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Einführung in das Altitalienische - uk

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Einführung in das Altitalienische - uk
9. November 2009
1
2
Zusammenfassung wichtiger Punkte
 Vom Lateinischen zum Altitalienischen
 Ausgangspunkt: das GESPROCHENE
LATEINISCHE (= VULGÄRLATEIN) und
seine Varietäten



DIATOPISCHE VARIATION
DIASTRATISCHE VARIATION
DIAPHASISCHE VARIATION
3
Zusammenfassung wichtiger Punkte
 Der politische und soziokulturelle Kontext
 Untergang des Weströmischen Reiches (476)
und endgültiger Zerfall der Einheit des
umgangssprachlichen Lateins
 Ostgotenreich
 Rückeroberung Italiens unter dem
oströmischen Kaiser Justinian
 Reich der Langobarden
 Reich der Franken
4
Sprachkontakt in Italien (5 – 6. Jh.)
mündliche Kommunikation
Vulgärlatein /
ProtoRomanisch
Ostgotisch
Griechisch /
Byzantinisch
5
Diatopische Varietäten des Lateinischen
Zunehmende regionale Differenzierung des Lateinischen im Wandel der Zeit
6
Sprachkontakt in Italien (6 – 8. Jh.)
mündliche Kommunikation
ProtoLangobardisch
italoromanische
Dialekte
Byzantinisch
7
Diatopische
Variation des
Italoromanischen
Die italienischen
Dialektgruppen im
Überblick
(Zustand des 20. Jhs.,
aber in ähnlicher Form
wohl auch bereits im
Mittelalter vorhanden)
8
Schriftliche
Kommunikation im
frühen Mittelalter
z.B. Paulus
Diaconus
ca. 720 - ca. 799
De verborum significatu
Historia Langobardorum
u.a.
 Wichtigstes
Kommunikationsmittel ist das
Mittellateinische (it. latino
medievale)
 Unter dem Begriff
Mittellatein werden die
vielfältigen Formen der
lateinische Sprache des
europäischen Mittelalters
(etwa 6. bis 15. Jh.)
zusammengefasst.
9
Zusammenfassung wichtiger Punkte
 Spätes 8. / frühes 9. Jahrhundert bis 10.
Jahrhundert
 Der Beginn bescheidener italoromanischer
Schriftlichkeit (sporadisch und noch ohne
Herausbildung konstanter regionaler
Schreibtraditionen), z.B. Indovinello veronese (um
800), Placiti campani (960-963)
 Die Verschriftlichung einer Sprache stellt historisch
gesehen eine neue Präsentationsform dar, die bis
dahin unbekannte Gestaltungsmöglichkeiten von
Kommunikation eröffnet.
10
Die Verschriftlichung
Lateinische Schreibtradition
Mittelalterlicher romanischer
Text (= Scripta)
Phonetische Merkmale des gesprochenen
muttersprachlichen Dialekts des Schreibers
11
8. bis 11. Jahrhundert
12
13
14
Inschrift der ComodillaKatakombe
 Gesamtaussicht und Ausschnitt
15
Sprachliche Analyse
 Der verneinende Imperativ non + Infinitiv, den das
klassische Latein nicht benutzte, ist charakteristisch für
das Italienische sowie für sämtliche italienischen
Dialekte.
 In dem Syntagma ille secrita fungiert ille als regulärer
Artikel.
 Der Plural ehemaliger lateinischer Neutra auf -a (vgl. Sg.
SECRETUM – Pl. SECRETA) war in den Dialekten des
Mittelalters weit verbreitet und ist bei einigen Wörtern
selbst im modernen Italienischen noch anzutreffen (z.B. i
fondamenti vs. le fondamenta < lat. Pl. FUNDAMENTA).
16
Sprachliche Analyse
 Beim Syntagma a bboce stoßen wir auf zwei
Besonderheiten des gesprochenen Dialektes
von Rom, die auch anderen Mundarten nicht
fremd sind.
 Zum einen wird die phonosyntaktische
Verdoppelung in der Graphie wiedergegeben
zum anderen der Betazismus (lat. AD VOCEM > a
bboce).
17
Die Inschrift von San Clemente (Rom, 11. Jahrhundert)
 Ausschnitt aus dem
Fresko (heutiger Zustand)
18
Die Inschrift von San Clemente
 Die Inschrift wird in der italienischen Fachliteratur
häufig als fumetto in volgare (volkssprachlicher
Comic) bezeichnet, wobei die Zuordnung der
Redetexte zu den einzelnen Figuren immer wieder
diskutiert worden ist.
 Es handelt sich bei der Inschrift um ein Zeugnis
konzeptioneller Mündlichkeit im Italoromanischen
des Hochmittelalters.
19
Die Inschrift von San
Clemente
 Ausschnitt aus dem Fresko
20
Die Inschrift von San Clemente
 Der inhaltliche Bezug der Inschrift
 Darstellung einer Episode aus dem Leben des
Heiligen Clemens.
 Es sind drei Sklaven zu erkennen, die mit Mühe eine
Säule vor zwei Bögen ziehen.
 Der Mann auf der linken Seite hebt sie mit Hilfe eines
Balkens an, während die anderen beiden an einem
Seil ziehen.
 Sie erhalten Anweisungen von ihrem Herrn auf der
rechten Bildseite.
21
Die Inschrift von San Clemente
 Der inhaltliche Bezug der Inschrift



Der Patrizier Sisinius hatte Befehl erteilt, den der Zauberei
angeklagten Clemens (dritter Bischof von Rom in der
Nachfolge Petri) zu fesseln und in den Kerker zu stecken.
Durch ein Wunder glaubten der Patrizier und seine Sklaven in
der Säule Clemens selbst zu erkennen.
Ihnen sind die volkssprachlichen Aussagen in den Mund
gelegt, während der (unsichtbare) Heilige Clemens ihnen
(oberhalb der Säule in den beiden Rundbögen) auf Latein
antwortet.
