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1.) Einführung Differentielle- & Persönlichkeitspsychologie: Was ist die Differentielle und Persönlichkeitspsychologie?

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1.) Einführung Differentielle- & Persönlichkeitspsychologie: Was ist die Differentielle und Persönlichkeitspsychologie?
Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
1.) Einführung Differentielle- & Persönlichkeitspsychologie:
a.) Was ist die Differentielle und Persönlichkeitspsychologie?
(„differentiell“ im Sinne von: Unterschiedlichkeit bzw. Verschiedenheit oder Variabilität)
1. Differentielle Psychologie = Beschreibung von Analyse von Wahrnehmungsunterschieden;
Unterschiede gehen nicht auf die Manipulation durch den Versuchseiter zurück. (Beschreibung
interindividueller Unterschiede)
2. Persönlichkeitspsychologie = Derjenige Zweig der empirischen Psychologie, der sich mit der
Beschreibung (Deskription), Vorhersage (Prognose) und Erklärung (Explikation)
verhaltensrelevanter individueller Besonderheiten von Menschen beschäftigt.
b.) Teilgebiete der Differentiellen Psychologie:
1. Idiographische Disziplinen = Für Beide wird eine streng empirische Vorgehensweise gefordert.
• Psychographie = Eine Person wird in Bezug auf viele Merkmale untersucht.
• Komparationsforschung = Zwei oder mehrere Personen werden in Bezug auf viele
Merkmale untersucht.
2. Nomothetische Disziplinen = Sucht nach allgemeinen Aussagen oder Gesetzen & geht von
Gruppen von Personen aus.
• Variationsforschung = Ein Merkmal wird an vielen Personen untersucht.
• Kovariationsforschung = Zusammenhänge zwischen zwei oder mehreren Merkmalen
werden an vielen Personen untersucht.
c.) Beispiele von Studien in der Differentiellen Psychologie:
Scottish Mental Survey (1932)
- 87.498 Schulkinder im Alter von 11 Jahren wurden mittels eines Intelligenztest untersucht
(Moray House Intelligenztest).
- Erneuter IQ-Test der Probanden im Erwachsenenalter (N = 600+ durch erneuten IQ-Test, DNA,
N = 100+ MRI)
Studie 1: Zusammenhang zwischen IQ im Kindesalter und Überleben im Alter von 76. (Whalley &
Deary, 2001)
• N = 2.792 im Kindesalter getestete Personen aus dem Ort „Aberdeen“ und geboren 1921, von
denen 65 Jahre später N = 2.230 Personen ausfindig gemacht werden konnten.
Ergebnis:
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Skript 2015
Maximilian Bungart
• Der IQ im Alter von 11 Jahren weist einen positiven Zusammenhang mit der Überlebenswahrscheinlichkeit auf. (Sowohl für Männer als auch für Frauen)
[Mittlerer IQ (SD) im Kindesalter (1997: lebendig vs. verstorben)]
Männer: 102,5 (14,8) vs. 98,9 (15,6)
Frauen: 101,5 (13,6) vs. 95,9 (14,8)
• Effekt ist bei Frauen deutlicher ausgeprägt, da „Kriegsmortalität“ in der Gruppe der Männer.
Studie 2: Zusammenhang zwischen IQ im Kindesalter & Gesundheitsverhalten (Rauchen) im
mittleren Erwachsenenalter. (1932)
• Einteilung in „Raucher“, „Nie-Raucher“ und „Ex-Raucher“
• Kein Zusammenhang zwischen IQ im Kindesalter und der Variable „Nie-Raucher vs.
Irgendwann mal geraucht“ (100,5 vs. 99,7, N = 926, nicht signifikant)
• Hingegen wiesen Noch-Raucher geringere IQ-Werte im Kindesalter auf als Ex-Raucher (98,5
vs. 103,7, N = 688, Signifikant p < .01)
(Kein Zusammenhang zwischen „jemals geraucht“, „nie geraucht“ mit IQ-Unterschieden.
Aber „Noch-Raucher“ hatten niedrigeren IQ als „Ex-Raucher“.)
• Interpretation: Intelligentere Personen haben nach dem Bekanntwerden der gesundheitlichen
Risiken des Rauchens mit größerer Häufigkeit aufgehört.
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Skript 2015
Maximilian Bungart
2.) Faktorenanalyse:
• Unter dem Begriff der Faktorenanalyse (FA) wird eine Gruppe multivariater Analyseverfahren
zusammengefasst, deren Ziel es ist, zugrunde liegende gemeinsame Dimensionen von
Variablenmengen (z.B. Items) aufzudecken.
• In der Regel leistet die FA eine Datenreduktion, indem sie die Variation in einer Vielzahl von
Variablen auf eine deutlich geringere Zahl von gemeinsamen Faktoren zurückführt.
Historischer Abriss:
•
•
•
•
Beginn um die Jahrhundertwende, vorangetrieben durch die Intelligenzforschung.
Entdeckung für die Persönlichkeitsforschung durch Cattell, Eysenck & Guilford.
Ständige Weiterentwicklung - heute ein Sammelbegriff für eine Reihe von Verfahren.
Heute eine relativ einfache rechnerische Anwendung durch EDV-Entwicklung.
a.) Problemstellung:
• Zur Erklärung menschlicher Verhaltensweisen sind häufig viele Einflussfaktoren (Variablen) zu
berücksichtigen. (Sehr komplex und überdeterminiert. Simultane Berücksichtigung ist wichtig)
• Je größer die Zahl der notwendigen Erklärungsvariablen ist, um so weniger ist gesichert, dass
diese unabhängig voneinander zur Erklärung eines Sachverhalts notwendig sind. (Wenn 2
Variablen korrelieren, hat man redundante Informationen. „Nicht Redundanz“ = wechselseitige
Unabhängigkeit - Eine Vielzahl dieser Variablen hat gemeinsame Varianz -> sie korrelieren)
• Aus der Vielzahl möglicher Variablen sollen die voneinander unabhängigen Einflussfaktoren
herausgefunden werden, die dann weiteren Analysen zugrunde gelegt werden können.
(Herausfiltern der Variablen, die tatsächlich unabhängig voneinander sind)
b.) Ziel:
•
•
•
•
Datenreduktion bzw. Wunsch nach Einfachheit (Parsimonität - Einfachstruktur/Wenig Faktoren)
Überprüfung der Dimensionalität komplexer Merkmale.
Verwendung „exploratorisch“ oder „konfirmatorisch“.
Eine relativ große Anzahl von Variablen wird auf eine kleinere Anzahl von sogenannten
„Faktoren“ reduziert, ohne dabei wesentlich an Information zu verlieren. (aus Korrelationen die
zugrunde liegenden Faktoren erschließen.)
(Variablen korrelieren miteinander, stellen also partiell das Gleiche dar & können dann zu Faktoren
zusammengefasst werden, z.B. 150 Fragebogenitems zu 4 Faktoren.)
c.) Grundprinzip der Hauptkomponentenanalyse (PCA):
• Variablen können nach ihrer korrelativen Beziehung in voneinander unabhängige Gruppen
klassifiziert werden.
• Einsatz in der Erforschung latenter Persönlichkeitsdimensionen, welche interindividuellen
Unterschieden in beobachtbaren Verhaltensweisen (Indikatoren) zugrunde liegen.
Vorgehen:
1.) Erhebung der Korrelationsmatrix
2.) Extraktion der Faktoren
3.) Bestimmung der Kommunalitäten
4.) Zahl der Faktoren
5.) Faktorinterpretation und Faktorrotation
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1.) Ausgangspunkt: Erhebung der Korrelationsmatrix der zu unters. Variablen (Testwerte)
- Faktor: Hypothetische Größe, die das Zustandekommen von Korrelationen erklärt.
- Korrelationsmatrix bildet die Basis der Faktorenextraktion.
- Ziel: Eine Struktur finden, die die Daten beschreibt und Informationen liefert. Faktoren, die mit
allen Ursprungsvariablen möglichst hoch korrelieren & wechselseitig unabhängige Faktoren, die
die Zusammenhänge zwischen den Variablen erklären. (keine zusätzliche Redundanz)
- „Welche Dimensionen liegen den Leistungen zugrunde?“
- hohe Korrelationen = wenige varianzstarke Faktoren (Generalfaktoren); niedrige Korrelationen
= viele Faktoren mit geringen Eigenwerten.
2.) Extraktion der Faktoren: Grundbegriffe: (Grundgleichung der Faktorenanalyse)
1.) Faktor: „Ein Faktor ist ein nicht beobachtbares latentes Konstrukt, das messbaren
Variablenausprägungen zugrunde liegt.“ (z.B. „Extraversion“)
2.) Faktorenextraktion: „Die Bestimmung des Faktorenraumes durch Schätzung der Ladungen der
Faktoren auf Basis der Korrelationsmatrix der beobachteten Variablen mit dem Ziel, dass die
Faktoren möglichst viel gemeinsame Varianz aufklären.“ (Wie viele Variablen liegen einem Faktor
zugrunde?)
3.) Faktorwert: „Die Faktorwerte „fmj“ beschreiben die individuellen Ausprägungen einer Person m
auf den i.d.R. rotierten Faktoren j. Sie können am Ende der FA für alle Personen bestimmt
werden.“ (Wert im Faktor/Ergebnis der Items)
Persönlicher Wert, der den Personen auf den neuen Faktoren zugeordnet wird. Gibt an, wie stark
die in diesem Faktor zusammengefassten Merkmale bei dieser Person ausgeprägt sind. Grafisch
also die Projektion der Person auf die neuen Achsen. (Der Punktwert auf der Extraversionsskala)
4.) Faktorladung: „Die Faktorladung „aij“ einer Variablen i auf einen Faktor j beschreibt die Stärke
des Einflusses des Faktors auf die Variable. Sie kann wie ein Korrelationskoeffizient interpretiert
werden.“ (Werden im standardisierten Fall zwischen -1 und 1 schwanken — Ladung = Korrelation
einer Variablen mit dem Faktor, d.h. „die Variable wird durch den Faktor gut abgebildet“)
Korrelation zwischen einer Variablen i und einem Faktor j
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5.) Eigenwert: „Der Eigenwert λj eines Faktors j gibt an, wie viel Varianz der Variablen
durch den Faktor erklärt wird.“ (Der Eigenwert wird empirisch durch die Faktorenanalyse bestimmt.
Er bezieht sich auf den Faktor und die aufgeklärte Varianz innerhalb.)
Gibt an, welcher Anteil der Gesamtvarianz aller Variablen durch diesen Faktor j
aufgeklärt wird. Aufsummierung der quadrierten Ladungen des Faktors j über
alle Variablen (Items) i:
• Je höher die Variablen korrelieren, desto größer der Eigenwert des ersten
Faktors. (Faktor ist unbedeutend, wenn er weniger Varianz als 1 aufklärt; > Ein Faktor erklärt
mehr Varianz als eine einzelne Variable.)
• Errechnen anhand der Faktorladungen (dadurch Bestimmung von Kommunalität, Eigenwerten
und % aufgeklärter Varianz)
6.) Kommunalität: „Die Kommunalität „hi²“ einer Variablen i gibt an, welcher Varianzanteil dieser
Variablen durch alle Faktoren erklärt wird.“ (Gegenstück zum Eigenwert. Jede Variable hat eine
Kommunalität)
Aufsummierung der quadrierten Ladungen einer Variablen i über alle Faktoren:
Lässt sich anhand der Faktorladungen errechnen.
Anteil der Varianz einer Variablen, der durch die Gesamtheit der Faktoren
aufgeklärt wird. (Bei z-standardisierten Variablen also nie größer als 1)
7.) Anteil erklärter Varianz: Steht mit Eigenwert in Zusammenhang: z-standardisierten Variablen ist
Varianz = 1. Anteil der durch den Faktor erklärten Varianz wird daher so errechnet:
Erklärte Varianz = (Eigenwert des Faktors/Variablenanzahl)*100
Der Wert einer Person auf einer Variablen (Item/Testwert) lässt sich als Linearkombination aus
mehreren, gewichteten Faktoren beschreiben.
Variablen besitzen: Faktorladung, Kommunalität
Faktoren besitzen: Eigenwert
Personen besitzen: Faktorwert
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Maximilian Bungart
Beispiel: Schematische Veranschaulichung der Beziehungen von Faktorladungen,
Kommunalitäten & Eigenwerten anhand von 4 Variablen und 2 Faktoren.
Wichtig:
• f- und a-Werte werden in der PCA so bestimmt, dass die vorhergesagten Werte möglichst
gering von den tatsächlichen x-Werten abweichen.
• Faktoren so bestimmen, dass sie Wechselseitig voneinander unabhängig sind (grafisch =
orthogonal) und sukzessiv (kontinuierlich) maximale Varianz aufklären.
• Je mehr Varianz einer Variablen ein Faktor aufklärt, desto besser sagt er die betreffende
Variable vorher.
• Eigenwert beschreibt wie gut ein bestimmter Faktor die Variablen vorhersagt - jedoch kein
Schluss darauf, welche Variable er besonders gut vorhersagt und welche weniger gut.
• Kommunalität beschreibt wie gut eine Variable durch alle Faktoren zusammen erklärt/
vorhergesagt wird - daraus kann man jedoch nicht auf den Beitrag eines spezifischen Faktors
schließen.
Mögliche Ergebnisse einer FA:
Kinder bearbeiten einen Intelligenztest: „verbaler“ (V), „nonverbaler“ (NV) und „quantitativer“ (Q)
Teil mit je 2 Aufgaben. ( = Drei-Faktoren-Modell)
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Maximilian Bungart
Wichtig: Das oben dargestellte Modell ist nicht Realitätsnah. Dies wäre der Fall wenn alle
Faktoren & Variablen zusätzlich noch miteinander zusammenhängen. Außerdem fordert die
„Einfachheit“, dass fette Ladungen so hoch wie möglich und alle anderen so niedrig wie möglich
sein sollten. (Einfachheit ist wichtig zur Interpretation)
SCHÄTZUNG!
(Die Kommunalität muss geschätzt werden, damit die Faktorenanalyse überhaupt beginnen kann)
3.) Bestimmung der Kommunalitäten: Extraktionsverfahren
Wie kommt man zu der Zahl der Faktoren, die man extrahieren kann?
Kommunalitätenproblem: Vor der Extraktion der Faktoren müssen die Kommunalitäten geschätzt
werden, deren Werte man noch nicht kennt. (Schätzung der gemeinsamen Varianz einer Variablen
mit den übrigen zu faktorisierenden Variablen)
• Ziel: Erhalt einer Einfachstruktur
• Problem: Kommunalitäten sind unbekannt und müssen geschätzt werden.
• Lösung: Unterschiedliche Techniken der FA verwenden unterschiedliche Schätzmethoden.
1.) Hauptkomponentenanalyse (PCA = Principal components analysis)
Bei der PCA wird angenommen, dass die Varianz jeder einzelnen Variable durch die gemeinsamen
Faktoren vollständig aufgeklärt wird. „Varianz einer Variablen kann vollständig durch Extraktion von
Faktoren erklärt werden, Kommunalität wird 1.“ (die komplette Varianz wird aufgeklärt)
- Varianz einer Variablen wird vollständig durch die Extraktion von Faktoren erklärt.
- Kommunalität wird mit 1.0 angegeben.
- Implizite Annahme einer messfehlerfreien Erfassung der Faktoren.
!!! Die Summe der Kommunalitäten deckt sich bei der PCA mit der Anzahl der Variablen !!!
- Nicht in Betracht gezogen: Fehlervarianz (schlechte Reliabilität der Messungen) und Spezifität.
- Die meisten in der Literatur berichteten FA’s sind Hauptkomponentenanalysen (PCA)
Exkurs: Einfachstruktur
• Jede Variable weist nur auf einem Faktor eine hohe Ladung auf. (d.h. Variablen sind eindeutig
zu den Dimensionen zuzuordnen)
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Auf allen anderen Faktoren liegt die Ladung nahe 0.
• Jeder Faktor kann anhand derjenigen Variablen, die hoch auf ihm laden, inhaltlich interpretiert
werden.
• Jede Variable kann eindeutig einem Faktor zugeordnet werden.
—> kann als beobachteter Indikator des latenten Konstruktes betrachtet werden.
Wie erreicht man sie?
• Mit der Faktorenextraktion
wird eine Einfachstruktur
angestrebt.
• Interpretation des Faktors
mit Hilfe der
Faktorladungen (Korrelation
der ursprünglichen
Variablen mit den Faktoren)
Klassisches Bild von 2
unabhängigen Faktoren. (90
Grad = Unabhängigkeit)
Achsennähe und Extremlage
klären Zusammenhang auf.
Versucht einer Interpretation:
Faktor 1 korreliert hoch mit Mathe und Physik („rechnerische Fähigkeiten“)
Faktor 2 korreliert hoch mit Englisch und Deutsch („sprachliche Fähigkeiten“)
2.) Faktorenanalyse im eigentlichen Sinne (PFA - Faktorenanalytisches Modell)
Hier wird unterstellt, dass sich die Varianz einer Variablen in die Kommunalität und die
Einzelrestvarianz (Spezifität) aufteilt. Es wird versucht, realistische Kommunalitätseinschätzungen
zu Grunde zu legen. (Kommunalität bleibt unter 1 -> meist geringere Faktorladungen als bei PCA)
Exkurs: Spezifität Die Gesamtvarianz einer Variablen (i) setzt sich zusammen aus:
Kommunalität (h²i), Spezifität (s²i) und Fehler (e²i)
(Der Fehler lässt sich errechnen als e²i = 1 - r²ii)
(Kommunalität: geteilte Varianz mit anderen Variablen, „aufklärbare Varianz“ durch andere Variablen/
Faktoren. — Spezifität: Dinge, die nur diese eine Variable hat. — Error: Rauschen, das nie aus einer
Variablen herausgefiltert werden kann, „Nicht aufklärbar“)
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Maximilian Bungart
Cattell Anhänger des faktorenanalytischen Modells, Guilford & Eysenck führten auch PCA’s durch.
„Schätzung der Kommunalitäten“
Methoden:
1. Größte Korrelation in der Zelle/Spalte einer Korrelationsmatrix.
2. Quadrierte multiple Korrelation R² zwischen der Variablen und allen anderen Variablen der
Korrelationsmatrix.
3. Iteratives Verfahren: beginnend mit Startwerten (R²) wird Hauptachsenanalyse gerechnet, die
verbesserte Schätzung dient als neuer Startwert.
- Varianz einer Variablen wird nicht vollständig durch die Extraktion von Faktoren erklärt.
- Kommunalität wird mit Werten < 1.0 angenommen. (Ausgangspunkt ist die quadrierte multiple
Korrelation der Variablen —> es wird daher nur die Varianz eines Items analysiert, die es mit
den restlichen Items teilt)
- Die Faktorladungen sind meist geringer als bei der PCA.
ABER: je größer die Variablenzahl, desto geringer die Unterschiede in beiden Verfahren.
(Bekannteste Varianz: „Hauptachsenmethode“ — Kommunalitäten im voraus geschätzt)
Unterschied: Bei der PCA wird sie auf 1 gesetzt und bei FA im eigentlichen Sinne geschätzt.
4.) Zahl der Faktoren: Bestimmung der Anzahl relevanter Faktoren (Wie viele Faktoren
extrahiere ich? - „Abbruchkriterium“)
• Grundlegendste Entscheidung bei der Durchführung einer FA:
- Festlegung jener Anzahl von Faktoren, die als hinreichend zur Erklärung der Variation in
den beobachteten Variablen angesehen werden.
- Dilemma: je mehr Faktoren, desto mehr Gesamtvarianz wird aufgeklärt, desto geringer ist
jedoch die Datenreduktion. (Devise = Je mehr man extrahiert, desto besser wird
aufgeklärt)
- Lösung: Entscheidung ist subjektiv, es stehen aber statistische Hilfen zur Verfügung.
• Auswahl relevanter Faktoren erfolgt anhand verschiedener Methoden:
a.) Kaiser-Guttman-Kriterium: (am häufigsten verwendet)
• Vorgehen: Alle Faktoren mit Eigenwerten > 1 werden als relevant erachtet & extrahiert.
• Anspruch: Ein Faktor soll mehr Varianz als eine Variable aufklären
• „erklärt mehr Varianz, als eine Variable mitbringt“ (Wert 1, da standardisiert)
• Problem: Faktorenzahl wird v.a. bei größerer Variablenzahl häufig überschätzt. Systematischer
Anstieg der Faktoren mit Anstieg der Variablenzahl
• Verwendung ist eigentlich nicht zu empfehlen, denn man würde dazu neigen zu viele Faktoren
zu extrahieren.
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Differentielle Psychologie
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Datenbeispiel:
Output einer FA in SPSS (Extraktionsmethode ist
hier die PCA)
• Alle Kommunalitäten sind anfänglich auf 1
gesetzt (siehe oben).
• Extraktion = quadrierte Ladungen aufsummiert.
(z.B. 0.673 = 67% Varianzaufklärung)
• 6 extrahierte Faktoren entsprechen 6 Analyse. 6
Faktoren, da 6 Variablen.
(3,45/6*100 = 57,5) — hier braucht man also nur 1 Faktor um die Varianz aufzuklären. Nur 1
Faktor extrahieren, da nur dieser über dem Wert 1 liegt.
• Das „Drei-Faktoren-Modell“ hat sich also damit nicht
bestätigt. (siehe Beispiel oben). Die Daten sind eher mit
einem „Generalfaktor-Modell“ vereinbar. (g - IQ ist einer
der besten Prädiktoren der Psychologie)
Grafische Darstellung der Eigenwerte:
• wurde verwendet um sich über die Faktorenzahl
zu verständigen.
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b.) Scree-Test nach Cattell: (schlecht, da grafisch)
Vorgehen: Optische Inspektion des Eigenwertverlaufs auf Basis einer grafischen Darstellung
(„Scree-Plot“ bzw. „Eigenwertediagramm“)
• Es wird nach einem „Knick“ gesucht, ab
dem sich der Eigenwertverlauf
asymptotisch der Abszisse annähert. (xAchse)
• Hierzu wird eine Gerade in den Scree-Plot
gelegt.
• Faktoren mit Eigenwerten, die oberhalb der
Geraden liegen, werden als bedeutsam
erachtet und extrahiert/angenommen.
• Anspruch: mit einem Minimum an Faktoren
ein Maximum an Varianz erklären.
• Problem: Beruht auf subjektiver
•
•
•
•
•
Einschätzung, d.h. manchmal kommen
mehrere mögliche „Knicke“ in Frage.
Mehrere Unterbrechungen in der Geraden.
Keine Unterbrechungen in der Geraden, die
eine objektive Entscheidung ermöglichen.
Meist mehr als eine „ideale“ Linie.
Entscheidung hängt auch von Art der
grafischen Darstellung ab.
Weniger auf mathematischen/statistischen
Grundlagen als auf Erfahrungswerten
entwickelt.
c.) Parallelanalyse nach Horn:
Vorgehen: Extraktion von Faktoren, die mehr Varianz aufklären als in zufälligen Datensets.
• Eigenwerteverlauf der empirisch ermittelten Korrelationsmatrix wird mit demjenigen der
•
•
•
•
Korrelation zwischen normalverteilten Zufallsvariablen verglichen.
Empirisch ermittelte Faktoren, die die Zufallsfaktoren übertreffen sind bedeutsam.
grafische Darstellung kennzeichnet die Eigenwerte als bedeutsam, die sich vor dem
Schnittpunkt der beiden Verläufe befinden.
Diese Methode liefert die genauesten Ergebnisse.
Probleme: Keine
• Gemittelte Eigenwerte aufgrund von
Zufallsdaten.
• „Warum ist sie zu
bevorzugen?“ (Klausurfrage)
• Idee: Entscheidung ob ein Faktor mehr
Varianz erklärt als er muss. Nicht einfach
nur eine fixe Größe mit endlichen
Datensätzen. Irgendwann ist alles erfasst,
man hat also eine Datenmatrix — die Zahl
der Variablen ist endlich.
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Horn vs. Kaiser-Guttman:
• KG überschätzt die Faktorenzahl, wenn die Korrelationen der Stichprobe durch zufällige
Faktoren beeinflusst werden (besonders bei kleinen Stichproben)
• Korrelationen von Zufallszahlen in Population (mit N = unendlich) wären 0 und alle Eigenwerte
1,0 (d.h. hier läge Kaiser-Guttman richtig).
• in Stichprobe ergeben sich für die ersten Faktoren aber Werte über 1 & für die späteren unter 1.
—> Parallelanalyse ist also eine auf Stichproben bezogene Adaption des KG-Kriteriums.
5.) Faktoreninterpretation und Faktorenrotation:
• Die Faktorladung gibt Hinweise für die Faktorinterpretation.
• Ein Faktor ist aber schwer zu interpretieren, wenn viele Variablen unterschiedlich stark auf ihn
laden.
• Geben die Ladungen keine eindeutigen Hinweise, werden Faktoren rotiert.
Nochmal: Einfachstruktur (Thurstone) Rotationskriterium & Erleichterung der Interpretation.
1. auf einem Faktor sollen einige Variablen möglichst hoch und andere möglichst niedrig laden.
2. auf verschiedenen Faktoren sollten verschiedene Variablen möglichst hoch laden.
Faktorenrotation: (Durch die Rotation ändern sich die Eigenwerte)
• Ziel: Erhalt einer Einfachstruktur & soll die Interpretierbarkeit der Faktoren erleichtern.
• Problem: Bei Faktorenextraktion werden die Faktorladungen so gewählt, dass die Faktoren
sukzessive (kontinuierlich) maximale Varianz aufklären. Der daraus resultierende Faktorenraum
ist hinsichtlich des Ladungsmusters der Variablen inhaltlich nur schwer zu interpretieren, da die
einzelnen Variablen meistens auf viele Faktoren laden.
• Lösung: Drehung des Faktorenraums (Faktorenrotation; Transformation der Faktorladungen)
1.) Orthogonale (rechtwinklige) Rotation:
• Annahme: Die Faktoren korrelieren nicht
untereinander!
• Die Unabhängigkeit der Faktoren bleibt also
erhalten. (Unkorreliertheit der eingangs
extrahierten Faktoren wird beibehalten.)
• Die rotierten Faktoren sind entsprechend
als unkorrelierte latente Dimensionen
interpretierbar.
• Interpretierbarkeit, Faktorladungen,
Faktorwerte und Eigenwerte ändern sich.
• Kommunalitäten und der Anteil aufgeklärter
Varianz ändern sich nicht.
• Grafisch: Drehkreuz weiterdrehen, bis
einige Faktoren sehr hoch und andere
niedriger laden. (Faktorachsen bleiben in
rechtem Winkel zueinander)
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2.) Oblique (schiefwinklige) Rotation: (redundant, sie korrelieren ein wenig)
• Grundidee: Unabhängigkeit/Unkorreliertheit der Faktoren wird aufgegeben.
• Achsen in einem schiefen Winkel zueinander rotieren. (bzw. in jedem beliebigen Winkel)
• Vorteil: vereinfacht die Interpretation, da das Kriterium der Einfachstruktur leichter erreicht
•
•
•
•
•
werden kann. (Die Faktoren können zum besseren Erreichen einer Einfachstruktur auch
Zusammenhänge untereinander aufweisen.)
Interkorrelation der Faktoren wird in einer Korrelationsmatrix angegeben.
Aber: Faktoren beinhalten redundante Information.
Faktorladungen, Eigenwerte, Faktorwerte ändern sich.
Kommunalitäten und der Anteil aufgeklärter Varianz ändern sich nicht.
Die Oblique Rotation erschafft neue Korrelationen und ermöglicht damit eine weitere
Faktorenanalyse.
Fazit: Die Rotation verändert die Interpretierbarkeit, Faktorladungen und Eigenwerten, nicht aber
die Kommunalitäten. (Klausurfrage: „Was ändert die Rotation?“)
Datenbeispiel einer Rotation:
(Zwei-Faktoren-Ladungsmatrix bei 10 Items vor und nach der Rotation der Faktoren)
Einfachstruktur: 1
maximieren, den Rest
minimieren/reduzieren.
Die Items 1-5 erklärt
Faktor 1 sehr gut, den
Rest der 2 Faktor.
• Oblique Rotation führt zu einem Drei-Faktoren Modell korrelierter Faktoren (Zwischen diesen 3
Faktoren können Korrelationen bestehen, welche es ermöglichen 1 erneute FA durchzuführen)
• Dies wäre der Ausgangspunkt für ein „Mehr-Ebenen-Strukturmodell“
Aufklärung durch weiteren Faktor (Stufenweises Vorgehen eines Mehrstufen-Modells)
—> Führt zu Faktoren höherer Ordnung.
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Faktoranalysen höherer Ordnung = Korrelationsmatrizen obliquer Faktoren werden faktorisiert,
und das Ergebnis rotiert. Dies führt zu Faktoren zweiter, dritter, etc. Ordnung, die abstrakte
Beschreibungsdimensionen sind.
3.) visuelle/grafische vs. analytische Rotation
4.) Kriteriumsrotation/Prokrustes-type-Rotation:
• Wird eingesetzt, um Faktorstrukturen, die aus unabhängigen Stichproben stammen,
miteinander zu vergleichen. (z.B. Intelligenzstruktur bei Männern und Frauen)
• Vergleichsstruktur so rotieren, dass sie maximale Ähnlichkeit mit gut interpretierbarer Lösung (= Zielstruktur) aufweist.
• Voraussetzung: Strukturen basieren auf gleichen Variablen & die Anzahl der Faktoren muss
übereinstimmen.
d.) Grenzen der Faktorenanalyse:
1.) Stichprobengröße:
• Wichtigste Voraussetzung für stabile Schätzungen der Ladungsmuster ist eine hinreichend
große Stichprobe.
• Faustregel: Stichprobenumfang muss mindestens die Zahl der Variablen deutlich überschreiten.
• Interpretation von Faktoren mit relativ niedrigen Ladungen sollte nur mit großer Vorsicht
erfolgen - vor allem bei kleiner Stichprobe.
2.) Skalenniveau: Faktorenanalyse ist konzipiert für Intervall- & verhältnisskalierte Daten.
3.) Art des Zusammenhangs: Faktorenanalyse berücksichtigt ausschließlich (rein) lineare
Zusammenhänge.
e.) Probleme bei der Faktorenanalyse:
1.) Kommunalitätenproblem: Kommunalitäten sind bei der Faktorenextraktion nicht bekannt und
müssen geschätzt werden. (PCA oder FA im eigentlichen Sinne)
2.) Extraktionsproblem: Wie viele Faktoren sollen extrahiert werden? (Kaiser-Guttman, Scree-Test,
Parallelanalyse)
3.) Rotationsproblem: Ob und wie sollen die Faktoren rotiert werden, um eine Einfachstruktur und
damit eine bessere Interpretierbarkeit zu erreichen? (Orthogonale & Oblique Rotation)
4.) Interpretationsproblem: Interpretation der Faktoren erfolgt i.d.R. anhand der Variablen, die hohe
Ladungen aufweisen.
- Benennung sollte den inhaltlichen Kern des Faktors möglichst prägnant charakterisieren.
- und sollte im Einklang mit der gängigen Terminologie stehen.
Merke:
„Bei der FA & der Interpretation der Faktoren geht es nicht um „richtig“ oder „falsch“, sondern um
Zweckmäßigkeit, Einfachheit, Interpretierbarkeit und Einbettung in das empirisch-theoretische
Netz. Insbesondere ist es sinnlos zu fragen, ob zwei Faktoren „in Wirklichkeit“ orthogonal oder
schiefwinklig sind.“
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Differentielle Psychologie
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f.) Zusammenfassung:
• Die FA ist ein datenreduzierendes, heuristisches und hypothesengenerierendes Verfahren.
Ausgangspunkt:
• Korrelationen zwischen den gemessenen Variablen: Konstruktion einer „synthetischen“
Variablen = Faktor.
• Dieser Faktor stellt also eine gedacht, theoretische Variable bzw. ein Konstrukt dar, das allen
wechselseitig hoch korrelierenden Variablen zugrunde liegt.
• Faktor wird aus Variablen herauspartialisiert, es ergeben sich Variablenzusammenhänge, die
nicht durch den Faktor erklärt werden können. (Rest)
• Zur Erklärung dieser Restvarianz wird ein weiterer Faktor bestimmt.
Aufgaben des Faktorenanalytikers:
• Herausfinden desjenigen Ordnungssystems, das mit den theoretischen Kontexten der
untersuchten Variablen am besten zu vereinbaren ist.
• Ausgehend von den faktorenanalytischen Ergebnissen werden Hypothesen über Strukturen
formuliert, von denen wir vermuten, dass sie den untersuchten Merkmalen zugrundeliegen.
g.) Hauptkomponentenanalyse in SPSS:
1.) PCA = Analysieren —> Dimensionenreduzierung —> Faktorenanalyse
2.) Variablenauswahl = Variablen auswählen —> mit Pfeil reinziehen —> Extraktion
3.) Faktorextraktion = Methode: Hauptkomponenten —> Bei erster Durchführung ist es häufig
sinnvoll alle Faktoren mit einem Eigenwert > 1 zu extrahieren (später bestehen evtl. genauere
Vorstellungen über die Anzahl der zu extrahierenden Faktoren) —> Weiter.
4.) Faktorrotation = Rotation —> „Varimax“ (orthogonale); „Oblimin, direkt“ oder
„Promax“ (schiefwinklige)
5.) Faktorwerte = „Werte“, Faktorwerte können über „als Variablen speichern“ in der Datenmatrix
gespeichert werden.
6.) Nachdem alles ausgewählt ist „OK“ drücken.
