Zeitschriften um 1900. Deutschland, Frankreich und Russland im Vergleich.
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Zeitschriften um 1900. Deutschland, Frankreich und Russland im Vergleich. Barbara Duttenhöfer, Clemens Zimmermann Kultur- und Mediengeschichte Im Bahnhof Saarbrücken kann der Kunde täglich zwischen ca. 2750 Zeitschriftentiteln auswählen. Insgesamt hält der deutsche Zeitschriftenmarkt sogar etwa 5000, auch zahlreiche fremdsprachige Titel bereit, wobei die Themenpalette von Politik über Wirtschaft, Kultur und Unterhaltung alle erdenklichen Lebensbereiche abdeckt. Dabei ist dieses für uns selbstverständliche Angebot des Zeitschriftenmarktes keineswegs eine Errungenschaft der Nachkriegsentwicklung, sondern hat seine Ursprünge in einer Expansion des Zeitschriftenmarktes um 1900. Es entstand eine Zeitschriftenlandschaft, deren Modernität in Inhalt und Form heute erstaunt, deren Innovationskraft prägend wirkte und deren Anzahl das heutige Angebot sogar übertrifft. Allein in Deutschland standen mehr als 6500 Zeitschriftentitel zur Verfügung, anhand derer sich das Publikum über die neuesten Entwicklungen informieren, politisch orientieren oder unterhalten konnte. Information, Orientierung, Unterhaltung: Damit sind die wichtigsten kommunikativen Funktionen genannt, die die Zeitschriftenpresse in den europäischen Gesellschaften schon vor mehr als 100 Jahren innehatte. Ihre Bedeutung ist aber zusätzlich in ihrem medialen Potenzial zu sehen, das sie, in Wechselwirkung mit breiten zeitgenössischen Visualisierungstendenzen, zum Leitmedium machte, bevor später Rundfunk und Fernsehen diesen Rang übernahmen. Zeitschriften beeinfluss- Abb. 1: Sensationsjournalismus: “Der Criminalreporter” (Nr. 51, 1892). ten Lesefähigkeiten und Lesepraktiken, Geschmacks- und politische Urteilsbil- Die Modernität des europäischen Zeitschriftenwesens um 1900 war bemerkenswert: Eine ausdifferenzierte Themenpalette wurde in den unterschiedlichsten Typen wie Illustrierte oder Fachblatt publiziert, die damalige Titelanzahl reichte sogar über die heutige hinaus. Am Lehrstuhl für Kultur- und Mediengeschichte werden nun erstmals die Zeitschriftenlandschaften von Frankreich, Deutschland und Russland verglichen. Dabei können neue Erkenntnisse über die kommunikativen Funktionen der einzelnen Zeitschriften für die sehr unterschiedlichen Gesellschaftssysteme dieser Länder gewonnen werden. Gleichzeitig wird deutlich, welche bedeutende Rolle ihre illustrierten Formen als visuelle Leitmedien dieser Epoche spielten. 22 dung und die gesellschaftliche Kommunikation in weitaus höherem Grade als dies bislang angenommen wurde. Sie führten zur Ausbildung spezifischer Leserschaften und reagierten auf die Entstehung besonderer Teilöffentlichkeiten wie die der Arbeiterschaft und der Frauenbewegung. Für die Ausbildung, Artikulation und Befriedigung neuer sozialer Interessen und kultureller Bedürfnisse waren Zeitungen und Zeitschriften von größter Bedeutung. Damit änderte sich auch die innere Struktur der Redaktionen. Universität des Saarlandes Als Forschungsgegenstand ist die Zeitschriftenpresse daher in besonderem Maße geeignet, um Aussagen über die Mechanismen medialer Kommunikation, ihre Funktionen für die Öffentlichkeit und ihre kulturelle Prägekraft zu treffen. Erstmals werden in einem Projekt am Lehrstuhl für Kultur- und Mediengeschichte die Zeitschriften dreier europäischer Länder - Frankreich, Deutschland, Russland - unter einer vergleichenden