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Prof. Dr. Jan Henrik Klement Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht Sommersemester 2014

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Prof. Dr. Jan Henrik Klement Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht Sommersemester 2014
Prof. Dr. Jan Henrik Klement
Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht
Besonderes Verwaltungsrecht III: Wirtschaftsverwaltungsrecht
Sommersemester 2014
Tutorium – Fall 10: Privatisierung der Abfallentsorgung – Ellingers alter Freund
Inhalte: Kartellvergaberecht; Beauftragung nach § 22 KrWG
Sachverhalt:
In der Gemeinde G machen sich Bürger und Politiker Sorgen um die Entsorgung der Abfälle
aus privaten Haushalten. Viele halten das städtische Entsorgungsunternehmen, das als Eigenbetrieb geführt wird, für unzuverlässig, langsam und teuer.
Nachdem der frühere Bürgermeister, ein eher behäbiger Zeitgenosse, in den Ruhestand getreten ist, brechen in G andere Zeiten an. Der neu gewählte Bürgermeister Dr. Ellinger (E),
ein früherer Bauunternehmer, will nach eigenen Worten „den Müll schnell und ein für allemal vom Tisch“ haben und dazu die Aufgabe der Entsorgung der Abfälle aus privaten Haushalten im Wege der sog. Drittbeauftragung nach § 22 KrWG an ein privates Abfallentsorgungsunternehmen delegieren. G macht die beabsichtige Auftragsvergabe ordnungsgemäß
bekannt. Führende Abfallentsorgungsunternehmen geben in dem offenen Vergabeverfahren
Angebote ab, die den Bewerbungsbedingungen entsprechen. Das wirtschaftlichste dieser
Angebote stammt von dem Unternehmer Armin Allenberg (A), der seit vielen Jahren erfolgreich in der Branche tätig ist, über gut ausgebildetes Personal und moderne technische Infrastruktur verfügt.
Nach dem Ablauf der Angebotsfrist beginnt sich massiver öffentlicher Widerstand gegen
Ellingers Pläne zu regen. Besonders die lokale Tageszeitung macht mit Schlagzeilen wie
„Ellinger entsorgt sich seiner Verantwortung“ und „Als erstes der Müll, später die Kindergärten?“ Stimmung gegen den neuen Bürgermeister. Um die Gemüter zu beruhigen, entschließt
sich E zu einer Kehrtwende. In einem mündlichen Interview kündigt er an, er werde ein geStand: 24.06.2014
1
mischtwirtschaftliches Unternehmen unter dem maßgeblichen Einfluss der Gemeinde gründen und es mit der Aufgabe der Abfallentsorgung betrauen. Weil damit „alles in der öffentlichen Hand“ bleibe, sei ein weiteres Vergabeverfahren nicht erforderlich und der ehrgeizige
Zeitplan für die Reform könne eingehalten werden.
Als Kooperationspartner hat E einen ihm stets ergebenen Freund aus alten Tagen im Auge:
den Bauunternehmer Dietmar Dittel (D). Nach einem entsprechenden Beschluss des Gemeinderats schließt E unter Einhaltung der einschlägigen Vertretungs- und Formvorschriften
mit D einen Gesellschaftsvertrag zur Gründung der Poubelle GmbH (P). Die Geschäftsanteile
hält nach dem Vertrag zu 51 Prozent die Gemeinde und zu 49 Prozent der D. Gesellschaftszweck ist die Entsorgung der Abfälle aus privaten Haushalten im Zuständigkeitsgebiet von G.
In einer Talkshow des „Offenen Kanals“ berichtet E von der Gründung der P. Er kündigt an,
die Gemeinde werde in Kürze einen Abfallentsorgungsvertrag mit dem Unternehmen abschließen. Die P solle sich mit dem Vertrag zur Entsorgung der Abfälle aus privaten Haushalten im Zuständigkeitsgebiet von G verpflichten. Im Gegenzug werde die Gemeinde die von
ihr erhobenen Gebühren an P als Entgelt weiterleiten. Dabei verrät E nicht, dass die Vertragsbedingungen – insbesondere hinsichtlich des zu erbringenden Leistungsspektrums und
des Entgeltes – wesentlich zugunsten der P von den im ursprünglich bekanntgemachten
Vergabeverfahren angeführten Auftragsbedingungen abweichen.
Als A die Talkshow sieht, ärgert er sich sehr. Sofort wendet er sich an Rechtsanwalt Dr.
