Rechtsstaatsprinzip A. Formale Elemente I. Gewaltenteilung II. Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns
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Rechtsstaatsprinzip A. Formale Elemente I. Gewaltenteilung II. Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns
Prof. Dr. Christoph Gröpl Vorlesung Staatsrecht I Rechtsstaatsprinzip (Herrschaft von Recht und Gesetz) A. Formale Elemente ( Bindung staatlicher Gewalt) I. Gewaltenteilung (horizontal), Art. 20 II 2 GG: Legislative – Exekutive – Judikative II. Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns 1. Vorrang des Gesetzes: Bindung des Staates (seiner Organe und Amtsträger) an das (selbst gesetzte) Recht, Art. 20 III GG (Normenhierarchie: Lex-superior-Grds.) 2. Vorbehalt des Gesetzes (i.V.m. Demokratieprinzip und Grundrechtsschranken) a) „klassisch“: kein hoheitlicher Eingriff in Freiheit oder Eigentum ohne Gesetz b) i.Ü. sog. Wesentlichkeitslehre: Gesetzgeber ist verpflichtet, alle (insb. für die Verwirklichung der Grundrechte) wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, und darf sie nicht anderen überlassen (BVerfGE 98, 218 [251] – Rechtschreibreform) III. Prozessuale Dimension 1. Garantie umfassenden und effektiven Rechtsschutzes, Art. 19 IV GG 2. Verfassungsgerichtsbarkeit, insb. Verfassungsbeschwerde, Art. 93 I Nr. 4a GG 3. Prozessrechtsgrundsätze: Audiatur et altera pars (Art. 103 I GG); faires Verfahren; speziell im Strafprozess: Nulla poena sine lege (Art. 103 II GG), Ne bis in idem (Art. 103 III GG), Habeas corpus [tecum] (Art. 104 II, III GG), Nemo tenetur [se ipsum accusare] ( Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG) SRI16/1 Gröpl · Staatsrecht I 2 Rechtsstaatsprinzip (Herrschaft von Recht und Gesetz) B. Materiale Gehalte ( Mäßigung staatlicher Gewalt) I. Unmittelbare Geltung der Grundrechte, Art. 1 III GG, insb. Anerkennung eines staatsfreien Bereichs individueller Freiheit (Art. 2, 4 ff. GG); Gewährleistung von Sicherheit und Frieden (ungeschrieben, arg. Art. 2 II GG) II. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Übermaßverbot) Mittel-Zweck-Relation: zur Erreichung (1.) eines legitimen Zwecks muss das eingesetzte Mittel (2.a) geeignet, (2.b) erforderlich und (2.c) angemessen (= verhältnismäßig i.e.S.) sein III. Rechtssicherheit: allg.: Berechenbarkeit staatlichen Handelns, insb. 1. Rechtsklarheit: Bestimmtheitsgebot für alle Hoheitsakte (Gesetze, Verwaltungsakte, Gerichtsentscheidungen, siehe z.B. Art. 80 I 2 GG, § 37 I VwVfG); aber in Gesetzen unbestimmte Rechtsbegriffe und Ermessensspielräume zulässig 2. Vertrauensschutz, konkretisiert durch absolutes Rückwirkungsverbot im Strafrecht (Art. 103 II GG), grdsl. Verbot sog. echter Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen), eingeschränkte Zulässigkeit sog. unechter Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung); darüber hinaus nach h.M. kein genereller Anspruch auf Kontinuitätsgewähr IV. Willkürverbot, Gleichheit bei Rechtssetzung und -anwendung (vgl. Art. 3 I GG); allgemein: Bemühen um „Gerechtigkeit“ V. Staatshaftung, Art. 34 GG (i.V.m. § 839 BGB) u.a. Beachte: untrennbare Synthese zwischen Form (A.) und Inhalt (B.) SRI16/2 Gröpl · Staatsrecht I Vorrang des Gesetzes, Art. 20 III GG Bezug: alle Rechtssätze also nicht nur formelle Gesetze, sondern auch RVOen, Satzungen u.a. Verwaltung und Rechtsprechung sind an die bestehenden Gesetze gebunden (Anwendungsgebot) und dürfen von den bestehenden Gesetzen nicht abweichen (Abweichungsverbot) 3 Vorbehalt des Gesetzes (vgl. z.B. Art. 2 ff. GG) Bezug: nur Parlamentsgesetze (formelle Gesetze) Entstehung: Konstitutionalismus (19.Jh.): Kompetenzstreit Legislative–Exekutive 1. Formeller („klassischer“) Vorbehalt des Gesetzes (rechtsstaatliche Dimension): Eingriffe des Staates in (Grund-)Rechte, insb. in Freiheit und Eigentum des Bürgers, nur aufgrund eines formellen Gesetzes P.: Rechtsetzungsdelegation (RVO, Satzungen) 2. Parlamentsvorbehalt (demokratisch-partizipative Dimension): Anforderungen an die Regelungsdichte des formellen Gesetzes: Inwieweit muss das Parlament das Staatshandeln inhaltlich festlegen? Keine allgemeingültige Antwort möglich, aber: Alle wesentlichen Fragen des Gemeinwesens muss das Parlament regeln („Wesentlichkeitslehre“), s. BVerfGE 98, 218 (251 f.) – Rechtschreibreform; bereichsspezifische Ausprägung: Art. 80 I 2 GG Probefrage: Was dürfen Verw. und Rspr. ggü. dem Bürger tun, wenn für einen konkreten Sachverhalt … … ein Gesetz besteht? … kein Gesetz besteht? Antwort: Sie müssen sich daran halten. Antwort: Sie dürfen insb. keine Rechtseingriffe vornehmen. SRI16/3