europa unD DIe romanIsche Welt XXIX. Deutscher romanIstentag universität des saarlandes
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europa unD DIe romanIsche Welt XXIX. Deutscher romanIstentag universität des saarlandes
XXIX. Deutscher Romanistentag Europa und die romanische Welt Universität des Saarlandes Saarbrücken 25.–29. September 2005 unter der Schirmherrschaft mit Unterstützung des des saarländischen Minister Ministeriums für Bildung, präsidenten Peter Müller Kultur und Wissenschaft w w w. r o m a n i s t e n t a g . d e XXIX. Deutscher romanIstentag universität des saarlandes saarbrücken 25.–29. september 2005 Programmheft zum XXIX. Deutschen Romanistentag herausgegeben vom Vorstand des Deutschen Romanistenverbandes Erster Vorsitzender: Prof. em. Dr. Karlheiz Stierle Tel. 0681 9386250 Rotenbühlerweg 28 Mail karlheinz.stierle@ 66123 Saarbrücken uni-konstanz.de Erste Stellvertretende Vorsitzende: Prof. Dr. Ingrid Neumann-Holzschuh Tel. 0941 943 3381 Institut für Romanistik Fax 0941 943 3931 Universität Regensburg Mail ingrid.neumann-holz Universitätsstr. 31 [email protected] Regensburg regensburg.de Zweite Stellvertretende Vorsitzende: Dr. Christiane Maaß Lehrgebiet Romanistik Tel. 0511 762 8244 Universität Hannover Fax 0511 762 8243 Königsworther Platz 1 Mail [email protected] Hannover hannover.de Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit: Prof. Dr. Ulrich Hoinkes Romanisches Seminar der Tel. 0431 880 2265 Christian-Albrechts-Universität Fax 0431 220 1765 Leipnizstraße 10 Mail hoinkes@romanistik. 24098 Kiel uni-kiel.de Schatzmeister: HD Dr. Eric Sonntag Romanisches Seminar der Tel 0251 832 4525 Westfälischen Wilhelms-Universität Fax 0251 832 8351 Bispinghof 3A Mail sonntae@uni48143 Münster muenster.de Organisationsequipe des XXIX. Deutschen Romanistentages Patricia Oster-Stierle, Sigrid Behrent, Mario Burg, Mike Kersch, Sabine Narr, Stefan Pfefferle, Birte Thomas - Romanisches Seminar der Universität des Saarlandes, Postfach 15 11 50, 66041 Saarbrücken; Tel. 0681.302-4566, Mail: [email protected], Internet: www.romanistentag.de Logo und Plakat: Thomas Z. Zimmermann (www.designladen.com) Technische Organisation und Tagungsbüro: Universität des Saarlandes WuT GmbH Inhalt Geleitwort des Ersten Vorsitzenden des DRV, Prof. Dr. Karlheinz Stierle . .................................................................8 „Europa und die romanische Welt“..................................................11 Gesamtprogramm................................................................................14 Mitgliederversammlung des DRV.....................................................16 Veranstaltung des Institut d’Études Françaises . ............................17 Programme und Zusammenfassungen der Sektionen......... 19 (Die Raumangaben entnehmen Sie bitte dem Faltblatt. Die Zusammenfassungen sind in Programmreihenfolge abgedruckt.) Sektion 1 Medien-, Fach- und Literaturübersetzung in der Romania Hommage an Wolfram Wilss zu seinem 80. Geburtstag...............19 Sektion 2 Morphologie und romanistische Sprachwissenschaft....................36 Sektion 3 Potenziale linguistischer Diversität in der Romania........................61 Sektion 4 Romanische Sprachen in Europa. Eine Tradition mit Zukunft?..............................................................77 Sektion 5 Sprachwandel und räumliche (Dis-)Kontinuität..............................93 Sektion 6 Grammatischer Sprachwandel und seine Erklärbarkeit...............116 Sektion 7 Dynamik romanischer Varietäten außerhalb Europa...................136 Sektion 8 Spracherwerb in der und um die Romania.....................................155 Sektion 9 Sportsprache in der Romania...........................................................179 Sektion 10 Minimalistische Sprachwissenschaft in der alten Welt..................189 Sektion 11 Romanische Sprachgeschichten und Sprachgeschichtsschreibung.............................................................216 Sektion 12 Il Teatro italiano del Cinquecento e Seicento e la ricezione europea...........................................................................236 Sektion 13 Lateinische Dichtung und volkssprachliche Traditionen von der Renaissance bis zum Neoklassizismus.............................252 Sektion 14 Postmoderne Lyrik – Lyrik in der Postmoderne...........................267 Sektion 15 Europäischer Film (seit 1945) im Kontext der Romania: Geschichte und Innovation .............................................................284 Sektion 16 Die Inszenierung von Begegnungen: Entdeckung und Eroberung in Text und Film............................................................303 Sektion 17 Geschichte der literarischen Spannung .........................................320 Sektion 18 Die Krise der Zivilisation..................................................................334 Sektion 19 Aspekte der politischen Theologie der Neuzeit – Herrscherbilder und Staatsverständnis in den Dramen von Renaissance, Barock und Klassik.............................................352 Sektion 20 Literatur und Bürgerkrieg in der Romania . ..................................371 Sektion 21 Montréal und Toronto: Mediale und literarische Spiegelungen von Migration im urbanen Raum ...................................................392 Sektion 22 Die Konstituierung eines europäischen Kommunikationsraumes im Wandel der Medienlandschaft des 18. Jahrhunderts...............404 Sektion 23 Europas neue Liebe - Theorie und Repräsentation des Affekts um 1700..........................................................................421 Sektion 24 Unausweichlichkeit des Mythos – Mythopoiesis in der europäischen Romania nach 1945...................................................438 Sektion 25 Bilderwelten - Textwelten - Comicwelten: romanistische Begegnungen mit der „neunten Kunst“...............455 Sektion 26 Recherches récentes sur Gustave Flaubert en Allemagne...........477 Sektion 27 Deutschland - Frankreich in Europa. Dynamik eines ‚transnationalen’ kulturellen Feldes um 1945.................................488 Sektion 28 Eros – Zur Ästhetisierung eines (spät)antiken Philosophems in Neuzeit und Moderne...................................................................504 Personenverzeichnis...........................................................................516 Danksagung........................................................................................528 Liebe Romanistinnen und Romanisten, Seien Sie herzlich begrüßt zum diesjährigen 29. Romanistentag. Wir freuen uns, daß wir, wie schon einmal 1979, Gast der Universität des Saarlandes sein dürfen, die der romanischen Welt von allen deutschen Hochschulen am unmittelbarsten benachbart ist und in der sich die Romanistik schon immer der besonderen Aufmerksamkeit des Landes erfreut. Ein Zeichen dieser Aufmerksamkeit ist es, daß Ministerpräsident Peter Müller, der zugleich der derzeitige Bevollmächtigte der Bundesrepublik für deutsch-französische Kulturbeziehungen ist, sogleich bereit war, die Schirmherrschaft über unsere Tagung zu übernehmen und daß der Minister für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Saarlandes Jürgen Schreier bei der Eröffnung unserer Veranstaltung ein Grußwort sprechen wird. Minister Schreier danken wir auch für einen namhaften Zuschuß seines Ministeriums. Das Thema „Europa und die romanische Welt“, das unserer Arbeit einen übergreifenden Rahmen geben soll, hat ein höchst erfreuliches Echo gefunden. Insgesamt 28 Sektionen zu Sprache, Literatur und Kultur der romanischen Länder innerhalb und außerhalb Europas werden ihre Forschungsergebnisse austauschen und diskutieren. Schon das reichhaltige Programm zeigt, wie überaus lebendig und produktiv unser Fach ist und mit welchem Engagement es, allen kurzsichtigen hochschulpolitischen Trends zum Trotz, gerade von jungen Romanistinnen und Romanisten betrieben wird. In den Plenarvorträgen, die wir Ihrer Aufmerksamkeit besonders empfehlen, werden namhafte internationale Stimmen zu unserem Thema zu Wort kommen. Unser Ausflug nach Metz, wo uns der Bürgermeister empfangen wird, gibt Gelegenheit zur Begegnung mit einer der schönsten Städte Ostfrankreichs. In einer Abschlußdiskussion wollen wir gemeinsam mit den Vorsitzenden der einzelnen romanistischen Fachverbände Chancen und Probleme diskutieren, die der sogenannte Bolognaprozeß mit seinem Ideal einer anglophonen europäischen Monokultur für unsere Fächer bedeutet. Es ist kein Geheimnis, daß vielerorts angesichts einer bunten Vielfalt aus dem Boden sprießender neuer Disziplinen, deren wissenschaftliche Bewährung freilich noch aussteht, die Romanistik mit ihren Einzelfächern als nicht mehr zeitgemäß gilt und vielfach an den Universitäten zum Kandidaten des Rotstifts geworden ist. Wenn es richtig ist, daß es ohne romanische Welt kein Europa gäbe, dann kann es auch keine europäisch gesinnte deutsche Geisteswissenschaft ohne Romanistik geben. Wir dürfen stolz darauf sein, daß seit der Begründung der Romanischen Philologie im 19. Jahrhundert die Romanistik immer wieder wegweisende Beiträge zu einer europäischen Kultur- und Geisteswissenschaft geleistet hat. Was wäre eine Geisteswissenschaft, die auf die Namen Vossler, Curtius, Spitzer, Auerbach, Friedrich, Köhler, Coseriu, Weinrich oder Jauß verzichten müßte? Und viele weitere Namen müßten hier noch genannt werden. Keine andere Sprachwissenschaft hat mit dem Lateinischen und den romanischen Volkssprachen ein so reiches Forschungsfeld wie die romanistische, keine andere Literaturwissenschaft hat eine solch herausragende Vielfalt bedeutender europäischer Literaturzeugnisse zu ihrem Gegenstand. Die Romanistik ist eine europäische Wissenschaft in Deutschland und den deutschsprachigen Ländern. Ihre im Blick auf die romanische Welt zugleich nahe und exzentrische Position erlaubt es, Zusammenhänge zwischen den romanischen Sprachen, Literaturen und Kulturen wahrzunehmen, die aus einer je spezifischen nationalen Optik schwer zu gewinnen wären. Vor allem aber hat sie eine konkrete Vermittlungsaufgabe: sie muß mit fachlicher Kompetenz die Wege zur romanischen Welt in Vergangenheit und Gegenwart offenhalten, damit nicht ein gleichförmiges und kulturloses Europa entsteht, so fad wie ge wisse Apfelsorten, die es inzwischen in jedem Supermarkt der Welt gibt und die in Aussehen und Geschmack gleich trostlos standardisiert sind. Nichts zwingt, die Verarmung unserer Welt als gegeben hinzunehmen. Erhaltung der Artenvielfalt ist auch in der Welt des Geistes ein ökologisches Gebot. Europa, das alte Europa, wie manche es beschimpfen, ist ein Chronotop, seine Vergangenheit ist noch immer Teil seiner Gegenwart. Gerade darin liegt das Geheimnis seiner fortwährenden Innovationskraft begründet. Der Anteil, den die romanische Welt an diesem Europa hat, ist immens. Es liegt an uns, dies immer wieder ins öffentliche Bewußtsein zu bringen. Zum Schluß ein Wort des Danks: Das Saarbrücker Romanische Seminar hat mit Mitteln und Ideen das Zustandekommen des Romanistentages wesentlich gefördert. Die organisatorische Vorbereitung lag in den Händen der Geschäfsführenden Professorinnen Mechthild Albert und Patricia Oster-Stierle und der von ihr geleiteten Organisationsequipe mit Sigrid Behrent, Mario Burg, Mike Kersch, Sabine Narr, Stefan Pfefferle und Birte Thomas. Für die technische Organisation war Frau Uta Merkle von der Kontaktstelle für Wissens- und Technologietransfer verantwortlich. Ihnen allen gilt unser herzlicher Dank für die immense Vorbereitungsarbeit, die sie für uns geleistet haben. Ich wünsche Ihnen allen ertragreiche und schöne Tage in Saarbrücken und bin herzlich grüßend Ihr Prof. Dr. Karlheinz Stierle, Erster Vorsitzender des DRV 10 „Europa und die romanische Welt“ Europa wäre nicht ohne die romanische Welt. Auch die nichtromanischen Kulturen Europas sind durch die romanische Kultur tiefgreifend geprägt. Dies gilt insbesondere für die deutschsprachigen Länder, bei denen in Religion, Rechtsauffassung, politischen Anschauungen und Sprache der Wissenschaft geradezu von einer strukturellen Romanität gesprochen werden könnte. Es ist kein Zufall, daß die romanische Philologie und daraus hervorgehend die Romanistik als wissenschaftliche Disziplin, die der Gesamtheit der romanischen Sprachen, Kulturen und Literaturen zugewandt ist, im Deutschland des 19. Jahrhunderts entstand und sich in den deutschsprachigen Ländern, trotz mancher Anfechtungen, bis heute bewahrt und bewährt hat. Der Blick von außen scheint eine Chance, die Dialektik von Einheit und Vielfalt der romanischen Welt anders wahrzunehmen, als dies der ausschließlichen Konzentration auf eine der romanischen Kulturen, sei es aus der Innenoder Außenperspektive, möglich ist, aber auch die Bedeutung der romanischen Welt für Europa in einem europäischen Horizont zu erfassen. Die imperiale römische Politik richtete erstmals den Blick auf das Europa nördlich der Alpen. Gaston Paris, der Begründer der Zeitschrift Romania, hat mit seinem programmatischen Artikel „Romani, Romania, lingua romana, romantium“, der den ersten, 1872, ein Jahr nach der Niederlage im Preußisch-Französischen Krieg, erschienenen Band einleitet, das zivilisatorische Vermögen Roms gepriesen, das es immer wieder vermochte, sich zu wandeln und neue Amalgame mit den Kulturen und Sprachen der unterworfenen Völker und Stämme einzugehen. Für ihn sind die romanischen Volkssprachen, weit entfernt davon, sich dem klassischen Latein entgegenzusetzen, die Manifestationen seines Ingeniums. In der zivilisatorischen Kraft des Römischen liegt für ihn das entscheidende Moment, das es rechtfertigt, von einer Einheit 11 der romanischen Welt oder der Romania zu sprechen. Es ließe sich dem wohl die Beobachtung hinzufügen, daß in den romanischen Kulturen noch immer der Sinn für Sprache und ihren gesellschaftlichen, gemeinschaftsstiftenden Wert besonders ausgeprägt ist. Die Arbeit an der Sprache als eine bewußte, unabschließbare Aufgabe scheint für alle romanischen Kulturen konstitutiv. Dies bedingt aber auch die besondere gesellschaftsbildende Rolle der Literatur, in der die Sprache gleichsam zur Sprache gebracht wird. In einer globalisierten anglophonen und von der Militärmacht der Vereinigten Staaten je nach Auffassung gesicherten oder beherrschten Welt ist Europa in Gefahr, sich bis zur Konturenlosigkeit aufzulösen und seine Identität bis zur neuen sprachlichen Unmündigkeit aufzugeben. Der Geltungsschwund romanischer Sprachen und Kulturen, der sich gegenwärtig in Deutschland dramatisch in immer neuen Schließungen und Reduktionen Romanischer Seminare an den Universitäten zeigt, ist Ausdruck und Medium des europäischen Identitätsverlusts. Es wäre schön, wenn hier das Hölderlinsche Diktum „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ sein Recht behielte. Wenn neuerdings vielerorts, besonders aber in Frankreich und Deutschland, sich das Bewußtsein regt, daß das ‘alte Europa‘ in der happy new world der Globalisierung noch immer sein eigenes Gewicht behaupten kann und daß ihm aus seiner Vergangenheit noch immer ein nie versiegender Strom an Innovationsenergie in allen Bereichen von Wissenschaft, Kultur, Kunst und Literatur zuwächst, so bedeutet dies zugleich eine Chance für die europäische Geltung der romanischen Welt. Aber auch außerhalb Europas, in den Ländern Südamerikas, ja in den USA, in Québec und in den frankophonen Ländern Nordafrikas, erweist die romanische Welt ihre Dynamik. Gerade in den USA hat das Spanische sich als erstaunlich widerstandsfähig erwiesen, ja, seine Bedeutung nimmt von Jahr zu Jahr zu. Noch immer ist Rumänien stolz, der romanischen Welt zuzugehören, und Sprache, Literatur und Dichtung Italiens stellen seit Jahrhunderten einen 12 Motor für die kulturelle Dynamik der romanischen Welt und Europas dar. Spanien und Portugal stehen in ungebrochen intensivem kulturellem Austausch mit den Ländern Südamerikas. Der DRV tritt für die Interessen der Institutionen ein, die im Dienst der romanischen Welt und ihrer Vermittlung stehen und damit zugleich im Dienst Europas. Das Thema des kommenden Romanistentags „Europa und die romanische Welt“ soll in Weite und Vielfalt seiner wissenschaftlichen Interessen an Sprache, Literatur und Kultur dieses Engagement zum Ausdruck bringen. Es ist ein glücklicher Umstand, daß der kommende Romanistentag in Saarbrücken stattfindet, wo die Präsenz der romanischen Welt bis in die deutsch-französische Zweisprachigkeit der Verkehrsschilder mit Händen zu greifen ist. Hier soll sich zeigen, daß die geistige Lebendigkeit der romanischen Welt wie der Institutionen ihrer Vermittlung unersetzbar ist und sich auch im Kontext globaler wirtschaftlicher und kommunikativer Vernetzungen behauptet. Die Weltlosigkeit der Vernetzungen, die sich leicht in Vernetzungswahn versteigt, bedarf als Gegenpol des Sinns für Konkretheit in Raum und Zeit, soll kulturelle Wirklichkeit sich nicht in Beliebigkeit verflüchtigen. Vielleicht kann es gelingen, dies in Saarbrücken unter Beweis zu stellen. 