Rohmberg (R). In einem Mandantengespräch gibt A an, aus wirtschaftlichen Gründen auf
den Auftrag aus G angewiesen zu sein. Das Vorgehen der Gemeinde halte er für rechtswidrig, denn das Privatisierungsmodell, das nun geplant sei, habe – was zutrifft – zuvor nie zur
Debatte gestanden. Er habe daher nicht die Möglichkeit gehabt, G ein entsprechendes Angebot zu unterbreiten.
Zu welchem Vorgehen wird R dem A raten?
Vermerk für den Bearbeiter: Der Wert des Auftrags, die Abfälle aus privaten Haushalten im
Gemeindegebiet von G zu entsorgen, überschreitet den Schwellenwert gemäß § 100 Abs. 1,
§ 127 Nr. 1 GWB, § 2 Abs. 1 S. 1 Vergabeverordnung (VgV). Schadensersatz- und EntschädiStand: 26.06.2014
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gungsansprüche sind nicht zu prüfen. Haushaltsrechtliche Vorschriften und das EGBeihilfenrecht bleiben außer Betracht. Auf die unten abgedruckten EU-Richtlinien wird hingewiesen. Die sog. Basisvergaberichtlinie (Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen ParIamentes und des Rates vom 26. Februar 2014), die bis zum 17. April 2016 in das nationale
Recht umzusetzen ist, hebt die bisherige Vergabekoordinierungsrichtlinie (VKR) mit Wirkung
zum 18. April 2014 auf.
Lesehinweise: J. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Auflage 2013, § 9; H. Pünder, in: D. Ehlers/M. Fehling/H. Pünder (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band I: Öffentliches Wirtschaftsrecht, § 17; M. Eifert, in:
F. Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Auflage 2013, 5. Kap. Rn. 319–344; J. H. Klement, in: A.
Schmehl (Hrsg.), GK-KrWG, 2013, § 22; J. Ruthig, in: J. Ruthig/S. Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 11. Auflage
2011, § 10; J. H. Klement, in: A. Glaser/J. H. Klement, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2009, Fall 7.
Auszug aus der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung –
VgV):
§ 2. Anwendungsbereich
(1) 1Diese Verordnung gilt nur für Aufträge, deren geschätzter Auftragswert ohne Umsatzsteuer die Schwellenwerte erreicht oder überschreitet, die in Artikel 7 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge,
Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134 vom 30. 4. 2004, S. 114, L 351 vom 26. 11. 2004, S. 44) in
der jeweils geltenden Fassung festgelegt werden (EU-Schwellenwerte). 2Der sich hieraus für zentrale Regierungsbehörden ergebende Schwellenwert ist von allen obersten Bundesbehörden sowie allen oberen Bundesbehörden und vergleichbaren Bundeseinrichtungen anzuwenden. 3Das Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie gibt die geltenden Schwellenwerte unverzüglich, nachdem sie im Amtsblatt der Europäischen
Union veröffentlicht worden sind, im Bundesanzeiger bekannt.
(…)
§ 4. Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen.
(…)
1
(2) Bei der Vergabe von Dienstleistungsaufträgen und bei Auslobungsverfahren, die zu Dienstleistungsaufträgen führen sollen, müssen Auftraggeber nach § 98 Nummer 1 bis 3 und 5 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen folgende Bestimmungen der VOL/A anwenden, soweit in § 5 nichts anderes bestimmt ist:
•
1.bei Aufträgen, die Dienstleistungen nach Anlage 1 Teil A zum Gegenstand haben, die Bestimmungen
des zweiten Abschnitts der VOL/A; (…) (in Teil A der Anlage 1 ist unter Kategorie 16 die Abfallentsorgung aufgelistet)
(…)
Stand: 26.06.2014
3
Auszug aus Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.
März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge,
Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (Vergabekoordinationsrichtlinie, VKR)
(…)
Art. 7. Schwellenwerte für öffentliche Aufträge
Diese Richtlinie gilt für die Vergabe öffentlicher Aufträge, die nicht aufgrund der Ausnahmen nach den Artikeln 10 und 11 und nach den Artikeln 12 bis 18 ausgeschlossen sind und deren geschätzter Wert netto ohne
Mehrwertsteuer (MwSt) die folgenden Schwellenwerte erreicht oder überschreitet:
(…)
b) 207 000 EUR
- bei öffentlichen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen, die von anderen als den in Anhang IV genannten öffentlichen Auftraggebern vergeben werden;
(…)
Auszug aus der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen ParIamentes und des Rates vom
26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie
2004/18/EG (Basisvergaberichtlinie)
(…)
Artikel 4. Höhe der Schwellenwerte
Diese Richtlinie gilt für Aufträge, deren geschätzter Wert ohne Mehrwertsteuer (MwSt.) die folgenden Schwellenwerte nicht unterschreitet:
(…)
c) 207 000 EUR bei öffentlichen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen, die von subzentralen öffentlichen Auftraggebern vergeben werden, und bei von diesen Behörden ausgerichteten Wettbewerben; dieser Schwellenwert gilt auch bei öffentlichen Lieferaufträgen, die von zentralen Regierungsbehörden im Verteidigungsbereich
vergeben werden, sofern diese Aufträge Waren betreffen, die nicht in Anhang III aufgeführt sind;
(…)
Artikel 91. Aufhebungen
Die Richtlinie 2004/18/EG wird mit Wirkung zum 18. April 2016 aufgehoben.
