Comments
Transcript
Mukoviszidose - Krankheitsbild und Therapie
Mukoviszidose - Krankheitsbild und Therapie Gerd Dockter Kinder- und Jugendmedizin Genetik, Molekular- und Zellbiologie Die Mukoviszidose oder zystische Fibrose (cystic fibrosis, CF) ist eine Erkrankung durch Fehlfunktion des sekretorischen Epithels aller exkretorischen Drüsen. Sie wird autosomal rezessiv vererbt und ist die häufigste angeborene und frühletale Stoffwechselerkrankung der weißen (kaukasischen) Rasse. Das für die Pathogenese der CF verantwortliche Gen in Position 7q31 kodiert für das membranständiges Glykoprotein CFTR- (cystic fibrosis transmembrane conductance regulator) aus der Superfamilie der ABC-Transporter mit der Funktion eines Chloridkanals. Folge des genetischen Defektes ist eine Elektrolyttransportstörung. Bislang sind nahezu 1000 Mutationen des CFTRGens bekannt. In Mitteleuropa ist die Mutation ∆-F508 mit 70-75% am häufigsten, weitere 10 Mutationen sind für weitere 15% der Fälle verantwortlich. CFTR-Mutationen kodieren für unterschiedliche molekulare Phänotypen, je nachdem an welcher Stelle des mRNATranscriptes oder Proteinprozessings der Fehler ausgelöst wird. (Abb. 1). Nur homozygote und compound-heterozygote Gendefekte resultieren im typischen Krankheitsbild, Heterozygote (z.B. die Eltern eines kranken Kindes) sind klinisch gesund. Es besteht nur eine unscharfe Assoziation zwischen Genotyp und Krankheitsbild (Phänotyp). Abb.1: Biosynthese , Funktion und Fehlerklassen des CFTR in der epithelialen Zelle (Welsh Cell 1993; 73:1251) Abb. 2: Drei Brüder mit dem klinischen Vollbild und typischen Aspekt der Mukoviszidose Die Mukoviszidose oder zystische Fibrose ist die häufigste angeborene und frühletale Stoffwechselerkrankung der weißen (kaukasischen) Rasse. Mit dem Mukoviszidose-Zentrum in Homburg unterhalten die Universitätskliniken eine der großen pädiatrischen Spezialambulanzen in Deutschland, in der betroffene Eltern Information und Unterstützung zum Umgang mit der Krankheit erhalten. Der Autor des Beitrages leitet das Zentrum. 30 Universität des Saarlandes tionsanalysen erlauben wegen der hohen Anzahl der CF-Mutanten bislang nicht in allen Fällen den sicheren Nachweis einer CF. Deshalb ist auch eine pränatale Diagnostik oder ein selektives Heterozygoten-Screening mittels Gentypanalysen zum Ausschluss einer Mukoviszidose nur dann sicher, wenn die Mutation eines Indexpatienten in der Familie bekannt ist. Pathophysiologie und Klinik Tab. 1: Klinische Auswirkungen pathophysiologischer Veränderungen bei Cystischer Fibrose Lediglich der Befall des exokrinen Pankreas ist etwas strenger am bestimmte Mutationstypen gekoppelt. Das für die zelluläre Chloridpermeabilität verantwortliche Protein wird, je nach Mutation, nicht oder nur funktionsuntüchtig gebildet, bzw. erreicht nicht die Zellwand. Die Auswirkungen des Basisdefektes auf den Elektrolyttransport epithelialer Zellmembranen sind relativ gut untersucht. Durch verminderte Chloridpermeabilität dicken seromuköse und muköse Sekrete ein und obturieren die Ausführungsgänge der exokrinen Drüsen. Dadurch eingeleitete pathomorphologische Prozesse resultieren in der für die Mukoviszidose typischen Symptomatik, z.B. an der Schweißdrüse zu erhöhter NaCl-Konzentration im Endschweiß, am Pankreas zu reduzierter Wasser, Bikarbonat und Chloridsekre- tion, sowie verzögerter Auflösung der Zymogengranula und am Bronchialepithel zu einer Imbalance in der