Outputs:
Output 1: Kommunalitäten (z.B. „Anfänglich 1.000 Extraktion .554“)
Output 2: Erklärte Gesamtvarianz
(Gesamt = Eigenwerte — % der Varianz die durch den jeweiligen Faktor aufgeklärt wird)
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Wie viele Faktoren werden extrahiert?
• Nach Kaiser-Guttman wären es 16 Faktoren (da 16 über 1 liegen)
Output 3: Wie sieht es mit dem Scree-Test aus?
• Nicht eindeutig! Evtl. 19? Wie viele „Elbows“? 5?
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• Nach der Parallelanalyse (Horn - 1966)
- Erzeugt 100 Datensätze mit Zufallszahlen, unter Vorgabe der Variablenanzahl (hier: 60) und
des N (hier 388). Rechnet in jedem Datensatz eine PCA und mittelt die Eigenwertverläufe. Gibt
diese mittleren Eigenwerte aus:
Vergleich der Spalten „Gesamt“ (bei „Erklärte Gesamtvarianz“) und „Means“ (bei „Random Data
Eigenvalues“). Es wird so lange verglichen, bis ein Faktor der eigenen Analyse kleiner/schlechter
(<) ist als der Wert des Random Datensatzes. (Im Beispiel ist bei 6 Gesamt < Means)
—> Also werden 5 Faktoren extrahiert.
• Diese 5 zu extrahierenden Faktoren müssen dann im Menüpunkt „Extraktion“ bei „Feste Anzahl
von Faktoren“ eingegeben werden.
Output 4: Komponentenmatrix (unrotiert & rotiert)
• unrotierte Faktorladungsmatrix („Komponentenmatrix“) = Korrelationen der Variablen mit den
Faktoren.
• rotierte Faktorladungsmatrix = (im Sinne der Einfachstruktur) optimierte Korrelationen der
Variablen mit den Faktoren.
Checkliste:
Faktorladung, Hauptkomponentenanalyse, Eigenwert, Grundgleichung der Faktorenanalyse,
Kommunalität, Spezifität, Kaiser-Guttman-Kriterium, Faktorwert, PCA, Scree-Test, Orthogonale,
Rotation, Faktorenanalyse im engeren Sinne, Parallelanalyse, Kommunalitätenproblem,
Faktorladungsmatrix, Oblique Rotation, Einfachstruktur, Faktoren zweiter Ordnung.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
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3.) Intelligenz
Intelligenz als psychologisches Konstrukt: (mit einer ausgeprägten Forschungstradition)
+ Test hoch reliabel, breitgefächerte Validität & Alltagsrelevanz.
- Gesellschaftspolitische Brisanz, Ideologische Färbung, Falsche Annahmen zu Entstehung &
Beeinflussbarkeit, Interdisziplinäre Missverständnisse.
a.) Begriffsbestimmung: (Was ist Intelligenz?)
Nach Wechsel (1964): „Intelligenz ist die zusammengesetzte oder globale Fähigkeit des
Individuums, zweckvoll zu handeln, vernünftig zu denken und sich mit seiner Umgebung
wirkungsvoll auseinander zu setzen.“
Nach Neisser et al. (1996): „Individuals differ from one another in their ability to understand
complex ideas, to adapt effectively to the environment, to learn from experience, to engage in
various forms of reasoning, to overcome obstacles by taking thought.“
• Es geht also um die Fähigkeit, Probleme durch Nachdenken mehr oder weniger gut lösen zu
können.
• Welcher Art diese Probleme sind, wird dabei zunächst offen gelassen.
• Bis heute ein zentrales Thema der Intelligenzforschung ist die Frage: „Stellt Intelligenz ein
homogenes Konstrukt dar oder lassen sich verschiedene strukturelle Komponenten der
Intelligenz unterscheiden?“
• Standardverfahren zur IQ-Messung erfassen üblicherweise ein Set spezifischer verbaler &
nonverbaler kognitiver Fähigkeiten. (z.B. Wortschatz, verbale Produktion, numerische oder
räumliche Aufgaben, Wahrnehmungsgeschwindigkeit, schlussfolgerndes Denken, etc.)
Intelligenzmodelle auf der Zeitachse:
Spearman 1904 —> Thomson 1916 —>
Thorndike 1920 —> Thurstone 1938 —> Burt
1949 —> Vernon 1950 —> Guilford 1956 —>
Cattell 1966 —> Jensen 1969 —> Jäger 1984
—> Carroll 1992.
b.) Ursprünge & Entwicklung des IQ: (Frühe Erfassung der Intelligenz)
1.) Mental Tests:
• Beginn der Erfassung mentaler Fähigkeiten bereits in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts:
McKeen - Cattell (Schüler Wilhelm Wundts) & Galton.
- Annahme: intellektuelle Funktionen sind über die Leistungsfähigkeit der Sinnesorgane
bestimmbar.
• Die Idee war also „Speed & Accuracy“, jedoch war die Konsistenz der persönlichen
Leistungsfähigkeit über verschiedene Situationen hinweg nicht hoch. (Die verschiedenen
Einzelmaße maßen Verschiedenes und hatten somit keine Validität)
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„Reizdiskriminationsforschung“:
• Ziel: mittels Reaktionszeitmessungen und Tests zum Unterscheidungsvermögen (visuell, auditiv,
taktil) akademische Befähigung vorherzusagen. (Reaktions- und Unterscheidungsvermögen)
• Probleme dieser Forschungstradition:
- hohe intraindividuelle Variation.
- mittlere Interkorrelationen der Testverfahren r = .09 (nicht signifikant; Schwankungen
zwischen -0,28 und 0,39) —> Keine bedeutenden Zusammenhänge zwischen Test.
- keine hinreichenden Beziehungen zu Kriteriumsmaßen (z.B. Lehrurteilen oder
Schulerfolg) (Wissler, 1901) —> Probleme in Reliabilität & Kriteriumsvalidität.
2.) Alfred Binet (1857-1911):
• War ein Kritiker der Spezifität und der sensorischen
Ausrichtung der Mental Tests.
• Er schlug vor andere Merkmale zu messen: Gedächtnis,
Vorstellungskraft, Aufmerksamkeit, Verständnis,
Suggestibilität.
• Zählen heute nicht mehr dazu: Willensstärke (heute eher
„Ambitioniertheit“), motorische Fähigkeiten, moralische
Haltungen.
- 1904: medizinisch-pädagogische Gutachten werden in
Frankreich Bedingung für die Einweisung in Sonderschulen.
- 1905: stellen Binet und Simon 30 Aufgaben vor, die
zwischen „schwachsinnigen“ und normalen Kindern
differenzieren konnten (funktionierten relativ gut)
- 1908 & 1911: Revisionen der Tests und stärkerer
Altersbezug. (Staffelmodell = Aufgaben, die ein 5-Jähriger
lösen kann, ein 6-Jähriger aber schon)
Staffeltests:
• Binet & Simon entwickelten für jede Altersstufe zwischen 3 und 15 Jahren 5 oder mehr
heterogene und unterschiedlich schwere Aufgaben, die von 50-75% der Kinder des
entsprechenden Alters gelöst werden konnten.
- Eine Aufgabe war besonders gut für eine Altersgruppe geeignet, wenn sie von möglichst
vielen Kindern dieses Alters, nicht aber von jüngeren Kindern gelöst werden konnte.
• Maß der Intelligenz: Intelligenzalter (IA - Vorläufer des IQ)
- sollte im Mittel über alle Kinder, nicht aber im Einzelfall, dem Lebensalter (LA) entsprechen.
(Je höher (als das LA) das IA ist, umso besser entwickelt ist ein Kind)
Bsp.:
Altersstufe 6 = „Erkennt das hübschere von zwei Gesichtern“, „Kennt rechts und links“ (zeigt auf
das richtige Ohr), „Wiederholt einen Satz mit 16 Silben“.
Altersstufe 7 = „Konstruiert einen sinnvollen Satz aus den Worten XY“, „Kennt die Monate des
Jahres in der richtigen Reihenfolge“, „Erinnert sich an 9 Geldstücke“.
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Intelligenzalter (IA) berechnen: (könnte in Klausur kommen)
IA = GA + x * 12/5 + (5/2 * 12/5) [= 6 Monate]
(Es wird immer 6 addiert, da manche Kinder auch nicht „genau“ 8 (etc.) Jahre alt waren.)
GA = Grundalter —> Alter (in Monaten), bis zu dem ein Kind sämtliche Aufgaben richtig löste.
x = zusätzlich gelöste Aufgaben der folgenden Altersstufen.
Wie lautet das Intelligenzalter des Kindes?
IA = 96 + 5 * 12/5 + 6 = 114 Monate ≈ 9,5 Jahre
Kritik an Staffeltests:
• Scheitern der Entwicklung trennscharfer Aufgaben für höhere Altersstufen. (Binet hält
Intelligenzentwicklung mit 15 Jahren für abgeschlossen; Ausdifferenzierung lediglich in
qualitative Komponenten)
• Gleichgewichtung der Aufgaben auf allen Altersstufen (Gleichgültig, ob ein 9 jähriges Kind eine
Aufgabe für 7 jährige nicht, dafür aber eine für 11 jährige lösen konnte)
• Hohe Sättigung („sehr häufig“) der Aufgaben mit verbalen und bildungsabhängigen Inhalten.
(Abhängigkeit vom SES - Social Economic Status der Eltern)
• Differenz zwischen Intelligenzalter (IA) und Lebensalter (LA) hat auf verschiedenen Altersstufen
völlig unterschiedliche Bedeutung. (je jünger die Kinder, umso drastischer gleiche Differenzen;
z.B. 2 IA-Einheiten bei einem 4- vs. einem 10-jährigen Kind)
3.) William Stern und der Intelligenzquotient (IQ):
Ursprungsformel — IQ = (IA/LA) * 100
• Vorteil: Gewährleistung einer Konstanz der Interpretation
von Leistungsvorsprüngen bzw. - Rückständen auf
verschiedenen Altersstufen (= vom Alter unabhängiger
Bezugsmaßstab). (bei Veränderung von IA und Differenz
zum LA, fällt IQ dann auf allen Altersstufen gleich aus)
• Voraussetzung: Lineare Zunahme von Intelligenz im Alter
(ABER: negative Beschleunigung!)
• Konsequenz: Absurd niedrige IQ-Werte im höheren
Lebensalter, d.h. IQ verläuft nicht linear. (Das Lebensalter
nimmt zu, die Intelligenz aber nicht - d.h. Ältere Menschen
würden im Schnitt viel schlechtere Werte haben. Die Lösung
ist der Abweichungskoeffizient.)
= Ausgangspunkte für den Abweichungsquotienten
(Wechsler, 1939)
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4.) David Wechsler (1896-1981): „Abweichungs-IQ“/WISC
• Verbreitung des Stanford-Binet Tests (1960)
• WISC (Wechsler Intelligence Scales - deutsch: (HA)WIE =
(Hamburg) Wechsler Intelligenztest für Erwachsene)
• Hohe Zusammenhänge mit Binet-Tests, aber Ermittlung
eines „Abweichungs-IQ“.
- Empirischer Befunde: Leistungsstreuung jeder
Altersgruppe um einen Durchschnittswert. (wird mit 100
gleichgesetzt)
- Individuelle Leistung: Differenz zum MW, bezogen auf
die jeweilige Streuung der Altersgruppe (Standardisierung)
Abweichungs-IQ = 100 + s * (X-M)/𝝈
s = 15 (aus Gründen der Konvention; willkürlich; 10 im IST)
X = individueller Rohwert
M = empirischer Mittelwert der altersspezifischen RohwerteVerteilung.
𝝈 = empirische Standardabweichung der altersspezifischen Rohwerte-Verteilung.
Hamburger-Gesamtskala, Alter 10-60 Jahre
• nach Wechsler (1964)
• Kurve des Intelligenzanstieges und -abfalls. Die
Varianz nimmt zu und im fortgeschrittenen Alter
gibt es mehr Unterschiede als vorher.
• Verteilung des IQ’s ist nicht perfekt normal
(Normalverteilung nur theoretisch).
• Kurve von Intelligenzanstieg und -abfall: am
höchsten etwa Mitte 20, dann langsamer aber
kontinuierlicher Abfall, dabei im Handlungsteil
frühere und deutlichere Verluste.
Vorteile des Abweichungs-IQ:
• altersadäquate Abbildung kognitiver Fähigkeiten; einheitliche Kommunikationsgrundlage;
direkte Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Testverfahren.
• Verteilung des Abweichungs-IQ: Benennung einzelner Abschnitte auf der kontinuierlichen IQWerteverteilung haben eher historischen Wert („Stigmatisierung“ - ab wann „retardiert“?)
Vorteil der Transformation individueller Rohwerte in Abweichungsäquivalente:
Ermöglicht Vergleich der Werte…
• einer Person zu unterschiedlichen Zeitpunkten im gleichen Test.
• einer Person in unterschiedlichen Tests.
• unterschiedlicher Personen (im gleichen oder verschiedenen Tests)
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Skript 2015
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Theoretische Normal-Verteilung:
• Theoretische „Normal-Verteilung“ von IntelligenzQuotienten (hellblau) und die in empirischen
Untersuchungen gefundene tatsächliche Verteilung
(dunkelblau).
• Die „Beule“ am unteren Ende ist für
Demonstrationszwecke übertrieben dargestellt.
• Veränderungen der Leistungen im Verbal- und
Handlungsteil.
• Verbalteil = Allgemeinwissen,etc.
• Handlungsteil = Lösung von Problemen, etc.
Viele verschiedene verbale Definitionen von Intelligenz, aber: Entwicklung eines klaren und
konsensfähigen Verständnisses davon, welche Fähigkeiten Intelligenz umfasst und wie bedeutsam
die Prädiktionskraft dieses Konstrukts ist.
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1.) Zwei Faktoren Theorie von Spearman (1904):
(Charles E. Spearman - 1863-1945)
c.) Strukturmodelle der Intelligenz:
• Erstes Strukturmodell der Intelligenz.
• Kern = Alles kann durch einen Faktor erklärt werden — g
• Kritik an frühen Messungen, die kaum Zusammenhänge
zwischen den Einzelaufgaben zeigten: Zu viele Tests (22
Aufgaben in 45 Minuten), Gruppentestung. (systematische
Varianz wurde „unterdrückt“)
• Schlussfolgerung Spearmans aus Versuchsreihen an
Kindern:
„that there really exists a something that we may proviosionally
term a ,General intelligence’“ (g = general mental ability)
• Grundannahme der Theorie: Jedes Maß der Intelligenz beruht
auf einem Anteil allgemeiner Intelligenz (g) sowie einer
spezifischen Komponente für den jeweiligen Test (s).
g-Faktormodell grafisch:
1. Die Varianz von Intelligenztests (S1-9) geht teils auf g zurück und ist
teils spezifisch. (2 Faktoren-Theorie)
2. Die spezifischen Anteile der Tests sind unkorreliert, d.h. die
Korrelation zwischen 2 Tests ist eine direkte Funktion des
Ausmaßes, in dem die beiden Tests g erfassen. (g-Ladungen)
• Manche Tests „markieren“ g stärker, manche schwächer —>
Überlappung. Jeder Test besitzt eine „Spezifität“ bzw. „Rauschen“
• Wenn 1. und 2. gelten, dann enthält jeder Summenwert aus
verschiedenen Tests relativ mehr g und weniger s als jeder der
Einzeltests. (Korrelation zwischen 2 Tests sagt direkt aus in wie
weit sie g erfassen)
- bei Aggregation von Maßen desselben Konstruktes wird gemeinsamer Faktor „stärker“
und der spezifische immer „schwächer“.
- Bei Einzelverhalten gibt es einen hohen Messfehler, der sich durch Testung mehrerer
Items zu demselben Faktor verringert.
- Testverlängerung um Reliabilität zu erhöhen. (Spearman
Brown Prophecy Formel.)
- Minderungskorrektur (Minderungskorregierte Korrelation)
Psychometrische Erfassung von g:
• Aufgrund seiner Konzeption als gemeinsamer Faktor kann g
nicht mit einem einzelnen Intelligenztest gemessen werden.
• Es bedarf einer Testbatterie mit möglichst breit
ausgewählten Einzelverfahren.
• Ist diese Auswahl der Tests repräsentativ, so ist der
gemeinsame Faktor dieser Tests eine gute Annäherung an
g. (Matrizenaufgaben von Raven: laden besonders hoch auf
g — Besitzen innere Logik, nur 1 Antwort stimmt.)
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2.) Primärfaktorenmodell von Thurstone (1938):
(Louis L. Thurstone - 1887-1955)
• Modell mehrerer gemeinsamer Faktoren.
• Thurstone (1931) untersuchte in Korrelationsmatrizen, die
nach der Extraktion des g-Faktors verbliebene Restvarianz
mit Hilfe der von ihm entwickelten „multiplen
Faktorenanalyse“.
• Er entdeckte eine Gruppe von Faktoren, die von ihm als
„primary abilities“ (Primärfaktoren der Intelligenz) bezeichnet
wurden. (Aufgabe der Forderung nach nicht überlappender
Trennbarkeit einzelner Variablengruppen.)
• Diese Faktoren sind in ihrer Anzahl begrenzt und stehen
gleichberechtigt nebeneinander.
• Beim Lösen beliebiger kognitiver Aufgaben sollen immer
mehrere dieser Faktoren in unterschiedlicher Gewichtung
beteiligt sein.
Annahme:
• Denkleistungen lassen sich nicht ausreichend durch einen gund jeweils einen spezifischen Faktor erklären.
• Sie können vielmehr durch mehrere nebeneinander stehende
generelle Faktoren erklärt werden. (= Gruppenfaktoren —
spiegeln je eine „primäre“ Fähigkeit wider)
• Berechnung EINES Intelligenzwertes verbietet sich nach
dieser Auffassung. (Spezifischere Faktoren sind nicht immer
mit einem einzigen Test gekoppelt)
• Intelligenz einer Person kann als Profil der Ausprägungsgrade einzelner Primärfaktoren dargestellt werden.
• Primärfaktoren allgemeiner als spezifische Faktoren nach
Spearman —> stets weniger Primärfaktoren als verwendete
Testverfahren. (Schaubild: Faktor —> Aufgabe)
Empirische Studie:
• In seiner ersten großen Studie
untersuchte Thurstone (1938) 218
Collegestudenten mit einer aus 56 Tests
bestehenden Testbatterie.
• Aus den hiermit gewonnenen Daten
identifizierte er 9 Faktoren.
• In der Literatur werden gewöhnlich die
durch seine eigenen Arbeiten und die
Arbeiten anderer Wissenschaftler am
besten gesicherten 7 Primärfaktoren
genannt und beschrieben.
(Ladung = Korrelation. Für Faktor 1 würde man also eher auf 1,2 und 3 schauen. P = Perzeption
(Wahrnehmungsgeschwindigkeit), W = Wortflüssigkeit - weniger komplex)
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Thurstones Primärfaktoren: („7-9“ da unter 7. Induction und Reasoning auftaucht)
1. Verbal comprehension (Wortschatz, Sprachverständnis, sprachlogisches Denken)
2. Word fluency (Fähigkeit, möglichst schnell viele Worte zu produzieren, die bestimmten
strukturellen und symbolischen Erfordernissen genügen)
3. Number (Gewandtheit - Schnelligkeit & Präzision - bei der Ausführung einfacher
Rechenoperationen)
4. Space (räumliches Vorstellungsvermögen bei zwei- und dreidimensionalen Objekten)
5. Memory (Fähigkeit, kurz zuvor eingeprägte Informationen und Assoziationen richtig
wiedergeben zu können)
6. Perceptual speed (Fähigkeit zur schnellen und genauen visuellen Wahrnehmung von Details)
7. Induction oder Reasoning (Denkfähigkeit, Fähigkeit zum induktiven und deduktiven Denken)
Kritik:
• Problem unterschiedlicher Breite der Faktoren. (in manchen Tests ist „Reasoning“ drin, Space
kaum - Reasoning ist breit, Space nicht, manche relativ spezifisch, andere eher allgemein,
daher auch unterschiedlich wichtig: reasoning z.B. wichtiger als die anderen)
• Veränderungen der Liste von Primärfaktoren über die Zeit.
• Vorschlag Cattell: Fähigkeiten und Temperament nicht hinreichend zu trennen,
„Universalindex“ (Persönlichkeitsaspekte - z.B. Frustrationstoleranz)
Primärfaktoren in Testverfahren:
• Verfahren, die vor dem Hintergrund der Primärfaktorentheorie entwickelt wurden, sind der IST
(Intelligenz-Struktur-Test) nach Amthauer, die Tests LPS und PSB von Horn oder die McCarthy
Scales for Children’s Abilities (MSCA)
(Intelligenz-Struktur-Test 2000-R)
Beispiel 1: (Zu-/Umordnungsaufgaben)
Wald:Bäume = Wiese:?
a) Gräser b) Heu c) Futter d) Grün e) Weide
(Gräser ist hier richtig)
Beispiel 2: (Rechenaufgaben)
60-10 = A — A = ? (50)
Beispiel 3: (Mentale Rotation)
Beispiel 4: (Vervollständigen oder Korrigieren)
(Oft wird man nicht mit dem Test fertig. Dies ist gewollt - der Zeitdruck sorgt für eine bessere
Differenzierung zwischen den guten & den schlechten Probanden.)
Wichtig: Intelligenztests sind so gemacht, dass sie Geschlechtsneutral sind. Aufgaben wurden
weggelassen, die zwischen Mann und Frau unterscheiden können.
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1+2.) Spearman vs. Thurstone - Ein unüberwindlicher Gegensatz?
Synthese beider Modelle ohne Weiteres möglich!
(Generalfaktor vs. Primärfaktoren)
Einflüsse die g vs. Primärfaktoren begünstigen:
1.) Auswahl der Tests: (Art des Tests)
• Thurstones Tests korrelierten weniger stark miteinander als die von Spearman. (Homogenität ist
dann gut, wenn es um das innere eines Tests geht.)
• heterogenere oder unreliablere Tests führen zu mehr Faktoren. (heterogene Tests = geringere
Korrelation mit den Tests. Größerer Messfehler Anteil und geringere Chance mit anderen Tests
zu korrelieren - sie in einem anderen Test abzubilden)
2.) Merkmale der Stichprobe: (Art der Stichprobe)
• Verwendung einer homogenen Studentenstichprobe bei Thurstone.
• homogenere Stichproben führen aufgrund der Varianzeinschränkung zu mehr Faktoren.
Auswirkung der Varianzeinschränkung:
Linke Abbildung:
• Ellipse = positive Abbildung der Korrelation (über .60)
• Punktewolke = Problem. Kreis als Zusammenhang wäre nur 0.20 (wenn man z.B. nur die
„guten“ hätte) —> „Schöne Ellipse“ oder „doofer Kreis“
Rechte Abbildung Oben:
• Bild Links oben: diejenigen die einen Punktwert > 0.30 haben (z.B. wenn man nur Studierende
hat, mit einem hohen NC —> positive Auswahl)
• Korrelation halbiert sich bzw. schrumpft. Der Trend ist immer noch positiv.
• Top-Werte in dem einen Test = auch in dem anderen.
• Im anderen Test sind die besseren noch besser.
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3.) Verwendete Rotationsmethode: (Primärfaktoren interkorrelieren)
• Thurstone rotierte schiefwinklig, die Primärfaktoren selbst korrelieren in einer Höhe von 0.35.
(0.35 ist so viel, dass man es nochmal mit einer Faktorenanalyse faktorisieren könnte.)
• In Re-Analysen konnte aus den Primärfaktoren ein weiterer Faktor höherer Ordnung extrahiert
werden.
• Theoretische Annahmen der Modelle waren ursprünglich wenig vereinbar, Empirie ermöglicht
Integration der Befunde.
„Thurstone’s Studien haben nicht gezeigt, dass g nicht existiert, sondern, dass sich g
aufgliedern lässt in Komponenten, die in positiver Beziehung zueinander stehen“
(Brody, 1992)
3.) Gruppenfaktorenmodell von Burt & Vernon (1949, 1950):
• Gefallen würde Spearman: Spezifische Bereiche und g Faktor als
Zentrum.
• Die Überlappungsbereiche würden ihm jedoch nicht gefallen.
• Problem des „overlap between specifics“
Reaktion auf die Überlappungsbereiche innerhalb der s-Faktoren:
• Burt (1949) und Vernon (1950) postulieren neben dem g-Faktor
und den s-Faktoren sogenannte „Gruppenfaktoren“ und
konstruierten daraus ein „hierarchisches Intelligenzmodell“.
•
•
•
Die einzelnen Buchstaben stehen für Faktoren.
Die Allgemeine Intelligenz g gliedert sich in die beiden größeren (Haupt-)Gruppenfaktoren
(„major group factors“) v:ed („verbal-educational“) und k:m („spatial and motor abilities“) auf.
Darunter liegen minor group factors und specific factors:
-
v,w = linguistische bzw. literarische Fähigkeiten
f = fluency
n = numerical
p = perceptual
i = inductive
• Die einzelnen Ebenen werden von Burt & Vernon nicht als völlig getrennt betrachtet. Vielmehr
nehmen die Autoren „fließende Übergänge“ oder gar „Überschneidungen“ zwischen den
einzelnen Ebenen an. (z.B. „n“)
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• Diese Querverbindungen taten dem Modell nicht gut. (z.B. versteht man eine Aufgabenstellung
mit mathematischem Verständnis besser als ohne)
• Dieses hierarchische Intelligenzmodell wird als ein Kompromiss zwischen Spearman’s ZweiFaktorentheorie und dem Modell mehrerer gemeinsamer Faktoren von Thurstone (1938, 1945)
betrachtet.
Grundgedanke des Modells:
• Es gibt Faktoren, die eindeutig zugeordnet sind und andere sind anderen Aufgaben zugeordnet.
(Primär- und Sekundärfaktor)
4.) Theorie der fluiden und kristallinen Intelligenz: R.B. Cattell (1966):
Synthese der Modelle von Spearman (g) und Thurstone (PMA)
(Grundgedanke: Einbindung der Primärfaktoren in hierarchisches Modell)
1.) Primärfaktoren:
• z.B. verbale, visuelle Fähigkeiten sowie induktives Schlussfolgern („Reasoning“).
• erinnern an Thurstones „Primary Mental Abilities“.
2.) Faktoren zweiter Ordnung: (zweiten „Stratums“ - „Strata“ = Ebenen, sind festgelegt/absolut)
• gf und gc (korrelieren meistens um .4 bis .4)
• Stratum impliziere eine absolute Position und Einfluss des Faktors.
• Die theoretischen Annahmen der Modelle waren ursprünglich wenig vereinbar; die empirische
Befundlage ermöglicht Integration.
3.) Faktor dritter Ordnung:
• erinnert an Spearmans „g“: gf korreliert stärker mit g als gc (—> gf und gc = g)
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Annahme:
• Der g-Faktor setzt sich aus 2 voneinander unabhängigen Komponenten zusammen.
• Also: 2 generelle Faktoren, die Spearmans g vollständig ersetzen.
• 1. Ebene: verschiedene miteinander korrelierte Primärfaktoren.
• 2. Ebene: Die beiden generellen Faktoren. (übergeordnete Ebene).
• 3. Ebene: erinnert an Spearmans g, korreliert stärker mit fluider Intelligenz.
„Fluide Intelligenz“:
• Fähigkeit, sich neuen Situationen anzupassen, neuartige Probleme zu lösen, ohne dass
gelerntes Wissen eine bedeutsame Rolle spielt.
• Von Geburt an vorhanden und relativ unabhängig von kulturellen Einflüssen.
„Kristalline“ Intelligenz:
• kognitive Fertigkeiten, die durch Kumulierung von Lernerfahrungen seit der Geburt entwickelt
wurden.
• Verarbeitung vertrauter Informationen und Anwendung von Wissen.
• Bildet sich aus „se“ (schulische, erzieherische Erfahrung - Gelerntes) und Motivation/
Gedächtnis (was auf erlernte themenspezifische Inhalte wirkt).
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Resultate aus Studien, in denen gf und gc identifiziert wurden:
(Nach Horn (1968) — diese Faktorladungsmatrix wäre rotiert.)
„Investment“ Theorie:
•
•
•
•
•
•
gf(h) ist die fluide Intelligenz in einem früheren Lebensalter.
gf(h) wird in die aktuelle fluide und kristalline Intelligenz investiert. (Investment-Theorie)
gf wirkt sich v.a. auf Fähigkeiten aus, die beim Lösen der „culture-fair“-Tests gebraucht werden.
gc wirkt v.a. auf Fähigkeiten, die beim Lösen genereller kognitiver Aufgaben benötigt werden.
Gelernte themenspezifische Inhalte wirken auf gc.
Motivation und Gedächtnis wirken über die gelernten Inhalte auf gc.
Investment Theorie: gf(h) wird in gf und gc investiert.
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„Culture Fair“ Aufgaben nach Cattell:
• Test, bei dem Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Schichten Chancengleichheit
•
•
•
•
•
besitzen sollen - sprachfrei, Testung von gf-Fähigkeiten. (da unabhängig von gc und damit von
Erziehung, Erlerntem etc.)
Die Faktoren lassen sich deshalb relativ kulturfrei erfassen, weil dabei Materialien verwendet
werden können, die den Mitgliedern verschiedener Gesellschaften gleich gut vertraut sind - die
spezielle Aufgabe gleichwohl neuartigen Charakter aufweist.
Der „Culture Fair Test“ von Cattell soll gf erfassen.
Demgegenüber wird gc hauptsächlich durch Wortverständnis, Satzbildung und Satzergänzung
markiert, die in hohem Maße kulturspezifische Elemente beinhalten.
Damit: gf = Fähigkeit, sich neuen Problemen/Situationen anzupassen, ohne dass Lernerfahrung
benötigt wäre — gc = kognitive Fertigkeiten durch Effekte vorangegangenen Lernens entfaltet
und verfestigt.
Unterschiedliche Verläufe = gf sinkt mit dem Alter ab, gc steigt an.
(Bestätigung des Modells in aktuellen Studien.)
Beispiele für „culture fair“ Aufgaben:
Zusammenfassung:
-
Cattell als Synthese zwischen Spearmans und Thurstones Ansätzen.
fluide und kristalline Intelligenz
Struktur des Modells
„culture-fair“
Investment Theorie
Gute Bestätigung in aktuellen Studien.
(Klausurfrage: „Bitte umreißen sie die Aspekte der fluiden und kristallinen Intelligenz bei Cattell“)
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5.) Intelligenzstrukturmodell von Guilford (1956): (nicht gut bestätigt, störrisch, verfrachtet)
„Structure-of-Intellect“-Modell
Guilford-Würfel. (120 Miniwürfel)
• Grundgedanke: Beschreibung,
•
•
•
•
Klassifikation & Erklärung intellektueller
Prozesse.
Intelligenzleistungen werden nach Inhalten
(4), Operationen (5) und Produkten (6)
strukturiert.
Aus deren Zusammenwirken entstehen die
jeweils spezifischen Faktoren (4*5*6 = 120)
120 unterschiedliche intellektuelle
Fähigkeiten, die miteinander 0-korreliert
sein sollen.
Erstes Intelligenzmodell, das „Verhalten“
zum Inhalt macht.
Input —> Operation —> Output
(Bilden Seiten des Würfels)
• Guilfords Behauptung: 120 Kombinationen seien unabhängig voneinander — dies machte seine
Theorie nicht tragfähig.
• Abkehr vom Hierarchiegedanken, keine Annahme eines g-Faktors.
Schematische Darstellung:
• Jeder Faktor wird durch seine spezifische Position auf jeder der drei Dimensionen definiert.
• Zusammenhänge zwischen Faktoren, deren Position in einer oder zwei Dimensionen
übereinstimmen, werden dabei nicht angenommen.
• Alle Faktoren werden als unabhängig vorausgesetzt.
Inhalte (Input):
• Figural (F): Vorliegen von Informationen in konkreter Form, wie sie in der Form von
Vorstellungen wahrgenommen und erinnert werden. Verschiedene Sinnesqualitäten können
beteiligt sein: visuelle, auditive, kinästhetische oder eventuell andere. (Es liegt ein Symbol vor,
nur Grundbeziehung ist wichtig, nicht das was es repräsentiert)
• Symbolisch (S): Vorliegen der Information in der Form von Zeichen, die keinen Sinn in sich
oder für sich allein haben, wie: Buchstaben, Zahlen, Musiknoten, Codes und Wörter. (Teil eines
größeren Systems)
• Semantisch (M): Vorliegen der Information in der Form von bedeutungshaltigen Begriffen oder
geistigen Konstrukten, auf die Wörter oft angewendet werden.
• Verhalten (B): Vorliegen der Information, die bei menschlichen Interaktionen eine Rolle spielen,
wobei Einstellungen, Bedürfnisse, Wünsche, Stimmungen, Absichten, Gedanken, usw. von
anderen und uns selbst eingeschlossen sind.
Operationen/Vorgang:
• Kognition (C): Schnelles Entdecken, Bewusstheit, Wiederentdeckung oder Wiedererkennen
von Information in den verschiedenen Formen, Verständnis oder Begreifen.
• Gedächtnis (M): Fixierung der neugewonnenen Information im Speicher. Die Operationen des
Gedächtnisses sind vom Gedächtnisspeicher zu unterscheiden.
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• Divergente Produktion (D): Entwicklung logischer Alternativen aus gegebener Information,
wobei die Betonung auf der Verschiedenheit, der Menge und der Bedeutung der Ergebnisse
aus der gleichen Quelle liegt. (z.B. „wie viele Alternativbegriffe kennen sie für das Wort XY?“ gerne zur Messung von Kreativität verwendet)
• Konvergente Produktion (N): Entwicklung logischer Schlussfolgerungen aus gegebener
Information, wobei die Betonung auf dem Erreichen der einzigen oder im üblichen Sinne besten
Lösung liegt.