Perspektive bearbeitet. Damit geht das Forschungsvorhaben über den bisher bearbeiteten nationalen Bezugsrahmen ebenso hinaus wie es, um sowohl der textlichen wie visuellen Dimensionen gerecht zu werden, unterschiedliche methodische Ansätze verknüpft. Dabei sollen die internationale Entwicklungstrends im Pressewesen benannt und aufgezeigt werden, auf welche Weise diese in den einzelnen Ländern griffen und teilweise gleichzeitig, teilweise zeitversetzt, je eigene ‚nationale’ Formen und Aneignungen erfahren haben. Letztlich kann erst auf dem Weg eines Vergleichs ein begründetes Urteil darüber gegeben werden, welche diskursiven Formen und Symbolsprachen, welche Wirkungen und öffentlichen Sphären auf generellen (medialen und gesellschaftlichen) Faktoren der Entstehung moderner Industriegesellschaften beruhten, und welche auf nationalen oder regionalen. Zeitschriftenlandschaften in Deutschland, Russland und Frankreich Im Zuge der dynamischen Entwicklung des Marktes der Printmedien um 1900 expandiert also gerade der Zeitschriftensektor. Das heutige Spektrum an Typen und Formen von Zeitschriften tritt innerhalb weniger Jahre hervor. Die wissenschaftlichen Disziplinen legen sich jeweils mehrere Fachorgane zu von den “Ärztlichen Mitteilungen” (1899) bis zur “Zeitschrift für Astrophysik”. Die Kundinnen im Einzelhandel können sich in einer “Edeka-Zeit- Arbeitsplatz Zeitschrift Die Zeitschriftenbranche bot auch Frauen mit guter Allgemeinbildung berufliche Einstiegschancen und verschiedene Tätigkeitsfelder, da sie trotz fortschreitender Professionalisierung keine formalen Bildungsabschlüsse verlangte. Dies war in Russland nicht anders als in Deutschland. So publizierte die ehemalige Gouvernante Anastasia Verbitzkaja (1861-1928) ihre sozialkritisch gefärbten Frauenromane als Fortsetzungen in tonangebenden Organe und wurde schließlich zur Bestsellerautorin. Die Politikerin Clara Zetkin (1857-1933) arbeitete zunächst als Lehrerin, dann als Übersetzerin für sozialistische Exilblätter in Paris, bevor sie 1892 als Chefredakteurin, ab 1898 auch als Herausgeberin die Frauenzeitschrift Die Gleichheit entscheidend prägte. Als sie 1917 die USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands) mitbegründete, entzog ihr die SPD die Herausgeberschaft. Abb. 2: Anastasia Verbitzkaja auf einem Foto (1906) aus Ihrer Autobiographie “An meine Leser”. schrift” (1907) auf dem Laufenden halten, 1895 zählt man 93 Haus-, Modeund Frauenblätter, 1914 bereits 214, reichlich Sex & Crime findet sich in “Der Criminalreporter” (1892). Die neuartigen Publikumszeitschriften der Jahrhundertwende deckten sowohl von ihren Themen her als auch hinsichtlich der sozialen Zugehörigkeit ihrer Leserschaft eine große Bandbreite ab, sie sprengten lokale und soziale Grenzen bisheriger Kommunikation. Im Markt Prof. Dr. Clemens ZIMMERMANN, Professor für Kulturund Mediengeschichte am Historischen Institut der Universität des Saarlandes. Veröffentlichungen zur modernen Sozial- und Mediengeschichte, besonders zum Kontext der ländlichen Gesellschaft und im Zusammenhang der Genese von Staatlichkeit, zu Publikumsund Rezeptionsfragen, zur Stadt- und Urbanisierungsgeschichte und zu Reformbewegungen. magazin forschung 2/2002 kann zwischen Qualitätszeitschriften wie “Westermanns Monatshefte” (seit 1856) und populären Journalen unterschieden werden, an erster Stelle die “Berliner Illustrirte Zeitung”, die seit 1892 erschien, bald neue Maßstäbe für den Fotojournalismus setzte und 