T. Schmidtgall: Traumatische Erfahrung im Mediengedächtnis 2014-4-183 Schmidtgall, Thomas: Traumatische Erfahrung
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T. Schmidtgall: Traumatische Erfahrung im Mediengedächtnis 2014-4-183 Schmidtgall, Thomas: Traumatische Erfahrung
T. Schmidtgall: Traumatische Erfahrung im Mediengedächtnis Schmidtgall, Thomas: Traumatische Erfahrung im Mediengedächtnis. Zur Struktur und interkulturellen Rezeption fiktionaler Darstellungen des 11. September 2001 in Deutschland, Frankreich und Spanien. Würzburg: Königshausen & Neumann 2014. ISBN: 978-3-8260-5411-2; 614 S. Rezensiert von: Marcel Hartwig, Seminar für Anglistik, Universität Siegen Der am Saarbrücker Lehrstuhl für Romanische Kulturwissenschaft und Interkulturelle Kommunikation wirkende Autor Thomas Schmidtgall konzentriert sich in der vorliegenden Monografie auf die Wahrnehmung genuin amerikanischer Kulturprodukte in europäischen Kontexten. Jeder der von ihm untersuchten US-amerikanischen Primärtexte, welche sich von Filmen, Comics, bis hin zum Roman erstrecken, steht im Bezug zu den Anschlägen vom 11. September 2001. In der weitgehend auf quantitativen Erhebungen basierten Arbeit geht es Schmidtgall vor allem darum, länderspezifische Wahrnehmungsstrukturen sowie eigenkulturelle Argumentationsgänge offenzulegen und interkulturelle Prozesse zur Rezeption der Anschläge nachzuvollziehen. In gleichem Maße versucht die mit dem Prix Germaine de Staël der französischen Botschaft und des deutschen Frankoromanistenverbandes ausgezeichnete Dissertation die in den jeweiligen Nationen vorherrschende Wahrnehmung der USA zu kartographieren. Um die entsprechenden Daten für dieses Vorhaben zu akkumulieren, betrachtet Schmidtgall die Rezeption der Filme „World Trade Center“ (2006) und „United 93“ (2006), Jonathan Safran Foers Roman „Extremely Loud & Incredibly Close“ (2005) und Art Spiegelmans Graphic Narrative „In the Shadow of No Towers“ (2004) in der deutschen, französischen und spanischen Presse. Aus diskursiver wie historischsoziokultureller Sicht geht die Arbeit der zentralen These nach, dass „je stärker die USamerikanische kulturelle Prägung der jeweiligen fiktionalen Darstellung zum Ausdruck komm[e], desto heftiger [. . . ] reagieren die deutschen, französischen und spanischen Kritiker mit ihren kultureigenen Vorstellungswelten und Denkmustern, die sich dadurch 2014-4-183 ebenso in ihrer Beschaffenheit offenbaren“ (S. 16). Im Zentrum steht damit die Frage nach einer kollektiven „Schockwirkung“ (S. 17) der Anschläge vom 11. September 2001 innerhalb westeuropäischer Kulturen. Der stark kulturessentialistische Ansatz versteht sich dabei als ein Beitrag zur interkulturellen Medienanalyse (vgl. S. 551). Eingangs stellt Schmidtgall eine Forschungslücke im immer größer werdenden Korpus an wissenschaftlichen Arbeiten zum „11. September“ fest. So vermisst er interdisziplinäre Ergebnisbündelung bei gleichzeitiger transnationaler Perspektive. Der Überblick über die Forschungsliteraturen, die dies zu leisten vermögen, fällt entsprechend kurz aus. Vor allem im Bereich der Amerikanistik verweist der Autor nur auf eine aktuelle Monografie von Stefanie Hoth.1 Gerade vor dem Hintergrund des Kernthemas hätte sich hier eine gründlichere Recherche hinsichtlich der amerikanistischen Forschungsliteratur gelohnt. So leistete doch vor allem Sabine Sielke als Beiträgerin und Herausgeberin des Sammelbandes „Der 11.September 2001: Fragen, Folgen, Hintergründe interdisziplinäre Pionierarbeit in der „9/11“-Forschung“;2 und dies bereits zu einem Zeitpunkt, an dem es an wissenschaftlichen Reaktionen noch mangelte. An dieser festgestellten Lücke arbeitet Schmidtgall unter Verwendung eines Medienbegriffes, der die Produktion, Verteilung und Wahrnehmung zu gleichen Maßen mit der