• Evaluation (E): Vergleich von Information, in Begriffen von Variablen und Urteilen, ob ein
Kriterium erreicht ist. (Korrektheit, Identität, Konsistenz, usw. - Bewertung von Information)
Produkte (Output):
• Einheiten (U): Relativ getrennte und abgegrenzte Teile oder „Brocken“ von Information, die
„Dingcharakter“ haben.
• Klassen (C): Begriffe, die Sätzen von Informationen, die nach ihren gemeinsamen Merkmalen
•
•
•
•
gruppiert werden, zu Grunde liegen.
Beziehungen (R): Verbindungen zwischen Informationen, die sich auf Variablen oder
Berührungspunkte anwenden lassen. („a wie b ist wie c zu d“)
Systeme (S): Organisierte oder strukturierte Ansammlungen von Informationen, Komplexen
von zusammenhängenden oder sich beeinflussenden Teilen.
Transformationen (T): Veränderungen verschiedener Art (Redefinitionen, Übergänge,
Wechsel) bei vorhandener Information. (z.B. „stimmiger Überbegriff für mehrere
Informationen“… etc.)
Implikationen (I): Zufällige Verbindungen zwischen Informationen, wie Kontiguität, oder eine
andere Bedingung, die „Zugehörigkeit“ zur Folge hat. („was könnte gemeint sein mit …“ besseres Verständnis von Dingen die Menschen „meinen“)
Der heuristische Wert des S-I-Modells:
• Rahmen zur Ableitung von Hypothesen noch nicht differenzierter Faktoren, sowie für die
Konzipierung der dazugehörigen Tests. („Trigramme“ = 3 Elementekombination)
Beispiel 1:
Untersuchte Fähigkeit: „Konvergente Produktion symbolischer Einheiten“ (NSU)
• Entwicklung einer einzigen logischen Schlussfolgerung aus der Anordnung dieser symbolischen
Einheiten. (Kern: Regel erschließen & Fehler identifizieren.)
Operation: N (Konvergente Produktion)
Inhalt: S (Symbolisch)
Produkt: U (Einheiten)
Beispiel 2:
Untersuchte Fähigkeit: „Konvergente Produktion semantischer Einheiten“ (NMU)
• Entwicklung des einzigen, bestmöglichen Lösungswortes.
Operation: N (Konvergente Produktion)
Inhalt: M (Semantisch)
Produkt: U (Einheit)
33
Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Beispiel 3:
Untersuchte Fähigkeit: „Kognition semantischer Beziehungen“ (CMR)
• Begreifen von Wortbeziehungen.
Operation: C (Kognition)
Inhalt: M (Semantisch)
Produkt: R (Beziehung/Relation)
Untersuchte Fähigkeit: „Kognition figuraler Beziehungen“ (CFR - „Kognition Figuraler Relation)
• Begreifen von figuralen Beziehungen.
Operation: C (Kognition)
Inhalt: F (Figural)
Produkt: R (Beziehung/Relation)
Unterschied: Beide Testtypen unterscheiden sich lediglich hinsichtlich ihres Formates (der eine mit
Wörtern, der andere mit Figuren) und dennoch beziehen sie sich (nach Guilford) auf zwei
„verschiedene“ Fähigkeiten (CMR, CFR). (Kognition, weil man mit dem vorhandenen Material
arbeitet)
Beispiel 4:
Untersuchte Fähigkeit: „Kognition behavioraler Implikationen“ (CBI)
• Begreifen einer Aussage/eines Verhaltens, die/das eine bestimmte Information impliziert (vgl.
Empathie)
Operation: C (Kognition)
Inhalt: B (Verhalten)
Produkt: I (Implikation)
„Was bedeutet ein bestimmtes Verhalten?“
(Wie ist die Person? - Intonation wichtig, daher später im Audio-Format.)
Beispiel 5:
Untersuchte Fähigkeit: „Divergente Produktion semantischer Systeme“ (DMS)
Entwicklung logischer alternativer Systeme in Wortform: Alle Sätze müssen aus vier Buchstaben
bestehen mit jeweils den immer gleichen Anfangsbuchstaben in derselben Reihenfolge etc. (vgl.
Kreativität)
Operation: D (Divergente Produktion)
Inhalt: M (Semantisch)
Produkt: S (Systeme)
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Beispiel 6:
Untersuchte Fähigkeit: „Evaluation semantischer Transformationen“ (EMT)
• Bewertung eines Textes (mit den vorhandenen Informationen)
Operation: E (Evaluation)
Inhalt: M (Semantisch)
Produkt: T (Transformationen)
Kritik an Guilford’s S-I-Modell:
• Unabhängigkeit der Faktoren, Replizierbarkeit der Faktorenstrukturen und Zuverlässigkeit
seiner verwendeten Testverfahren wurden immer wieder kritisiert (zu homogene Stichproben z.B. nur mit College Studenten, Heterogenität der untersuchten Merkmale — 120 Stück)
• Unabhängigkeit kann nicht aufrecht erhalten werden. (76% der Korrelationskoeffizienten sind
signifikant positiv; r(a,b) > 0 — d.h. Teilbereiche sind verwandt)
—> Reduzierung des Modells auf wenige Faktoren.
• Es müssen auch Faktoren höherer Ordnung berücksichtigt werden:
3. Ordnung (16)
2. Ordnung (85)
1. Ordnung (12)
—> Annäherung an ein Hierarchisches Modell
(Sekundär- & Tertiäranalyse)
Fazit:
• Guilford war mit seinem Modell empirisch nicht erfolgreich.
• Jedoch erweist es sich für die Forschung als sehr stimulierend.
• Erstmalig war „Kreativität“ Bestandteil der Intelligenz-Struktur.
6.) Jäger: Berliner Intelligenz-Struktur-Modell (1984):
(Adolf Otto Jäger - 1920-2002)
• Sammeln von allen bis Mitte der 70er Jahre in der Literatur
beschriebenen Intelligenztestaufgaben (ca. 2000 Stück)
• Reduktion der Aufgaben nach den Kriterien „Erhaltung der Vielfalt
des Aufgabenmaterials“ und „ausreichende Repräsentation
bestehender Strukturmodell“ auf eine Menge von 98
Aufgabentypen, insgesamt 191 Aufgaben.
• Die 98 Aufgabentypen wurden einer Stichprobe von 545 Berliner
Schülerinnern und Schülern der Klassen 12 und 13 vorgelegt.
• Diese mussten die Aufgaben im Abstand von 4 Jahren zweimal
bearbeiten. Jäger analysierte die Ergebnisse und entwickelte
daraus sein Modell. („BIS“)
• Anspruch: Erarbeitung eines Strukturmodells auf empirischer
Basis von Variablenstichproben, die die Vielfalt der intellektuellen
Leistungsformen möglichst umfassend repräsentiert.
• Integration von Elementen aus Spearman, Thurstone & Guilford.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Kernannahmen:
• An jeder Intelligenzleistung sind (neben anderen Bedingungen) alle intellektuellen Fähigkeiten
beteiligt, allerdings mit unterschiedlichen Gewichten.
• Intelligenzleistungen können hinsichtlich verschiedener Aspekte klassifiziert werden. Im BISModell bi-modale Klassifikation in „Operationen“ und „Inhalte“.
• Fähigkeitskonstrukte sind hierarchisch strukturiert, d.h. sie lassen sich unterschiedlichen
Generalitätsebenen zuordnen.
• Struktur: als hierarchisch, bi-modal (Operationen,
Inhalte) deskriptives Modell aufgebaut.
• 7 generelle Hauptkomponenten, 2 Modalitäten
(verschiedene Aspekte, unter denen sich die
Intelligenzleistung klassifizieren lässt)
1. Modalität: Operationen (operative Fähigkeiten)
Bearbeitungsgeschwindigkeit (B), Gedächtnis (G),
Einfallsreichtum (E), Verarbeitungskapazität (K).
2. Modalität: Inhalte (inhaltsgebundene Fähigkeiten)
Figural-bildhaft (F), Verbal (V), Numerisch (N).
• Unterschied zu Guildford: in den Zellen der bi-modalen
Matrix finden sich keine Primärfaktoren, sondern die
multifaktoriell bedingten Leistungen.
- Durch verknüpfen dieser Faktoren entsteht die
dargestellte Matrix mit 12 Feldern.
- Es gibt auch eine allg. Komponente, die als Generalfaktor „g“ allen Intelligenzleistungen
gemeinsam ist.
- Die allgemeine Intelligenz „g“ spielt im BIS die Rolle eines Integrals über alle Komponenten. Er
steht an der Spitze der Fähigkeiten-Hierarchie. (g = Integral aller Komponenten „Allgemeine
Intelligenz AI“ - „gBIS“)
Operationen: (operative Fähigkeiten)
• Bearbeitungsgeschwindigkeit (B): Arbeitstempo, Auffassungsgeschwindigkeit und
Konzentrationskraft beim Lösen einfach strukturierter Aufgaben von geringem
Schwierigkeitsniveau.
• Merkfähigkeit/Gedächtnis (M/G): Aktives Einprägen und kurzfristiges Wiedererkennen oder
Reproduzieren von verschiedenartigem Material.
• Einfallsreichtum (E): Flexible Ideenproduktion, die Verfügbarkeit vielfältiger Informationen,
Reichtum an Vorstellungen und das Sehen vieler verschiedener Seiten, Varianten, Gründe und
Möglichkeiten von Gegenständen und Problemen voraussetzt, wobei es um problemorientierte
Lösungen geht, nicht um umgesteuertes Luxurieren der Fantasie.
• Verarbeitungskapazität (K): Verarbeitung komplexer Informationen der Aufgaben, die nicht auf
Anhieb zu lösen sind, sondern Heranziehen, vielfältiges Beziehungsstiften, formal logisch
exaktes Denken und sachgerechtes Beurteilen von Informationen erfordern.
Inhalt: (inhaltsgebundenen Fähigkeiten)
• Figural-bildhaft (F): Einheitsstiftendes Merkmal scheint hier die Eigenart des
Aufgabenmaterials zu sein, dessen Bearbeitung räumliches anschauliches Denken erfordert.
• Verbal (V): Grad der Aneignung und der Verfügbarkeit des Beziehungssystems „Sprache“.
• Numerisch (N): Grad der Aneignung und der Verfügbarkeit des Beziehungssystems „Zahlen“.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Eine Besonderheit des BIS ist hierbei, dass mit dem Intelligenzfaktor „Einfallsreichtum“ auch die
kreativen Fähigkeiten in dem Intelligenzbegriff berücksichtigt wurden. Stellt einen Gegensatz zur
bis dahin allgemeinen Meinung dar, die Kreativität als unabhängig von der Intelligenz ansah.
Jägers empirische Arbeit:
1.) Variablen- und Probandenauswahl:
• Katalogisierung aller in der Literatur vorkommenden Aufgabenarten zu Intelligenz- und
Kreativitätsforschung.
• Reduktion und Kreuzklassifikation bis auf einen Rest von 48 Variablen.
• Stichprobe: Berliner Abiturienten, N = 545, Alter 16-21 (Kritik: zu homogen!)
2.) Analysemethoden:
•
•
•
•
•
Faktoren- und Clusteranalysen.
Prüfung der Strukturreliabilität (Zufallsaufteilung der Variablen in 2 Gruppen).
Prüfung auf Replizierbarkeit (Zufallsaufteilung der Probanden in 2 Gruppen).
Beschränkung der Interpretation auf stabil erscheinende, gut vergleichbare Lösungen.
Überprüfung der zeitlichen Stabilität der Befunde (1979: Durchführung einer
Wiederholungsuntersuchung, dabei 64% der Ausgangsstichprobe, Einsetzung zum Teil
derselben und auch anderen Aufgaben)
3.) Vorspiel zu den Hypothesen:
• 1975: exploratorische Strukturanalyse ergibt 4 sehr generelle Leistungsklassen (Faktoren/
Cluster), die durch operative Eigenart gekennzeichnet sind.
• Davon enthält jede Klasse verbales, figural-bildhaftes und numerisches Aufgabenmaterial, also
alle 3 Inhalte.
• Fehlen der in anderen Forschungen bereits bestätigten inhaltsspezifischen Einheiten ->
erwartungsgeleitetes Vorgehen.
Klassifikation der Variablen nach Operations- und Inhaltsklassen — Beispiele:
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Die Anordnung in der Matrix erlaubt es, dass jede Aufgabe zur Messung einer operativen und einer
inhaltsgebundenen Fähigkeit verwendet werden kann, sowie zur Messung der Allgemeinen
Intelligenz.
• Bündelung: Zusammenfassen der Items zu Skalen, vor der Faktorisierung.
• Einzelvariablen gehen gleichgewichtet in die Bündel ein.
• Verfolgung zweier Ziele: Reliabilitätssteigerung, Homogenisierung.
Beispiel: „RD“ (Rechnerisches Denken): Feld NK
- „Ein Schüler geht mit einem Betrag von 5€ in einen Schreibwarenladen. Ein Buntstift kostet
1,30€. Wie viele Buntstifte kann er bezahlen und wie viel Geld behält er übrig?“
- Fähigkeitsverknüpfung von „Verarbeitungskapazität und zahlengebundenes Denken
4.) Untersuchung der Hypothesen:
• Hypothese 1: Die 48 ungebündelten Einzelvariablen ergeben die 4 Operationsklassen B, E, G
und K.
• Hypothese 2: Faktorenanalyse der 16 Operationshomogenen Varianzbündel (Inhaltsvarianzen
unterdrückt) ergibt die gleichen 4 Operationsklassen wie ungebündelt, aber prägnantere
Einfachstruktur.
• Hypothese 3: Faktorenanalyse der 12 inhaltshomogenen Varianzbündel (Operationsvarianzen
unterdrück) ergibt 3 Inhaltsklassen.
• Hypothese 4: Strukturanalyse, in die operations- und inhaltshomogene Varianzbündel
eingehen, ergibt die 4 Operations- und die 3 Inhaltsklassen.
• Hypothese 5: Die Faktorisierung von 4 über die operative und inhaltliche Klassen aggregierten
Bündel ergibt nur einen, nicht weiter differenzierbaren „g“-Faktor.
—> Alle Hypothesen konnten bestätigt werden.
Fazit: bi-modales Strukturmodell ist empirisch begründbar und zweckmäßig, neben 4 operativen
Klassen sind auch 3 Inhaltsklassen nachweisbar, Zweckmäßigkeit eines hierarchischen
Strukturmodells lässt sich bestätigen (Auffinden von g), Aufweisen von Aggregations- und
Suppressionseffekten bei Zusammenfassung von Einzelvariablen.
• Das BIS ist ein sorgfältig entwickeltes Instrument, bei dem die Struktur des Tests in hohem
Maße mit dem theoretischen Modell übereinstimmt.
• Die Abwechslungsreiche Gestaltung des Tests fördert die Aufrechterhaltung der
Aufmerksamkeit.
• Es wird eine große Bandbreite der Intelligenz erfasst.
1. Generalität - keine Struktuveränderungen durch Hinzunahme neuer Aufgabentypen.
2. Universalität - Replizierbarkeit bei Teilgruppen bestätigt.
3. Stabilität - Wiederholungsuntersuchung, zeitlich stabil.
Kritik:
•
•
•
•
•
Bestätigung des Modells erfordert weitere unabhängige Replikationen.
Universalität noch nicht endgültig bestätigt (zu homogene Stichprobe).
Fragen zur Zweckmäßigkeit, zwischen g und den 7 Klassen noch weitere Ebene einzuführen.
Praxistauglichkeit, Nutzen für Diagnose noch offen.
Einbettung des Intelligenzmodells in den Kontext der Persönlichkeit noch offen, da Intelligenz
nur Teilkomponente.
• Offen, wie Prozessforschung mit Strukturforschung zusammenpasst.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
7.) Three Stratum Theorie von Carroll (1993):
Maximilian Bungart
(John B. Carroll - 1916-2003)
Integration der Strukturmodelle
• Carroll (1993): Re-Analyse (≈ Meta-Analyse) der verfügbaren
empirischen Untersuchungen zur Intelligenz.
• Bibliographie der einschlägigen Forschung seit 1930 (ca. 10.000
Titel)
• Herausfiltern der Untersuchungen, in denen mit faktorenanalytischen
Verfahren gearbeitet wurde. (ca. 1.500 Titel - keine Einzelfallstudien)
• Reduktion der Untersuchungen (461 Datensets)
Kriterien:
• Breite Variablen- (Median = 20, Range = 5-99) und
Personenstichproben (Median = 162, Range 20-8.000)
• vorhandene Korrelationsmatrizen zur Durchführung der Re-Analyse, vorhandene Informationen
über Stichprobe und Variablen zur Interpretation der Ergebnisse)
•
•
•
•
Detaillierte Dokumentation der einzelnen Studien.
Theoriefreie Verwendung der exploratorischen Faktorenanalyse.
Verdichtung der Ergebnisse resultiert im „3-Ebenen Modell der Intelligenz“ („3-stratum-model“)
Carroll findet Cattells Faktoren:
Stratum 1 „Narrow“: 65 Einzelfaktoren, die jeweils recht spezifisch sind (≈ Guilford) (einzelne
Aufgaben - z.B. räumliche Beziehungen, schlussfolgerndes Denken, Sprachverständnis)
Stratum 2 „Broad“: ≈ gf und gc von Cattell sowie lose Entsprechungen mit den Primärfaktoren.
gf (Fluid), gc (kristallin), gy (Gedächtnis/Lernen), gv (visuelle Perzeption), gu (auditive Perzeption),
gr (Abrufkapazität), gs (mental speed), gt (einfache RZ) - hierbei Annahme der Wichtigkeit der
Faktoren von gf zu gt.
Stratum 3 „General“: ≈ g-Faktor von Spearman (allgemeine Intelligenz)
„g“ korreliert mit Berufserfolg, sozialen Fähigkeiten, Werten & Einstellungen, Kreativität,
schulischen Variablen, Gesundheitsverhalten, deviantem Verhalten, etc.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
ABER: Es liegt noch keine Operationalisierung im Sinne eines etablierten Intelligenztests vor.
- kaum einer der Faktoren kann „rein“ gemessen werden.
- jeder Test lädt i.d.R. auf mehreren Faktoren.
- Kartierung von kognitiven Leistungstests: Ladungen auf den Faktoren der 3 Schichten
ermöglicht präzise Bestimmung dessen, was der Test misst.
• Es gibt keinen „Carroll-Test“, da dieser möglicherweise zu breit gewesen wäre. Jedoch war es
auch nicht Carroll’s Absicht einen Test zu entwickeln. Vielmehr wollte er seine Theorie
bestätigen. („Skizzieren sie Carrolls Ansatz und das Modell“ - hierarchisches Modell, es gibt den
g-Faktor, wie sind die Primärfaktoren zu benennen?)
Fazit: Bester wissenschaftlicher Ansatz zur Gedächtnisstruktur. (Integration anderer Modelle:
Cattell, Thurstone, Spearman. Guildford kaum, da er Unabhängigkeit postuliert)
Kritik: nur Integration dessen möglich, was andere schon untersucht haben, absolute Objektivität
nicht möglich.
Grundlagenorientierte Intelligenzforschung wurde über 80 Jahre lang von einer Strukturdebatte
dominiert - wie viele kognitive Fähigkeiten gibt es, wie groß ist deren Bedeutung, in welchem
Verhältnis stehen sie zueinander, wie groß ist die Bedeutung von g?
d.) Stabilität & Veränderung: Intelligenzentwicklung über die Lebensspanne
• Defizitmodel: lange Zeit wurde davon
ausgegangen, dass Intelligenz bis zum 27. Lebensjahr steigt, dann stagniert und nach einer
kurzen Plateauphase bereits zwischen 30 und 40 kontinuierlich absinkt.
• Beobachtung einer differentiellen Entwicklung:
- Leistungseinbußen im Handlungsteil ist stärker ausgeprägt. (gf und gc wird schlechter,
selbst wenn man sich fit hält.)
• Aber: Modell in seiner reinen Form nicht aufrecht zu erhalten.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Empirische Befunde:
Schaie & Strother (1986): kombiniertes Design (Ergebnisse der Seattle Longitudinal Study)
• 1956: 500 Probanden im Alter zwischen 20 und 70 untersucht (= Querschnitt)
• 1963: ca. 300 Personen erneut getestet (= Längsschnitt)
• Leistungsabfall im Längsschnitt tritt wesentlich später
ein als im Querschnitt.
• Frage: Unterschied zwischen denjenigen die nochmal
mitmachen und denjenigen die nicht nochmal
mitmachen?
• Die Studie wird bis heute fortgeführt.
• Alle 7 Jahre wird eine weitere altersgemischte
Stichprobe hinzugefügt.
Hauptbefunde:
1. Kohorteneffekt: spätere Generationen erzielen eine
höhere Leistung als gleichaltrige Angehörige einer
früheren Generation.
2. Leistungsabfall zwischen 25 und 80 in Tests, die
indikativ für fluide Intelligenz sind.
3. Anstieg von 25 bis ins mittlere Lebensalter und eine
Stabilität bis ins hohe Lebensalter bei Tests, die
indikativ für kristalline Intelligenz sind.
Schlussfolgerung:
• Kein nennenswerter genereller Abfall der Intelligenz vor dem siebten Lebensjahrzehnt.
• Beobachtete Minderungen betreffen vor allem geschwindigkeitsbetonte Aufgaben.
• Sofern es zu einem Abfall der kristallinen Komponente kommt, scheint dies in Zusammenhang
mit der Minderung an fluider Intelligenz zu stehen.
➡ Individuell sehr unterschiedlicher Verlauf möglich, längst nicht alle Menschen von Abbau der
intellektuellen Fähigkeiten im Alter betroffen.
➡ Ursache: Rückgang in der Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung.
Rangreihenstabilität: (Eine andere Stabilität der Intelligenz)
• Zusätzlich zur Frage, ob sich die Mittelwerte der Intelligenztestleistung über den Lebensverlauf
hinweg verändern, stellt sich die Frage der sogenannten „Rangreihenstabilität“.
- Also danach, ob eine Person ihren relativen Rangplatz in einer für sie repräsentativen
Gruppe über einen bestimmten Zeitraum beibehält.
- Ausmaß der Fähigkeiten kann sich über die Lebensspanne durchaus verändern (MW
Veränderung), relevant ist nur, ob die Person im Vergleich mit anderen Personen derselben
Altersgruppe denselben Rangplatz (IQ) zugewiesen bekommt.
• Intelligenz hat sich als erstaunlich stabil erwiesen (Spinath: „Intelligenz ist eine der stabilsten
Merkmale überhaupt“)
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Berechnung der Stabilität:
- Wird bestimmt über die Korrelation zweier IQ-Werte (oder anderer standardisierter Wert)
aus 2 Messzeitpunkten.
- Für das Erwachsenenalter werden Stabilitäten zwischen .89 und .96 berichtet.
e.) Korrelate der Intelligenz:
1.) Evozierte Potentiale (EP):
• Typische Befunde: Intelligenz korreliert mit geringerer Latenz, geringerer intraindividueller
Varianz, größerer Komplexität der AP’s. (größere Amplituden auf unerwartete, kleiner auf
erwartete Reize, neuronale Anpassungsfähigkeit)
2.) EEG-Maps:
• Unter Verwendung bildgebender EEG-Methoden zeigt sich: Bei Intelligenteren Konzentration
kortikaler Ressourcen auf bestimmte Areale; bei weniger Intelligenten diffusere, stärkere
Aktivation.
Ätiologie der Intelligenz (Berichte über genetische Beeinflussbarkeit der kortikalen Strukturen)
• Quantitative Genetik — Kernfrage: inwieweit gehen Merkmalsunterschiede auf genetische und
Umweltfaktoren zurück? Zentrale Begriff: Erblichkeit, geteilte und nicht geteilte Umwelt.
• Molekulargenetik — Ziel: Auffinden der Gene, die mit Merkmalsausprägung in Beziehung
stehen. Funktionale Genomik: Verständnis der Funktionsweise von Genen.
f.) Ausblick:
-
Ländervergleiche in der Intelligenz: Die Bell Curve Debatte
Möglichkeiten der Intelligenzförderung durch spezielle Programme?
Steigerung der Intelligenz möglich?
Was hat es mit der Plastizität des Gehirns auf sich?
Ist Intelligenz vererbt oder erworben?
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
4.) Verhaltensgenetik
a.) Forschungsgegenstand: (Warum widmen wir uns verhaltensgenetischer Forschung?)
1.) Zentrale Fragen der Differentiellen Psychologie sind:
• Wie können Unterschiede zwischen Menschen systematisch beschrieben werden?
• Welche Ursachen lassen sich für die Unterschiede im Erleben und Verhalten von Menschen
identifizieren?
2.) Begriff der Verhaltensgenetik:
• hilft uns zu verstehen, in welchem Ausmaß Anlagen (Gene) für Unterschiede zwischen
Menschen von Bedeutung sind.
• informiert uns über die Bedeutung von Umwelteinflüssen auf das Verhalten und Erleben von
Menschen.
• Verhaltensgenetik unterteilt sich in 2 eigenständige Forschungstraditionen:
Quantitative Genetik:
• Verhaltensunterschiede existieren aufgrund genetischer oder Umwelteinflüsse. Ermittlung des
relativen Anteils an phänotypischer Varianz.
• Kernfrage: inwieweit gehen Merkmalsunterschiede auf genetische und Umweltfaktoren zurück?
• Zentrale Begriffe: „Erblichkeit“, „geteilte“ und „nicht-geteilte Umwelt“.
Molekulargenetik:
• Gene identifizieren, die für genetischen Einfluss verantwortlich sind und damit die Rolle bei
Verhaltensvarianz spielen.
• Ziel: Auffinden der Gene, die mit Merkmalsausprägung in Beziehung stehen.
• Funktionale Genomik: Verständnis der Funktionsweise von Genen.
(genetische Indikatoren die mit Merkmalen in Zusammenhang stehen - Gene/Allele bzw. Marker)
b.) Grundlagen der verhaltensgenetischen Forschung:
• Argument: Die Wirkung von Anlage &
Umwelt könne doch gar nicht getrennt
werden: Jedes Verhalten wird doch sowohl
durch Gene als auch durch Erziehung und
andere Umwelteinwirkungen beeinflusst.
(„Verhalten = Wechselspiel aus Anlage und
Umwelt“)
Fast richtig! - Aber dies gilt nur, wenn wir
ausschließlich ein Individuum betrachten.
• Wenn wir uns für Unterschiede zwischen
Menschen interessieren, dann können wir
sehr wohl unterscheiden, wie stark diese
durch Anlagen oder durch Umwelt geprägt
werden.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
1.) Individuen vs. Individuelle Differenzen:
Zur Verdeutlichung anhand von Rechtecken: („Was können wir sagen und was nicht?“)
Wenn wir Aussagen über 1 Individuum machen (hier 1 Rechteck):
• Die Fläche eines einzelnen Rechtecks kann nicht in den relativen Beitrag von Länge
und Breite zerlegt werden, da die Fläche das Produkt von Länge x Breite darstellt.
• Eine Gruppe, dessen Fläche variiert. Ein Merkmal mit Varianz (Grundlage für die
Differentielle Psychologie).
• Variation der Fläche nur durch Variation der Länge verursacht:
• In einer Population von Rechtecken kann der relative Beitrag von Länge und Breite auf
Unterschiede in den Flächen untersucht werden.
• Variation der Fläche nur durch Variation der Breite verursacht:
• Es ist möglich, dass allein die Varianz der Länge (a), der Breite (b), oder beider (c) für die
Unterschiede in den Flächen verantwortlich sind.
„Erblichkeit stellt Populationsstatistik dar & bezieht sich nicht auf Phänotyp einzelnen Individuums.“
2.) Kernbegriffe:
1. Erblichkeit (heritability, a/h²): „Ausmaß, in dem genetische Unterschiede zwischen Individuen
die beobachtbaren interindividuellen Differenzen im untersuchten Merkmal erklären.“
• Ausmaß in dem genetische Unterschiede interinvidiuelle Merkmalsdifferenzen erklären.
• Das Quadrat bedeutet sowas wie „aufgeklärte Varianz“
• Beschreibt den Varianzanteil des Phänotyps in einer Population (nicht einer einzelnen Person!),
der durch interindividuelle Unterschiede in den Genen erklärt wird.
• Wie bedeutend sind diese Unterschiede zur Erklärung ihrer Merkmalsunterschiede?
2. Geteilte Umwelt (shared/common environment, c²): „Umwelteinflüsse, die zur Ähnlichkeit
von Personen beitragen, die gemeinsam aufwachsen (z.B. sozioökonomischer Status,
Erziehungsstil der Eltern)“
• Eher von „Merkmalsausprägungen“ als von „Personen“; „gleiche Umwelteinflüsse teilen“ statt
„gemeinsam aufwachsen“. (Umwelteinflüsse, die zur Ähnlichkeit zweier Individuen beitragen)
• Alles was uns einander ähnlich macht, weil man es gemeinsam erlebt (gleicher Einfluss). Man
wird einander ähnlich. (z.B. jeweils reiche Eltern führt zu Kunstinteresse, etc.) —> Dazu muss
man NICHT verwandt sein! Einfluss der zur Ähnlichkeit beiträgt.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
3. Nichtgeteilte Umwelt (specific/non-shared environment, e²): „Umwelteinflüsse, die zur
Unähnlichkeit von Personen beitragen, die gemeinsam aufwachsen (z.B. unterschiedliche
Freunde, unterschiedliche berufliche Situation, zufällige Ereignisse)“
• Alles was uns voneinander Unterscheidet. Unterschiedlichkeit muss irgendwo herkommen.
(Umwelt verändert). (Umwelteinflüsse, die zur Unähnlichkeit von Individuen beitragen)
Unter Verwendung standardisierter Daten:
a² + c² + e² = 1 (100%)
(genetisch + geteilt + nichtgeteilt)
Zu „a/h“:
- Additive Genwirkung = beteiligte Gene entfalten unabhängig von den anderen Genen ihre
Wirkung.
- Nicht Additiv = das Verhältnis von 2 Allelen kann dominant rezessiv sein. Der Phänotyp hängt
davon ab, welche Informationen auf Allelen liegt, und in welchem Verhältnis diese stehen.
Interaktion von Genen am selben „Genlokus“.
- „Epistase“ = Abhängigkeit von einem Genprofil.
Exkurs: Was bedeutet „Erblichkeit“?
Ein Beispiel zur Interpretation von Erblichkeit: Die Körpergröße
• Körpergröße ist erblich, und zwar in hohem Maße (ca. 90%)
• Was heißt das? Heißt das, dass 90% der Körpergröße eines bestimmten Menschen von seinen
Genen bestimmt werden und 10% von seiner Umwelt?
• Nein! Es heißt, dass 90% der Unterschiede in unserer Körpergröße von den Genen bestimmt
werden und 10% davon, wie wir uns beispielsweise Ernähren.
Was „Erblichkeit“ NICHT bedeutet:
• Eine hohe Erblichkeit bedeutet nicht „Unveränderbarkeit“, sondern es kann durch andere
•
•
•
•
•
Einflüsse beeinträchtigt werden. (kein Predeterminismus)
Erblichkeitsschätzungen können sich verändern. (sind keine Naturkonstanten)
Wenn etwas erblich ist, kann es dennoch von der Umwelt beeinflusst werden.
Erblichkeit bezieht sich nicht auf ein Individuum, sondern immer auf mehrere Individuen.
Erblichkeit ist nicht absolut präzise bestimmbar, weil es immer Ausnahmen gibt.
Erblichkeit sagt noch nichts über Prozesse oder die beteiligten Gene aus.
Beispiel: Phenylketonurie (Erblichkeit und Unveränderbarkeit)
• Vererbte Form der mittelschweren geistigen Behinderung.
• Krankheitsrisiko: ca. 1/10.000
• Defekt des Gens führt dazu, dass das Enzym
„Phenylalaninhydroxylase“ einen bestimmten Eiweißanteil
(Phenylalanin) nicht mehr spalten kann.
• Folge: Stoffwechselprodukte des Phenylalanin sammeln sich
im Körper und schädigen das Gehirn.
• Diese Schädigung kann durch Einhalten einer strengen,
phenylalaninarmen Diät vorgebeugt werden!
(—> Durch einen „Umwelteinfluss“ veränderbar/verhinderbar - also trotz genetischer Einflüsse.)
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
c.) Untersuchungsdesigns: (Wie kommt man zu den Schätzungen?)
• In der verhaltensgenetischen Forschung werden Personen mit unterschiedlichem
Verwandtschaftsverhältnis untersucht.
• Analyse der Ähnlichkeit in bestimmten Merkmalen in unterschiedlichen
Verwandtschaftsbeziehungen.
• Logik dahinter: Einflüsse von a, c und e werden entsprechend einfacher Regeln von
Verwandten geteilt und können damit zur Parameterschätzung herangezogen werden.
Adoptionsstudien: (Untersuchung an getrennt aufwachsenden, eineiigen Zwillingen)
- Hat in den letzten Jahren an Bedeutung verloren, da auch methodische Schwierigkeiten &
Selektionseffekte (manche Personen werden auf Seiten der Adoptiveltern bevorzugt) bestehen.
- Direktester Zugang zur Entflechtung von Anlage/Umwelt der Familienähnlichkeit.
Familienstudien: (Untersuchung an gemeinsam aufgewachsenen, ein- und zweieiigen Zwillingen)
- „Zwillingsforschung“.
