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K M. G D V
KLAUS M. GIRARDET D AS V ERBOT VON ‚ BETRÜGERISCHEN M ACHENSCHAFTEN ‘ BEIM K AISERKULT IN H ISPELLUM (CIL XI 5265/ILS 705) aus: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 182 (2012) 297–311 © Dr. Rudolf Habelt GmbH, Bonn 297 DAS VER BOT VON ‚ BET RÜGER ISCH EN M ACH ENSCH A F T EN ‘ BEI M K A ISER KU LT I N H ISPELLU M (CIL XI 5265/ILS 705) Die Echtheit der im Jahr 1733 in bzw. bei Hispellum zwischen einem Heiligtumsbezirk und dem Theater gefundenen Inschrift1 mit einem kaiserlichen Reskript gilt seit einem Aufsatz von Th. Mommsen von 1850 zu Recht als gesichert2. Inzwischen soll es sich um die meistzitierte Inschrift der Spätantike handeln3. Der Brief trägt an der Spitze die Namen von vier Angehörigen der gens Flavia, nämlich Kaiser Konstantins d. Gr. und dreier seiner Söhne. Vor kurzem ist nun die seit eh und je umstrittene Frage erneut auf unterschiedliche Weise beantwortet worden4, wann das berühmte Dokument entstanden ist. Und was hat der Verfasser gemeint, als er schrieb: Die Stadt darf eine aedis Flaviae gentis errichten mit der unabdingbaren Maßgabe, „daß das unserem Namen gewidmete Gebäude nicht durch betrügerische Machenschaften welches krankmachenden Aberglaubens auch immer besudelt wird“ ea observatione perscripta, ne ae/dis nostro nomine dedicata cuiusquam con/tagios[a]e superstitionis fraudibus polluatur (Z. 45–47)? Eines darf wohl, was auch immer superstitio hier bedeuten mag, nach dem Wortlaut der Inschrift von vorneherein als sicher gelten: Es wird kein generelles Verbot von superstitio ausgesprochen; insofern sind viele Übersetzungen ungenau5. Sondern verboten werden nur die fraudes ... cuiusquam contagios[a]e superstitionis, d. h. als betrügerisch charakterisierte Pratiken von superstitio, und zwar von jedweder Form von superstitio. Da superstitio andererseits pauschal als Krankheit, Seuche gekennzeichnet ist (contagiosa), kann ebenfalls kein Zweifel daran sein, daß superstitio vom Autor des Textes, wenn er sie auch nicht verboten hat, grundsätzlich negativ bewertet wurde6. Aber was ist mit den fraudes gemeint, was bedeutet superstitio in diesem Kontext, wann ist die Petition ergangen, wann das Reskript, wer ist Autor des erhaltenen Textes, wann ist die Inschrift gesetzt worden? 1 L. Sensi, Sul luogo del ritrovamento del rescritto costantiniano di Spello. AARC 12, 1998, 457–477; F. Coarelli, Il rescritto di Spello e il santuario ‘etnico’ degli Umbri. In: Umbria cristiana. Dalla diffusione del culto al culto dei santi (secc. IV–X). Atti del XV Congresso internazionale di studi sull’alto medioevo, Bd. 1. Spoleto 2001, 39–51, hier 44 ff. mit Taf. I und II zu den archäologischen Fragen. 2 Th. Mommsen, Epigraphische Analekten Nr. 9: Inschrift aus Hispellum (1850). In: ders., Gesammelte Schriften Bd. VIII 1. Berlin 1913, 24–45. 3 CIL XI 5265 = ILS 705. – M. Clauss, Kein Aberglaube in Hispellum. Klio 93, 2011, 429–445, hier 429–431. 4 T. D. Barnes, Constantine. Dynasty, Religion and Power in the Later Roman Empire. Oxford 2011, 20–23; Clauss, Kein Aberglaube (wie Anm. 3) 436–439. Vgl. K. M. Girardet, Der Kaiser und sein Gott. Das Christentum im Denken und in der Religionspolitik Konstantins des Großen. Berlin 2010, 100–102. 5 So von Chr. J. Goddard, Les formes festives de l’allégeance au Prince en Italie centrale sous le règne de Constantin: un suicide religieux? MEFRA 114, 2002, 1025–1088, hier 1026: „à condition de ne pas être souillée par des ‘superstitions contagieuses’ “; P. P. Onida, Il divieto dei sacrifici di animali nella legislazione di Costantino. Una interpretazione sistematica. In: F. Sini/P. P. Onida (Hg.), Poteri religiosi e istituzioni: il culto di San Costantino imperatore tra Oriente e Occidente. Turin 2003, 73–169, hier 123 f.: „che il tempio non fosse macchiato dalla contagiosa superstitio“; so auch F. Sini, Aspetti giuridici e rituali della religione romana: sacrifici, vittime e interpretazioni dei sacerdoti, ebd. 3–71, hier 123 f.; ähnlich ungenau L. de Giovanni, L’imperatore Costantino e il mondo pagano. Neapel 2003, 169: „… si proibiva la superstitio pure quando fosse esercitata nel santuario“; R. Delmaire, La législation sur les sacrifices au IVe siècle. Un essai d’interprétation. RHD 82, 2004, 319–333, hier 324: „à condition que ce culte ne soit souillé par aucune superstitio, terme qui désigne les pratiques religieuses condamnables“ (sc. Magie, Divination). Auch Clauss, Kein Aberglaube (wie Anm. 3) 437 ff. unterscheidet nicht zwischen fraudes und superstitio, so daß der Titel seines Aufsatzes den Sachverhalt nicht genau trifft. 6 Merkwürdigerweise empfindet R. van Dam, The Roman Revolution of Constantine. Cambridge 2007, 29 „the absence of any overt reference to Christianity“ als ein „striking feature“ des Reskriptes und auch der Petition; er fährt fort (ebd.): „In their petition the cities of Umbria seemed not to have realized that they were now part of a Christian empire. Nor did Constantine respond in overtly Christian terms.“ 298 K. M. Girardet I. Zum Problem der Zeitstellung von Petition, Reskript und Inschrift Das ohne Textverlust erhaltene Reskript antwortet auf eine Petition sei es allein des Stadtrats von Hispellum, sei es der Städte Umbriens insgesamt7. Die in Hispellum auf einer großen Marmortafel aufgezeichnete Abschrift des kaiserlichen Antwortbriefs8, der auch den Inhalt der Petition referiert9 und sich dabei wohl stark an deren Wortlaut anlehnt, beginnt mit einem unvollständig wiedergegebenen Präskript10: Genannt sind Konstantin als Augustus mit einer Reihe von Siegertiteln und drei Söhne des Kaisers – Konstantin, Caesar seit 317; Konstantius, Caesar seit 324; Konstans, Caesar seit 25. Dezember 333 –, die drei jedoch ohne Titel11; es fehlen außerdem Ort und Datum des Briefs, die Benennung der Petenten als der Adressaten und die üblichen Grußformeln. Man vergleiche damit die Angaben in Dokument 4 (Reskript Konstantins) auf Tafel III der Inschriften von Orkistos12 aus dem Jahr 331: Z. 1–3 Tagesdatum (30. Juni) und Ort: [S]cr(iptum) prid. / Kal. Iulias / [C]onstantinopoli Z. 32 das Jahr (331): Basso et Ablabio cons. Z. 8 f. die Petenten bzw. Adressaten und Grußformel: (Konstantin und die Caesares Konstantin und Konstantius) s[al]utem dicunt / ordini ciuit. Orcistanorum Z. 31: Bene ualere uos cupim[us] Entsprechende Angaben fehlen also auf der Inschrift von Hispellum. Eine Datierung kann auf dieser Basis natürlich nur mit beträchtlichen Unsicherheiten erschlossen werden13. Aber jedenfalls muß das Reskript, da der älteste Sohn Konstantins mit Namen Crispus, Caesar seit 317, im Jahr 326 hingerichtet worden war14, nach diesem Datum ergangen sein15. Im Folgenden stelle ich mehrere Hypothesen zur Datierung vor, die gegenwärtig16 diskutiert werden: Hypothese 1 Die drei Söhne Konstantins erscheinen in der Inschrift deshalb, weil sie zum Zeitpunkt des kaiserlichen Briefs Caesares waren, auch wenn ihr Titel nicht genannt ist. Als terminus post quem kann daher das Jahr 333 7 Mommsen (wie Anm. 2) 32 (–34): Adressat des Reskripts sei nicht die Stadt Hispellum, sondern „offenbar“ die „Volksgemeinde der Umbrer“; J. Gascou, Le rescrit d’Hispellum. MEFRA 79, 1967, 609–659, hier 626 ff.: Petition der Umbrer; G. Forni, Flavia Constans Hispellum. Il tempio ed il pontefice della gente flavia costantiniana. AARC 9, 1993, 401–406, hier 401: „a richiesta degli Ispellati“; Sensi (wie Anm. 1) 469: Petition „molto probabilmente da parte degli emergenti locali“; Coarelli (wie Anm. 1) 41 f.: Umbrer; Van Dam (wie Anm. 6) 27: „the cities of Umbria, and in particular Hispellum“; Clauss, Kein Aberglaube (wie Anm. 3) 432 mit Anm. 29: Petition der Umbrer und der Stadt Hispellum. 8 ILS 705 Z. 1: E(xemplum) S(acri) R(escripti). – Maße der Tafel: 164 × 57 × 4 cm. 9 Z. 15–37. 10 Zu möglichen Gründen: R. Andreotti, Contributo alla discussione del rescritto costantiniano di Hispellum. In: Problemi di storia e archeologia dell’Umbria – Atti del Io Congresso di Studi Umbri. Perugia 1964, 249–290, hier 250 ff.; Gascou (wie Anm. 7) 617–626. 11 Z. 2–6: Imp(erator) Caes(ar) Fl(avius) Constantinus / Max(imus) Germ(anicus) Sarm(aticus) Got(hicus) Victor / triump(hator) Aug(ustus) et Fl(avius) Constantinus / et Fl(avius) Iul(ius) Constantius et Fl(avius) / Constans. 12 Text: MAMA 7, Nr. 305. Dazu u. a. A. Chastagnol, L’inscription constantinienne d’Orcistus. MEFRA 93, 1981, 381– 416; hier auch 384–388 der Text. Vgl. auch van Dam (wie Anm. 6) 150 ff., 368 ff.; Barnes, Constantine (wie Anm. 4) 20. Eine wichtige Studie mit neuer Lesung und neuem Verständnis einzelner Textpassagen der Dokumente 1 bis 3 ist D. Feissel zu verdanken: L’adnotatio de Constantin sur le droit de cité d’Orcistus en Phrygie. AntTard 7, 1999, 255–267. 13 Siehe nur Mommsen (wie Anm. 2) 31 f.: zwischen 326 und 333, vielleicht auch zwischen 326 und 337. Zusammenstellung von weiteren Datierungsversuchen: z. B. von Andreotti (wie Anm. 10) 252 f. mit Anm. 12; Gascou (wie Anm. 7) 617 ff.; van Dam (wie Anm. 6) 363 ff.; Clauss, Kein Aberglaube (wie Anm. 3) 429 ff.; ders. meint ebd. 430: „Inhaltliche Argumente zur Datierung der Inschrift überzeugen nicht.