirche 2005“, Mitautor des Standardwerks „Innovation Jugendkirche“, Mitarbeit am Jugendkirchen-Symposium 2007 in Wien, zuvor 2 Jahre befristete Projektleitung Jugend-Kultur-Kirche Frankfurt/M, davor 20 Jahre JugendKulturmanagement, Projektleitung und -beratung, katholisch/ökumenisch, 2 Töchter (im relevanten Zielgruppenalter); mail: [email protected]. Heft 6 - 2007 32 Zum Weiterlesen: Katrin Fauser, Arthur Fischer, Richard Münchmeier: "Jugend im Verband", Teil 1: Jugendliche als Akteure im Verband. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung der Evangelischen Jugend, Opladen 2006. Caroline Hopf / Alexandra von Streit: "Jugend im Verband", Teil 2: "Man muss es selbst erlebt haben ...". Biografische Porträts Jugendlicher aus der Evangelischen Jugend, Opladen 2006. Mike Corsa (Hg.): "Jugend im Verband", Teil 3: Praxisentwicklung im Jugendverband. Prozesse – Projekte – Module, Opladen 2007. Saarbrücker Religionspädagogische Hefte Michael Freitag / Christian Scharnberg (Hg.): Innovation Jugendkirche. Konzepte und Know-how, Hannover 2006. MDG (Hg.): "Religiöse und kirchliche Orientierungen in den Sinus-Milieus 2005", München 2006 (MDG MedienDienstleistung GmbH, Postfach 201417, 80014 München). Rolf Ulmer (Hg.): One of us. Jugendgottesdienst und Jugendkirche, Stuttgart 2004. Ruth Würfel: Jugendkirche und Schule, in: Bernd Schröder (Hg.): Religion im Schulleben. Christliche Präsenz nicht allein im Religionsunterricht, Neukirchen-Vluyn 2006, 123-128. 33 WOLFGANG BIEHL: DAS DIAKONISCHE ZENTRUM GEBRAUCHTWARENKAUFHAUS“ IN DER 1. Die „Diakonisches Werk an der Saar gGMBH“ (DWSAAR) ist eine Gesellschaft der evangelischen Kirchenkreise Ottweiler, Saarbrücken und Völklingen und zugleich der evangelische Wohlfahrtsverband an der Saar. Das DWSAAR bietet in rund 100 Einrichtungen im ganzen Saarland Menschen Hilfe, Beratung und Begleitung in allen persönlichen und sozialen Notlagen an. Daneben werden gefährdete und benachteiligte Kinder und Jugendliche in den Einrichtungen des Jugendhilfeverbundes und der Jugendberufshilfe betreut, begleitet und ausgebildet. Alte und pflegebedürftige Menschen sowie ihre Angehörigen erfahren Beratung und Unter-stützung. Als kirchliche Einrichtung ist das DWSAAR Partner evangelischer Kirchengemeinden im Saarland bei sozialen Fragestellungen. Seit mittlerweile 11 Jahren ist das DWSAAR mit verschiedenen Einrichtungen in der Alten Kirche am St. Johanner Markt vertreten. Damit werden die ehemaligen Gemeinderäume unter dem Gottesdienstraum anders als bis dato genutzt – nämlich für diakonische Zwecke. Das Diakonische Zentrum – so lautet der Name der Einrichtung – führt unter seinem Dach verschiedene Arbeitsgebiete zusammen, die in der ALTEN KIRCHE ST. JOHANN – „PROJEKT: jeweiligen Klammer im Text holzschnittartig beschrieben werden: • eine Clearingstelle, in der in enger Anbindung an Kirchengemeinden soziale Hilfsanfragen sortiert und die zuständige Beratungsstelle eingeschaltet wird, • eine Sozialberatung für sozial schwache Personen mit all ihren Problemen (Unterstützung bei Antragstellungen an die Ämter, Führen von Postadressen für Menschen ohne Wohnsitz, allgemeine soziale Fragestellungen), • eine Kurvermittlung, die das Diakonische Werk an der Saar gemeinsam mit dem Saarverband der Frauenhilfe betreibt (Vermittlung insbesondere von Mutter-Kind-Kuren im Rahmen des Müttergenesungswerks, Beratung in Widerspruchsverfahren, Kurnachsorge zur Prolongierung des Kureffektes, Gesprächsgruppen und Infoangebote) • eine Fachberatungsstelle für wohnungslose Menschen (Hilfe bei der Wiedereingliederung in die „gesellschaftliche Normalität“, Unterstützung bei Wohnungssuche und Unterlagenbeschaffung) • eine Kleiderkammer (Abgabe von gebrauchten Kleidern und Heft 6 - 2007 34 • • • kleineren Hausratsgegenständen an arme Menschen) eine aufsuchende Arbeit speziell für Wohnungslose (Besuche von