- Problem: Selektionseffekte wie z.B. freiwillige Meldungen.
1.) Vergleich von Zwillingsähnlichkeiten: (Mittels DNA-Markern)
Eineiige Zwillinge: (Monozygot)
• teilen 100% der genetischen Effekte. (= genetisch Identisch)
• Gleiche Familienumwelt - sie wachsen in der gleichen Zeit in der gleichen Familie auf. (100%)
• Also: Unterschiede können nur durch Einflüsse der nichtgeteilten Umwelt zustande kommen.
Zweieiige Zwillinge: (Dizygot)
• teilen 50% der genetischen Effekte. (= teilen nicht mehr Gene als „normale“ Geschwister)
• Gleiche Familienumwelt, wachsen gemeinsam auf. (Wenn Eltern so oder so sind, ist das für
beide Kinder so, nicht bloß für eines von Beiden)
• Sie teilen mehr Gene, die sie zur Spezies „Mensch“ machen. (Die Gene die überhaupt variieren
sind hier gemeint)
• Also: Ähnlichkeit durch genetische Einflüsse und Einflüsse der geteilten Umwelt; Unterschiede
durch Einflüsse der nichtgeteilten Umwelt.
• Aber: Der Umstand dass sie nacheinander aufwachsen, ist es etwas, was sie unterschiedlich
machen kann.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
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2.) Einführung: „Univariates Zwillingsmodell“: (3 Faktoren - „Pfadmodell“)
• Genetische = A (Gene) Wir tun so als gäbe es eine latente Variable A. (Wir kennen sie nicht, wir
wissen nicht welche Gene es sind, es wird also geschätzt)
• Pfadgewicht <— Hoch, dann ist genetischer Einfluss bedeutsam.
• Geteilte Umwelt = C Wird von Zwillingen zu 100% geteilt, weil sie zusammen aufwachsen.
• Ungeteilte Umwelt = E Nicht verbunden, da sie nicht geteilt werden, obwohl sie Einfluss auf das
Verhalten haben.
• Ausgangspunkt = Ähnlichkeit von Zwilling 1 und 2, durch die Intraclasscorrelation (ICC) „Ähnlichkeitskoeffizient“. (Fällt geringer aus, wenn die Varianzen nicht homogen sind.)
(Falconer Formeln - xy² =
„Einfluss von xy“)
• Im vorliegenden Pfadmodell lässt sich der Zusammenhang zwischen 2 Messwerten als Summe
sämtlicher verbindender „Pfadprodukte“ darstellen. (Einschränkung: Behauptung dass Zwillinge
100% derselben Umwelt teilen)
• Größere Ähnlichkeit der EZ durch Einfluss der Gene (doppelt so ähnlich) —> a² ist bedeutsam.
• Unähnlichkeit der EZ durch Einfluss nichtgeteilter Umwelt —> e² ist bedeutsam.
• ZZ mehr als 0,5 Ähnlichkeit: durch Einfluss geteilter Umwelt —> c² ist bedeutsam.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
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• Fällt a² bedeutsam aus, dann besteht eine hohe Erblichkeit.
• Fällt c² bedeutsam aus, hat es was mit der geteilten Umwelt zu tun. (z.B. Erziehungsstil hat
etwas mit Entwicklung politischer Interesse zu tun)
• Fällt e² bedeutsam aus, spielt die nichtgeteilte Umwelt eine große Rolle.
• Beispiel für EZ: (a*1*a) + (c*1*c) = a² + c²
a² = 0,6 bedeutet:
„60% der Unterschiede im Merkmal XY gehen auf genetische Faktoren zurück“
3.) „Equal environments assumption“: (gilt bei Pfadmodell)
• Definition: Größere Ähnlichkeiten von EZ vs. ZZ in untersuchten Merkmalen sollen nicht auf
eine größere Ähnlichkeit der Umwelt von EZ vs. ZZ zurückgehen.
- Besagt, dass die geteilte Umwelt EZ und ZZ gleichermaßen beeinflusst.
- Die geteilte Umwelt trägt somit nicht stärker zur Ähnlichkeit der EZ als zur Ähnlichkeit der
ZZ bei.
• Problem: Wenn die „EEA“ nicht zutrifft…
- Ähnlichkeit der EZ kann durch überdurchschnittlich ähnliche Umwelten bedingt sein ->
Überschätzung der Genetik.
- Weniger ähnliche Umwelten der EZ (pränatal - vor der Geburt) -> Unterschätzung des
genetischen Anteils.
Empirische Befunde:
• Sandra Scarr: Überprüfung von Ähnlichkeiten solcher Zwillinge, deren Eltern sich im Irrtum
über die Eiigkeit befanden - Resultat: Gedachte „Eiigkeit“ sei Entscheidend für die
Unterschiede. Nicht die gedachten Eineiigen waren ähnlicher, sondern die biologischen. Kein
großer Unterschied trotz anderem Elternverhalten (stützt die Equal Environments Assumption)
• Loehlin & Nichols (1976): Überprüfung von Ähnlichkeiten an EZ, deren Eltern angaben,
entweder sehr auf Individualität zu achten oder auf Gleichbehandlung - Resultat: Es machte
keinen Unterschied. Zwillinge gleich ähnlich (stützt die Equal Environments Assumption)
4.) Selektive Partnerwahl: („Assortative Mating“)
Wir suchen uns unsere Partner nicht, es ist ein Auswahlprozess.
(„gleich und gleich gesellt sich gern“)
• Von selektiver Partnerwahl spricht man, wenn in einer Population keine zufällige Paarung der
Partner erfolgt, sondern Korrelationen zwischen den Merkmalsausprägungen der Eltern
vorliegen. (Merkmal „Intelligenz“ korreliert zwischen Partnern bei ca. 0,4, manchmal 0,5)
- Varianz dieses Merkmals in der Population erhöht sich (Nachkommen weichen stärker vom
Mittelwert ab) - Es ist kein Zufall wie die Nachkommen ausgeprägt sind.
• Überschätzung der Umwelt bzw. Unterschätzung der Genetik:
- Wirkt sich auf EZ gleich aus, für ZZ erhöht sich durch selektive Partnerwahl die Korrelation.
(Faktor der dies erklärt ist die selektive Umwelt, z.B. Uni, Arbeit, etc.)
- Die Differenz zwischen EZ und ZZ verringert sich entsprechend —> Überschätzung der
Umwelt.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
5.) Adoptionsstudien:
Hier geht es um Adoptionen die kurz nach der Geburt erfolgen.
Adoptiveltern < - > Adoptivkinder
• Die Erblichkeit a² sollte hier bei 0 liegen.
• Die einzige Varianzquelle ist hier die
geteilte Umwelt. (c² = 1)
• ICC ist ein Schätz für die geteilte Umwelt
(Intraklassenkorrelation)
Leibliche Kinder < - > Adoptivkinder
• Die Erblichkeit a² sollte hier bei 0 liegen.
• Die einzige Varianzquelle ist hier die
geteilte Umwelt. (c² = 1)
• Somit ist es hier ebenfalls ein guter
Schätzer.
Leibliche Eltern < - > Adoptivkinder
• Hier liegt die Erblichkeit a² bei 0,5.
• Die geteilte Umwelt liegt nun bei 0.
• Problem: Selektive Platzierung =
Verzerrung der Schätzung in zwei
Richtungen möglich!
• Wichtig: „Umwelteltern“ = Adoptiveltern ohne Verwandtschaft zu adoptierten Kindern.
• Interessanter Befund: Die Gefahr an Schizophrenie zu erkranken, wenn Eltern krank waren, ist
unabhängig von der Familienumwelt!
49
Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Selektive Platzierung:
• bezeichnet den Umstand, dass Merkmalsausprägungen der leiblichen Eltern mit der
Merkmalsausprägung der Adoptiveltern korreliert.
- Zuweisung der Kinder zu Adoptivfamilien erfolgt also nicht rein Zufällig.
• Folge: Die Korrelation zwischen Adoptiveltern und Adoptivkindern ist zum Teil genetisch
vermittelt.
- d.h. die Bedeutung der Familienumwelt wird bei einfacher Korrelation überschätzt.
Fazit zu Designs:
• Wertvolles Instrument, um Verhalten und Störungen auf genetische Einflüsse zu prüfen.
d.) Befunde in der Verhaltensgenetik:
1.) Im Intelligenzbereich:
• Genetische Unterschiede erklären etwa 50% der beobachteten Variabilität in den
Intelligenzwerten Erwachsener (die Erblichkeit der Intelligenz ist ca. 50%)
• Bedeutung genetischer Faktoren nimmt im Laufe des Lebens zu:
• Die Erblichkeit kann sich im Laufe des Lebens verändern. Und auch anhand anderer Faktoren.
• Immer daran denken: Alles ist Erblich, d.h. aber nicht dass es nicht veränderbar ist.
• Meta-Analysen zeigen starke genetische Einflüsse von Intelligenz (h² = 0,50-0,60)
• Im Erwachsenenalter wirken vor allem nichtgeteilte Umwelteinflüsse.
- Zunahme genetischer und Abnahme geteilter Umwelteinflüsse auf individuelle Differenzen
in Intelligenz (von 2 Jahren bis Erwachsen).
- Bedeutung genetischer Effekte ist weitgehend unabhängig vom untersuchten Teilbereich
der Intelligenz.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
„Erblichkeit“ der Intelligenz:
• Meta-Analysen zeigen starke genetische Einflüsse (h² ≈ .50-.60) - Bouchard & McGue (1981).
• Zunahme genetischer (h²) und Abnahme geteilter Umwelteinflüsse (c²) auf individuelle
Differenzen in der Intelligenz über die Lebensspanne.
• Menschen suchen sich aktiv ihre eigene Umwelt aus. Diese wirkt dann auf sie zurück (siehe
Drogensucht)
• Wir sind nicht nur Empfänger von Umwelt (im Kindesalter schon). Aber umso älter man wird,
desto mehr Kontrolle besitzt man.
WICHTIG: Die zunehmende und hohe Erblichkeit ist kein Beleg dafür, dass Intelligenz nur sehr
eingeschränkt förderbar ist.
Bedeutung von Umwelteinflüssen:
a. Flynn-Effekt: Anstieg der mittleren IQ-Rohpunktwerte in zahlreichen Kulturen, ca. 3 Punkte pro
Dekade (also ca. 1 Standardabweichung pro Generation).
b. Effekt der Stellung in Geschwisterreihe: nichtgeteilter Umwelteffekt, 1% Varianzaufklärung.
c. Adoptionsstudien zeigen markante positive Effekte auf IQ - Zuwachs in Abhängigkeit des SES
der Adoptiveltern.
d. Frühe Interventionsmaßnahmen für Kinder aus einkommensschwachen Familien weisen
zumindest kurz- und mittelfristige positive Effekt auf Intelligenz- und Schulleistungen auf.
Feststellung der Erblichkeit von Intelligenz - Fluch? (The Bell Curve)
• Annahmen: Zerfall der amerikanischen Gesellschaft in wohlhabende „kognitive Elite“ und
Unterschicht.
• Bedeutung eines verringerten IQ als Prädiktor für soziale Probleme -> fälschliche Interpretation
der Erblichkeit von Intelligenz als Ursache für Gruppendifferenzen und damit stark
eingeschränkte Förderungsmöglichkeiten.
• Artikel in Deutschland: „Verlust vom Humankapital in Regionen hoher Arbeitslosigkeit“
• West-Ost, Nord-Süd-Gefälle.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
2.) Im Persönlichkeitsbereich (hier N = Neurotizismus - Big Five)
Adoptionsstudie Neurotizismus:
• Korrelation der EZ ist grundsätzlich höher, da
•
•
•
•
sie tendenziell substanziell höher sind.
(manchmal doppelt so hoch)
ICC ist die richtige Messgröße und die
Grundlage für diese Berechnung. Wir nehmen
nicht die Pearson Korrelation.
1 - EZ = e² — aber dies enthält auch den
unsystematischen Messfehler.
Hinweise auf Effekte geteilter Umwelt sind
nicht gegeben.
Es gibt deutliche Hinweise, dass die Genetik
eine bedeutsame Rolle spielt und die
geteilte Umwelt.
• Unterschied weniger dadurch verursacht,
ob Zwillinge getrennt oder gemeinsam
aufgewachsen sind, als dadurch, ob sie
eineiig oder zweieiig sind (getrennt
aufgewachsene EZ: r = .39 — zusammen
aufgewachsene EZ: r = .46 — getrennt
aufgewachsene ZZ: r = .23 — zusammen
aufgewachsene ZZ: r = .23)
• Hoher Erblichkeitskoeffizient ist nicht gleich
Unveränderbarkeit des Merkmals, sondern
Beschränkung der Veränderbarkeit des
Merkmals durch Umweltfaktoren.
„Erblichkeit“ der Persönlichkeit:
• Die Hauptquelle für Ähnlichkeit bei Familien
sind Gene, die Hauptquelle für
Unterschiede ist Umwelt.
• Etwa die Hälfte der individuellen
Unterschiede geht auf additive und nichtadditive genetische Faktoren zurück (h²).
• Diese erklären vollständig die Ähnlichkeit
zwischen genetisch verwandten,
gemeinsam aufwachsenden Personen.
• Ergo: „der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“
= in erster Linie ein Effekt geteilter Gene.
(30-50% der Varianz wird durch Erblichkeit
erklärt, der Rest vor allem durch nicht-geteilte
Umwelt.)
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Maximilian Bungart
Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Die verbleibenden Unterschiede gehen auf nichtgeteilte Umwelteffekte zurück, die zur
Unähnlichkeit gemeinsam aufwachsender Personen beitragen (e²).
• Diese Umwelteffekte können in Wechselwirkung mit genetischen Effekten treten: Gen-Umwelt
Korrelation (rGE), Gen-Umwelt Interaktion (GxE).
• Wechselspiel nicht nur im Individuum, sondern auch für Gruppen. („Anlage-Umwelt-Korrelation“
rGE = „genes and environment“)
• Anlage durch Umwelt/Umwelt durch Anlage.
e.) (Rangreihen-) Stabilität und Veränderbarkeit:
Hohe Erblichkeitskoeffizienten bedeuten nicht, dass…
• ein Merkmal wenig veränderbar oder gar unveränderbar ist. (Nur weil etwas genetisch
beeinflusst wird, heißt das nicht, dass es in Stein gemeißelt ist)
• Differenzen zwischen (ethnischen) Gruppen genetisch bedingt sind.
Erblichkeit und Veränderung auf Mittelwertebene:
• Rekapitulation der Erblichkeit: „Anteil genetischer Varianz an der phänotypischen Varianz.“
•
•
•
•
Person A-D, untersucht zu t1 = Mittelwert 93
Variation zwischen diesen Personen ist der Ansatzpunkt für die Verhaltensgenetik.
Nehmen wir an, alle hätten zugelegt.
Hohe Erblichkeiten haben nichts damit zu tun, dass nicht auch maßgebliche Verbesserungen
stattfinden können (z.B. durch Training, etc.)
• Mittelwertveränderung ist unabhängig davon was Anlage und Umwelt machen. (im Bezug auf
Unterschiede)
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Die Förderbarkeit von Intelligenz bzw. deren Grenzen sind allein in geeigneten Interventiondesigns untersuchbar!
- Wenn man z.B. die Didaktik der Lehrer verbessert, sie also homogener werden, dann
bestehen dennoch weiterhin Unterschiede. Diese sind dann jedoch eher auf den
genetischen Anteil zurückführbar. (Dies lässt sich nur durch Trainingsstudien herausfinden,
nicht jedoch durch Zwillingsstudien)
• Intelligenz zu trainieren erscheint relativ schwierig. („Intelligenz ist nicht nachhaltig steigerbar“)
• Kommen Menschen aus „schweren Umwelten“, kann man es wenigstens positiv steigern.
„Differentielle Erblichkeit“ der Intelligenz:
• auch hier wie bei den Lehrern.
• bei 7 = hoher Status —> die Erklärung von Unterschieden anhand von genetischen Faktoren ist
höher, da c² homogener wird (geteilt).
(SES = „sozioökonomische Situation“)
• Unter „günstigeren“ Umweltbedingungen
steigt die Erblichkeit der Intelligenz (h²).
• Am unteren Rand der Verteilung spielen
systematische Differenzen zwischen
Familien (c²) eine größere Rolle bei der
Erklärung von Intelligenzunterschieden.
Gen-Umwelt-Interaktion (GxE) und Korrelation (rGE):
1.) GxE: (Anlage-Umwelt-Interaktion — gutes Bsp. „Phenylketonurie“)
• Variante 1: Die relative Bedeutung genetischer Faktoren variiert mit Umweltbedingungen bzw.
die Expression genetisch bedingten Verhaltens ist umweltabhängig (vgl. h²diff und c²diff für
Intelligenz).
• In Abhängigkeit von der Bildung der Eltern ist h² höher (Bedeutung genetischer Faktoren)
• Variante 2: Bedingt durch genetische Unterschiede reagieren Individuen verschieden auf
gleiche Umweltbedingungen (vgl. Diathese-Stress-Modell)
• z.B. wenn Personen anfälliger für Traumatisierungen sind. Gleiche Umwelt, aber
unterschiedliche Reaktion auf Geschehnisse (z.B. bei Vietnamveteranen).
Beispiel Anlage-Umwelt-Interaktion: (Caspi-Studie 2002)
- aV: Auftreten antisozialen Verhaltens.
- uV1: Untersuchung zweier Genotypen männlicher Probanden (Genotypisierung nach
Vorhandensein eines Gens, welches für Expression des Enzyms Monoaminooxidase
verantwortlich ist - dieses ist auf Chromosom X lokalisiert, nur 1 Allel).
- uV 2: Misshandlung in der Kindheit (keine vs. wahrscheinlich vs. schwer).
- Ergebnis: von den in der Kindheit misshandelten Probanden mit gleichzeitig niedriger MAOAAktivität fallen signifikant mehr durch antisoziales Verhalten auf —> Probanden mit niedriger
MAOA-Aktivität reagieren „sensibler“ auf Misshandlung. MAOA weist auch Zusammen mit
„Sensation seeking“ auf.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
2.) rGE:
Def.: Häufung bestimmter Genotypen in bestimmten Umwelten (kein Zufall, sondern systematische
Einflüsse), bzw. überzufällige Kovariation von bestimmten Genotypen bestimmter
Umweltbedingungen (Erfahrung zum Teil aus genetischen Gründen selbst schaffen).
3 Modelle warum Korrelationen vorkommen könnten:
• Passive rGE beschreibt die mögliche Assoziation zwischen dem Genotyp, den ein Kind von
seinen Eltern erbt, und der Umwelt, in der das Kind aufwächst. (z.B. Musikereltern - „double
Dosis“ - kommen mit bestimmten Genen auf die Welt und kriegen von den Eltern bestimmte
Umwelteinflüsse, z.B. Zugang zu Instrumenten - Gene & Umwelt der Eltern werden geteilt)
Merkmalsträger ist nicht an Zustandekommen beteiligt.
• Reaktive/Evozierte rGE tritt auf, wenn genetische-beeinflusste Verhaltensweisen von Individuen
(systematische) Umweltreaktionen hervorrufen. (z.B. Musikalisch talentierte Kinder werden
möglicherweise in der Schule ausgewählt und werden stark gefördert. Die Umwelt reagiert auf
ein Verhalten, dass durch genetische Faktoren verursacht wurde. (Individuen werden nicht nur
durch Umwelt beeinflusst, sondern beeinflussen ihrerseits auch ihre Umwelt)
• Aktive rGE beschreibt, dass Individuen aufgrund genetischer Einflüsse bestimmte Umwelten
aufsuchen bzw. aktiv gestalten. (z.B. Auch ohne Förderung können sich musikalisch begabte
Kinder ihr eigenes musikalisches Umfeld schaffen, indem sie musikalische Freunde suchen
oder sich auf anderem Wege - aktiv - musikalische Erfahrungen verschaffen) - Bestimmter
Genotyp sucht bestimmte Umwelt.
3 Methoden zur Aufdeckung von Genotyp-Umwelt-Korrelationen:
1.) Nachweis der passiven Genotyp-Umwelt-Korrelation:
- Hier werden die Korrelationen zwischen Umweltmaßen und Persönlichkeitsmerkmalen in
natürlichen und in Adoptivfamilien verglichen.
- Grund: In natürlichen Familien könnte Korrelation zwischen einem Maß der Familienumwelt und
einem psychologischen Merkmal umweltbedingt sein (wie meist angenommen), aber eben auch
genetisch.
- Durch Vergleich mit Adoptivfamilien lässt sich der genetische Beitrag ermitteln, da die
„Familienmitglieder“ hier keine Gene teilen.
- Dieser genetische Beitrag geht auf passive Genotyp-Umwelt-Korrelation zurück, da Kinder in
natürlichen Familien in passiver Weise sowohl Gene als auch Umweltbedingungen erhalten, die
mit dem Merkmal korreliert sind.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
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2.) Nachweis des evozierten & aktiven Typs der Genotyp-Umwelt-Korrelation:
- Beinhaltet Korrelation zwischen Merkmalen der leiblichen Eltern & der Umwelt in
Adoptivfamilien.
- ACHTUNG: Weitere Details fehlen.
3.) Nachweis aller 3 Typen der Genotyp-Umwelt-Korrelation:
- Basis: multivariate genetische Analysen der Korrelation zwischen Umweltmaß & einer
Eigenschaft.
- Multivariate genetische Analysen können bei jedem genetischen und Umweltmaß
vorgenommen werden.
GxE und rGE im Bildungsbereich:
• DRD2 - Dopaminrezeptor (negative
•
•
•
•
Assoziation, Jungs die diese Variante
hatten, hatten ein erhöhtes Risiko, die
Sekundarstufe nicht zu Ende zu machen)
Es gibt eine Art Sozialen
Schutzmechanismus (Puffer) gegen die
Tendenz die Schule abzubrechen.
Sozialkapital = Elterliche Faktoren wie z.B.
Bildung, Interesse, etc.
Diese Jungs die das genetische Risiko
hatten, konnten durch das Sozialkapital die
Schule zu Ende machen. Ein gutes Beispiel
von Anlage Umwelt Interaktion.
genetische Einflüsse durch Umwelt gelöst.
Zus. Befund: Negative Korrelation zwischen
beiden. —> hatte man das Risikogen, war
es relativ unwahrscheinlich den Sozialen Puffer zu haben.
(Shanahan et al. - 2008)
f.) GWAS: Genomweite Assoziationsstudie (Molekulargenetik)
• Def.: Epidemiologische Untersuchung mit dem Ziel, Assoziationen zwischen bestimmten
Phänotypen (z.B. überdurchschnittlicher Intelligenz) und genetischen Markern (SNPs)
aufzufinden. (Assoziationen zwischen Genen & Verhalten aufdecken)
„Mittelwertvergleich von Genhäufungen ohne jegliche Hypothese.“
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Skript 2015
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SNP: Single Nucleotide Polymorphism (Einzelnes Basenpaar)
(Betrachtet Mutation eines einzigen Nukleotids.)
• Üblicherweise wird eine möglichst große
Gruppe von Merkmalsträgern mit einer
großen (gematchten) Kontrollgruppe
verglichen.
• Die neueste Generation von SNP-Chips
erlaubt die Betrachtung von mehr als 1 Mio.
SNPs, die über das gesamte Genom verteilt
sind.
• Vorsicht: Bei 1 Mio. Hypothesenfreien
Vergleichen muss man das Alphaniveau
stark korrigieren, denn es könnte sein, dass
es zu einem zufälligen Effekt/Fund kam.
• Kartieren der Ergebnisse.
• Bedeutung der einzelnen SNPs in einem Koordinatensystem (oben = Signifikanz)
• Extrem schwer replizierbare
und teure Forschung, daher
wenig Erfolg.
• Bisher gibt es fast
ausschließlich Medizinische
Funde.
• Das Blindanalytische
Vorgehen ist bisher nur bei
medizinischen, nicht aber bei
psychologischen Faktoren
erfolgreich. („GWAS Atlas“)
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• QTL (quantitative trait loci) beschreibt mehrere Gene, die zu einem Phänotyp beitragen.
(Der unmittelbare praktische Nutzen der bisherigen Ergebnisse sollte nicht überschätzt werden.
Die Effektstärken sind extrem gering, der prädiktive Wert minimal. Ein vergleichbarer Ansatz zum
Verständnis von Umweltbedingungen bzw. Gen-Umwelt-Wechselwirkungen existiert zudem nicht.)
Varianzaufklärung durch SNPs
• Natürlich können sie keine enormen Varianzanteile aufklären - dafür gibt es einfach zu viele
davon.
• Das macht das Auffinden relevanter Gene sehr schwierig & die Replikation noch schwieriger.
GWAS Ergebnislage zur Intelligenz:
• „The largest genomewide association study of intelligence differences, which included nearly
18,000 children, found no genomewide significant associations. The largest effect sizes
accounted for .2% of the variance of intelligence scores.“ (Benyamin et al., 2014)
• „Another recent genomewide association study of a sample of 1,500 children reported an
association that accounted for .5% of the variance of intelligence scores (Desrivieres et al.,
2014), but this association shows no effect in the study of 18,000 children (P = 0.73)“ (Plomin,
Deary, in press).
• „Keine replizierten Kandidatengene für g und die Varianzaufklärung einzelner SNPs liegt bei
unter 1%“ Deary, Spinath und Bates (2006).
Zusatz zu Caspi et al.:
• „Odds Ratio“ = ist ein Maß für die Effektstärke.
• Beschreibt wie häufig ein Verhalten in Gruppe B im Vergleich zu Gruppe A auftritt.
• Caspi und Kollegen fanden eine Odds Ratio der Verhaltensstörung von 2.8 beim Vergleich von
misshandelten und nicht misshandelten Männern mit niedriger MAOA Ausprägung.
• Interpretation aufgrund einer Studie seien übereilt
• Dennoch sind die 12% der Kohorte, die misshandelt wurden und niedrige MAOA Ausprägung
aufweisen für 44% der Gewaltdelikte verantwortlich.
• 85% der schwer misshandelten mit niedriger MAOA Ausprägung entwickelten antisoziales
Verhalten.
Fazit:
• 2 wichtige genetische Befunde, welche die Umwelt betreffen:
- Forschung zeigt, dass Umwelteinflüsse in einer nichtgeteilten Weise wirken, d.h.
Unterschiede zwischen in derselben Familie aufgewachsenen Kinder hervorbringen.
- Genetische Faktoren zeigen oftmals einen Einfluss auf Maße zur Erfassung der Umwelt,
wie sie in der psychologischen Forschung vielfältig eingesetzt werden.
• Weitere Fakten:
- Geteilte Umwelteinflüsse sind i.d.R. unerheblich, entscheidend sind nichtgeteilte.
- 2 entscheidende Konzepte an der Schnittstelle zwischen Anlage & Umwelt existieren:
Genotyp-Umwelt-Korrelation
Genotyp-Umwelt-Interaktion
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
g.) Zusammenfassung: („Verhaltensgenetik in a Nutshell“)
1. Menschen unterscheiden sich.
2. Der Phänotyp eines Menschen ist das Ergebnis von Anlage & Umwelt.
• Welche Ursachen lassen sich für die Unterschiede im Erleben & Verhalten von Menschen
identifizieren?
• Wenn es um die Erklärung von Unterschieden zwischen Menschen geht, dann kann
unterschieden werden, wie stark diese durch Anlagen oder durch Umwelt geprägt werden.
3. Die beobachtete Varianz in einem Merkmal teilt sich auf in genetische (a²) und Umweltanteile
(c² und e²)
a² + c² + e² = 1
4. Wir brauchen also mehr Informationen um die Parameter schätzen zu können:
• a, c und e werden entsprechend einfacher Regeln von Personen
unterschiedlichen Verwandtschaftsgrades geteilt. (Im Pfadmodell - zu wenig
Information um a, c, e in ihrer Wichtigkeit zu schätzen?)
5. Erweiterung auf ein Paar verwandter Personen (Zwilling 1 & 2, Bruder &
Schwester, Adoptiveltern & Kinder, Großeltern & Enkel, etc.)
• Zwischen 2 Personen kann die Ähnlichkeit in einem Merkmal berechnet werden.
• Die beobachtete Ähnlichkeit erklärt sich durch a, c und e unter der Annahme, dass diese
zwischen verwandten Personen in einem bestimmten Ausmaß geteilt werden.
Im Pfadmodell — Beispiel EZ:
Reicht jetzt die Information?
0,86 = a*a + c*c = a² + c²
a² = c² - 0,86
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
6. Hinzunahme einer weiteren Gruppe (Sonderfall: Getrennt aufgewachsene EZ)
7. Zwei Bekannte und zwei Unbekannte: Es gibt also genug Information, um das
Gleichungssystem nach a² und c² aufzulösen.
Lösung des Gleichungssystems um a, c und e zu schätzen:
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
5.) Persönlichkeit
a.) Grundüberlegungen:
1.) Alltagspsychologie:
• ausgeprägte Individualität eines Menschen.
• Einzigartigkeit, in der sich eine Person von
anderen unterscheidet.
3 Aspekte:
1. Beschreibend: Jemand hebt sich in seiner
Individualität vom Durchschnitt ab.
2. Erklärend: Dass jemand so und nicht
anders handelt, liegt an seiner
Persönlichkeit. (zur Erklärung von
Verhalten)
3. Wertend: Es handelt sich um eine mehr
oder weniger wünschenswerte Abweichung
vom Durchschnitt.
2.) Wissenschaftliche Psychologie:
Rein beschreibende Verwendung - „Person X hat die Persönlichkeit Y“
• Person X ist durch ein bestimmtes Muster Y von Persönlichkeitsmerkmalen gekennzeichnet.
• Ob das Merkmalsmuster positiv oder negativ zu werten ist, ist dabei völlig gleichgültig.
- Einzigartigkeit über die Betrachtung vieler verschiedener Merkmale.
- Differentielle Sichtweise: Nicht die absolute, individuelle Merkmalsausprägung interessiert,
sondern ob das Merkmal „auffällig“ ist, bzw. vom Durchschnitt abweicht.
(Beim 5 Faktoren-Modell ist es schwerer eine Person zu beschreiben als bei 30 Faktoren)
3.) Definition:
a.) Nach Allport:
„Persönlichkeit ist […] die dynamische Organisation derjenigen Systeme im Individuum, die sein
charakteristisches Verhalten und Denken determinieren.“ (Gordon W. Allport)
• Dynamische Organisation: Diejenigen Prozesse, welche Erfahrung und Verhalten steuern.
• (Psychophysiologische) Systeme: Basistendenzen oder Kapazitäten des Individuums.
• Charakteristisches Verhalten und Denken: Gewohnheiten, Einstellungen, Beziehungen.
(„Sie sind wer Sie sind, gerade weil Sie diese Eigenschaften haben.“)
• Kritik: Sie erweckt den Eindruck, als würde es immer zum selben Verhalten führen.
(„determiniert“)
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Skript 2015
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b.) Differentieller Ansatz:
„Gesamtheit ihrer Merkmalsausprägungen in allen Merkmalen, in denen sich die Mitglieder der
betrachteten Population voneinander Unterscheiden“ (Asendorpf, 1999)
• Kritik: Für „alle Merkmale“ einer Person kann man sich nicht interessieren. (zu aufwendig).
Genau deswegen nehmen wir auch eine Reduktion vor.
4.) Eigenschaftstheoretische Ansätze: (Wie viele Eigenschaften gibt es?)
• Eigenschaft = Klasse von funktional äquivalenten Verhaltens- und Erlebensweisen, die relativ
beständig gezeigt werden und zwar über die Zeit hinweg (Stabilität) und über unterschiedliche
Situationen hinweg (Konstanz).
- (Trait) man spricht auch von „transsituationaler“ Konsistenz. Man hat Eigenschaften nicht
nur unter bestimmten Bedingungen, sondern immer (z.B. wenn man Gewissenhaft ist).
Unterscheidung von „starken“ und „schwachen“ Situationen. (Situation übt Druck aus, z.B.
eine Beerdigung)
- Man ist oft an diesen „schwachen“ Situationen interessiert, weil man dort die Eigenschaft
besser beobachten kann. Persönlichkeit ist über viele viele Jahre stabil (Konsistent).
• Ein eigenschaftstheoretischer Ansatz sollte eine relativ geringe Anzahl von Eigenschaften
umfassen, um die Konsistenzen einer Person gut zu erklären. („Parsimonität“ = Wunsch nach
wenigen Faktoren)
• Nicht nur adjektivistische Beschreibung; auch eine Berücksichtigung von Motivationen und
Fähigkeiten ist wünschenswert. („Starrsinnig, Umgänglich, Vertrauenswürdig“ = adjektivistische
Beschreibung)
• Es gibt aber Menschen die „würden“ gerne, „können“ aber nicht. (z.B. Schüchternheit).
Fragen:
- Können Eigenschaften zuverlässig gemessen werden? — JA!
- Fassen sie Reaktionen schlüssig zusammen? — JA!
- Können Reaktionen mit ihrer Hilfe vorhergesagt werden? — EIN BISSCHEN!
• Beginn der heutigen eigenschaftstheoretischen Persönlichkeitsansätze zeitlich mit der
Weiterentwicklung statistischer Verfahren und deren Einzug in die psychologische Forschung ist
gleichzusetzen.
=> „Faktorenanalytische Persönlichkeitsforschung“
5.) Forschungsfragen: (von Spinath)
• Wie viele Dimensionen der Persönlichkeit sind zur Beschreibung der Unterschiede zwischen
Personen einer Population notwendig?
• Inwiefern verändern sich Persönlichkeitsmerkmale über die Lebensspanne?