1915 eine Auflage von 800000 Exemplaren erreichte. Dieses Erfolgsblatt stand in Konkurrenz zur Illustrierten “Die Woche” (1899) mit etwa 300000 Exemplaren. Das erfolgreichste französische Gegenstück war “Le Monde illustré”, die schon seit 1844 bestand, sich aber nun inhaltlich und formal stark veränderte und eine ständig wachsende Leserschaft ansprach: Mit zirka 700000 gedruckten Exemplaren vor dem Ersten Weltkrieg wurde ein Vielfaches von Leserinnen und Lesern erreicht, da man 23 üblicherweise in Familie und Freundeskreis eine Zeitung oder Zeitschrift gemeinsam bezog. Im 19. Jahrhundert war zunächst ein Pariser Zeitungstyp hervorgetreten, die „quotidiens populaires“, eine überwiegend unterhaltende, regimetreue populäre Tagespresse, die durch die Verwendung von Illustrationen und dann Fotografien ein immer größeres Lesepublikum ansprach. Doch auch in Frankreich entwickelte sich eine reichhaltige Zeitschriftenlandschaft, etwa “Le Petit Écho de la mode” (1893) oder “Fémina”, die erste Frauenzeitschrift 1901 mit Fotografien. Während Jugendzeitschriften schon einige Jahrzehnte präsent waren, kamen nun Comiczeitschriften auf den Markt (“L´Épatant”, 1908, “L´Intrépide” und “Fillette”, 1909), die auch gebildete Leser ansprachen. Einen völlig neuen Zeitschriftentypus repräsentierten populärwissenschaftliche Magazine für Frauen und Kinder (“Je sais tout”, 1905) und für Männer illustrierte, auflagenstarke Sportzeitschriften wie “L’Auto”. Das russische Pressewesen hatte sich seit den Großen Reformen der 1860er Jahre staatsunabhängig etablieren können. Es bildete sich bis 1900 eine vielgestaltige Presselandschaft für breitere Leserschichten und unterschiedliche Publiken aus. Bemerkenswert ist vor allem die Expansion des gesamten Pressewesens ab den 1890er Jahren, die im Zusammenhang mit der Industrialisierungspolitik des zarischen Regimes stand: Sie führte zu einer Welle von Publikationsgründungen bis 1917, die auch die politische Reaktionsphase nach der Revolution von 1905 nicht unterbrach. So verdreifachte sich von 1900 bis 1914 die Zahl der russischen Periodika von 1002 auf 3111. In der russischen Presse war es die seit 1870 publizierte Illustrierte “Niva” (Das Weizenfeld), die mit ihrer Mischung aus Unterhaltung und Belehrung den westlichen Familienzeitschriften ähnelte und um 1900 eine Auflage von 200000 erreichen sollte. Das seit 1908 erschienene “Ogonjok” (Das Flämmchen) war mit seinem Konzept von Unterhaltungsliteratur, Illustrationen und Fotos noch erfolgreicher und hatte 1914 sogar eine Auflage von 700000 Exemplaren. Auch in Russland entstanden ab den 1880er Jahren solche Special-Interest - Zeitschriften, die wie das Modenblatt „Vestnik Modi“ (Der Modebote, 1885) an Frauen oder wie “Dlia Ma- 24 Abb. 3: Sozialdemokratische Satire - Titelblatt “Der wahre Jakob”. liutok” (Für die Kleinen, 1895) an Kinder adressiert und mit Illustrationen und Rubriken für Rätsel und Humor ausgestattet waren. Wie in Westeuropa begannen Bildungsorganisationen, Berufs- und Interessengruppen etwa mit „Russkij Vestnik Strachovanija (Russischer Verscherungsbote, 1890), “Russkii Vrac!” (Der Russische Arzt, 1902) oder “Moloc!enoe chozjajstvo” (Milchwirtschaft, 1902) eigene Organe zur äußeren Selbstdarstellung und internen Kommunikation herauszugeben. Eine Sonderstellung nahmen im russischen Zeitschriftenmarkt die in den 1830er Jahren entstehenden “Tolstye Žurnali” (Dicke Zeitschriften) ein. Ihre Bezeichnung geht auf ihren Umfang bis zu fünfhundert