22
Die Inschrift von San
Clemente
 Zuordnung der Sprechtexte
23
Der Text der Inschrift
Sisinius (volgare)
 Fili dele pute, traite.
Gosmari, Albertel traite.
Falite dereto co lo palo,
Carvoncelle
 ____________________
 Figli di puttana, tirate!
Gosmario e Albertello,
tirate! Fagli da dietro col
palo
Clemens (Latein)
 Duritiam cordis vestri...
saxa traere meruistis
 ___________________
 Per la durezza del vostro
cuore... avete meritato di
trascinare sassi
24
Sprachliche Analyse
 In der Graphie dominiert die lateinische Schreibtradition.
 Volkssprachliches [ ] (vgl. it. figlio) wird durch einfaches li
wiedergegeben (fili).
 Das Substantiv puta ‘Hure’ zeigt gegenüber der
volkstümlichen Aussprache lediglich einfaches t (vgl. it.
puttana).
 Der Imperativ falite (it. *fagliti) setzt sich aus fa (< FAC) + li
(< ILLI) + te zusammen, wobei die phonosyntaktische
Verdoppelung nicht in der Graphie angezeigt wird.
25
Sprachliche Analyse
 Die Präposition dereto geht auf lat. DE + RETRO
unter Ausfall des zweiten [-r-] zurück.
 Die Form traite kann wohl auf vlat. *TRAGĬTE
(TRAGERE statt klat. TRAHERE) zurückgeführt werden.
 Vor palatalen Vokalen hat sich [g] zu [j] entwickelt.
 Bei dem Eigennamen Carvoncelle (das Endungs-e
ist offensichtlich ein lateinischer Vokativ) zeigt sich
die Abschwächung des Nexus [-rb-] zu [-rv-].
26
Ritmo bellunese
 Spätes 12. Jahrhundert
27
Ritmo bellunese
Venetischer VolgareText
Chronik
Lateinischer Rahmentext
Lateinischer Rahmentext
 Im Ritmo bellunese wird der Sieg Bellunos über Treviso in
den Jahren 1193 und 1196 gerühmt.
 Der italoromanische Text ist in einen lateinischen Rahmentext
eingefügt.
28
Ritmo bellunese
 Item eodem anno castrum Landredi ceperunt, ibi vero plures homines
interfecerunt et .XXVI. inter milites et pedites atque arcatores secum in
vinculis duxerunt et totum castrum combusserunt et funditus
destruxerunt.
◦ De Castel d’Ard avì li n(ost)ri bona part,
◦ I lo getà tutto intro lo flumo d’Ard,
◦ E sex cavaler de Tarvis li plui fer
◦ Co(n) se duse li cavaler.

 Praeterea domum <sancti> Bauce vi occupaverunt et eam destruxerunt
et .XVIII. latrones inde secum duxerunt.
29
Ritmo bellunese
Modernes Italienisch
 Di Castel d’Ardo
ebbero i nostri buon
partito. / Essi lo fecero
rovinar tutto dentro il
fiume Ardo. / E sei
cavalieri di Treviso, i
più fieri, /Con sé
condussero i nostri
cavalieri.
Altbellunesisch
◦ De Castel d’Ard avì li
n(ost)ri bona part,
◦ I lo getà tutto intro lo
flumo d’Ard,
◦ E sex cavaler de
Tarvis li plui fer
◦ Co(n) se duse li
cavaler.
30
Ritmo bellunese
 Die Form av geht auf vlat.*HABIT < HABUIT (vgl. it. ebbe)
zurück. Die Verwendung der Singularform zum Ausdruck
des Plurals ist in norditalienischen Dialekten keine
Seltenheit.
 Ebenfalls als Passato remoto ist getà zu interpretieren
(vgl. it. gettarono).
 Das Graphem <g> steht hier für die stimmhafte Affrikate
[dz].
31
Ritmo bellunese
 Charakteristisch für Norditalien ist die
Degeminierung von Doppelkonsonanten (tt > t).
 Eine latinisierende Graphie liegt bei intro vor,
ebenso bei sex.
 Die lat. Nexus [fl-] und [pl-] haben sich erhalten
(lat. FLUMEN > flumo; lat. PLUS > plui).
 Die Form duse geht auf das lat. Perfekt DUXIT
zurück.
32
Fließender Übergang zwischen Latein
und Volgare
Beisp. aus der Toskana und Ligurien
33
Testimonianze di Travale (1158)
 Sicht auf Travale
34
Testimonianze di Travale
 Zahlreiche Schreiber, die nur über
oberflächliche Lateinkenntnisse
verfügten, ließen in ihren Schriften die
Grenzen zwischen Latein und volgare
verschwimmen.
 Dieses Phänomen beobachten wir
beispielsweise bei den Testimonianze
di Travale, die 1158 in der südlichen
Toskana entstanden sind.
 Der Rechtsstreit um den Besitz einiger
landwirtschaftlicher Anwesen in der
Maremma (d.h. im Süden der heutigen
Provinz Grosseto) spielte sich zwischen
dem Grafen Ranieri Pannocchieschi
(genannt Pannocchia) von Travale und
seinem Bruder Galgano ab, dem
Bischof von Volterra.
35
Testimonianze di
Travale
 Der Graf beanspruchte den Besitz für
Travale und Fosini, der Bischof für
Gerfalco.
 Es kam zu einem ersten
Vermittlungsversuch durch den Bischof
von Grosseto, der eine Gruppe von
Adeligen und Geistlichen beauftragte,
eine Einigung zu finden, die allerdings
nicht zustande kam.
 Auch ein zweiter Schlichtungsversuch
fand nicht die Zustimmung Pannocchias,
der zugunsten seines Bruders auf einige
landwirtschaftliche Anwesen hätte
verzichten müssen.