Bezugnahmen auf die aufgehobene Richtlinie gelten als Bezugnahmen auf die vorliegende Richtlinie und sind
nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in Anhang XV zu lesen.
Stand: 26.06.2014
4
Auszug aus der Verdingungsordnung für Leistungen – Teil A (VOL/A):
§ 12 Bekanntmachung, Versand von Vergabeunterlagen
(1) 1Öffentliche Ausschreibungen, Beschränkte Ausschreibungen mit Teilnahmewettbewerb und Freihändige
Vergaben mit Teilnahmewettbewerb sind in Tageszeitungen, amtlichen Veröffentlichungsblättern, Fachzeitschriften oder Internetportalen bekannt zu machen. 2Bekanntmachungen in Internetportalen müssen zentral
über die Suchfunktion des Internetportals www.bund.de ermittelt werden können.
§ 15 EG Bekanntmachung, Versand der Vergabeunterlagen
(1) Die Bekanntmachung einer beabsichtigten Auftragsvergabe wird nach dem in Anhang II der Verordnung
(EG) zur Einführung von Standardformularen für die Veröffentlichung von Vergabebekanntmachungen auf dem
Gebiet der öffentlichen Aufträge in der jeweils geltenden Fassung enthaltenen Muster erstellt.
(2) 1Die Bekanntmachung ist auf elektronischem1 oder auf anderem Wege unverzüglich dem Amt für amtliche
Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften2 zu übermitteln. 2Sofern keine elektronische Übermittlung der Bekanntmachung erfolgt, ist der Inhalt der Bekanntmachung auf ca. 650 Worte beschränkt. 3In Fällen
besonderer Dringlichkeit muss die Bekanntmachung mittels Telekopie oder auf elektronischem Weg übermittelt werden. 4Die Auftraggeber müssen den Tag der Absendung nachweisen können.
(3) 1Elektronisch erstellte und übersandte Bekanntmachungen werden spätestens fünf Tage nach ihrer Absendung an das Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht. 2Nicht
elektronisch erstellte und übersandte Bekanntmachungen werden spätestens zwölf Tage nach der Absendung
veröffentlicht. 3Die Bekanntmachungen werden unentgeltlich ungekürzt im Supplement zum Amtsblatt der
Europäischen Gemeinschaften in der jeweiligen Originalsprache und eine Zusammenfassung der wichtigsten
Bestandteile davon in den anderen Amtssprachen der Gemeinschaft veröffentlicht; hierbei ist nur der Wortlaut
in der Originalsprache verbindlich.
(4) 1Die Bekanntmachung darf in der Bundesrepublik Deutschland nicht vor dem Tag der Absendung an das
Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht werden. 2Diese Veröffentlichung darf keine anderen Angaben enthalten als die an das Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften abgesandten Bekanntmachung oder als in einem Beschafferprofil veröffentlicht
wurden. 3Auf das Datum der Absendung der europaweiten Bekanntmachung an das Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften ist in der nationalen Bekanntmachung hinzuweisen.
(…)
§ 20 EG Aufhebung von Vergabeverfahren
(1) Die Vergabeverfahren können ganz oder bei Vergabe nach Losen auch teilweise aufgehoben werden, wenn
•
•
•
•
a)kein Angebot eingegangen ist, das den Bewerbungsbedingungen entspricht,
b)sich die Grundlagen der Vergabeverfahren wesentlich geändert haben,
c)sie kein wirtschaftliches Ergebnis gehabt haben,
d)andere schwerwiegende Gründe bestehen.
(2) Die Bewerber oder Bieter sind von der Aufhebung der Vergabeverfahren unter Bekanntgabe der Gründe
unverzüglich zu benachrichtigen.
(3) 1Die Auftraggeber teilen den Bewerbern oder Bietern nach Aufhebung des Vergabeverfahrens unverzüglich
die Gründe für ihre Entscheidung mit, auf die Vergabe eines im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
bekannt gemachten Auftrages zu verzichten oder das Verfahren erneut einzuleiten. 2Auf Antrag teilen sie ihnen
dies auch in Textform mit.
Stand: 26.06.2014
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