Wohnungslosen „auf Platte“ in Saarbrücken, Hilfsangebote zur Verbesserung der Situation dieser Menschen) eine Praxis für Wohnungslose zur medizinischen Grundversorgung in Kooperation mit der Kassenärztlichen Vereinigung (feste medizinische Sprechzeiten von Ärzten in der Alten Kirche St. Johann, Angebote zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation von Wohnungslosen „auf Platte“) eine Beratungsstelle, in der Hilfen zum selbstbestimmten Leben und Wohnen für erwachsene seelisch behinderte Menschen angeboten werden („Sozialbeistandschaften“) Neben diesen Angeboten hat in der Alten Kirche St. Johann auch der Betreuungsverein für Saarbrücken und Umgebung e.V. seine Geschäftsstelle, ein Verein, der Mitglied im Diakonischen Werk ist und eng verzahnt mit den anderen Angeboten des DWSAAR arbeitet. 2. Warum nun ein solcher diakonischer Schwerpunkt mitten in Saarbrücken? Man kann in Abänderung eines bekannten Wortes sicherlich sagen „wenn nicht dort, wo denn sonst?“. Neben dem eher profanen Argument der guten Erreichbarkeit über Nahverkehrsmittel ist Saarbrücken selbst Saarbrücker Religionspädagogische Hefte als Landeshauptstadt schon seit langem zu einem Brennglas der sozialen Probleme im Saarland geworden. Hier treffen sich im Herzen von Saarbrücken arme Men-schen, Randständige, Geschäftsleute und ihre Kunden und „Otto Normal-verbraucher“ auf relativ engem Raum. Soziale Probleme bündeln sich. Diakonische Kompetenz ist gefragt. Dabei spielt insbesondere die Armutsproblematik in Saarbrücken eine große Rolle. Dazu einige Anmerkungen: Der Wissenschaftler Professor Roland Merten von der Universität Jena hat in verschiedenen Veranstaltungen der Diakonie im Jahr 2006 erstmalig Zahlen über das Ausmaß insbesondere der Kinderarmut im Saarland vorgelegt. Aufgrund seiner empirischen Berechnungen kann man davon ausgehen, dass im Saarland jedes 7. Kind unter Bedingungen strenger Armut aufwächst. In seinen Ausführungen zum Thema Kinderarmut im Saarland mit dem Titel „Kinderarmut im Saarland – Ausmaß und Auswege“ benennt er die Zahl von 24.083 von Kindern bis zum vollendeten 15. Lebensjahr im Saarland, die auf dem Sicherungsniveau des soziokulturellen Existenzminimums stehen. „Das bedeutet einen Zuwachs vom 31.12.2004 bis zum Juli 2006 um insgesamt 43,2 %!“ (Quelle: Roland Merten: „Kinderarmut im Saarland – Ausmaß und Auswege“, Vortrag Dezember 2006, Seite 5). Sicherlich konzentriert sich die Armutsproblematik auf bestimmte Orte im Saarland und Quartiere in der Landeshauptstadt – aber auch dort hat das „Diakonische Werk an der 35 Saar“ verschiedene Einrichtungen wie beispielsweise die Gemeinwesenprojekte in Malstatt, Bur-bach und Brebach und das Stadtteilbüro in Neunkirchen. Auch wenn es Sachverständige und Politiker gibt, die der Meinung sind, Armut sei ein „großer Glanz von innen“, so darf nicht übersehen werden, dass Armut auf die Lebenssituation in der Familie sowie das Eingebundensein in Dorf und Quartier gravierende Auswirkungen hat. Das beginnt damit, dass Vereinsbeiträge nicht bezahlt werden können, Kinder nicht an Konfirmandenfreizeiten teilnehmen können, es an der Witterung angemessener Kleidern fehlt und die Ernährung unzureichend ist. In bestimmten Saarbrücker Stadtteilen kann es passieren, dass Kinder auch im strengen Winter keine geeigneten Schuhe tragen. Armut kann aber auch den gesellschaftlichen und kulturellen Horizont sehr einschränken („ich wusste nicht, dass durch Saarbrücken ein Fluss fließt“), da wenige Mitwirkungsmöglichkeiten existieren. Es wird in der Arbeit der Mitarbeitenden in den Kinderarmutsprojekten, in der Sozialberatung, in den Beratungsstellen bis hin zu der Kurvermittlung deutlich, welche Problemstellungen bestehen. Die Kolleginnen und Kollegen sprechen oft von einer tickenden „sozialen Zeitbombe“ für Demokratie und Gesellschaft, die sie in der Armutsproblematik wahrnehmen. So