“ 14 Siehe nur T. D. Barnes, Constantine and Eusebius. Cambridge/Mass. 1981, 220 f.; H. A. Pohlsander, Crispus: Brillant Career and Tragic End. Historia 33, 1984, 79–106. 15 Vgl. Mommsen (wie Anm. 2) 31. Verfehlt daher R. Fears, RAC 14, 1988, 1047–1093, s. v. Herrscherkult, hier 1066: Reskript auf 324 datiert. Vgl. auch K. Tabata, The Date and the Setting of the Constantinian Inscription of Hispellum (C.I.L. XI, 5265 = I.L.S. 705). Studi classici e orientali 45, 1997, 369–410: Petition im Sommer 326 (Konstantin in Italien bzw. Umbrien/Spoletum: CTh XVI 5, 2), Reskript vor Ernennung des Konstans zum Caesar (333). – Offenbar nur von Coarelli (wie Anm. 1) 39 f. akzeptiert. 16 Die hypothetische ‚Frühdatierung‘ (326 bzw. vor 333) von Tabata (wie Anm. 15) ist zuletzt von Goddard (wie Anm. 5) 1060 Anm. 158; van Dam (wie Anm. 6) 364; Clauss, Kein Aberglaube (wie Anm. 3) 430 f. mit gutem Grund abgelehnt worden. Das Verbot von ‚betrügerischen Machenschaften‘ beim Kaiserkult in Hispellum 299 gelten, in welchem der jüngste Kaisersohn Konstans den Caesartitel erhielt. Nun wurde 335 am 18. September noch ein vierter Caesar eingesetzt, Delmatius (bzw. Dalmatius), Sohn von Konstantins Halbbruder Dalmatius17. Sein Name ist in der Inschrift aber nicht genannt. Das kann zwei Gründe haben: Entweder war er noch nicht berufen, als das Reskript verfaßt wurde, oder er war, als Folge eines Massakers18 innerhalb der Familie Konstantins kurz nach dem Tode des Kaisers am 22. Mai 337, bereits tot und der damnatio memoriae verfallen. Im ersten Fall kann man das Datum seiner Ernennung zum Caesar als terminus ante quem auffassen und so das Reskript wie auch die Inschrift auf die Zeit zwischen 333 und 335 datieren, wie es heute zumeist geschieht19. Aber warum fehlen dann die Caesartitel der drei Konstantin-Söhne20? Standen sie im originalen Reskript, und der Steinmetz hat sie nur vergessen21? Vielleicht war es aber auch so, daß die Inschrift erst zu einer Zeit angefertigt worden ist, als die drei Söhne nicht mehr Caesares waren, sondern den Rang von Augusti erhalten hatten22, d. h. nach dem 9. September 337; Name und Augustustitel des inzwischen verstorbenen Vaters als des Verantwortlichen für das Reskript von 333/335 blieben erhalten, doch auf die Augustustitel der Söhne hat man verzichtet, weil die drei nicht gleichzeitig mit dem Vater als Augusti amtiert hatten. Hypothese 2 Das Reskript ist 337 in den letzten Lebensmonaten Konstantins aufgesetzt und nach Hispellum geschickt worden23, also vor dem 22. Mai 337, dem Todestag des Kaisers. In diesem Fall muß der Originaltext außer dem Namen und den Titeln Konstantins auch die Namen der drei Konstantinsöhne und des seit 335 amtierenden Caesars Delmatius mit Titulatur24, ferner Ort und Datum der Ausstellung sowie die Empfänger des Briefes und die üblichen Höflichkeitsformeln enthalten haben25. Doch als die Inschrift in Hispellum hergestellt wurde, war das originale Präskript nicht mehr aktuell: Konstantin war inzwischen gestorben, und der Caesar Delmatius war Anfang Juni 337 wie zahlreiche andere Familienmitglieder und Politiker einem dynastisch motivierten Massaker der Armee zu Gunsten der drei Söhne zum Opfer gefallen26; diese sind erst nach einem ‚Interregnum‘ von gut drei Monaten, am 9. September 337, bei ihrer Konferenz in Sirmium von der Donauarmee und später vom Senat in Rom offiziell als Augusti anerkannt worden27. In der Zwischenzeit aber, d. h. während des von Ende Mai bis Anfang September des Jahres dauernden ‚Interregnums‘, führte Konstantin fiktiv die Regierung weiter28. Auf diese neue Sachlage reagierten die 17 T. D. Barnes, The New Empire of Diocletian and Constantine. Cambridge/Mass. 1982, 8 und 265 (Stammtafel). 18 S. u. Anm. 26. 19 A. Piganiol/A. Chastagnol, L’empire chrétien (325–395). Paris 21972, 68. So zuletzt auch u. a. J. Curran, Pagan City and Christian Capital. Rome in the Fourth Century. Oxford (2000) 2002, 180; P. Amann, Das konstantinische „Reskript von Hispellum“ (CIL XI 5265) und seine Aussagekraft für die etrusko-umbrischen Beziehungen. Tyche 17, 2002, 1–27, hier 4; van Dam (wie Anm. 6) 23; Clauss, Kein Aberglaube (wie Anm. 3) 431: Dieses enge „Zeitfenster“ sei „das einzig mögliche Datum, will man sich nicht in endlose Spekulationen verlieren“. 20 Von Clauss, Kein Aberglaube (wie Anm. 3) 430 f. nicht erklärt (Anschluß an Dessau und Grünewald? Siehe die nächste Anm.). 21 So H. Dessau zu ILS 705 Z. 6; Th. Grünewald, Constantinus Maximus Augustus. Stuttgart 1990, 152. 22 S. u. Anm. 27. 23 Gascou (wie Anm. 7) 621; von van Dam (wie Anm. 6) 364 als „implausible“ abgelehnt; ebenso von Clauss, Kein Aberglaube (wie Anm. 3) 431 Anm. 22. 24 Vgl. AE 1934, 158 (zitiert u. a. von Andreotti (wie Anm. 10) 250 f. mit Anm. 6; Barnes, New Empire (wie Anm. 17) 23), wahrscheinlich 337 aus den Monaten vor dem Tod Konstantins; hier ist der Name des Delmatius nachträglich getilgt. 25 S. o. bei Anm. 12 zum Vergleich das Dokument 4 der Inschrift von Orkistos. 26 Darüber zuletzt die ausgezeichnete Studie von R. W. Burgess, The Summer of Blood. The ‘Great Massacre’ of 337 and the Promotion of the Sons of Constantine. Dumbarton Oaks Papers 62, 2008, 5–51; die Opfer: ebd. 10; hypothetische Rekonstruktion der Ereignisse in oder bei Konstantinopel: 40 ff. – Falsch P. Maraval, Constantin le Grand. Empereur romain, empereur chrétien (306–337). Paris 2011, 213: Massaker „après le 9 septembre 337“. 27 Chron. min. I 235 (Cons. Constantinop.); vgl. Eus. VC IV 69, 2. – B. Bleckmann, Der Bürgerkrieg zwischen Constantin II. und Constans (340 n. Chr.). Historia 52, 2003, 225–250, hier 241 ff. (Kaisertreffen 337); Burgess (wie Anm. 26) 39 f. 28 CTh XIII 4, 2 vom 2. August 337, im Namen Konstantins adressiert an den pr. pr. Valerius Maximus: Burgess (wie Anm. 26) 30; das ‚Regiment‘ des toten Kaisers auch in Eus. VC IV 67, 3. – Zu den Problemen der Chronologie der Ereignisse Burgess (wie Anm. 26) 30 ff. 300 K. M. Girardet Hispellaten, als sie während der drei Monate die Inschrift mit dem Text der Antwort Konstantins auf ihre Petition anfertigen ließen: Sie modifizierten das Präskript in der Weise, daß sie Konstantins Namen und Titel beibehielten, da er ja noch ‚regierte‘, den Namen des Delmatius wegen seiner damnatio memoriae und die Caesartitel der drei Kaisersöhne jedoch wegfallen ließen29, letzteres deswegen, weil noch ungeklärt war, ob in der Nachfolge des verstorbenen Vaters30 alle drei zu Augusti erhoben würden oder ob nur einer von ihnen (Konstantin II. als der Älteste) den Rang eines Augustus erhalten würde31. Hypothese 3 a. Die Petition aus Umbrien ist zu einem unbekannten Zeitpunkt vor dem Tod Konstantins in Konstantinopel eingetroffen. Das Reskript wurde jedoch 337 nicht mehr zu Lebzeiten des Kaisers, also nicht vor dem ‚Interregnum‘, sondern während dieser Monate von der kaiserlichen Kanzlei aufgesetzt und nach Hispellum geschickt32. Im originalen Präskript der Antwort auf die Petition erschien darum der noch ‚regierende‘ Augustus Konstantin, aber nicht der inzwischen getötete Caesar Delmatius, und die drei Kaisersöhne hat die Kanzlei aus Unsicherheit über die zukünftige Gestaltung der Reichsspitze nicht mehr als Caesares, aber auch nicht als Augusti bezeichnet33. Dies haben die Hispellaten übernommen, die anderen Formalien aber weggelassen, als sie während des ‚Interregnums‘ die Inschrift gestalteten. b. Eine Variante dieser Hypothese34 geht dahin, daß die drei Kaisersöhne im originalen, während des ‚Interregnums‘ verfaßten Reskript noch als Caesares bezeichnet worden sind. Doch als die Hispellaten den Brief inschriftlich aufzeichnen ließen, waren die drei bereits zu Augusti erhoben worden; die Inschrift ist also nicht in den Monaten des ‚Interregnums‘, sondern irgendwann nach dem 9. September 337 gesetzt worden. Während Name und Titel Konstantins als der maßgebenden Autorität beibehalten wurden, hat man die Söhne aber nicht als Augusti bezeichnet, weil sie ja nicht gleichzeitig mit dem Vater diesen Titel getragen hatten, sondern man ließ nur deren inzwischen ‚überholte‘ Titulatur wegfallen. Hypothese 4 Man kann schließlich auch noch folgendes erwägen: Das Reskript auf die an Konstantin zu dessen Lebzeiten gerichtete Petition wurde erst nach dem Todestag des Kaisers (22. Mai 337), nach Tötung des Caesars Delmatius (Anfang Juni 337) und nach dem Ende des ‚Interregnums‘ verfaßt; ergangen ist es aus Sirmium von der Konferenz der drei Kaisersöhne (Ende August/Anfang September 337)35 nach der Augustusproklamation am 9. September 337. Das originale Präskript wies außer den üblichen Formalien wie Datierung, Ausstellungsort, Adressaten, Grußformeln den Namen und Titel Konstantins auf, da die Petition an ihn gerichtet war, außerdem die Namen der drei Kaisersöhne, doch nicht deren Augustus-Titel, da sie nicht gleichzeitig mit dem Vater Augusti gewesen waren. Als die Hispellaten irgendwann später das Reskript auf eine Marmortafel setzen ließen, übernahmen sie diesen Teil des Präskripts, verzichteten aber auf eine Wiedergabe der Formalien (vielleicht aus ökonomischen Gründen). 29 Auf der Inschrift zit. oben Anm. 24 ist der Name des Delmatius eradiert, die Caesar-Titel aber sind erhalten. 