13 Gesamtprogramm Sonntag, 25.09.2005 16.00 17.00 Treffen der Sektionsleiter Eröffnungsveranstaltung mit Empfang Musik: Romania Cantat Grußworte Begrüßung durch den Vorsitzenden Musik: Romania Cantat Verleihung des Elise-Richter-Preises Musik: Romania Cantat Festvortrag: Hans Ulrich Gumbrecht, Professor an der Stanford University: „Die Konkretheit der Romania“ Im Anschluss: „Romanisches“ Buffet Montag, 26.09.2005 09.00-10.30 10.30-11.00 11.00-12.00 14.00-15.30 15.30-16.00 16.00-17.30 17.45-19.00 19.30 14 Sektionsarbeit Pause Plenarvortrag: Claude Hagège, Professeur au Collège de France: „Vie et mort des langues” Sektionsarbeit Pause Sektionsarbeit DFG Workshop Lesung von Danièle Sallenave aus ihrem neuen Roman im Rathaussaal Pot d‘accueil der Stadt und des Institut d‘Études Françaises Dienstag, 27.09.2005 09.00-10.30 10.30-11.00 11.00-12.00 14.00-15.30 15.30-16.00 16.00-17.30 18.00-21.00 Sektionsarbeit Pause Plenarvortrag: José María Ridao, spanischer UNESCO-Botschafter in Paris: „Los intelectuales españoles y el Quijote“ Sektionsarbeit Pause Sektionsarbeit Mitgliederversammlung des DRV Mittwoch, 28.09.2005 09.00-10.30 10.30-11.00 11.00-12.00 14.00 ab 22.00 Sektionsarbeit Pause Plenarvortrag: Lina Bolzoni, Professorin an der Scuola normale superiore, Pisa: „Tradizione classica e cultura della memoria in Europa fra Medievo e Rinascimento” Ausflug nach Metz, mit Abendessen Rückfahrt nach Saarbrücken Donnerstag, 29.09.2005 09.00-10.30 10.30-11.00 11.00-12.30 ab 13.00 Sektionsarbeit Pause Podiumsdiskussion: „Romanistik alla Bolognese“, Diskussion mit den Vorsitzenden der Romanistischen Fachverbände über die Chancen und Risiken des Bologna-Prozesses Schlußwort des Vorsitzenden Abreise 15 Mitgliederversammlung des DRV Während der Tagung wird die Mitgliederversammlung, zu der der Verbandsvorstand alle Mitglieder herzlich einlädt, am 27.09.2005 um 18.00 Uhr im Auditorium Maximum in Gebäude 16 stattfinden. Die Mitgliederversammlung soll zu folgender Tagesordnung beraten und Beschluss fassen: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 16 Begrüßung und Eröffnung. Feststellung der Beschlussfähigkeit, Feststellung der ordnungsgemäßen Ladung Änderungsanträge zur Tagesordnung und Feststellung der Tagesordnung Genehmigung des Protokolls der letzten Mitgliederversammlung Tätigkeits- und Geschäftsbericht des Vorstands Bericht zur Neukonstitution der ‚Arbeitsgemeinschaft roma- nistischer Fachverbände’ (AGRom) Bericht zur ‚Union geistes- und kulturwissenschaftlicher Verbände’ (UgV) Beschlussfassung zur Einrichtung eines regelmäßigen Mitteilungsbriefs des DRV Beschlussfassung zu vier Satzungsänderungen Entgegennahme des Berichts der Kassenprüfer Entlastung des Vorstands Erklärung des DRV zur Lage der Romanistik Neuwahl des Vorstands Neuwahl der Kassenprüfer Termin und Ort des 30. Deutschen Romanistentags 2007 Beschlussfassung über Anträge (bei Bedarf) Verschiedenes Veranstaltung des Institut d’Études Françaises Danièle Sallenave lira des extraits de son dernier roman „La Fraga“ Rathaussaal, Sarrebruck Lundi, 26 septembre 2005 à 20.00h Romancière, universitaire, essayiste, traductrice de l‘italien (Calvino, Pasolini, Calasso), Danielle Sallenave passe avec aisance et conviction d‘une forme littéraire à une autre sans trahir le moindre de ses engagements. Parmi ses œuvres citons: Les Portes de Gubbio (1980), Un printemps froid (1983) La vie fantôme (1986), Conversations conjugales (1987), Le Don des morts (1991), Les trois minutes du diable (1994), A quoi sert la littérature? (1997), Paysages de ruines avec personnages (2001). Plus romanesque que la plupart de ses précédentes fictions, La Fra ga commence comme un roman de Henry James. Venise 1893 : L‘Europe, un continent neuf, riche d‘imprévus, de libertés nouvelles, de secondes naissances... C‘est à ce tour de passe-passe jubilatoire que nous convie Danièle Sallenave à travers le portrait coloré de son héroïne, Mary Gordon, fille d‘un pasteur de la Nouvelle-Angleterre. La Fraga, Gallimard, Collection Blanche, 2005. 17 Programme und Zusammenfassungen der Sektionen Sektion 1 Medien-, Fach- und Literaturübersetzung in der Romania Hommage an Wolfram Wilss zu seinem 80. Geburtstag Leitung: Alberto Gil / Ursula Wienen (Saarbrücken) Programm Montag, 26.09.05 Diskursanalytische und mediale Fragestellungen des Übersetzens 9.00 Uhr Jörn Albrecht (Heidelberg) „Erzählen“ vs. „Beschreiben“ aus textlinguistischer und übersetzungswissenschaftlicher Sicht 9.45 Uhr Vahram Atayan/Andrea Wurm (Saarbrücken) Die Saarbrücker Übersetzungsbibliographie (SÜB). Eine elektronische Datenbank romanischdeutscher Übersetzungen nichtfiktionaler Texte 14.00 Uhr Francisco Chico Rico (Alicante) Traducción y educación para la comunicación social: el ejercicio de la traducción en la instrucción retórica 14.45 Uhr Christian Schmitt (Bonn) Der Global Player und die translatorische Poten- tialität. Linguistische Bemerkungen zum Vorwurf rassistischer Sprachverwendung gegen R. Madrid 16.00 Uhr Laura Sergo / Gisela Thome (Saarbrücken) Textsortenvergleich als Entscheidungshilfe bei der Übersetzung von Kommentaren aus französischen Printmedien ins Italienische und Deutsche Fachübersetzung 16.45 Uhr Gabriele Blaikner-Hohenwart (Salzburg) Fuzzy edges - wie literarisch können Fachüberset- 19 zungen sein? (corpusgestützt) Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr Johann Haller (Saarbrücken) Automatische Termextraktion aus spanischen und deutschen Texten (monolingual und bilingual) 9.45 Uhr Karl Gerhard Hempel (Messina) Zur Übersetzung archäologischer Texte (DeutschItalienisch / Italienisch-Deutsch) Literaturübersetzung 14.00 Uhr Alberto Gil (Saarbrücken) Hermeneutik und Übersetzungskritik: Zu Jorge Luis Borges’ Pierre Menard, autor del ‘Quijote’ 14.45 Uhr Olaf Kramer (Tübingen) „Übersetzer sind als geschäftige Kuppler anzusehen...“. Goethes Diderot-Übersetzungen zwischen rhetorischer Strategie und engagierter Vermittlung 16.00 Uhr Christoph Wagner (Saarbrücken) „Ceci n’est pas une pipe“ - Bild und Text im inter- medialen Transfer bei René Magritte und Alain Robbe-Grillet Linguistische Fragestellungen des Übersetzens 16.45 Uhr Reiner Arntz (Hildesheim) Romanische Mehrsprachigkeit durch Sprach- und Übersetzungsvergleich – Schwerpunkt Spanisch/ Portugiesisch Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 20 Wolfgang Pöckl (Innsbruck) Können faux amis durch Übersetzung zu vrais amis werden? Barbara Schäfer-Prieß (München) Exonyme im Portugiesischen Donnerstag, 29.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 10.30 Ursula Wienen (Saarbrücken) Translatorische Fragen sprachlicher Kontinua Michael Schreiber (Köln) Indirekte Sprechakte im Französischen, Italienischen und Deutschen: Textsortenspezifik und Übersetzung Werner Thielemann (Berlin) Claritas, fidelitas, perspicuitas - Wege und Irrwege der Ars traductionis Abstracts Jörn Albrecht (Heidelberg) „Erzählen“ vs. „Beschreiben“ aus textlinguistischer und übersetzungswissen schaftlicher Sicht In diesem Beitrag soll zunächst der Versuch einer Abgrenzung der Begriffe „Texttyp“ und „Textsorte“ unternommen werden. Dabei wird die in der Literatur zur Textlinguistik weit verbreitete Ansicht zu kritisieren sein, es handele sich beim „Texttyp“ um eine Art von Oberbegriff für „Textsorte“. Die beiden Begriffe lassen sich logisch nicht hierarchisieren. Im übersetzungswissenschaftlichen Teil sollen zunächst die einzelsprachlichen Merkmale herausgearbeitet werden, die ein Textfragment in verschiedenen Sprachen als „beschreibend“ oder „erzählend“ kennzeichnen. Auszugehen ist dabei von der intuitiven Annahme, dass diese beiden Texttypen innerhalb der Textsorte „Roman“ häufig wechseln. Zum Schluss wird auf die Übersetzungsprobleme einzugehen sein, die sich in diesem Zusammenhang in den Überset zungsrichtungen Romanisch – Deutsch und Deutsch – Romanisch ergeben. 21 Vahram Atayan /Andrea Wurm (Saarbrücken) Die Saarbrücker Übersetzungsbibliographie (SÜB). Eine elektronische Datenbank romanisch-deutscher Übersetzungen nichtfiktionaler Texte In diesem Beitrag soll die Saarbrücker Übersetzungsbibliographie – ein zur Zeit anlaufendes DFG-Projekt des Lehrstuhls für Romanische Übersetzungswissenschaft der Universität des Saarlandes in Zusammenarbeit mit dem Ibero-Amerikanischen Institut Berlin und der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn – vorgestellt werden, um auf das Vorhaben aufmerksam zu machen und aus der Diskussion Anregungen in Bezug auf die konkreten An forderungen von Romanisten an eine solche Übersetzungsbibliographie in elektronischer Form zu erhalten. Ziel des Projekts ist die Entwicklung einer Infrastruktur, die den Forschern bibliographische Daten aus den kulturellen Bereichen der Romania (Spanisch, Portugiesisch, Französisch, Italienisch) verfügbar machen soll, die im Laufe der Geschichte mittels Übersetzungen im deutschsprachigen Raum rezipiert worden sind. Die Erfassung und Erschließung des romanisch-deutschen Übersetzungsbestandes nichtfiktionaler Texte soll im Rahmen einer in die Virtuelle Fachbibliothek Ibero-Amerika und in die Virtuelle Fachbibliothek Romanistik integrierten elektronischen Bibliographie erfolgen. Diese Einrichtung soll Forschern wertvollen Zugang zu bisher unbekannten oder schwer auffindbaren Daten für linguistische, übersetzungs-, literatur- und kulturwissenschaftliche Untersuchungen ermöglichen. Im geplanten Portal soll dabei die Recherche nach den nichtfiktionalen Texten und Übersetzungen in deren jeweiligem thematischen, textuellen und kulturellen Umfeld ermöglicht werden. Die Berücksichtigung dieses Umfelds soll auch bei der Erschließung der relevanten Daten eine zentrale Rolle spielen und zur Korrektheit und maximalen Vollständigkeit der Erfassung beitragen. 22 Francisco Chico Rico (Alicante) Traducción y educación para la comunicación social: el ejercicio de la traducción en la instrucción retórica Esta ponencia se inscribe en el marco de un proyecto de investigación cuyo propósito general es el de reflexionar sobre la traducción en el seno de la rhetorica recepta, entendida como organización teórica históricamente elaborada y asimilada e incorporada en diferentes momentos de su historia al conocimiento sobre el discurso. Ciertamente, el sistema retórico, por un lado, puede contribuir a la mejor comprensión del acto de traducir y, por otro, puede proporcionar, si no un modelo teórico de la traducción general y literaria, sí una fuente de enriquecimiento teórico y práctico de cualquier modelo, teniendo en cuenta que aquel sistema dispone de un instrumental teórico-metodológico desarrollado durante siglos para la descripción y explicación de la construcción del discurso y de su comunicación. Lo que en esta ponencia me ocupará fundamentalmente serán los debates disciplinares latinos en torno a la traducción y a su importancia para la formación del orador en particular y para la educación para la comunicación social en general. En este contexto abordaré el ejercicio de la traducción en la instrucción retórica, analizando y estudiando la traducción tanto en el marco de la teoría retórica como en el dominio de la teoría gramatical, así como en el seno de las relaciones entre aquél y éste, ya que si la teoría retórica consideró la traducción fundamentalmente como un ejercicio consistente en la composición o redacción de textos, la teoría gramatical la consideró sobre todo como un ejercicio consistente en el comentario de textos o crítica textual – poetarum enarratio o enarratio auctorum. 23 Christian Schmitt (Bonn) Der Global Player und die translatorische Potentialität. Linguistische Bemerkungen zum Vorwurf rassistischer Sprachverwendung gegen Real Madrid Wie sportliche Regeln das Fußballspiel, so bestimmen soziale Normen das Verhalten von Menschen, auch auf internationalem Parkett. Der Global Player, den heutzutage auch der Trainer eines weltweit aktiven Vereins verkörpert, trägt die Verantwortung für sein sprachliches wie soziales Handeln, seine Aussagen bilden Gegenstand von Zitaten, Spielberichten und allgemeinen Informationen in der Presse. Ist er auch (mit-)verantwortlich für Übersetzungen, ja kann es eine Verpflichtung geben, beim sprachlichen Handeln die mögliche Realisierbarkeit der Aussage in Übersetzungen antizipatorisch in Erwägung zu ziehen? Ziel des Vortrags ist es, das heute nicht nur in Spanien, sondern zumindest europaweit diskutierte Prinzip der Verantwortlichkeit für angesichts der Globalisierung der Sprachen naheliegende, erwartbare und grundsätzlich mögliche Übersetzungen kritisch auf der Grundlage tatsächlich geäußerter Texte zu besprechen und eine Antwort auf aktuelle Fragen der politischen Korrektheit zu begründen. Laura Sergo / Gisela Thome (Saarbrücken) Textsortenvergleich als Entscheidungshilfe bei der Übersetzung von Kommentaren aus französischen Printmedien ins Italienische und Deutsche Übersetzungspraktiker wie Übersetzungstheoretiker sind sich weitgehend darüber einig, dass die Findung angemessener zielsprachlicher Lösungen durch den Rückgriff auf die interlinguale Gegenüberstellung von Paralleltextkorpora spürbar erleichtert wird. Gleichwohl muss diese Feststellung so lange als spekulativ gelten, wie es für sie weder einen über singuläre Einzelerfahrungen 24 hinausgehenden wissenschaftlichen Nachweis noch eine Systematik der Berücksichtigung des Textsortenvergleichs im Translationsverfahren gibt. Diesem doppelten Desiderat versucht der Beitrag durch die bewusste Kombination der beiden genannten Vorgehensweisen abzuhelfen. Hierzu wird auf ein aus französischen, italienischen und deutschen Paralleltexten der Subsorte Zeitungs- bzw. Zeitschriftenkommentar bestehendes Korpus zurückgegriffen, das, nach Sprachen getrennt, mit derselben Methode vorab analysiert worden ist. Die dabei ermittelten einzeltextübergreifenden und damit textsortentypischen Merkmale stehen in einer einheitlichen, nämlich ihrer Zugehörigkeit zur semantischen, mikro- bzw. makrostrukturellen oder pragmatischen Ebene folgenden Anordnung nunmehr für die interlinguale Gegenüberstellung bereit. Diese findet analog zu der mit Rücksicht auf den Übersetzungsbezug erfolgten Festlegung der Sprachrichtung statt, nach der Französisch als Ausgangssprache, Italienisch und Deutsch als Zielsprachen bestimmt werden. So werden die französischen zunächst mit den italienischen, dann mit den deutschen Textsortenspezifika auf Konvergenzen wie Divergenzen hin verglichen, die schließlich, nach dem bewährten unilingualen Muster untergliedert, in zwei Auflistungen für die Konsultation durch Übersetzer verfügbar sind. Diese kann je nach der individuellen Arbeitsweise bereits innerhalb der das Translationsgeschehen eröffnenden Analyse der ausgangssprachlichen Vorlage mit der Erfassung der darin enthaltenen Problemstellen punktuell verbunden werden oder aber erst in der übersetzungsprozessualen Übergangsphase, dem sog. Transfer, als systematischer Abgleich erfolgen. Die Vorteile der regelmäßigen Einbeziehung des interlingualen Textsortenvergleichs in die erste Hälfte des Übersetzungsverfahrens als Mittel der Fehlervermeidung und Hilfe bei der Wahl guter Lösungen werden anhand eines Le Monde diplomatique entnom- 25 menen französischen Originals und seiner italienischen und deutschen Version exemplarisch aufgezeigt. Gabriele Blaikner-Hohenwart (Salzburg) Fuzzy edges – wie literarisch können Fachübersetzungen sein (corpusgestützt)? Fuzzy edges bestehen bei Fachübersetzungen in besonderer Weise in kulturell geprägten Fachtexten. Ausgehend von einem pragmatisch-heuristischen Standpunkt, der sich an die Sozialwissenschaften anlehnt, analysiert dieser Beitrag übersetzungsrelevante unscharfe Ränder als konstitutive Elemente von Fachtexten. Hierbei wird „literarischen“ Elementen einerseits eine kulturtragende bzw. auch interkulturelle Rolle zugewiesen, andererseits werden sie als spezifisch für Fachtexte (Weintexte, kunsthistorische Texte) beschrieben. An Hand mehrerer Beispiele wird dargelegt, dass reelle Texte schematisierende Modelle sprengen. Dies impliziert aber, dass die Rolle des Übersetzers aktiv und kreativ ist und seine Leistung a priori nicht planbar, hingegen ist sie strategisch konzipiert. Die abgeleiteten Ergebnisse stützen sich auf zwei konkrete Auftragsarbeiten (Deutsch-Französisch, Französisch-Deutsch). Johann Haller (Saarbrücken) Automatische Termextraktion aus spanischen und deutschen Texten (monolingual und bilingual) Zur Vorbereitung einer Übersetzung von spezialisierten Fachtexten gehört der Aufbau einer Terminologie des entsprechenden Fachgebietes in den beiden betroffenen Sprachen. Diese Arbeiten werden meist nur dann durchgeführt, wenn große Mengen von Texten über eine längere Zeit zu bearbeiten sind; nur dann lohnt sich der erhebliche Aufwand, der bei einer solchen Aktion zu leisten ist. Die Methoden der computerisierten Textanalyse erlauben es heute, 26 die Arbeit des Terminologen wesentlich zu unterstützen; dies gilt insbesondere, wenn bereits größere Mengen übersetzter Texte in dem entsprechenden Fachgebiet vorliegen. Im Vortrag wird das System AUTOTERM beispielhaft vorgestellt, die Zwischenschritte der linguistischen Analyse werden erläutert und die Ergebnisse an einem konkreten Paralleltext (Spanisch-Deutsch) illustriert. Karl Gerhard Hempel (Messina) Zur Übersetzung archäologischer Texte (Deutsch/Italienisch – Italienisch/ Deutsch) Die Klassische Archäologie kann als eine der wenigen Wissenschaften gelten, in denen die Forschungsdiskussion auch heute noch in einer (allerdings überschaubaren) Vielzahl von Sprachen geführt wird, wobei neben Englisch und Französisch aus wissenschaftsgeschichtlichen Gründen besonders das Deutsche und das Italienische eine traditionell wichtige Rolle spielen. Trotz der Mehrsprachigkeit der archäologischen scientific community werden besonders von Texten mittleren bis niedrigen Fachsprachlichkeitsgrades zunehmend Übersetzungen erstellt, sehr häufig auch vom Italienischen ins Deutsche und umgekehrt. Die spezifischen Probleme bei dieser Art von Fachtextübersetzung spielen in der übersetzungswissenschaftlichen Diskussion bisher kaum eine Rolle, da diese sich beim Sprachenpaar Deutsch/Italienisch bisher fast ausschließlich auf den juristischen Bereich konzentriert. Im Vortrag soll zunächst ein kurzer Überblick über die für die Klassische Archäologie typischen Textsorten und eventuelle besondere Charakteristika gegeben werden, durch die diese sich gegenüber anderen Fächern auszeichnen (als spezifisch kann etwa die