Seiten zurück, der sie der Vorzensur enthob. Da sie der gesellschaftskritischen Intelligencija als Reflexions- und Diskussionsforum dienten, haben sie große Bedeutung für die politische Kultur Russlands erlangt, auch zeitgenössische Fortsetzungsromane wurden hier abgedruckt. Über die Revolution von 1905 hinaus behielten sie ihre tonangebende Stellung, wurden allerdings lange nur von einer sehr gebildeten, kleinen Leserschaft rezipiert. All diese neuen Typen verweisen inhaltlich und als Gegenstände auf die rasch erweiterte Sphäre eines standardisierten, erlebnisorientierten Konsums wäh- Universität des Saarlandes Dies zeigt sich an den Zeitschriften der organisierten Arbeiterschaft, z.B. am “Wahren Jakob” (1884), einem erfolgreichen satirischen Journal, ein Gegenstück zum “Simplicissimus” (1896). In Frankreich wiederum war sowohl an charakteristischer Bebilderung wie an politischer Schärfe unübertroffen “L´Assiette au beurre”, ein Satirejournal, das von 1901 - 1912 erschien und berühmte Illustratoren präsentierte. Von gleicher Qualität in der Darstellung und mit beißender Kritik die gesellschaftliche Dekadenz geißelnd, seien als russische Beispiele die in St. Petersburg 1906 nur zwei Ausgaben erlebende „Satira“ und die von 1908-1914 erscheinende „Satirikon“ genannt. Ein Beispiel: Deutsche Frauenzeitschriften Abb. 4: Das erste Farbfoto auf dem Titel der Pariser Frauenillustrierten “Fémina” (Nr. 161, 1907). rend der Freizeit und auf ausdifferenzierte Wissens- und Handlungssphären. Insofern kann man von einer doppelten Konstituierung der Lesepubliken in den drei untersuchten Ländern sprechen: Einerseits entwickeln die Leser in distinkten, traditionellen Sozialmilieus neue Informations- und Unterhaltungsbedürfnisse, andererseits schaffen sich die neuen Journale eine immer größere und ausgefächerte Leserschaft, die bald auch die der Provinz, des Dorfes, die neuen Gruppen der Sportenthusiasten, die an einem Zugang zu naturwissenschaftlich Interessierten (“Umschau in Wissenschaft und Technik”, 1896, “Kosmos”, 1906) einschließt und in neuer Weise auf schon ältere Lesergruppen wie Kinder eingeht. Diese neuen “Massenmedien” laufen keineswegs auf eine Genese von “Massenkultur” hinaus, sondern es handelt sich um einen Prozess, bei dem sowohl eine Homogenisierung der Konsumsphäre als auch soziokulturelle Differenzierung stattfindet. Die Teilöffentlichkeiten, in denen Zeitschriften fungierten, hatten eher anonymen und Markt-Charakter, oder aber weisen die Form eines Netzwerkes von Personen mit ähnlichen Interessen auf. Barbara Duttenhöfer, M. A., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Institut der Universität des Saarlandes. Arbeitet an einem größeren Forschungsprojekt über Zeitschriften und Frauenöffentlichkeiten in Deutschland und Russland. U.a. Autorin zweier Fernsehdokumentationen: „Frauen in der SS“ (1998/SDR), „Ich liebte den Feind” (2001/ SWR). magazin forschung 2/2002 Auch auf dem Markt der Frauenzeitschriften lässt sich für die Zeit der Jahrhundertwende ein Boom feststellen, der um 1900 eine erstaunliche Anzahl von Titeln hervorbrachte. In Deutschland verdreifachte sich die Zahl der Frauen-, Haus- und Modeblätter von 1886 bis 1905 auf 163; bis 1914 sollte diese Gruppe noch einmal einen Zuwachs auf 215 Titel erleben. Hinzu kamen (1917) die 80 Publikationen der Berufs- und Fachverbände, 33 Zeitschriften aus dem Kreis sozial-karitativer Vereine und Wohltätigkeitseinrichtungen und, in einer nie mehr erreichten