Analyse eines konkreten Medienproduktes verbindet. So besteht das erste Drittel der umfangreichen Arbeit aus der terminologisch-theoretischen Annäherung zum Medienbegriff, dem kollektiven Gedächtnis und der kulturellen, literarischen, historischen wie philosophischen Platzierung des „11. Septembers“. Sachlich schlüssig lassen sich in dieser Arbeit die Uneinigkeit über den Begriff der „Zäsur“ und des „Traumas“ nachvollziehen. Im Anschluss an Angela Kühners Begriff des „symbolvermittelten kollektiven Traumas“3 gewinnen in der 1 Vgl. S. 30; Stefanie Hoth, Medium und Ereignis. ‚9/11‘ im amerikanischen Film, Fernsehen und Roman, Heidelberg 2011. 2 Sabine Sielke (Hrsg.), Der 11. September 2001. Fragen, Folgen, Hintergründe, Frankfurt am Main u.a. 2002. 3 Angela Kühner, Kollektive Traumata. Eine Bestands- © H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved. vorliegenden Arbeit die transnationalen Dimensionen der medialen Vermittlungen von „9/11“ als „media event“ an argumentativer Stärke. Entsprechend zieht es Schmidtgall vor, eher über traumatische Erfahrungen zu sprechen als den Traumabegriff selbst zu bedienen. Fraglich bleibt an dieser Stelle, wie eine Zuordnung der im Anschluss ausgewählten und diskutierten Beispiele zum kulturellen Gedächtnis nach Assmann funktioniere (vgl. z.B. die Argumentation zum Libeskind-Entwurf auf S. 84). Schließlich siedelt sich die Arbeit in einem Diskursfeld an, dessen mediale Prägung und zeitliche Dimension eher dem Begriff des kommunikativen Gedächtnisses entspräche. Wo im Text zudem noch der Assmann’sche Begriff des „kulturellen Gedächtnisses“ neben dem etwas diffuseren Begriff des „kollektiven Gedächtnisses“ häufiger Verwendung findet, erscheint im Titel dann das Mediengedächtnis. An dieser Stelle wäre eine dezidiertere Auseinandersetzung mit den Begrifflichkeiten sicher erstrebenswert gewesen, insbesondere da in der Arbeit vor allem die Begriffe „Medien“ und „Ereignis“ überaus sorgfältig abgegrenzt werden. Das Kernstück der Arbeit sind die Rezeptionsstudien zu den gewählten Haupttexten, die sich einem kurz skizzierten analytischen Überblickskapitel anschließen. Zwar sind vor allem in den Philologien alle der ausgewählten Kerntexte bereits erschöpfend bearbeitet, dennoch schafft es Schmidtgall an ihrem Beispiel, empirische Daten zum Rezeptionsdiskurs zu generieren. Klar arbeitet er hier den Vorrang audiovisueller Bilder in der Wahrnehmung des „11. Septembers“ heraus und präsentiert eine Aufmerksamkeitshierarchie, nach der das deutsche Fernsehen – mit Abstand zum französischen und spanischen – dem Ereignis die höchste Aufmerksamkeit widmet. Am intensivsten sind dabei die Filmbeiträge per Besprechungen im interkulturellen Mediengedächtnis thematisiert; mit auffälligem Abstand folgen der exemplarisch besprochene Roman und die Graphic Narrative. Dies bestätigt eine Deutungshoheit des audiovisuellen Bildes über den „11. September“. Schmidtgall stellt in der Rezeptionsanalyse länderübergreifende Diskursstrategien fest, die auf eine dezidiert transnationale Wahr- nehmung schließen lassen. Je dichter die amerikanischen Medienbilder nationalmythologisch aufgeladen waren, desto höher – gemessen am Umfang erschienener Besprechungen – die Rezeption dieser Bilder in den drei Zielländern dieser Studie. Vor allem sind fehlende historische wie politische Kontextualisierungen Gegenstand der europäischen Kritik. Während die Wahrnehmung von „9/11“ in den drei Ländern noch nach den gleichen Untersuchungskategorien stattfinde, unterliege sie hinsichtlich der Sinnbildung jeweils anders gestalteten Argumentationsstrukturen (vgl. S. 561). An dieser Stelle zeige sich, dass in den deutschen Besprechungen die Vermittlung fremdkulturellen Wissens über die USA überwiege, während in Frankreich stets der Vergleich zur eigenen