Materialvorlage in Form von Grabungsberichten gelten). Anschließend soll kurz dargestellt werden, inwieweit sich zwischen deutschen und italienischen Texten Unterschiede schon im Textsortensystem nachweisen lassen, die etwa auf eine unterschiedliche akademische 27 Praxis zurückzuführen sind (z. B. die mehr oder weniger große Bedeutung von Dissertationen). Anhand gezielter Einzeluntersuchungen zu übersetzungsrelevanten Textsorten auf der Grundlage von entsprechenden Textkorpora bzw. case studies soll anschließend untersucht werden, ob sich bei deutschen und italienischen Texten Charakteristika nachweisen lassen, die auf eine unterschiedliche Auffassung von Intertextualität (z. B. in Titelgebung und Zitierweise, Tendenz zu erzählendem oder besprechendem Referieren, explizite oder implizite Kritik) oder auf ein anderes Verhältnis zur scientific community schließen lassen (z. B. Art der Danksagungen), die als Bestandteile eines Nationalstils gelten können. Außerdem sollen Beispiele dafür diskutiert werden, dass in italienischen Texten zur Kenntlichmachung von Hypothesen an Stelle von Heckenausdrücken auf abstrakte Formulierungen zurückgegriffen wird, durch die Schlussfolgerungen auf eine allgemeinere Ebene gezogen werden. Anhand konkreter Beispiele sollen Lösungsmöglichkeiten für die Übersetzungsprobleme gegeben werden, die sich aus den ermittelten Kulturdifferenzen ergeben. Alberto Gil (Saarbrücken) Hermeneutik und Übersetzungskritik: Zu Jorge Luis Borges’ „Pierre Menard, autor del ‘Quijote’“ Im Jahr 1939 publizierte der argentinische Dichter, Philosoph und Kulturkritiker Jorge Luis Borges (1899 – 1986) Pierre Menard, autor del ‘Quijote’, eine Erzählung, die nicht ohne Einfluss auf die spätere wissenschaftliche Erforschung der Literaturübersetzung geblieben ist. Das Kernstück der Geschichte ist folgendes: Pierre Menard, ein französischer Symbolist aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist über einer Arbeit gestorben, die im Grunde dazu verurteilt war, unvollendet zu bleiben: den Quijote von Cervantes neu zu schreiben. Die Manuskriptseiten, die – wie berichtet wird – nach vielen Entwürfen und anstrengender Arbeit fertiggestellt 28 worden waren, sind eine wortwörtliche Wiedergabe des Originals, mit dem Unterschied allerdings, dass Autor und Leser jetzt keine Spanier des Siglo de Oro sind, sondern aufgeklärte Pragmatiker am Anfang des 20. Jahrhunderts. So sind beide Texte zwar gleich, aber nicht dieselben. Diese Erzählung ist in der translationswissenschaftlichen Forschung sehr unterschiedlich ausgelegt worden. Die darin enthaltene Botschaft wirkt sogar so provokativ, dass der Übersetzer als der Anti-Menard bezeichnet wird. Im Grunde geht es um die immer wieder neu formulierten gegensätzlichen Positionen: Anerkennung der Eigenständigkeit des Ausgangstextes mit der entsprechenden übersetzerischen Auseinandersetzung mit ihm oder die Negation des konstitutiven Soseins des Originals und das folgerichtige Verständnis der Übersetzung als reine Neuproduktion. Es gilt aber nun, eine tiefergehende Analyse der Erzählung zu vollziehen, die solche Dissonanzen erklären und gar neue Fragestellungen aufwerfen kann. Im vorliegenden Beitrag wird der Versuch unternommen, Pier re Menard, autor del ‘Quijote’ hermeneutisch zu durchleuchten und diese Erzählung mit anderen Arbeiten von Borges über Fragen der Übersetzung in Zusammenhang zu bringen. Besonderen Wert wird auf sprachliche Fragen gelegt, um eine Hermeneutik der Form und ihre Übersetzungsrelevanz – als Mimesis des Originals – neu zu begründen. Olaf Kramer (Tübingen) „Übersetzer sind als geschäftige Kuppler anzusehen...“. Goethes DiderotÜbersetzungen zwischen rhetorischer Strategie und engagierter Vermittlung Cellini, Voltaire, Diderot – immer wieder hat Goethe sich als Übersetzer romanischer Texte versucht. Seine Produkte stoßen dabei häufig auf Kritik. Jürgen von Stackelberg etwa bemerkt in Anbetracht der zahlreichen Fehler, die Goethes Übersetzung von Diderots Le Neveu de Rameau enthält: „Goethe hätte besser daran getan, jenes Instrument zur Schärfung des Blicks zu verwenden, das er 29 verabscheute: die Brille“. Doch trotz philologischer Fehler sind Goethes Übersetzungen und die von ihm verfassten Kommentare zu Diderots Roman Le Neveu de Rameau und dessen Abhandlung Sur la peinture wirkungsvoll gewesen, weil Goethe nicht immer als neutraler Vermittler, sondern auch als geschickter Stratege auftritt, der Diderot in einer Weise übersetzt, die vor allem an eigenen argumentativen Interessen und dem Ziel einer möglichst weitreichenden Rezeption orientiert ist. Goethe hat die Texte Diderots als Kommentar zu aktuellen ästhetischen und sozialen Fragen verstanden und bei allen Differenzen zu Diderot die argumentative Kraft der Vorlage genutzt, um einen Dialog zu präsentieren, der dem rhetorischen Prinzip einer Argumentation in utramque partem verpflichtet ist. Die auf diese Weise entstehende Zweistimmigkeit verleiht den Übersetzungen einen besonderen Reiz, der jedoch bereits in den zur Polyphonie neigenden Texten Diderots angelegt ist, den Goethe aus diesem Grund mehrfach als „Sophist“ bezeichnet hat. Goethe mag philologische Maßstäbe verfehlen, doch gelingt es ihm durch Übersetzung und Kommentar, seinen Lesern die Relevanz der Texte Diderots zu verdeutlichen und diese im Kontext der ästhetischen Diskussion in Deutschland zu positionieren. Schließlich ist die Malerei-Studie Diderots, die Goethe in den „Propyläen“ veröffentlicht, integrativer Bestandteil der kritischen Aneignung der antiken mimesis-Lehre durch die Weimarer Klassik, und mit der Übersetzung von Le Neveu de Rameau gelingt es Goethe zum Ende der Epoche, die Idee einer autonomen Ästhetik vor dem Hintergrund sozialer und politischer Realität kritisch zu perspektivieren. Christoph Wagner (Saarbrücken) „Ceci n’est pas une pipe“ Bild und Text im intermedialen Transfer bei René Magritte und Alain Robbe-Grillet Die Analyse von intertextuellen und transtextuellen Beziehungen zwischen Texten und Bildern gehört zu den grundlegenden Aufga30 ben einer zur Bildwissenschaft erweiterten Kunstgeschichte in ihren vielfältigen Brückenschlägen zur Literaturwissenschaft: Bilder übersetzen Texte, Bilder stehen in Kon-Texten, die Bilder übersetzen, Bilder werden in Texten rezipiert. Einen Sonderfall bilden Kunstwerke, die in Bild und Text im intermedialen Transfer zu einer übergreifenden ästhetischen Struktur verschmelzen: Das ist zum einen exemplarisch in der Malerei und Kunsttheorie des belgischen Surrealisten René Magritte zu studieren, der in seiner Malerei programmatisch die komplexen und zum Teil prekären Übersetzungs- und Verweisverhältnisse zwischen Bildern und Texten mit visuellen Mitteln thematisierte. Das ist zum anderen in dem 1975 veröffentlichten Roman „La belle captive“ von Alain RobbeGrillet, der auf die visuellen Bild-Text-Konstellationen Magrittes reagierte, indem er seinen Text mit über siebzig Werken Magrittes durchsetzte, zu studieren. In kaleidoskopartig vervielfältigten Brechungen von Bild-Text-Beziehungen entsteht auf diese Weise im intermedialen Transfer ein Spiegelkabinett von Bild-Text-Übersetzungen, dessen Analyse zur methodischen Herausforderung literatur- und kunstwissenschaftlicher Betrachtungen wird und zu Grundfragen der kognitiven Funktion von Bildern und Texten führt. Reiner Arntz (Hildesheim) Romanische Mehrsprachigkeit durch Sprach- und Übersetzungsvergleich – Schwerpunkt Spanisch/Portugiesisch Immer mehr fortgeschrittene Studierende von Übersetzerstudiengängen entscheiden sich dafür, zusätzlich zu ihren – in der Regel zwei – obligatorischen Fremdsprachen eine oder gar mehrere weitere Sprachen zu erlernen; besonders beliebt sind in diesem Zusammenhang die weniger häufig gelernten romanischen Sprachen Italienisch und Portugiesisch. Bei der Vermittlung dieser Sprachen empfiehlt es sich, sowohl die Kenntnisse der Studierenden in ande 31 ren romanischen Sprachen als auch ihr übersetzerisches Wissen zu nutzen. Dies soll am Beispiel des dreisemestrigen Kurses „Kontrastsprache Portugiesisch“ veranschaulicht werden, der an der Universität Hildesheim entwickelt wurde. Die Besonderheit dieses Kurses besteht darin, dass es hier nur eine romanische Bezugssprache gibt, die allerdings in der Kursstruktur eine zentrale Rolle spielt: das Spanische. Daher sind gute Spanischkenntnisse Voraussetzung für die Teilnahme. In dem abschließenden Modul III (übersetzerische Kompetenz) werden portugiesische Sachtexte unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade zu verschiedenen Themenbereichen gelesen, analysiert und ins Deutsche übersetzt. Auch hier spielt der kontrastive Ansatz, d. h. der systematische Vergleich von Sprachstrukturen, eine entschei dende Rolle. Dieser Ansatz wird durch den Vergleich deutsch-spanisch-portugiesischer Paralleltexte und Übersetzungen ergänzt. Wolfgang Pöckl (Innsbruck) Können faux amis durch Übersetzung zu vrais amis werden? Warum Wörter mit gemeinsamem etymologischen Ursprung in verschiedenen Sprachen eine unterschiedliche Bedeutung annehmen, scheint schwer ergründbar zu sein (vgl. dazu z. B. die Überlegungen von Hans-Martin Gauger in Cartagena/Gauger, Verglei chende Grammatik Spanisch – Deutsch, Mannheim/Wien/Zürich 1989, 582). Die Frage ist, ob auch die Umkehrung gilt. Das Faktum als solches, dass nämlich falsche Freunde unter Konvergenzdruck ihre unliebsame Eigenschaft als Sprachfallen verlieren, kommt ja unbestreitbar vor. Besonders interessant sind dabei solche Fälle, wo dieses Zusammenrücken gegenläufig zu üblichen Entwicklungen stattfindet. Ein Beispiel: Maxime Koessler tadelt in Les faux amis des vocabulaires anglais et américain (Paris 1975) die Kollokation délinquance juvénile als „traduction fautive“. Im Petit Robert figuriert ebendiese Wendung 32 (s.v. délinquance) bereits als Musterbeispiel. Während Koessler das frz. Adjektiv noch als „terme affectif généralement pris en bonne part“ einstuft, ist es mittlerweile nach englischem Vorbild zu einem lupenreinen Relationsadjektiv geworden. Nach Jens Lüdtke („Grundzüge der Entwicklung der Relationsadjektive vom Latein zum Romanischen“, 1995) ist diese Entwicklung untypisch, da aus Relationsadjektiven leicht qualifizierende Adjektive werden, nicht jedoch umgekehrt. Barbara Schäfer-Prieß (München) Exonyme im Portugiesischen In diesem Beitrag wird untersucht, in welcher Weise ausländische Ortsnamen im Portugiesischen wiedergegeben werden. Wie in anderen Sprachen kann man grundsätzlich unterscheiden zwischen (relativ) unveränderter Übernahme (z. B. Barcelona), lautlicher und/ oder graphischer Adaptation (z. B. Estrasburgo) und Rückgriff auf historische Formen (z. B. Ratisbona), wobei die Grenzen teilweise fließend sind. Als spezifisch für das Portugiesische erweist sich, dass offenbar bei vielen Exonymen die Vermittlung durch das Spanische oder Französische erfolgte. Weiteres Interesse gilt der möglichen Variation hinsichtlich exonymischer und endonymischer Form (z. B. Tréveris vs. Trier). Ursula Wienen (Saarbrücken) Translatorische Fragen sprachlicher Kontinua Die Forschung auf dem Gebiet der Beziehungen zwischen Sprachvergleich und Übersetzung hat bereits wichtige Impulse zum besseren Verständnis der faux amis, der Bestimmung grammatischer Profile einzelner Sprachen etc. gegeben. Weniger erforscht allerdings ist das Gebiet, auf dem die Grammatik „versagt“, d. h. bei der Beschreibung von sprachlichen Kontinua. Hier sind die lexikalischen und grammatischen Grenzen nur schwer zu bestimmen. 33 Durch Kontinua jedoch wird der Nuancenreichtum einer Sprache sichtbar, denn mit den unscharfen Übergängen sind subtile Ausdrucksmöglichkeiten verbunden. Diese Phänomene werfen ihrerseits besondere translatorische Fragestellungen auf, weil dadurch die unterschiedliche Leistungsfähigkeit verwandter Strukturen in den Mittelpunkt rückt. Translatorischen Fragestellungen sprachlicher Kontinua kommt bei einem Vergleich romanischer Sprachen untereinander besondere Relevanz zu, da das Kontinuum ihrer Strukturen häufig ähnliche Phänotypen aufweist. Klarheit bringt oft die Untersuchung der Übersetzung dieser Textstrukturen ins Deutsche, wo die Ausdrucksmöglichkeiten formal sehr unterschiedlich sind. Im vorliegenden Beitrag soll das Phänomen des Kontinuums anhand von Adverbialen in fokussierter Konstruktion aufgezeigt werden. Michael Schreiber (Köln) Indirekte Sprechakte im Französischen, Italienischen und Deutschen: Textsortenspezifik und Übersetzung Ich möchte anhand einer Reihe von Beispielen illustrieren, wie indirekte Sprechakte im Französischen, Italienischen und Deutschen verwendet werden. Ein Schwerpunkt meiner Ausführungen wird auf textsortenspezifischen Aspekten liegen, d. h. ich möchte zeigen, dass die Produktion und die Rezeption von indirekten Sprechakten in höherem Maße von der jeweiligen Textsorte abhängen, als dies bisher in der Sprechakttheorie angenommen wurde. Hierfür werde ich zwei ganz unterschiedliche Textsorten heranziehen: Bedienungsanleitungen und politische Reden. Ein weiterer Schwerpunkt wird auf Übersetzungsproblemen und Übersetzungsverfahren (Romanisch-Deutsch, Deutsch-Romanisch) liegen. 34 Werner Thielemann (Berlin) Claritas, fidelitas, perspicuitas - Wege und Irrwege der Ars traductionis Der Beitrag stellt das Wirken von Wolfram Wilss zu Ausarbeitung und Fundierung einer Theorie des Übersetzens in den Rahmen der seit etwa 1970 in der DDR und in der Bundesrepublik entwickelten Konzeptionen zur Theorie des Übersetzens, die unter den Fahnenwörtern Übersetzungstheorie, Übersetzungswissenschaft, Translationswissenschaft und Translatologie operierten, und versucht, die Verdienste, die sich Wolfram Wilss um die Disziplin erworben hat, zu würdigen. 35 Sektion 2 Morphologie und romanistische Sprachwissenschaft Leitung: Carmen Kelling / Judith Meinschäfer (Konstanz) / Karin Mutz (Saarbrücken) Programm Montag, 26.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Christoph Schwarze (Konstanz) Règles et analogie dans la formation des mots Jens Lüdtke (Heidelberg) Probleme einer funktionellen romanischen Wortbildungslehre Franz Rainer (Wien) Zur Entstehung der Polysemie von -tor im Romanischen: eine nicht-semantische Lösung Heike Necker (Zürich) Morphologische Modifikation im Italienischen an der Schnittstelle zur Pragmatik Florence Villoing (Paris) / Fiametta Namer (Nancy) Saxifrage et casse-pierre : quelles propriétés distinctives des mots composés VN et NV en français? Françoise Kerleroux (Paris) Sur une classe de Noms abstraits déverbaux construits par conversion Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 36 Trudel Meisenburg (Osnabrück) Französische Konsonantenquantität – ein Fall für die Schnittstelle Phonologie/Morphologie? Nathalie Chasle (Paris) 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Les consonnes latentes en contextes de liaison et de redoublement syntaxique : une analyse unifiée Michela Russo / Joaquím Brandão de Carvalho (Paris) Varianti e distribuzioni erratiche nella diacronia romanza: analogia fonologica o morfologia operativa? Fattori multipli vs. semplici del cambiamento linguistico Sascha Gaglia (Konstanz) Wurzelflexion beim italienischen und kampanischen Verb Francesco Gardani (Wien) Entlehnung von Flexionsmorphemen. Einige Fälle aus dem Romanischen Uwe Schmidt (Saarbrücken) Alteuropäische Morpheme in den romanischen Sprachen Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Georgia Veldre (Münster) Teilungsartikel vs. Nullartikel im aktuellen gesprochenen Italienisch Georg Kaiser (Konstanz) Zur Morphosyntax der klitischen Personalpronomina im Romanischen. Evidenz für eine einheitliche Analyse? Donnerstag, 29.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Livia Gaudino Fallegger (Giessen) Was sind subordinierende Konjunktionen? Rolf Kailuweit (Freiburg) Romanische Morphologie und Role and Reference Grammar 37 Abstracts Christoph Schwarze (Konstanz) Règles et analogie dans la formation des mots Dans une langue donnée, les mots complexes se divisent en deux grandes classes : celle des mots construits (Apothéloz 2002, Fradin 2003) et celle des mots complexes non construits. Les mots construits sont fondés sur un système génératif, qu’on peut décrire sous forme de règles ; celles-ci opèrent sur des segments morphologiques et leurs représentations sémantiques de manière à définir la forme et le sens compositionnel des mots possibles. Bien entendu, le caractère compositionnel des mots construits peut être obscurci par toutes sortes de variations sémantiques, indépendantes du système génératif. Les mots complexes non construits, par contre, sont formés par des procédés non-grammaticaux, dont le plus important est sans doute la formation analogique. Elle est fondée sur une faculté cognitive plus générale que la faculté de langage ; c’est la faculté de reconnaissance et d’imitation de modèles (angl. patterns). La formation analogique se distingue de la formation par règles par le fait qu’elle est liée à des formes individuelles, alors que les règles morphologiques opèrent sur des catégories. Étant donné que la formation analogique ne fait pas partie du système grammatical proprement dit, elle peut produire des mots complexes dont la structure formelle est en contradiction avec le système grammatical. Du point de vue diachronique, un procédé de formation analogique peut se muer en règle morphologique au fur et à mesure qu’il se généralise dans le vocabulaire. Dans ma contribution à la présente Section, j’illustrerai les notions de mot construit et de mot complexe analogique par l’exemple des adjectifs numéraux français et celui des noms italiens du type autostrada (Grossmann/Rainer 2004 :74) ; ensuite, l’aspect diachroni38 que de la dichotomie sera discuté à propos de la négation lexicale par le préfixe in- en français (Apothéloz 2003). Références Apothéloz, Denis. 