• Welche Rolle spielen Anlage- und Umwelt bei der Persönlichkeitsentwicklung? („50-50“-Ansatz)
• Welche Bedeutung haben individuelle Persönlichkeitsunterschiede in alltagsnahen Kontexten?
62
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Skript 2015
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b.) Ansatz von Raymond B. Cattell:
1.) Allgemeines:
• Verfolgte einen weiten Begriff von „Persönlichkeit“:
- Unterschied: Temperament (= Persönlichkeitswesenszüge, Eigenschaften), Motivation (unterteilt in
Antriebe - „ergs“ - Einstellungen & soziale Rollen) und
Fähigkeiten.
- Eigenschaften im Sinne von „Traits“, Zustände im
Sinne von „States“.
• Grundsatz: den Menschen in seiner Komplexität
untersuchen und verstehen. (in sozialen Kontexten)
• Methodisch: Multivariate Untersuchungen, Einsatz der
Faktorenanalyse (oblique Rotation).
• Versuchte, gefundene Zusammenhänge unter Rückgriff
auf unterschiedliche Datenbereiche abzusichern.
(„Rundumdiagnose“)
Zu Traits & States:
• Am Beispiel der „Ängstlichkeit“: Manche haben Traits (also tendenzielle Ängstlichkeit bei vielen
Situationen) aber auch als States (d.h. in bestimmten Situationen ängstlich zu reagieren „Zustandsangst“, z.B. Prüfungsangst)
• Wie grenzt man Temperament von Persönlichkeit ab? Temperament sind formal stilistische
Verhaltensweisen, also nicht „was“ man sagt, sondern „wie“ laut, etc. (nicht „wem“ schüttelt man
die Hand, sondern „wie“ fest).
• Auch hier gibt es zeitlich & situationale Tendenzen. Individuelles Tempo/Kraft oder Niveau sich
voneinander unterscheidet.
• Persönlichkeit ist dann die Frag nach „Was“.
2.) Datenquellen:
L-Daten: „life record“ - Daten aus der Lebensgeschichte einer Person und Fremdauskünfte.
(Bekanntenberichte, keine soziale Erwünschtheit, bessere Qualität)
Q-Daten: „Questionnaire“ - Selbstauskünfte einer Person in Form von Fragebögen.
T-Daten: „Test“ - Daten aus standardisierten Testverfahren. („objektive Tests“, nicht verfälschbar jedoch nicht sehr erfolgreich)
zu L-Daten:
• Zur Identifikation von Eigenschaften als zeitstabile Persönlichkeitswesenszüge.
• Einsatz faktorenanalytischer Methoden.
• Entwicklung des Fünf-Faktoren-Modells der Persönlichkeit auf Basis des lexikalischen
Ansatzes. (Achtung: Big Five vs. FFM - heute greifen beide immer weiter ineinander)
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Skript 2015
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c.) Faktorenanalytische Persönlichkeitsforschung:
1.) Das 5-Faktoren-Modell der Persönlichkeit FFM nach Costa & McCrae: (L-Daten)
Weitgehende Übereinstimmung seit den 90ern, dass Persönlichkeit durch 5 breite Faktoren
beschrieben werden kann:
Extraversion
Verträglichkeit
Gewissenhaftigkeit
Emotionale Stabilität (B5)/Neurotizismus (FFM)
Culture, Intellekt (B5)/Offenheit für Erfahrungen (FFM)
(= L-Daten)
2.) Fünf-Faktoren-Modell vs. Big Five:
• Die Begriffe FFM und Big Five werden häufig synonym verwandt, die Modelle sind jedoch in
verschiedenen Forschungsrichtungen entstanden.
- B5 geht auf lexikalische Studien zurück, in denen die Struktur eigenschaftsbeschreibender
Adjektive untersucht wurde. (Goldberg - taucht häufiger „kultiviertheit“ auf - Untersuchung
der Struktur eigenschaftsbeschreibender Adjektive)
- FFM beruht auf Forschungen mit Persönlichkeitsfragebögen (Forschergruppe um Costa &
McCrae)
(.80 Korrelation wenn man beide miteinander Korreliert)
3.) Der lexikalische Ansatz:
• im Kern: Wörterbücher werden mit einer bestimmten Zielvorgabe durchsucht.
• Versuch, über die Analyse der in der Sprache vorkommenden Beschreibungsbegriffe zu einer
Persönlichkeitstaxonomie zu gelangen.
- Taxonomie = systematisches Rahmenmodell, welches der Unterscheidung, Ordnung und
Benennung von Typen und Gruppen innerhalb eines Forschungsfeldes dient.
- Verdichtung auf wenige Dimensionen. Ziel war es, eine Taxonomie zu erstellen - begann
vor dem 2. Weltkrieg.
• Sedimentationshypothese = Annahme, dass Persönlichkeitsmerkmale, die für Menschen
bedeutsam sind, in der Sprache repräsentiert werden.
(KLAUSUR! Sedimentation (hier im Kontext mit Sprache) = nicht nur, dass bestimmte Begriffe in eine
Sprache aufgenommen werden (wenn ich ein Verhalten in meiner Kultur betrachte, und es gibt kein Begriff
dafür, erfinde ich eins), sondern auch das diese Wörter differenziert werden, wenn es in verschiedenen
Kontexten stattfindet. „Dinge legen sich ab, weil sie gewichtiger sind“. Dinge die wichtiger sind, werden auch
nachhaltiger Repräsentiert.)
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
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Historischer Überblick:
• Forschungsrichtung geht bis auf Arbeiten von Klages (1926) zurück.
• Allport & Odbert 1936: suchten aus dem „Webster’s New International Dictionary“ ca. 18.000
(17.953) persönlichkeitsrelevante Begriffe heraus, von denen ca. 4.500 zu den „personal traits“
gezählt wurden. (Adjektive - daher auch „adjektivistischer Ansatz - 4.500 müssen reduziert
werden.) — Beliebte Prüfungsfrage: Skizzieren sie den lexikalischen Ansatz von Allport &
Odbert.
• Cattell: reduzierte diesen Datensatz zu der „35-er Variablenliste“. (Weg von 4.500 zu 35 Wortpaaren - die den Anspruch haben, das wesentliche aus den 4.500 beibehalten zu haben.)
• Fiske 1949 sowie Tupes & Christal 1958, 1961: Arbeiteten mit dieser 35-er Variablenliste.
• Norman 1963
4.) Cattells 35-er Variablenliste:
1. Semantische Reduktion:
•
•
•
•
•
•
•
Ausgangspunkt: Allport & Odbert-Liste, Kategorie 1 (Personenmerkmale, 4.504 Begriff) und
Kategorie 2 (Vorübergehende Zustände, 100 Begriffe).
Sortierung nach Synonymen durch 2 Personen.
Hohe Übereinstimmung bzgl. Anzahl von und Zuordnung zu Kategorien - Gruppierung der
Begriffe nach Ähnlichkeiten (ca. 200).
Synonymgruppe variieren in ihrer Größe.
Bestimmung eines Schlüsselworts pro Synonymgruppe (Überbegriff).
Auflistung der Synonyme als Gegensatzpaare (= bipolare Eigenschaftslisten - Unipolar = 1
Adjektiv und „wie sehr bin ich das“. Vorteil: Bündelt mehr Adjektive unter derselben Bedeutung.
Nachteil: Antworttendenzen)
Ausnahmen von dieser Regel: z.B. Fähigkeiten, die ein „Ausmaß“ betonen.
Ergebnis: Aufführung der 4.504 Begriffe in 160 Kategorien von Wortgruppen (durchschnittlich 13.4
Begriff/Gruppe).
65
Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Prüfung auf Vollständigkeit.
• Erweiterung der 160 Eigenschaftskategorien um Interessen und Fähigkeiten.
- Intelligenz: allgemeine Intelligenz/spezielle Fähigkeiten. (kognitiv/physisch)
- Interessen: 11 Bereiche (z.B. ästhetisch, religiös, sozial) - fehlten Cattell, und integrierte
diese.
Ergebnis: 171 Eigenschaftskategorien (vollständige Liste der alphabetisch sortierten Liste von 171
Eigenschaften erhältlich; von „abilities“ bis „worrying“), Illustration der Kategorien mit Hilfe von
Beispielen (171 Items, diese nannte er „Oberflächeneigenschaften“).
• „Oberflächeneigenschaften“: Grundlage der Erschließung von Traits, wurden interkorreliert
und anschließend faktorisiert.
• Prüfung: Einsatz dieser Liste in einer empirischen Studie (genaues Vorgehen unklar)
• Beispiel: Item 38 - Contented vs. Dissatisfied.
• Man hat die Pole durch weitere Adjektive „qualifiziert“.
2. Empirische Reduktion:
• 100 Erwachsene wurden durch Bekannte eingeschätzt. (Cattell, 1943)
• Verwendung bipolarer Items: rechter oder linker Eigenschaftsbegriff charakteristisch? (z.B.
„spendabel vs. „bedacht haushaltend“)
• oder Verwendung unipolarer Items: Ausprägung der Person im Merkmal.
Ergebnis: Beurteilerübereinstimmung hoch (.70-.80)
• Verwendung: Inspektion der Interkorrelationsmatrix (171x171 —> 14.535 Korrelationen) mit
dem Ziel, 30-40 repräsentative Cluster (Gruppen interkorrelierter Variablen) zu finden.
• Erwünschtheit (untersch. Attraktiv) kann Studie stark beeinflussen/verfälschen. Er hat auch
versucht die Faktoren per Augenschein zu analysieren.
Auffinden zweier Arten von Clustern:
• phänomenale Cluster (.45 < r < .80)
• nukleare Cluster („Kerncluster“ - r > .80)
• nicht korrelierende, einzelne Items nur bei praktischem Nutzen beibehalten. (diese müsste man
rausschmeißen, aber ich „schmeiße nur die raus, die mir nicht gefallen“, so Cattell)
• Auflistung der Variablen, die auf diese Weise zugeordnet werden konnten.
3 unterschiedliche Clustergrößen:
1. 15 Cluster mit 5 Variablengruppen.
2. 20 Cluster mit 4 Variablengruppen.
3. 88 Cluster mit 3 Variablengruppen.
=> als bedeutsam werden zunächst 69 bzw. 76 Cluster betrachtet (Cattell, 1943)
(erneut subjekive Wertung von Cattell - wäre heutzutage unmöglich)
• Eine Sichtung der Literatur zur damaligen Zeit erbringt 50 Nuklearcluster, die Cattell zu 20
Persönlichkeitssektoren sortiert.
• Der entscheidende Schritt von den Clustern zur bekannten und weit verbreiteten 35Variablenliste ist nicht völlig geklärt.
• In jedem Fall hat eine weitere Reduktion stattgefunden - von 50 Nuklearclustern auf diese
endgültige Zahl von 35.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
- von 70 auf 50 und dann auf 35 - jedoch auch nicht gut dokumentiert. (Klausur: „Skizzieren
sie die Entwicklung - 18.000 > 4.500 > 71 > 35 - „Cluster“ erwähnen)
• Wenn 2 Personen eine dritte Person relativ ähnlich einschätzen, ist das vorteilhaft.
• Ergebnisse waren für die damalige Zeit jedoch nicht handhabbar. Bei 171 Items fast 15000
Koeffizienten (Korrelationen), diese lassen sich ohne Computer nicht Faktor-analysieren.
• Für robuste Strukturen, braucht man mindestens doppelt so viele Versuchspersonen.
35-Variablenliste (Beispiele):
• Ein Hype brach aus. („Endlich ein
Fragebogen der „alles“ abdeckt“)
• zusätzliche Adjektive zur Spezifizierung.
• Weder positiver noch negativer Pol wurde in
Fragebögen mit angegeben, da dies zu
einem Prime hätte führen können.
5.) Weiterentwicklung der 35-Liste:
• Re-Analysen mit besserer & soliderer Methodik wurden durchgeführt. (Das schon vorhandene
nochmal bündeln)
Tupes & Christal (1958, 1961):
• Ausgangspunkt der Fünf-Faktoren-Taxonomie.
• Vorgehen: Re-Analysen der Korrelationsmatrizen von 8 verschiedenen Stichproben:
- 2 Stichproben von Cattell.
- 2 Stichproben von Fiske.
- 4 eigene Stichproben (Fremdbeurteilung mit der 35er-Variablenliste).
Ergebnis: in allen Analysen zeigten sich konsistent 5 Faktoren. (= Big Five)
Englisch:
I.
II.
III.
IV.
V.
Surgency (talkative, assertive, energetic)
Agreeableness (good-natured, cooperative, trustful)
Dependability (conscientious, responsible, orderly)
Emotional Stability (calm, not neurotic, not easily upset)
Culture (intellectual/cultured, polished, independent-minded)
I.
II.
III.
IV.
V.
Extraversion
Verträglichkeit
Gewissenhaftigkeit
Emotionale Stabilität (pos.) / Neurotizismus (neg.)
Offenheit für Erfahrung/Kultiviertheit
Deutsch:
• Kultiviertheit wäre heute „Offenheit für Erfahrung“ („von Konvention abweichend“ &
„Kultiviertheit/Intellektualität“ korrelieren miteinander bis zu .40)
• Zusatz: Welcher Faktor ist gesellschaftlich am relevantesten?
- Wo gibt es die meisten Wörter? —> Verträglichkeit - die Bereitschaft zu vertrauen,
Empathie & Mitgefühl zu zeigen. Am besten repräsentiert (in westlicher Kultur).
67
Differentielle Psychologie
Skript 2015
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6.) Norman (1963):
• Vorgehen: wählte ausgehend von den Befunden von Tupes & Christal (1961) für jeden der 5
Faktoren die besten 4 Rating-Variablen aus dem Variablensatz Cattells aus. (20er-Itemliste)
• mit diesen Variablen ermittelte er in Fremdbeurteilungsstudien in 4 unabhängigen Stichproben
eine 5-Faktoren-Struktur.
• BFI - Big Five Inventory - oder „Norman Liste“ zur schnellen Erfassung der Persönlichkeit.
Beispiele:
I.
II.
III.
IV.
V.
Extraversion (gesprächig - schweigsam, gesellig - zurückgezogen)
Verträglichkeit (gutmütig - grantig, kooperativ - feindselig)
Gewissenhaftigkeit (sorgfältig - nachlässig, beharrlich - sprunghaft)
Emotionale Stabilität (ausgeglichen - nervös, gelassen - erregbar)
Kultur/Bildung (phantasievoll - phantasielos, kunstverständig - kunstunverständig)
(stärkere Betonung von „Culture“, da es sich um Adjektive handelt)
Fazit:
• Diese 20 Rating-Skalen von Norman wurden von vielen Autoren als repräsentativ für die
Gesamtpersönlichkeit angesehen und in einer Vielzahl von Untersuchungen verwendet.
• Kulturunterschiede - Validität nicht ausreichend gegeben, daher hat man neue Studien gemacht
um herauszufinden, ob es auch in anderen Kulturen anwendbar ist.
• So wurden auch in nicht-englischsprachigen Ländern 5 Faktoren gefunden.
Kritik an den Rating-Skalen von Norman:
1. Ist die Replizierbarkeit der 5-Faktoren-Struktur eventuell auf die Ähnlichkeit der Beschreibungsvariablen zurückzuführen?
2. Ist die 35-er Variablenliste wirklich repräsentativ?
Borkenau et al. 2001, 2004:
„Wie viele Dimensionen der Persönlichkeit sind zur Beschreibung der Unterschiede zwischen
Personen einer Population notwendig? Inwiefern verändern sich Persönlichkeitsmerkmale über die
Lebensspanne? Welche Rolle spielen Anlage-Umwelt bei der Persönlichkeitsentwicklung? Welche
Bedeutung haben individuelle Persönlichkeitsunterschiede in alltagsnahen Kontexten?
• Stichprobe: N = 600 erwachsene Personen, für jede Selbst- & 2 Bekanntenbeurteilungen auf
dem 5-Faktoren-Fragebogen.
• Vorgehen: Teilnehmer bearbeiten Vielzahl von Aufgaben, darunter 15 „quasi-natürliche“
Situationen (Witz erzählen, Telefon-Rollenspiel, etc.). Einschätzung jeder Situation durch 4
unabhängige Beobachter; jede Zielperson wird insgesamt von 60 Beobachtern gesehen.
•
•
•
Ergebnisse: Übereinstimmung der Beobachter war zufriedenstellend (Validität dieser
Einschätzungen variiert jedoch: Extraversion und Offenheit funktioniert gut, Gewissenhaftigkeit
schlechter).
Bessere Selbst- & Fremdübereinstimmung wenn Beobachter mehr Situationen sieht (d.h.
Validität auch vom Grad der Informiertheit abhängig, aber: fortgeführte Beobachtung führt nicht
zwangsläufig zu Validitätserhöhung).
Nomologisches Netz: Übereinstimmungen Selbst, Beobachter, Konföderierte, Versuchsleiter.
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Skript 2015
Maximilian Bungart
7.) Kritik am lexikalischen Ansatz:
• Gefahr, dass die auf diese Weise gewonnenen Persönlichkeitsfaktoren möglicherweise nur
linguistische Kategorien widerspiegeln und keine weiteren Aussagen über die Struktur der
Persönlichkeit erlauben.
• Was entscheidet letztlich darüber, welche persönlichkeitsbezogenen Begriffe Eingang in die
Alltagssprache finden?
• Bedeutung dieser Begriffe nicht immer klar und von wenigen Menschen ausgewählt.
Kritik von Ostendorf und Angleitner (1994):
• Wenn Forscher umfassende Variablenstichproben nach inhaltlichen Gesichtspunkten
vorsortieren, können die Kategorien durch implizite Modellvorstellungen beeinflusst sein.
(Manche haben sogar wieder beim Wörterbuch angefangen)
8.) Tellegen und Waller (1987):
• Vorgehen: verwendeten in einer Selbstbeschreibungsstudie nur Adjektive, die zufällig aus
einem amerikanischen Wörterbuch ausgewählt worden waren.
• auch die holländische Taxonomie von Hofstee, DeRaad et al. basiert auf repräsentativer
(zufälliger) Auswahl von 551 Begriffen aus 8690 persönlichkeitsbeschreibenden Adjektiven.
• Taxonomische Studien jüngeren Datums aus Holland, Italien, Ungarn, Deutschland, Polen &
Tschechien. (Es kamen immer 5 Faktoren raus)
9.) Die deutsche Taxonomie: (Angleitner, Ostendorf et al.)
Aus dem Wahrig-Wörterbuch (1981) wurden 5.160 persönlichkeitsbeschreibende Begriffe ausgesucht.
• grober Filter: „alle potentiell personenbeschreibende Begriffe“ —> 5.160 Adjektive.
• feiner Filter: „persönlichkeitsbeschreibende Begriffe“ —> 430 Dispositionsbegriffe .
(Eigenschaften, Charakter- und Temperamentsbegriffe, Fähigkeiten und Talente)
Prüfung: Einschätzung der 430 Adjektive an Stichprobe von 400-500 Erwachsenen.
a. Selbsteinschätzung —> Korrelationsmatrix (430 x 430) —> Faktorisierung
(Hauptkomponentenanalyse - PCA) => 5-Faktoren-Lösung.
b. Bekannteneinschätzung (3 Bekannte) —> Mittelung der Fremdratings —> Korrelationsmatrix
(430 x 430) —> Faktorisierung (Hauptkomponentenanalyse - PCA) => 5-Faktoren-Lösung.
(Es kamen IMMER 5 Faktoren dabei heraus.)
Beispiele:
I.
II.
III.
IV.
V.
Extraversion (kontaktscheu, temperamentvoll, lebhaft)
Verträglichkeit (warmherzig, gutmütig, herrschsüchtig)
Gewissenhaftigkeit (pflichtbewusst, arbeitsscheu)
Neurotizismus (verletzbar, gelassen)
Kultur/Intellekt (geistvoll, intelligent)
69
Differentielle Psychologie
Skript 2015
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d.) Erfassung der fünf Faktoren: NEO-PI-R (Ostendorf & Angleitner, 2004)
• NEO = Neurotizismus, Extraversion, Offenheit.
• meistbenutzter Fragebogen in der Forschung (nicht aber in der Wirtschaft).
(Kurzform von 1993, 60 Items)
(Revidierte Langform, 240 Items)
• „Antworttendenzen“:
• „Ja-sage-Tendenz“ durch doppelte Verneinung vermeiden.
• Tendenzen zur Mitte, sorgloses Ausfüllen, Soziale Erwünschtheit.
- Problem des ersten
Item: Doppelte
Verneinung.
- Unerfahrene Probanden
haben Probleme, daher
sollte man das eigentlich
nicht tun.
- Weitere Auswertung:
Jede Antwortmöglichkeit
bekommt einen
Zahlenwert.
(Umgekehrte Polung: 2
= 5 etc.). Mit
Normstichprobe
vergleichen (im Prinzip
ein z-Wert Modell, an der Streuung gemessen)
- Dadurch entsteht ein Profil. (Persönlichkeitsprofil)
•
•
•
•
(2. E, 3. O, 4. V, 5. G 6. N, 8. O -)
Normierungsstichprobe fand mit 10.000 Menschen statt, daher extrem gut normiert.
Stanine (Standard 9: von 1 bis 9) haben einen Mittelwert von 5 und eine SD von 2.
Links im Kasten sind die Big Five, Rechts die Subbereiche.
Diese Person ist deutlich impulsiver und offener als der Durchschnitt.
70
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Empirische Bewährung:
• Gute Übereinstimmungsergebnisse: Bekannteneinschätzung auf den Hauptskalen des NEO-PIR korrelieren zu r = .46 mittlere Bekannteneinschätzungen und Selbstbeurteilungen sogar zu r = .54 (N = 750).
• Gute Reliabilitätsergebnisse für die Fragebogenskalen. Stabilitätskoeffizienten der Hauptskalen
liegen bei einem Test-Retest-Intervall von 5 Jahren zwischen .74 und .78 (N = 363-391).
• Vielzahl von Zusammenhängen: Gesundheitsverhalten, Interessen, Einstellungen,
Persönlichkeitsstörungen, Motivation, Emotionsregulation, Selbstregulative Prozesse,
Kreativität, Intelligenz, Berufserfolg,…
—> Sehr valide + der Fragebogen beschreibt gut & unabhängig von der Person.
Beispiele:
• „Wetter-Standardtext“ vorlesen: Klappt am besten für Extraversion (Mimik, Gestik, Körperhaltung, Redelautstärke, Blickkontakt, Lächeln, Selbstbewusstsein) und Gewissenhaftigkeit
(Kleidung, Gepflegtheit, Körperhaltung, Textsicherheit, etc.).
Gosling et al. 2002:
• Frage: Inwiefern können Fremdbeurteiler die Persönlichkeit anderer Menschen aufgrund von
Büro- und Wohnräumen einschätzen?
- Stimmen Fremdbeurteiler in Einschätzungen überein? (Konsens)
- Sind die Einschätzungen valide? (Akkuratheit)
- Nutzen Fremdbeurteiler die „Cues“ (Hinweisreize) angemessen?
(Brunswiks Linsenmodell: tatsächliche Persönlichkeit der Zielperson nur über Linse mit Cues
(aufgeräumter Schreibtisch, etc.) für den Beobachter erfassbar, dabei abhängig davon, in welchem
Ausmaß der Cue genutzt wird und wie valide er ist - korreliert der Hinweis überhaupt mit
Persönlichkeit?)
71
Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Vorgehen: 70 Personen aus US-Unternehmen beurteilen durch Selbst- & Fremdeinschätzung
auf 5-Faktoren-Fragebögen (= Zielpersonen), 8 Fremdbeurteiler (Laien) sollen Persönlichkeiten
einschätzen (keine Instruktionen, Training o.ä.), Teams schätzen Büroräume anhand einer Liste
von 43 Variablen ein.
• Ergebnis: Erzielung einer gewissen Übereinstimmung, Akkuratheit in folgenden
Persönlichkeitsdimensionen: Gewissenhaftigkeit, Offenheit, Neurotizismus, gute Nutzung von
Hinweisreizen (also „richtige“ Hinweisreize in angemessener Gewichtung) bei Offenheit,
Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus.
Kritik:
• Vornehmlicher oder ausschließlicher Einsatz von Fragebogenverfahren.
e.) Zusammenfassung/Überblick:
• Untersuchungen im Rahmen des lexikalischen Ansatzes.
• Studien, die auf Cattells 35-er Variablenliste zurückgehen:
- Tupes & Christal (1961)
- Norman (1963)
• Studien mit von Cattell unabhängigen Datensätzen:
- Conley (1985)
- Norman (1967)
- Goldberg (1980, 1981) und Goldberg & Peabody (freie Elternbeschreibungen)
• Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit (Costa & McCrae, 1989, 1992):
72
Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
f.) Hans Jürgen Eysenck: (1916-1997)
1.) Definition „Persönlichkeit“:
Persönlichkeit ist die „mehr oder weniger feste und
überdauernde Organisation des Verhaltens, des
Temperaments, des Intellekts und der Physis eines Menschen“,
die „seine einzigartige Anpassung an die Umwelt“ determiniert.
(Eysenck, 1953)
Aufgabe von Wissenschaft der Persönlichkeit:
1. Deskription: Beschreibung und Bestimmung der
grundlegenden Einheiten, in denen sich Personen
unterscheiden.
2. Erklärung: Feststellung der kausalen Elemente, die diese Unterschiede hervorrufen. Forderte
biologische Fundierung der Persönlichkeitsdimensionen. („Von den Genen zum Verhalten“ Erklärung spielt bei Eysenck eine wichtigere Rolle als bei anderen Theorien)
2.) Das PEN-Modell: („Giant Three“)
• Deskription der grundlegenden Einheiten, dabei Abkehr vom lexikografischen Ansatz.
P = Psychotizismus, E = Extraversion, N = Neurotizismus.
Grundlegende Einheiten der Persönlichkeitsstruktur: Eigenschafen und Typen
(Eigenschaften = „Traits“, Verhaltensgewohnheiten = „Habits“, spez. Reakt. = „Facetten“ im FFM)
• Mit zunehmender Aggregierung geht eine Reliabilitätssteigerung einher. (viele Dinge werden
zusammengefasst und somit robuster).
• Die Erblichkeit wird nach unten hin weniger.
73
Differentielle Psychologie
Skript 2015
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Typen:
- Kontinuierlich verteilte Grunddimensionen der Persönlichkeit.
- Typen haben biologische Basis. (aber bei Eigenschaften auch)
Eigenschaften:
- Disposition für Erleben und Verhalten (Voreinstellungen).
- Entsprechen den Primärfaktoren von Verhaltensgewohnheiten.
Grunddimensionen:
- Sollen nicht nur biologisch erklärbar sein.
- Müssen auch eine wesentliche Rolle in der Anpassung des Menschen an seine Umwelt spielen.
Etablierung der Dimensionen E und N:
• Er hat viel mit Krankenhäusern zusammengearbeitet. Er begann mit kranken Soldaten.
Grundlage: (1944)
• Stichprobe: 700 neurotische (traumatisierte) Soldaten wurde zur Diagnose und Therapie in das
Mill-Hill-Krankenhaus überwiesen.
• Vorgehen: Erfassung durch (objektive Tests & Verhaltensbeurteilungen) die Verwendung eines
Katalogs von 37 Variablen. Aus 200 routinemäßig erhobenen Angaben zu den Patienten auf der
Grundlage von Psychiater-Urteilen und den Einschätzungen weiterer Personen, z.B.
Psychologen, Personal, Angehörigen. (Krankheitsbezogene Indizes - aus Verhaltensbeurteilungen von Psychiatern, Krankenschwestern, Sozialarbeitern, etc.)
• Kriterien zur Auswahl der 37 Variablen: Inhaltsvalidität und keine extremen
„Itemschwierigkeiten“ - nach subjektiven Einschätzungen Eysencks. (Er hatte relativ schief
verteilte Variablen und musste eine Brücke zwischen Daten hin zur Realität bauen)
• Faktorisierung der Korrelationsmatrix der 37 Variablen führt zur Extraktion von 4 Faktoren, die
Eysenck ohne Rotation interpretiert:
I. Generalfaktor: Fehlen von Persönlichkeitsintegration - Neurotizismus (klärt die meiste
Varianz auf).
II. Bipolarer Faktor: Variiert zwischen Hysterie vs. Dysthymie (negativer Pol von
Extraversion).
diese Beiden werden als voneinander unabhängig weiter angenommen,
+ 2 weitere Faktoren, die aber nirgendwo hinführen:
III. Sorge um den eigenen Körper (Hypochondrie).
IV. „This Factor distinguishes between the stupid, drunken, shiftless social misfits on the one
hand, and the „psychological conflict“ group on the other. Not too much faith is felt in the
interpretation of this factor“ (Eysenck, 1947) - zu heterogen und unbedeutend.
—> stark klinisch geprägte Merkmale.
- Man muss jedoch nicht zwangsweise Rotieren, wenn man sich z.B. nur für den ersten Faktor
interessiert oder wenn die Daten in der Initiallösung schon gut genug sind. (jedoch sollte die
Rotation zur Überprüfung genutzt werden)
- Die Variablen waren subjektiv ausgewählt. (schlecht)
- Er hat die 4 Faktorenlösung unrotiert interpretiert (großer Kritikpunkt).
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
- Rotation bedeutet, dass der erste Faktor sehr viel erklärt und die restlichen immer weniger.
Grafische Ladungsmatrix:
Etablierung der Dimensionen: Extraversion
• Bipolare Dimension mit den Extrempolen Introversion & Extraversion (man kann nur 1 von
Beiden sein):
- Extravertierte: suchen sozialen Anschluss, lieben Partys, befassen sich ungern mit der
eigenen Person, brauchen andauernd Erregung, suchen Veränderungen oder Risiken,
allgemein impulsiv, lachen viel, tendieren zu Aggressivität, haben Gefühle nicht immer unter
Kontrolle und sind launisch.
- Introvertierte: sind ruhig, fast langweilig, introspektiv, finden Bücher interessanter als
Menschen, anderen Menschen gegenüber reserviert, planen viel, ziehen ein ruhiges,
wohlgeordnetes Leben vor, zuverlässig, manchmal pessimistisch.
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Skript 2015
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Etablierung der Dimensionen: Neurotizismus
• Hohe Ausprägung: Zeichen von Labilität, extreme Reaktionsbereitschaft des autonomen
Nervensystems; Tendenz zu emotionaler Überempfindlichkeit, Ängstlichkeit, Schuldgefühlen,
Deprimiertheit und geringem Selbstwert. (im Prinzip schon ein „Anlage-Umwelt-Interaktions-Modell“)
• Darf nicht mit „Neurose“ verwechselt werden, stellt eher eine Disposition dar.
• Eysenck geht davon aus, dass eine Person mit hohen Werten in N mit höherer
Wahrscheinlichkeit neurotische Symptome entwickelt, wenn sie Belastungen und Stress
ausgesetzt ist. (Klausur: „Skizzieren sie den Faktor Neurotizismus“ - ein paar nennen)
Effekte von Neurotizismus auf unterschiedliche Lebensbereiche:
- Mit negativer Emotionalität verbunden.
- Berichten mehr alltägliche Probleme, reagieren darauf mit stärkeren Emotionen, erfahren
häufiger negative emotionale Beeinträchtigungen.
- Stärkere Stressreaktionen auf wiederkehrende Probleme.
Schutzfaktor: höhere Ängstlichkeit
- Bis 25 Jahre: geringere Sterblichkeit aufgrund von Unfällen.
- Ab 25 Jahren: höhere Sterblichkeit aufgrund anderer Ursachen als Unfälle (z.B. Krankheiten,
Suizid) => Alter ist hier also ein „Moderator“
Etablierung der Dimension Psychotizismus: (P)
• Beeinflussung des Grundgedankens: Durch Kretschmer und Jung und deren Annahme eines
Kontinuums von Schizophrenie über Normalverhalten bis zur Manie-Depression (Kretschmer)
bzw. eines Kontinuums „normal-psychotisch“ (Jung). (Lediglich ein Hinweis)
• Umfasst Kontinuum von normalem und angepasstem über kriminelles und psychopathisches
Verhalten bis hin zu psychotischen Erkrankungen mit Realitätsverlust und starken Störungen im
Denken, Fühlen und im Verhalten.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Unsozialisiertes, ungewöhnliches, wenig kontrolliertes und „seltsames“ Verhalten.
• Psychopathen wissen was sie tun, Psychotiker hingegen nicht.
• Einzelgänger, kümmern sich nicht um Menschen, häufig ruhelos, können sich nicht anpassen,
interessieren sich für merkwürdige und ungewöhnliche Dinge (eventuell günstig für Kreativität,
Psychotiker: P+ L+ /Psychopathen & Kriminelle: P+ L-)
Hypothesen Eysenck:
• 1. Hypothese: psychotische und normale Persönlichkeit unterscheidet sich nur in quantitativer
Hinsicht (Kontinuum zwischen P und N, klinisch Auffällige nicht grundsätzlich anders, sondern
Extrem der Normalen)
- Wenn diese zutrifft: Tests, die zwischen Normalen und Psychotikern differenzieren, sollten
innerhalb der Normalgruppe und innerhalb der Psychotikergruppe positiv korrelieren, also
innerhalb der Gruppen differenzieren. (kleine Verteilungen innerhalb der Gruppen bilden,
unterschiedliche Ausprägungsgrade abbilden)
Überprüfung mittels Kriterienanalyse: Annahme des Kontinuums A (normal) nach B (psychotisch).
• Anforderung: wenn AB tatsächlich ein Kontinuum ist und die Tests zwischen „Normalen“ und
„Psychotikern“ differenzieren können, müssen die Relationen der Abschnitte stimmen. Es gilt
dann bei der Anordnung „A-L-X-M-B“ (x = cut-off-normal-psychotisch:)
- Gruppe AL unterscheidet sich von LX genauso wie AX von XB.