findet man beispielsweise im Jahresbericht 2006 der Evangelischen Beratungsstelle für Erziehungs-, Ehe- und Lebensfragen geschrieben: „Bei uns ist Armut meist ein Stigma, wodurch die Betroffenen ausgegrenzt werden. Doch Armut ist viel mehr, als nur wenig Geld zu haben. Arme Kinder leben auf einem Einkommensniveau, das sie vom Alltag Gleichaltriger ausschließt. Es gibt keinen Musikunterricht, keinen Sportverein, keinen Schwimmbadbesuch usw. Da sie nicht mit anderen Kindern mithalten können, sind sie oft sozial isoliert, sind häufig krank und leben in beengten Wohnverhältnissen in vernachlässigten Stadtteilen mit mangelnden sozialen Angeboten. Wegen schlechter Bildungschancen kommen Kinder aus armen Familien nur schwer aus dem Armutskreislauf heraus. Bereits im Kleinkindalter zeigen sich viele Erziehungsdefizite. Die Wissenschaft weist wiederholt auf die Weichen stellende Bedeutung der ersten Lebensjahre und die Wichtigkeit früher Hilfen hin.“ Kinderarmut gefährdet das Kindeswohl – und damit greift die UNKinderrechtskonvention. Deren Leitbegriff „best interest of the child“ wird durch Kinderarmut mit Füßen ge-treten. In der UN-Kinderrechtskonvention sind Kinderrechte beschrieben, die auch ausdrücklich von der deutschen Regierung ratifiziert wurden. Dabei gehören zu den Grundbedürfnissen von Kindern und Jugendlichen unter anderem Nahrung, Schutz und Pflege, intellektuelle Anregung und Hilfe beim Verstehen der Innen- und Außenwelt. Durch das Zulassen von Kinderarmut im von Professor Merten beschriebenen Umfang verstößt unsere GeHeft 6 - 2007 36 sellschaft permanent gegen diese UNKinderrechtskonvention. 3. Aber kommen wir zurück zum Diakonischen Zentrum in der Alten Kirche. Hier wird Armut tagtäglich wahrgenommen und Hilfeleistungen angeboten. So wurde die Kleiderkammer im Keller der Alten Kirche St. Johann im Jahr 2006 ca. 2.116 mal von insgesamt 1.287 Personen aufgesucht – davon 386 Kinder, das sind fast ein Drittel. Im Jahr 2006 wurden von der Kleiderkammer 54 Tonnen Textilien gesammelt. Nach Aussortierung von Müll und nicht nutzbarer Kleidung konnten 6 Tonnen an Kleidung an Bedürftige weitergegeben werden. Weiterhin wurden 9,3 Tonnen Hausrat weitergegeben. 80 % der „Nutzer“ der Kleiderkammer waren Bezieher von sozialen Transferleistungen – konkret Arbeitslosengeld II. „In besonderem Maße wird die Kleiderkammer von Wohnungslosen, Migranten und Familien mit Kindern in Anspruch genommen.“ (Quelle: Jahresbericht 2006 der Kleiderkammer im Diakonischen Zentrum Saarbrücken, Saarbrücken März 2007). Um die „Angebotspalette“ für arme und sozial schwache Menschen zu komplettieren, soll an dieser Stelle noch gesagt werden, dass es im Saarland mittlerweile 9 „Tafeln“ gibt, in denen an bedürftige Menschen Lebensmittel weiter gegeben werden. Das „Diakonische Werk an der Saar“ ist im Saarland an dreien dieser Tafeln als Träger oder Mitträger beteiligt. Saarbrücker Religionspädagogische Hefte Aus den Zahlen zu der Kleiderkammer in der Alten Kirche St. Johann kann man leicht ablesen, dass die Räumlichkeiten und die Lagerressourcen an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen sind. Derzeit sucht man nach Möglichkeiten, in Saarbrücken-Stadtmitte eine größere Kleiderkammer für soziale Zwecke einzurichten. Dazu ist die Idee der St. Johanner Börse entstanden, in der gebrauchte Kleidung und kleinere Haushaltsgegenstände an arme und bedürftige Personen abgegeben werden. In dieser St. Johanner Börse werden die Kleiderabgabe – kombiniert mit einer professionellen Sozialberatung – auf dem Hintergrund der Erfahrung, dass es in der Regel nicht nur an Kleidung mangelt. Das Angebot soll leben aus der Kombination von direkter Hilfe und Unterstützung und Verbindung mit den pro-fessionellen Beratungsangeboten des „Diakonischen Werkes an der Saar“ in den unterschiedlichsten Bereichen. Der Standort und die Umsetzungsmöglichkeiten