Fülle, die 45 Organe der Frauenbewegung. All diese Publikationen spiegelten aber nicht nur die ganze Bandbreite weiblicher Lebenswirklichkeiten wider, sondern repräsentierten auch das Spektrum der zeitgenössischen Zeitschriftengenres. Bedienten sich die Publikationen der Frauenbewegung („Die Gleichheit“, 1892, „Die Frau“, 1893, „Die Frauenbewegung“, 1895), oder weiblicher Berufsverbände („Die katholische Lehrerin“, 1904) zur Propagierung ihrer Inhalte eher des Typs der traditionell textorientierten, informativ-reflektierenden Fachzeitschriften, lassen sich die Organe für Hausfrauen eher den Ende des 19. Jahrhunderts neu entstehenden, illustrierten Publikumszeitschriften zuordnen. Diese inhaltliche und formale Vielfalt war Ergebnis fundamentaler gesellschaftlicher und medialer Wandlungs- 25 Abb. 5 und 6: Ob in Deutschland oder Russland: Bild und Text sind um 1900 die charakteristischen Elemente von Anzeigen. Anzeigen des Saarbrücker Korsetthauses Th. Mennong und der russischen Filialen der Pariser Firma Ch. Russel (Dtsch. Frauenzeitung, Nr. 69, 1906. Ženskoe Delo, Nr. 20, 1913). prozesse, die sich seit dem 18. Jahrhundert in unterschiedlicher Intensität und in Etappen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts vollzogen hatten. Aufgrund der fortschreitenden Alphabetisierung hatte sich ein alle soziale Schichten umfassendes, weibliches Lesepublikum entwickelt, das sich nach Bildungsstand, Lebensstandard und Interessenlage in verschiedene Gruppen ausdifferenzierte. Zu der Gruppe aus adligbürgerlichen Kreisen kamen nun Leserinnen aus den bisher benachteiligten Mittel- und Unterschichten hinzu: Neben Hausfrauen und Angestellten stellten jetzt Tagelöhnerinnen, Dienstmädchen und Fabrikarbeiterinnen ein bedeutendes weibliches Publikumssegment dar. Publikationsformen von und für Frauen waren schon seit dem 18. Jahrhundert mit den Frauenzimmerjournalen, dann der Frauenpublizistik der 1848er Revolution und den Frauenbeilagen in Tageszeitungen oder Familienzeitschriften entstanden. Doch erst die kommerziell finanzierte Presse brachte seit der Mitte des 19. Jahrhunderts preiswertere Medien hervor. Ende der 1880er Jahre ermöglichten verbesserte Reproduktionstechniken, den Anteil von Illustrationen kostengünstig zu erhöhen. Durch diese 26 Faktoren entwickelten sich Zeitschriften wie Ullsteins “Dies Blatt gehört der Hausfrau” (1886) für Leserinnen aus den Mittelschichten. Bei diesen illustrierten Frauenzeitschriften liefen zwei pressegeschichtliche Traditionen zusammen. Zum einen übernahmen Verleger und Redaktionen von den bisherigen, meist im Umfeld wohltätiger Frauenvereine entstandenen Hausfrauenzeitschriften die publizistische Mischung von Lebenshilfe, Ratschlägen zu rationellerer Haushaltsführung und Unterhaltung. Deren emanzipatorisches Engagement vertrat man aber weit weniger offensiv. Im Rahmen gemäßigter bis konservativer Vorstellungen propagierte man das Ideal der tüchtigen, selbständigen Hausfrau, deren höchste Erfüllung die Ehe blieb und deren Ausbildung und voreheliche Berufstätigkeit sich diesem Lebensziel unterordnete. Zum anderen wurde das Konzept der mondänen, teilweise illustrierten Modeblätter aufgegriffen, die lange Zeit unerschwinglich für ein größeres Publikum waren. Den Abbildungen mit der neuesten Mode wurde nun mehr Platz eingeräumt und der Ullstein Verlag verlegte sich mit unerhörtem Erfolg auf die Herstellung und Verbreitung von Schnittmustern. Diese Visualisierungstendenz ging mit einem