Filmindustrie den Duktus der Rezensionen bestimme. In Spanien zeige hingegen die Dominanz der Argumente zur medienästhetischen Gemachtheit in den Textkritiken ein fehlendes kulturelles Wissen über die USA an (vgl. S. 564). Entsprechend unterscheide sich auch die Verständnisnähe zum „11. September“ und den künstlerischen Aufarbeitungen in den drei Ländern. Die erschöpfende Auswertung von knapp 350 Zeitungsartikeln aus Spanien, Deutschland und Frankreich zeigt deutlich, dass die Forschungen zur Fremdwahrnehmung und der interkulturellen Medienanalyse eine hilfreiche Ergänzung zu den philologischen Studien zu „9/11“ sind. Besonders unter diesem Blick lässt sich der Wunsch nach einer ähnlich gearteten Studie für den arabischen Kulturraum verstehen. Falls diese ähnlich umfangreich ausfällt, sollte bei ihrem Entwurf zumindest über ein Schlagwortverzeichnis nachgedacht werden. Neue Forschungsarbeiten wie „Traumatische Texturen“ von Heide Reinhäckel4 oder die von Ursula Hennigfeld jüngst herausgegebene Anthologie „Poetiken des Terrors“5 bestätigen Schmidtgalls Annahmen zum Bedarf interkultureller Medienanalysen. So sind es vor allem der innovatiaufnahme. Annahmen, Argumente, Konzepte nach dem 11. September, Berlin 2002, hier: S.15. 4 Heide Reinhäckel, Traumatische Texturen. Der 11. September in der deutschen Gegenwartsliteratur, Bielefeld 2012. 5 Ursula Hennigfeld (Hrsg.), Poetiken des Terrors. Narrative des 11. September 2001 im interkulturellen Vergleich, Heidelberg 2014. © H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved. T. Schmidtgall: Traumatische Erfahrung im Mediengedächtnis ve Ansatz und die resolute Recherchearbeit, die Schmidtgalls Monografie zu einer wertvollen Ergänzung in der stetig wachsenden „9/11“-Forschung machen. HistLit 2014-4-183 / Marcel Hartwig über Schmidtgall, Thomas: Traumatische Erfahrung im Mediengedächtnis. Zur Struktur und interkulturellen Rezeption fiktionaler Darstellungen des 11. September 2001 in Deutschland, Frankreich und Spanien. Würzburg 2014, in: H-Soz-Kult 19.12.2014. © H-Net, Clio-online, and the author, all rights reserved. 2014-4-183 KULT_online. Review Journal for the Study of Culture 42/ 2015 kult-online.uni-giessen.de Kulturelle Verarbeitungen von 9/11 aus transkultureller Sicht Elizabeth Kovach Justus-Liebig-Universität Gießen Schmidtgall, Thomas: Traumatische Erfahrung im Mediengedächtnis. Zur Struktur und interkulturellen Rezeption fiktionaler Darstellungen des 11. September 2001 in Deutschland, Frankreich und Spanien. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2014. Abstract: Diese romanistische Studie fokussiert sich auf die europäische Rezeption in Printmedien drei europäischer Länder – Deutschland, Frankreich und Spanien – von US-amerikanischen kulturellen Produkten, die sich mit dem 11. September 2001 beschäftigen. Mit einem gründlich etablierten theoretischen Rahmen und klar definierter Methodik leistet Schmidtgall einen singulären Beitrag zum stetig wachsenden, interdisziplinär-kulturwissenschaftlichen Forschungsfeld, welches 9/11 als traumatisches Medienereignis untersucht. Traumatische Erfahrung im Mediengedächtnis ist die Publikation des Dissertationsprojektes Dr. Thomas Schmidtgalls (Lehrstuhl für Romanische Kulturwissenschaft und Interkulturelle Kommunikation, Universität des Saarlandes). Das Buch ist umfangreich im thematischen wie auch – mit seinem 613 Seiten – dimensionalen Sinne. Fokus dieser romanistischen Studie ist die Rezeption von US-amerikanischen kulturellen Produkten (zwei Filme, ein Roman und eine Comic-Serie), die sich mit dem 11. Septembers 2001 in den Printmedien dreier europäischer Länder (Deutschland, Frankreich und Spanien) beschäftigen. Mit einem gründlich etablierten theoretischen Rahmen und klar definierter Methodik leistet Schmidtgall einen