für eine St. Johanner Börse in Saarbrückenzentral werden derzeit geprüft. Ziel ist, an einem identifizierbaren Standort in der City verschiedene Aufgaben zu bündeln: Menschen in sozialen und persönlichen Notlagen Hilfe gewähren, Bürger und Bürgerinnen mit sozialer Arbeit in evangelischer Verantwortung vertraut machen und soziales Lernen zu ermöglichen und präsent sein angesichts der sozialen Fragestellungen in der Landeshauptstadt Saarbrücken. Damit ist die Arbeit des „Diakonischen Werkes an der Saar“ in das 37 Konzept der überparorchialen Stadtkirchenarbeit in Saarbrücken eingebunden. 4. Ansprechpartner für die Arbeit der Einrichtungen im Diakonischen Zentrum in der Alten Kirche St. Johann sind: Birgit Metzger (Kurvermittlung) Martin Kunz (Sozialberatung, Fachberatungsstelle, medizinische Praxis und Kleiderkammer) Thomas Braun (aufsuchende Arbeit) Gabriele Serf-Glitt (Sozialbeistandschaften) Erreichbar unter der Sekretariatstelefonnummer 0681/38983-30, unter der Mail-Adresse [email protected] und unter folgender Postadresse: Diakonisches Zentrum Saarbrücken Ev. Kirch-Strasse 29 66111 Saarbrücken Der Betreuungsverein ist mit Herrn Thiele und Herrn Schneider unter der Telefonnummer 0681/38983-33/34 zu erreichen oder unter der Mail-Adresse [email protected]. Für Fragen zum Diakonischen Werk an der Saar allgemein stehen gerne die Mitglieder der Geschäftsführung zur Verfügung: Pfr. Udo Blank, Wolfgang Biehl und Walter Schneider. Sie sind am besten erreichbar über die Sekretariate Frau Timm, Frau Löhr und Frau Lorenz unter den Telefonnummern 06821/956-207 oder 204 oder -121. Die Mail-Adresse lautet [email protected]. Zum Autor: Wolfgang Biehl, stellvertretender Geschäftsführung gGMBH Mitglied und Sprecher der der DWSAAR Als Sekretärin und Gesprächsvermittlerin begrüßt Sie Frau Wrublewsky. Heft 6 - 2007 38 Saarbrücker Religionspädagogische Hefte 39 KREISSYNODE DES KIRCHENKREISES SAARBRÜCKEN: ÜBERPAROCHIALE STADTKIRCHENARBEIT IN SAARBRÜCKEN – EIN KONZEPT Den folgenden konzeptionellen Überlegungen liegen – durchaus kontroverse – Diskussionen einer Arbeitsgruppe zugrunde, die von der Kreissynode des Kirchenkreises Saarbrücken am 18./19.11.2005 zu diesem Zweck eingerichtet wurde. Ihr gehörten Vertreter/innen der drei innen-städtischen Parochien sowie des Kreissynodalvorstands und Repräsentant/inn/en verschiedener funktionaler Dienste an. Unsere Analyse Im Herzen der Stadt Saarbrücken gibt es ein breites Spektrum evangelischkirchlicher Aktivitäten. Die drei evangelischen Kirchengemeinden am Ort bieten über die parochiale Grundversorgung ihrer Mitglieder hinaus jeweils besondere innergemeindliche wie öffentlichkeitswirksame Aktivitäten (z.B. die kirchenmusikalischen und kirchraumpädagogischen Angebote in der Stiftskirche und in der Ludwigskirche und die Angebote des Projekts Johanneskirche). Andere funktionale Dienste – von den Religionslehrenden in den verschiedenen Schulformen bis zur Hochzeitsmesse, von der Kircheneintrittsstelle bis zur Telefonseelsorge, vom Diakonischen Werk bis zur Erwachsenenbildung – erreichen eine Vielzahl von Menschen mit ihrer Arbeit. In Anknüpfung daran sollten sich Gemeinden und Dienste nach unserer Auffassung in Zukunft verstärkt bemühen, - Menschen anzusprechen, die zu Parochien keinen Zugang finden, aber gleichwohl spirituelle Angebote suchen, und programmatisch Schwerpunkte aufzubauen, die sich eigens an alle Christinnen und Christen bzw. an alle Bürgerinnen und Bürger richten und missionarische Wirkung entfalten können, - die jeweils eigenen Aktivitäten durch die Angebote anderer Stadtgemeinden und nicht parochialer Dienste entlasten bzw. ergänzen zu lassen, so das je eigene Profil zu schärfen und zugleich das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den verschiedenen Gemeinden und Diensten zu stärken, - in der Öffentlichkeit erkennbar zu machen, dass in Gestalt