- Gruppe XM unterscheidet sich von MB genauso wie AX von XB.
- Gruppe XM unterscheidet sich von MB wie AL von LX.
• 2. Hypothese: Schizophrenie und Manie-Depression liegen auf einer Dimension und sind damit
nicht unabhängig. Die beiden Gruppen weisen grundsätzlich eine ähnliche Eigenschaftsstruktur
auf wie Normale. Innerhalb der Psychotikergruppe Annahme eines Kontinuums von extremer
Zyklothymie (manisch-depressiv) zu extremer Schizothymie (schizophren).
- Wenn diese zutrifft: Tests, die zwischen Schizophrenie und Manie-Depression
differenzieren, sollten auch innerhalb der beiden Gruppen differenzieren (s.o.), also positiv
interkorrelieren.
Empirisches Vorgehen/Hypothesentestung:
• Stichprobe: 100 normale Probanden, 50 Schizophrene, 50 manisch-depressive (Auswahl
mittels Psychiaterurteil).
• Vorgehen: 30 verschiedenartige Aufgaben (84 Testwerte) —> Auswahl von 20 Testwerten pro
Person für Faktorenanalyse (Kritik: heterogene Tests, viele mit Fähigkeitscharakter).
• Schritt 1: Untersuchung der Kriterienkorrelationen (noch keine Faktorenanalyse), vor allem die
Korrelation (schizophren, depressiv) und (normal, psychotisch).
Welche Variablen markieren Psychiaterratings bzw. stimmen überein?
- Vorläufiges Ergebnis: r(schizophren, depressiv) weist viele Nullkorrelationen auf r(normal, psychotisch) enthält höhere Zahl an signifikanten Korrelationen.
• Schritt 2: Faktorisierung der Korrelationsmatrix der 20 Testwerte.
- Ergebnis: Auffinden zweier Faktoren in Normalgruppe (Fn und Fn’) und zweier Faktoren in
der Psychotikergruppe (Fp und Fp’) —> erster Faktor wird als P interpretiert; unrotiert.
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• Bestätigung von H1: Ladungen der unrotierten ersten Faktoren korrelieren um r = .87,
Ladungen Fn und Fp korrelieren mit Kriterienspalte r = .90 —> Kontinuum „normal-psychotisch“,
Grundlage für quantitative Psychotizismus-Dimension P.
• Ablehnung von H2: geringe Kriterienkorrelationen, geringe Korrelationen zwischen FaktorLadungen Fn’ und Fp’ und Kriterienspalte.
=> Keine separaten Kontinuen innerhalb der Störungsgruppen,
Befunde bleiben auch nach Rotation unverändert.
3.) Erfassung der Hauptdimensionen E, N und P: (Messinstrumente)
• N und E/I wurden anfänglich mit objektiven Tests und Verhaltensbeobachtungen erhoben.
- Zur schnellen Erfassung der Dimensionen sollten „Selbstberichts-Fragebögen“ entwickelt
werden. (leicht verständliche Items mit hoher Validität)
- Ziel: Leichte und zuverlässige Erfassung der Dimensionen (Inhalte der Etablierung vs.
Inhalte der späteren Messung)
a.) Maudsley Medical Questionnaire (MMQ): (Maudsley ist das Krankenhaus in dem er geforscht hat)
• 40 Items — 56 N, 16 L-Items.
• erfasst N und Lügenskala (aus dem MMPI; misst Tendenz, sich übermäßig positiv darzustellen)
• wenig zur Konstruktion bekannt; hauptsächliche medizinische Thematiken („Manchmal kriege
ich Herzklopfen“)
b.) Maudsley Personality Inventory (MPI): (24 E, 24 N-Items)
•
•
•
•
Ziel: weniger starke medizinische Ausrichtung, breitere Anwendung.
Erfasst E und N (E ≈ soziale Introversion und Rhathymia, N ≈ Nervosität und Depression)
Verwendung von Items aus Fragebögen von Guilford.
E und N in Normalstichproben weitgehend unabhängig, bei klinischen Gruppen stärkere
Interkorrelation.
c.) Eysenck Personality Inventory (EPI): (bekanntere Bögen - häufig verwendet)
• Verbesserte Fassung des MPI (Verständlichkeit, Unabhängigkeit von E und N, 2 Parallelformen,
Lügenskala - 24 E, 24 N, 9 L-Items).
• Itemgewinnung nicht dokumentiert (unbekannt), Lügenskala aus dem MMPI/MMQ.
• Entwicklung einer für Kinder tauglichen Form (JEPI; J = Junior).
• Es liegen außerdem deutschsprachige Versionen vor. (HANES K.J, HAPEF-K - K.J. = „Kinder
und Jugendlich“)
d.) Psychotizismus-Skala (P-Skala):
• P-Skala sollte unabhängig sein von E und N.
• Konstruktion geleitet durch klinische Erfahrung und die Beobachtung, dass sich Psychotiker in
ihrem Verhalten von Neurotikern und normalen Personen klar abgrenzen lassen. (d.h. man
kann auch ein sehr „geselliger“ Psychotiker sein - auch wenn das nicht oft vorkommt.)
- Bewertung: nach Faktorenanalyse zeigen sich Zusammenhänge der Itemergebnisse, die N
und P messen sollten (nicht unabhängig!).
- Differenzierung von Normalen und Psychotikern gelingt allein mit P-Skala nicht
(Hinzuziehung von Lügenskala)
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- Kontroversen um P-Skala (Psychotiker haben zu niedrige Werte, geringe Reliabilitäten,
Rolle der Impulsivität, Schwierigkeiten der Differenzierung, Schiefe der Verteilung, Ethik „Stigmatisierung“).
e.) Eysenck Personality Questionnaire (EPQ): (25 P, 21 E, 23 N, 21 L-Items)
f.) revidierte Fassung des EPQ (EPQ-R): (32 P, 23 E, 24 N, 21 L-Items)
g.) Eysenck Personality Profiler (EPP): (Extraversion, Emotionality, Adventure/Caution)
Beispiele für Psychotizismus:
„Ich habe Feinde, die mir schaden wollen: Stimmt.“
„Verschiedene Leute versuchen mir aus dem Weg zu gehen: Stimmt.“
„Es gibt Leute, die mich zu ärgern versuchen: Stimmt.“
Beispiele für Neurotizismus:
„Ich bin ziemlich nervös, zappelig oder fahrig“
„Wechselt Ihre Stimmung oft mit oder ohne ersichtlichen Grund?“
„Fühlen Sie sich manchmal ohne Grund einfach, miserabel’?“
Beispiele für Extraversion:
„Machen Sie gewöhnlich den Anfang, wenn Sie neue Bekannte gewinnen?“
„Halten andere Leute Sie für lebhaft?“
„Gelingt es Ihnen leicht, eine langweilige Party in Stimmung zu bringen?“
4.) Biologische Basis der Persönlichkeitsdimensionen: (Inhibition vs. Arousal)
Eysencks Theorie zu Extraversion und Neurotizismus (Inhibition vs. Arousal) - kausale Erklärungen
zu den gefundenen Dimensionen. (zu Psychotizismus nicht geäußert)
Nochmal: Aufgabe von Wissenschaft der Persönlichkeit
1. Deskription: Beschreibung und Bestimmung der grundlegenden Einheiten, in denen sich
Personen unterscheiden.
2. Erklärung: Feststellung der kausalen Elemente, die diese Unterschiede hervorrufen. Forderte
biologische Fundierung der Persönlichkeitsdimensionen. („Von den Genen zum Verhalten“ Erklärung spielt bei Eysenck eine wichtigere Rolle als bei anderen Theorien)
(Warum entscheiden sich Menschen in verschiedenen Faktoren?)
- Wichtiges Kriterium dafür, dass überhaupt von einer grundlegenden Persönlichkeitsstruktur
gesprochen werden kann, stellt die Identifizierung einer biologischen Grundlage für das
entsprechende Merkmal dar.
- Einbettung der Konstrukte in einen biologischen Verursachungskontext gelang
unterschiedlich gut.
- Eysencks Theorie: bietet eine naturwissenschaftliche, kausale Erklärung für
Persönlichkeitsunterschiede.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
a.) Extraversion/Introversion: Inhibitionstheorie (1957)
• Generelle Annahme: Individuelle Differenzen in Extraversion/Introversion hängen mit erblichen
Funktionsunterschieden des Nervensystems zusammen.
• Postulat individueller Differenzen: Menschen unterscheiden sich in Bezug auf…
1. Geschwindigkeit des Aufbaus neuronaler Erregungs- und Hemmungspotentiale.
(exzitatorisches und inhibitorisches Potential)
2. Stärke dieser Potentiale.
3. Geschwindigkeit des Abbaus von Hemmung.
(„Wie schnell springt es an, wie intensiv reagiert es und wie lange braucht es zum runterfahren?“)
Typologisches Postulat:
• Nach Eysenck gibt es nur 2 Kopplungen (Vorsicht: Die Gehirnforschung war zu diesem
Zeitpunkt erst auf dem Stand von 1950, also vor der eigentlichen Gehirnforschung.)
• Generelle Annahme: Individuelle Differenzen in Extraversion/Introversion hängen mit erblichen
Funktionsunterschieden im Nervensystem zusammen.
Extravertierte Verhaltensmuster:
-
langsamer Aufbau von Erregung.
schwaches exzitatorisches Potential.
bei neurotischem Zusammenbruch: hysterisch-pathologisch.
schnelle Entwicklung reaktiver Hemmung.
starke Ausprägung und langsame Zerstreuung.
Introvertierte Verhaltensmuster:
-
schneller Aufbau von Erregung.
starkes exzitatorisches Potential.
bei neurotischem Zusammenbruch: dysthymische Störung.
langsame Entwicklung der reaktiven Hemmung.
schwache Ausprägung und schnelle Zerstreuung.
• Konzept der reaktiven Hemmung (Hull) = Zentralnervöser Vorgang, der durch exzitatorische
Prozesse ausgelöst wird und als aktiver Prozess der Exzitation entgegenarbeitet. Vergleichbar
einem „Nervenzustand der Ermüdung“.
Vorsicht: Kontraintuitiv!
- Wenn ZNS bereits auf einem hohen Erregungslevel ist, dann braucht man nicht mehr all zu viel
tun, d.h. man würde im Verhalten eher abflachen. (es gibt ein „optimales Erregungsniveau“).
- Es ist für diese Personen unangenehm wenn sie unter oder über diesem Niveau liegen. (also
gibt es Mechanismen zur Bremsung)
- Extravertiertheit hat also generell ein niedrigeres Niveau und Introvertiertheit ein höheres.
Kritik am typologischen Postulat:
1. Konfundierung der verschiedenen Aspekte von Erregungsaufbau, -stärke und Hemmungsaufbzw. Abbau.
2. Leistungsunterschiede zwischen Extravertierten und Introvertierten sind nur schwer den
unterschiedlichen Erregungs- und Hemmungsprozessen zuzuordnen.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
b.) Labortests - Leistungsunterschiede zwischen E und I:
(feinmotorische Koordinationsleistung, Aufmerksamkeit, Feinmotorik, etc.)
„Pursuit-Rotor-Task“:
• Aufgabe: Verfolgung eines Punktes auf einer rotierenden Scheibe ohne Kontaktverlust.
• Durchführung: Test über mehrere Minuten ausführen lassen, dann Ruhepause.
• Grundannahme: Aufbau von Hemmung wirkt leistungsmindernd, Ruhepause hebt die
Hemmung auf.
• Hypothese: Da sich Hemmungsprozesse bei Extravertierten schneller und stärker aufbauen
sollen, müssten sie von der Pause stärker profitieren („Reminiszenzeffekt“).
• Ergebnis: größerer Effekt bei den Extravertierten. Leistungsunterschiede von E vs I
nach der Pause (aber nicht vorher!)
• Fazit: entspricht nur zum Teil den
Vorhersagen der Inhibitionstheorie (es hätte
vorher Leistungsunterschiede zu
Ungunsten der Extravertierten geben
müssen).Unterschied nach der Pause ist
übereinstimmend mit der Hypothese.
Weiterer Verlauf bleibt jedoch gleich, also
nicht Hypothesenkonform.
(Deutlich ist der größere Reminiszenzeffekt auf Seiten der Extravertierten zu erkennen.)
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
„Lidschlagkonditionierung“: (Franks, 1956) - „klassisches Konditionieren“
• Prinzip:
-
UCS („unconditioned stimulus“) = Luftstoss auf das Auge
UCR („unconditioned response“) = Lidschlagreflex
CS („conditioned stimulus“) = Ton (per Kopfhörer)
CR („conditioned response“) = durch den Ton ausgelöster Lidschlagreflex
• Durchführung:
-
3 Gruppen à 20 Personen (neurotische E-Hysteriker, neurotische I-Dysthymiker, Normale)
30 Kopplungen von CS und UCS in der Lernphase.
Über die Durchgänge verteilt 18 Darbietungen von CS allein.
11 Darbietungen CS in der Löschungsphase.
Aussage: „Introvertierte seien (generell) besser konditionierbar“
• Ergebnis:
- Dysthymiker zeigen mehr CR
als die anderen Gruppen,
dabei Hysteriker am
wenigsten —> Dysthymiker
(nI) lernen schneller & löschen
langsamer.
- y-Achse = Personen die
Erfolgreich gelernt haben
(bzw. verlernt)
- D = Dysthymiker, N =
Normale, H = Hysteriker.
• Folgerung: Introvertierte sind besser konditionierbar.
Problem dieser Folgerung/Schwierigkeiten dieser Theorie: Nachweis paralleler Lernkurven
• Konditionierungslernkurven laufen für Hysteriker und Dysthymiker parallel ab, damit gibt es
keinen qualitativen, sondern nur einen quantitativen Unterschied (Lernkurven für D sind nach
oben verschoben) — Lernen = andere Steigungen.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Eine genauere Explikation ist erforderlich: Wie ist die Folgerung „Introvertierte ließen sich
schneller konditionieren und löschten langsamer“ gemeint?
• Bezieht sich Konditionierung/Löschung auf absolut erreichte Werte?
- Eysencks Formulierung ist eher unspezifisch: „Es besteht eine positive Korrelation
zwischen Introversion und Konditionierbarkeit“ (damit sind zunächst absolute Werte
gemeint)
- Stärkere Hinweise auf unterschiedliche Steigungen in anderen Arbeiten.
c.) Eysenck & Levey (1967):
• Hinweise auf verschieden günstige Bedingungen für Konditionierung von Intro- bzw.
Extravertierten. (Fazit aus 10 Jahren Forschung)
• Ausgangspunkt: uneinheitliche Befundlage in weiteren Arbeiten zu Lidschlagkonditionierung.
• Aber: Beobachtung, dass besonders 3 Variablen zwischen den Studien variierten:
1.) Verstärkungsrate — 2.) Stärke des UCS — 3.) Interstimulusintervall
• Annahme: Misserfolge von Untersuchungen, die die Folgerung bestätigen wollten, sind auf
diese nicht genau eingehaltenen Bedingungen zurückzuführen. —> Variation der 3 Variablen.
• Aufbau:
- a.) Verstärkungsrate: partiell (67%), vollständig (100%)
- b.) UCS-Stärke: schwach (3 Pfund/inch²), stark (6 Pfund/inch²)
- c.) CS-UCS-Intervall: kurz (400ms), lang (800ms)
Dabei Annahme, dass jeweils die erste Bedingung günstig für die Introvertierten sind.
(relativ zu den Extravertierten)
• Erklärung:
- Zu a.) Nicht bekräftigte Versuche rufen nach Pawlow Hemmung hervor - wenn das
besonders für E gilt, müssen sie hier benachteiligt sein.
- Zu b.) UCS von niedriger Stärke adaptieren schnell und rufen dadurch Hemmung hervor,
hier wären wieder E benachteiligt - UCS von zu großer Stärke führen zu Schutzhemmung,
hier wäre I beeinträchtigt.
- Zu c.) Bisherige Befundlage legt nahe, dass I bei kurzen Intervallen begünstigt wären.
• Durchführung: 144, 8 x18 (Rate x Stärke x Intervall) männliche Versuchspersonen, Einteilung
in „E“, „I“ und Ambivertierte „A“.
• Ergebnisse:
1. bei Vergleich des bedingten Anstiegs von Lidschlagreaktionen leichte Überlegenheit der
Introvertierten, aber nicht signifikant.
2. Vergleich bei hoher bzw. niedriger UCS-Stärke: bei schwachem UCS bessere
Konditionierbarkeit der Introvertierten, bei starkem UCS der Extravertierten.
3. Vergleich bei verschieden langen Intervallen: bessere Konditionierbarkeit der Introvertierten
in beiden Bedingungen, dabei größerer Unterschied zwischen E und I bei kurzem Intervall.
4. Vergleich bei konstanter oder partieller Bekräftigung: generell bei konstanter besser, stärker
ausgeprägter Unterschied zwischen E und I bei partieller (zugunsten von I).
—> Vergleich optimaler Bedingungen für E und I
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
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• Klare Differenzen zwischen E und I, Unterschiede in Gesamt-Lernleistung (doppelt so viele
bedingte Reaktionen von E gegenüber I).
• E ist stärker abhängig von für sie optimalen Bedingungen.
- Introvertierte haben ein relativ robustes
Konditionierungsniveau, d.h. sie sind unabhängig
von anderen Dingen/Umständen konditionierbar.
- Bei den Extravertierten ist es maßgeblich von den
Rahmenbedingungen abhängig.
- Konditionierbarkeit hängt vom Moderator
„Konditionierungssettings“ ab.
Kritik: kleines N pro Gruppe
Erklärungen der Befunde durch Eysenck:
1. Partielle Verstärkung für Extravertierte ungünstiger.
Nichtbekräftigte Durchgänge erzeugen Hemmung, was bei Extravertierten stärker zum tragen
kommt.
2. Schwacher UCS für Extravertierte ungünstiger.
Schwacher UCS wird von Introvertierten aufgrund niedrigerer Sinnesschwellen subjektiv stärker
wahrgenommen. (bei stärkeren UCS setzt bei Introvertierten dann Schutzhemmung ein)
3. Kurzes UCS-Intervall für Extravertierte ungünstiger.
Introvertierte haben arousalbedingt kürzere Reaktionszeiten und zeigen bei kurzen Intervallen
bessere Konditionierung.
—> Bei Extraversion: Unter „optimalen“ Bedingungen findet sich eine Korrelation zwischen E/I und
Konditionierung von r = +0.40, unter den schlechtesten Bedingungen von r = -0.31
Vereinbarkeit der Befunde mit der Inhibitionstheorie und allgemeine Kritik:
1. Nicht klar aus der Theorie ableitbar, warum es Unterschiede in der Konditionierbarkeit bei
partieller oder konstanter Bekräftigung gibt.
2. Erklärung der stärkeren CR bei schwachem UCS für Introvertierte nur mit Zusatzannahme einer
„Schutzhemmung“ möglich.
—> spätere Studien werden zeigen, dass die Haupteinflussgröße auf die Befunde die
Impulsivitätskomponente war.
Allgemeinere Probleme:
3. Schwierigkeiten mit dem Konzept der Hemmung selbst (unpräzise: Konfundierung von
Erregungs- und Hemmungsprozessen).
4. Schwierigkeit der experimentellen Beeinflussung.
5. Keine Benennung von neurophysiologischen Systemen.
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d.) Arousal-Theorie: (1967)
• Theorie zum ARAS (aufsteigendes retikuläres Aktivierungssystem).
• Besonders Intovertierte würden nach Eysenck mehr kortikales Arousal besitzen. (ein Chronisch
höheres kortikales Erregungsniveau aufweisen) —> Vorsicht: Kontraintuitiv.
Hauptaussagen:
1. Extravertierte und Introvertierte unterscheiden
sich in ihrem allgemeinen kortikalen Arousalniveau. (auch im Ruhezustand)
2. … und im Ausmaß des Eintretens der Schutzhemmung.
• Als mit dem Arousal assoziierte Hirnstruktur
werden das aufsteigende retikuläre
Aktivierungssystem (ARAS) sowie die Formatio
reticularis (FR) identifiziert.
„Die Retikulärformation ist beteiligt an der Initiierung und Aufrechterhaltung von Prozessen der
Motivation, Emotion und Konditionierung (über erregende und hemmende Kontrolle autonomer
und Haltungs- Veränderungen) und von Aktivitäten wie Aufmerksamkeit, Aktivierung und
Orientierungsverhalten (in Koordination mit dem Kortex).“
Annahme:
• Extraversion/Introversion wird mit der Erregungsschwelle des aufsteigenden
Aktivierungssystems (ARAS) in Beziehung gebracht.
• Introvertierte sollen eine geringere, Extravertierte eine höhere Ansprechbarkeitsschwelle haben.
• Es besteht eine wechselseitige Beeinflussung von ARAS-Aktivität und kortikalem Arousal
(„kortiko-retikulär loop“).
• Damit sollen Introvertierte chronisch kortikal stärker erregt sein als Extravertierte.
Stichworte:
• Transmarginale Hemmung = Schutzhemmung - Antwort des Organismus auf zu stark
empfundene Stimuli: bis zu bestimmtem Punkt intensiveres Arousal, bei weiterer
Intensitätssteigerung abnehmendes Arousal.
• Optimales Erregungsniveau = als angenehm erlebtes Arousalniveau, für Introvertierte und
Extravertierte unterschiedlich (Extravertierte benötigen mehr Stimulation, um ihr optimales
Erregungsniveau zu erreichen, da unterempfindliches ARAS)
• Drogenpostulat = künstliches Steigern oder Abschwächen von Arousal durch Drogen
(künstliches Erzeugen von Extra- oder Introversion — bei Extravertierten - anfälliger - suchen
nach neuen Erfahrungen —> Drogen)
• Zusammenhang von ARAS und Extraversion sowie Viscerales Gehirn und Neurotizismus:
„Die Beziehung zwischen kortikalem Arousal und retikulärem Bombardement ist positiv bis zu dem
Punkt, an dem transmarginale Hemmungen im Sinne einer Schutzfunktion einsetzen und einer
weiteren Aktivierung entgegenwirken (die Aktivierung fällt sogar ab). Es besteht ein
unterschiedliches „optimales Erregungsniveau“ bei Extra- und Introversion.“
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Skript 2015
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• Beziehung zwischen Ausmaß an sensorischer Stimulation und subjektiver Bewertung des
dadurch bewirkten Zustandes (nach den Qualitäten „angenehm/unangenehm“ in Abhängigkeit
von dem Merkmal Extra-/Introversion):
- Funktion bei Introvertierten nach links, bei Extravertierten nach rechts verschoben.
- In Extremsituationen wieder Annäherung der beiden Funktionen („transmarginale
Hemmung“).
x = Externe Zuführung von Stimuli
— y = hedonischer Tonus
(angenehm oder unangenehm)
• Zunahme der Reizintensität
verbunden mit Gefühl.
• Zu leise ist nicht gut, zu laut
jedoch auch (Mitte ist optimal).
• Es gibt individuelle Präferenzen
im Bezug auf die Lautstärke.
• Kurven für Introvertierte und
Extravertierte verlaufen
charakteristisch verschieden.
- Extravertiert dauert länger
bis „Schutzhemmung“
auftritt. (Ein Zeitpunkt
namens „transmarginale Hemmung“)
• Reiz A und Reiz B.
- B so intensiv, dass er für Introvertierte schon unangenehm ist, aber für die Extravertierten
noch annehmbar.
Studien zu Inhibitions- und Arousaltheorie:
1.) Kritische Flimmerverschmelzungsfrequenz: (FVF)
• Ausgangspunkt: Licht, das bei moderater Frequenz ein- und ausgeschaltet wird, scheint zu
flimmern. Bei Erhöhung der Frequenz verschmilzt das Flimmern zu kontinuierlichem
Lichteindruck (diese Frequenz = FVF, individuell unterschiedlich)
• Annahme Eysenck: individuelle Unterschiede in FVF hängt mit Extraversion zusammen —
Introvertierte müssen sensorische Reize präziser verarbeiten (höheres Arousal) und daher eine
höhere Frequenz haben. Wenn sensorische Stimulation aber sehr hoch wird, müsste die
transmarginale Hemmung bei Introvertierten früher einsetzen, damit müssten Extravertierte ein
höheres Arousal aufweisen und eine höhere FVF haben.
Vorhersagen beider Theorien:
• Inhibitions-Theorie: Reaktive Hemmung erleichtert die getrennte Wahrnehmung der Lichtblitze
und so sollten E höhere FVF aufweisen. (E > I)
• Arousaltheorie: höhere kortikale Erregung soll Stimulierung verstärken, höhere
Stimulusintensität geht einher mit höherer FVF. (E < I)
—> Befundlage spricht stärker für die Arousaltheorie.
(Personen mit höheren Introversionswerten in Fragebögen haben hier bessere Leistungen.)
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Anmerkungen:
‣ FVF = ein weiteres Beispiel ist die „Strobolicht Impulsrate“. Jemand erhöht die Frequenz, es
wird irgendwann ein „einheitliches Licht“. Ab wann verschmelzen die einzelnen Signale zu
einem durchgehenden? Diese Schwelle variiert bei Personen - diese Schwelle gibt es auch bei
auditiven Signalen.
‣ Extravertierte sollten eine höhere FVF zeigen. Nach der Arousaltheorie wäre diese Vermutung
umgekehrt.
2.) Vigilanzexperiment: (Daueraufmerksamkeit)
Vorhersagen beider Theorien:
• Inhibitions-Theorie: Reaktive Hemmung führt zu unfreiwilligen (Konzentrations-) Pausen und
verschlechtert somit die Leistung von E. (E < I)
• Arousaltheorie: Mittleres Erregungsniveau ist optimal bzw. Entfernung vom optimalen
Erregungsniveau.
Ergebnisse: Berücksichtigung der Tageszeit bei 17 Vigilanzstudien zeigt, dass morgens ein
negatives r zwischen E und Leistung, nachmittags ein positives r vorliegt.
—> Veränderung der Erregung über den Tag.
Anmerkungen:
‣ Personen sind unterschiedlich gut darin, diese aufrecht zu erhalten. Wenn nicht verzögert oder
falsch (wichtig bei bestimmten Berufen, wie z.B. Fluglotsen).
‣ Tageszeit spielt eine Rolle (Chronotyp, etc.)
3.) Dauer unfreiwilliger Ruhepausen beim Tapping:
• bei E mehr Pausen.
4.) Unterschiede bei Schmerzgrenzen und Arousal-Levels: (E vs. I)
Wer von beiden hält mehr Schmerz aus?
• Vorgehen: Hitze auf die Stirn, oder Hand in
Eiswasser.
• Nach Eysenck würden die Extravertierten
es länger aushalten, da sie ein chronisch
geringeres Level an Arousal besitzen.
Daher können sie mehr Input zulassen und
könnten es länger aushalten bevor die
transmarginale Hemmung einsetzt.
• niedrigere mittlere Schmerzgrenze bei
Introvertierten, Zusammenhang zwischen
Arousal-Level und Schmerzgrenzen.
• Zeit in Sekunden:
Extravertierte halten
es länger aus.
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Differentielle Psychologie
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5.) Studie zu psi-Fähigkeiten und E/I:
Annahme, dass Extraversion mit verbesserter
psi-Fähigkeit („isoterische Zugänglichkeit“)
einhergeht. (Begriff aus der Parapsychologie)
(Fazit: Inhibitionstheorie mehr Fokus auf
Hemmung, Arousal mehr Fokus auf Erregung)
5.) Verhaltenskorrelate:
Was korreliert eigentlich mit diesen Faktoren - in der Außenwelt?
Korrelate des Neurotizismus:
1. Korreliert positiv mit der „driving stress scale“, besonders mit den Subskalen „driving
aggression“ und „dislike of driving“ - N = Risikofaktor?
2. Taxifahrer mit hohen N-Werten (und E-Werten) erhalten mehr Strafmandate.
3. Unterschiede in bevorzugtem Abwehrmechanismus bei hochneurotischen und niedrigneurotischen Personen: hochneurotische sensibilisieren, niedrig-neurotische verdrängen.
4. Die Instruktion, sich gut darzustellen, führt zu niedrigen N-Werten.
5. Hoch-N-Studenten nehmen belastende akademische Ereignisse als Bedrohung, niedrig-NStudenten als Herausforderung wahr.
6. N korreliert mit 16 PF Skalen C (geringe Ich-Stärke), L (Misstrauen), O (Neigung zu
Schuldgefühlen), Q4 (hohe Spannung, Gereiztheit).
7. Frauen erreichen höhere Werte als Männer.
Eysenck kontrovers:
Publikation: Rauchen verursacht keinen Lungenkrebs (viele Faktoren, darunter Rauchen, keiner
verursacht Lungenkrebs alleine)
Modifikation von J.Gray (um 1970, 1980): Reinforcement-Sensitivity Theorie (RST)
Alternatives 2-Faktoren-Modell:
• Rotation der Faktoren Neurotizismus und Extraversion, neue Dimensionen: Angst
(Gehemmtheit) und Impulsivität („Aktiviertheit“).
• Hauptaussagen:
1. Ansteigendes Angstniveau reflektiert ein steigendes Niveau an Empfänglichkeit für
Anzeichen von Bestrafung, Nichtbelohnung, Neuheit.
—> Behavioral Inhibition System BIS (Vermeidung von Negativem)
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2. Ansteigendes Impulsivitätsniveau reflektiert ein steigendes Niveau an Empfänglichkeit für
Anzeichen von Belohnung und Nichtbestrafung.
—> Behavioral Activation System BAS (Suchen von Positivem)
3. Extraversion reflektiert in diesem Zusammenhang die relative Stärke von BIS und BAS,
Neurotizismus die gemeinsame Stärke (grafisch: E= x-Achse, N = y-Achse).
Vorteile der Theorie:
• In Untersuchungsergebnissen zu E hat sich die Komponente Impulsivität oft als wichtiger
erwiesen als Soziabilität.
• Individuelle Differenzen in E und N werden innerhalb eines Bezugsrahmens begriffen
(Sensitivität gegenüber Straf- und Bekräftigungsreizen).
• Annahme eines dritten Verhaltenssystems: Reaktion auf unkonditionierte Gefahrenreize.
• Entwicklung von Skalen, die BIS (Angst) und BAS (Impulsivität) messen sollen, psychometrisch
aber unbefriedigend.
—> Besser als BIS- und BAS-Skalen von Carver & White 1994, bessere psychometrische
Eigenschaften — deutschsprachige Version von Strobel et al. 2001
Itembeispiele BIS-Skala:
„Ich habe Angst, Fehler zu machen“ (+)
„Sogar wenn etwas Schlimmes bevorsteht, bin ich selten nervös oder ängstlich“ (-)
Itembeispiele BAS-Skala:
„Ich fände es sehr aufregend, einen Wettbewerb zu gewinnen“ (+)
Kritik an der Theorie:
• Impulsivität ist eher mit Psychotizismus assoziiert als mit Extraversion.
• Eysencks Theorie ist breiter und bezieht sich auf den gesamten Persönlichkeitsbereich, mit
Gray hauptsächlich Aussagen in Bezug auf Angst möglich.
- Gray benutzt zunächst Eysenck-Skalen zu E und N zur Überprüfung der RST und zeigte,
dass Extravertierte besser mit Belohnungssignalen und Introvertierte besser mit
Bestrafungssignalen lernen.
• Diese Befunde sind aber nicht eindeutig, andere Interpretationen sind möglich:
- Lernunterschiede können auch durch unterschiedliche kortikale Erregung, die die
Verstärker auslösen, erklärt werden. (nach Eysenck)
Weitere mögliche Klausurfragen:
Unterschied Parsimonität vs. Einfachstruktur?
• Parsimonität = Sparsamkeit — Bei FA 3-faktorielle Lösung einer 5-faktoriellen vorzuziehen,
wenn sie ähnlich gut ist. (wenn man mit weniger gleiches erreichen kann)
• Einfachstruktur = Unabhängig von Parsimonität. Eine Variable lädt auf 1 Faktor, möglichst nur
auf diesen und keinen Anderen. (Klare Zuordnung der Variablen zu einem Faktor)
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6.) Nichtfaktorielle Ansätze der Persönlichkeit
a.) Sigmund Freud
(1856-1939)
• Freuds Lehre heißt „Psychoanalyse“ und hat 3 Bedeutungen:
- Eine psychologische Methode zur Untersuchung unbewusster
psychischer Vorgänge (Träume, Handlungen, Reden).
- Eine Tiefenpsychologische Methode zur Behandlung psychischer
Störungen, die Versucht durch das Bewusstmachen unbewusster
Ängste, Konflikte und Wünsche zu heilen. (Psychotherapie).
- Ein ganzes System - die Gesamtheit der psychologischen und
psychopathologischen Theorien von Freud.
• Die Informationsquellen von Freud waren klinisches Fallmaterial,
autobiographisches Material, Erscheinungs- & Verhaltensweisen aus
Beobachtungen, Sprichwörter, Mythen, Märchen, Gedichten, etc.
1.) Strukturelle Aspekte: Es, Ich, Über-Ich
4 Grundannahmen des Menschenbilds von Freud:
1.
2.
3.
4.
Mensch als Energiesystem.
Angeborene Triebe wirken als Energiequellen des menschlichen Handelns.
Determiniertheit des Verhaltens.
Lustprinzip.