singulären Beitrag zum wachsenden, interdisziplinär-kulturwissenschaftlichen Forschungsfeld, welches 9/11 als traumatisches Medienereignis untersucht. Augenmerk dieser Studie ist nicht (nur) die transmediale Breite der US-amerikanischen kulturellen Produkte, die in Betracht gezogen werden – diese Leistung wurde bereits mit Publikationen wie Stefanie Hoths Medium und Ereignis: 9/11 im amerikanischen Film, Fernsehen und Roman (2011) erbracht. Aufbauend auf solche Arbeiten, analysiert Schmidtgall verschiedene mediale Verarbeitungen von 9/11 aus einer innovativen, nämlich transkulturellen Perspektive. In einer akribischen Vorgehenswei-1- KULT_online. Review Journal for the Study of Culture 42/ 2015 kult-online.uni-giessen.de se werden sowohl quantitative Ergebnisse als auch qualitative Betrachtungen über die Rezeption in der deutschen, französischen und spanischen Presse bis zum fünften Jahr nach dem 11. Septembers 2001 untersucht. Es sind sämtliche Rezeptionen der Filme World Trade Center (Regie: Oliver Stone) und United 93 (Regie: Paul Greengrass), des Romans Extremely Loud and Incredibly Close von Jonathan Safran Foer, und des Comics In the Shadow of No Towers von Art Spiegelman berücksichtigt. Die Rezeption dieser populären kulturellen Verarbeitungen von 9/11 untersucht Schmidtgall, um unter anderem „die Wahrnehmung der USA und US-amerikanischer Medienprodukte“ (14) in den jeweiligen Ländern zu verstehen. Schmidtgall zeigt dabei eine Sensibilität für die unterschiedlichen, historisch geprägten Verhältnisse zwischen den USA und diesen drei europäischen Ländern auf. Gleichzeitig schafft er es herauszustellen, welche Gemeinsamkeiten sich etablieren. Ziel ist zu erfassen, „ob sich in der Rezeption eine kollektive, kulturelle Schockwirkung des 11. September 2001 als Trauma auch für die drei westeuropäischen Nationen nachweisen lässt“ (16-17) – „ob sich auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Sinne einer transnationalen, besser transkulturellen Redeweise über den 11. September abzeichnen“ (17). Die Ergebnisse dieser vergleichenden Arbeit folgen, nachdem Schmidtgall die theoretische Grundlage und Diskussion über den „11. September als globales Ereignis“ aufarbeitet hat. Er fasst einige Haupttheorien und Definitionen des Medienbegriffes (von Roland Posner, Marschall McLuhan, Siegfried J. Schmidt, und weiteren) zusammen; durchschreitet wichtige Beiträge zum Thema kollektives Gedächtnis und nähert sich an einen Begriff des Mediengedächtnisses an. Die Rezeptionstheorie und Diskursforschung, mit entsprechenden Verweisen auf die Arbeiten von Wolfgang Iser und Stuart Hall werden abschließend besprochen. Diese Teile des Projektes schaffen einen strukturierten Überblick und erörtern mehrere relevante Forschungsbereiche, Theorien, Konzepte und Begriffe. Sie dienen als Ausgangspunkt für die eigentliche Untersuchung und bleiben deswegen vorwiegend überblickend bzw. zusammenfassend. Der Ereignisbegriff wird hier in einem generellen philosophischen Sinne (angelehnt an Heidegger) und im kontextspezifischen Sinne, das heißt mit Bezug auf den 11. September, hervorgehoben. Verschiedene Meinungen, etwa von Jean Baudrillard, Slavoj Žižek und Jacques Derrida, zur Einordnung von 9/11 als Ereignis werden verglichen. Schmidtgall betont, dass nach Foucault der Ereignisbegriff überwiegend als diskursives Konstrukt betrachtet wird. Hier hätte Schmidtgall allerdings die Ontologie Alain Badious erwähnen können, die eine wichtige, neue Sicht auf das Ereignis in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Viele Themenbereiche, die diese Studie anspricht, sind Zeichen einer arbeitsintensiven und genauen Recherche. An einer Stelle etwa präsentiert Schmidtgall mehrere Graphiken (Balken- und Kuchendia- -2- KULT_online. Review Journal for the Study of