von Gemeinden und funktionalen Diensten eine Evangelische Kirche in Saarbrücken wirksam ist, nicht etwa unverbundene oder gar konkurrierende Einzelinstitutionen. Angesichts der aktuellen und strukturellen Veränderungen (nicht nur) im Evangelischen Kirchenkreis Saarbrücken – Rückgang der Mitgliederzahlen und der Kirchensteuereinnahmen – scheinen uns gerade diese drei Richtungsentscheide von wegweisender Bedeutung zu sein, Heft 6 - 2007 40 um die Strahlkraft der kirchlichen Tätigkeiten zu erhöhen. Unter den Arbeitsfeldern der Kirche in Saarbrücken bedürfen derzeit nach unserem Eindruck – aus unterschiedlichen Gründen – insbesondere drei verstärkter Aufmerksamkeit und Förderung: „Jugendarbeit", „Kirche für Distanzierte und Einsteiger" (mit dem Schwerpunkt Gottesdienst) sowie „Beratung und Hilfe". Unsere Perspektive Grundlage unserer Einschätzung der gegenwärtigen kirchlichen Arbeit sind folgende gemeinsame Überzeugungen: - Die strukturelle Krise der evangelischen Kirche ist als Anlass und Chance zu einer kritischen Revision bisheriger Arbeit zu begreifen. - Biblische Impulse zum Leben der Gemeinden und theologische Einsichten sprechen nicht gegen Veränderungen im kirchlichen Leben, sondern begründen sie – exemplarisch sei auf die Jahreslosung 2007 hingewiesen „Gott spricht: Siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr's denn nicht?" (Jes 43,19a) - Die Menschen, die in der evangelischen Kirche Mitglied sind und in ihr arbeiten, müssen und können mit ihren Ideen und Fähigkeiten neue Wege erkennen und gehen, um die beflügelnde Kraft des Evangeliums erkennbar werden zu lassen und „von Gott Saarbrücker Religionspädagogische Hefte Gutes zu sagen" (Kirche der Freiheit. Ein Impulspapier des Rates der EKD, Hannover 2006, 77; s.www.ekd.de/download/ kirche-der-freiheit.pdf). Unser Vorschlag 1. In den nächsten fünf Jahren richten sich die Anstrengungen der drei Gemeinden im Stadtzentrum und der dortigen überparochialen Dienste darauf, die drei oben genannten Richtungsentscheide in ihrer Arbeit zu verwirklichen und die drei markierten Arbeitsfelder öffentlichkeitswirksam zu profilieren. 2. Für evangelische „Jugendarbeit" wird ein kirchlicher Standort in der Innenstadt als „Jugendkirche" gestaltet. Dringende Aufgabe ist es hier, - ein Spektrum übergemeindlicher jugendspezifischer Gottesdienste und „events" anzubieten, - Angebote im Blick insbesondere auf die große Zahl der Schüler/innen weiterführender allgemeiner und berufsbildender Schulen zu entwickeln, - innerhalb des Kirchenkreises und seiner Gemeinden der Einsicht Gehör und Geltung, zu verschaffen, dass die Kirche ohne attraktive Kinder- und Jugendarbeit keine Zukunft hat. Mit der Entwicklung eines detaillierten, realisierbaren Konzepts wird das Evangelische Jugendwerk betraut; es soll bis Ende 2007 entwickelt sein und dann unverzüglich implementiert werden. 41 3. Die Angebote der „Kirche für Distanzierte und Einsteiger" werden primär am Standort „Johanneskirche" ausgebaut und ergänzt: - Fortgeschrieben werden die kulturbezogenen und experimentellen Arbeitsformen, - vervielfältigt werden muss das gottesdienstliche Angebot für diese Zielgruppen, - hinzukommen sollen missionarische Arbeitsformen, die nicht zuletzt auf die Gewinnung von Unterstützern dieser Arbeit zielen. 4. Im Arbeitsbereich „Beratung und Hilfe" sollen an einem identifizierbaren Standort in der City, vorzugsweise in der „Alten Kirche", drei zentrale Aufgaben wahrgenommen werden: - Menschen in sozialen und persönlichen Notlagen Hilfe gewähren, - Bürger/innen, insbesondere Schüler/innen (!), mit sozialer Arbeit in evangelischer Verantwortung vertraut machen und soziales Lernen zu ermöglichen, - Stellung zu sozialen Fragen in der Stadt beziehen. Das Diakonische Werk betreibt bereits seit vielen Jahren das Diakonische Zentrum „Alte Kirche“ und ist dabei, dieses weiter auszubauen. Das Diakonische Werk wird gebeten, das Diakonische Zentrum „Alte Kirche“ als Teil des Konzepts überparochialer Stadtkirchenarbeit in Saarbrücken zu verstehen. 