30 Zum Problem möglicher Nachfolgepläne Konstantins siehe K. M. Girardet, Divisio regni in der Spätantike durch Testament oder dynastische Erbfolge? (2008). In: ders., Kaisertum, Religionspolitik und das Recht von Staat und Kirche in der Spätantike. Bonn 2009, 491–513, hier 498–502; Burgess (wie Anm. 26) 8 f., 43 ff.; Ch. Odahl, Constantine and the Christian Empire. London 22010, 263 ff. 31 Vgl. Andreotti (wie Anm. 10) 250 zur „incertezza protocollare“. – Dazu als Parallele mit Hinweis auf die Söhne ohne Titel ILS 707 (Rom): divo et venerabili / principi Constantino / patri principum maximorum (etc.); von Grünewald (wie Anm. 21) 161 versehentlich der Stadt Fanum Fortunae zugeordnet (richtig dagegen ebd. 219 Nr. 251). Vgl. auch ILS 706, die Inschrift auf dem zuerst Augustus gewidmeten (ILS 104), unter Konstantin restaurierten Ehrenbogen von Flavia Fanestris (Fanum Fortunae): divo Augusto Pio Constantino patri dominorum; von Grünewald (wie Anm. 21) 216 Nr. 234 auf ca. 340–350 datiert. 32 Andreotti (wie Anm. 10) 254–256; Gascou (wie Anm. 7) 621; von van Dam (wie Anm. 6) 364 f. als „even more implausible“ (sc. als Hypothese 2) abgelehnt, so auch von Clauss, Kein Aberglaube (wie Anm. 3) 431 Anm. 22. 33 Vgl. dazu die oben in Anm. 31 zitierte Inschrift ILS 707. 34 Gascou (wie Anm. 7) 621. 35 S. o. Anm. 27. Das Verbot von ‚betrügerischen Machenschaften‘ beim Kaiserkult in Hispellum 301 II. Hypthetisches zur Frage nach dem Autor des Reskripts Bis vor kurzem ist man in der Forschung nach manchen mühevollen Argumentationen davon ausgegangen36, daß das Reskript in Konstantinopel sei es zu Lebzeiten Konstantins zwischen 333 und 335 oder im Jahr 337, sei es, nach dem Tod des Kaisers und des Caesars Delmatius, während des ‚Interregnums‘ zwischen dem 22. Mai und dem 9. September 337 von der Kanzlei im Namen des noch ‚regierenden‘ Konstantin ausgestellt und nach Hispellum geschickt worden war. In jedem Fall galt Konstantin als der sei es real, sei es fiktiv Verantwortliche. Diese communis opinio wird jetzt von T. D. Barnes infrage gestellt. Er hat sich der Hypothese (3) angeschlossen, daß das Reskript auf die Zeit des ‚Interregnums‘ im Jahr 337 zu datieren sei37. Doch nicht Konstantin bzw. die Kanzlei in Konstantinopel, sondern der jüngste, (320 oder) 323 geborene Sohn Konstans38 sei Adressat der Petition aus Hispellum gewesen und habe das Reskript ausgestellt bzw. ausstellen lassen, und darum sei es falsch („It is wrong, therefore“), den Text „as direct evidence for Constantine himself“ auszuwerten. Der Beweis sei „inexorable in logic“: Hispellum wurde auf Grund des Reskripts in Flavia Constans umbenannt39, und da die Hispellaten um einen neuen, vom kaiserlichen cognomen hergeleiteten Namen gebeten hatten40, sei niemand anders als der Caesar Konstans Empfänger der Petition, Namensgeber und Aussteller des Reskripts gewesen. Bestätigt werde dies dadurch, daß die Petenten nach einer Formulierung des Briefes bei Konstans persönlich vorstellig geworden seien, als er (von 335 bis) 337 in Mailand residierte. Diese neue und überraschende, auf den ersten Blick attraktive Hypothese hat allerdings – ebenso wie die anderen – einige Schwächen. Unproblematisch ist gewiß die Überlegung, daß die Petition ihrem kaiserlichen Adressaten, sei es dem Caesar Konstans oder einem anderen, durch eine Delegation überbracht worden sein dürfte. Die Formulierung des Reskripts, der man das entnehmen kann, lautet (Z. 56 f.): vos qui … / nobis supplices extitistis41. Zwar ist das Verbum ex(s)istere nicht eindeutig42; das ‚Auftreten‘, das ‚in Erscheinung Treten‘ könnte auch so verstanden werden, daß die Petenten in Gestalt ihrer schriftlich eingereichten Petition bei Hofe ‚vorstellig‘ geworden sind. Doch wie zur hohen Kaiserzeit, so wird auch in der Spätantike die Entsendung von Delegationen aus den Städten das Übliche gewesen sein, und zwar unabhängig von der geographischen Entfernung zwischen Kaiser und Petenten43. 36 Siehe außer den bereits genannten Autoren F. Millar, The Emperor in the Roman World. London 21992, 453 („written in 333/7“); Barnes, Constantine and Eusebius (wie Anm. 14) 212 mit 377 Anm. 17; Grünewald (wie Anm. 21) 152; Forni (wie Anm. 7) 401; Goddard (wie Anm. 5) 1060; de Giovanni, L’imperatore Costantino (wie Anm. 5) 154 f.; van Dam (wie Anm. 6) 23, 363 f.; Maraval (wie Anm. 26) 269 (im Jahr 337). 37 Dies und das Folgende in Barnes, Constantine (wie Anm. 4) 22. 38 Barnes, New Empire (wie Anm. 17) 45. 39 Z. 38–42 (Antwort im Reskript): civi/tati Hispello aeternum vocabulum nomen(que) / venerandum de nostra nuncipatione (sic) conces/simus, scilicet ut in posterum praedicta urbs / Flavia Constans vocetur. 40 Siehe Z. 25–28 (Referat der Petition): ut civitati … / … / de nostro cognomine / nomen daremus. 41 Vgl. auch den Anfang von Dok. 3 von Orkistos (oben Anm. 12) auf Taf. II Z. 17–19: Exemplum precum. / [A]d auxilium pietatis uestrae / [conf]ugimus, domini impp. (etc.). Dazu in Dok. 2 auf Taf. II Z. 11–15 Konstantins Anweisung an den vicarius der Diözese Asiana Ablabius: i[d] / [q]uod promptissime pro tempo/[ri]s nostri dignitate conces/[si]mus erga supplicantes fes/[tï]nanter implere (etc.). 42 Siehe das Material in ThLL V 2, 1931/1953, 1868–1876, s. v. exsisto (O. Hiltbrunner). – Millar (wie Anm. 37) 453 hat die Frage offengelassen: „By what means this missive had been brought to Constantine, who came no further west than Pannonia in these years, is not clear“; vgl. Barnes, Constantine (wie Anm. 4) 203 Anm. 18 (zu 22): „Millar 1977: 453 noted the geographical problem.“ 43 Ein „geographical problem” (s. o. Anm. 42) besteht nicht. Zum Gesandtschaftswesen siehe etwa Millar (wie Anm. 37) 375–385; G. A. Souris, The Size of the Provincial Embassies to the Emperor under the Principate. ZPE 48, 1982, 235–244; W. Eck, Diplomacy as Part of the Administrative Process in the Roman Empire. In: C. Eilers (Hg.), Diplomats and Diplomacy in the Roman World. Leiden 2009, 193–207. Zur Praxis siehe auch S. Corcoran, The Empire of the Tetrarchs. Imperial Pronouncements and Government AD 284–324. Oxford 1996, 43 f. (Petitionen an den Kaiser); D. Feissel, Pétitions aux empereurs et formes du rescrit dans les sources documentaires du IVe au VIe siècle. In: ders./J. Gascou (Hg.), La petition à Byzance. Paris 2004, 33–52. – Millar 381 weist auf zwei Gesetze Konstantins hin (CTh I 16, 2 von 317; CTh XII 1, 9 = CJ X 32, 16 von 324), die vorschreiben, daß Delegationen die Erlaubnis des zuständigen Statthalters zur Reise an den Hof einholen müssen. 302 K. M. Girardet War aber der Caesar Konstans wirklich der Adressat der Petition und Aussteller des Reskripts? Es gibt begründete Zweifel. Denn haben etwa, nach der gleichen Logik wie im hier vorausgesetzten Fall des Konstans, die anderen nach Beinamen von Mitgliedern der konstantinischen Familie umbenannten Städte44 ihre neuen Namen durch Entscheidung derjenigen Personen erhalten, deren Namen sie tragen? Für den Augustus Konstantin gilt das natürlich ganz gewiß (Cirta, Byzantion)45, aber auch für die Caesares Konstantin (Geburtsstadt Arelate46) und Konstantius bzw. Konstantins Halbschwester Konstantia (Maiuma)47? Gibt es auch nur ein einziges Beispiel dafür oder besteht doch wenigstens ein geringes Maß an Wahrscheinlichkeit, daß in konstantinischer Zeit ein Caesar48 namens des (lebenden oder toten) Augustus49 und der anderen Caesares Recht gesetzt hat, und das auch noch in einer so sensiblen Sache wie dem Kaiserkult für die ganze Familie? Das ist offenbar nicht der Fall. Dann wäre also Konstans, der als der jüngste Kaisersohn am Ende der Hierarchie stand, das erste – und einzige – Beispiel? Bevor man sich zu dieser Annahme entschließt, bedarf es starker anderer Indizien. Doch gibt es solche Indizien? Wie sieht es mit den Bedingungen für die Möglichkeit aus, daß die Hispellaten ihr Anliegen dem Caesar Konstans in Mailand persönlich vorgetragen und schriftlich eingereicht haben? Die Aufenthaltsorte des Konstans sind in Wahrheit vollkommen unsicher. Es mag ja sein, daß der ca. 12jährige Caesar nach der ‚Aufgabenverteilung‘ durch Konstantin50 im Jahr 335 als Repräsentant des Kaisertums in den Diözesen Africa, Italien und Pannonien mit eigenem Hofstaat in den Westen geschickt worden ist und bis 337 in Mailand residiert hat (warum nicht in Rom oder Aquileia?). Aber eindeutig bezeugt ist der Aufenthaltsort keineswegs, er ist ohne ein einziges direktes Quellenzeugnis lediglich aus der ‚Aufgabenverteilung‘ des Jahres 335 erschlossen51. Doch einmal angenommen, die Delegation der Umbrer bzw. der Hispellaten ist nicht nach Konstantinopel zum Augustus gereist, und weiter angenommen, der junge Caesar Konstans war tatsächlich bis Mai/Juni 337 in Mailand (oder nicht doch in Rom52 oder Aquileia?) und hat irgendwann noch zu Lebzeiten des Vaters den Hispellaten eine Audienz gewährt, in der die Supplik überreicht wurde. Sein Reskript soll, wie T. D. Barnes meint, während des ‚Interregnums‘ abgefaßt und nach Hispellum geschickt worden sein. Das müßte also eine gewisse Zeit nach dem 22. Mai 337 geschehen sein. Wie lange nach diesem Datum, dem Todestag Konstantins? Die Nachricht vom Ableben des Augustus muß durch Eilboten53 zunächst einmal von der kaiserlichen Villa ‚Achyron‘ bei Nikomedien54 über Konstantinopel nach 44 Beispiele mit den Quellen: J. Assmann, De coloniis oppidisque Romanis, quibus imperatoria nomina vel cognomina imposita sunt. Diss. Jena 1905, 151 f.; Gascou (wie Anm. 7) 622 mit Anm. 3; Tabata (wie Anm. 15) 379 ff.; Forni (wie Anm. 7) 402 f.; van Dam (wie Anm. 6) 112 ff.; Barnes, Constantine (wie Anm. 4) 203 Anm. 17; Maraval (wie Anm. 26) 182. 