Adelheid Hu Überlegungen zum Kompetenzbegriff in der Fremdsprachendidaktik
by user
Comments
Transcript
Adelheid Hu Überlegungen zum Kompetenzbegriff in der Fremdsprachendidaktik
Adelheid Hu Überlegungen zum Kompetenzbegriff in der Fremdsprachendidaktik Das Kompetenzkonzept hat in der Fremdsprachendidaktik eine lange und vielschichtige Tradition. Aus der linguistischen Perspektive war zum einen Chomsky’s Kompetenzkonzept von großer Bedeutung. Chomsky verstand unter sprachlicher Kompetenz (i. Ggs. zur Performanz) eine ideale angeborene, universale Fähigkeit eines idealen Sprechers/Hörers, mit Hilfe eines begrenzten Inventars von Kombinationsregeln und Grundelementen potenziell viele neue, noch nie gehörte Sätze bilden und verstehen zu können sowie einer potentiell unendlichen Menge von Ausdruckselementen eine ebenso potentiell unendliche Menge von Bedeutungen zuzuordnen. Auf Chomsky ging eine der wichtigsten Zweitspracherwerbshypothesen, die Identitätshypothese, zurück, die davon ausging, dass Zweit- und Erstspracherwerb aufgrund des LAD (Language Acquisition Device) grundsätzlich identisch ablaufen. Seit den 70er Jahren (bis heute) spielt außerdem das Konzept der Kommunikativen Kompetenz eine zentrale Rolle innerhalb der Fremdsprachendidaktik (Schmenk 2005). Mit Rückbezug auf Jürgen Habermas’ sozialphilosophische Konzeption von kommunikativer Kompetenz als Erkennen von Regeln, die zur Realisierung idealer Diskurse führen sowie die Sprechakttheorie von Austin und Searle entwickelte v.a. Hans-Eberhard Piepho im deutschen Sprachraum kommunikative Kompetenz zum Leitziel von Fremdsprachenunterricht überhaupt. Es ging ihm v.a. darum, pragmatische kommunikative Universalien in Gesprächssituationen (wie z.B. Rollenspielen) einzuüben, um Handeln und Emanzipation durch Sprache bei den SchülerInnen zu entwickeln. Aktuell hat insbesondere der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen (Europarat 2001) großen Einfluss auf Vorstellungen von sprachlicher Kompetenz. Mit seinem handlungsorientierten Ansatz setzt der GER den Akzent ebenfalls auf Sprachverwendung, allerdings weniger im kritischemanzipatorischen als vielmehr im pragmatisch-funktionalen Sinn: „Sprachverwendung – und dies schließt auch das Lernen einer Sprache mit ein – umfasst die Handlungen von Menschen, die als Individuen und als gesellschaftlich Handelnde eine Vielzahl von Kompetenzen entwickeln, und zwar allgemeine, besonders aber kommunikative Sprachkompetenzen. Sie greifen in verschiedenen Kontexten und unter verschiedenen Bedingungen und Beschränkungen auf diese Kompetenzen zurück, wenn sie sprachliche Aktivitäten ausführen, an denen Sprachprozesse beteiligt sind, um Texte über bestimmte Themen aus verschiedenen Lebensbereichen (Domänen) zu produzieren und/oder zu rezipieren. Dabei setzen sie Strategien ein, die für die Ausführung dieser Aufgaben am geeignetsten erscheinen. Die Erfahrungen, die Teilnehmer in solchen kommunikativen Aktivitäten machen, können zur Verstärkung oder zur Veränderung der Kompetenzen führen.“ (Europarat 2001, 21) Weitreichenden Einfluss hatten insbesondere die Unterteilung allgemeiner fremdsprachlicher Kompetenzen in Teilkompetenzen wie Hörverstehen oder Leseverstehen sowie die Niveaustufenbeschreibungen/ Deskriptoren (A1- C2) für einzelne Teilkompetenzen. Hier ein Beispiel für die Deskriptoren zum Hörverstehen: In den Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/Französisch) bildete der GER eine wichtige Basis, die in großen Teilen übernommen wurde. Das Kompetenzstrukturmodell der Kultusministerkonferenz (siehe unten) (KMK 2003, 8) umfasst den Bereich der Funktionalen Kommunikativen Fähigkeiten (aufgeteilt in die Kommunikativen Fertigkeiten und das Verfügen über die sprachlichen Mittel), den Bereich der interkulturellen Kompetenzen und den der Methodenkompetenzen. Die Begründungen für diese Dimensionierung und insbesondere für die Substrukturen sind dabei durchaus arbiträr. Im Kontext der pädagogischen Psychologie schließt man durchaus an die Vorarbeiten des GER an: Sprachkompetenz wird auch hier funktional definiert und als kognitive Disposition angesehen, die dazu befähigt, situative Anforderungen erfolgreich zu bewältigen. Insbesondere die Aufteilung in Teilkompetenzen sowie operationalisierbare Niveaustufen spielen eine entscheidende Rolle. Bei Jude/Klieme (2006) heißt es: „Differentialdiagnostische Ansätze der Psychologie und Pädagogik erforschen Sprachkompetenzen vor dem Hintergrund des Sprachlehrens und –lernens und basieren auf der Annahme, dass sich sprachliche Gesamtkompetenz in spezifische Teilkompetenzen aufschlüsseln lässt. Deren empirische Erfassung ermöglicht Aussagen über individuelle Leistungsprofile von Sprachlernenden. Es geht um empirisch überprüfbare Operationalisierungen. Sprachkompetenz wird dabei definiert als Komplex von Teilfähigkeiten, die durch den schulischen Unterricht vermittelt werden sollen, die Kompetenzmessung nimmt dabei die Rolle der Lernerfolgsüberprüfung ein.