natriumassoziierten Reababsorption und chloridabhängigen Sekretion von Wasser. Die exokrinen Drüsen sezernieren bei CF ein wasserarmes, meist hochvisköses Sekret, das aus den Drüsen nicht abfließen kann, sie verstopft, Entzündungen hervorruft, was dann in der Organzerstörung resultiert. Endstadium ist die Funktionsdefizienz des Organs und letztendlich ein syndromales Krankheitsbild mit den Kardinalsymptomen • chronische obstruktive Lungenerkrankung und • exokrine Pankreasinsuffizienz, • chronische Hepatopathie mit Pfortaderhochdruck. Diagnose Die klinischen Auswirkungen der wichtigsten pathophysiologischen Veränderungen sind in Tab.1 und Abb.2 dargestellt. In der Regel führen klinische Symptome zur Verdachtsdiagnose Mukoviszidose, die durch weitere Tests dann bestätigt bzw. ausgeschlossen werden kann. Bereits durch quantitative Bestimmung von Trypsinogen in Trockenblut auf Filterpapier ließe sich durch ein Neugeborenen-Screening, eine für die weitere Behandlung des Betroffenen vorteilhafte Frühdiagnose stellen. Bei CF-Verdacht wird das Trypsin-Screening durch eine Mutationsanalyse ergänzt. Der diagnostische Goldstandard bleibt die Bestimmung des NaCl-Gehaltes im durch Pilocarpin-Iontophorese stimulierten Schweiß (Schweißtest). Muta- Krankheitsbild und Verlauf dieser syndromalen Erkrankung werden einerseits vom Mutationstyp, andererseits von einer Vielzahl exogener Einflussgrößen geprägt, so dass jeder CF-kranke Mensch seinen persönlichen individuellen Krankheitsverlauf entwickelt. Die bei uns häufigste Mutation ∆-F508 zeigt lehrbuchhaft die Kombination von Maldigestion und chronischer Bronchitis. Beide Störungen setzen früh im Säuglingsalter ein, wobei die Verdauungsstörung meist zuerst durch Bauchschmerzen, Fettstühle und ein großes Abdomen auffällt (Abb. 1). In kurzer Zeit zeigt sich eine deutliche Gedeih- Professor Dr. Gerd Dockter, geb. 1946 in Koblenz, Studium der Medizin in Mainz und Homburg. 1973 Staatsexamen, 1974 Promotion über “Seitengetrennte Nierenfunktionsuntersuchungen bei Kindern”, Weiterbildung zum Facharzt für Kinderheilkunde. 1985 Habilitation über “Neonatal-Screening mittels IRT bei CF”, Venia Legendi, Privatdozent, Ernennung zum Oberarzt. 1993 Ernennung zum außerplanmäßigen Professor, 1996 leitender Oberarzt und “standiger Vertreter des Klinikdirektors”. Fachliche Schwerpunkte: Gastroenterologie, Hepatologie, Ernährung, Diabetes mellitus, Mukoviszidose. Aktuelle Forschungs: Ernährung bei Mukoviszidose. Seit 1987 Vorstandmitglied des Mukoviszidose e.V. Bonn, 2. Vorsitzender ebd. seit 1992, Mitglied des Scientific and Medical Advisory Committee (SMAC) der internationalen Mukoviszidose-Gesellschaft (ICFMA). 2001 Bundesverdienstkreuz für die Arbeit mit der Rehabilitation chronisch kranker Kinder. magazin forschung 2/2002 31 Abb.3: Altersentwicklung der Cf-Patienten in Deutschland störung mit Untergewicht, mangelnder Muskulatur und hypoproteinämischen Ödemen. Das schlechte Gedeihen begünstigt virale, später vorwiegend bakterielle Infekte der Luftwege. Häufiger Husten - zunächst ähnlich Asthmaoder Keuchhusten, später produktiv mit eitrigen Sputum - zeigen den Beginn der Lungenerkrankung an. Lunge Bei „normalem“ Verlauf der chronischen Lungenerkrankung führt die kombiniert obstruktiv-restriktive Funk- tionstörung zu einer Überblähung der Lunge und Deformation des Thorax, äußerlich erkennbar durch einem Rundrücken mit Kiel- oder Trichterbrust. Neben emphysematösen