45 Cirta/Constantina: Aur. Vict. 40, 28; vgl. ILS 1235, 1236. Die Stadt hat außerdem ein sacerdotium Flaviae gentis (und wohl auch eine aedis Flaviae gentis) erhalten. – Byzantion/Constantinopolis: anon. Vales. 30; vgl. Eus. VC III 48, 1; CTh XIII 5, 7 (pro commoditate urbis, quam aeterno nomine iubente deo donavimus, etc.). 46 Siehe epit. 41, 4. Benannt ca. 328/29 nach dem Caesar: Barnes, wie Anm. 44 (mit P. Bruun, RIC VII 232 f.). Vgl. jedoch Leo d. Gr., ep. 65, 3: nach Konstantin selbst. – Vgl. auch Antarados/Constantina in Phoinikien, nach Soz. HE II 5, 8, wegen des Augustus Konstantin. 47 In Constantia umbenannt (Zeitpunkt nicht bekannt): nach Eus. VC IV 37 f. wegen Konstantia; aber nach Soz. HE II 5, 7; V 3, 6 wegen des Sohnes Konstantius. – Vgl. auch die Umbenennung von Drepanon in Bithynien nach Helena, der Mutter Konstantins, in Helenopolis: Sokr. HE I 17, 1 und 18, 13; vgl. Philostorg. HE II 12. – Helenopolis in Palaestina: Soz. HE II 2, 5. 48 In tetrarchischer Zeit scheint es (extrem selten) vorgekommen zu sein: Corcoran (wie Anm. 43) 143 (als einziges gesichertes Beispiel CJ III 12, 1 von 305/Caesar Maximinus Daia), 270 ff., 340 f. – Vgl. Barnes, New Empire (wie Anm. 17) 87 zu CJ V 17, 7 von 337; hier konstruiert der Autor entgegen dem überlieferten Text (Constantinus A. ad Delmatium) einen Rechtsakt des Caesars Delmatius, gerichtet an dessen Vater Fl. Dalmatius cos. 333. 49 Bei der Wiedergabe des Präskripts in Barnes, Constantine (wie Anm. 4) 22, ist durch ein Versehen der Augustustitel Konstantins ausgelassen worden. 50 Eus. LC III 1–4; ders., VC IV 51 f.; anon. Vales. 35. 51 Barnes, New Empire (wie Anm. 17) 86 mit 198. 52 So Burgess (wie Anm. 26) 35. 53 Vgl. Eus. VC IV 68, 1 zur Benachrichtigung der Caesares. 54 Zum Sterbeort Konstantins in der Nähe von Nikomedien siehe Eus. VC IV 61 f.; Aur. Vict. 41, 16. R. Burgess, ΑΧΥΡΩΝ or ΠΡΟΑΣΤΕΙΟΝ. The Location and Circumstances of Constantine’s Death. JThSt 50, 1999, 153–161. Das Verbot von ‚betrügerischen Machenschaften‘ beim Kaiserkult in Hispellum 303 Mailand gelangt sein. Vielleicht könnte sie in der ersten oder zweiten Juniwoche dort eingetroffen sein55. Wahrscheinlich ungefähr ab Mitte/Ende Juni befand sich Konstans dann bis August an der mittleren oder unteren Donau, wo er zusammen mit seinem Bruder, dem Caesar Konstantius, an einem Feldzug gegen die Sarmaten teilgenommen hat (Sieg am 27. Juli?)56, die offenbar als Reaktion auf Konstantins Tod bzw. die Abreise des seit 335 dort eingesetzten Caesars Delmatius nach Konstantinopel57 in das Reich eingebrochen waren. Konstans dürfte also Mailand, falls er sich hier aufhielt, gleich nach dem Eintreffen der Nachricht vom Tod des Vaters Richtung Donau verlassen haben. Von Mitte/Ende August bis Anfang September des Jahres ist er dann bei der Kaiserkonferenz in Sirmium/Pannonien bezeugt58, auf der die drei Caesares ihre territorialen Kompetenzbereiche59 festgelegt und am 9. September den Augustus-Titel angenommen haben. Konstans müßte also das Reskript an die Hispellaten innerhalb eines extrem kurzen Zeitraums von wenigen Tagen Ende der ersten oder Anfang der zweiten Juniwoche unter dem Eindruck der Todesnachricht aus Konstantinopel rasch noch vor der Abreise aus Mailand an die Donau in Auftrag gegeben haben. Das ist nicht gänzlich unmöglich, aber nach Lage der Dinge doch höchst unwahrscheinlich. Eine wirklich überzeugende Beweisführung für die neue Hypothese kann man dies aus den genannten Gründen nicht nennen. Ich meine, es gibt eine andere – natürlich ebenfalls nur hypothetische – Möglichkeit, das Reskript zu datieren und einem bestimmten Autor zuzuordnen, die mir realistischer zu sein scheint: 1. Die Petition a. Die Petition aus Hispellum war an den Augustus Konstantin gerichtet, irgendwann ca. 336/37, jedenfalls vor dem Tod des Kaisers; sie wurde in Konstantinopel durch eine Delegation überreicht. b. Die Hispellaten bitten darin (u. a.60) um ein neues nomen für ihre Stadt, und zwar nach dem cognomen des Kaisers (Z. 27 f.), nicht nach dem Gentilnamen (nomen/nuncupatio) Flavius; die Stadt sollte nach ihrem Wunsch also Constantina heißen61. c. Sie bitten ferner um die Erlaubnis, ein templum nach der nuncupatio, nach dem Gentilnamen, Konstantins zu benennen; es soll also templum Flaviae gentis heißen (Z. 28–30). 2. Das Reskript a. Das Reskript erging aus Konstantinopel noch zu Lebzeiten des Augustus, also vor dem 22. Mai 337, und somit auch vor dem Tod des vierten Caesars Delmatius (Anfang Juni 337), mit vollständigem Präskript: mit Ort, Tag und Jahr der Ausstellung, Name Konstantins mit Titeln, Namen der vier Caesares mit Titeln, Anrede der Adressaten, Grußformeln. b. Durch das Reskript erfolgt eine Umbenennung von Hispellum mit dem aeternum vocabulum nomenq(ue) / venerandum de nostra nuncipatione (Z. 39 f.); daher trägt die Stadt entsprechend der nuncipatio (sic) von Konstantins gens jetzt den Namen Flavia62 – statt, wie erbeten (s. o. Nr. 1b), den Namen Constan55 Vgl. Burgess (wie Anm. 26) 50 zum wahrscheinlichen Eintreffen der Nachricht in Trier: Entfernung je nach Strecke 1785 (Alpenstrecke) oder 1831 (Donaustrecke) Meilen; Dauer: 26 Tage, bei ca. 70 Meilen pro Tag, Ankunft in Trier 17. Juni; alternativ (veränderte Umstände): Botenreise von 20 Tagen, bei ca. 86/113 Meilen pro Tag (je nach Abstand der mansiones), Ankunft in Trier 11. Juni. – In Mailand könnte die Nachricht vielleicht ein paar Tage früher eingetroffen sein als in Trier; vgl. die Streckenkarte bei Burgess 37. 56 Burgess (wie Anm. 27) 33 mit Anm. 102 und 104. – Konstantius und Konstans mit dem Siegertitel Sarmaticus: ILS 724. – Siehe auch Bleckmann (wie Anm. 27) 242: Konstantius in Viminacium; hier Treffen mit Athanasius (apol. ad Const. 5), dann Weiterreise wohl zusammen mit Konstans nach Pannonien/Sirmium zu Konstantin II. (Julian, or. 1 19 a, vgl. 20 b–c). 57 Zur Beisetzung Konstantins; dort aber alsbald Anfang Juni das Massaker, dem er mit anderen zum Opfer fiel: s. o. Anm. 26. 58 Burgess (wie Anm. 26) 38 ff. 59 Bleckmann (wie Anm. 27) 226–236. 60 Zu den Elementen von Petition und kaiserlicher Entscheidung, die administrative Probleme betreffen, siehe zuletzt G. Cecconi, Governo imperiale e élites dirigenti nell’Italia tardoantica. Problemi di storia politico-amministrativa (270–476 d. C.). Como 1994, 87–96; Clauss, Kein Aberglaube (wie Anm. 3) 432 ff.; Barnes, Constantine (wie Anm. 4) 21. 61 Vgl. aber Clauss, Kein Aberglaube (wie Anm. 3) 434, der wie Gascou (wie Anm. 7) 622 meint, der Begriff cognomen sei „nicht im strengen Sinne verwendet worden“, weil die Stadt tatsächlich den Namen (Flavia) Constans erhielt; s. u. 2 b. 62 Vgl. die unten in Anm. 63 zitierte Formulierung für Augustodunum. 304 K. M. Girardet tina nach dem cognomen Konstantins; Parallelen für Flavia als Städtename sind mehrfach bezeugt63. Im übrigen liegt die Umbenennung von Hispellum in Flavia auch deshalb nahe, weil in ihr eine aedis Flaviae gentis als Zentrum des Kaiserkultes in Umbrien errichtet wird (s. u. c). Da Hispellum aber in dem 335 festgelegten Aufgabenbereich des Caesars Konstans liegt64, gibt Konstantin der neu benannten Stadt Flavia den Beinamen Constans. Vergleichbare Entscheidungen hatte er zu Maiuma/Constantia im Aufgabenbereich des Caesars Konstantius65 und zu Arelate/Constantina im Aufgabenbereich des Caesars Konstantin getroffen66. c. Das Reskript erteilt die Erlaubnis zur Benennung einer aedis nach dem nomen der Flavia gens (Z. 42–45); das Gebäude67 ist daher jetzt nostro nomine dedicata (Z. 45 f.): es heißt aedis Flaviae gentis. 3. Die Inschrift Wann das Reskript in Hispellum eingetroffen ist – noch vor oder erst nach dem Tod Konstantins und des Caesars Delmatius? –, läßt sich nicht sagen. Die Inschrift aber ist irgendwann nach dem Tod des Augustus Konstantin und des Caesars Delmatius bzw. nach dem Ende des ‚Interregnums‘ angefertigt worden, also nachdem die drei Konstantinsöhne am 9. September in Sirmium zu Augusti proklamiert worden waren. Das erklärt das Fehlen ihres Caesartitels. Denn das Präskript des kaiserlichen Briefs (s. o. Nr. 2a) war zu diesem Zeitpunkt teilweise überholt, und darum hat man es nicht im Original, sondern unvollständig wiedergegeben68: Name und Titel Konstantins wurden beibehalten, da die Petition an den Augustus gerichtet war und er die Entscheidungen getroffen hatte; Delmatius wurde wegen der damnatio memoriae nicht mehr genannt; die Namen der drei Söhne erhielten keinen Titel, da sie nicht mehr Caesares waren69, aber auch nicht zusammen mit dem Vater Augusti gewesen sind. III. Verbot der fraudes contagios[a]e superstitionis Das templum bzw. die aedis Flaviae gentis in Hispellum wird als ein „Beweis für den fortbestehenden Kaiserkult unter Konstantin“ aufgefaßt70, und dazu passend ist mit C. Matrinius Aurelius Antoninus zufällig auch gleich der vielleicht erste pontifex gentis Flaviae der neu benannten Stadt Flavia Constans inschriftlich bezeugt71. Die Frage ist allerdings, ob Konstantin die Form der Kaiserverehrung aus der paganen Tradition unverändert übernommen hat. Denn es kann nicht mehr bezweifelt werden, daß der Kaiser sich seit 310/11 vom polytheistischen wie auch henotheistisch-solaren Paganismus abgewendet und daß er den Gott der Christen zu seinem einzigen Helfer-Gott gemacht hatte: Den Feldzug gegen Maxentius, der am 28. Oktober 312 mit dem Sieg an der Milvischen Brücke bei Rom endete, hat er im Herbst 311 63 So Augustodunum/Flavia Haeduorum nach paneg. Lat. (ed. Galletier) VIII/5 (311/12) 1, 1: Si Flavia Haeduorum tan- dem aeterno nomine – sc. nach dem Gentilnamen – nuncupata etc.; 2, 1; 14, 5. – Portus bei Rom/Flavia Constantiniana: CIL XIV 4449. – Fanum Fortunae zu Flavia Fanestris: Assmann (wie Anm. 44) 151; Forni (wie Anm. 7) 402. 