• Der „seelische Apparat“ lässt sich in 3 Instanzen („Provinzen“) aufgliedern:
90
Differentielle Psychologie
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Das „Es“: (Lustprinzip: Bedürfnisse, Libido & Destrudo)
• Ursprung & Reservoir der Triebenergie, handelt nach dem Lustprinzip. (Libido & Destrudo)
• Funktion: gestaute Triebspannung durch sofortige und rückhaltlose Triebbefriedigung zu lösen,
um das Gleichgewicht des Organismus zu bewahren (Primärvorgang) & steht daher oft genug
in Konflikten mit der Außenwelt. Es kennt weder Fürsorge noch Angst und auch keine
moralischen Wertungen.
• Inhalte sind zum Teil angeboren, zum Teil aus Verdrängung des Ichs erworben.
• Sammelbegriff für: alles, was ursprünglich und archaisch ist, von innen drängt und treibt, alle
Bedürfnisse, alles was unbewusst, unpersönlich & konstitutionell festgelegt ist. (Also die aus der
Körperorganisation stammenden Triebe).
Das „Ich“: (Realitätsprinzip: kritischer Verstand, Triebverzicht und -Aufschub)
• Aufgaben: Realitätsprüfung & Triebregulierung.
• Ausgegliedert vom Es im Kontakt mit der Umwelt. (Vermittelt zwischen dem Es und der
Außenwelt, besitzt auch eine unbewusste Komponente - Widerstand)
• Eigenständiges Handlungszentrum, welches sich von anderen (Objekten) Personen als ein
•
•
•
•
selbstständiges Subjekt abhebt. (Bewusstsein)
Wendet sich selbst einen Teil seiner Liebe zu - „Selbstliebe“ & „Narzismus“.
Funktion nach Außen: Wahrnehmung, Denken, Erinnern, Fühlen & Willkürbewegungen
Reizbeantwortung - überstarke Reize vermeiden - durch Flucht - mäßigen Reizen begegnen durch Anpassung. („Realitätsprinzip“)
Funktion nach Innen: Herrschaft über die Triebansprüche - Entscheidung darüber, ob die
Triebbefriedigung zugelassen werden soll oder nicht - Verschiebung der Befriedigung auf
günstige Zeiten und Umstände.
Verteilung der Energie des Es durch Hemmung und Umverteilung sowie schrittweise
Energieabfuhr zwischen sozialen Restriktionen und dem Gewissen (Sekundärvorgang).
Das „Über-Ich“: (Moralische Instanz: Gebote, Verbote)
• Entwicklung aus dem Ich (durch Kritik am Ich - ab dem 3. Lebensjahr).
• Verinnerlichung der Gebote & Verbote der Eltern/anderer Vorbilder. (Ersatz elterlicher Autorität)
• Richterliche Funktion: Beobachtet das Ich, gibt Befehle, richtet es und droht ihm mit Strafe (in
Form von Schuldgefühlen) - „Autorität des Ichs“ .
• Erweiterung des Über-Ich mit der Erweiterung der sozialen Welt.
• Untersysteme: Gewissen & Ich-Ideal - innere Instanz, die Gewissensfunktionen ausübt (IchIdeal überwiegend bewusst; Über-Ich dagegen vorwiegend unbewusst, darum steht es dem Es
nahe)
3 Funktionen: Das Über-Ich (Ich-Ideal) ist…
1. Bedingung des Gewissens: Das Gewissen repräsentiert internalisierte Normen der Eltern,
überhaupt der Mitmenschen und der weiteren Öffentlichkeit. Misst die Wirklichkeit des Ichs am
Ich-Ideal.
2. Bedingung der Verdrängung: Der Mensch baut ein Ideal auf, an dem er sein aktuelles Ich misst.
Weil es den Anforderungen des Über-Ichs oft nicht entspricht, wird der nicht-entsprechende Teil
ins Unbewusste verdrängt.
3. Bedingung der Sublimierung: Überschuss an seelischer Energie (an libido), der in den
Beziehungen zum Ich und zu anderen Personen nicht verbraucht wird, richtet sich auf neue
Objekte. (kulturelle, wissenschaftliche, moralische, religiöse Leistungen) — „Sublimierung“.
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Topographisches Modell: (Topik = griech. „tópos“ = „Ort“)
• Annahme: „seelischer Apparat“ gliedert sich in 3 „Orte“ (psychische Qualitäten) auf - Bewusst,
Vorbewusst & Unbewusst.
• Bewusst: Vergleichbar mit dem
„Bewusstsein“. (nur ein geringer Anteil
psychischer Vorgänge im Ich & Über-Ich)
• Vorbewusst: manche Vorgänge sind leicht
bewusst, können reproduziert oder erinnert
werden. („Bewusstseinsfähig“)
• Unbewusst: Vorgänge die im Es ablaufen,
zum Teil auch Vorgänge im Ich und im
Über-Ich. Deckt 2 Bereiche ab, das Latente
(Vorbewusste) & das Verdrängte
(Unbewusst - entstammt Abwehrvorgängen,
die sich aus den Beziehungen zwischen den
3 Ebenen ergeben)
Beziehungen zwischen Es, Ich & Über-Ich:
• Ich vertritt die Gegenwart.
• Es & Über-Ich vertreten die organische (E) & kulturelle (Ü-I) Vergangenheit.
• Eine Handlung des Ichs ist dann korrekt, wenn sie gleichzeitig den Anforderungen des Es, des
Über-Ichs und der Realität genügt, also deren Ansprüche miteinander zu versöhnen weiß.
• Aus Konflikten zwischen ihnen können sich Neurosen entwickeln.
2.) Dynamische Aspekte: (die Trieblehre)
•
•
•
•
Verhalten wird durch ein Bedürfnis initiiert.
Bedürfnisse entstammen Trieben.
„Trieb“ als Grenzbegriff des somatisch-seelischen Geschehens.
Triebe haben 5 Charakteristika:
-
Triebquelle: entspringen einer körperlichen Quelle (z.B. erogenen Zonen)
psychische Repräsentanz: emotional = Affekt (z.B. Angst), kognitiv = Vorstellung.
Triebziel: Handlung die einen Lustgewinn erbringt. (Bedürfnisbefriedigung)
Innerer Drang: motorischer Moment, welcher sich in der Aktivität des Triebes äußert.
Triebobjekt: „Gegenstand“, an dem Befriedigung erlebt wird. (z.B. Brust)
• Zuerst gab es 4 Triebe:
1.
2.
3.
4.
Sexualtrieb (Lustgewinn aus Körperzonen)
Selbsterhaltungstrieb
Destruktionstrieb (später „Destrudo“ - Neigung, zu zerstören)
Aggressionstrieb (Selbst- & Arterhaltung, aber auch Selbst- und Fremdvernichtung)
• Später nur noch 2 Grundtriebe:
- Freud betrachtet Menschen als energetisches System, das von 2 Trieben gespeist wird.
- Eros (Libido): größere Einheiten herstellen und zu erhalten (Verfügbare Energie = Libido Liebe)
- Destruktionstrieb (Todestrieb): Zusammenhänge auflösen und so Dinge zu zerstören
(fehlen eines analogen Terminus zu Libido)
92
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Triebschicksale:
• Erreicht ein Trieb sein Ziel nicht geradenwegs, kann er es auf Umwegen anstreben:
1. Verkehrung ins Gegengeil: Übergang von Aktivität in Passivität - Wechsel des Ziels.
(Befriedigung durch „Erleiden“ statt durch „Tun“)
2. Wendung gegen die eigene Person: Wechsel des Objektes. (z.B. Befriedigung durch
Ausleben an der eigenen Person - Sadist wird Masochist)
Die beiden ersten Triebschicksale lassen sich nur in Verbindung miteinander verstehen. Meist geht
mit den beiden Triebschicksalen ein Wandel des Inhaltes einher („inhaltliche Verkehrung“). Beim
Wechsel von Sadismus zu Masochismus wandelt sich z.B. die Selbstliebe in Selbsthass.
3. Verdrängung: Das Ich versucht, Vorstellungen, die mit einem Trieb gekoppelt sind (Gedanken,
Bilder, Erinnerungen) in das Unbewusste abzustoßen. Der Umweg zu einer Befriedigung
besteht darin, dass der „verdrängte“ Impuls vom Unbewussten her vielerlei Objekte sucht, an
denen er sein Ziel (den Lustgewinn) erreicht. (z.B. Affekt „Angst“ vorm Vater wird unbewusst
ersetzt durch Angst vor einem Tier - führt zu einer Phobie - Befriedigung durch ertragen der
Gegenwart des Vaters, ohne Angst zu fühlen)
4. Sublimierung: Energie von sexuellen Zielen wird abgelenkt und in den Dienst kultureller,
wissenschaftlicher, künstlerischer oder religiöser Handlungen gestellt, die scheinbar ohne
Beziehung zur Sexualität sind. (Aggressionstrieb umgelenkt in die Arbeit als Chirurg)
Abwehrmechanismen:
Angsttheorien:
• früher Fassung: Angst als umgewandelte
Sexualenergie in Folge der Unterdrückung
von Triebimpulsen.
• spätere Fassung: Signaltheorie der Angst
(Warnsignal, dass ein unbeherrschbarer
Reizansturm das Ich heimsucht).
• Die Abwehr entspringt immer der Angst.
• Abwehrende Instanz ist immer das Ich
• Die ins Unbewusste „verschobenen“
Wünsche behalten ihre Dynamik, sie
versuchen auf vielerlei Wegen ihre
Befriedigung zu erreichen.
• Aus Angst wehrt das Ich „unerwünschte“
Impulse ab.
93
Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• 3 Arten/Hauptquellen von Angst: Es, Über-Ich oder „Realität“ (Umwelt)
- Realangst: Bedrohliche Reize entstammen der realen Welt.
- Neurotische Angst: Innerpsychischer Konflikt zwischen Es und Ich.
- Moralische Angst: Innerpsychischer Konflikt zwischen Über-Ich und Ich.
• Angst entsteht bei einer Überforderung des Ichs durch Reize (traumatische Erfahrung).
• Angst ist ein unangenehmer Zustand für das Ich & es versucht sich auf 2 Arten Erleichterung zu
schaffen:
1. Durch Abwehrmechanismen: Realität wird unbewusst geleugnet, verzerrt oder verfälscht
(Verdrängung, Verleugnung, Rationalisierung)
2. Durch Sublimierung: Umwandlung von Triebwünschen und Triebimpulsen in eine geistige
Leistung oder sozial/kulturell akzeptierten Verhaltensweise (Chirurg lebt Wunsch Menschen
zu verletzten bei Operationen aus)
=> Menschen unterscheiden sich in Art und Häufigkeit der Angstreduktion (differentieller Aspekt)
• Verwendung von Abwehrmechanismen wird primär als „Dysfunktion“ verstanden.
• Das Ich bedient sich daher Abwehrmechanismen, um sich gegen Triebansprüche,
Vorstellungen und Affekte zu schützen.
1. Projektion: Triebimpulse aus dem Es verlegt das Ich in die Außenwelt (z.B. in andere
Personen) und bekämpft sie dort.
2. Rationalisierung: Triebansprüche sind unerfüllbar, das Ich verdrängt wahre Motive und schiebt
Scheinmotive vor.
3. Reaktionsbildung: Triebimpuls wird abgewehrt, indem entgegengesetzte Verhaltensweisen
entwickelt werden.
4. Regression & Fixierung: Rückkehr zu Befriedigungsform früherer Entwicklungsstufen, v.a.
wenn das Subjekt an Erfahrungen der früheren Stufe gebunden ist.
5. Verdrängung: Bedürfnisse werden aus dem Bewusstsein abgeschoben, „unerlebbar“ gemacht.
- Urverdrängung: Vorstellung eines Triebes, weil „verboten“, werden im Unbewussten
festgehalten.
- Eigentliche Verdrängung: Vorstellungen, die dennoch auftreten, werden dem
„unverdrängten“ Impuls nachgeschoben.
- Wiederkehr des Verdrängten: Der verdrängte Impuls kehrt in Symbolen, Träumen,
Fehlleistungen wieder.
Studie zum Abwehrmechanismus „Verdrängung“: (Glucksberg & King:)
• Bedürfnisse werden aus dem Bewusstsein abgeschoben; "unerlebbar" gemacht.
• Phase 1: Wortpaare [sinnvolles Wort - sinnfreies Wort] wurden gelernt.
• Phase 2: Andere Wörter wurden präsentiert und 3 davon mit einem anschließenden
Stromschlag versehen.
• Wörter aus Phase 2 hatten implizite Assoziationen zu sinnvollen Wörtern aus Phase 1 (wie
Rose und Tulpe). Wörter aus Phase 1 die mit neg. Assoziation versehen waren (Stromschlag)
wurden vergessen (zu 30%), anderen nur zu 6%.
Studie zur Überprüfung des Ödipuskomplexes: (Sarnoff & Corwin)
• Todesangstveränderung in Abhängigkeit von Kastrationsangst und sexueller Stimulation
(Blacky, Bilder von nackten / angezogen Frauen)
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
3.) Genetische Aspekte: (die psychosexuellen Entwicklungsphasen)
Annahmen:
• Die Persönlichkeit des Erwachsenen formt sich durch Kindheitserfahrungen.
• Die libidinöse Energie ist von Geburt an vorhanden und durchläuft psychosexuelle Stadien Beschreibung des Beginns und der Entfaltung kindlicher & jugendlicher Sexualität. (Sexuell
bedeutet in diesem Kontext: Aktivitäten, körperliche Lust zu entwickeln)
1. Orale Phase: (im 1. Lebensjahr)
• Die Triebbefriedigung erfolgt hier durch die Schleimhäute der Mundzone: Saugen & Schlucken
(„oral-einnehmend“) dann Beißen & Kauen („oral-aggressiv“) als bezeichnende
Verhaltensweisen.
• Bei einer Fixierung (durch die Nichtbefriedigung der Bedürfnisse) würde der orale Charakter
entstehen.
• Eigenschaften können sein: passiv, abhängig, fordernd, nie gebend, sicherheitsbedürftig,
selbstbezogen, bissig.
• Instanzenbildung: Säugling hebt sich allmählich vom „Objekt“ Mutterbrust ab - Anfänge des Ichs
wurzeln in Unterscheidungserlebnissen.
2. Anale Phase: (vom 2.-3. Lebensjahr)
• Reinlichkeitserziehung steht im Vordergrund: Sexueller Lustgewinn durch Zurückhalten („analretentiv“) und Ausscheiden („anal-expulsiv“) des Kotes - Anus als erogene Zone.
• Bei einer Fixierung (durch Nichtbefriedigung der Bedürfnisse) würde der anale Charakter
entstehen.
• Eigenschaften können sein: Ordnungsliebe, Sparsamkeit und Eigensinn.
• Instanzenbildung: Im „Abgeben“ und „Zurückhalten“ verstärken sich die Ich-Funktionen willkürliche Muskelkontrolle, Orientierung an der Mitwelt und Realitätskontrolle. (Autonomie vs.
Anpassung)
3. Phallische Phase: (vom 4.-5. Lebensjahr)
•
•
•
•
•
Genitalien als erogene Zone.
Der Junge empfindet „Penisstolz“, das Mädchen „Penissneid“.
Konfrontation des Kindes mit dem „Ödipuskomplex“.
Eigenschaften können sein: kämpferisch, freiheitsdurstig, rücksichtslos.
Instanzenbildung: Durch die Identifizierung mit dem Vater (beim Jungen) bzw. der Mutter (beim
Mädchen) entsteht das Über-Ich.
- „die andere Person“ als Teil „der eigenen Person“. (Teil der Außenwelt wird aufgenommen)
- Das Über-Ich setzt die elterliche Funktion fort: beobachtet das Ich, lobt und bestraft es.
4. Latenzphase: (vom 6.-12. Lebensjahr bzw. bis zur Pubertät)
• Sexual- und Aggressionstriebe treten zurück, werden sublimiert & die freigewordene Energie
wird auf den Erwerb von Wissen umgelenkt.
• Libido wird von einer Person auf eine Idee oder ein sachliches Objekt verschoben,
„Versachlichung“ bzw. „Desexualisierung“.
• Sexualität verschwindet nicht, aber ihre Manifestationen verringern sich.
• Es geschehen 2 Dinge: Sexualität wird im Lernen sublimiert und der Ödipuskomplex wird
zerstört und aufgehoben. (Wird er nicht zerstört, kann dies zu Neurosen führen)
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
5. Genitale Phase: (ab der Pubertät)
• Sexualtrieb bislang autoerotisch, nun findet er das Sexualobjekt.
• Entstehung eines neuen Sexualziels, zu dessen Erreichung alle Partialtriebe zusammenwirken,
während die erogenen Zonen sich zum Primat der Genitalzone unterordnen.
• Diese Phase dauert bis in das Erwachsenenalter hinein, bis zur Vollendung der Sozialisation.
(Beruf, Ehe, Familie)
• Instanzenbildung: In der Latenz- und genitalen Phase gewinnen Ich und Über-Ich schärfere
Konturen. Dabei gehen auch „Ansprüche“ der Gleichaltrigen oder der Lehrer oder anderer
„Vorbilder“ mit in das Über-Ich ein und „erweitern“ so seinen Machtbereich.
Der Ödipus- bzw. Elektrakomplex:
Die Mutter gilt für beide Geschlechter als „ursprüngliches Liebesobjekt“:
- Der Junge nimmt den Vater als
-
-
bedrohlichen Rivalen wahr, entwickelt
daraus eine „Kastrationsangst“.
Als Reaktion verdrängt er die sexuellen
Gefühle zur Mutter sowie feindselige
Gefühle zum Vater.
Lösung des Konflikts: Identifizierung
mit dem Vater.
Das Mädchen ersetzt das
ursprüngliche Liebesobjekt durch den
Vater, da sie ihre Mutter für den
fehlenden Penis verantwortlich macht
(„Kastrationskomplex“)
Das Mädchen nimmt die Mutter als
Rivalin wahr und begehrt den Vater.
Lösung des Konflikts: Identifizierung
mit der Mutter.
Wichtig:
• Um von einer Phase erfolgreich in die nächste zu gehen, muss eine Person jeweils einen
zureichenden Lustgewinn erzielt haben.
• Zu wenig Lustgewinn kann zur Fixierung (auf einer Phase haften bleiben) oder zu viel
Lustgewinn zur Regression (zurückfallen auf die Phase in der er verwöhnt wurde) führen.
4.) Therapeutische Aspekte: („Psychoanalyse“ als Heilungsmethode)
• In 3 Phänomenen sieht Freud Auswirkungen des Unbewussten und Zugänge zum
Unbewussten.
• Jeder dieser Phänomene manifestiert die Wirksamkeit des Unbewussten, jedes entspringt
einem Konflikt zwischen Primär- und Sekundärvorgang. (Primärvorgang = Unbewusst, ist nur in
Bildern gegeben. Sekundärvorgang = in Begriffen)
I.) Fehlleistungen: „Eine Handlung, deren ausdrücklich angestrebtes Ziel nicht erreicht, sondern
durch ein anderes ersetzt wird.“
1. Versprechen (Versprecher)
2. Vergessen (von Namen, Begriffen, etc.)
3. Vergreifen (z.B. an fremder Haustür eigenen Schlüssel zücken)
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
II.) Träume: („Der Königsweg“)
• Aufgaben: Traum als Wunscherfüllung & Traum als Hüter des Schlafes.
• Traumquellen: Rezente Erlebnisse (einfacher Vorfall, der umgestaltet wird), infantile Ereignisse
(Eindrücke aus frühesten Lebensaltern erscheinen), somatische Vorgänge (es gibt Träume, die
jedermann in derselben Weise geträumt hat - Verlegenheitstraum (Nacktheit), Traum vom Tode,
Prüfungstraum).
•
Traumarbeit: Vorgang, bei dem der Träumer aus verschiedenen „Materialien“ den manifesten
Traum zusammensetzt. Aus der Traumarbeit lassen sich alle Träume erklären, auch die TraumEinstellungen.
- Verschiebung: Sache und Affekt werden getrennt. (2 Verehrer werden durch 2 Züge
dargestellt)
- Verdichtung: Verschiedene Inhalte werden in 1 Bild zusammengezogen. (Prüfer ist
Kassierer im Supermarkt und verlangt zu hohen Preis)
- Dramatisierung: Traumarbeit verwandelt verschiedene Handlungsstränge in eine
gemeinsame Szene.
=> Alle drei lassen sich nicht eindeutig von einander trennen.
- Traumsymbolik: Sexuelle Traumsymbole, z.B. Turm, Pinsel, Höhle, Zimmer, überfahren
werden, das Eindringen in Räume.
- Trauminterpretation: Dechiffrierung bzw. „Übersetzung“ des Traumes.
III.) Neurosen:
Konflikt zwischen Primär- und Sekundärvorgang.
Symptome: Ersatzbefriedigung irgendeines sexuellen Strebens oder Maßnahmen zu ihrer
Verhinderung, i.d.R Kompromisse von beiden.
1.) Aktualneurose oder Organneurose:
• Entstehen durch starke, aber unspezifische Affektwirkungen auf das vegetative System in
einem aktuellen Konflikt.
• Ursachen: Hemmung/Erschöpfung der Sexualfunktionen, aber auch toxische Schäden.
• Heilung: Nur medizinisch, nicht psychologisch möglich.
• Beispiele: „Neurasthenie“ (Nervenschwäche), Angstneurose/Hypochondrie.
2.) Übertragungsneurosen/Psychoneurosen/Konversionsneurosen:
• Entstehen durch sexuelle Erfahrungen, bei denen es nicht gelang, die Erregung adäquat
„abzuführen“. Es entwickelt sich ein chronischer Triebkonflikt.
• Ursachen: sexuelle Traumata in früher Kindheit; Verdrängungen, wobei die Vorstellung
verdrängt wird, der Affekt aber erhalten bleibt.
- Können sich beziehen auf: reale Erlebnisse eines Kindes (z.B. die Beobachtung eines
Koitus bei den Eltern), reine Phantasiegebilde (die Vorstellung einer Verführung), Mischung.
• Heilung: Neurosen haben psychischen Ursprung, sind daher mit Analyse & Therapie
zugänglich.
• Beispiele: Hysterie (sexuelle Erregung, die nicht zugelassen wird), Phobie, Zwangsneurosen
(entstehen oft mit frühkindlicher Sexualthematik).
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Psychoanalyse als Therapie der Neurose:
• Ablauf der Therapie: Wöchentlich 3-5 mal ca. 1 Stunde lang
(bis zu 3-4 Jahre), auf einer Couch liegend - der Therapeut
sitzt schweigend im Hintergrund.
• Elemente der klassischen Psychoanalyse/Einzelne Phasen:
1. Bewusstmachung: Therapie soll dem Klienten seine
Traumata bewusst machen. (Analyse, Konstruktion,
Deutung - Ziel: Unbewusste Phänomene sollen bewusste
Erlebnisse werden).
2. Übertragung & Gegenübertragung: Prozess zwischen
Patient und Therapeut (Übertragung = Projektion
libidonöser Bedürfnisse auf den Therapeuten;
Gegenübertragung = Projektion libidonöser Bedürfnisse auf
den Patienten).
3. Widerstand & Wiederholungszwang: Jede psychische
Erkrankung schließt eine Introversion der Libido mit ein - Ein Anteil der nach Außen gerichteten
Libido wird nach innen gewandt. Es ist eine Form von Regression. Wenn dieser „Rückzug“ dieses Versteck der Libido - aufgedeckt werden soll, erhebt sich Widerstand, der darauf abzielt,
den vorhandenen Zustand zu erhalten.
4. Grund- & Abstinenzregel: Der Neurotiker soll alles aussprechen, was ihm durch den Sinn
geht. Der Therapeut soll sich i.d.R. jeder Aktivität enthalten, er soll nicht eingreifen, sondern
schweigend zuhören. Eingriff erst wenn Klient „reif“ ist.
5. Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten: Bewusstmachen des Vergessenen; erneutes Erleben
von Emotionen vergangener Ereignisse; Widerstände sollen aufgelöst werden. Der Klient soll
die Zeit bekommen, sich in seine Widerstände zu vertiefen, sie durchzuarbeiten - und auf diese
Weise „reifen“. Therapeut soll diesen Vorgang nicht beschleunigen.
6. Agieren: Überließe sich der Therapeut der Gegenübertragung, so erlaubte er dem Patienten, in
Realität zu erleben, was er nur in der Vorstellung wiederholen soll. (z.B. Kontaktaufnahme zu
Angehörigen des Therapeuten, zur Therapiestunde zu spät kommen, Streit am Arbeitsplatz
suchen usw.)
7. Ablösen: Wie lange soll eine Therapie dauern? Wer nur Symptome beseitigen möchte = kurze
Therapie; Charakteranalyse = lange Therapie. Die Ablösung ist dann fällig, wenn das Ziel der
Therapie erreicht ist. Das Ziel ist erreicht, wenn die Genuss- & Leistungsfähigkeit des Patienten
wiederhergestellt ist. (Wenn der Patient genießen kann, ohne zu bereuen, dann darf die
Therapie beendet/unterbrochen werden.)
5.) Entwicklung über Freud hinaus:
• Lerntheorie und Kognitionswissenschaften tat die Psychoanalyse und ihre Therapie als
unwissenschaftlich und damit als „Auslaufmodell“ ab.
• Gegenbewegung auf die Hochzeit der Psychoanalyse zwischen 1960 und 1985.
• Es entstanden viele Abspaltungen & Weiterentwicklungen wie beispielsweise: „Neofreudianer“ &
„Neopsychoanalytiker“.
• In den letzten 10 Jahren hat die Psychoanalyse eine wissenschaftliche Rehabilitation durch die
neuropsychobiologische Forschung erfahren. (Neue Therapieformen, z.B. Fokal-, Kurz-,
Gruppen-, Familientherapie)
Aktuelle Erkenntnisse (Quelle):
1. Das Unbewusste hat mehr Einfluss auf das Bewusste als umgekehrt.
2. Das Unbewusste entsteht zeitlich weit vor Bewusstseinszuständen.
3. Das Bewusste Ich hat wenig Einsicht in die Grundlagen seiner Wünsche & Handlungen.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
b.) Henry Alexander Murray: „Personologie“
Maximilian Bungart
(1893-1988)
1.) Methodische Grundlagen: Längsschnittliche Verhaltensanalyse
„Explorations in Personality“: Halbjährige längsschnittliche
Untersuchung von 50 psychisch gesunden männlichen
Collegestudenten durch 25 Untersucher - orientiert an Theorien von
Freud, Jung, Adler, McDougall und Lewin. (Harvard Studie)
Datenquellen:
- Autobiographische Skizzen & Beschreibung persönlicher Ziele.
- Diskussionen über gegenwärtige Probleme und ihre Bewältigung.
- Fähigkeits- und Gedächtnistests, Projektive Verfahren, Psychophysiologische Messungen, soziale Interaktion.
Sein Verfahren stand zwar der Psychoanalyse näher als der akademischen Psychologie, schloss
aber 4 Vorteile ein:
1. Wurde eine größere Anzahl von Untersuchern (25) hinzugezogen, dadurch wurde eine
einseitige Sichtweise vermieden und somit wurden sehr unterschiedliche Interaktionen mit
einem Probanden erfasst.
2. Er legte mehr Wert auf offene Verhaltensweisen der Persönlichkeit, die Gesamtperson kam
deutlicher in den Blick (nicht nur die erlebte Welt).
3. Es wurden gesunde und keine kranken Probanden untersucht.
4. Bestimmte Hypothesen konnten unter experimentellen Bedingungen getestet werden.
Persönlichkeitsdefinition nach Murray:
„Persönlichkeit als allgemeines und überdauerndes Leitorgan; als übergeordnete und im Gehirn
lokalisierte Instanz, welche die integrativen Prozesse des Individuums organisiert“.
(Persönlichkeit als Prozess- und Strukturansatz - Es, Ich, Über-Ich)
2.) Hauptbegriffe zur Beschreibung von Verhalten:
• Untersuchungsgegenstand ist die individuelle Persönlichkeit.
• Er nennt sein System auch „Personologie“.
• Die Lebensgeschichte eines Individuums ist die Informationsbasis.
1. Vorgang/Episode (Proceeding): Verhaltenszusammenhang mit Anfang und Ende. (z.B. die
Phase, in der jemand ein Stück im Fernsehen sieht. In einem Vorgang, einer Episode lassen
sich beobachtbare Anteile und unbeobachtbare Erlebniskomponenten unterscheiden.)
2. Serie (Serial): Zusammenfassung von einzelnen Episoden zu einer thematischen Einheit. (z.B.
die Interaktion zwischen Ehepartnern, die immer wieder unterbrochen - Berufsarbeit - aber auch
immer wieder aufgegriffen wird)
3. Anordnung (Ordination): thematische Einheiten (serial program - z.B. die Festlegung von
Teilzielen im Studium) vs. zeitlicher Rahmen (serial schedule - z.B. die zeitliche Platzierung von
Teilzielen im Studium).
4. Bedürfnis (needs): umfasst alles, was ein Individuum von sich aus mag, will, anstrebt.
5. Umweltdruck (press): bezeichnet alles, was das Individuum von der Umwelt her auf sich
zukommen fühlt. („guten“, „bösen“ Einfluss) - es gibt den „objektiven Sachverhalt“, der Druck
ausübt (alpha press) und die subjektive Repräsentanz von Druck (beta press). Der Subjektive
Druck ist entscheidender für das Verhalten eines Individuums.
99
Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Theorie der Bedürfnisse: („need Theorie“)
• Definition: Hypothetisches Konstrukt, welches für eine Kraft im Gehirn steht. Diese Kraft kann
internal oder external geweckt werden und organisiert dann psychische Prozesse. („Alles, was
eine Person von sich aus mag, will, anstrebt“) - Beispiel: Leistungsbedürfnis (need
achievement, „nACH“)
• Bedürfnisse = Antriebe, die sich in vielen Erlebens- und Verhaltensweisen ausdrücken.
• 5 Kriterien/Ansatzpunkte zur Identifizierung von Bedürfnissen:
1. Verhaltensverlauf und -resultat („a typical behavioral trend“)
2. Verhaltensmuster („a typical mode of behavior“)
3. Selektive Wahrnehmung („search for, avoidance or selection of, attention & response to
one of a few types of press“)
4. Gefühle und Wünsche („exhibition of a characteristic emotion or feeling“)
5. Befriedigung („satisfaction or dissatisfaction with the achievement of a certain effect“)
• 2 Arten von Bedürfnissen:
1. viszerogene Bedürfnisse = Aufnahme von Luft, Nahrung, Flüssigkeit, Schlafen, etc.
2. psychogene Bedürfnisse = lassen sich von den viszerogenen ableiten.
• Kategorisierung von needs:
‣ 13 primäre (viszerogene) Needs (mit organischen Vorgängen verbunden)
‣ 20 sekundäre (psychogene) Needs (individuelle Differenzen, nicht universal)
‣ 8 latente Needs (verdeckte Bedürfnisse —> Träume, Fantasien)
Beispiele:
Konzeption von Umweltdruck: („press“)
• Definition: Dynamische Eigenheiten von Objekten oder Personen, die eine Person beeinflussen.
• Versuch, für jede Bedürfniskonstellation eigene Presskonstellationen zu konstruieren.
- alpha-Press = real existierende Umweltbedingungen.
- beta-Press = subjektiv wahrgenommene Umweltbedingungen (entscheidender für
Verhalten).
- Bedeutung der Balance zwischen alpha- und beta-Press vs. Diskrepanzen.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Bedürfnisse interagieren bei Verhaltenserzeugung und drücken sich in vielen Erlebens- und
Verhaltensweisen (in Verhaltensepisoden) aus.
• Wiederholt gemeinsam auftretende „need-press“ Konstellationen bilden ein „Thema“.
• Aggression aus der Umgebung (press) kann zu aggressiver Reaktion (need) führen, diese
geäußerte Aggression (entsprungen einem Bedürfnis), kann für ein anderes Individuum ein
erneuter Anreiz zur Aggression werden (press) und seine Aggression hervorrufen (need).
• Thema-Erfassung via verschiedener Methoden, u.a. Fragebogen und Tests. (vorrangig mit TAT)
3.) Der „Thematische Apperzeptionstest“: (TAT)
•
•
•
•
Auch „Thematischer Auffassungstest“ genannt.
Instrument einer Analyse der Persönlichkeit.
Besteht aus 31 Tafeln — 30 Schwarz-Weiß und 1 leeres weißes Blatt.
Die Tafeln sind für unterschiedliche Gruppen vorgesehen:
11 Bilder für alle Altersstufen und für beide Geschlechter.
Teilmengen jeweils für Männer oder Frauen, Jungen oder Mädchen.
• Probanden werden aufgefordert, zu den vorliegenden Tafeln eine Geschichte zu erzählen.
• Instruktion: „Erzählen Sie eine Geschichte zu diesem Bild, die möglichst dramatisch ist.
Berichten Sie, wie es zu dieser Szene kam, was jetzt vor sich geht und wie die Geschichte
ausgeht“. (Also Abbildung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft)
• Die Geschichten bilden dann die Informationsbasis für Rückschlüsse auf das Druck- und
Bedürfnissystem. Im Idealfall lässt sich ein „Einheitsthema“ („unity theme“) entdecken, das die
Biographie eines Individuums kennzeichnet. Im Einheitsthema „kann sich eine primäre kindliche
Erfahrung oder eine nachfolgende Reaktionsbildung auf diese Erfahrung ausdrücken. (Und
somit wird es sich in anderen Situationen im ganzen Leben wiederholen)
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Applikation in 2 je ca. 1-stündigen Sitzungen mit je 10 Tafeln.
• Murray favorisierte eine „Satz-für-Satz“ Auswertung, wobei zum einen Kräfte oder Aktivitäten im
Mittelpunkt stehen, die von der Hauptfigur der Geschichte ausgehen, sowie solche, die auf sie
wirken.