36
Testimonianze di Travale
 Die Schlichter luden den Grafen schließlich ein, um
in Anwesenheit des Richters Balduino von sechs
rechtschaffenen und gesetzestreuen Männern (sex
bonos homines et legales) aus Travale die
Zugehörigkeit des umstrittenen Besitzes zu Travale
bestätigen zu lassen.
 Der Text enthält lediglich die Aussagen der Zeugen
zugunsten der Ansprüche des Grafen.
 Der Ausgang des Prozesses und die übrigen
Zeugenaussagen sind uns leider nicht überliefert.
37
Testimonian
ze di Travale
(1158)
Auszug aus dem
Text
38
Testimonianze di Travale
 ... Quorum primo Berardinus quondam Tebaldi testatur
de curte de Travale esse sicut: territorium mascie de
Castagneto tenet de antiquo, quod primo habuit Andreas
Starna qui Nappio vocabatur; de mascia Montanina dicit
quod est de curte de Travale antiquum, scilicet eius quod
Martinus Cavalieri tenuit. Viventi quondam filius, qui
Henrigulus vocatur, dicit quod audivit dicere Berardinum
predictum quod isti de Casa Magii, hii sunt li Nappari,
fuerunt de la curte di Travale, ut ipse audivit dicere; de la
Montanina dicit: Io de presi pane e vino p(er) li maccioni
a Travale; de illa que est da Casa Magii dicit quod
perdonatum fuit. […]
39
Testimonianze di Travale
(1158)
 “[…] Pogkino, qui Petrus dicitur, dicit quod ipse stetit
cum Gkisolfolo Africanu et ab eo audivit quod Casa
Magii erat de la curte de Travale et fecit ibi servitium,
non quod ipse viderit vel sciat; et ab eodem
Gkisolfolo audivit quod Malfredus fecit la guaita a
Travale. Sero ascendit murum et dixit: Guaita, guaita
male; non mangiai ma mezo pane. Et ob id
remissum fuit sibi servitium, et amplius no(n) tornò
mai a far guaita, ut ab aliis audivit, quia veritatem
inde nescit.”
40
Testimonianze di Travale
 Der Einfluss der Volkssprache manifestiert sich
beispielsweise in Form von Zitaten in direkter Rede
(„...dicit: Io de presi pane e vino...“; „...dixit: Guaita,
guaita male...“).
 Die Partikel de (< lat. INDE) entspricht ne im
modernen Italienischen (vgl. nde in den südlichen
Dialekten).
 Das Substantiv maccione ‘Maurer’ lebt im
Italienischen in der Form massone ‘Freimaurer’
weiter (vgl. auch frz. maçon).
41
Testimonianze di Travale
 Der Germanismus guaita (< fränk. *wahta, vgl. dt. Wacht), der
im Italienischen nicht überlebt hat, ist in zahlreichen
mittellateinischen sowie in altkatalanischen Texten belegt.
 Auch außerhalb der volkssprachlichen Zitate kommt das
volgare an vielen Stellen zum Vorschein, z.B. in Form von
latinisierten Toskanismen wie certetham (vgl. it. certezza <
vlat. *CERTITIAM vs. klat. Akk. CERTITUDINEM), durch die
Einstreuung toskanischer Syntagmen (de la curte di; la guaita)
sowie durch die Übertragung italoromanischer Satzbaumuster
auf das Lateinische (dicit quod nach dem Vorbild von dice che
statt der lateinischen ACI-Konstruktion).
42
Die Dichiarazione di Paxia
 Testament aus Ligurien
43
Die Dichiarazione di Paxia
 In no(m)i(n)e Domini. Ei Paxia, uxor Ioh(ann)es,
manifesto ante co(n)sules p(er) s(an)c(t)i D(e)i
eva(n)gelii in bona fide. Qua(n)do ego adux(i) viro
m(e)o da Ianua, costà sol. iiii. dr. .i. In sepellir viro
m(e)o dispexi sol. .v. m(inus) dr. .i. In septime dispexi
d. .xx.viiii. [...]
44
Die Dichiarazione di Paxia
 Es folgt eine Aufzählung von Alltagsgegenständen, bei
der weitgehend auf volkstümliche Bezeichnungen
zurückgegriffen wird:
 (Et) ei Paxia habeo de viro m(e)o colcera una (et) unum
oreger (et) carpite due (et) unu(m) ma(n)tello d’Araça
cu(m) une pellis d’agnello (et) une altre pelle d’agnello
(et) gonnelle .iiii., una de bruneta (et) una vergada (et)
due albaxie, (et) unum cop(er)tor vetulo (et) capa una (et)
sacho(n) .i. (et) paria .ii. de brague (et) unu(m) camixoto
(et) unu(m) sacho (et) paria duo de çoculi [...]
45
Die Dichiarazione di Paxia
 Eine Hauptschwierigkeit beim Übergang von der
lateinischen Schriftlichkeit zur volkssprachlichen
bestand darin, dass das lateinische Alphabet für
viele inzwischen entstandenen Laute keine
geeigneten Schriftzeichen besaß.
 In der Dichiarazione di Paxia finden wir u.a. folgende
Lösungen:
46
Die Dichiarazione di Paxia
 Der stimmhafte Frikativ [] wird durch <x>
wiedergegeben: dispexi, albaxie, camixoto, pixon etc.
 Die stimmhafte Affrikate [d] wird vor velaren Vokalen
durch <i>, vor palatalen durch <g> repräsentiert: seia,
toaia, oreger.
 Sowohl die stimmlose Affrikate [ts] als auch die
stimmhafte Variante [dz] wird vor velaren Vokalen durch
<ç-> wiedergegeben (çoculi), während <c> vor palatalen
Vokalen für [ts] stehen kann: colcera, calce, lence.
47
Die Dichiarazione di Paxia
 Zu den sprechsprachlichen Besonderheiten, die in
der Graphie wiedergegeben werden, gehören u.a.
der Wegfall der Endvokale: sepellir, oreger, copertor,
sachon, barril, bolentin, crivel, pairol, seder, oral,
peiten, tridor, vermeion etc.
 die Sonorisierung von intervokalischem [-t-]:
vergada, buada, scudelle, galleda, tridor, encantado,
stada etc.