64 Gascou (wie Anm. 7) 621. – Zu den Entscheidungen des Jahres 335 s. o. Anm. 50. 65 S. o. Anm. 47. 66 S. o. Anm. 44. 67 Zur Terminologie siehe A. Dubordieu/J. Scheid, Lieux de culte, lieux sacrés: les usages de la langue. In: A. Vauchez (Hg.), Lieux sacrés, lieux de culte, sanctuaires. Approches terminologiques, methodologiques, historiques et monographiques. Rom 2000, 59–80, hier bes. 70 f. (Vergleich templum – aedis). Vgl. H. Dörries, Das Selbstzeugnis Kaiser Konstantins. Göttingen 1954, 209 Anm. 2 mit Hinweis auf Varro bei Gell. n. A. XIV 7: non omnes aedes sacras templa esse; Konstantin habe „sicher nicht ohne Bedacht“ in seiner Antwort „aus dem ‚templum‘ eine minder sakrale ‚aedis‘ “ gemacht (a. a. O. 210; auch ebd. 339). 68 Z. 2–6, zit. oben in Anm. 11. – Natürlich ist auch die oben in Kap. I unter Nr. 2 (bei Anm. 28 ff.) vorgestellte hypothetische Möglichkeit nicht auszuschließen (Inschrift während des ‚Interregnums‘ gesetzt, protokollarische Unsicherheit etc.). 69 S. o. Anm. 31 die Inschrift ILS 707 zu einem ähnlichen Fall. – Alternativ: protokollarische Unsicherheit, falls die Inschrift von Hispellum während des ‚Interregnums‘ gesetzt wurde (vgl. Anm. 68). 70 Noch einmal nachdrücklich herausgestellt von Clauss, Kein Aberglaube (wie Anm. 3) 434 ff., zit. 442. 71 CIL XI 5283 = ILS 6623. A. Piganiol, Notes epigraphiques, Nr. 1: Le rescrit d’Hispellum. REA 31, 1929, 139–141, hier 141. – In Z. 12 erscheint auch der neue Name der Stadt: (colonia) Flavia Constans. Die Umbenennung hat sich aber offensichtlich nicht durchgesetzt: Die Stadt heißt heute wie einst vor dem konstantinischen Reskript Hispellum/Spello. Das Verbot von ‚betrügerischen Machenschaften‘ beim Kaiserkult in Hispellum 305 mit dem Christogramm auf der neuen Feldstandarte und an seinem Helm als Christ begonnen72. Paßt das zusammen, Christsein des Kaisers73 und Kaiserkult? Und gegebenenfalls: Wie paßt das zusammen? Th. Mommsen – und wahrscheinlich sehr viele andere nach ihm bis heute – sah hier jedenfalls „einen starken Gegensatz“74. Meine These ist: Es paßt zusammen, weil Konstantin eine wesentliche Modifikation der paganen Kultform angeordnet hat. Entscheidend für die neue Form der Verehrung des christlichen Kaisers ist der eingangs zitierte Satzteil aus dem Reskript. Hier wird der Bau des Kultgebäudes und dessen Bezeichnung als aedis Flaviae gentis mit der Maßgabe bewilligt, ne ae/dis nostro nomine dedicata cuiusquam con/tagios[a]e superstitionis fraudibus polluatur (Z. 45–47). Es darf also keinerlei Besudelung durch betrügerische Machenschaften welcher krankmachenden superstitio auch immer stattfinden. Generationen von Forschern haben sich darum bemüht, herauszufinden, worauf bzw. wogegen das Verbot zielt, welche Machenschaften gemeint sind und wer oder was als deren Ursache angesprochen ist. Man ist zu recht unterschiedlichen Ergebnisssen gekommen. Viele vertreten die Ansicht, daß superstitio aus christlicher Perspektive den Paganismus, fraudes generell die pagane Opferpraxis in allen ihren Formen75, oder gesondert hervorgehoben das blutige Tieropfer76, bezeichnet. Manche gehen noch erheblich weiter, wenn sie hier pauschal ein Verbot aller paganen Kultpraktiken bei der aedis Flaviae gentis ausgesprochen sehen77. Andere lehnen jedoch ein christliches Verständnis von superstitio als Götterkult ab und fassen den 72 Siehe die Einzelheiten mit chronologischer Neuordnung bei Girardet, Der Kaiser und sein Gott (wie Anm. 4) Kap. IV und V. Zuletzt ders., Das Jahr 311: Galerius, Konstantin und das Christentum; erscheint 2012 in dem Kolloquiumsband‚Costantino prima e dopo Costantino‘ (Hg.: G. Bonamente/R. Lizzi Testa). – Der Feldzug als eine annua expeditio: paneg. Lat. (ed. Galletier) IX/12 (313) 21, 5; Eutr. brev. X 4, 3 (Beginn des Feldzugs im fünften Herrschaftsjahr, also 310/311). Der Anblick eines kreuzförmigen Sonnenphänomens, die Anfertigung der Standarte mit Christogramm und Christogramm am Helm des Kaisers vor Beginn der Rüstungen zum Feldzug: Eus. VC I 28–37. 73 Zur Art seines Christseins, die gewiß nicht mit der Ethik der Bergpredigt und mit heutigen Vorstellungen übereinstimmt, siehe Girardet, Der Kaiser und sein Gott (wie Anm. 4) 51 f. Zu spätantiken Kriterien für das Christsein siehe nur Tert. idolol. 24, 3: Opferverweigerung als lex propria Christianorum; dann Lact. de ira dei II 2: Opferverweigerung als primus gradus des Christseins, Glaube an Gott und Christus statt an die paganen ‚Götter‘ als secundus und tertius gradus. 74 Mommsen (wie Anm. 2) 27. 75 Mommsen (wie Anm. 2) 37; J. Geffcken, Der Ausgang des griechisch-römischen Heidentums. Heidelberg 21929, 94; Dörries (wie Anm. 67) 210 f., 339; K.-L. Noethlichs, Die gesetzgeberischen Maßnahmen der christlichen Kaiser des vierten Jahrhunderts gegen Häretiker, Heiden und Juden. Phil. Diss. Köln 1972, 29 f.; S. R. F. Price, Between Man and God: Sacrifice in the Roman Imperial Cult. JRS 70, 1980, 28–43, hier 40; ebenso ders., Rituals and Power: The Roman Imperial Cult in Asia Minor. Cambridge 1984, 227; Fears (wie Anm. 15) 1066; D. Fishwick, The Imperial Cult in the Latin West II 1. Leiden 1991, 576 („presumably sacrifice“); Odahl (wie Anm. 31) 250; N. Belayche, Ritus et cultus ou superstitio? Comment les lois du Code Théodosien (IX et XVI) de Constantin à Théodose parlent des pratiques religieuses traditionnelles. In: S. CrogiezPétrequin/P. Jaillette (Hg.), Le Code Théodosien. Diversités des approches et nouvelles perspectives. Rom 2009, 191–208, hier 198; G. Bonamente, Einziehung und Nutzung von Tempelgut durch Staat und Stadt in der Spätantike. In: J. Hahn (Hg.), Spätantiker Staat und religiöser Konflikt. Imperiale und lokale Verwaltung und die Gewalt gegen Heiligtümer. Berlin 2011, 55–92, hier 60 f.; F. R. Trombley, The Imperial Cult in Late Roman Religion (ca. 244–395): Observations on the Epigraphy, ebd. 19–54, hier 29 f., 37; M. Wallraff, Die antipaganen Maßnahmen Konstantins in der Darstellung des Euseb von Kaisareia, ebd. 7–18, hier 15 (Opferverbot in Hispellum „gut möglich“). 76 P. Chuvin, A Chronicle of the Last Pagans. Cambridge/Mass. 1990, 31 f.; Curran, Pagan City (wie Anm. 19) 180 f.; Onida (wie Anm. 5) 124 f.; Delmaire (wie Anm. 5) 324; Girardet, Der Kaiser und sein Gott (wie Anm. 4) 100 ff.; Maraval (wie Anm. 26) 270. – Vgl. Millar (wie Anm. 37) 453: „… provided that it should not be polluted by the contagion or deceptions of paganism (whatever that may have meant in practice)“. 77 Gascou (wie Anm. 7) 651 ff., bes. 654 f.; L. de Giovanni, Mondo tardoantico e formazione del ‘diritto romano cristiano’. Riflessioni su CTh 9, 16, 1–2. In: AA. VV., Nozione formazione e interpretazione del diritto. FS F. Gallo Bd. I. Neapel 1997, 165–184, hier 174 f.; ders., L’imperatore Costantino (wie Anm. 5) 161; Onida (wie Anm. 5) 124 f.; Barnes, Constantine (wie Anm. 4) 23. 306 K. M. Girardet Begriff in traditionellem römisch-paganem Sinn78 als exzessive Kultpraxis wie Divination und Magie79 auf; nur diese wären dann beim Kaiserkult in Hispellum verboten worden, während das Opfer bei der aedis in den üblichen und staatlich anerkannten Formen80 unangetastet blieb. Schließlich rechnen einige Autoren auch mit absichtlicher Ambiguität der konstantinischen Formel81, so daß der Sinn des Verbots durch die Behörden je nach paganer oder christlicher Richtung verschieden hätte ausgelegt werden können82. In einer kürzlich erschienen Studie hat sich M. Clauss denjenigen unter den Forschern angeschlossen, „die im Aberglauben von Hispellum“ nicht den Paganismus und seinen Götterkult als solchen, sondern nur „Schwarze Magie oder verbotene Opferschau vermuten“83. Er argumentiert folgendermaßen84: Einen „christlich untermauerten Begriff von Aberglauben“ gebe es „erst gegen Ende des 4. Jahrhunderts“; darum könne der Begriff „in konstantinischer Zeit noch nicht aus christlicher Warte verwendet“ worden sein. So bleibe „nur der alt-römische Gegensatz von religio und Aberglaube zur Erklärung der Inschrift aus Hispellum“: „religio war der Kaiserkult, den Konstantin Hispellum zugesteht, aber er sollte eben ohne Aberglauben durchgeführt werden.