• Problematische Gütekriterien: Objektivität, Reliabilität und Validität.
• Schwierigkeit nachzuweisen, dass es sich bei den angesprochenen Themen um die Projektion
unbewusster Probleme handelt.
• Hinweise darauf, dass die Befragten sich ihrer Äußerungen bewusst sind und deren Preisgabe
kontrollieren (können).
• Fazit: Der TAT ist kein Verfahren, das - darin den meisten projektiven Verfahren gleich - den
klassischen Testgütekriterien genügt. Die mangelnden Testeigenschaften wären zu
verschmerzen, wenn sich auf diese Weise Informationen gewinnen ließen, die sonst nicht zu
erlangen sind. Da den Versuchspersonen aber offensichtlich die relevanten Inhalte bewusst
sind, stellt sich die Frage, ob diese nicht durch direkte Befragung einfacher zu erheben sind.
4.) Murrays Persönlichkeitsbild:
„Ein sich ständig veränderndes System - Ein Prozess und eine Struktur.“
• „Es“ = enthält alle angeborenen, primitiven und nicht akzeptierten Impulse.
- Also die grundlegenden Energien, Emotionen, Bedürfnisse.
- Aber auch die sozial akzeptierten Antriebe. (im Gegensatz zu Freud)
• „Ich“ = fungiert als zentrale, planende, das Verhalten organisierende Institution.
- aktivere Funktion, als Freud zugesteht.
- Seine Wesentlichen Aufgabe wird nicht ständig vom Es oder Über-Ich behindert.
• „Über-Ich“ = Werte und Vorschriften einer Kultur. (soweit sie das Individuum internalisiert hat)
- Nicht nur elterliche Autorität, sondern auch der Gruppe Gleichaltriger ist in der Ausbildung
des Über-Ichs wichtig. (Ebenso der Dichtung oder der Mythologie)
- Verwandt mit dem Über-Ich ist das „Ich-Ideal“ das ideale Selbstbild, die persönlichen Ziele,
die ein Individuum sich gesetzt hat und die es anstrebt.
5.) Persönlichkeitsentwicklung:
• Ausgehend von Freuds Werk, unterteilt auch Murray die Kindheit in 5 Stufen, die jeweils von
einem angenehmen Zustand geprägt sind und misst der Kindheit eine wichtige Bedeutung in
der Entwicklung der Persönlichkeit zu. (durch gesellschaftliche Anforderungen beendet).
• Nicht analog zu den Freudschen Phasen, es geht vielmehr um Erlebnisse.
• 5 Befriedigungsstadien:
1. Existenz im Mutterleib
2. Saugen an der Brust
3. Defäkation (Kotentleerung)
4. Urinieren (Harnlassen)
5. Genitale Erregung
• Die Erinnerungen an diese Erlebnisse erhalten sich im Individuum als „Komplexe“, die das
spätere Verhalten beeinflussen. (Jede Stufe prägt unsere Persönlichkeit in Form eines
unbewussten Komplexes, der unsere weitere Entwicklung lenkt)
102
Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Komplexe:
„Dauerhafte verhaltenswirksame Integration, welche die spätere Entwicklung beeinflusst,
ohne der Person bewusst zu sein“.
I.) Claustraler Komplex:
• genussvolle Existenz im Mutterleib.
• Eigenschaften: Passivität, Abhängigkeit, Orientierung an der Vergangenheit, Widerstreben
gegen Neuerungen.
II.) Oraler Komplex:
• Vergnügen, an der Mutterbrust zu saugen.
• Eigenschaften: Schutzssuche, Passivität, Aggression, Ablehnung (oraler Objekte).
III.) Analer Komplex:
• angenehme Empfindungen bei der Kotentleerung.
• Eigenschaften: Ablehnungs- & Aggressionsneigung (den Kot ausstoßen), Zurückhaltung, Geiz
(den Kot behalten).
IV.) Urethraler Komplex:
• wohltuende Eindrücke beim Harnlassen.
• zeigt seinen Einfluss beim Bettnässen, urethraler Beschmutzung oder Erotik.
V.) Kastrationskomplex:
• Die erregenden Gefühle bei Reizung der Genitalien entspricht dem Kastrationskomplex.
• Für Murray jedoch nicht so bedeutsam wie für die Psychoanalytiker die Kastrationsangst.
• Spätere Verhaltensweisen/Eigenschaften beschreibt Murray nicht.
3 Entwicklungsperioden nach Murray:
• Anders als Freud sieht Murray die Entwicklung der Persönlichkeit nicht begrenzt auf 5
Kindheitsstadien, Entwicklung durchzieht das gesamte menschliche Leben - in 3 Perioden:
1. Periode: (in Kindheit, Adoleszenz, frühem Erwachsenenalter)
Die Persönlichkeit entwickelt ihre Struktur.
2. Periode: (im mittleren Erwachsenenalter)
Die entwickelten Strukturen werden erhalten und verstärkt.
3. Periode: (im Alter)
Die entwickelten Strukturen bilden sich zurück
& die Fähigkeit Strukturen zu formen nimmt ab.
103
Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
6.) Fazit:
• Strukturelle Theorieelemente (Es, Ich, Über-Ich) sowie Murrays (stark psychoanalytisch
beeinflusster) Ansatz zur Persönlichkeitsentwicklung haben wenig Beachtung gefunden.
• Dennoch: vielfältige Ansätze
- Einzelne Bedürfnisse wurden zum Forschungsschwerpunkt (z.B. Leistungs- & Machtmotiv)
- Bedürfnisgruppen als Grundlage für Persönlichkeitsfragebögen PRF (Personality Research
Form), NPQ (Nonverbal Personality Questionnaire).
- TAT als Anstoß vieler weiterer thematischer Analyseinstrumente.
• Wichtige Rolle als Vermittler zwischen Psychoanalyse und akademischer Psychologie.
• Großen Anklang gefunden hat: need-press Ansatz, TAT, Leistungsmotiv, PRF
• Axiome und Gesetze bilden eine Theorie, die nicht geprüft wurde. (werden kann)
7.) Exkurs: PRF & NPQ
Personality Research Form (PRF):
• Multivariater Fragebogen zur Erfassung grundlegender Persönlichkeitseigenschaften im Sinne
•
•
•
•
•
der Personologie Murrays.
Objektive, ökonomische und umfassende Charakterisierung des Probanden im Sinne gängiger
normalpsychologischer Konzepte.
Schwerpunkte: Erfassung von Aspekten des Leistungs- & Sozialverhaltens.
Die PRF ist eines der am meisten verwendeten angloamerikanischen Persönlichkeitsinventare.
14 Inhaltsskalen à 16 Items + 10 Items = 234 Items.
Skalenbeschreibung:
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Itembeispiele:
Nonverbal Personality Questionnaire (NPQ):
• 136 Items zur Messung von 16 Skalen (in Anlehnung an Murrays needs, die Skalen der PRF
und des Fünf-Faktoren-Modells - FFM ist das aktuell geläufigste Persönlichkeitsmodell)
• Probanden schätzen ein, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie sich in die abgebildete
Situation begeben würden.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
c.) Carl Gustav Jung: „Analytische/Komplexe Psychologie“
(1875-1961)
War ein Mitarbeiter Freuds, trennte sich jedoch von ihm, da er
Freuds These - „Libido als sexuellen Grundantrieb“ - ablehnte.
Verhalten orientiere sich vor allem an Zielen, also an der Zukunft, an
der Suche nach einer Ganzheit des Lebens.
Deutung des menschlichen Daseins aus philosophischen und
religiös-mystischen Ursprüngen.
1.) Strukturelle Aspekte: (Psyche & Seele, Un- & Bewusstes)
• Die Strukturlehre der Psyche wurde aus Erfahrungen &
Beobachtungen ärztlich-psychologischer Forschung abgeleitet.
(Und nicht etwa aus Märchen und Mythen)
• Ihre Bestätigung wurde erst im nach hinein durch vergleichende
Symbolforschung in Gebieten gefunden, die fernab des
medizinischen Bereiches lag.
Psyche & Seele:
• Psyche = Gesamtheit psychischer Vorgänge (sowohl bewusst, als auch unbewusst). In einer
Psyche können mehrere Seelen/Persönlichkeiten wohnen.
• Seele = Abgegrenzter Funktionsbezirk, eine innere Persönlichkeit.
—> Psyche ist das Umfassende, Seele ein Teilbereich.
Bewusstsein & Unbewusstes:
• Die Psyche gliedert sich in zwei Sphären auf, die zueinander komplementär oder
kompensatorisch sind (und nicht wie bei Freud kontrastierend).
Bewusstsein:
‣ Im Zentrum steht das „Ich“.
‣ Alle psychischen Inhalte auf das Ich, soweit sie als solche empfunden werden.
‣ Beziehungen zum Ich, soweit sie von diesem nicht als solche empfunden werden, sind
unbewusst.
Unbewusstes:
‣ Ist dem Bewusstsein kompensatorisch entgegengesetzt.
‣ Ausschließlich psychologischer Begriff & kein philosophischer im Sinne eines metaphysischen.
‣ All diejenigen psychischen Inhalte oder Vorgänge, welche nicht bewusst sind, d.h. nicht auf das
Ich in wahrnehmbarer Weise bezogen sind.
• Das Unbewusste lässt sich wiederum aufteilen in:
- „Persönliches Unbewusstes“ = enthält Material, welches mal bewusst war
(Akquisitionen): Vergessenes, Verdrängtes, Gedachtes und Gefühltes. (inkl. Komplexe)
Kann prinzipiell (wieder) bewusst gemacht werden.
- „Kollektives Unbewusstes“ = Alle Inhalte, die nicht aus persönlichen Akquisitionen,
sondern aus der ererbten Hirnstruktur stammen —> mythologische Zusammenhänge,
Motive & Bilder, die jederzeit & überall neu entstehen können. (geistige Erbmasse,
Menschheit in symbolischer Form, archaische Bilder & Symbole = „Archetypen“)
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
=> Wie aus der bewussten psychischen Tätigkeit gewisse Resultate oder Produkte hervorgehen,
so gehen auch aus der unbewussten Tätigkeit Produkte hervor. (z.B. Träume und Phantasien)
• Die Psyche ist mit einer Kugel zu
vergleichen, die auf ihrer Oberfläche ein
helles Feld hat (A), welches das
Bewusstsein darstellt.
• Das Ego ist das Zentrum des Feldes .
Verantwortlich für unser Identitätsempfinden. (bewusst ist etwas nur dann,
wenn „Ich“ es weiß und wahrnehme).
• Das Selbst (Self) ist der Kern und
gleichzeitig die ganze Kugel (B) - seine
Regulationsvorgänge erzeugen die Träume.
Vier Grundfunktionen:
• Bewusstsein & Unbewusstes werden tätig in:
Empfinden, Denken, Fühlen und Intuieren.
-
Empfindung = „etwas existiert“
Denken = „was ist es“
Gefühl = „angenehm oder unangenehm“
Intuition = „woher kommt es und wohin
geht es“
Denken & Fühlen: (Formen rationaler Bewertung)
• Denken entscheidet über wahr und falsch.
• Fühlen befindet über gut/böse, unangenehm/angenehm, es geht um eine emotionale
Stellungnahme, die rational ist.
Empfinden & Intuieren: (Formen irrationaler Wahrnehmung)
• Empfinden = Wahrnehmung ohne Bewertung, ohne Sinnesverleihung.
• Intuieren = unbewusstes Wahrnehmen, die schnelle, blitzartige Erfassung dessen, was einer
Sinneswahrnehmung zugrunde liegt.
(Extraversion-Introversion stärker biologisch verankert, weniger veränderbar.)
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Diese 4 Grundfunktionen bilden eine innere Struktur & sind als Anlage vorgebildet, jedoch nicht
gleichmäßig ausgeprägt.
• Eine der vier Funktionen ist jeweils dominant (z.B. das Denken) = superior.
• Ihr entgegengesetzt ist die zugehörige Gegenfunktion (hier: Fühlen) = inferior.
• Die beiden anderen Funktionen sind im Zwischenbereich des „Bewusst/Unbewussten“
lokalisiert = auxiliar (Hilfsfunktionen für Hauptfunktionen).
• Während das Ich sich der superioren Funktion bewusst ist, bleibt die inferiore Funktion dem
Unbewussten zugeordnet, dem ich nicht willkürlich verfügbar.
Einstellungen: (zum Objekt)
•
•
•
•
Die 4 Grundfunktionen kommen in 2 Einstellungsformen: Introversion und Extraversion.
Die Einstellungstypen unterscheiden sich durch ihre Einstellung zum Objekt.
Introvertierte = verhält sich dazu abstrahierend - Objekt Libido entziehen.
Extravertierte = verhält sich positiv zum Objekt - bejaht dessen Bedeutung in dem Maße, dass
er seine subjektive Einstellung beständig nach dem Objekt orientiert und darauf bezieht.
• Aus der Kombination der 2 Einstellungen mit den 4 Grundfunktionen bilden sich 8 Typen/
Klassen menschlicher Personen, sogenannte „Grundtypen“:
• Erfassung: „Myers-Briggs Typenindikator (MBTI)“ (1995) - erlaubt es, in Analogien zu Jungs
Konzeption Menschen solchen Grundtypen zuzuordnen.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Das System der „Persona“:
„Bezeichnet das, als was einer sich selber und der
Umgebung erscheint, nicht aber das, was einer ist.“
• Die Person nimmt eine Maske vor, von der sie weiß,
dass sie einerseits den Absichten, andererseits den
Ansprüchen & Meinungen ihrer Umgebung entspricht.
• Diese Maske, nämlich die „ad hoc vorgenommene
Einstellung“, nannte Jung „Persona“. (im Mittelalter
auch die Maske des antiken Schauspielers)
• Bezeichnet z.B. die Standes- oder Berufsmasken.
3 Funktionen der Persona:
1. Schutz gegen die Umwelt. (Uniform/Arztkittel)
2. Versteck vor der Umwelt. („Nicht immer zeigen müssen, wer Ich wirklich bin.“)
3. Verständigungsmittel (Rollenspiel, das die Partner nicht zu intensiv involviert.)
• Problem: Identifiziert man sich gleichsam mit dieser „Maske“, wird die Persona zur „Ich-Hülle“.
2.) Dynamische Aspekte: (Libidofluss & 3 Energieprinzipien)
• Das Individuum befindet sich in einer Entwicklung, dessen Ziel die Gewinnung und Entfaltung
des Selbst ist. => „Individuation“ - in welcher viele „energetische“ Prozesse ablaufen.
• Jung nutzt wie Freud den Begriff „Libido“, jedoch bezieht er sich auf eine psychische Energie,
die „unspezifischer Natur“ ist. („allgemeine biologische Lebensenergie“)
• Energie impliziert „Gegensätzlichkeit“, als Notwendigkeit eines energetischen Ablaufs - d.h.
zweier verschiedener Zustände, ohne welche überhaupt kein Ablauf stattfinden kann.
(energetische Phänomene manifestieren Gegensatzpaare - z.B. Anfang & Ende, oben & unten)
- Gegensätze müssen in allen Stadien der Individuation beachtet werden.
- Dem Bewussten und dem Unbewussten muss gleiche Aufmerksamkeit gewidmet werden diese Aufgabe wird immer neue Konflikte wecken.
- Werden wichtige Komponenten seiner Natur übersehen oder unabsichtlich Unterdrückt,
kann dies auf die Dauer zu Unglück führen. (Fehlanpassung)
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Drei Energieprinzipien:
Gegensätze bestehen überall in der Person: Ich vs. Persona, Ich vs. Unbewusstes.
Der energetische Prozess folgt dabei 3 Prinzipien:
1. Konstanzprinzip: Die seelische Energie (Libido) in einem Individuum bleibt immer gleich.
(Energie-Menge)
2. Äquivalenzprinzip: Energieerhaltungssatz wird auf psychische Prozesse übertragen. (EnergieArt)
- z.B.: wird an einer Stelle Energie entzogen, tritt sie an anderer Stelle wieder zutage. Energie fließt fortwährend von einem System in ein anderes. Diese Umverteilung ist ein
Grund für die Dynamik der Person.
3. Entropie-/Ektropieprinzip: Die Unterschiede der Energiebeiträge tendieren zu einem
Ausgleich. (Energie-Zustand) — „psychische Balance“ - Suche danach = „Selbstaktualisierung“.
- Ektropie = nutzbare Energie.
- Entropie = verbrauchte & verteilte Energie.
- z.B.: Wasser bewegt sich vom höheren zum niedrigeren Niveau, wenn Verbindungskanal
vorhanden ist — Ein wärmeres Objekt gibt Wärme ab an ein kälteres, bis beide Objekte die
gleiche Temperatur haben.
Übertragung auf die Psyche:
• Ein schwaches System versucht sich auf Kosten eines starken Systems zu stärken. Deswegen
treten in der Person Spannungen auf.
- z.B.: Ein extravertierter Mensch steht „unter dem Druck“, den introvertierten Anteil in sich zu
entfalten & ein introvertierter Mensch, den extravertierten Anteil in sich zu entfalten.
• Idealzustand = vollkommener Kräfteausgleich.
• Ziel der Individuation = „Selbstverwirklichung“ - die Dynamik des Individuums bewegt sich auf
ein Gleichgewicht der seelischen Systeme zu.
• Zustand völligen Ausgleichs müsste bedeuten, dass keinerlei Energieunterschiede mehr
bestünden. (dass alles Leben zum Stillstand käme)
• Ein Individuum wird daher nie einen Zustand maximaler Entropie erreichen - denn Spannungen
und Konflikte erhalten sich immer. („Leben heißt, in Auseinandersetzung begriffen zu sein.“)
• Auseinandersetzungen lassen sich an einigen zentralen Vorgängen sichtbar machen:
Konstellation & Komplex:
• Inhalte auf die ein Individuum sensibel anspricht (Gedanken, Phantasien, Vorstellungen)
formieren sich zu Vorstellungsgruppen, die sich ihrerseits zu einem „Komplex“ konstellieren.
(Zentrum, von dem vielfältige Auseinandersetzungen ausgehen, vielfältige Vorgänge eines
Energieaustauschs.)
- Komplex = Weg zum Unbewussten - Verdrängungen, Traumata aus der Kindheit, aber
auch aktuelle Konflikte. (Cluster von emotional geladenen Gedanken - eine persönliche,
störende Konstellation von Ideen, die einen überproportionalen Einfluss auf Erleben und
Verhalten haben. Komplexe haben ein „Thema“ und deuten auf Ungleichgewicht in der
Persönlichkeit hin)
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
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- Identifikation eines Komplex mithilfe der Traumanalyse (symbolischer Gehalt soll
entschlüsselt werden) oder der Assoziationsmethode (selbiges, nur mit Reizwörtern)
- Indikatoren für Komplexe = längere Reaktionszeiten bis zum Aussprechen eines Wortes,
Fehler in der Reproduktion, stottern oder Wiederholungen von bereits Gesagtem, etc.
- Symbol = Im Kern enthüllt sich ein Symbol aus dem kollektiven Unbewussten,
eingeschlossen in Anteile des persönlichen Unbewussten.
• Beispiele: Macht-, Vater- oder Mutter-, Ich- oder Intelligenzkomplex.
• Komplexe können verletzend & zerstörerisch, aber auch hilfreich & förderlich sein. Diese
Doppelrolle lässt sich an den energetischen Prozessen „Progression“ (Fortschritt) und
„Regression“ (Rückschritt) erklären, die ein Komplex einleitet.
Progression & Regression:
• Progression = Lebensenergie (Libido) fließt so, dass ein Individuum sich der Umwelt
zuwendet, sich ihr schöpferisch angleicht, sie meistert.
- z.B.: Student steht vor Examen, fühlt sich überfordert/belastet. Es gelingt ihm, zu planen
und seine Aufregung in der Prüfung zu kontrollieren und kommt somit durch.
• Es kann jedoch geschehen, dass die Energie sich staut statt vorwärts zu fließen („progrediert“).
- z.B.: Student fühlt sich von Examen blockiert. Was aus einem Stau folgt, hängt von der Art
der Regression ab, die einsetzt. (Gestautes Wasser kann Rad drehen, oder Dorf
überschwemmen)
• Regression = Lebensenergie fließt ins innere zurück. Bei diesem Rückzug kann sie neue
Kräfte sammeln. Das Unbewusste, kollektiv oder persönlich, kann den „Weg weisen“.
- z.B.: Blockierter Student kann ausspannen, kann Lernstoff setzen lassen, kann sich bei
Freunden aussprechen, neuen Mut fassen.
• Es kann jedoch auch zu einem Rückfall auf frühere Stufen führen - dies macht dann unfrei
gegenüber eigenen Impulsen und Anregungen aus der Umwelt.
- z.B.: Blockierter Student zieht sich zurück, verliert Mut.
3.) Genetische Aspekte: (Individuation und Archetypen)
Individuation:
• Das Individuum ist nicht statisch, sondern befindet sich ständig in Entwicklung.
• Ziel ist die Gewinnung und Entfaltung des Selbst. (Dieser Prozess heißt „Individuation“)
• Individuation = Vorgang der Bildung und Besonderung von Einzelweisen, speziell die
Entwicklung des psychologischen Individuums als eines von Allgemein, von der
Kollektivpsychologie unterschiedenen Wesens.
• Individuation in ihrer Gesamtheit ist ein spontaner, natürlicher, autonomer Prozess innerhalb der
Psyche. (in jedem Menschen angelegt als „Möglichkeit“)
• Auseinandersetzung zwischen den Inhalten des Unbewussten und des Bewusstseins.
- Im therapeutischen Kontext kann der Prozess angeregt, intensiviert oder bewusst gemacht
werden.
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
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• Individuation geschieht in 2 großen Abschnitten, die sich bedingen und ergänzen:
‣ Erste Lebenshälfte = Initiation in äußere Wirklichkeit mit fester Ausformung des Ichs, die
Differenzierung der 4 Hauptfunktionen und der vorherrschenden Einstellung - sie schließt mit
der Entwicklung der Persona ab.
‣ Zweite Lebenshälfte = Initiation in innere Wirklichkeit, in vertiefte Selbstsicherheit &
Menschenkenntnis, Bewusstmachung von Wesenszügen, etc. - der Mensch soll zu einem
bewussten Bezug zum gesamten Weltgefüge heranreifen.
=> Wenn Jung von Individuation spricht, meint er i.d.R.
den Prozess in der zweiten Lebenshälfte.
• Wegweiser oder Verführer bei der Suche nach der Selbstverwirklichung sind „archaische“
Symbole, deren Gestalt und Erscheinung individuell variiert, die im Ursprung aber kollektive
Bilder sind - die „Archetypen“.
Archetypen:
„Symbolische Formeln, welche überall da in Funktion treten, wo
entweder noch keine bewussten Begriffe vorhanden, oder solche aus
inneren oder äußeren überhaupt nicht möglich sind.“
• Quellen: Mythen, Märchen, Geheimlehren, Religionen, Astrologie,
Alchemie, Parapsychologie, ethnologisches Material aus
Primitivkulturen.
• Kollektives Unbewusstes enthält die kumulativen Erfahrungen
unserer stammesgeschichtlichen Vorfahren und resultiert aus
gemeinsamen Erfahrungen - Inhalte sind für alle Menschen gleich
und wirken als Prädispositionen für unsere Erlebnisse und
Reaktionsmuster.
Beispiele für Archetypen:
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
• Die Begegnung mit den Archetypen ist deswegen
wichtig, weil sie die Entwicklung unserer
Persönlichkeit beeinflussen - unbewusst und
unkontrolliert oder aber bewusst und kontrolliert.
• Sie sind Emotionsbehaftete Urbilder - angeborene
Prädispositionen, auf bestimmte Bereiche der Welt
zu reagieren.
- Es geht dabei um universale (interkulturelle)
menschliche Erfahrungen - z.B. Geburt, Tod,
Sonne, Nacht, Wasser, Feuer, Mutter, etc.
- Archetypen manifestieren sich in Träumen,
Phantasien, Bildern & Symbolen.
- Jung leitete sie auch aus Halluzinationen
psychotischer Patienten ab.
• Die 4 wichtigsten Archetypen sind die „Persona“, „Anima-Animus“, „Schatten“ und „Selbst“
Auftreten von Archetypen: (Reihenfolge)
Stufen der Individuation durch Begegnung mit dem Archetypus…
1.) „Schatten“:
•
•
•
•
•
dunkelster und tiefster Teil der Psyche, gekennzeichnet durch animalische Instinkte.
Ursache für Immoralität, Aggression und (zügellose) Leidenschaft.
Ähnlichkeit zu Freuds Konzeption des „Es“.
mythologische Komponente („auf den Schatten treten“)
Begegnung mit dem Schatten als Prozess der Bewusstwerdung.
2.) „Seelenbild - Animus/Anima“:
• Gegengeschlechtliche Seelenbilder:
- Anima = weibliche Komponente der männlichen Psyche.
- Animus = männliche Komponente der weiblichen Psyche.
• verursacht weibliche Züge im Mann und stellt Bezugsrahmen für die Interaktion mit dem
weiblichen Geschlecht dar.
• Erscheinungsformen der Anima (Thema; Konzept von…) variieren: Jungfrau, Hexe, Gefährtin,
Engel.
3.) „Die Große Mutter/Der alte Weise“:
• 2 verschiedene „Mana-Persönlichkeiten“:
- Der Archetypus des „Alten Weisen“ erscheint im Individuationsprozess des Mannes.
- Der Archetypus der „Große Mutter“ (Magna Mater) erscheint bei der Frau.
• „Mana“ zu besitzen heißt, wirkende Kraft auf andere auszuüben.
• Die Bewusstmachung der Inhalte, die den Archetypus ausmachen, bringt für den Mann die
Befreiung von väterlicher Abhängigkeit, für die Frau die von mütterlicher Umfangung.
• Große Mutter = z.B. Ahnfrau, Amme, Stief-/Schwiegermutter, Großmutter, alte Hexe.
• Alter Weiser = z.B. Zauberer, Orpheus, Luzifer, Einsiedler, Zwerg, Riese.
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Skript 2015
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4.) „Selbst“:
•
•
•
•
Früher: Selbst = Persönlichkeit.
Später: Selbst als Streben nach Einheit, Ganzheit und Integration.
Ziel = Vereinigung der beiden psychischen Sphären - Bewusstsein und Unbewusstes.
Bildung eines gemeinsamen Mittelpunktes - das „Selbst“. (harmonisierende Instanz) Bei
erreichter Integration wird die Person als „selbstaktualisiert“ bezeichnet.
• Selbst dargestellt als = Göttliches Kind, kostbare Perle, Edelstein, Goldstück, blaue Blume.
Fazit: Entwicklung als Individuationsprozess.
• Jung sieht Entwicklung als Auseinandersetzung mit archetypischen Leitbildern. (Schatten,
Anima/Animus, Große Mutter, Alter Weiser)
• Die zweite Lebenshälfte hat dabei eine besondere Bedeutung, Mandala (magische Kreise) als
Symbol für das Selbst; Selbstwerdung als Weg zur Sinngebung (2. Lebenshälfte als
Hinwendung zum Geistigen).
• Beobachtung Jungs, dass ein Drittel seiner Patienten nicht an einer klinischen Neurose,
sondern an der Sinn- und Gegenstandslosigkeit des Lebens litten.
4.) Psychotherapie & Traumtheorie:
Archetypen können einen Menschen zu einem „heilen“, einem ganzheitlichen Leben geleiten, sie
können ihn aber auch in Spaltungen der Ganzheit, in „Neurosen“ führen.
Neurose:
• Definition: Ausdruck der gestörten Ganzheit des Menschen und seiner Individuation.
• Ursachen: inferiore Funktion kann sich durchsetzen wollen und sich ins Bewusstsein drängen.
• Ein Teilbereich der Psyche, der sich abgespalten hat, ein „Komplex“, kann ein Übermaß an
Libido binden, ein Übermaß an Aufmerksamkeit auf sich lenken.
• Neurosen können auch positives bedeuten. Versteht ein Mensch die damit verbundenen
Botschaften, kann er mit dieser Einsicht beginnen, sein Leben ganzheitlich auszurichten und zu
gestalten.
Darum können Neurosen durchaus heilsam wirken.
(Neue Sichtweisen und Wege im Prozess der Individuation)
Psychoanalyse nach Jung:
• Vorgehen:
-
Klient sitzt Therapeut gegenüber.
Übertragung & Gegenübertragung haben untergeordnete Rolle.
„Bearbeitungen der Kindheitstraumata“ treten zurück.
Neurosen werden nicht nur als Störungen interpretiert, sondern (auch) als
Durchgangsstadien - als „Chancen“ durch „Regression“ zur „Progression“ vorzudringen.
• Ziel der Psychotherapie:
- Wegweisung zur Individuation - der Therapeut ist Begleiter auf dem Weg der Selbstfindung
und Selbstverwirklichung.
- Im Dienste der Individuation stehen die Archetypen - die Identifikation mit diesen, sind eine
Hilfe auf dem Weg zur Individuation.
- Wie lassen sich Archetypen erkennen? —> Durch Träume.
114
Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Traumanalyse: (3 Begriffe zur Traumtheorie)
1. Traumstruktur: Traum entstellt nicht Wünsche & Bedürfnisse des Träumers, sondern
veranschaulicht unbewusste Vorgänge & Zustände in einer dem Unbewussten spezifischen
Bildersprache. (Viele Träume haben Verlaufsmuster, welches einem klassischen Drama ähnelt)
2. Traumarten:
- kompensatorisch: Gefälle zwischen Bewusstem und Unbewusstem soll wieder
ausbalanciert werden. (Selbstregulierung)
- reaktiv: Reste des Tagesbewusstseins wirken nach.
- diagnostisch: aktuelle Lebenssituation in einem Bild verdeutlichen.
- prospektiv: Wahrscheinlichkeiten für künftiges Handeln. (Kann warnende oder auch
ermutigende Funktion haben)
3. Traumdeutung: Deutung möglichst eng an Traumbildern orientieren - 4 Prinzipien:
- Assoziation des Träumers: Kontext herstellen - Erreicht, wenn „Aha-Effekt“ eintritt.
- Traumserienmethode: Auffinden von wiederkehrenden „Traumthemen“. Liegt eine „Serie“
vor, so sind die Träume um einen Bedeutungskern zentriert. (sind also miteinander
verbunden)
- Amplifikation: Erweiterung und Vertiefung eines Traumbildes durch gerichtete Assoziation
und Parallelen aus Symbol- und Geistesgeschichte - unter Bezug auf Material aus
Mythologie und Ethnologie.
- Aktive Imagination: Konzentration auf ein Traumbild bzw. innerer Bilder - Rückmeldung der
Veränderungen - zum Teil durch Zeichnen, Malen, Modellieren.
• Alltagsträume = aus dem persönlichen Unbewussten.
• Archetypenträume = aus dem kollektiven Unbewussten. (bei Lebensproblemen & in
Stressphasen)
• Studie von Cann und Donderi (1986): N+ mehr Gesamtträume, weniger Archetypeninhalte (im
Einklang mit Jung: N+ weniger Zugang zum Unbewussten)
5.) Freud vs. Jung:
Gemeinsamkeiten:
•
•
•
•
•
Parallelen zwischen den Konzepten „Schatten“ (J) und dem „Es“ (F).
Parallelen zwischen „korrelktivem Schatten“ (J) und „Destruktionstrieb“ (F).
Mythen als Forschungsgegenstand (v.a. bei Jung).
Parallelen zwischen den Konzepten „Komplex“ (J) und „Verdrängung“ (F).
Traumdeutung als zentrales Element der Psychotherapie.
Unterschiede:
•
•
•
•
•
•
•
•
Libido als allgemeine Lebensenergie (J) vs. reine Sexualenergie (F).
Verhalten an der Zukunft/den Zielen (J) vs. an der Vergangenheit (F) orientiert.
Beziehung zwischen Bewusstem & Unbewusstem: Komplementär (J) vs. kontrastierend. (F).
Komplex (J) soll Spannungen im Energiesystem erzeugen - Wirksamkeit kann zerstörerisch
aber auch förderlich sein vs. rein zerstörerisches Konzept der Verdrängung (F).
Neurosen bei Jung nicht nur Störung sondern möglicherweise auch nur Durchgangsstadien.
Unterschiede in der Therapie: Setting, Bedeutung von Übertragung und Gegenübertragung,
sowie Kindheitstrauma.
Vorgehen in der Traumdeutung: Amplifikation (J) vs. Reduktion (F).
Trauminhalt: Material sprachlich/bildlich verstellt (J) vs. durch Zensor verzerrt F).
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Differentielle Psychologie
Skript 2015
Maximilian Bungart
Quellen:
• Amelang, M., Bartussek, D., Stemmler, G., & Hagemann, D. (2006). Differentielle Psychologie
•
•
•
•
und Persönlichkeitspsychologie (7.Auflage). Stuttgart: Kohlhammer.
Fisseni, Hermann J. Persönlichkeitspsychologie: Ein Theorienüberblick. Hogrefe Verlag, 2003.
DeFries, John C., Gerald E. McClearn, and Michael Rutter. Gene, Umwelt und Verhalten. Hans
Huber, 1999.
Bortz, Jürgen, and Christof Schuster. Statistik für Human-und Sozialwissenschaftler. Lehrbuch
mit Online-Materialien. Springer-Verlag, 2010.
Sämtliche Materialien von Prof. Spinath aus dem Sommer- und Wintersemester des
Studiengangs „Psychologie“ im Fach „Differentielle Psychologie“ an der Universität des
Saarlandes 2015.
116
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