5. Der Kirchenkreis befürwortet die Einrichtung einer Stelle für Stadtkirchenarbeit, deren Umfang, Finanzierung und Personalisierung noch zu klären ist. Diese Stelle dient ausschließlich dazu, Stadtkirchenarbeit und Aufbauarbeit im Sinn des Konzepts zu betreiben, vorhandene Angebote zu koordinieren, und die Profilierung einer evangelischen Kirche im Stadtzentrum Saarbrückens voranzutreiben. Auch die Sondierung alternativer Finanzierungsmöglichkeiten gehört zu den Aufgaben der Stelleninhaberin/des Stelleninhabers. Binnen fünf Jahren soll ein Förderkreis für diese Arbeit aufgebaut werden, der möglichst auch alternative Finanzierungsmöglichkeiten für diese Stelle realisiert. Diese Pfarrstelle ist gegenüber dem KSV weisungsgebunden. Anmerkung: Das Presbyterium der Ev. Kirchengemeinde St. Johann beabsichtigt, eine Pfarrstelle mit 50 % Dienstumfang für die Angebote im Projekt City-Kirche zu besetzen. 6. Um die Zusammengehörigkeit dieser Säulen für die Öffentlichkeit durchsichtig zu machen, bedarf es dringend identifizierbarer Kommunikationsformen: etwa Beschilderungen der Einrichtungen mit einem einheitlichen Logo, ein durchdachter, aktueller Internetauftritt, ein gemeinsamer Flyer der Stadtkirchenarbeit, Monatsprogramme u.ä. Weitere Arbeitsfelder wie z. B. „Erwachsenenbildung" können und Heft 6 - 2007 42 sollen in die Öffentlichkeitsarbeit einbezogen werden. Die Federführung dafür liegt bei der Inhaberin/dem Inhaber der Stadtkirchenpfarrstelle; der Öffentlichkeitsbeauftragte des Kirchenkreises wird von Beginn an einbezogen. 7. Um die Öffentlichkeitsarbeit, die Vernetzung und Koordination der Stadtkirchenarbeit und die Realisierung dieses Konzepts voranzutreiben, bilden die beteiligten Werke, funktionalen Dienste und Parochien sowie Vertreter/innen des KSV einen Stadtkirchenausschuss, der dem KSV rechenschaftspflichtig ist, seine Arbeit in Sitzungsprotokollen dokumentiert und nach fünf Jahren einen Erfahrungsbericht an die Kreissynode richtet. Dieser Ausschuss tritt an die Stelle der Arbeitsgruppe, die dieses Konzept vorlegt, sowie an die Stelle des Citykirchenausschusses des Ev. Kirchenkreises Saarbrücken. Ziel dieses Konzeptes ist es nicht, in parochiale Arbeit einzugreifen, sondern Ziel ist es, über diese Arbeit hinaus koordinierte Angebote an Menschen in Distanz zu oder außerhalb von Parochien zu richten. Dabei sollen alle Mitarbeitenden auf eine - identifizierbare, - einladende, - über ihren Glauben wie ihr Konzept auskunftsfähige evangelische Kirche in der Stadt Saarbrücken hinwirken. Wir sind davon überzeugt, dass eine solche überparochiale Stadtkirchenarbeit für die Gemeinden im Stadtzentrum kein Schade, sondern eine Bereicherung ist. Saarbrücker Religionspädagogische Hefte Unser Verfahrensvorschlag Die Kreissynode befürwortet grundsätzlich die in diesem Konzeptionspapier aufgeführten Richtungsentscheidungen. Die Kreissynode beauftragt den KSV, einen Vorschlag zu erarbeiten, in welchem Umfang und mit welchen Qualifikationen und Kompetenzen eine Stadtkirchenarbeit nach dem vorgestellten Konzept personell ausgestattet werden müsste und einen Vorschlag zur Finanzierung vorzulegen. Sie beauftragt den KSV mit der Einberufung und Beauftragung des Stadtkirchenausschusses und mit der Herstellung des Einvernehmens mit dem Kreissynodalvorstand des Kirchenkreises Völklingen über dieses Vorgehen. Sie bittet das Diakonische Werk, die Arbeit des Diakonisches Zentrums „Alte Kirche“ mit dem Konzept einer Stadtkirchenarbeit in der Innenstadt Saarbrückens zu vernetzen (sowie um Mitwirkung in dem o.g. Ausschuss). Sie bittet das Ev. Jugendwerk an der Saar um Konzipierung und Implementierung einer Jugendkirche (sowie um Mitwirkung in dem o. g . Ausschuss). Der KSV