2002. La construction du lexique français. Principes de morphologie dérivationnelle. Paris: Ophrys. Apothéloz, Denis. 2003. « Le rôle de l’iconicité constructionnelle dans le fonctionnement du préfixe négatif in-». Cahiers de linguistique analogique. 35-63. Fradin, Bernard. 2003. Nouvelles approches en morphologie. Paris : Presses Universitaires de France. Grossmann, Maria e Rainer, Franz (a c. di). 2004. La formazione delle parole in italiano. Tübingen: Niemeyer. Jens Lüdtke (Heidelberg) Probleme einer funktionellen romanischen Wortbildungslehre Nachdem die Ansätze zur romanischen Wortbildungsforschung inzwischen höchst vielfältig geworden sind, darf man sich verstärkt die Frage nach den Forschungsprioritäten in diesem Bereich stellen. Denn es werden doch bisweilen Themen behandelt, deren Voraussetzungen unklar sind. Dies trifft in einem ganz besonderen Maße auf die so genannten Parasynthetika zu. Aus diesem Grunde möchte ich die Frage der Beziehung oder Solidarität zwischen signifiant und signifié in der Wortbildung in meinem Beitrag in den Mittelpunkt rücken und sie am Beispiel der „Parasynthetika“ diskutieren. Es ist für eine Wortbildungsbeschreibung relevant, wie wir die dabei vorkommenden Morpheme einordnen, ob es also Morpheme der Grammatik oder im eigentlich Sinne Wortbildungsmorpheme sind. Für die semantische Seite der Wortbildungsmorpheme müssen wir adäquate Paraphrasen wählen. Allein schon diese Beschreibungselemente sind bei den Parasynthetika nicht selbstverständlich klar. Die Grenzen zwischen grammatischen Morphemen und Wortbildungsmorphemen sowie die Fragen der Semantik in der Wortbildung gehören aus meiner Sicht zu den Prioritäten der Wortbildungslehre. 39 Franz Rainer (Wien) Zur Entstehung der Polysemie von -tor im Romanischen: eine nichtsemantische Lösung Seit Meyer-Lübke wird in (fast) allen Handbüchern des Romanischen die Auffassung vertreten, der instrumentale (und lokativische) Gebrauch der romanischen Nachfolger des noch rein agentivischen lateinischen Suffixes ‑tor sei das Resultat eines metaphorischen Bedeutungswandels gewesen: das Instrument sei gewissermaßen als Agens verlebendigt worden. Eingehende historische Untersuchungen der Geschichte dieses Suffixes in den romanischen Sprachen, vor allem im Spanischen, Italienischen und Französischen, speziell auch auf dialektaler Ebene, haben bei mir Zweifel an dieser allgemein akzeptierten These aufkommen lassen. In meinem Saarbrücker Vortrag werde ich zeigen, warum die traditionelle These nicht stimmen kann und dass die Polysemie dieses Suffixes in Wirklichkeit auf ganz anderen Wegen entstanden ist. Heike Necker (Zürich) Morphologische Modifikation im Italienischen an der Schnittstelle zur Pragmatik In diesem Beitrag wird untersucht, wie die morphologische Modifikation im heutigen Italienischen (es handelt sich v.a. um Diminutiv- und Augmentativsuffixe) eine systematische pragmatische Funktion übernimmt. Es soll gezeigt werden, dass man die pragmatische Funktion der Diminutiv- und Augmentativsuffixe nicht völlig aus einer Situationstypologie erklären kann, wie dies in den Arbeiten von Dressler/Merlini Barbaresi (z.B. 1994) geschieht. Hingegen lässt sich die Funktionsweise der hier behandelten Suffixe an der Schnittstelle zur Pragmatik voll erfassen, wenn man von der Annahme ausgeht, dass die modifizierenden Suffixe auf pragmatischer Ebene eine interaktive Funktion ausüben. Die Suffixe dienen als Signale des Sprechers bezüglich seiner Be40 ziehung zum Gesprächspartner, zum Thema des Gesprächs oder zur Diskurssituation. Sie sind Signale, die Sympathie, eine positive Einstellung bzw. Umgebung herstellen sollen. Sie sind Teil von Verfahren, die für das Gelingen der Interaktion günstige Voraussetzungen schaffen. Die pragmatische Funktion der morphologischen Modifikation lässt sich mittels des Begriffs der Gesichtswahrung im Zusammenspiel mit positiven und negativen Höflichkeitsstrategien (siehe Leech 1989) erfassen. Zudem ist das Funktionieren der Suffixe auf pragmatischer Ebene von der Semantik der Suffixe ableitbar. Alles was im Bereich des Sprechers liegt, kann durch Diminutivsuffixe „klein gemacht“ werden (gemäß der Maxime der Bescheidenheit oder zur eigenen Gesichtswahrung bzw. der Gesichtswahrung des Gesprächspartners), alles was im Bereich des Gesprächspartners liegt, kann durch Augmentativsuffixe „groß gemacht“ werden. Literatur Dressler, Wolfgang U. & Merlini Barbaresi, Lavinia (1994): Morphopragmatics. Di minutives and Intensifiers in Italian, German and Other Languages. Trends in Linguistics. Studies and Monographs 76. Berlin & New York: Mouton de Gruyter. Leech, Geoffrey (1989): The Principles of Pragmatics. London & New York: Longman. Fiametta Namer (Nancy) / Florence Villoing (Paris) Saxifrage et casse-pierre : quelles propriétés distinctives des mots composés VN et NV en français ? 1) Introduction Problématique: Cette communication se donne pour objectif de comparer les contraintes qui portent sur la formation des mots composés du français de structure Verbe-Nom (ouvre-boîteN) par rapport à ceux de structure Nom-Verbe (anthropophageA). Le problème est de déterminer si les mots composés VN et NV sont construits, en français, par deux règles différentes de composition 41 ou, au contraire, s’ils relèvent d’une seule et même règle et se distinguent uniquement par la nature de leurs composants. Background: Traditionnellement, les mots composés de structure VN sont qualifiés de « composés populaires », et ceux de structure NV de « composés savants ». Les « composés populaires » se caractérisent par l’association de deux lexèmes, syntaxiquement autonomes, et selon un ordre XY où X correspond à l’élément recteur et Y à l’élément régi. Les « composés savants », quant à eux, se définissent par l’association de deux lexèmes généralement empruntés au grec ou au latin et syntaxiquement non autonomes, selon un ordre YX. Objectif: Notre recherche est basée sur un corpus d’environ 3000 mots composés VN et 500 mots composés NV que nous étudions en croisant les trois critères (c1) à (c3) : (c1) les propriétés catégorielles et sémantiques des com- posés VN et NV. (c2) le type de procès que dénote V (c3) la relation sémantique entre V et N 2) Mots composés Verbe-Nom (VN) (c1) La composition VN construit principalement des noms et rarement des adjectifs ((papier) tue-moucheA) ; (porte ) coupe-feuA). La plupart des VN nominaux dénotent des artefacts (-animé, concret) (tournevisN) ou des entités +animées (garde-barrièreN), trouble-fêteN. Les autres dénotent des lieux (coupe-gorgeN) ou des événements (lèchevitrineN). (c2) Le type de procès du verbe est fortement contraint : il ne peut qu’être dynamique (?sait-latin). (c3) La nature des participants sémantiques du verbe est également contraint : le N d’un composé VN, en particulier, est typiquement du côté du Proto-Patient ( ?aboie-chien). 3) Mots composés Nom-Verbe (NV) (c1) La composition NV produit majoritairement des adjectifs (ven triloqueA) qui s’emploient indifféremment comme noms (un ventri 42 loqueN). Lorsqu’il est uniquement nom, le NV réfère à une entité +animée (biographeN), à un objet concret (odontoclasteN, oviducteN) ou à un évènement (lipolyseN). (c2) Le verbe décrit un procès qui est soit dynamique (noctambuleA) soit statif. Parmi les procès statifs, on relève majoritairement des V dénotant des relations spatiales (°ducteV, °agogueV = ‘conduire’, °fèreV, °phoreV = ‘porter’) éventuellement métaphoriques, c’est à dire réalisées par des prédicats exprimant un sentiment (°phileV, °maneV = ‘aimer’, °lâtreV = ‘adorer’, °phobeV= ‘craindre, détester’ ) (c3) Lorsque le procès qu’exprime V dans un composé NV est dynamique, N peut remplir différents rôles sémantiques au regard de V : N répond soit aux critères d’un Proto-agent (psychogèneA), soit à ceux d’un Proto-patient (lipolyseN), soit ne répond à aucun des critères prototypiques d’un agent ou d’un patient (ventriloqueA, pleuronecteN, héliotropeA noctambuleA). Lorsque le procès qu’exprime V dans NV est statif et dénote une relation spatiale, N désigne alors principalement la cible (mélanophoreN) ou le site (vasiducteN, car bonifèreA). 4) NV versus VN Les mots composés NV couvrent un spectre beaucoup plus large que les mots composés VN du français, quel que soit le critère examiné : (i) leur appartenance catégorielle correspond quasiment indifféremment à A ou N (tandis que les mots composés VN sont presque exclusivement des noms) ; (ii) de très nombreux V de composés NV désignent des procès statifs de relation spatiale, à la différence des mots composés VN ; (iii) alors que N se situe typiquement du côté du Proto-patient dans les mots composés VN, il remplit davantage de rôles sémantiques dans les composés NV dont le V exprime un procès dynamique ; de même, il peut jouer le rôle de cible ou de site lorsque V est statif. Les résultats de cette étude conduisent à penser que deux règles de composition sont en jeu en français et, en conséquence, font émerger plusieurs questions : pourquoi les composés VN et NV ne 43 sont-ils pas en distribution complémentaire ? Qu’est ce qui explique que la composition VN est si contrainte ? Quelle est l’origine des règles de formation de NV ? Peut-on les considérer comme des règles du français ou des règles empruntées aux langues dont les composants sont originaires (latin, grec) ? Françoise Kerleroux (Paris) Sur une classe de Noms abstraits déverbaux construits par conversion 1. L’hypothèse du thème caché Pour rendre compte de la distribution de suffixes dérivationnels tels que –ion, -eur/-rice ou –if/ive, on a proposé (Bonami, Boyé, Kerleroux, 2004) de voir que les verbes français possèdent un radical (ou thème) distinct qui n’apparaît jamais dans la flexion mais qui est visible dans les lexèmes dérivés tels que dérivat-ion, supplét-if ou résultat-if. L’existence d’un tel radical montre que la morphologie flexionnelle et la morphologie dérivationnelle ont un accès égal à la collection de radicaux ou thèmes d’un lexème : certains radicaux sont utilisés à la fois dans la flexion et dans la dérivation, certains seulement dans la flexion, et certains exclusivement dans la dérivation (cf. Aronoff, 1994). 2. Une conséquence de la reconnaissance, dans l’espace thématique des verbes, d’un radical spécialisé comme base d’opérations de construction, dont la réalisation par défaut est en –at, consiste à identifier : (1) agglomérat, agrégat, alternat, assassinat, attentat, crachat, distillat, éjaculat, exsudat, filtrat, format, habitat, pissat, plagiat, postulat, résultat, troncat, isolat, réduplicat comme des N obtenus par conversion V>N à partir du thème spécial, que certains de ces verbes utilisent pour des dérivations en -eur, - ion, -if: (2) agglomération, agrégation, agrégatif, alternatif, attentatoire, distillation, éjaculation/ éjaculateur, exsudation filtration, formation, formateur, habitation, postulation, résultatif, troncation, isolation. 44 3. En outre, le thème caché suppôt de cette conversion nominale ne se réduit pas à la forme par défaut en –at : on analyse au même titre les convertis déverbaux suivants: verbe N dérivé suffixé N Converti sur Th caché substituer substitut-ion substitut attribuer attribut-ion, attribut-if attribut abstraire abstract-ion abstract requérir réquisit-ion réquisit concevoir conception, concept-eur concept insérer insertion insert 4. On examinera les conséquences de cette hypothèse tant descriptives (on n’inventorie qu’un seul suffixe –at dérivationnel en français, celui de maréchalat, mécénat, califat) que théoriques (on fournit une analyse morphologique des N non-affixés cités en 3., ordinairement répertoriés au seul titre de l’étymologie) et on étudiera les propriétés sémantiques de ces N déverbaux. Références Aronoff, M. 1994, Morphology by itself, The MIT Press. Bonami, O & G. Boyé, 2002, « Suppletion and dependency in inflectional morphology »,in F. Van Eynde, L. Hellan & D. Beerman eds., Proceedings of the HPSG ‘01 Conference, Stanford : CSLI Publications. Bonami O., G. Boyé & F. Kerleroux, 2004, « Stem Selection in Lexeme Formation : Evidence from French”, 11 th International Morphology MeetingVienna. Corbin, D., 1987, Morphologie dérivationnelle et structuration du lexique, Niemeyer. Grimshaw, J. 1990, Argument structure, The MIT Press. Trudel Meisenburg (Osnabrück) Französische Konsonantenquantität – ein Fall für die Schnittstelle Phonologie/Morphologie? Während im Lateinischen sowohl kurze und lange Vokale als auch kurze und lange Konsonanten kontrastierten, kennt unter den großen romanischen Sprachen heute nur noch das Italienische einen phonologischen Längenkontrast: hier können fast alle Konsonanten in intervokalischer Position einfach bzw. kurz oder gelängt bzw. geminiert auftreten; daneben erfolgt konsonantische Längung in 45 bestimmten syntaktischen Konstellationen – als sog. raddoppiamento sintattico. Im Französischen gibt es also keine systematische Quantitätsopposition, vokalische Längung ist als rein phonetische Erscheinung an bestimmte konsonantische Kontexte gebunden, Geminaten sind im französischen Lautsystem nicht vertreten. Dennoch kommen in dieser Sprache durchaus Konstellationen vor, in denen ein Bedeutungsunterschied nur durch den Gegensatz zwischen einfacher und langer Konsonanz bewirkt wird. Ihnen gemeinsam ist im Fall der Langkonsonanz die Morphemgrenze, die durch die Geminate verläuft – wortintern werden so in einigen wenigen Verben Imperfekt- von Konditionalformen differenziert, ansonsten fällt besagte Morphemgrenze phrasenintern mit einer schwachen Wortgrenze zusammen, etwa zwischen Klitika, oft in Verbindung mit SchwaAusfall: (il) courait [ku-E] vs. (il) courrait [ku--E] Stamm-3SgImp Stamm-Kond-3Sg il a dit [il-a-di] vs. Subjklit-AUX-Part il l’a dit [il-l-a-di] Subjklit-Objklit-AUX-Part (il le) frappa [fap-a] vs Stamm-3SgPerf (ça ne me) frappe pas [fap-pa] Verb-Neg Um die phonetische und akustische Realität dieser morphologisch bzw. morphosyntaktisch determinierten Langkonsonanz besser erfassen zu können, wurden sowohl Produktions- als auch Perzeptionsexperimente durchgeführt. In dem Beitrag sollen die Ergebnisse dieser Experimente vorgestellt und mögliche theoretische Konsequenzen für die Schnittstelle zwischen Phonologie und Morphologie diskutiert werden. 46 Nathalie Chasle (Paris) Les consonnes latentes en contextes de liaison et de redoublement syntaxique : une analyse unifiée. Le sujet consiste en une comparaison de deux phénomènes distincts de sandhi externe, celui du redoublement syntaxique en italien (gémination de la consonne initiale de Mot2) et de la liaison en français (prononciation de la consonne finale de Mot1 en position intervocalique). En ce qui concerne le RS, les contextes d’apparition peuvent varier selon les régions, en fonction de deux facteurs. On retrouve en toscan et italo-toscan un redoublement régulier de type accentuel, après polysyllabes oxytons et monosyllabes toniques, mais l’intérêt portera ici sur celui des dialectes centro-méridionaux, qui consiste en un redoublement de type morpho-syntaxique, celui-ci étant déclenché par une liste fermée de morphèmes. Il s’agit principalement de monosyllabes atones, à finale latine consonantique (a<ad, e<et, no<non, che<quid...). Ces consonnes finales auraient laissé une trace et se comportent de la même manière que les consonnes latentes. L’étude de la liaison met alors en évidence un rapport étroit avec le redoublement syntaxique : la liaison se produit systématiquement si Mot1 est un morphème atone; l’analyse diachronique des consonnes de liaison montre un lien certain avec les consonnes finales latines et d’ancien français, anciennement prononcées puis amuïes, ce qui explique leur état de latence actuel. L’analyse des consonnes finales en ancien français révèlera d’ailleurs la présence d’un redoublement syntaxique, se comportant de manière similaire à celui des dialectes centro-méridionaux (o ss’assis, „où s’asseoir“ (<ubi); a ssos pez, „à ses pieds“ (<ad); a ddextris Deu, „à la droite de Dieu“ (<ab), exemples relevés dans „La passion de ClermontFerrand“, fin du Xème siècle. Ce travail propose ainsi d’apporter une explication unitaire de ces deux phénomènes, qui repose sur la présence de consonnes la47 tentes, correspondant à d’anciennes consonnes finales latines. Ces consonnes seront analysées comme des consonnes dissociées phoniquement, c’est-à-dire en tant que morphèmes discontinus. Références Avalle, d’Arco Silvio, La doppia verità. Fenomenologica ecdotica e lingua letteraria del medioevo romanza, Firenze: Galluzzo, 2002. Loporcaro, Michele, L’origine del raddoppiamento fonosintattico. Saggio di fonologia diacronica romanza, Basel und Tübingen : Francke verlag (Romanica Helvetica vol. 115), 1997. Russo, Michela & Giuliani Mariafrancesca, Redoublement syntaxique (RS) et consonnes latentes en latin tardif et médieval: quelques reperes, Actes des JEL 2004, O. Crouzet, H. Darmidache, S. Wauquier (eds.), a.a.i. (JE2220 -acoustique, acquisition, interpretation), UFR Lettres et Langage, Universite de Nantes, p. 109-118, 2004. Sauzet, Patrick, Linéarité et consonnes latentes, Recherches linguistiques de Vincennes, 28, p. 59-86, 1999. Joaquim Brandão de Carvalho / Michela Russo (Paris) Varianti e distribuzioni erratiche nella diacronia romanza: analogia fonologica o morfologia operativa? Fattori multipli vs. semplici del cambiamento linguistico. Nel napoletano medievale e moderno riscontriamo alternanze metafonetiche anetimologiche del tipo concluso m.sing. vs. conclosa f. sing. < lat. Ū (Ferraiolo, sec. XV). Si tratta dell’estensione analogica delle alternanze metafoneticamente regolari che