Arealen finden sich atelektatische Lungenabschnitte, dazu zentral und peripher sackförmige Bronchiektasen (Abb. 2). Letztere füllen sich rasch mit eitrigen Sekreten und stellen Keimreservoirs für rekurrierende Pneumonien dar. Die pulmonalen Infektionen zerstören das Lungengewebe, eine fortschreitende respiratorische, später auch rechtskardiale Insuffizienz reduziert die Lebensqualität ganz er- Abb. 4: Krankengymnastische Behandlung, hier "Autogene Drainage" der Mukoviszidose. Die Autogene Drainage ersetzt die gestörte mukoziliäre Clearance des Bronchialepithels bei der Elimination von Sekreten aus der Lunge. heblich und limitiert die Lebenserwartung. Verdauungstrakt Durch Mangel an Verdauungsenzymen werden die mit der Nahrung aufgenommenen Makro- und Mikronährstoffe dem Körper vorenthalten. Im Magendarmtrakt vergärt und verfault der Nahrungsbrei. Blähungen, übelriechende, großvolumige Fettstühle und ein aufgetriebener Bauch als Zeichen der Maldigestion sind deshalb pathognomonische Symptome der Mukoviszodose. Der Mangel an Energie liefernden und anabolen Substraten führt zu Untergewicht und Kleinwuchs. Ein durch unökonomische Atemarbeit gesteigerter Kalorienbedarf und inadäquate Energieverluste stehen im krassen Gegensatz zu der durch Maldigestion verschlechterten Nahrungsverwertung.(Abb.3). Lungenfunktionsverschlechterung und Gedeihstörung sind eng korreliert. CF-D Diabetes Abb.5: Kontrollierte Funktionsparameter der durch ein überregionales Register erfassten Patienten des CF-Zentrums der Uni.-Kinderklinik Homburg 32 Wie die Leberzirrhose wurde der CFabhängige Diabetes mellitus (CF-DM) lange Zeit als typische Spätkomplikation der Mukoviszidose angesehen. Eine Manifestation des CF-DM im ersten Lebensjahrzehnt ist selten, Universität des Saarlandes Tab. 2: Behandlungsprinzipien der Mukoviszidore aber nicht auszuschließen. Die Hälfte aller erwachsenen CF-Patienten weist eine gestörte Glukose-Utilisation, 10% einen manifesten Insulinmangeldiabetes auf. Leber- und Gallenwege Im Leber- und Gallenwegssystem manifestiert sich die Mukoviszidose als • cholestatische „Cholangitis” des Säuglings, • transiente Hepatomegalie mit Fettleber, • Mikrogallenblase, • Cholezysto- und Cholangiolithiasis, • periportale Fibrose, fokale und multilobuläre biliäre Zirrhose. Abb. 6: Einige Mitglieder des Behandlungsteam anlässlich eines gemeinsamen Kongressbesuches in Davos Die für CF typische biliäre Zirrhose imponiert vorwiegend durch Pfortaderhochdruck und Hypersplenismus sowie deren Komplikationen wie Ösophagusvarizenblutung, Thrombopenie und Blutgerinnungsstörung. 5% aller Todesfälle bei CF haben hepatobiliäre Ursachen. Weitere intestinale Manifestationen und Komplikationen der Mukoviszidose sind • Mekoniumileus des Neugeborenen • Distale intestinale Obstruktion(DIOS) magazin forschung 2/2002 Abb.7: Registerdaten: Längensollgewicht als Kontrollparameter für adäquate Energie- und Substratzufuhr und für ausreichendes Gedeihen. Vergleich der Homburger Patienten (rote Punkte) mit den übrigen in Deutschland erfassten Patienten 33 durch Koprostase • Fibrosierende Kolonopathie • Gastro-ösophageale Refluxe • Erosive Gastritis und Refluxösophagitis, Ulkuskrankheit Therapie Die Behandlung der Mukoviszidose ist symptomatisch (Tab. 2 und Abb. 4). Erste Bemühungen, Mukoviszidose durch Korrektur des fehlerhaften Gens kausal zu behandeln, waren experimentell erfolgreich, ohne dass es gelang, funktionelle