“ (Jude/Klieme 2006, 11) Es wird deutlich, dass hier die Messung bzw. Überprüfung von Kompetenzen von besonderer Bedeutung ist. Die Entwicklung von Testaufgaben spielt eine besondere Rolle. Der weitere Fokus des Tasked Based Learning-Ansatzes, der unter „Aufgabe“ eher eine authentische sprachlich-interkulturelle Herausforderung des wirklichen Lebens versteht, gerät eher in den Hintergrund zugunsten der Frage der Messbarkeit spezifischer Teilkompetenzen. Insbesondere im Kontext des IQB wie auch der DESI-Studie beschäftigen sich aktuell v.a. empirische Bildungsforscher/pädagogische Psychologen (Klieme, Hartig, Pant, Köller, Rupp) wie auch einige FremdsprachendidaktikerInnen (Harsch, Rossa, Nold) insbesondere mit der Frage des Assessments von sprachlichen Kompetenzen, z.B. der Konstruktvalidierung von Sprachtestaufgaben als Beitrag zur Qualitätssicherung in der Kompetenzforschung (siehe Literaturliste unten). Weitere Themen sind kognitive Prozesse beim Lösen von Aufgaben, Unterrichtsmethoden im kompetenzorientierten Unterricht, Rückmeldeverfahren und Lernaufgabenentwicklung. Insbesondere der Bereich der „Interkulturelle Kompetenz“ hat für viel Diskussion gesorgt. „Interkulturelle Kompetenz“ wird im derzeitigen kompetenz- und standardorientierten Diskurs über (fremd-)sprachliche Bildung einerseits als Schlüsselqualifikation und wichtiges Leitziel hervorgehoben; gleichzeitig erscheint allerdings die Entwicklung und Förderung gerade dieser Domäne sprachlich-kulturellen Lernens in einem standard- und kompetenzorientierten Unterricht insofern bedroht, als sie zu den wenig operationalisierten und schwer – möglicherweise zum Teil gar nicht – messbaren Bereichen gehört (vgl. Hu 2008). Da noch nicht absehbar ist, welchen Einfluss längerfristig die von der KMK geplanten Testungen auf die Gesamtheit des Fremdsprachenunterrichts haben (vgl. die Gesamtstrategie der KMK zum Bildungsmonitoring 2006), ist zumindest zu befürchten, dass diejenigen Aspekte sprachlichen Lernens an den Rand gedrängt werden, die psychometrisch nicht eindeutig messbar sind (vgl. Bredella 2006, Hu 2005, Krumm 2005). Vorstellbar sind zwei Szenarien: Entweder wird gewährleistet, dass neben den leichter testbaren Kompetenzen wie z. B. informationsentnehmendem Lese- oder Hörverstehen genügend Freiräume für interkulturelle, reflexive, ethische und ästhetische Aspekte sprachlichen Lernens bleiben – auch wenn sie sich nicht der Philosophie der Niveaustufung und Outputorientierung unterwerfen. Die andere Option besteht darin, auch die schwer messbaren Kompetenzen so weit zu operationalisieren, zu stufen und durch Aufgaben zu normieren, dass sie – zumindest teilweise – evaluierbar werden. Ein weiterer wichtiger, aber bislang unterbelichteter Bereich sind die genuin mehrsprachigen Kompetenzen wie z.B. Transferkompetenzen, Mehrsprachigkeitsbewusstheit, funktionales Code-Switching und Mediationskompetenzen in multilingualen Settings. Auch hier sind Weiterentwicklungen notwendig. Literatur: Bredella, Lothar 2006: Bildungsstandards und ihre Umsetzung. In: Timm, Johannes-Peter (Hrsg.): Fremdsprachenlernen und Fremdsprachenforschung: Kompetenzen, Standards, Lernformen, Evaluation. Festschrift für Helmut Johannes Vollmer. Tübingen: Narr, S. 105122 Europarat / Rat für kulturelle Zusammenarbeit 2001: Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Hg. v. Goethe Institut Inter Nationes, der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK), der Schweizerischen Konferenz der Kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) und dem österreichischen Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (BMBWK). Berlin, München, Wien, Zürich, New York: Langenscheidt. Harsch, Claudia, Hans Anand Pant & Olaf Köller (Eds.) (2010): Calibrating Standards-based Assessment Tasks for English as a First Foreign Language. Standard-setting Procedures in Germany. Münster: Waxmann. Harsch, Claudia & André A. Rupp (submitted): “Designing and Scaling Level-specific CEFR Writing Tasks.” In: Language Assessment Quarterly. Hu, Adelheid (2005): Überlegungen zum Thema „Bildungsstandards“ in fremd- und zweitsprachlichen Kontexten. In: K.