48
Die Dichiarazione di Paxia
 die Affrizierung von lat. [kl-] zu [d ]: vlat.
*AURICULARIUM > oreger; vlat. *SICLA (< lat. SITULAM)
> seia etc.;
 die Entstehung des Frikativs [ ] aus dem vlat. Nexus
[-sj-]: lat. PENSIONEM > pixon;
 die Entwicklung von vlat. [-rj-] zu [-jr-] (Metathese):
lat. PARIOLUM > pairol, vlat. TONSORIAS > tesoire
sowie das Passato remoto der dritten Person
Singular auf -à (costà; vgl. it. costò).
49
Die Dichiarazione di Paxia
 Auf die Wiedergabe einiger phonetischer Merkmale
verzichtet der Text hingegen, so z.B. auf die
Sonorisierung von intervokalischem [-p-] (sepellir,
copertor) und [-t-] (bruneta, carpite).
 Phonographematische und lexikalische
Inkonsequenz sind für Texte jener Epoche sehr
typisch.
50
Vor 1200
51
Kurztexte aus der Toskana
 Im späten 12. Jahrhundert hat der Bildhauer Biduino in Pisa
folgende Grabinschrift angefertigt, in der Volkssprache und
Latein gleichermaßen präsent sind:
 Homo ke vai per via,
prega Deo dell’anima mia.
Sì como tu se’ ego fui,
sicus ego sum tu dei essere.
Der kurze Text befindet sich auf dem Grab eines gewissen
Giratto, der im Oktober 1176 verstarb.
Die korrekte Form müsste sicut lauten.
52
Kurztexte aus der Toskana
 Auch hier macht sich der Einfluss der lateinischen
Schreibtradition deutlich bemerkbar (homo mit
etymologisierendem h; Deo statt Dio, ego sum statt
io sono etc.).
 Interessant ist ferner die Verwendung von k- (ke statt
che), das in mittelalterlichen Texten allerdings keine
Seltenheit ist.
53
Kurztexte aus der Toskana
 Einige italoromanische Kurztexte stellen Ergänzungen zu
lateinischen Schriftstücken dar, so etwa die so genannte Postilla
amiatana aus dem Jahre 1078, die der Notar Rainerio einem Vertrag
angefügt hat, in dem die Eheleute Miciarello und Gualdrada erklärt
haben, dass sie all ihre Güter der Abtei San Salvatore in Montamiata
vermachen wollen.
 Der Text lautet:
 ista car(tula) est de caput coctu ille adiuvet de ill rebottu
 q(ui) mal co(n)siliu li mise in corpu
54
Kurztexte aus der Toskana
 Eine eindeutige Interpretation ist aufgrund syntaktischer
und lexikalischer Unklarheiten nicht möglich.
 Castellani (21976, 108) schließt sich der Interpretation
Migliorinis an: „...io spiegherei pressappoco in questo
modo: Questa carta è di Capocotto (probabilmente da
intendere come ‘Testadura’) e gli dia aiuto contro il
Maligno, che un mal consiglio gli mise in corpo”.
55
Kurztexte aus der Toskana
 Hinsichtlich der sprachlichen Eigenheiten fällt die
Bewahrung von auslautendem [-u] auf (coctu,
rebottu, consiliu, corpu).
 Als lexikalische oder phonographematische
Latinismen identifizieren wir caput (statt *capu), est
(statt è), adiuvet sowie coctu (statt *cottu).
56
Raimbaut de Vaqueiras
57
Genuesische Textpassagen bei
provenzalischen Minnesängern
 Der provenzalische Minnedichter
Raimbaut de Vaqueiras hat in
seine Gedichte auch einige
italoromanische Strophen
eingebaut.
 In einem zweisprachigen Dialog
zwischen einem südfranzösischen
Troubadour und einer
genuesischen Dame, der wohl vor
1194 entstanden ist, stößt vor
allem die genuesische Antwort
(Vers 15-28) auf Interesse, die mit
Hilfe der provenzalischen
Orthographie wiedergegeben wird.
58
Genuesische Textpassagen bei
provenzalischen Minnesängern














Domna, tant vos ai preada,
si us plaz, q’amar me voillaz,
q’eu sui vostr’endormenjaz,
car es pros et enseignada
e toz bos prez autrez autreiaz;
per qe’m plai vostr’amistaz.
Car es en toz faiz cortesa,
s’es mos cors en vos fermaz
plus q’en nulla Genoesa,
per q’er merces si m’amaz;
e pois serai meilz pagaz
qe s’era mia.ill ciutaz,
ab l’aver q’es ajostaz,
dels Genoes.
59
Genuesische Textpassagen bei provenzalischen
Minnesängern
 Genuesische Passage mit moderner
italienischer Übersetzung
60
Genuesische Textpassagen bei
provenzalischen Minnesängern
 Zu den typischen Merkmalen des Genuesischen, die in
dem Text in Vorschein treten, gehören die Affrizierung
des lat. Nexus [pl-] zu [ts] (chu < lat. PLUS) (= [tʃy]) sowie
der Ausfall von intervokalischem [-t-] beim Partizip
Perfekt (malaurao, esclavao).
 Bis auch genuesische Dichter auf Genuesisch schrieben,
sollte allerdings noch ein Jahrhundert vergehen.
61
Polyzentrischer Sprachausbau im Mittelalter
62
Dante
Alighieri, De
vulgari eloquentia
Ca. 1304
63
Dante, De vulgari eloquentia
 Eine erste Auseinandersetzung mit der
diatopischen Variation in Italien finden wir bereits
in Dantes Traktat De vulgari eloquentia aus dem
frühen 14. Jahrhundert (ca. 1304).