berichtet der Herbstsynode 2007 über den Stand der Dinge in Bezug auf die Stadtkirchenarbeit. Anm. (B.S.): Dieses Konzept wurde von der Synode des evangelischen Kirchenkreises Saarbrücken am 23. Juni 2007 verabschiedet 43 BERND SCHRÖDER: NACHWORT , ODER: STADTKIRCHENARBEIT UND RELIGIONSUNTERRICHT Was haben Beiträge zur „Stadtkirchenarbeit“ in „Religionspädagogischen Heften“ zu suchen? Auf den ersten Blick nichts, auf den zweiten Blick nicht wenig. Stadtkirchenarbeit bietet, wenn sie gut gelingt, die vielerorts vermissten und lang ersehnten Anschauungsbeispiele oder, besser noch: Erfahrungsräume für eine Kirche, die so ist, wie (viele) junge Menschen sie suchen. Junge Menschen, das sind junge Erwachsene und Jugendliche, die in der Regel einen großen Teil ihrer Zeit in Schulen zubringen – wenn nicht in allgemeinbildenden, dann in beruflichen Schulen. Sie haben meist ihre Kirchengemeinde vor Augen, wenn sie von „der Kirche“ reden, oder öffentliche Repräsentanten der Kirchen vom Papst bis zur Pfarrerin oder dem Pfarrer, der ‚dies und das gemacht oder gesagt hat’ … Für sie kann gute, gelingende Stadtkirchenarbeit wich-tig werden: - Sie zeigt als Citykirchenarbeit, dass christliche Glaube sich sehr wohl mit modernem Lebensstil, mit Kreativität und Kunst, mit Ungewohntem und mit der Erweiterung des eigenen Horizontes vereinbaren lässt und dass Kirche – im doppelten Sinne: als Kirchengebäude wie als Gemeinschaft der Gläubigen – sehr wohl offen und einladend ist für Menschen, die noch unsicher sind, ob sie Einsichten des christli- - - chen Glaubens Vertrauen schenken können. Sie zeigt als Diakonisches Zentrum, dass christlicher Glaube und Hilfeleistung für Menschen, die sich am Rande unserer Gesellschaft befinden, zusammengehören, dass viele Menschen diese Hilfeleistung unterstützen, sei es durch ihre Mitarbeit, durch Spenden von Sachen oder Geld, durch Solidaritätsbekundungen und Interesse an den Menschen, die an diesen Ort kommen. Und sie zeigt als Diakonisches Zentrum, dass diese konkrete Hilfe eines ist; dass daneben als zweites das Nachdenken über Gerechtigkeit in den Strukturen und Leitvorstellungen unserer Gesellschaft steht: Evangelische Kirche bringt evangelische Perspektiven ein und erhebt im gesellschaftlichen Auseinandersetzungen ihre Stimme – ein Quellort dafür wird im Diakonischen Zentrum sichtbar. Sie zeigt als Jugendkirche, dass christlicher Glaube keineswegs nur etwas für alte Menschen (über 35) ist, dass er sehr unterschiedliche Gestalt annehmen kann, dass er von den Menschen lebt und auf je ihre Weise verwirklicht wird, die sich ihm anvertrauen, kurz: dass christlicher Glaube eben auch „jung“ sein kann. Heft 6 - 2007 44 Natürlich bietet auch Stadtkirchenarbeit keine perfekten Anschauungsbeispiele; auch in Stadtkirchenarbeit gelingt nicht alles – doch Religionsunterricht kann Schülerinnen und Schüler an Orte der Stadtkirchenarbeit einladen, er kann Raum und Zeit zur Verfügung stellen, um mit Schülerinnen und Schülern hinzugehen und sie eigene Eindrücke gewinnen zu lassen, er kann in Kooperationsphasen oder Projekten die eine oder andere Idee selbst realisieren helfen, er kann mit Schülerinnen und Schülern das reflektieren, was in Stadtkirchenarbeit geschieht. Dies letztere ist seine Hauptaufgabe, denn Religionsunterricht ist Unterricht – er dient der Schulung des Geistes, er soll Kenntnisse und Denkbewegungen anbahnen, die für den Umgang mit Religion erforderlich sind, er will den Schülerinnen und Schülern den Erwerb von Kompetenzen im Umgang mit Religion ermöglichen. Eben dies geschieht am Lernort „Unterricht“. Zugleich aber ist Religionsunterricht nicht neutral – evangelischer Religionsunterricht, seine Lehrerinnen und Lehrer, sind überzeugt davon, dass die Deutung des eigenen Lebens und der Welt im Lichte des Evangeliums dazu verhilft, klarer zu sehen, besser mit dem Leben zurecht zukommen, die