caratterizzano le forme con /e/ e /o/. La serie degli abbassamenti di Ī e Ū appare piuttosto cospicua già in napoletano antico, dove rileviamo prencipe < PRĪNCIPE (HistTroya, sec. XIV) in opposizione metafonetica con principi, mosso ‘muso’ (G.Brancati, libro IX della Storia di Plinio volgarizzata), fiome (Cronaca di Partenope), ecc. L’estensione analogica è innescata dalla funzione morfologica: l’alternanza metafonetica, svincolata dal contesto fonetico, viene generalizzata come segno dell’opposizione di genere e numero. Il fenomeno si allarga anche ad alcuni paradigmi verbali: mese ‘egli mise’, mesese 48 ‘si mise’ (Ferraiolo), ecc. L’apertura è funzionale e serve, ad esempio, già in napoletano antico a distinguere metafoneticamente la Ia pers. del perfetto forte dalla IIIa: desse ‘disse’ (De Rosa, sec. XV). Alternanze metafonetiche anetimologiche si ritrovano anche in altri settori della morfologia nominale e verbale: fosa ‘bagnata’ < INFŪSU (Basile, sec. XVII), marfose f.pl. < cast. marfuz, DCECH, con adeguazione agli agg. in -ŌSUM e inserimento per attrazione nel processo metafonetico. Il suffisso -ŌSUM genera pressioni anche sulla classe sostantivale: pertosa e pertose (Basile, sec. XVII) < PERTŪSU e così via. Il portoghese fornisce altri esempi che permettono di osservare come l’analogia favorisca la crescita dell’allomorfia e che mostrano come la regularità non sia sempre sinonimo di invarianza. Sul modello di fiz ‘feci’ / fez ‘fece’, fui ‘fui’ / foi ‘fu’, pus ‘misi’ / pôs ‘mise’, riscontriamo non di rado sube ‘seppi’, truxe ‘portai’ invece delle forme foneticamente regolari soube e trouxe, omofone alla IIIa pers. del perfetto. Analogamente, la metafonia delle vocali medie, etimologicamente circonscritta agli esiti di Ĕ, Ŏ latine, diventa indipendente da qualsiasi condizionamento fonetico e serve a distinguere il genere e il numero : [E]sta, [E]ssa, [E]la < ĬSTA, ĬPSA, ĬLLA vs. [e]ste, [e]sse, [e]le, anche se Ĭ > [E] è praticamente inesistente tra i sostantivi femminili; il suffisso -ŌSUM, estremamente produttivo in portoghese, è diventato apofonico (> [o]so / [ ]sos / [ ]sa(s)) per la totalità degli aggettivi. In aggiunta, l’analogia sembra essere ancor più favorita dall’interazione delle due marche di genere e numero: nei plurali dei nomi di famiglia, lo stesso suffisso rimane non apofonico in assenza di forme femminili (cf., p. es., Barrosos, Cardosos, Fragosos, Matosos, ecc. con [o]). L’attrazione al meccanismo metafonetico aumenta il grado di complessità del sistema attraverso la produzione di un’elevata allomorfia nei radicali. Tuttavia, i cambiamenti morfologici illustrati determinano all’interno dei paradigmi alternanze che solo da un punto di vista extramorfologico (per esempio fonetico) risultano ‘irregolari’. 49 Il sistema morfo-fonologico resta ben strutturato e la distribuzione dei morfemi interni sembra sottostare al principio della trasparenza morfo-semantica, senza che per questo risulti ridotta la complessità del sistema. Gli esempi illustrati appaiono particolarmente adatti a mettere in dubbio la pertinenza del concetto di livellamento, e a ricercare una spiegazione alternativa agli esempi dati abitualmente come rappresentativi di questo tipo di cambiamento analogico. Referenze Carvalho, Joaquim Brandão de, 2005, L’analogie est-elle un fait fonctionnel ou grammatical ? Corpus 4, p. 101-123. Russo, Michela, 2002, Casi metafonetici aberranti dal napoletano antico al napoletano moderno, Miscellanea in honorem Max Pfister septuagenarii oblata, Johannes Kramer / Günter Holtus ed., Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, p. 385-405. Fanciullo, Franco, 1994, Morfo-metafonia, Miscellanea di studi linguistici in onore di Walter Belardi, vol. II, Roma: Il Calamo, p. 571-592. Sascha Gaglia (Konstanz) Wurzelflexion beim italienischen und kampanischen Verb Das italienische Verb flektiert mit Hilfe von Flexionssuffixen nach Tempus, Modus, Person und Numerus (1a). Auch die Stammerweiterung kann innerhalb ihres Kontextes Informationen über die jeweilige Flexionskategorie weitergeben (1b): (1) a. ‘mett-i b. met‘t-e-ss-ero ‘stellen’- 2Sg Pres. Ind. ‘stellen’-TV- Cong. Imp.- 3Pl Aufgrund von Palatalisierung, Diphthongierung, velarer Insertion und der Suppletion von Verbstämmen zeigt die Distribution von Wurzeln bzw. Stämmen im Paradigma einen hohen Grad an Variabilität. Darüber hinaus sind Dialekte, die über Metaphonie (2) bzw. eine Neutralisierung vortoniger Vokale (3) verfügen, Belege dafür, dass neben den Suffixen und Stammerweiterungen des Verbs auch seine Wurzel zur Flexion beiträgt. 50 (2) a. ‘mett-u b. ‘mitt-i ‚stellen’- 1Sg Pres. Ind. ‘stellen’- 2Sg Pres. Ind. (3) mEt‘ti-mmu ‘stellen’-1Pl Pres. Ind. Auf der Grundlage des paradigmatischen Ansatzes Pirrellis (2000) und Pirrellis & Battistas (2000) wird eine Analyse italienischer und kampanischer Daten unternommen, die eine hohe Systematizität der Wurzelflexion belegen soll. Die kampanischen Daten stammen aus dem Dialekt von Piedimonte Matese (Caserta). Eine Untersuchung metaphonischer Daten wurde für diesen Dialekt noch nicht unternommen. Der untersuchte Dialekt unterscheidet sich gegenüber dem Italienischen hinsichtlich seiner Regelmäßigkeit bezüglich der Metaphonie. Auf dieser Grundlage wird zudem die Frage gestellt, ob Wurzelalternanzen akzentsensitiv sind und wie die genaue Rollenverteilung von Morphologie und Phonologie bezüglich der Metaphonie zu repräsentieren ist. Literatur Maiden, M. (1991): Interactive Morphonology. Metaphony in Italy. London, New York: Routledge. Pirrelli, V. (2000): Paradigmi in morfologia. Un approccio interdisciplinare alla flessione verbale dell’italiano. Pisa, Roma: Istituti editoriali e poligrafici internazionali. Pirrelli, V. & Battista, M. (2000): On the interaction of paradigmatic and syntagmatic stem alternation in Italian conjugation, in: Acta Linguistica Hungarica, 47 (1-4): 289-314. Francesco Gardani (Wien) Entlehnung von Flexionsmorphemen. Einige Fälle aus dem Romanischen Dieser Beitrag widmet sich einem besonders schwierigen und von Vorurteilen behafteten Bereich der Theorie der diachronen Linguistik (Teilgebiet Sprachkontaktforschung). Hier herrscht seit langem die Anschauung, dass flexionelle Morpheme nicht entlehnt werden können. Dies behauptete z.B. Antoine Meillet: „il n’y a pas 51 d’exemple qu’une flexion comme celle de j’aimais, nous aimions ait passé d’une langue à une autre” (1921:87). Zwar wurden im Laufe der Zeit einige Ausnahmen bekannt (cf. Weinreich 1953), doch ist meine im Jahre 2002 verfasste Magisterarbeit (Gardani 2002) die erste systematische Darstellung des Phänomens. Ich beschränke die flexionsmorphologische Entlehnung auf Fälle, in denen Flexionsmorpheme an native Wörter der Nehmersprache angefügt werden. Die empirischen Daten, die in diesem Beitrag behandelt werden, stammen aus dem balkanischen Sprachbund und betreffen insofern den romanischen Bereich, als es sich um vier Fälle von flexionsmorphologischer Entlehnung handelt, in denen das Südslawische und das Griechische als Gebersprache auf die Nehmersprache Rumänisch (und dessen Varietäten) gewirkt haben. Anhand eines Katalogs von sprachsysteminternen und sprachsystemexternen Kriterien werde ich auf relevante Fragen der Theorie der diachronen und synchronen Morphologie eingehen, z.B. welche Faktoren in der Entlehnung flexioneller Elemente Einfluss haben können oder welche Kategorien (insbesondere auf die Frage, ob sie contextual oder inherent inflection zuzuordnen sind) am häufigsten entlehnt werden. Der Blickwinkel der diachronen Morphologie, der Kontaktforschung und speziell der sehr selten vorkommenden flexionsmorphologischen Entlehnung ermöglichen es, die Theorie der Morphologie aus einer neuartigen Perspektive zu beleuchten und auf höchstinteressante und erhellende Feststellungen zu gelangen. Literatur Gardani, Francesco. 2002. Borrowing of Inflectional Morphemes in Language Contact. Wien. Magisterarbeit (submitted to press). Meillet, Antoine. 1921. Linguistique historique et linguistique générale. Paris: Champion. Weinreich, Uriel. 1953. Languages in Contact. Findings and Problems. Publications of the Linguistic Circle of New York. New York. (third printing 1964, The Hague: Mouton & Co.) 52 Uwe Schmidt (Saarbrücken) Alteuropäische Morpheme in den romanischen Sprachen Das Thema des 29. Romanistentages lautet „Europa und die romanische Welt“. Wenn auch die romanischen Sprachen hauptsächlich als Tochtersprachen des Lateinischen zu gelten haben, finden sich in ihnen dennoch noch viele Spuren der Sprachen der von den Römern eroberten Völker (in Oberitalien und Frankreich der Ligurer und der Gallier, in Spanien der Keltiberer und der Iberer, in Rumänien der Daker). Dies betrifft nicht nur Syntax und Aussprache, sondern auch den morphematischen, ja sogar den lexematischen Bereich. So scheinen gerade die alteuropäischen Substratmorpheme in den Augen Anderssprachiger den romanischen Sprachen ihren ureigenen, unverwechselbaren Charakter zu verleihen, wie folgende Auswahl zeigen möge: ob von La Mor-en-ita, Chiqu-ita-Bananen, Em-bar-gos der lothringischen Min-ette oder dem Preis für das Barr-el Rohöl die Rede ist (oft keine Pet-it-esse), dem französischen Telekommunikationsanbieter Bouygues oder anderen Wirtschafts-branchen oder von Boud-oirs des Bar-ock oder des Roc-oc-o, von Los Álamos, den Galáp-agosinseln oder Cogn-ac (gall. *Conn-iācon ‚*Weisen-heim’), biz-arren Felsformationen oder born-ierten Einstellungen, der Bris-anz der aktuellen Lage, man bewegt sich offensichtlich mit einem Bein immer auf vorromanischem Park-ett. Ein zweites interessantes Phänomen ist der hohe Prozentsatz vorromanischer Formanten und Lexeme im Argot (das vielleicht selbst ein vorromanisches Wort ist): Bildungen wie bout-anche, bel le-d-oche, chin-et-oque, amer-l-oque, bourr-ich-on, nu-n-uche beweisen die ungebrochene Vitalität dieser nichtlateinischen oder vom Lateinischen aufgenommenen Morpheme bis in unsere Zeit hinein – und zeigen einmal mehr, dass erst die alten gallischen Suffixe dem Argotvokabular den gewünschten Affektwert vermitteln (allerdings neben genauso beliebten arabischen und germanischen). Ob in biz-ut-age dasselbe -ūtt--Suffix wie in Friaul nimiS-út ‚aus Nimis’ und Aostatal senvenšenùt ‚aus San Vincenzo’ (PELLEGRINI 1990:423) 53 steckt, wäre zu untersuchen. Auch die spanische jerga bedient sich gerne alteinheimisch-rustikaler Suffixe, um einen gewissen Verfremdungseffekt zu erzielen bzw. der Basis eine derbere Note zu verleihen: natur-aca ‚klaro’ oder pel-and—usca. Viele dieser vorromanischen Suffixe sind auch keineswegs auf eine romanische Standardsprache limitiert, sondern umfassen über die Grenzen der Überdachungssprachen hinaus teilweise die gesamte Romania (allerdings meist ohne Rumänien). Es ist wohl keine Übertreibung zu sagen, dass wir mit Hilfe dieser morphematischen Fossile einen kleinen Einblick in die alteuropäische Geschichte gewinnen können, denn allein schon ihre Masse in ausnahmslos allen romanischen Sprachen zeigt, dass die römische Sprache nie alle Spuren der überlagerten Sprachgemeinschaften verwischen konnte. Aus der Streuung der einzelnen Morpheme können sicherlich auch Rückschlüsse auf die geographische Verbreitung der Substratsprachen gezogen werden. Nützliche Dienste dürfte eine strukturalistische Morphem- und Wortbildungsanalyse bei der Etymologisierung zahlreicher bisher unklarer Teile des französischen, spanischen und italienischen Wortschatzes leisten, der gerade in diesem Bereich erstaunlich viele Gemeinsamkeiten aufweist. Als Beispiel für eine panromanische lexematische Familie kann man etwa *buni- ‚konkav/konvex’ (LEI:*buni-) anführen: Languedoc bougno ‚Baumstamm’ (= *bŭnia), Sardinien bugnu ‚Bienenstock im Baumstamm’, altfrz. bu(i)gne ‚Beule’, Paris beigne ‚Watsch’n’ (< ‚*Schwellung’, der Lautstand entspricht demjenigen der Normandie, des Loiret oder der Ardennen; Aostatal bouëgno ‚Ohr’), Mailand bügn ‚Pickel’, katalan. bony ‚Beule’, vergl. frz. beignet ‚Fladen, Kuchen’ mit Tortosa bunya ‚Kuhfladen’, Limoges bounhi ‚Fastnachtsküchelchen, Krapfen’, katal. bunyòl und span. buñuelo, Salamanca briñuelo und Murcia biñuelo (= span. buñuelo) aber auch ital. bugna ‚Bossenwerk, Rustikaquader’; entlehnt mittelengl. bunne ‚Backwerk’ = engl. bun. 54 Literatur Baldinger, K.: Etymologien, Untersuchungen zu FEW 21-23, Tübingen 19882003 Borghi, G.: Considerazioni lessicali sopra l’indoeuropeizzazione della Gallia, Mailand 1997 Delamarre, X.: Dictionnaire de la langue gauloise, Une approche linguistique du vieux-celtique continental, Paris 20032 Grzega, J.: Romania Gallica Cisalpina, Tübingen 2001 Hasselrot, B.: L’origine des suffixes romans en -tt- in Studia neophilologica 16 (1943f.) Hubschmid, J.: Die asko-/usko-Suffixe und das Problem des Ligurischen, Paris 1969 LEI: siehe Pfister/Schweickard 1979ff. Pellegrini, G. B.: Toponomastica italiana, Mailand 1990 Pfister, M. & Schweickard, W.: Lessico Etimologico Italiano, Wiesbaden 1979ff. Rolhfs, G.: Historische Grammatik der italienischen Sprache und ihrer Mundarten, Bern 1949 Rohlfs, G.: Antroponimia e Toponomastica nelle lingue neolatine, Tübingen 1985 Georgia Veldre (Münster) ‘... condito con della soia, olio e sale.’ Teilungsartikel vs. Nullartikel im aktuellen gesprochenen Italienisch Mein Beitrag hat das Ziel, den Gebrauch des sog. Teilungsartikels in Konkurrenz zum Nullartikel im aktuellen gesprochenen Italienisch unterschiedlicher Regionen zu beleuchten. Der Gebrauch des Teilungsartikels im Italienischen unterliegt, abgesehen von einigen lexikalisierten Ausdrücken, recht großen Schwankungen. Dies gilt besonders für das gesprochene Italienisch, das normativen Vorgaben weniger folgt als die Schriftsprache und auch dialektalen Einflüssen unterliegt. Die wenigen bisherigen Untersuchungen zu diesem Thema ergaben, daß sich keine eindeutigen linguistischen Kriterien finden lassen, denen der Sprecher in seiner Wahl zwischen Partitiv und Nullartikel folgt. Der Faktor ‘regionale Varianz’, d.h. die generelle Abnahme des Teilungsartikels zugunsten des Nullar55 tikels nach Süden hin, wird dabei eher implizit vorausgesetzt, ohne selbst Gegenstand der Untersuchung zu sein. Um die Rolle dieses Faktors für den Gebrauch des Teilungsartikels in der aktuellen gesprochenen Sprache genauer zu erfassen und von möglichen anderen Faktoren abzugrenzen, wurde ein Korpus aus Videosequenzen der TV-Sendung ‘La prova del cuoco’ (RAI 1) vom Anfang 2005 erstellt. Es enthält Äußerungen von ca. 40 nicht-professionellen Sprechern mit jeweils bekannter regionaler Herkunft. Die Äußerungen der Sprecher sind von ähnlicher Struktur und thematisch recht homogen (Erläuterungen zur Zubereitung von Gerichten). Die infragestehenden Typen von NPs (z.B. del/Ø pane; dei/Ø panini) treten daher erwartungsgemäß in hoher Frequenz auf. Die Analyse des Korpus folgt der Hypothese, dass in Verwendungsbereichen mit geringen regionalen Unterschieden mögliche linguistische Faktoren, über den regulierenden Einfluß der Norm hinaus, klarer hervortreten. Georg A. Kaiser (Konstanz) Zur Morphosyntax der klitischen Personalpronomina im Romanischen. Evidenz für eine einheitliche Analyse? Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den morphosyntaktischen Unterschieden zwischen pro- und enklitischen Personalpronomina in den romanischen Sprachen. In morphologischer Hinsicht weisen insbesondere die enklitischen Pronomina typische Eigenschaften von Affixen auf. Sie können morphophonologische Veränderungen am Verb hervorrufen, an das sie gebunden sind. Außerdem können sie niemals durch ein nicht-klitisches Element vom Verb getrennt stehen oder in Koordinationsstrukturen ausgelassen werden. Proklitische Pronomina hingegen können bzw. müssen häufig in Koordinationsstrukturen ausgelassen werden und können – u.a. im Portugiesischen – in bestimmten Fällen vom Verb durch nichtklitische Elemente getrennt werden. In der geschriebenen Sprache werden enklitische Pronomina entweder mit einem Bindestrich 56 oder durch Zusammenschreibung mit dem Verb verbunden, proklitische Pronomina hingegen sind stets durch Spatien vom Verb getrennt. In syntaktischer Hinsicht sind es jedoch vor allem die proklitischen Pronomina, die sich eher wie Affixe verhalten. Sie sind es, die bevorzugt in Klitikverdoppelungskonstruktionen auftreten. Die häufige, teilweise obligatorische Verwendung dieser Konstruktionen in einigen romanischen Sprachen wird als Evidenz für eine Affixanalyse der klitischen Pronomina angesehen. Enklitische Pronomina scheinen in solchen Konstruktionen hingegen eher vermieden zu werden. Die Frage, der in meinem Beitrag nachgegangen werden soll, lautet daher, inwiefern es gerechtfertigt ist, trotz dieser Unterschiede pro- und enklitische Pronomina einheitlich als Kongruenzaffixe zu analysieren. Livia Gaudino Fallegger (Gießen) „Was sind subordinierende Konjunktionen?