-R. Bausch, E. Burwitz-Meltzer, F. Königs und H.-J. Krumm (Hrsg.): Bildungsstandards. Dokumentation der Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenlernens Februar 2005. Tübingen: Gunter Narr, 123-131. Hu, Adelheid (2008): Zum Problem der Operationalisierbarkeit von Interkultureller Kompetenz im Fremdsprachenunterricht. In: V. Frederking (Hrsg.), Schwer operationalisierbare Kompetenzen. Herausforderungen empirischer Fachdidaktik. Schneider Hohengehren, 11-35. Hu, Adelheid (Koordination) (2008): Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung zu Kompetenzorientierung und Bildungsstandards. http://www.dgff.de/fileadmin/user_upload/dokumente/Sonstiges/Kompetenzpapier_DGFF.pdf Hu, Adelheid & Byram, Michael (Hg.) (2008) : Interkulturelle Kompetenz und fremdsprachliches Lernen. Modelle. Empirie, Evaluation – Intercultural Competence and language learning. Models, empiricism and evaluation. Tübingen: Gunter Narr. Jude, Nina & Klieme, Eckhard (2006): Sprachliche Kompetenz aus Sicht der pädagogischpsychologischen Diagnostik. In: Jude, Nina; Klieme, Eckhard: Sprachliche Kompetenz aus Sicht der pädagogisch-psychologischen Diagnostik. Weinheim u.a. 2007 Köller, Olaf / Knigge, Michel / Tesch, Bernd (Hrsg.) (2010): Sprachliche Kompetenzen im Ländervergleich. Überprüfung der Erreichung der Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss für Deutsch und die erste Fremdsprache in der neunten Jahrgangsstufe. Münster: Waxmann. Krumm, Hans-Jürgen 2005: Hilfreiche Standardisierung oder fatale Normierung: Gedanken zur Problematik von Bildungsstandards und Lernstandserhebungen. In: K.-R. Bausch, E. Burwitz-Melzer, F. G. Königs, H.-J. Krumm (Hrsg.): Bildungsstandards für den Fremdsprachenunterricht auf dem Prüfstand. Arbeitspapiere der 25. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts, Tübingen: Narr, 2005, 151-158. Kultusministerkonferenz 2003: Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/Französisch) für den mittleren Schulabschluss (Jahrgangsstufe 10). München: Wolters-Kluwer. Leucht, Michael, Claudia Harsch & Olaf Köller (submitted). „Schwierigkeitsgenerierende Merkmale von Items zum Lese- und Hörverstehen im Fach Englisch“. [Difficulty-determining Characteristics of Reading and Listening Items]. In: Diagnostica. Nold, Günter; Rossa, Henning; Hartig, Johannes (2008). Proficiency scaling in DESI listening and reading EFL tests: Task characteristics, item difficulty and cut-off points. In: Taylor, Lynda & Weir, Cyril J. (Hrsg.): Multilingualism and assessment. Achieving transparency, assuring quality, sustaining diversity – Proceedings of the ALTE Berlin Conference May 2005. Cambridge: Cambridge University Press. Seite 94-116. Porsch, Raphaela (2009). Schreibkompetenzvermittlung im Englischunterricht in der Sekundarstufe I. Empirische Analysen zu Leistungen, Einstellungen, Unterrichtsmethoden und Zusammenhängen von Leistungen in der Mutter- und Fremdsprache. Dissertation, Humboldt-Universität zu Berlin. Porsch, R. (2010). Learning to write texts: What happens in EFL classrooms? Eine bundesweite Umfrage unter Englischlehrkräften und Schülern der Sekundarstufe I. Erscheint in: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung (ZFF). Porsch, R., Grotjahn, R. & Tesch, B. (in Vorbereitung). Hörverstehen und Hör-Sehverstehen in der Fremdsprache – unterschiedliche Konstrukte? Erscheint in: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung (ZFF). Rupp, André, Miriam Vock, Claudia Harsch & Olaf Köller (2008): Developing Standardsbased Assessment Tasks for English as a First Foreign Language – Context, Processes and Outcomes in Germany. Münster: Waxmann. Schmenk, Barbara (2005): Mode, Mythos, Möglichkeiten oder ein Versuch, die Patina des Lernziels ‚kommunikative Kompetenz’ abzukratzen. ZFF 16 (1), 57-88. Tesch, Bernd (2010): Kompetenzorientierte Lernaufgaben im Fremdsprachenunterricht. Konzeptionelle Grundlagen und eine rekonstruktive Fallstudie zur Unterrichtspraxis (Französisch). Frankfurt a. M.: Peter Lang. Kolloquium Fachdidaktik (KFU). ,