neuartigen Layout einher. Nun erschienen mit jeder Ausgabe nicht mehr gleichbleibende, sondern mit immer neuen Motiven ausgestattete Titelblätter. Im Annoncenteil priesen die Inserenten aus der sich etablierenden Konsumgüterindustrie ihre Produkte nicht nur wortreich an, sondern machten auf sie mit erklärenden Illustrationen aufmerksam. Ein kleines Detail lässt die Bedeutung der neuen Frauenzeitschriften für die Leserinnen selbst erkennen: Zum Jahresende boten die Verlage einen Schmuckeinband zur Heftung eines Jahrgangs an. Die hohe Nachfrage nach solchen Einbänden deutet darauf hin, dass die Leserinnen die Zeitschriften nicht als schnell konsumierbares Gut betrachteten, sondern sie als ‚Nachschlagewerke’ für alle Probleme des Alltags zu Rate gezogen haben. In vielen Familien griff man auch in späteren Jahren gerne auf die Bände zurück. Obwohl die populären Organe ein weitaus größeres weibliches Publikum erreichten als ihre anspruchsvoller geschriebenen ‚Schwestern’ der Vereinsund Bewegungspresse, wurde ihre Bedeutung als ein von Frauen ebenfalls mitgestalteter Kommunikationsraum Universität des Saarlandes lange Zeit nicht angemessen gewürdigt. Tatsächlich konnten Frauen in den Publikationen der Frauenbewegung von Anfang ihrer Mitarbeit selbstbestimmter wirken, etwa als Herausgeberinnen, Redakteurinnen oder Korrespondentinnen. Aber auch die kommerzielle Presse bot Aufstiegschancen, so gab es etwa bei Ullstein festangestellte Redakteurinnen, die für bestimmte Ressorts zuständig waren. Bedeutsam sind diese vermeintlichen ‚Trivialmedien’ auch deshalb, weil über sie viele Frauen zum Journalismus kamen, sie hier also erste berufliche Qualifikationen erwerben konnten. Visualität als Charakteristikum Bebilderung und illustriertes Layout gehören zu den hauptsächlichen Kennzeichen besonders der publikumsorientierten Zeitschriften. Zwar hatte auch die “Gartenlaube”, das erfolgreiche Familienblatt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in jeder Nummer eine ganze Reihe von Holzschnitten aufgewiesen, die teils das Gelesene ergänzten, teils einen eigenständigen Charakter hatten. Doch um die Jahrhun- dertwende kann man drei essentielle Innovationen im Zeitschriftenwesen feststellen: Zum ersten, die Zahl der Illustrationen nahm in den Zeitschriften sehr rasch zu, so konnte man diese leichter durchblättern, die Lektüre wurde dadurch wohl oberflächlicher, fand aber zugleich auf einer zweiten Ebene statt, bei der die Teilnahme an aktuellem Ereignis und Erleben möglich wurde. Die zweite Innovation war ein klareres und kreativeres Design sowohl der redaktionellen Artikel wie der Anzeigenteile. Die optische Präsentation gewann an Reiz und an Übersichtlichkeit, die Bezüge zwischen Texten und Bildern wurden durch erläuternde Bildunterschriften dichter. Durch einen ähnlichen Illustrationsstil konnten Fortsetzungsgeschichten auch optisch zusammengebunden und wiedererkennbar für die Leser werden. Internationale Vorbilder waren etwa aus den USA “Harper´s Monthly”, “Cosmopolitan”, “Leslie´s” und die “Saturday Evening Post”. Die dritte Innovation war der Abdruck von Fotografien, nachdem durch die revolutionäre Erfindung des Halbtonverfahrens (erstmals perfektioniert 1884 durch die Pariser “L´Illustra- Abb. 7: Reklame wurde Ende des letzten Jahrhunderts zu einem wesentlichen Bestandteil der bildhaften Phantasie. Zahlreiche Werbekampagnen zielten auf ein weibliches Publikum. magazin forschung 2/2002 tion” und dem “Journal Universel”), durch