“ Formen wie para que, aunque, a pesar de que etc. werden in der heutigen Linguistik wie folgt behandelt: Im Einklang mit der lateinischen Grammatiktradition werden sie als subordinierende Konjunktionen erfasst, eine pars orationis, zu der auch ‘dass’/que oder etwa ‘ob’/si gerechnet werden, und deren Funktion darin besteht, einen Satz in einen anderen zu integrieren. Im Rahmen der generativen Syntax wird ‘dass’/que (manchmal auch ‘ob’/si) als Komplementierer erfasst. Die restlichen Formen werden als Verbindungen des Komplementierers mit weiteren Lexemen interpretiert. Außerdem werden Formen wie para que, por que, aunque etc. als Bestandteil einer abstrakten Kategorie ‘P’ verstanden, denn sie würden genauso wie die Präpositionen dem subkategorisierten Konnex eine thematische Rolle zuweisen: 1. Aunque lo compres, se lo digo a Juan (CONCESSIO) 2. Para que lo compres, se lo digo a Juan (FINIS). In meinem Vortrag werde ich folgende Thesen vertreten: Entgegen der allgemein gültigen Auffassung besteht die Hauptfunktion 57 von que, para que, aunque, porque etc. nicht in der Einbettung eines Satzes in einen anderen. Diese Formen dienen vielmehr dazu, Sätze in Klauseln zu verwandeln, d.h. in Prädikationen, die über keinen autonomen Wahrheitswert verfügen können. Nur über son las ocho, nicht jedoch über aunque son las ocho lässt sich nämlich sagen (oder denken), ‘ja, es stimmt’, ‘nein, es stimmt nicht’ oder ‘ich weiß nicht’. Zu den Lexemen, die zur Bildung der Konjunktionen beitragen, lassen sich auch Formen wie Adverbien oder Nomina zählen, die in der Regel keine thematische Rolle vergeben. Außerdem sind Formen wie para que oder etwa por que derart lexikalisiert, dass por und para weder morphologisch noch semantisch als autonome präpositionale Bestandteile analysiert werden können. Diese Beobachtungen lassen die Annahme bezweifeln, Konjunktionen und Präpositionen würden einer gemeinsamen abstrakten Kategorie ‘P’ angehören. Nicht jede Konjunktion braucht, um eine solche zu sein, den Komplementierer que als Formativ; man denke etwa an das kausale como oder an mientras und cuando. Es fragt sich daher, inwiefern es sinnvoll ist, dem Komplementierer que eine übergeordnete Rolle bei der Bildung von Konjunktionen zuzuschreiben. Rolf Kailuweit (Freiburg) Romanische Morphologie und Role and Reference Grammar Die Besonderheit der Morphologiekomponente der RRG besteht darin, dass Operatoren grammatischer Bedeutung strikt von Konstituenten referenzieller Bedeutung (Verben, Substantiven und prädikativen Präpositionen) getrennt werden. In jüngster Zeit sind im Rahmen der RRG einige Studien zur Morphologie erarbeitet worden, die insbesondere die Beschreibung der Verbalperiphrasen (Operatorenprojektion) und der Klitika (Konstituentenprojektion) betreffen und auch und gerade auf romanischem Sprachmaterial basieren. Ziel des Beitrages ist es, diese Arbeiten in einer kritischen 58 Zusammenschau vorzustellen, ihre Stellung innerhalb des Theoriegebäudes zu bewerten und die Ergebnisse mit denjenigen traditioneller Ansätze zu vergleichen. Literatur Belloro, Valeria (2004): A Role and Reference Grammar Account of Third-Person Clitic Clusters in Spanish. Ms. University of Buffalo. François , Jacques (2004): Clusters of non-predicative verbs and their description in RRG, paper presented at the workshop „Romance Languages in RRG”, University of Aachen, Saturday, June 26th. 2004. Klingler, Dominique (2004): The syntactic-semantic relation of some French infinitival constructions: An rrg perspective. http://linguistics.buffalo.edu/research/rrg/RRG2004-Book-of-Proceedings.pdf. 59 Sektion 3 Potenziale linguistischer Diversität in der Romania Leitung: Martin Döring (Nottingham/Hamburg), Dietmar Osthus, Claudia Polzin-Haumann (Bonn) Programm Montag, 26.09.05 8.50 Uhr 9.00 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Thematische Einführung durch die Sektionsleiter Carsten Sinner (Berlin) Spanglish, Portuñol & Co. – kreolisierte Modalitäten, Mischsprachen, Hybride, Kontaktvarietäten oder Interlekte? Zu einem Problem nicht nur auf terminologischer Ebene Uwe Dietzel (Pau) Zu Sprachkontakt und Sprachmischung in Metropolen – das Beispiel Montreal Marietta Calderón (Salzburg) Sprachliche Hybridisierung in diskursiven Identitätskonstruktionen am Beispiel Franbreu Christina Ossenkop (Gießen) „.. me dizem que semos espanholes mas na fala não“ - Beobachtungen zu Spracheinstellungen und Sprachbewusstsein im spanisch-portugiesischen Grenzgebiet Judith Visser (Bonn) Sprachbereicherung oder Sprachverarmung, diversité oder uniformité? Zu fremdsprachlichen Elementen in der romanischen Werbesprache Christiane Wirth (Bonn) Sandwiches oder sandwichs? – Probleme der Pluralmorphologie von Anglizismen im Französischen und Spanischen 61 Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Stefan Tröster-Mutz (Saarbrücken) Der Konflikt zwischen Dialektvielfalt und Einheitssprache beim Erhalt von Minderheitensprachen Josep Maria Betrán (Hamburg) Minderheitensprachen: Mittel- und Zeitverschwendung? Eva Vetter (Wien) Komponenten virtueller bretonischer Identität Martin Döring (Nottingham/Hamburg) Virtuelle Identitäten? Die Webpräsenz der okzitanischen Sprachminderheit in Frankreich Uta Helfrich (Göttingen) Sprachbewertungstraditionen, Identität und Sprachenpolitik: Die Diskussion um die Charte européen ne des langues régionales et minoritaires in Frankreich Éva Feig (Bonn) Das Guanche in der traditionellen und volkstümlichen Musik der Kanaren: expressiver Marker zur Kennzeichnung von Alterität und strategisches Mittel zum Ausbau der kanarischen Identität Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Annette Gerstenberg (Bochum) Zur Klassifizierbarkeit französischer Privatwerbung im Internet nach sprachlichen Merkmalen Sebastian Proft (Passau) Argentinisches Spanisch – Eine empirische Untersuchung zu Lexik und Phonie Donnerstag, 29.09.05 9.00 Uhr 62 Christina Becker (Bonn) 9.45 Uhr convivencia ist nicht gleich convivencia. Zur sprachlichen Diversität in der Politik Henrike Amian (Bonn) Internetkommunikation und ihr Potenzial für sprachliche Diversität Abstracts Carsten Sinner (Berlin) Spanglish, Portuñol & Co. – kreolisierte Modalitäten, Mischsprachen, Hybride, Kontaktvarietäten – oder Interlekte? Zu einem Problem nicht nur auf terminologischer Ebene In der Geschichte des Studiums von Sprachkontakten ist immer wieder die Existenz von Mischsprachen als Ergebnis des Zusammenlebens bzw. Aufeinandertreffens zweier oder mehrerer Sprachen postuliert (und debattiert) worden. So gab und gibt es Autoren, die von der Existenz von Mischsprachen als Zwischenstadium oder Schnittpunkt zwischen zwei oder mehreren Sprachen ausgehen, ohne dabei darzulegen, welche Unterscheidung zu Kreolsprachen zu machen ist. Darüber hinaus ist die angenommene Existenz von Mischsprachen auch als Beweis dafür angeführt worden, dass sprachlicher Interferenz keine Grenzen gesetzt sind. Die These von der Existenz von Mischsprachen ist immer wieder kritisiert worden, da die Existenz von Sprachmischung zum einen in der Regel mit Beispielen besonders ungebildeter Sprecher „belegt“ wird, deren Performanz im Grunde auch als pathologisch aufgefasst werden könne, man andererseits die vermeintlichen Mischsprachen aufgrund fehlender Stabilität (und nicht belegbarer Nativisierung) allenfalls als Ideolekte, nicht aber als Sprache aufzufassen bereit war. Die Vermischung von sprachwissenschaftlicher Terminologie und allgemeinsprachlichen Namen für Lernervarietäten und die durch Ausgleichsformen bzw. Ad-hoc-Formen charakterisierte Kommunikation vornehmlich zwischen Sprechern 63 verwandter Sprachen hat zudem in der jüngeren Vergangenheit zu einer gewissen Verwirrung hinsichtlich des Status von beispielsweise Portuñol oder Spanglish als Mischsprachen geführt. In meinem Beitrag möchte ich mich mit der Entwicklung von Bezeichnungen für die in Spracherwerbs- und Sprachkontaktsituationen verwendeten oder zumindest postulierten Varietäten geben und einige der in der jüngeren Vergangenheit besonders umstrittenen Fälle vermeintlicher Mischsprachen genauer analysieren. Beispielsweise begründen Verfechter der Existenz von Spanglish als Sprache ihre Positionen mit seiner Funktion zum Ausdruck einer hybriden Identität, mit dem Umstand, dass es viele Sprecher habe und dass es ja – durch Ilan Stavans – nun sogar verschriftet werde. Damit werde es sogar den Anforderungen an eine Sprache eher gerecht als andere Varietäten, über die seitens der Sprachwissenschaft keine Zweifel hinsichtlich ihres Status als Sprache bestehen. Laienlinguistik und Massenmedien tun das ihre dazu, den Mythos auszubauen und den Glauben an die Geburt einer neuen Sprache zu verbreiten und zu vermarkten. Uwe Dietzel (Pau) Zu Sprachkontakt und Sprachmischung in Metropolen – das Beispiel Montreal Großstädte bilden in der Regel ein ideales Sammelbecken für Menschen verschiedener Nationalitäten. Liegen diese Städte dann noch – wie Montreal, auf das beides zutrifft – in der Nähe einer Landesgrenze (USA) oder/und des Meeres (Atlantik), so ist ihre Anziehungskraft meist noch größer und es kann beobachtet werden, wie sich im Laufe der Jahre in verschiedenen Stadtbezirken Ansiedlungen von Zuwanderern einer bestimmten Nationalität bilden. Jede dieser Gruppen, die für die interne Kommunikation meist die Muttersprache beibehält, steht in sozialen Beziehungen zu den anderen Bewohnern der Stadt und muss daher notwendigerweise mit ihnen 64 in kommunikativen Austausch treten. Die dabei genutzte Sprache ist oft – aber nicht ausnahmslos – die Landessprache. In Montreal stünden damit formal zunächst erst einmal zwei Sprachen – das Französische und das Englische – zur Verfügung, die nachweislich auch beide im Alltag anzutreffen sind. Danach zu fragen, wer wann und unter welchen Umständen mit wem in welcher Sprache kommuniziert, wirft eine Vielzahl interessanter Probleme auf. Der Vortrag wird versuchen, auf einige dieser Fragen eine Antwort zu geben. Marietta Calderón (Salzburg) Sprachliche Hybridisierung in diskursiven Identitätskonstruktionen am Beispiel Franbreu Nach Israel eingewanderte Frankophone nützen verschiedene sprachliche Instrumente zur Konstruktion ihrer nunmehrigen Identitäten in der israelischen Gesellschaft und außerhalb derselben. Die romanische Hybridvarietät Franbreu (vgl. Ben-Rafael 2002:79ff., Calderón in Druck) ist ein Ergebnis ihrer diskursiven Entscheidungen. Bei der Untersuchung des Franbreu als identitäres Gestaltungselement sind von Relevanz: - SprecherInnen (und SchreiberInnen) des Franbreu - seine strukturelle Abgrenzung von einem Basiscode Französisch mit hebräischen Elementen - Parallelphänomene in anderen vergleichbaren Hybridvarietäten, insbesondere Hebrish (vgl. besonders Maschler 1998:125ff.) - diskursive Funktionen des Franbreu - metakommunikativ vermittelte Einstellungen zum Franbreu - Alternativen zum Franbreu. Für die Präsentation des Vortrags sind von den InformantInnen freigegebene Hörbeispiele zum Franbreu vorgesehen. 65 Christina Ossenkop (Gießen) ... me dizem que semos espanholes mas na fala não” Beobachtungen zu Spracheinstellungen und Sprachbewusstsein im spanisch-portugiesischen Grenzgebiet Eine der vier portugiesisch-spanischen Kontaktzonen in der spanischen Region Extremadura erstreckt sich entlang der Staatsgrenze von Cedillo, am linken Ufer des Tajo gelegen, über Valencia de Alcántara in der Provinz Cáceres bis La Codosera im Norden der Provinz Badajoz. Sie besteht aus den drei genannten Hauptorten nebst verschiedenen kleineren Weilern, die z.T. direkt an der Grenze zu Portugal gelegen sind. Sowohl in Cedillo als auch in den Grenzweilern der Gemeinden Valencia de Alcántara und La Codosera wurden bis etwa Mitte des 20. Jahrhunderts fast ausschließlich portugiesische Varietäten gesprochen. Der sozio-ökonomische Wandel, der die Gegend erfasste, insbesondere Faktoren wie die temporäre und dauerhafte Emigration großer Teile der Bevölkerung, die Einführung der Schulpflicht, die Verbesserung der Verkehrsanbindung an die benachbarten spanischen Orte sowie der Zugang zu Massenmedien, führten zu einer zunehmenden Überdachung des Portugiesischen durch die spanische Standardsprache. Die Koexistenz beider Sprachen manifestiert sich auf linguistischer Ebene in Form von spanischen Interferenzen in der lokalen portugiesischen Varietät. Auf soziolinguistischer Ebene lässt sich eine Zunahme an bilingualen Sprechern und seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts auch an monolingualen Spanischsprechern feststellen, so dass der Gebrauch des Portugiesischen stetig abnimmt und aufgrund der fehlenden Weitergabe an die nachfolgende Generation das Aussterben dieser Varietät in der Region prognostiziert werden kann. In diesem Beitrag soll den Spracheinstellungen nachgegangen werden, die in Zusammenhang mit dem Rückgang des Portugiesischen in der Sprachkontaktzone zwischen Cedillo und La Codosera stehen. Darüber hinaus werden Sprachbewusstsein sowie das 66 Verhältnis zwischen nationaler und sprachlicher Identität der portugiesischsprachigen Bevölkerung untersucht, da beide Faktoren u.E. neben den Spracheinstellungen Schlüsselpositionen für den Prozess der Sprachaufgabe einnehmen. Judith Visser (Bonn) Sprachbereicherung oder Sprachverarmung, diversité oder uniformité? Zu fremdsprachlichen Elementen in der romanischen Werbesprache Besonders in der Romania kann die Klage über eine vermeintliche ‘Überfremdung’ der Sprache auf eine lange Tradition zurückblicken. Waren es in den letzten Jahrhunderten u.a. das Italienische und Französische, die bei ihren Nachbarn immer wieder auf Ablehnung stießen, richten sich die Vorbehalte heute, im Zeitalter der Internationalisierung, in erster Linie gegen das Angloamerikanische. Der zu beobachtende Einfluss des Englischen wird mit unterschiedlich intensiver Sorge zur Kenntnis genommen; teilweise fühlen sich Politiker gar bemüßigt, Maßnahmen zum Schutz ihrer Nationalsprache zu ergreifen. Die Verantwortlichen argumentieren dabei mit eher abstrakten Parametern wie ‘Identität’ und ‘Kultur’, aber auch mit konkreten Problemen wie dem Verbraucherschutz. ‘Fremdsprachlicher (englischer) Einfluss’ wird i.d.R. mit ‘Unverständlichkeit’ und ‘Verarmung der Nationalsprache’ gleichgesetzt. Die vorliegende Analyse hat zum Ziel, vor dem Hintergrund dieser Befürchtungen französische, italienische, spanische und portugiesische Texte auf die Präsenz fremdsprachlicher Elemente hin auszuwerten. Optiert wurde für eine Untersuchung der Werbesprache, die sich nicht nur wegen ihrer persuasiven Funktion, sondern auch aus ökonomischen Gründen besonders durch eine Tendenz zur Internalisierung auszeichnet. Welche Formen von fremdsprachlichem Einfluss sind zu beobachten und wie sind diese unter funktionalen Gesichtspunkten zu bewerten? Führt sprachliche diversité tatsächlich, wie von den Feinden des franglais oder spanglish befürchtet, zu einer durch das Englische dominierten uniformité, 67 oder verstellen hier nationale und kulturelle Gefühle den Blick auf das Potential von Sprachbereicherung? Christiane Wirth (Bonn) Sandwiches oder sandwichs? – Probleme der Pluralmorphologie von Anglizismen im Französischen und Spanischen Der stetig wachsende Einfluss von Entlehnungen lässt sich nicht nur im lexikalischen Bereich der romanischen Sprachen feststellen, sondern er strahlt auch auf andere Bereiche aus, wie z.B. die Morphologie. Im Französischen wie im Spanischen lassen sich im Zusammenhang mit der Pluralbildung nicht vollständig integrierter Lehn- bzw. Fremdwörter, vornehmlich Anglizismen, verschiedene Probleme beobachten. Der Beitrag analysiert anhand von Beispielen aus französischen und spanischen Grammatiken die pluralmorphologische Behandlung nicht vollständig integrierter Anglizismen, wobei das Hauptaugenmerk auf den jeweiligen sprachspezifischen Besonderheiten und Schwierigkeiten liegt. Ziel der Analyse ist es, die Andersartigkeit der französischen und der spanischen Probleme im Bereich der Pluralmorphologie aufzuzeigen, die im Zusammenhang zu sehen ist mit Verschiedenheiten in der morphologischen Struktur, aber auch mit der unterschiedlichen Haltung der Länder gegenüber Xenismen. Stefan Tröster-Mutz (Saarbrücken) Der Konflikt zwischen Dialektvielfalt und Einheitssprache beim Erhalt von Minderheitensprachen Wie andere Sprachen auch, präsentieren sich Minderheitensprachen mit einer Vielzahl von Dialekten. Dialekte sind heutzutage oftmals durch die Überdachungssprache gefährdet. Im Falle von Minderheitensprachen ergibt sich ein doppeltes Problem: Einerseits leben viele dieser Sprachen nur in ihren Dialekten, da es nie einen Stan68 dard gab. Andrerseits wird eine Schul- oder Schriftsprache oft als notwendig angesehen, um eine kleine Sprache durch Medien und Unterricht am Leben zu erhalten bzw. wiederzubeleben. Anhand einiger Beispiele romanischer und anderer Sprachen sollen in dem Beitrag unterschiedliche Ansätze präsentiert werden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf einer Analyse eventueller Schriftsprachen und ihrer Orthographien. Josep Maria Betrán (Hamburg) Minderheitensprachen: Mittel- und Zeitverschwendung?