Culture 42/ 2015 kult-online.uni-giessen.de gramme) um zu zeigen, wie lange die Sendezeit des 9/11 Ereignisses im deutschen, französischen und spanischen Fernsehen anhielt. Die eigentliche Untersuchung, die „Rezeptionsanalyse der ausgewählten fiktionalen Darstellungen“, unterteilt die Rezeption nach mehreren Kategorien, Kriterien und aus verschiedenen Perspektiven. Bei der Untersuchung der Rezeption von Extremely Loud and Incredibly Close in den deutschen Printmedien wird zum Beispiel die Anzahl der Beiträge nach Printmedium (SZ, FAZ, Die Welt, etc.) und „perzeptiven Äußerungen“ (Sentimentalität, Postmoderne, Fiktion, Kitsch, etc.) in Tabellen untergliedert. Solche detaillierten Betrachtungen und summarischen Zusammenfassungen münden im letzten Kapitel in elf synthetisierende Ergebnisse. Er listet diverse, hochinteressante Schlussfolgerungen auf, die als Ausgangspunkte für weitere Studien gut dienen könnten. These „a“ zum Beispiel besagt, dass „je artikulierter und je dichter die fiktionalen Darstellungen, desto intensiver [...] reagierten die Kritiker in allen drei Ländern hinsichtlich der Rezeption“ (558). Dies hat interessante Implikationen sowohl für die Rezeptionstheorie verschiedener Medien, als auch für die kognitive Rezeptionstheorie. Weiterhin lautet These „h“, dass „alle drei Länder die USA als ein Land in einer tiefen gesellschaftlichen und politischen Krise beschreiben“ (564); These „i“ wiederum, dass 9/11 „unbestreitbar auch im kollektiven Gedächtnis der drei europäischen Gesellschaften als traumatische Erfahrung fest verankert ist“ (565). Diese paradoxe Mischung aus kritischer Betrachtung von außen sowie Zusammenhalt und Mitgefühl zeigt nicht nur die ambivalente Rezeption von US-amerikanischer Kultur, sondern auch die Verhältnisse zwischen den USA und den drei europäischen Ländern. All dies prägt die tiefgründigen Verhältnisse, welche sich zugleich in unserer post-9/11 Welt immer wieder neu definieren. English Abstract: The cultural processing of 9/11 from a transcultural perspective This romance-studies work focuses on the European reception, in print media from three countries, of American cultural products that deal with September 11, 2001. With a thoroughly established theoretical framework and clearly defined methods, Schmidtgall achieves a unique contribution to the growing interdisciplinary field in the study of culture that investigates 9/11 as a traumatic media event. -3- KULT_online. Review Journal for the Study of Culture 42/ 2015 kult-online.uni-giessen.de Elizabeth Kovach International Graduate Centre for the Study of Culture Justus-Liebig-Universität Gießen E-mail: [email protected] Zitationsempfehlung Kovach, Elizabeth: „Kulturelle Verarbeitungen von 9/11 aus transkultureller Sicht [Rezension zu: Schmidtgall, Thomas: Traumatische Erfahrung im Mediengedächtnis. Zur Struktur und interkulturellen Rezeption fiktionaler Darstellungen des 11. September 2001 in Deutschland, Frankreich und Spanien. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2014.]“. In: KULT_online 42 (2015). <http:// kult-online.uni-giessen.de/archiv/2014/ausgabe-40/rezensionen/modell-und-modellierungsfunkhttp://kult-online.uni-giessen.de/archiv/2015/ausgabe-42/rezensionen/kulturelle-verarbeitungen-von-9-11-aus-transkultureller-sicht> © bei der Autorin und bei KULT_online -4- Medien / Kultur 197 Thomas Schmidtgall: Traumatische Erfahrung im Mediengedächtnis: Zur Struktur und interkulturellen Rezeption fiktionaler Darstellungen des 11. September 2001 in Deutschland, Frankreich und Spanien Würzburg: Könighausen & Neumann 2014, 613 S., ISBN 978-3826054112, EUR 78,– (Zugl. Dissertation an der Universität des Saarlandes, 2013) Nachdem der 11. September 2001 in den ersten Jahren nach den Anschlägen aufgrund der zeitlichen Nähe in erster Linie