Perspektive auf ein erfülltes Lebens zu gewinnen. Deshalb verweist er über den Unterricht hinaus auf gelebte christliche Religion, deshalb lädt er Schülerinnen und Schüler ein, damit ihre Erfahrungen zu machen und sich in ihrer Freizeit Saarbrücker Religionspädagogische Hefte oder – unter bestimmten günstigen Voraussetzungen und unter dem Vorzeichen der Freiwilligkeit – im Rahmen von unterrichtlichen Projekten auf die Praxis des Glaubens einzulassen.23 Stadtkirchenarbeit bietet für beides – für kritische Reflexion wie für die eigene Erfahrung – gute Möglichkeiten. Sie bietet Formen christlichen Glaubens, die für einen großen Teil jugendlicher Schülerinnen und Schüler interessant und ansprechend wirken. Was genau im Schnittfeld zwischen schulischem Religionsunterricht und Stadtkirchenarbeit möglich ist, hängt von mancherlei Faktoren ab - von der Entfernung zwischen Schule und Stadtkirchen, - von Termin und Qualität der Ange bote der Stadtkirchenarbeit, - von der Einstellung der Schüler/innen und Lehrer/innen, - vom Einvernehmen zwischen Stadtkirchenarbeiter/innen und Teilnehmenden u.a.m. Doch in jedem Fall ist Stadtkirchenarbeit ein Angebot – Religionsunterricht ist eingeladen, dies Angebot in der Weise zu nutzen, die Schüler/innen und Lehrer/innen angemessen und sinnvoll zu sein schein! Religionslehrer/innen sind eingeladen, sich zunächst einmal selbst damit vertraut zu machen, was „Stadtkirchenarbeit“ ist oder sein kann – und eben dazu soll dieses Heft anregen! Vgl. dazu die grundsätzlichen (theologischen, pädagogischen, rechtlichen) Überlegungen und die Praxisbeispiele in Bernd Schröder (Hg.): Religion im Schulleben, Neukirchen-Vluyn 2006. 23 45 DIE BISHERIGEN SAARBRÜCKER RELIGIONSPÄDAGOGISCHEN HEFTE Heft 1 (2006): Evangelische Bildungskonferenz Saar: Globalisierung und Bildung – Auswirkungen in der Region Heft 2 (2006): Martin Stöhr: Abrahamische Ökumene –Leitbild für Theologie und Religionsunterricht? Heft 3 (2006): Bernhard Dressler: Religiöse Bildung in der Schule „nach PISA“ – warum und wozu? Heft 4 (2007): Konfessionen und Religionsgemeinschaften im Saarland – Selbstdarstellungen Heft 5 (2007): Werkstatt RU – Rainer Lachmann: 40 Jahre religionspädagogische Mittäterschaft Heft 6 - 2007 Saarbrücker Religionspädagogische Hefte 6 UNIVERSITÄT DES SAARLANDES Fachrichtung Evangelische Theologie Zu den Saarbrücker Religionspädagogischen Heften Seit dem Jahr 2006 gibt die Fachrichtung Evangelische Theologie der Universität des Saarlandes die „Saarbrücker Religionspädagogischen Hefte“ heraus. In lockerer Folge werden darin l theologische bzw. religionspädagogische Vorträge oder Aufsätze, l Dokumentationen, l Unterrichtsentwürfe und -materialien für den evangelischen Religionsunterricht veröffentlicht. Es handelt sich um Beiträge, von denen wir meinen, dass sie für Religionslehrerinnen und -lehrer sowie alle Anderen, die insbesondere im Saarland an Fragen evangelischer Bildungsverantwortung interessiert sind, aufschlussreich und anregend sein können. Um die Hefte zu einem anregenden Forum zu gestalten, laden wir Religionslehrerinnen und -lehrer aller Schulformen, Theologinnen und Theologen und andere religionspädagogisch Aktive ein, uns eigene Arbeiten, die zur Wahrnehmung von Bildungsverantwortung aus evangelischer Perspektive beitragen können, zur Veröffentlichung zuzusenden. Vor der Veröffentlichung behalten wir uns allerdings eine Prüfung vor. Die Hefte sind gegen eine Schutzgebühr (Selbstkostenpreis) im Sekretariat unserer Fachrichtung (0681/302-4376 oder -2349) erhältlich; sie stehen unter www.uni-saarland.de/EvangelischeTheologie zum kostenlosen Download zur Verfügung. Verantwortlich für die Herausgabe und im Sinne des Presserechts: Professor Dr. Bernd Schröder Universität des Saarlandes Fachrichtung Evangelische Theologie Postfach 15 11 50 66041 Saarbrücken 0681/ 302-2949 [email protected]