64
Etappen der Dialektologie
 Sprachhistorisches Gedankengut in De vulgari
eloquentia im Überblick
 Latein ist unveränderlich (Latein wird als Kunstsprache




betrachtet, die sich natürlichen Veränderungen entzieht)
Alle (natürlichen) Volkssprachen verändern sich in Zeit und
Raum
Hebräisch ist die Ursprache aller Menschen
Turmbau zu Babel (Verwirrung)
Entstehung verschiedener Sprachfamilien mit
zunehmender Diversifizierung
(…)
65
Theorie über die Entstehung
der diatopischen Variation
66
Dante, De vulgari eloquentia
 Variationslinguistik ante litteram
 Sprache verändert sich in Zeit und Raum
 Die von den Menschen verwendete Sprache
ist raschen Veränderungen unterworfen (in
Abhängigkeit von der menschlichen
Unbeständigkeit)
 Als unveränderliche Sprache wurde daher
das Lateinische (= Grammatik) erschaffen
67
Vgl. auch Dante,
Convivio
Lateinisch =
Grammatik =
unveränderlich in Zeit
und Raum
Volgare (=
italoromanischer
Primärdialekt) =
veränderlich in Zeit und
Raum
 “…perché lo latino è
perpetuo e non corruttibile, e
lo volgare è non stabile e
corruttibile.”
 Convivio, Trattato I, Capitolo v
68
Dante, De vulgari eloquentia
 Komparatistik ante litteram
 Sprachvergleich

Die Ähnlichkeit der romanischen Sprachen
(lingua oc, lingua oil, lingua si) lässt darauf
schließen, dass sie einen gemeinsamen
Ursprung haben
69
De vulgari eloquentia (I, xi)
Auszüge
70
Dante, De vulgari
eloquentia
Die Einteilung der
Dialekte
Insgesamt:
14 Dialekte
71
Die Klassifizierung der italienischen Dialekte (lat. vulgaria) nach Dante
(Ulrich Prill: Dante. Stuttgart/Weimar 1999, S. 94)
72
http://www.thelatinlibrary.com/dante/vulgar.s
html
73
De vulgari eloquentia: digitale
Quellen
74
http://www.danteonline.it/italiano/home_ita.asp
Dante, De vulgari
eloquentia:
digitale Quellen
http://www.danteonline.it/itali
ano/opere_indice.htm
75
Dante, De vulgari
eloquentia
Rom
76
Dante, De vulgari eloquentia
Mlat. Original (I, XI)
It. Übersetzung
 Sicut ergo Romani se cunctis
 E dunque, siccome i Romani ritengono di
dover essere messi in testa a tutti, non è
ingiusto che li anteponiamo a tutti gli altri
in quest'opera di sradicamento o
estirpazione che dir si voglia, dichiarando
che non andranno presi in
considerazione in nessuna precettistica
sull'eloquenza volgare. E diciamo pure
che quello dei Romani - che non è
neanche una lingua ma piuttosto uno
squallido gergo - è il più brutto di tutti i
volgari italiani: il che non meraviglia, dato
che anche quanto a bruttura di abitudini e
fogge esteriori appaiono i più fetidi di tutti.
Eccoli infatti dire: Messure, quinto dici?
preponendos extimant, in hac
eradicatione sive discerptione non
inmerito eos aliis preponamus,
protestantes eosdem in nulla vulgaris
eloquentie ratione fore tangendos.
Dicimus igitur Romanorum, non
vulgare, sed potius tristiloquium,
ytalorum vulgarium omnium esse
turpissimum; nec mirum, cum etiam
morum habituumque deformitate pre
cunctis videantur fetere. Dicunt enim:
Messure, quinto dici?
77
Dante, De vulgari
eloquentia
Linguistische und
kulturhistorische
Interpretation:
 Rom
 Messure, quinto dici?
= it. Signore, che dici?
messure = Hyperkorrektismus
(metaphonisches u kommt
im Singular nicht vor; aber
Pl. messuri)
Kritik Dantes an der röm.
Duzform
78
Intertextuelle
Interpretation
 SALIMBENE:
Salimbene da Parma
(1221-1288), Cronica
Dante, Divina Commedia,
Paradiso XVI, 19-11
 „Romani, qui imperatori et
summo pontifici dicunt tu. Et
tamen appellant eum
dominumdicentes: tu messor“
 DANTE:
 „Dal voi che prima a Roma s‘offrie, /
in che la sua famiglia men perseva“
79
Dante, De vulgari
eloquentia
Die
Mark Ancona
La
Marca Anconitana
80
Dante, De vulgari eloquentia
Mlat. Original (I, XI)
It. Übersetzung
 Post hos incolas
 Dopo costoro strappiamo via
Anconitane Marchie
decerpamus, qui,
Chignamente state siate
Locuntur; cum quibus et
Spoletanos abicimus.
gli abitanti della Marca
Anconitana, che dicono
Chignamente state siate: e
assieme a loro via anche gli
Spoletini.
81
Dante, De vulgari
eloquentia
 Die Mark Ancona
 Chignamente state, siate
Linguistische
Interpretation
= it. come state?
Keine eindeutige
Interpretation möglich, da
die Überlieferung der
Kopien unklar ist
82
Dante, De vulgari
eloquentia
Lombardei
 Mailand
 Bergamo
83
Dante, De vulgari eloquentia
Mlat. Original (I, XI)
Dt. Übersetzung
 Post quos Mediolanenses
 Dopo di questi estirpiamo
atque Pergameos eorumque
finitimos eruncemus, in
quorum etiam improperium
quendam cecinisse
recolimus: Enter l'ora del
vesper, ciò fu del mes
d'ochiover.
Milanesi a Bergamaschi a
loro vicini; anche su di loro
ricordiamo che un tale ha
composto un canto di
scherno: Enter l'ora del
vesper, ciò fu del mes
d'ochiover.