“ Der Autor, nach dessen Ansicht der Kaiser kein Christ oder doch wenigstens sowohl ein (halber?) Christ als auch ein Paganer war85, zieht für seine Erklärung von superstitio konstantinische Gesetze (CTh IX 16, 1 und 2; XVI 10, 1) heran, die das Wirken von Haruspices bei Opfern im privaten Bereich strikt verbieten; deren Opferschau an öffentlichen Altären hingegen sei religio, im privaten Bereich jedoch superstitio „im traditionellen Sinn“: „superstitio ist das Betreiben 78 Zu diesem vgl. etwa W. F. Otto, Religio und superstitio. ARW 12, 1909, 533–554; S. Calderone, Superstitio. ANRW I 2, 1972, 337–396; D. Grodzynski, ‘Superstitio’. Revue des Études Anciennes 76, 1974, 36–60 (55 ff.: Spätantike); L. F. Janssen, Die Bedeutungsentwicklung von superstitio/superstes. Mnemosyne NS 28, 1975, 135–188; W. Belardi, Superstitio. Rom 1976, 27–30; M. Sachot, ‘Religio/superstitio’: Historique d’une subversion et d’un retournement. Revue de l’Histoire des Religions 208.4, 1991, 355–394, bes. 372 ff.; J. Scheid, Religion et piété à Rome. Paris 22001, 160–175, bes. 168 ff.; R. Gordon, Superstitio. Superstition and Religious Repression in the Late Roman Republic and Principate (100 BCE–300 CE). P+P 199 (Suppl. 3), 2008, 72–94 (zentrale These: paganes Verständnis ist Wertung von Praktiken; christliches Verständnis ist Wertung des Nichtchristlichen generell). 79 So z. B. F. Martroye, La répression de la magie et le culte des gentils au IVe siècle. Revue historique de droit français et étranger 4, 1930, 669–701, hier 671 ff.; Andreotti (wie Anm. 10) 277 ff., bes. 283; Piganiol/Chastagnol (wie Anm. 13) 68: „sous ce mot (sc. superstitio) il entendait surtout, sans nul doute, les invocations magiques aux esprits“; M. Beard/J. North/S. Price, Religions of Rome, Bd. 1. Cambridge (1998) 1999, 371 f.; Goddard (wie Anm. 5) 1064 ff. – Entschieden dagegen R. Turcan, Constantin en son temps. Le baptême ou le pourpre? Dijon 2006, 267, weil solche Praktiken nicht Teil des Kaiserkultes sind. 80 Zur paganen Opferpraxis siehe nur Price, Rituals and Power (wie Anm. 75) 207 ff.; Th. Pekáry, Das römische Kaiserbildnis in Staat, Kult und Gesellschaft. Berlin 1985, 116–129; ders., Das Opfer vor dem Kaiserbild. BJb 186, 1986, 91–103 (zum Fresko von Dura Europos mit Darstellung des Weihrauchopfers); J. Scheid, Romulus et ses frères. Le collège des frères arvales, modèle du culte public dans la Rome des empereurs. Rom 1990, 326 ff.; Fishwick (wie Anm. 75) 501–528; M. Clauss, Kaiser und Gott. Herrscherkult im römischen Reich. Stuttgart 1999, 316 ff.; Sini (wie Anm. 5) 30 ff. (Bedeutung/Rang des Opfers aus Sicht der Paganen). 81 So M. R. Salzman, ‘Superstitio’ in the Codex Theodosianus and the Persecution of Pagans. VChr 41, 1987, 172–188, hier 178; Tabata (wie Anm. 15) 398 f.; Beard/North/Price (wie Anm. 79); M. Kahlos, Debate and Dialogue. Christian and Pagan Cultures c. 360–430. Ashgate 2007, 101; dies., Religio and superstitio. Retortions and Phases of a Binary Opposition in Late Antiquity. Athenaeum 95, 2007, 389–408, hier 406. Unentschieden van Dam (wie Anm. 6) 29 ff., bes. 32 f. Vgl. auch Grodzynski (wie Anm. 78) 58 f.: „Il faut se résigner à comprendre imparfaitement la volonté de Constantin. Empereur opportuniste … il utilise tout ce que pouvait contenir le loyalisme politique le culte imperial“; einerseits (wegen der Paganen) Erlaubnis zum Tempelbau, andererseits (wegen der Christen) eine – nicht spezifizierte – Einschränkung von Kultpraktiken …; die Menschen ‚vor Ort‘ hätten schon gewußt, „ce qu’il fallait entendre par un culte païen, pratiqué sans excès, à l’égard de la gens imperiale. L’amusant de ce rescrit reste donc de nous montrer un empereur aux prises avec sa nouvelle et son ancienne religion“ etc.; vgl. auch Forni (wie Anm. 7) 406: „… assumendo una posizione di equidistanza sia dalla paganità occidentale, sia dalla cristianità incipiente“. 82 Dagegen Turcan (wie Anm. 79) 267. Das wird auch von Clauss, Kein Aberglaube (wie Anm. 3) 437 mit Recht abgelehnt: „Ambivalenz des kaiserlichen Sprachgebrauchs“ sei „ausgeschlossen“. 83 Clauss, Kein Aberglaube (wie Anm. 3) 437. Vgl. die Literatur oben in Anm. 79. 84 Kein Aberglaube (wie Anm. 3) 438 f. 85 Ebd. 434: „War Konstantin ein christlicher Kaiser? Herrschte Konstantin über ein christliches Reich? Ich denke nein! Weder war Konstantin ein christlicher Kaiser noch regierte er ein christliches Reich“; 439 f.: „Exemplarisch (sc. dafür, „daß es das eindeutige ‚entweder Christ – oder Heide‘ nicht gab“) scheint mir die Person Konstantins, dessen christliches Bekenntnis für mich ebenso außer Frage steht wie sein überwiegend heidnisches Denken und Empfinden und Handeln.“ Das Verbot von ‚betrügerischen Machenschaften‘ beim Kaiserkult in Hispellum 307 von Riten in exzessiver Weise.“ Unter besonderem Verdacht stand in dieser Hinsicht immer schon die Haruspizin, und auf sie beziehe sich „wahrscheinlich die Passage des Reskripts von Hispellum“86. Wenn es aber doch richtig ist, daß die Haruspizin mit Opferschau etc. in aller Öffentlichkeit als legitime Form von religio praktiziert werden durfte – was war dann beim öffentlichen Kaiserkult in Hispellum verboten? Welche fraudes? Diese Frage bleibt unbeantwortet. Die Haruspizin87, öffentlich zum Beispiel beim Kaiserkult praktiziert, ist nach Konstantins Gesetz CTh IX 16, 1 (vom 1. September 319)88 keineswegs religio, sie ist vielmehr im privaten Bereich unter schärfster Strafandrohung verbotene, in der Öffentlichkeit hingegen erlaubte – superstitio; denn es heißt: superstitioni … suae servire cupientes poterunt publice ritum proprium exercere. Mit anderen Worten, die Haruspizin ist und bleibt, ob verbotenerweise privat oder erlaubterweise öffentlich betrieben, aus der Sicht Konstantins superstitio, von der sich der Kaiser, wie die zitierte Wortwahl zeigt, ganz unmißverständlich distanziert89. Im Reskript von Hispellum wird nun für die Kaiserverehrung ein Verbot von fraudes superstitionis, nicht von superstitio an sich, ausgesprochen, obwohl diese als etwas Krankmachendes (contagiosa) grundsätzlich abgelehnt ist. Was würde es bedeuten, wenn superstitio sich hier (nur) auf die Haruspizin beziehen sollte? Sind, obwohl die superstitio der Haruspizin in der Öffentlichkeit auf Grund der Gesetze ohne Einschränkungen erlaubt war90, jetzt für den Sonderfall öffentlicher Opferhandlungen des Kaiserkultes in Hispellum einige Elemente der Etrusca disciplina verboten, andere noch erlaubt? Welche? Vorstellbar wäre, daß Begutachtung der kultischen Qualität des Tieropfers (Eingeweideschau) durch Haruspices91 erlaubt, Interpretation des Befundes im Sinne von Zukunftsdeutung u. ä. hingegen verboten sein könnte. Das würde aber voraussetzen, daß in Hispellum überhaupt blutige Tieropfer stattfinden durften, und eben dies bleibt nun noch zu klären. Was also war im Reskript von Hispellum mit den verbotenen fraudes superstitionis gemeint? Die Prämisse der eben referierten Argumentation von M. Clauss, daß superstitio in konstantinischer Zeit noch nicht generell die paganen Kulte mit ihrer Opferpraxis hätte bezeichnen können, läßt sich nicht halten. Christliche Autoren seit dem 2./3. Jahrhundert wie Tertullian, Minucius Felix, Arnobius und Laktanz haben diesen Ausdruck verwendet, wenn sie über bzw. gegen den paganen Götterkult schrieben. Dafür hier einige Beispiele: 86 So schon ders., Kaiser und Gott (wie Anm. 80) 200. 87 Vgl. zur Rechtslage u. a. H. Karpp, Konstantins Gesetze gegen die private Haruspizin aus den Jahren 319 bis 321. ZNtW 41, 1942, 145–151; F. Lucrezi, Costantino e gli aruspici. Atti dell’Accademia di Scienze Morali e Politiche 97, Neapel 1987, 171–198; M. Th. Fögen, Die Enteignung der Wahrsager. Studien zum kaiserlichen Wissensmonopol in der Spätantike. Frankfurt 1993, 34 ff.; de Giovanni, Mondo tardoantico (wie Anm. 77) 168 ff. (auch zur vorkonstantinischen Situation); J. Gaudemet, La politique religieuse impériale au IVe siècle (envers les païens, les juifs, les hérétiques, les donatistes). In: ders. (et al.), Legislazione imperiale e religione nel IV secolo. Rom 2000, 7–65, hier 19–25; M.-L. Haack, Les haruspices dans le monde romain. Bordeaux 2003, 186–191. 88 Datierung: Noethlichs (wie Anm. 75) 22 und 242 Anm. 134, 243 Anm. 140. 89 Siehe de Giovanni, Mondo tardoantico (wie Anm. 77) 174: „ne è dubbio il carattere marcatamente dispregiativo“. Ähnlich distanziert auch CTh IX 16, 2 vom 15. Mai 319 (Noethlichs, wie Anm. 75, 21 f.): qui vero id (sc. die Haruspzin) vobis existimatis conducere, adite aras publicas adque delubra et consuetudinis vestrae celebrate sollemnia: nec enim prohibemus praeteritae usurpationis officia libera luce tractari. Dazu de Giovanni, a. a. O. 175: Die Ausdrucksweise „può farci capire come il nuovo regime costantiniano voglia far comprendere ai sudditi di essere lontano da questa superstitiosa tradizione dei padri“. 90 Dazu auch CTh XVI 10, 1 (aus Serdika am 17. Dezember 320, in Rom am 8. März 321): unter Beibehaltung eines alten Brauchs (retento more veteris observantiae) von Regierungsseite Einsatz von Haruspices zur Interpretation von Blitzschlag am Kaiserpalast und anderen öffentlichen Gebäuden (in Rom), mit Bericht an den Kaiser; Erlaubnis auch für Privatpersonen, bei Blitzschlag Haruspices zu befragen unter der Voraussetzung, daß dabei keine häuslichen Opferhandlungen vollzogen werden (dummodo sacrificiis domesticis abstineant, quae specialiter prohibita sunt). – Noethlichs (wie Anm. 75) 23 f.; Lucrezi (wie Anm. 87) 173 ff.; Curran, Pagan City (wie Anm. 19) 174. 