Reparaturen betroffener Zellen, Organe oder gar eine Heilung des Patienten zu erreichen. Dies trifft auch für Ansätze zu, einen „protein repair“ des mutanten CFTR zu induzieren. Beide Behandlungsstrategien scheinen aber für die Zukunft erfolgversprechend. Je früher die Mukoviszidose postpartal diagnostiziert wird, desto eher können vor Manifestation irreversibler Zell- und Organschäden funktionelle Defizite Abb.8: Erfassung des bezogen auf die Altersnorm relativen Längen-Sollgewichtes bei 800 CF-Patienten im Rahmen einer multizentrischen Studie. Altersabhängige Verteilung. therapeutisch kompensiert werden. Die Behandlung sollte von einem anerkannten CF-Zentrum koordiniert werden. Lebenserwartung und -qualität der Patienten korrelieren eng mit der Größe und personellen/apparativen Ausstattung der Behandlungsstelle. Einige Organe sind bereits bei Geburt Zentrum gehört mit 100 dauernd betreuten Das Homburger Mukoviszidose-Z Kindern zu den großen pädiatrischen CF-Spezialambulanzen in Deutschland. Sie hat bezüglich Prozess- und Strukturqualität den höchsten Zertifikationsgrad und wird kontinuierlich über ein Register kontrolliert (Abb. 5 + 7). Dem engeren Behandler-Team gehören drei Ärzte, vier Krankenschwestern, acht Physiotherapeuten, eine Diätassistentin und besonders aktive Mitglieder einer Elterninitiative (Abb.6) an. Psychologen sowie die Mitarbeiter der Sozialbetreuungsstelle der Klinik stehen bei Bedarf zur Verfügung. Alle Therapeuten behandeln stationär und ambulant, wobei das Schwergewicht bei der ambulanten, z.T. häuslichen Versorgung liegt. In der diätetischen Betreuung hat das Zentrum Schulungskonzepte entwickelt, die mittlerweile in fast allen deutschen und vielen europäischen CF-Zentren Anwendung finden. Die Patienten der Homburger CF-Ambulanz für Kinder sind Teilnehmer an mehreren multizentrischen Studien (Abb.8). Mit dem Behandlungszentrum für erwachsene CF-Patienten an der 5. Medizinischen Universitätsklinik (Dir. Prof. Sybrecht, OÄ Dr. Wilkens) und dem Zentrum für Lungentransplantation an der Thorax-chirurgischen Universitätsklinik (Dir. Prof. Schäfers) besteht enge Zusammenarbeit. Ohne die finanzielle Unterstützung und den steten Beistand der regionalen Elterninitiative Saarpfalz (Saarbrücken) des Mukoviszidose e.V. (Bonn) wäre die oben genannte Versorgungsqualität nicht möglich. Details über die Erkrankung, ihre Behandlung und ihre Perspektiven vermitteln umfassend die Homepage der Regionalgruppe (www.muko-saar.de) sowie die dort aufgeführten Links. 34 funktionsgestört (Pankreas) bzw. tritt der Funktionsausfall, abhängig von exogenen Faktoren (Luftwegsinfekte) in den ersten beiden Lebensjahren (Lunge) ein. Allgemein gilt es • Mangelzustände auszugleichen, • Fehlfunktionen zu kompensieren, • Organzerstörung und Funktionsausfall zu vermeiden. Ziel ist, einen funktionellen Normalzustand zu erreichen, möglichst über Jahre und Jahrzehnte zu halten und dabei dem Patienten ein Optimum an Lebensqualität zu bieten. Dies wird durch • Frühtherapie • Schulungskonzepte • Teamversorgung(„comprehensive care“) •Qualitätskontrollierte Behandlungszentren • Psychosoziale Absicherung erreicht. Dadurch ist es in den letzten 20 Jahren gelungen, die Lebenserwartung der CF-kranken zu vervierfachen, so dass heute bereits 40% der Betroffenen erwachsen sind und die Lebenserwartung für die heute Geborenen in das fünfte Jahrzehnt errechnet werden kann (Abb. 3). Universität des Saarlandes