84
Dante, De vulgari
eloquentia
 Mailand/Bergamo (Lombardei)
 Enter l'ora del vesper,
Linguistische
Interpretation
ciò fu del mes d'ochiover.
Apokope
enter, vesper, mes
ochiover
Palatalisierung
ochiover =
[o over]
lat. CT > lomb. [
]
85
Dante, De vulgari eloquentia
Mlat. Original
Dt. Übersetzung
 Post hos Aquilegienses et
 E dopo ancora, setacciamo via
Ystrianos cribremus, qui
Ces fastu? crudeliter
accentuando eructuant.
Cumque hiis montaninas
omnes et rusticanas
loquelas eicimus, que
semper mediastinis civibus
accentus enormitate
dissonare videntur, ut
Casentinenses et Pratenses.
Aquileiesi e Istriani, che con
quel loro accento ferino
pronunciano: Ces fas-tu? E
assieme a questi buttiamo via
tutte le parlate montanare e
campagnole, come quelle dei
Casentinesi e degli abitanti di
Fratta, che col loro accento
aberrante da tutte le regole
suonano in modo da far a pugni
col linguaggio di chi abita nel
centro delle città.
86
Dante, De vulgari
eloquentia
Istrien
87
Dante, De vulgari
eloquentia
 Istrien / Friaul
 Ces fas tu?
Linguistische
Interpretation
Eigentl. Ce fas-tu? = it.
che fai tu?
QUID > ce
(Palatalisierung)
Der 5. Vers einer
friaulischen Ballade:
Ce fastu achì / tan
plasevol e tan cortès?
88
Dante, De vulgari
eloquentia
Sardinien
89
Dante, De vulgari eloquentia
Mlat. Original (I, XI)
It. Übersetzung
 Sardos etiam, qui non Latii
 Quanto ai Sardi, che non
sunt, sed Latiis adsociandi
videntur, eiciamus, quoniam
soli sine proprio vulgari esse
videntur, gramaticam
tanquam simie homines
imitantes; nam domus nova
et dominus meus locuntur.
sono Italiani ma andranno
associati agli Italiani, via
anche loro, dato che sono i
soli a risultare privi di un
volgare proprio, imitando
invece la grammatica come
fanno le scimmie con gli
uomini: e infatti dicono
domus nova e dominus
meus.
90
Dante, De vulgari
eloquentia
 Sardinien
 domus nova / dominus meus
Linguistische
Interpretation
Konservativer
Charakter des
Sardischen
Hatte Dante die
Einsicht in
latinisierende sardische
Urkunden?
91
Dante, De vulgari
eloquentia
Sizilien
92
Dante, De vulgari eloquentia
Mlat. Original (I, XII)
Dt. Übersetzung
 Et primo de siciliano
 E per prima cosa facciamo un esame
examinemus ingenium, nam
videtur sicilianum vulgare sibi
famam pre aliis asciscere, eo
quod quicquid poetantur Ytali
sicilianum vocatur, et eo quod
perplures doctores indigenas
invenimus graviter cecinisse:
puta in cantionibus illis, Anchor
che l'aigua per lo focho lassi,
et Amor, che lungiamente
m'ài menato.
mentale a proposito del siciliano,
poiché vediamo che il volgare
siciliano si attribuisce fama superiore
a tutti gli altri per queste ragioni: che
tutto quanto gli Italiani producono in
fatto di poesia si chiama siciliano; e
che troviamo che molti maestri nativi
dell'isola hanno cantato con
solennità, per esempio nelle famose
canzoni Ancor che l'aigua per lo
foco lassi
 e Amor, che lungiamente m'hai
menato.
93
Exkurs zur sizilianischen
Dichterschule
 Die sizilianische Dichterschule war
eine Gruppe von Dichtern am Hof
Kaiser Friedrichs II. in Palermo.
 Im eigentlichen Sinn des Wortes
handelte es sich um Dilettanten, also
Beamte, die nebenbei auch Dichter
waren, auch Friedrich selbst
verfasste Gedichte.
 Die sizilianische Dichterschule hatte
großen Einfluss auf ganz Italien und
wirkte noch weiter, als das
Stauferreich bereits untergegangen
war (Quelle: Wikipedia).
94
Dante, De vulgari
eloquentia
 Sizilien (I)
 Ancor che l'aigua per lo foco lassi
 Amor, che lungiamente m'hai menato
Linguistische
Interpretation
Kenntnisse Dantes der
sizilianischen Dichterschule in
toskanischer Überlieferung
Die Zeilen stammen aus
einem Gedicht von
Guido delle Colonne:
Ancor che l'aigua per lo
foco lassi …
95
Intertextuelle
Interpretation
 Ancor che l'aigua per lo foco lassi
Guido delle Colonne
(aus Messina?)
Canzoni
Amor, che lungiamente m'ài
menato
Ancor che l'aigua per lo foco
lassi
Gioiosamente canto
La mia gran pena e lo
gravoso affanno
la sua grande freddura
non cangeria natura
s'alcun vasello in mezzo non vi stassi;
anzi averria senza lunga dimura
che lo foco astutassi,
o che l'aigua seccassi;
ma per lo mezzo l'uno e l'autra dura.
Cusì, gentil criatura,
in me à mostrato Amore
l'ardente suo valore:
che senza Amore er'aigua fredda e ghiaccia,
ma Amor m'à sì allumato
di foco che m'abraccia
 […]
Rimatori della scuola siciliana
a c. di Panvini, Firenze 1962 / 1964
96
Intertextuelle Interpretation
 Guido delle Colonne
 Amor, che lungiamente m'ài menato
a freno stretto senza riposanza,
alarga le toi retine, in pietanza,
chè soperchianza - m'a vinto e stancato;
c'ò più durato - ch'eo non ò possanza,
per voi, madonna, a cui porto lianza
più che non fa assessino asorcuitato,
che si lassa morir per sua credanza.