91 Dies die wesentliche Aufgabe der Haruspices. Zur Tätigkeit der Haruspices siehe G. Wissowa, Religion und Kultus der Römer. München (1912) 1971, 543–549; Haack (wie Anm. 87). 308 K. M. Girardet – Tertullian In der paganen Literatur wird das Christentum superstitio genannt92, die Götterkulte, in der richtigen Form ausgeübt, sind hingegen religio93. Der Begriff religio aber wird zum ersten Mal in der lateinischen Literatur von Tertullian für das Christentum verwendet94, sogleich aber auch für das Christentum monopolisiert und in prinzipiellen Kontrast pauschal zum paganen Götterkult als superstitio gestellt95. Die ‚Götter‘ der Paganen sind nichts weiter als bösartige Dämonen96. Auf den einzigen deus, den der Christen, bezieht sich religio, die alieni dei sind Gegenstand von superstitio97. Im Paganismus gibt es keine religio, die Paganen sind der irreligiositas schuldig98. Christliche religio und pagane idololatria/superstitio sind unversöhnliche Gegensätze99. Die Christen müssen sich vor jeder contagio idololatriae hüten100. – Minucius Felix Kontrastiert werden die paganen superstitiosae vanitates und das Christentum als vera religio101. Der pagane Götterkult ist nicht religio, sondern Romana superstitio102. Die paganen Römer sind nicht pii/religiosi, sondern sacrilegi103. Die veritas divinitatis nostri und die vera religio stehen gegen pagane superstitio und impietas104. – Arnobius Bei diesem Autor findet sich erstmals der Begriff religio Christiana105. Der pagane Götterkult ist für ihn inanissima superstitio106. Christentum und superstitio stehen in unüberbrückbarem Gegensatz zu einander107. Die paganen Götternamen sind die inanissimae superstitionis figmenta und falsorum imaginationes deorum108, der pagane Götterglaube als solcher ist superstitio109. – Laktanz Auch aus seiner Sicht ist ausschließlich das Christentum religio, die paganen Götterkulte nicht anders als die philosophisch-henotheistischen Anschauungen paganer Intellektueller hingegen sind verachtenswerte und in jeder Hinsicht haltlose superstitio110. Aus einer Fülle von Aussagen dazu wähle ich nur wenige aus. 92 So etwa in Suet. Nero 16, 2; Plin. ep. X 96, 8 f.; Tac. ann. XV 44, 3; Referat der paganen Position in Lact. div. inst. V 2, 7 und 13, 3; AE 1988 Nr. 1046 (Maximinus Daia 312) Z. 4 f.: qui (sc. die Christen) in exsacranda superstitione / duraverunt. Vgl. L. F. Janssen‚ Superstitio and the Persecution of the Christians. VChr 33, 1979, 131–159; D. Lührmann, SUPERSTITIO – Die Beurteilung des frühen Christentums durch die Römer. ThZ 42, 1986, 193–213. 93 A. Wlosok, Römischer Religions- und Gottesbegriff in heidnischer und christlicher Zeit. A&A 6, 1970, 39–53; Sachot, ‘Religio/superstitio’ (wie Anm. 78); ders., Origine et trajectoire d’un mot: religio. Rev. de philosoph. ancienne 21, 2003, 3–32; Kahlos, Religio and superstitio (wie Anm. 81) passim. Siehe auch die oben Anm. 78 zitierte Literatur. 94 Tert. apol. 16, 14. 95 Dazu K. M. Girardet, Libertas religionis. ‚Religionsfreiheit‘ bei Tertullian und Laktanz. Zwei Skizzen. In: K. Muscheler (Hg.), Römische Jurisprudenz – Dogmatik, Überlieferung, Rezeption (FS D. Liebs). Berlin 2011, 205–226, hier 205–213. 96 Tert. Scap. 2, 1; apol. 10, 22 f. 97 Tert. pud. 5, 1. 98 Tert. apol. 24, 2. 99 Tert. adv. Marc. I 9, 2. 100 Tert. idol. 8, 5. 101 Min. Fel. Oct. I 5. 102 Ebd. XXIV 2; ebenso XXV 1. 103 Ebd. XXV passim. 104 Ebd. XXXVIII 6. 105 Arnob. adv. nat. I 2; I 3; II 1. 106 Ebd. I 42, 5. 107 Ebd. II 12, 3. 108 Ebd. IV 7, 1 f. 109 Ebd. VII 39, 1. In VII 26, 4 die schöne Formulierung genetrix et mater superstitionis Etruria. Er mag dabei im konkreten Fall an die Haruspizin als Etrusca disciplina gedacht haben; das heißt aber natürlich nicht, daß für ihn nur die Haruspizin eine superstitio gewesen ist. 110 Dazu Girardet, Libertas religionis (wie Anm. 95) 213–226. Das Verbot von ‚betrügerischen Machenschaften‘ beim Kaiserkult in Hispellum 309 Der Autor kontrastiert Christentum und superstitiones mortiferae erroresque turpissimi111, die christliche veritas mit den vanae superstitiones der Paganen112, vanitates et error miserabilis mit dem cultus verae religionis der Christen113. Auch in seinem Denken sind die paganen ‚Götter‘ lediglich Dämonen114, und es waren heimtückische Dämonen, die das Aufkommen der ‚verbrecherischen und gottlosen‘ paganen Kulte verursacht haben115. Cicero gilt ihm als Zeuge für die Unsinnigkeit des paganen Götterglaubens116, die cultus seien superstitiones paene aniles. Laktanz entwickelt auch eine ausführliche Kritik117 an Ciceros Definition der Begriffe religio und superstitio; Cicero habe den Fehler gemacht, mit den Begriffen gleichsam ‚systemimmanent‘ (in isdem diis colendis) nur graduelle, nicht prinzipelle Differenzierungen (exigua vel potius nulla distantia zwischen den Begriffen) vorgenommen zu haben118. Dagegen die neue Definition von Laktanz selbst: religio veri cultus est, superstitio falsi119, es kommt also nicht auf die Form, sondern auf den Inhalt an, und dieser Gedanke führt zu der Konsequenz120: superstitiosi sind diejenigen, qui multos ac falsos deos colunt, nos autem religiosi qui uni et vero deo supplicamus. Pagane Götterkulte mit ihrer Opferpraxis sind scelerati atque impii121, sind Frevel (nefas), sind Mord an den Seelen der Menschen, sind unsühnbares Verbrechen (inexpiabile facinus)122. Diese Quellenzeugnisse sprechen entschieden dafür, daß es auf christlicher Seite in vorkonstantinischer und konstantinischer Zeit einen stabilen und eindeutigen Sprachgebrauch für die Bezeichnung der Götterkulte gegeben hat: superstitio ist nicht, wie im paganen Verständnis123, die mißbräuchliche Form von religio gegenüber dem Göttlichen; sondern aus inhaltlichen Gründen ist allein das Christentum religio, die Götterkulte als solche sind, weil ihr Gegenstand das Falsche ist, superstitio. Die Frage ist nun, ob sich gleicher Sprachgebrauch und gleiche Denkweise bei Konstantin nachweisen lassen. Der Ausdruck superstitio erscheint in nur zwei erhaltenen Gesetzen des Kaisers. Für CTh IX 16, 1 (1. September 319) gilt das oben Ausgeführte124: Die Haruspizin in der Öffentlichkeit (wie beim Kaiserkult) ist für Konstantin nicht religio, sondern sie ist, ob privat verboten oder öffentlich erlaubt, für ihn unbezweifelbar superstitio. Das bedeutet aber natürlich nicht, daß der Begriff auf diese eine pagane Kultform beschränkt ist. In dem zweiten Gesetz, CTh XVI 2, 5 vom 25. Mai 323, geht es um den Fall, daß christlich-kirchliche Amtsträger und christliche (katholische) Gemeindemitglieder von Menschen anderer Religionen zur Teilnahme an Lustralopfern gezwungen worden waren, d. h. an blutigen Tieropfern125. In dem Text wird das Christentum als sanctissima lex bezeichnet, die erzwungene pagane Opferhandlung als ritus alienae superstitionis; wer Christen dazu zwingt, wird bestraft (si quis ad ritum alienae superstitio111 Lact. div. inst. I 1, 12. Ähnlich I 15, 18 u. ö. 112 Ebd. 23. 113 IV 28, 1. 114 Ebd. IV 27, 14. 115 Lact. epit. 38, 3: scelerati atque impii deorum cultus per insidias daemonorum inrepserunt. 116 Lact. div. inst. I 17, 2 f. 117 Ebd. IV 28, 2–10. 118 Ebd. 6. – Vgl. Cic. inv. II 165; partit. orat. 81 (imitatur … religionem superstitio); div. I 42, 117 (superstitio ist timor inanis deorum, religio ist deorum cultus pius); II 28, 71 f.; 148; nat. deor. I 117. 119 Ebd. 11. 120 Ebd. 16. 121 Oben Anm. 115. 122 Ebd. V 18, 3 und 19, 1. – Wie man in einem Teil der neueren amerikanischen Forschung (Drake, Digeser) auf den Gedanken kommen konnte, Laktanz habe für eine Art Konvergenz zwischen Paganismus und Christentum, für ein nicht exklusives, sondern ein ‚inclusive‘ Christentum plaidiert, ist mir schon angesichts der zitierten Aussagen ein Rätsel; weiteres dazu in der oben Anm. 110 genannten Studie. 123 S. o. Anm. 78. 