neue Verfahren des Flachbettund Rotationsdrucks, sowie durch wachsende Erfolge bei rationeller Herstellung von Druckplatten und beim Mehrfarbendruck die technischen und ökonomischen Voraussetzungen geschaffen waren. Dieser Umschwung zur Fotografie zog sich etwa von 1895 bis 1925 hin. Gerasterte Pressefotographien tauchten zwar auch schon gelegentlich in Zeitungen auf, jedoch nur in Zeitschriften - auch in Fachjournalen führte der Abdruck von Fotografien zu erhöhter Aktualität. Da Fotografien als besonders “wahr” galten, unterstrichen sie den Anspruch, authentisch zu berichten. Fotos wurden ein Element öffentlicher Kommunikation, verwiesen häufig auf fortgeschrittene Modernität, dokumentierten zeitgeschichtlich bedeutsame Ereignisse, verdrängten jedoch keineswegs sofort und vollständig die bisherigen technischen Verfahren und die Zeichnungen als wesentliches Gestaltungselement. Die “Berliner Illustrirte Zeitung” beschäftigte weiterhin ein wahres Heer an Illustratoren und manchmal wurden Fotografien nicht direkt abgedruckt, vielmehr durch eine Nachzeichnung erst wirklich attraktiv, dramatisch inszeniert. Zeichnungen waren oft das viel bessere Mittel, die Leserinnen und Leser ein bestimmtes Ereignis aus einer besonderen Perspektive näher zu bringen. Die Fotografie war zudem technisch noch nicht so entwickelt, als dass der “entscheidende Moment” einer Situation (eines Attentats, einer Sportveranstaltung, einer politischen Rede oder eines physikalischen Experiments) hätte akkurat erfasst werden können. Kleinere Journale mussten sich aus finanziellen und technischen Gründen weiterhin bei der Illustrierung beschränken. Spätere Entwicklungen wie die Sportoder Sozialreportage (“The Shame of the City”), wo Bildlichkeit zu einem tragenden Moment wird, entwickelte sich schon vor dem Ersten Weltkrieg mit signifikanten Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern. Überhaupt nahmen in der urbanen Welt die visuellen Angebote zu - durch Film und Kino, durch Plakatsäulen und bemalte Häuserwände, durch den stärkeren Erlebnischarakter der Freizeit, bei der man sich nun im ganzen Stadtraum bewegte, wo Cabarets und Unterhaltungstheater ebenfalls mit “Bildern” lockten, wo Großereignisse von den 27 Printmedien mitorganisiert wurden. Wachsende Visualisierung lässt sich auch bei klassischen Dokumentationsarbeiten, im Bereich der Naturwissenschaften und in der Sphäre des Privaten feststellen (Amateurfotografie, KodakKameras). So steht die Visualität der Zeitschrift um und nach 1900 im Kontext wachsender Medialisierung des Alltäglich-Realen, im Zusammenhang auch der Konturen einer neuen Urbanität und einer (international angelegten), kommerziellen Unterhatungssphäre, zugleich im Kontext all der Kräfte, die zu einer Konsensbildung beitrugen und in den Öffentlichkeiten zum Wachsen symbolischer, nicht-textvermittelter Kommunikation beitrugen. Forschungsliteratur Anne-Claude Ambroise-Rendu, Du dessin de presse à la photographie (1878-1914), in: Revue d´histoire moderne et contemporaine, juin-mars 1992, 6-28. Sylvia Lott-Almstadt, Brigitte, 18861986: Die ersten hundert Jahre. Chronik einer Frauenzeitschrift, Hamburg 1986. Kaspar Maase/Wolfgang Kaschuba, Hg., Schund und Schönheit. Populäre Kultur um 1900, Köln/Weimar/Wien 2001. Erich Straßner, Zeitschrift, Tübingen 1997. Ulrike Weckel, Zwischen Häuslichkeit und Öffentlichkeit. Die ersten deutschen Frauenzeitschriften im späten 18. 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