in Form von Sammelbänden diskutiert wurde, erscheinen seit einiger Zeit im Bereich der Medien- und Kulturwissenschaft auch vermehrt Monografien zum Thema. Zu diesem Feld der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit 9/11 gehört auch die mit dem Prix Germaine de Staël ausgezeichnete Arbeit von Thomas Schmidtgall. Sie behandelt zwei unterschiedliche Untersuchungsfelder: Zum einen die Analyse vier verschiedener fiktionaler Repräsentationen des Terrors in den Medien Film, Roman und Comic, zum anderen widmet sich der umfangreichere Teil der Untersuchung der Rezeptionsanalyse dieser Texte in der deutschen, französischen und spanischen Presse. Ziel ist es, „den kulturellen Stellenwert des Medienereignisses in den drei westeuropäischen Nationen, aber auch seine Auswirkung im Hinblick auf die Wahrnehmung der USA und US-amerikanischer Medienprodukte“ (S.14) näher zu untersuchen. Durch diesen Ansatz verortet sich der Band als Beitrag zu einer „interkulturellen Medienanalyse“ (S.551). Im ersten Abschnitt werden die in der Studie genutzten theoretischen Grundlagen vorgestellt. Als Stärke erweist sich dabei der Verzicht auf den Versuch einer essentialisierenden Mediendefinition zugunsten eines strukturellen Ansatzes, der Medien nicht nur als materielle Kommunikationsträger konzeptualisiert. Stattdessen stützt sich die Untersuchung auf einen Medienbegriff, der neben der jeweils semiotischen Ordnung und der Technologie auch Produktion, Distribution und Rezeption gleichermaßen in den Blick nimmt. Ebenfalls in diesem Teil finden sich Überlegungen zu kollektiven Formen des Erinnerns sowie zu Rezeptionstheorien und der Diskursanalyse. Einsatz und Nutzen der dargestellten Theorien ist im Rahmen der zu Grunde liegenden Frage nach einer länderspezifischen oder doch transkulturellen Wahrnehmung fiktionaler Repräsentationen des 11. Septembers und der Existenz eines kollektiven Traumas aufgrund der Anschläge auch innerhalb westeuropäischer Kulturen logisch und nachvollziehbar. Ähnlich schlüssig, aber knapp wie die „überblicksartige und selektive Zusammenschau“ (S.58) der jeweiligen Forschungsansätze erweisen sich die Überlegungen zu 9/11 als Ereignis und traumatische Erfahrung. Dabei unterschlägt die Studie nicht die Probleme, die sich durch die Übertra- 198 MEDIENwissenschaft 02/2015 gung einer psychologischen Disposition auf ein Kollektiv ergeben. Konsequenterweise führen die Anschläge, so Schmidtgall, zu einem „kollektive[n] symbolvermittelte[n] Trauma“ (S.77). Dieses äußert sich nicht in Traumasymptomen der Betroffenen, sondern als eine schwere Erschütterung der Rezipient_innen durch eine Identifikation mit den Opfern. Im zweiten Teil der Arbeit findet sich neben der Darstellung des jeweils medienspezifischen Potenzials zur Abbildung und Aufarbeitung traumatischer Erfahrungen ein kurzer Überblick über verschiedene Filme, Comics und Romane mit Bezug zu 9/11. Dabei liefert dieser Abschnitt zwar einen Abriss über die wichtigsten Titel, aber gerade im Bezug auf Comics fehlen einige Werke der letzten Jahre. Im Anschluss präsentiert und analysiert Schmidtgall vier Beispiele: Die Filme World Trade Center (2006) und United 93 (2006), den Roman Extremely Loud & Incredibly Close (2005) sowie den Comic In the Shadow of No Towers (2004). Dabei handelt es sich um prominente Beispiele, die sowohl in der deutschen als auch angelsächsischen Literatur zu 9/11 bisher schon umfassend besprochen wurden. Schmidtgalls Analysen sind dabei in sich schlüssig, setzen aber, gerade im Hinblick auf die schon vorliegenden Diskussionen, bei dem bisherigen Stand der Auseinandersetzung keine neuen Impulse. Den bei weitem umfangreichsten Abschnitt der Arbeit nimmt die qualitative wie auch quantitative Analyse der Rezeption dieser vier Beispiele in der deutschen, französischen