“ Die Unterdrückung und Verbannung so genannter Regional- und Minderheitensprachen zeigt sich nicht nur in Handlungsweisen von Politikern und Verwaltungsangestellten zentralistischer Staaten. Auch kulturelle Institutionen, Universitäten, Schulen und Massenmedien und – sogar – Sprachwissenschaftler spielen eine wichtige Rolle bei der Unterteilung von Sprachen in Sprachen erster und zweiter Ordnung. Folglich werden auch Bürger der EU und der ganzen Welt in Bürger erster und zweiter Ordnung unterteilt. In meinem Beitrag soll anhand einiger Beispiele die Verbannung minorisierten Sprachen auf der Ebene der Hochschulen aufgezeigt werden, die als Ergebnis des offiziellen “banalen Nationalismus” verstanden werden kann und bei der bestimmte Gruppen der symbolischen, aber nicht minder wirkenden Macht des Staates ausgesetzt sind. Eva Vetter (Wien) Komponenten virtueller bretonischer Identität Der Beitrag lädt ein zu einer Spurensuche bretonischer Identität im Internet. Ausgehend von der zentralen identitären Bedeutung von Sprache wird die Frage nach der Rolle des Bretonischen als Objekt und als Kommunikationsmedium in virtuellen Texten gestellt. Im 69 Anschluss daran werden nicht-linguistische Komponenten bretonischer Identität im Internet diskutiert. Die Kritische Diskursanalyse rezenter Texte konzentriert sich auf frequentierte Diskussionsforen und die offiziellen Seiten der bilingualen bretonischen Schulen von DIWAN (vgl. Literaturangabe). Literatur: www.antourtan.org/forums_fr.htm www.diwanbreizh.org Martin Döring (Nottingham/Hamburg) Virtuelle Identitäten? Die Webpräsenz der okzitanischen Sprachminderheit in Frankreich Sprachentod ist Teil einer globalen und bedrohlichen Entwicklung, die neben dem Aussterben biologischer Arten vor allem auf den Verlust kulturell generierter und tradierter Wissenssysteme verweist. Im Verlauf der vergangenen 10-15 Jahre hat sich ein Bewusstsein für die Relevanz und die Bedrohung von Minderheitensprachen und Sprachminderheiten entwickelt, die derzeit in der ökolinguistisch orientierten Forschung mit Begriffen wie biokulturelle oder biolinguistische Diversität (Nettle 1999, Maffi 2001, Nettle/Romain 2000) gefasst werden. Diesem Verständnis zufolge ist Sprache ein komplexes Gebilde, das in soziale, historische, geographische Zusammenhänge und biologische Wechselbeziehungen oder Umwelten eingebettet ist. Ausgehend von diesen theoretischen Überlegungen widmet sich der Beitrag aus einer ökolinguistischen Perspektive (Mühlhäusler 1996) der Analyse von Webseiten der okzitanischen Sprachminderheit im französischen Sprachgebiet, die im Internet zugänglich sind. In einem ersten Schritt erfolgt die linguistisch-medientheoretische Analyse (Trampe 2003) sprachlicher Strukturen, mit denen die Minderheitensprachen dargestellt und sprachliche Identitäten konstruiert werden. An diese Untersuchung schließen Überlegun70 gen an, ob das Medium Internet negative oder positive Einflüsse auf den Erhalt und die Revitalisierung von Minderheitensprachen hat oder haben könnte. Literatur: Maffi, L. (Hg.) (2001): On Biocultural Diversity: Linking Language, Knowledge, and the Environment, New York. Mühlhäusler, P. (1996): Linguistic Ecology: Language Change and Linguistic Imperialism in the Pacific Region. London. Nettle, D. (1999): Linguistic Diversity, Oxford. Nettle, D. / Romaine, S. (2000): Vanishing Voices. The Extinction of the World’s Languages, Oxford. Trampe, W. (2003): Ökolinguistik in der Mediengesellschaft, in: Zeitschrift für Kommunkationsökologie 2, 6-15. Uta Helfrich (Göttingen) Sprachbewertungstraditionen, Identität und Sprachenpolitik: Die Diskussion um die Charte européenne des langues régionales et minoritaires in Frankreich Die umstrittene, noch immer nicht vollzogene Ratifzierung der Charte européenne des langues régionales et minoritaires hat in der französischen Öffentlichkeit eine heftige Diskussion ausgelöst, die sich nur vor dem Hintergrund der kulturspezifischen Sprachbewertungstraditionen nachvollziehen lässt. Exemplarisch für die Argumente des laienlinguistischen Diskurses für und wider die Charte auf dem Höhepunkt des Diskussionsprozesses 1999/2000 werden die Einträge im von der Zeitung Libération lancierten Internet-Forum “Langues régionales. Une charte et des fantasmes” ausgewertet. Der vorliegende Beitrag zur Attitüdenforschung soll klären helfen, inwiefern die in der Diskussion geäußerten Meinungen als Reflex und Reproduktion von traditionellen, im kollektiven Sprachbewusstsein verankerten Sprach- und Identitätsstereotypen zu verstehen sind, auf denen auch die französische Sprachenpolitik basiert. 71 Éva Feig (Bonn) Das Guanche in der traditionellen und volkstümlichen Musik der Kanaren: expressiver Marker zur Kennzeichnung von Alterität und strategisches Mittel zum Ausbau der kanarischen Identität Die Beschäftigung mit Substratsprachen, ihre Rekonstruktion und die Erforschung ihrer Einflüsse auf die Sprache der Eroberer besitzt seit den Anfängen der Strattheorie von Ascoli (1864) eine wissenschaftliche Tradition. Das Phänomen einer laienlinguistischen Auseinandersetzung mit den Sprachrelikten von Seiten der Sprecher mit dem Ziel einer bewussten Sprachaufwertung und partiellen Wiederbelebung – wie wir es im Augenblick im Sprachverhalten besonders der politisch-national engagierten Kanaren beobachten können – dagegen stellt sicherlich ein interessantes Novum dar. In diesem Beitrag soll daher – eingedenk der starken Verflechtung von Sprache, Musik und Kultur bzw. kultureller Identität – auf Grundlage der Liedtexte populärer folkloristischer Gruppen und Cantautores ein typologischer Überblick über die verwendeten Guanchismos, ihr grammatisches Profil und ihren Lexikalisiertheitsgrad, sowie vor allem ihre pragmatischen Funktionen hinsichtlich der sprachlichen Identitätsbildung und -förderung erarbeitet werden. Damit soll ein erster Schritt getan werden, um die Vitalität bzw. funktionale Relevanz des Substratwortschatzes im kanarischen Spanisch in seiner Spezifik und Bedeutsamkeit für die Interdependenz von Sprache und Identität zu würdigen. Annette Gerstenberg (Bochum) Zur Klassifizierbarkeit französischer Privatwerbung im Internet nach sprachlichen Merkmalen Private Kleinanzeigen in Printmedien unterliegen meist Vorgaben, welche ihre Länge, typographische Gestaltung und Illustration stark einschränken. In der Folge sind private Kleinanzeigen durch 72 elliptische Strukturen, Nominalstil und spezifische Abkürzungen gekennzeichnet. Internetplattformen (z.B. Auktions“häuser“) bieten Privatpersonen hingegen die Möglichkeit, Inserate sprachlich, aber auch graphisch und bildlich frei zu gestalten. Ergebnis ist ein Textspektrum, das von der Nüchternheit einer Kleinanzeige („Vends Combiné LitBureau Gauthier /Achete il y a 12 mois 1500 euros, etat neuf /lit 200*90“) über detaillierte Mitteilungen („quasiment jamais servi, prix début d’enchère à 1 euro car aucune utilité à mettre en ville“) bis zu nach professionellem Vorbild gestalteten Werbetexten reicht (Schlagzeile, Haupttext, Slogan). Auf Basis eines Korpus von Anzeigen aus drei großen in Frankreich aktiven Internetauktionshäusern wird die Sprache der Privatwerbung nach dem Auftreten von kennzeichnenden textuell-pragmatischen, syntaktischen, morphosyntaktischen und lexikalischen Merkmalen und ihrer Kombinationshäufigkeit beschrieben. Auf diese Weise soll die Diversifizierung der Sprache von «Privatwerbung im Internet», zugleich aber die Entwicklung neuer Muster aufgezeigt werden. Sebastian Proft (Passau) Argentinisches Spanisch – Eine empirische Untersuchung zu Lexik und Phonie Ausgangspunkt der Arbeit ist die in Hinsicht auf die aktuelle sprachliche Situation Argentiniens bestehende Forschungslücke. Das umfassende Werk Vidal de Battinis stammt aus den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts, neuere Arbeiten widmen sich vor allem Teilaspekten und fußen zudem häufig auf kleinen Stichproben. Die Integration einer quantitativen Methodik ist vor diesem Hintergrund die dringendste Forderung an jede neue Arbeit. Nur ein solches Vorgehen ermöglicht es, die in Bezug auf Phonie und Lexik bestehenden Annahmen an der sprachlichen Realität zu prüfen. 73 Als empirisches Fundament der Studie dienen die 46 während zweier Argentinienaufenthalte, im März und im Oktober 2004, geführten Interviews. Dabei ist die Auswahl der Interviewpartner nach einem Quotaverfahren, welches die Kriterien Alter, Geschlecht, Wohnort und Einkommen berücksichtigt, getroffen worden. Auf der Grundlage dieser Stichprobe erfolgt die Untersuchung nach phonetischen und lexikalischen Besonderheiten. Im Bereich der Lexik wird diese durch eine Reihung der Frequenzen gestützt: Neben den Worthäufigkeiten misst die aus der Standardabweichung abgeleitete Dispersion die Regelmäßigkeit des Wortgebrauchs. Im Bereich der Lexik werden die supuestos argentinismos mit den Ergebnissen der Frequenzanalyse verglichen. Es finden lediglich solche Wörter Eingang in die Ergebnisliste, die mindestens von zwei Sprechern verwendet wurden und für welche somit eine Relevanz im alltäglichen Sprachgebrauch zu konstatieren ist. Zunächst ist die Gruppe der strengen Argentinismen, die in Spanien nicht verwendet werden, von weichen Argentinismen, die dort nur deutlich seltener vorkommen, zu unterscheiden. Aufgrund systematischer Überlegungen beschränkt sich die Studie auf die strengen. Die größte Teilgruppe stellen die vier Archaismen vos, lindo, plata und mercadería, welche einen Anteil von etwa 50 Prozent am Uso (Produkt aus Frequenz und Dispersion) aller Argentinismen haben, dar. Semantische Erweiterungen, Neologismen und Lehnwörter haben, obwohl sie zusammen über neunzig Prozent der Argentinismen stellen, hieran einen Anteil von jeweils einem Sechstel. Im Bereich der Phonie ergeben sich folgende Ergebnisse: Analog zu der in Lateinamerika dominanten Variante tritt in allen Teilen Argentiniens der Seseo auf; distinktives Merkmal des argentinischen Spanisch ist in erster Linie der Žeísmo. In Buenos Aires und dem angrenzenden Litoral hat sich seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts die stimmlose Variante, der Žeísmo rehilado, 74 zunehmend durchgesetzt. Heute ist er bei den weiblichen Sprechern aller Altersgruppen sowie bei den jungen Männern die klar dominante Form. Im Landesinneren tritt die stimmlose Variante nicht auf. Fallweise kommt es hier allerdings zur Assibilierung von /rr/ sowie einer vergleichsweise starken Aspiration von /s/. Unter Berücksichtigung dieser Differenzen ist eine dialektologische Gliederung Argentiniens in Interior und Litoral festzustellen. Dabei stellt sich das Interior nicht als vollkommen homogene Zone dar, sondern definiert sich zunächst durch die Differenzen zum Litoral. In den Grenzregionen mit Bolivien und Paraguay finden sich sprachliche Einflüsse der Nachbarländer. Eine klare Abgrenzung des argentinischen Spanisch gegenüber den Nachbarvarianten wird von den Daten nicht ausreichend gestützt. Christina Becker (Bonn) Convivencia ist nicht gleich convivencia. Zur sprachlichen Diversität in der Politik Schlagwörter spielen gerade im Bereich der Politik eine wichtige Rolle, fungieren sie doch als zentrale Instrumente der Persuasion. Parteien und Politiker operieren bevorzugt mit sprachlichen Zeichen dieser Art, um eigene Ziele und Vorstellungen kondensiert zu vermitteln sowie gegebenenfalls Meinungsänderungen zu bewirken. Zudem dienen Schlagworte der Identifikation und Abgrenzung. Die ideologische Gebundenheit eines Schlagworts führt dazu, dass die gleichen sprachlichen Zeichen je nach Partei/Politiker oft mit jeweils unterschiedlichen Inhalten „gefüllt“ werden. Der Beitrag basiert auf der Analyse von Schlagwörtern, die von den spanischen Volksparteien PSOE und PP sowie von der baskischen Regionalpartei EAJ/PNV im Umfeld der baskischen Regionalwahlen im April 2005 instrumentalisiert wurden. Es gilt, identische Lautkörper in ihren jeweiligen Kontexten zu untersuchen, um sprachliche Vielfalt auf der Bedeutungsseite nachzuweisen und 75 darauf aufbauend Erkenntnisse über das mögliche Persuasionspotential semantischer Vagheit zu gewinnen. Henrike Amian (Bonn) Internetkommunikation und ihr Potenzial für sprachliche Diversität Der virtuelle Raum des Internet und der Internetkommunikation bietet für die linguistische Analyse einen interessanten Fundus, um Theorien und Methoden zum Verständnis kommunikativer Prozesse zu testen. Gerade das Aufeinandertreffen neuer Parameter wie die kurze zeitliche Abfolge der Beiträge, deren allgemeine Zugänglichkeit und die Heterogenität der Kommunikationspartner zeugt von einem großen Potenzial kommunikativer Diversität, die es zu analysieren gilt. Der Beitrag befasst sich mit der Frage der spanischsprachigen Internetkommunikation in Diskussionsforen und Newsgroups. Dabei soll besonderes Augenmerk auf Aspekte der sprachlichen Variation gelegt werden, die den medial-virtuellen Bedingungen der Kommunikationssituation geschuldet sind. Darunter fallen Aspekte wie die Enkodierung von Raum und Zeit, Elemente der sozialen Nähe sowie spezifische Sprechereigenschaften. Besondere Berücksichtigung erfährt dabei die Frage nach den Effekten dieser Variationen auf die syntaktische Struktur des Spanischen. 76 Sektion 4 Romanische Sprachen in Europa. Eine Tradition mit Zukunft? Leitung: Beatrice Bagola (Trier), Michael Frings (Trier), Johannes Kramer (Trier), André Klump (Mainz) Programm Montag, 26.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Andre Klump (Mainz) Das grammatiko- und lexikographische Werk Cesar Oudins als Spiegel der Mehrsprachigkeit im Europa des 17. Jahrhundert Corina Petersilka (Erlangen) Zur Zweisprachigkeit Friedrichs des Großen Debora de Fazio (Lecce) Il linguaggio del socialismo ottocentesco come espressione di correnti europee transnazionali Francesca Danese (Lecce) Interferenze tra napoletano e catalano in un volgarizzamento del Secretum Secretorum prodotto da Cola de Jennaro (1479) Johannes Kramer (Trier) Die Rolle kleiner romanischer Sprachen im Europa des 21. Jahrhunderts Hermann Kleber (Trier) Littératures des minorités linguistiques au Luxembourg: multiculturalité et identité nationale Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Cornelia Personne (Darmstadt) Langues régionales et “protectionnisme linguistique” en France: un état des lieux Geneviève Bender-Berland (Trier) 77 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Les langues romanes en France aujourd’hui Heiner Böhmer (Dresden) Die Rolle der inneren Entlehnungen vor dem Hintergrund der Sprachenreduktion Uwe Dietzel (Pau) Zur aktuellen Sprachsituation im französisch-spanischen Grenzgebiet Michela Russo (Paris) Relazioni e influssi tra i parlari d’Italia e gli esotis mi di trafila francese Kristian Naglo (Göttingen) Sprache und Identitätsaspekte in Europa: die Beispiele Baskenland und Südtirol Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Michael Frings (Trier) Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht. Wieviele (romanische) Sprachen brauchen deutsche Schüler? Eva Vetter (Wien) Die Tertiärsprache Französisch im Mehrsprachigkeitsbewusstsein österreichischer LehrerInnen Donnerstag, 29.09.05 8.00 Uhr 8.45 Uhr 9.30 Uhr 78 Pia Kral / Holger Wochele (Wien) (Fremdsprachen- und Fehlerbewusstheit von Laien. Empirische Untersuchungen am Institut für Romanische Sprachen der Wirtschaftsuniversität Wien Christine Henschel (Saarbrücken) Italienisch und Französisch als Sprachen der Wissenschaft - eine Tradition mit Zukunft? Beatrice Bagola (Trier) Das Internet: Zukunft des Französischen und 10.15 Uhr Italienischen Abschluss: Johannes Kramer (Trier) Abstracts Andre Klump (Mainz) Das grammatiko- und lexikographische Werk César Oudins als Spiegel der Mehrsprachigkeit im Europa des 17. Jahrhunderts Der französische Fremdsprachenlehrer César Oudin, der im Jahre 1597 von Heinrich IV. mit dem Amt eines Secrétaire et Interprète des langues étrangères betraut wurde, verkörperte mit seinen zahlreichen Grammatiken, Wörterbüchern, Dialogsammlungen und literarischen Übersetzungen wie kaum ein anderer das zunehmend von der Schrift und den “neueren” Sprachen geprägte Europa des beginnenden 17. Jahrhunderts. Wenngleich das Lateinische in bestimmten distanzsprachlichen Bereichen (z.B. an den Universitäten) seine Vormachtstellung weiterhin behalten konnte, fungierten nunmehr auch verstärkt das Französische, Italienische, Spanische, Flämische und neuerdings sogar das Englische als vorrangige oder gar einzige Amts-, National- und Fremdsprachen. Das polyglotte Gesamtwerk Oudins, dessen bedeutendstes Lehrbuch zweifelsohne die kontrastiv angelegte Grammaire Espagnolle (11597) darstellt, spiegelt dabei nicht nur die Vielfalt, sondern auch die frühe hierarchische Struktur jener Volkssprachen wider, innerhalb welcher das Spanische seit der Mitte des 16. Jahrhunderts als die führende moderne Fremdsprache Europas auftrat. Angesichts der Aufwertung des Französischen im europäischen Kontext vermochte es den Status der bevorzugten Zweitsprache im Verlauf des 17. Jahrhunderts lediglich noch in Frankreich zu bewahren. Ziel des Vortrags wird es somit sein, den Umgang mit bzw. die zeitgenössische Vision von der Mehrsprachigkeit in Europa exemplarisch am Werk des berühmtesten französischen Hispanisten des 17. Jahrhunderts 79 (insbesondere am Beispiel seiner spanisch-französischen Grammatik) aufzuzeigen. Corina Petersilka (Erlangen) Zur Zweisprachigkeit Friedrichs des Großen Friedrich II. (1712-1786) sprach und schrieb lieber Französisch als Deutsch. Nach einem kurzen Überblick über die erziehungs- und kulturgeschichtlichen Gründe für diese Präferenz behandelt der Vortrag die Zweisprachigkeit des Preußenkönigs auf der Basis seiner Handschriften und der Zeitzeugenaussagen. Dabei geht es zunächst um die Aufgabenverteilung der beiden Sprachen im Alltag des Monarchen als Regent, Feldherr, Privatperson, Schriftsteller und Leser. Kurz vorgestellt werden die sprachlichen Gewohnheiten des französisch schreibenden und sprechenden Privatmannes, Literaten und Philosophen und des zumeist deutsch kommunizierenden Administrators und Militärs. Danach wird seine französische Orthographie, die zum Teil Rückschlüsse auf die Aussprache erlaubt, und seine lexikalisch-grammatische Beherrschung des Französischen anhand eines Textbeispiels bzw. anhand der Korrekturen, die Voltaire vornahm, beschrieben. Schließlich wird eine seiner deutschen Handschriften exemplarisch auf dialektale und französische Einflüsse hin betrachtet. Der Beitrag lässt die kulturhistorischen und individualpsychologischen Ursachen für die ausgeprägte Frankophonie des roi-philosophe verständlich werden. Debora de Fazio (Lecce) Il linguaggio del socialismo ottocentesco come espressione di correnti europee transnazionali Il socialismo è il primo movimento politico che della transnazionalità fa uno dei propri cardini, tanto che la sua prima organizzazione si chiama appunto (Prima) Internazionale dei lavoratori. La circolazione delle idee in ambito europeo è rapidissima e l’Italia non ne 80 è esclusa. Tuttavia, la trasmissione dei nuovi fermenti non avviene in modo paritario da tutte le lingue di cultura. Il francese rimane il veicolo quasi esclusivo dei prestiti e dei calchi (questi ultimi, per ovvie