Ben este affanno dilittoso amare,
e dolze pena ben si pò chiamare;
ma voi, madonna, de la mia travaglia,
ca sì mi squaglia, - prenda voi merzide,
che ben è dolze mal, se no m'auzide.
 […]
97
Dante, De vulgari eloquentia
Mlat. Original (I, XII)
It. Übersetzung
 Et primo de siciliano
 E per prima cosa facciamo un esame
examinemus ingenium, nam
videtur sicilianum vulgare sibi
famam pre aliis asciscere, eo
quod quicquid poetantur Ytali
sicilianum vocatur, et eo quod
perplures doctores indigenas
invenimus graviter cecinisse:
puta in cantionibus illis, Anchor
che l'aigua per lo focho lassi,
et Amor, che lungiamente
m'ài menato.
mentale a proposito del siciliano,
poiché vediamo che il volgare
siciliano si attribuisce fama superiore
a tutti gli altri per queste ragioni: che
tutto quanto gli Italiani producono in
fatto di poesia si chiama siciliano; e
che troviamo che molti maestri nativi
dell'isola hanno cantato con
solennità, per esempio nelle famose
canzoni Ancor che l'aigua per lo
foco lassi
 e Amor, che lungiamente m'hai
menato.
98
Dante, De vulgari eloquentia
Mlat. Text (I, XII)
It. Übers.
 Sed prestat ad propositum
 Ma è meglio ritornare al punto che
parlare a vuoto. Diciamo allora che
il volgare siciliano, a volerlo
prendere come suona in bocca ai
repedare quam frustra loqui; et
dicimus quod si vulgare sicilianum
accipere volumus secundum quod
prodit a terrigenis mediocribus, ex
ore quorum iudicium eliciendum
videtur, prelationis honore minime
dignum est, quia non sine quodam
tempore profertur; ut puta ibi:
Tragemi d'este focora, se t'este a
boluntate.
nativi dell'isola di estrazione media
(ed è evidentemente da loro che
bisogna ricavare il giudizio), non
merita assolutamente l'onore di
essere preferito agli altri, perché
non si può pronunciarlo senza una
certa lentezza; come ad esempio
qui: Tragemi d'este focora se
t'este a bolontate.
99
Dante, De vulgari
eloquentia
 Sizilien (II)
 Tragemi d'este focora se t'este
a boluntate.
Linguistische
Interpretation
100
Dante, De vulgari
eloquentia
Apulien
101
Dante, De vulgari eloquentia
Mlat. Original (I, XII)
Dt. Übersetzung
 Apuli quoque, vel a sui
 Gli Apuli d'altra parte, o per
acerbitate, vel finitimorum
suorum contiguitate, qui
Romani et Marchiani sunt,
turpiter barbarizant. Dicunt
enim, Bòlzera che
chiangesse lo quatraro.
loro crudezza o per la
vicinanza delle genti con cui
confinano, cioè Romani a
Marchigiani, cadono in
sconci barbarismi: e infatti
dicono Bòlzera che
chiangesse lo quatraro.

102
Diatopische Variation
des Italoromanischen
Norditalien
lat. PL > [pl] (Erhalt) und [pj]
Nord- und Mittelitalien
lat. PL > [pj]
Süditalien
lat. PL [pl] > [kj]
G. Devoto/G. Giacomelli, I dialetti
delle regioni d‘Italia. Firenze 1971
103
Dante, De vulgari eloquentia
Mlat. Original (I, XII)
It. Übers.
 Sed quamvis terrigene Apuli
 Ma benché i nativi dell'Apulia
loquantur obscene comuniter,
prefulgentes eorum quidam
polite locuti sunt, vocabula
curialiora in suis cantionibus
compilantes, ut manifeste
apparet eorum dicta
perspicientibus, ut puta
Madonna, dire vi voglio, et
Per fino amore vo sì
letamente.
parlino generalmente in modo
turpe, alcuni che fanno spicco
tra di essi si sono espressi in
modo raffinato, trascegliendo
nelle loro canzoni i vocaboli più
degni della curia, cosa che
risulta evidente ad osservare le
loro poesie, come ad esempio
Madonna, dir vi voglio, e Per
fino amore vo sì letamente.
104
Dante, De vulgari
eloquentia
 Apulien (siz. Dichterschule)
 Volzera che chiangesse lo quatraro
Linguistische
Interpretation
= it. toglimi da queste
fiamme, se ti fa piacere
= der 3. Vers des
bekannten Contrasto von
Cielo d‘Alcamo
= für Dante zu nah an der
gesprochenen Realität
chiangesse: PL > [kj]
quatraro
105
Dante, De vulgari
eloquentia
 Apulien (siz. Dichterschule)
 Madonna, dir vi volglio
 Per fino amore vo si letamente
Linguistische
Interpretation
Auszüge aus siz.
Gedichten in toskanischer
Überlieferung
106
Die Toskanisierung der siz. Dichtung
Vervielfältigung durch
toskanische Kopisten,
Welche gleichzeitig die Gedichte
An ihren Heimatdialekt anpassten
Verlust sämtlicher Originale
Nur zwei Gedichte sind in
authentischer Sprache als Kopie
erhalten:
Stefano Protonotaro: Pir meu cori…
König Enzo:S'iu truvassi Pietati
Sizilianische
Dichterschule
107
Exkurs zur Scuola siciliana
Stefano Protonotaro
[…]
108
Exkurs zur Scuola siciliana
König Enzo
(unehelicher Sohn
Friedrichs II.)
109
Dante, De vulgari
eloquentia
Die Toskana
110
Dante, De vulgari eloquentia
Mlat. Original (I, XIII)
It. Übers.
 Locuntur Florentini et dicunt:
 Ecco che parlano i Fiorentini, e
Manichiamo introque che noi
non facciano atro. Pisani:
Bene andonno li fatti De
Fiorensa per Pisa. Lucenses:
Fo voto a Dio che in
grassarra eie lo comuno de
Lucca. Senenses: Onche
renegata avesse io Siena!