und spa- nischen Presse ein. Dabei werden die Wahrnehmung des jeweiligen Beispiels, des Mediums, der USA und des 11. Septembers dargestellt, analysiert und teilweise in empirische Daten überführt. Schmidtgall isoliert hierfür dominante Wahrnehmungs- und Argumentationsfelder der jeweiligen Artikel, um anschließend zu untersuchen, wie häufig diese in den Beiträgen der jeweiligen Zeitungen und Zeitschriften aufgerufen werden. Damit erzeugt er einen umfangreichen Datensatz zur Unterstützung seiner Diskursanalyse. Die Artikel, die ähnlich wie Film und Literatur an der Aufarbeitung und Interpretation von 9/11 beteiligt sind, erweisen sich dabei als Teil eines Mediengedächtnisses. Das Interesse der Presse an den Filmen ist am größten, was sich wiederum im Aufbau des Kapitels niederschlägt. Durch die umfassende Rezeptionsanalyse ist Schmidtgall in der Lage, transnationale Diskursmuster herauszuarbeiten. Je offensichtlicher dabei die Beispiele auf ein spezifisch US-amerikanisches Selbstverständnis und entsprechende Argumentationsmuster zurückgreifen, desto massiver sind die Reaktionen der Presse (vgl. S.558). Wie die Analyse zudem offenlegt, finden sich zwar auf den ersten Blick identische länderübergreifende Diskursmuster, die allerdings bei näherer Betrachtung auf ganz unterschiedlichen Argumentationsstrukturen basieren. Grund dafür ist nicht zuletzt die unterschiedliche kulturelle Nähe, die die verschiedenen Kritikerdiskurse zu den USA aufweisen. Dabei ist für Schmidtgall diese Nähe in Deutschland aufgrund der Ähnlichkeiten im deut- 199 Medien / Kultur schen und amerikanischen Diskurs am größten, während in Spanien am meisten Distanz bestehe. Die ausgiebige Auswertung der verschiedenen Artikel und die umfangreiche Diskursanalyse machen den Band zu einer hilfreichen und nützlichen Ergänzung in der medien- und kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit 9/11. Schmidtgall gelingt es einleuchtend und nachvollziehbar, inter- und transkulturelle Kommunikationsstrukturen sowohl in ihrer gegenseitigen Bedingtheit als auch in ihrer jeweiligen nationalen Verortung offenzulegen. Einzig der theoretische Teil der Monografie gerät an einigen Stellen etwas knapp. Nichtsdestotrotz bietet die Studie durch ihre konsequent interdisziplinäre Herangehensweise und ihre überaus genaue und erschöpfende Auswertung zahlreicher Artikel wichtige Ansätze und Anregungen für eine zukünftige Auseinandersetzung mit Terrorismus als transnationalem und multimedialem Medienereignis sowie die im Anschluss daran wünschenswerte interkulturellen Medienanalysen. Johannes Stier (Köln) Clemens Schwender, Daniela Schlütz, Guido Zurstiege (Hg.): Werbung im sozialen Wandel Köln: Herbert von Halem 2014, 281 S., ISBN 978-3-86962-102-9, EUR 29,50 Am 29. und 30. November 2013 fand an der Hochschule der populären Künste (hdpk) in Berlin die Jahrestagung der adhoc-Gruppe Werbekommunikation der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) statt, die sich inzwischen zur Fachgruppe in der DGPuK dauerhaft formiert hat. Der daraus resultierende Tagungsband verfügt über vier Oberkapitel. Nach der Skizzierung historischer Entwicklungen der Werbung werden technologische und inhaltliche Wandlungsprozesse aufgezeigt. Es folgt eine Analyse sich wandelnder Zielgrup- pen, bevor Aufsätze zu theoretischen Perspektiven der Werbeforschung die Publikation abrunden. Daniela Schlütz, Kira Drabner und Helmut Scherer stellen eine Inhaltsanalyse zum Thema „50 Jahre Kinder in der Werbung“ am Beispiel der geschlechtsspezifischen Darstellung von Jungen und Mädchen in 327 Anzeigen der Zeitschrift Brigitte vor. Hier werden im Rahmen einer quantitativen Inhaltsanalyse Charakter und Rolle ebenso untersucht wie Produkttypen sowie die physische Darstellung, Mimik und Kleidung der Werbeträger. Der