124 S. o. bei Anm. 87 ff. 125 Text: quoniam conperimus quosdam ecclesiasticos et ceteros catholicae sectae servientes a diversarum religionum hominibus ad lustrorum sacrificia celebranda conpelli. – Datierung: Noethlichs (wie Anm. 75) 25 f.: 25. Mai; Curran, Pagan City (wie Anm. 19) 174 f. Zu Lustralopfer siehe nur Wissowa (wie Anm. 91) 390 ff., 414 f. 310 K. M. Girardet nis cogendos esse crediderit eos, qui sanctissimae legi serviunt, etc.). Es kann kein Zweifel sein, daß hier mit superstitio der dem Kaiser ‚fremde‘ Paganismus als solcher gemeint ist126. Dieser wird auch hier zwar ebenso wenig verboten wie die (öffentliche) Opferpraxis, aber Christen dürfen nicht zur Teilnahme an solchen Opfern gezwungen werden127. Konstantin hat sich aber nicht nur in diesen Texten christlichen Sprachgebrauch und christliche Denkweise zu eigen gemacht. In seiner oratio ad sanctorum coetum, am Karfreitag dem 16. April 314 in Trier gehalten128, spricht er vor christlichem Publikum scharf ablehnend über den Aberglauben der Paganen, über den Paganismus als δεισιδαιμονία = superstitio (I 5; XVI 1) in seinem bzw. ihrem Gegensatz zum Christentum, gesondert und verächtlich über die δεισιδαιμονία des Apollonkultes (XVIII 2). Die Götter der Paganen sind wie für die christlichen Apologeten nichts weiter als Dämonen (X 2). Der Paganismus ist Frevel und Nicht-Religion, und blutige Opferpraxis wird, wenn auch nicht verboten, sondern geduldet, so aber gleichzeitig doch unmißverständlich und verachtungsvoll verworfen (XI 7). Für das Verständnis der Terminologie des Reskripts von Hispellum erscheint mir auch besonders aufschlußreich, daß Konstantin, gegen das ‚Töten vernunftloser Tiere‘ gewandt, von der ‚verfluchenswerten Besudelung‘ von Altären mit dem Blut der Tieropfer spricht (XVI 1). Den gleichen Sprachgebrauch wie in der oratio finden wir sodann auch in späteren Dokumenten. Nach der zweiten großen Proklamation von 324 (an die Provinzialen des Ostens) etwa sind die Paganen mit ihrem Götterkult einem Irrwahn und der Falschheit verfallen, während ‚wir‘, die Christen, das ‚Haus der Wahrheit‘ besitzen129. Christentum ist Glaube der Wahrheit, Paganismus mit seinen Tempelriten Finsternis und ruchloser Wahn, der zwar nicht verboten, also geduldet, aber als verfehlt abgelehnt wird130. In einem Brief an den Bischof Makarios von Jerusalem schreibt der Kaiser über die Verstandlosigkeit ‚ruchloser Menschen‘, der Paganen, und über die ‚Besudelung‘ einer für Christen bedeutenden Gedenkstätte131 durch pagane Kultstatuen und Opferhandlungen auf einem Altar; die Kultstatuen und der Altar sollen vernichtet werden, und niemals mehr soll einer von den ‚ruchlosen und schändlichen Menschen‘, den Paganen, an diesen Ort kommen132. Auch in einem Brief an den persischen Großkönig Shapur II. (wohl 324/25) äußert der Kaiser seinen Ekel vor dem Blut von Opfertieren und dem Gestank der Brandopfer und distanziert sich vom Paganismus, den er einen ‚frevelhaften und abscheulichen Betrug‘ nennt133. Und durch Eusebius von Caesarea ist zu erfahren, daß Konstantin auch in zahlreichen öffentlichen Reden über den Polytheismus als Trug, über die pagane δεισιδαιμονία als eine Täuschung und verkappte Gottlosigkeit gesprochen habe134. Nun zum Schluß noch einmal zum Reskript von Hispellum: Wenn hier das Verbot einer Besudelung (ne … polluatur) der aedis Flaviae gentis durch „betrügerische Machenschaften jedweder krankmachenden superstitio“ ausgesprochen ist, darf jetzt vom sonstigen Sprachgebrauch Konstantins her mit Zuversicht gesagt werden, daß der Kaiser die Besudelung durch Opferblut135 gemeint hat. Zwar nicht der Paganismus 126 Für Clauss, Kein Aberglaube (wie Anm. 3) 441 mit Anm. 108 ist dies „der einzige Text, in dem der Begriff superstitio in einem konstantinischen Gesetz in eindeutig christlichen Bezug erscheint“. 127 Der gleiche Gedanke dürfte dem an die Magistrate gerichteten Verbot (324) zu Grunde liegen, die übliche Opferpraxis bei behördlichen Akten fortzuführen: Eus. VC II 44. 128 Girardet, Der Kaiser und sein Gott (wie Anm. 4) 108–123. – Text der auf Griechisch erhaltenen Rede: I. Heikel, Eusebius Werke Bd. 1. Leipzig 1902, 154–192. 129 Eus. VC II 56, 1 f. 130 Ebd. II 60, 1 f. Die gleiche Duldungserklärung auch schon 314 in der oratio XI 7 (s. o.). 131 Eus. VC III 52. Es handelt sich um die für die Geschichte des Stammvaters Abraham wichtige Gedenkstätte bei der Eiche von Mamre (Gen 12, 6 und 18, 1 ff.); hier läßt Konstantin eine Basilika bauen. 132 Ebd. 53, 1 f. 133 Ebd. IV 10, 1. – Vgl. auch B. Bleckmann, Konstantin und die Kritik des blutigen Opfers; erscheint 2012 in Perugia (s. o. Anm. 72). 134 Ebd. IV 29, 3. Beispiel: in Konstantins or. ad sanct. coet. (Karfreitag, 16. April 314 in Trier) Kap. XI 6 über die Paganen als Irregeführte und Getäuschte; auch Kap. XV 1. 135 Gleiche Ausdrucksweise z. B. auch bei Lact. mort. pers. 15, 1: zur Zeit der diokletianischen Verfolgung Besudelung (polluere) kaiserlicher Frauen durch Tieropfer; Eus. VC III 48, 2: Besudelung von Altären durch Opferblut. Das Verbot von ‚betrügerischen Machenschaften‘ beim Kaiserkult in Hispellum 311 insgesamt als contagiosa superstitio136, aber doch immerhin die damit einhergehenden fraudes, das Tieropfer mit dem Opferblut und dem Gestank des Opferbrandes – trügerisch-betrügerische Machenschaften, weil nicht zu Ehren des Göttlichen, sondern von Dämonen –, sind also in Hispellum bei der Verehrung des christlichen Kaisers und seiner Familie verboten; damit entfällt im übrigen auch jedes Mitwirken von Haruspices. Und welche Kulthandlungen mögen dem pontifex gentis Flaviae und den paganen Magistraten und Bürgern von Hispellum und Umbrien jetzt noch erlaubt gewesen sein137? Traditioneller Bestandteil des Kaiserkultes war, neben dem Tieropfer, die Gabe von Weihrauch und Wein (thus et vinum)138. Wahrscheinlich durfte künftig an bestimmten Festtagen wie den dies imperii Konstantins und der Caesares sowie aus Anlaß des Landtags der Region Umbrien an der aedis Flaviae gentis bei Gebeten an die ‚Götter‘ Weihrauch verwendet werden; Weihrauch galt den Christen zusammen mit Gebeten u. a. pro salute imperatoris/ imperii139 als spirituelles Opfer140. Beibehalten werden durften laut Reskript auch, als Zeichen kaiserlicher Rücksichtnahme auf die dignitas pristina und die vetera instituta141, die traditionellen, mit dem Kaiserkult verbundenen Theater- und Gladiatorenspiele142. Aller Wahrscheinlichkeit nach gab es in der aedis Flaviae gentis von Hispellum aber keine Bildnisse Konstantins und anderer Familienmitglieder; denn Eusebius von Caesarea teilt mit, daß der Kaiser sein Bild aus allen Tempeln hat entfernen lassen143. Der christliche Kaiser ist kein Gott. Er ist ein Herrscher, für den man beten kann – aber nicht jemand, zu dem man beten kann. Auf solche Weise hat Konstantin also die Form der Kaiserverehrung in Hispellum144 zwar nicht vollständig christianisiert, aber doch in ihrem wesentlichen Kern, dem blutigen Opfer145, entpaganisiert. Klaus M. Girardet, Universität des Saarlandes, Institut für Alte Geschichte, 66123 Saarbrücken [email protected] 136 Vgl. die Warnung Tertullians vor jeglicher contagio idololatriae in idol. 8, 5. 137 Girardet, Der Kaiser und sein Gott (wie Anm. 4) 101 f. 138 Zum Opfer thure et vino siehe nur Plin. ep. X 96, 5 f.; dazu, auch mit Quellenzeugnissen aus Märtyrerakten, Fishwick (wie Anm. 75) 503 f., 507 f., 517 f., 525 f., 532 ff., bes. 533 mit Anm. 352 (in Märtyrerakten, mit Quellen und Literatur); Clauss, Kaiser und Gott (wie Anm. 80) 214 f. (beim Heer), 221, 222, 223, 230 f., 303 f. (Plinius und die Christen), 318, 321 f., 326 f., 332 f., 343, 430 und 440 (Märtyrerakten). – Das Wandgemälde von Dura Europos (239) mit Weihrauchopfer: Pekáry, Das Opfer (wie Anm. 80); Clauss, Kaiser und Gott (wie Anm. 80) 326 ff.; Goddard (wie Anm. 5) 1053 Abb. 3 mit 1059. 139 Christliches Gebet für Kaiser und Reich: z. B. 1 Tim 2, 1–4; Tert. apol. 30, 1 ff. L. Biehl, Das liturgische Gebet für Kaiser und Reich. Ein Beitrag zur Geschichte von Kirche und Staat. Paderborn 1937. 140 So z. B. Eusebius von Caesarea in seiner Rede zur Einweihung der Kirche von Tyros (ca. 314/15): Eus. HE X 4, 68. Gebet als spirituelles Opfer: Konstantin selbst 314 in or. ad sanct. coet. XII 5. Ferner Eus. VC I 48; III 15, 1; ders. in LC II 5 ff. (von 336). Vgl. E. Ferguson, Spiritual Sacrifice in Early Christianity and its Environment. ANRW II 23, 2, 1980, 1151–1189, hier bes. 1162–1189 (christliche Sicht). 141 ILS 705 Z. 13 und 55. 142 Dörries (wie Anm. 67) 211; Turcan (wie Anm. 79) 267. – Barnes, Constantine (wie Anm. 4) 23 meint jedoch: Der Kaiser „implicitly discountenances gladiatorial games“, die Formulierung in seiner Antwort auf die Petition (ILS 705 Z. 48 ff.) „could be construed tacitly to exclude gladiatorial shows“. Dagegen spricht aber eindeutig schon die genannte (oben Anm. 71) Inschrift des pontifex gentis Flaviae aus Hispellum, der als abundantissimi muneris (sc. von Gladiatorenspielen) sed et / praecipuae laetitiae theatralis editor gerühmt wird: ILS 6623 Z. 5. 143 Eus. VC IV 16. So auch Sokr. HE I 18, 1 (ed. G. Hansen, GCS NF 1. Berlin 1995, 58 Z. 1 f.). Eine das Gegenteil besagende abweichende Lesart ebd. App. z. St. ist vom Kontext her nicht gerechtfertigt; dies zu Clauss, Kein Aberglaube (wie Anm. 3) 434 mit Anm. 42. – Wie Pekáry, Das römische Kaiserbildnis (wie Anm. 80) 64 zu der Ansicht kommen konnte, Konstantin habe seine Bildnisse aus Tempeln entfernen lassen (Eus. VC IV 16) und sie „in christlichen Kirchen“ anbringen lassen, erschließt sich mir nicht; die von ihm benannten Quellen sagen das jedenfalls nicht. Zu Konstantins Ablehnung von Bildnissen Gottes, Christi und auch seiner selbst in Kirchen (im Einklang mit c. 36 des Konzils von Elvira, ca. 306) siehe R. Grigg, Constantine the Great and the Cult without Images. Viator 8, 1977, 1–32. 144 Über andere Kultstätten für die gens Flavia (per Africam ein sacerdotium: Aur. Vict. XL 28; in Rom pontifices: CIL VI 1690, 1691, 1694) läßt sich in dieser Hinsicht nichts sagen; Girardet, Der Kaiser und sein Gott (wie Anm. 4) 100. 145 K. Harl, Sacrifice and Pagan Belief in Fifth and Sixth-Century Byzantium. P+P 128, 1990, 2–27, hier 8–13 zur Bedeutung des Opfers für den paganen Kult; siehe dazu auch die oben Anm. 80 genannte Literatur.