Ch'ee chesto ? Aretini: Vo' tu
venire ovelle?
dicono Manichiamo, introcque
che noi non facciamo altro; e i
Pisani: Bene andonno li fatti de
Fiorensa per Pisa; i Lucchesi:
Fo voto a Dio ke in grassarra
eie lo comuno de Lucca; i
Senesi: Onche renegata
avess'io Siena. Ch'ee chesto?
gli Aretini: Vuo' tu venire
ovelle?
111
Toskana
(moderne Karte)
Florenz
Pisa
Lucca
Siena
Arezzo
112
Dante, De vulgari
eloquentia
 Toskana
 Florenz: Manichiamo
introcque che noi non
facciamo altro
Linguistische
Interpretation
= it. mangiamo mentre
non abbiamo altro da
fare
ambo le man per lo dolor mi morsi;
ed ei, pensando ch'io 'l fessi per voglia
di manicar, di sùbito levorsi
(Inf., XXXIII, 60)
Volkstümliche Wörter
(auch von Dante verwendet)
manicare = it. mangiare
introcque = it. mentre
Sì mi parlava, e andavamo introcque.
(Inf., XX, 130)
113
Dante, De vulgari
eloquentia
 Toskana
Linguistische
Interpretation
 Pisa: Bene andonno li fatti
de Fiorensa per Pisa
= it. i fatti di Firenze
andarono bene per Pisa
andaro > andarono >
andorono > andorno >
andonno (Assimil.)
[ts] > [s] typisch für das
Pisanische (Entaffrizierung)
114
Dante, De vulgari
eloquentia
Linguistische
Interpretation
 Toskana
 Lucca: Fo voto a Dio ke in
grassarra eie lo comuno de
Lucca
Gesamttoskanische
Phänomene
= it. giuaraddio che il
comune di Lucca nuota
nell‘abbondanza
fo = faccio
grassarra = abbondanza
eie = è
115
Dante, De vulgari
eloquentia
Linguistische
Interpretation
 Toskana
 Siena: Onche renegata
avess'io Siena.Ch'ee
chesto?
= it. avessi pur rinnegato
Siena, e con ciò?
sien. chesto vs. flor.
questo
ee = è (typisch für das
Alttosk., wird auch von
Dante verwendet)
116
Dante, De vulgari
eloquentia
Linguistische
Interpretation
 Toskana
 Arezzo: Vuo' tu venire
ovelle?
= it. vuoi venire da
qualche parte?
ovelle = aretin. Form (<
lat. ubi velles)
117
Dante, De vulgari eloquentia
Mlat. Original (I, XIII)
It. Übersetzung
 Hoc Romandiolos omnes habet,
 A tale volgare appartengono tutti i
et presertim Forlivienses,
quorum civitas, licet novissima
sit, meditullium tamen esse
videtur totius provincie. Hii
deuscì affirmando locuntur,et
Oclo meo et Corada mea
proferunt blandientes. Horum
aliquos a proprio poetando
divertisse audivimus, Tomam
videlicet et Ugolinum Bucciolam,
faventinos.
Romagnoli, e specialmente i
Forlivesi, la cui città, benché
periferica, appare però il fulcro di
tutta la regione: costoro per
affermare dicono deuscì, e allo
scopo di blandire il prossimo usano
le espressioni oclo meo e corada
mea. Ma taluni di questi, a nostra
notizia, si sono allontanati nelle loro
poesie dal proprio volgare, cioè
Tommaso e Ugolino Bucciòla,
entrambi Faentini.
118
Dante, De vulgari eloquentia
Mlat. Original (I, XII)
It. Übersetzung
 Hoc omnes qui magara dicunt,
 A questo appartengono tutti quelli
Brixianos videlicet, Veronenses et
Vigentinos, habet; nec non
Paduanos, turpiter sincopantes
omnia in -tus participia et
denominativa in -tas, ut mercò et
bontè. Cum quibus et Trivisianos
adducimus, qui more Brixianorum et
finitimorum suorum u consonantem
per f apocopando proferunt, puta nof
pro ‘novem’ et vif pro ‘vivo’: quod
quidem barbarissimum reprobamus.
che dicono magara, vale a dire
Bresciani, Veronesi e Vicentini; e
inoltre i Padovani, che sconciano con
le loro sincopi tutti i participi in "-tus"
e i nomi in "-tas", quali mercò e
bontè. Con questi citeremo anche i
Trevigiani, che alla maniera di
Bresciani e loro vicini troncano le
parole pronunciando la u consonante
come f, metti nof per "nove" e vif per
"vivo": tratto che stigmatizziamo
come macroscopico barbarismo.
119
Dante, De vulgari
eloquentia
Linguistische Interpretation
magara = it. magari
Synkope
mercò < lat. MERC(AT)UM
bontè < lat. BONIT(AT)EM
Auslautverhärtung
nof < lat. NOVEM
vif < lat. VIVO
120
Dante, De vulgari eloquentia
Mlat. Original (I, XII)
It. Übersetzung
 Veneti quoque nec sese
 Neppure i Veneziani possono
investigati vulgaris honore
dignantur: et si quis eorum,
errore confossus, vanitaret
in hoc, recordetur si unquam
dixit: Per le plaghe de Dio
tu no verras.
considerarsi degni dell'onore di
quel volgare su cui
indaghiamo; e se qualcuno di
loro, trafitto dall'errore, si
andasse pavoneggiando a
questo proposito, si faccia
venire in mente se per caso
non ha mai detto Per le
plaghe di Dio tu, no verras.
121
Dante, De vulgari
eloquentia
Linguistische
Interpretation
Per le plaghe de Dio tu no
verras
Erhalt des lat.
Nexus PL-
= it. per le piaghe di Dio
(tu) non verrai
Erhalt des lat. Nexus PLverras (Erhalt von -s der 2.
Pers. Sg.)
122
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