ragioni, meno riconoscibili) anche se si tratta di idee nate altrove: il caso più evidente è quello del pensiero marxista, diffuso prevalentemente, almeno all’inizio, attraverso traduzioni transalpine. Inoltre, molti anglicismi vengono veicolati attraverso il materiale propagandistico proveniente dalla Francia. Una ricerca ad ampio raggio condotta sui documenti dell’epoca con gli strumenti lessicografici oggi disponibili sul versante francese (soprattutto il TLF) consente di stabilire che: (1) la maggioranza dei prestiti dal francese avviene intorno al periodo della Comune (1870-71), e si tratta di lessico istituzionale; (2) il periodo rivoluzionario continua ancora a rappresentare un filone fondamentale; (3) la diffusione dei testi marxisti avviene con un certo ritardo e la loro influenza in Italia comincia ad essere avvertita solo all’inizio del Novecento. Francesca Danese (Lecce) Interferenze tra napoletano e catalano in un volgarizzamento del Secretum Secretorum prodotto da Cola de Jennaro (1479) Il presente intervento riguarda un aspetto dei rapporti tra lingue e culture romanze nel Medio Evo, che si svolgevano secondo modalità comunicative diverse da quelle attuali. Oggetto di attenzione è il volgarizzamento napoletano del Secretum Secretorum redatto nel 1479 da Cola de Jennaro (personaggio di cui si sa solo che era un maniscalco che, al momento in cui scriveva, era prigioniero a Tunisi), conservato in codex unicus dal ms. Ital. 447 della Bibiothéque Nationale di Parigi. Uno dei motivi di interesse del volgarizzamento di Cola de Jennaro risiede nel fatto che esso è volgarizzato non dal latino, ma da un’altra lingua romanza, il catalano (fatto non eccezionale, ma non frequente in epoca aragonese). Fugati i primi dubbi (dovuti a 81 un preconcetto un tempo assai diffuso) sulla possibilità di una traduzione dal catalano (Morel Fatio 1897), in anni recenti (Franzese 1994) è stato individuato il manoscritto (fra i quattro noti della tradizione catalana) contenente la copia più vicina alla fonte del testo di Cola. In questa sede analizzeremo pertanto le modalità di volgarizzamento adoperate e l’interferenza fra catalano e napoletano nel testo di Cola de Jennaro. Recenti studi ci permettono, inoltre, di inquadrare il testo entro un contesto culturale e linguistico più ampio, quello del “contatto” fra catalano e napoletano nella Napoli aragonese. Johannes Kramer (Trier) Die Rolle kleiner romanischer Sprachen im Europa des 21. Jahrhunderts Im Laufe des Vortrags geht es darum, die Funktionen des Rumänischen, Bündnerromanischen, Katalanischen und Aromunischen in Europa des 21. Jahrhunderts zu beleuchten. Ein Hauptaugenmerk liegt auf der Rechtsstellung und auf der Bedeutung der Standardisierung für die Funktionsfähigkeit. Hermann Kleber (Trier) Littératures des minorités linguistiques au Luxembourg: multiculturalité et identité nationale Depuis plus de 100 ans, il y a une présence de minorités linguistiques au Luxembourg. Il y a une présence italienne plus que centenaire, une présence portugaise ou plutôt lusophone d’un demi-siècle, une présence hispanophone au moins de deux décennies et une présence serbo-croate d’une décennie. Ces minorités linguistiques se sont intégrées ou s’intègrent dans la société luxembourgeoise tout en gardant leurs identités culturelles qui s’expriment dans une littérature en leurs langues originaires. Le processus d’intégration est marqué, au plus tard à partir de la deuxième génération et surtout à partir de la troisième génération par l’utilisation d’une des 82 trois langues officielles du Luxembourg, de préférence le français. Dans cette langue publient aussi les auteurs sortis ou encore appartenants aux dites minorités. Quel impact subit la culture majoritaire trilingue du Luxembourg sous l’influence de ces cultures adstrates et quel rôle jouent ces cultures pour l’identité nationale ? Cornelia Personne (Darmstadt) Langues régionales et “protectionnisme linguistique” en France: un état des lieux Interventionnisme, dirigisme, protectionnisme: tous les -ismes sont au rendez-vous dès lors que l’on s’efforce de circonscrire l’attitude française à l’égard d’une langue devenue nationale: de l’ordonnance de Villers-Cotterêts en 1539 jusqu’à la loi Toubon de 1994, la France témoigne d’un souci toujours renouvelé d’ériger le français en symbole d’unicité et garant des valeurs républicaines. Dans un monde globalisé, cette position se prolonge à travers la Francophonie et une législation veillant au statut de la langue française dans les institutions internationales qui pourrait paraître ambitieuse aux yeux de certains. La non-ratification de la Charte européenne des langues régionales ou minoritaires semble, à première vue, s’inscrire dans cette lignée. Or, la place accordée aux langues régionales et minoritaires dans l’enseignement ainsi que dans certaines pratiques quotidiennes, loin de faire preuve d’un “deuxième type de politique linguistique”, atteste une seule et même aspiration, celle de faire des parlers du territoire un des derniers bastions à défendre contre l’envahissement du monolinguisme et du monoculturalisme mondialisés. Geneviève Bender-Berland (Trier) Les langues romanes en France aujourd’hui Alors que la France n’a toujours pas modifié l’article 2 de sa Constitution qui postule que « la langue de la République est le français 83 » pour y ajouter « Ceci s’entend sans porter atteinte aux droits et libertés des langues des régions et de leurs locuteurs », un grand nombre de Français utilisent au quotidien, en dehors de la langue « nationale », un autre idiome, généralement qualifié de « langue minoritaire » voire de « patois ». Dans le sud de la France les langues régionales romanes sont bien vivantes, et après avoir été pendant de longues décennies ignorées des pouvoirs publics, elles sont désormais enseignées légalement à différents niveaux. Heiner Böhmer (Dresden) Polysemiekonfigurationen in benachbarten en Nationalsprachen Westeuropas (Französisch, Spanisch, Deutsch) Der Vortrag setzt sich mit Mehrsprachigkeit im Bereich der Entlehnungsforschung auseinander. Ein nüchterner Vergleich von polysemen Bedeutungskonstellationen des Spanischen, Deutschen und Französischen zeigt, dass die Ähnlichkeiten größer sind als die Divergenzen. Es soll demonstriert werden, dass dies weniger an kognitiven Universalien liegt, also an sprachübergreifenden Mustern der Entfaltung von Polysemien, als vielmehr an innereuropäischer Entlehnung. Dies wird an vier Gruppen aus je drei in ihren Hauptbedeutungen äquivalenten Wörtern des Deutschen, Spanischen und Französischen vorgeführt. Eine Nebenthese, die den weiteren Rahmen der Sektion betrifft, ist dabei, dass die innereuropäische Entlehnung gewisse negative Effekte eines drohenden Sprachentodes auffängt. Oder besser gesagt: das Ergebnis des Vortrags weist im Zusammenklang mit vielfach vorhandener Forschung auf diese These hin. Der ästhetische Verlust bei Sprachentod erscheint aus dieser Sicht generell dramatischer als der kognitive. Und der kognitive wäre möglicherweise im grammatischen Bereich weitaus gewichtiger als im semantischen. 84 Uwe Dietzel (Pau) Zur aktuellen Sprachsituation im französisch-spanischen Grenzgebiet Der Wunsch, einen möglichst starken Zentralstaat mit einer einheitlichen, von jedem seiner Bewohner genutzten Sprache dem Französischen zu schaffen, führte im Laufe mehrerer Jahrhunderte dazu, dass die Regionalsprachen im öffentlichen Leben Frankreichs zunehmend an Einfluss verloren oder ganz aus ihm verschwanden. Diese Entwicklung hielt bis weit ins 20. Jahrhundert an. Erst seit wenigen Jahrzehnten erhalten die Regionalsprachen und die mit ihnen verbundenen Kulturen in Frankreich erneut eine stärkere Aufmerksamkeit und einige staatliche Unterstützung. Auch in Spanien hatten die Regionalsprachen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Heute besitzen das Katalanische, das Gaskognische und das Baskische südlich der Pyrenäen einen autonomen Status, wenngleich noch nicht alle Probleme gelöst sind. Der Vortrag möchte aufzeigen, welche Ergebnisse die Bemühungen um die Regionalsprachen in den vergangenen Jahrzehnten erbracht haben und welchen Status und welche Perspektiven die Regionalsprachen gegenwärtig im Gebiet beiderseits der Pyrenäen besitzen. Besonderes Augenmerk wird dabei verschiedenen Varietäten des Okzitanischen, dem Gaskognischen, dem Katalanischen und dem Baskischen zukommen. Michela Russo (Paris) Relazioni e influssi tra i parlari d’Italia e gli esotismi di trafila francese Presso il nucleo del Lessico Etimologico Italiano dell’Università di Paris 8 è in corso, a cura della scrivente, l’elaborazione degli etimi galloromanzi, e proprio nel quadro della loro redazione si punta ad esaminare in questa sede alcuni aspetti che hanno a che vedere con il francese come tramite, generalmente coloniale, di elementi esotici nell’italiano e nei suoi dialetti. Prendiamo il caso del giapp. bonsō, che proviene dall’italiano (in 85 cui è attestato nella forma bonzo ‘sacerdote buddista’, dal 1589, Serdonati) probabilmente dal fr. bonse (dal 1570, FEW 20,93); la forma francese a sua volta è passata attraverso il port. bonze (1548, Houaiss 488), bonzos (1554-83, ibidem). Il significato secondario di ‘persona che si dà importanza, che agisce con solennità’ (dal 1907, Carducci) sembra essere un francesismo recente, che trova riscontro nel fr. bonze ‘personnage qui fait autorité et dont les théories sont démodées’ (dal 1885, FEW 20,93b). Il caso di bonzo pone il complicato problema di quale sia effettivamente la lingua di mediazione tra quelle esotiche e l’italiano. Non solo le lingue coloniali sono (ovviamente) più d’una (a parte il francese, il portoghese e lo spagnolo, vanno ricordate quelle germaniche, inglese e neerlandese), ma una parola nella nostra lingua può essere stata introdotta in momenti diversi attraverso tramiti e intermediari culturali differenti. Ci si propone di presentare a questo proposito alcuni casi di un certo interesse metodologico. Kristian Naglo (Göttingen) Rollen von Sprache in Identitätsbildungsprozessen: die Beispiele Luxemburg, Südtirol und Baskenland Ziel des Beitrags ist es, die Frage nach der Zukunft der romanischen Sprachen in Europa mit der nach Rollen von Sprache in Identitätsbildungsprozessen zu verknüpfen. Grundsätzlich handelt es sich im Rahmen dieser Abläufe um potentielle Kopplungen von Sprache, Territorium, politischer Form und kollektiven Identitäten im Kontext eines gemeinsamen Kommunikationszusammenhangs. Das Hauptaugenmerk liegt hier auf Intergruppenprozessen, um die hervorgehobene Rolle von Sprache im Kontext insbesondere kollektiver Strategien zu betonen. Sprache wird oft als zentraler oder sogar einziger Grenzmarker betrachtet und besitzt diesbezüglich sowohl inkludierende als auch exkludierende Potentiale. Fokussiert werden entsprechend politische Instrumentalisierungen und Aktualisierungen von Sprache sowie diesem Prozess inhärente Iden86 titätsaspekte. Eine gesellschaftliche Problematik der Sprachenfrage im europäischen Kontext ergibt sich vorwiegend aus dem Dilemma zwischen dem Raum für Individualität und spezifischen Solidaritäten einerseits und Effizienz andererseits. Die Termini Identität und Effizienz verkörpern in diesem Sinne Pole, zwischen denen die Diskussion um die Sprachenfrage oszilliert: auf der einen Seite gilt Sprache vorwiegend als Instrument der Kommunikation, auf der anderen als Symbol bzw. Schicksal. Hier wird argumentiert, dass kleinräumige Orientierungen grundsätzlich der Gewinnung wahrgenommener individueller Verhaltenssicherheit dienen, die im Kontext von Europäisierung und Globalisierung nicht mehr als quasi-automatisch gegeben erscheint. Dies korrespondiert grundsätzlich mit einer verstärkten Identitätsbetonung. Vor dem Hintergrund der Entgrenzung der klassischen Nationalstaaten steigt folglich so die Annahme die (symbolische) Bedeutung von Sprachvarietäten des regionalen und lokalen Nahraums. Dennoch wird prognostiziert, dass die politische Vormachtstellung der nationalstaatlichen Ebene in Europa vorerst fortbestehen wird, auf der wiederum eher spracheffiziente Aspekte bestimmend sind/sein werden. Die theoretische Annäherung erfährt an den Beispielen Luxemburg, Südtirol und Baskenland eine Konkretisierung. Die Schwerpunktsetzung liegt demnach auf multilingualen Räumen und ihren Gesellschaften, in denen sich kleine und große Sprachen (in Bezug auf die absoluten Sprecherzahlen) sowie unterschiedliche Sprachgruppen gegenüberstehen. Michael Frings (Trier) Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht. Wie viele (romanische) Sprachen brauchen deutsche Schüler? Mehrsprachigkeit und Sprachendiversifizierung sind wichtige Schlagwörter in der aktuellen schulsprachenpolitischen Diskussion. Schon vor zehn Jahren wurde im Weißbuch der Europäischen Union die Forderung aufgestellt, dass SchülerInnen innerhalb der 87 EU mindestens zwei Gemeinschaftssprachen erwerben sollen, um so – zusammen mit ihrer Muttersprache – über ein Repertoire von drei Sprachen zu verfügen. Übereinstimmend mit Weinrich (1976), demzufolge echte Mehrsprachigkeit mit dem Lernen einer zweiten Fremdsprache einsetzt, soll anhand der deutschen Schullandschaft untersucht werden, inwiefern SchülerInnen an Deutschlands Schulen zu Beginn des 21. Jahrhunderts mehrsprachig ausgebildet werden. Sodann wird der Frage nachzugehen sein, wie die Herausbildung mehrsprachiger Kompetenz in Zukunft gefördert werden kann und welche Rolle die romanischen Sprachen bei diesem Prozess einnehmen können. Eva Vetter (Wien) Die Tertiärsprache Französisch im Mehrsprachigkeitsbewusstsein österreichischer LehrerInnen Die Studie situiert sich im Kontext des schulischen Unterrichts romanischer Sprachen in Österreich und präsentiert Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zum Französischen, der beliebtesten österreichischen Tertiärsprache. Ausgangspunkt des Beitrags ist die Frage, inwieweit FremdsprachenlehrerInnen tertiärsprachliche Prämissen mittragen. Im Zentrum steht das Konzept des Mehrsprachigkeitsbewusstseins, seine Operationalisierung und erste Ergebnisse einer schriftlichen Befragung von FranzösischlehrerInnen. Abschließend werden weiterführende forschungsleitende Fragestellungen zur Diskussion gestellt. Pia Kral / Holger Wochele (Wien) Fremdsprachen- und Fehlerbewusstheit von Laien. Empirische Untersuchungen am Institut für Romanische Sprachen der Wirtschaftsuniversität Wien Im Jahr 2005 leben wir in einem Europa, in dem sich die meisten Nationalstaaten seit mindestens hundert Jahren etabliert haben. Dennoch ist seitdem nicht alles beim Alten geblieben: das “Konzept Europa” ist in stetigem Wachstum begriffen. Zahlreiche Faktoren des öffentlichen Lebens haben in diesem Zusammenhang bereits erheblich an Bedeutung gewonnen. Dies scheint in besonderer Weise auf die in Europa gesprochenen Sprachen zuzutreffen; ihre Verwendung könnte in Hinkunft aufgrund der Erweiterung der Europäischen Union gen Osten einige Verschiebungen erfahren. Wir werden uns also die Frage stellen müssen, welche Fremdsprachen in diesem neuen Kontext gelernt werden. Unter den modernen Fremdsprachen, die weltweit am meisten gelernt werden, konkurriert das Italienische mit dem Deutschen um den vierten Platz. Die Gründe, weswegen sich so viele Lernende für das Italienische entscheiden, sind verschiedener Art, und wenn auch ein immer größerer Teil der Lernerschaft aus Personen besteht, die sich als Migranten in Italien aus praktischen Gründen für das Italienische entscheiden bzw. als Nicht-Italophone die Sprache aus wirtschaftlichen Gründen erlernen wollen, so spielt die “kulturelle” Motivation wie schon in der Vergangenheit eine bedeutende Rolle (De Mauro / Vedovelli 2002). Diese globalen Ergebnisse stehen im Einklang, bzw. äußern sich in noch ausgeprägterer Form in einer an der Wirtschaftsuniversität Wien durchgeführten Untersuchung zur Motivation von Italienisch-Studierenden: sie verdeutlicht, dass – selbst wenn wie im vorliegenden Fall die Sprache im Rahmen des Studiengang “Internationale Betriebswirtschaftslehre” gelernt wird – die ausschlaggebenden motivationellen Faktoren in der Stellung des Italienischen als Kultursprache bzw. dem Prestige des Landes Italien, das es in der kollektiven Vorstellungswelt Deutschsprachiger genießt, zu suchen sind. Im zweiten Teil des Referats soll nicht mehr die Motivation zum Fremdsprachenlernen, sondern die Sprachbewusstheit von „Laien“ (Frankophonen und Italienern) als potentiellen Kommunikationspartnern unserer Studierenden im Vordergrund stehen. Auch in diesen Kontexten ist es unwahrscheinlich, dass Frankophone / Italiener die Sprache lediglich als Kommunikationsmittel begreifen; auch sie werden (unbewusst) Erwartungshaltungen bezüglich der Korrektheit seitens der Nicht-Muttersprachler mitbringen und ihre Äußerungen entsprechend bewerten. Im Rahmen eines in Planung befindlichen Forschungsprojekts und einer Habilitationsschrift (Wochele) soll nun den Fragen nachgegangen werden, ob es einerseits relevante Unterschiede in der Sprachauffassung von Laien als Kommunikationspartnern von Nicht-Muttersprachlern und Sprachlehrern / Linguisten gibt und ob sich andererseits die Erwartungshaltungen, mit denen Frankophone und Italiener Nicht-Muttersprachlern begegnen, wesentlich voneinander unterscheiden (Normbewusstheit). Christine Henschel (Saarbrücken) Italienisch und Französisch als Sprachen der Wissenschaft: Eine Tradition mit Zukunft? Während im gesamten Mittelalter und zum Teil weit darüber hinaus das Lateinische die dominierende Sprache, die lingua franca der wissenschaftlichen Kommunikation in Europa war, haben sich seit der Frühen Neuzeit die Volkssprachen zu voll funktions- und ausdrucksfähigen Sprachen entwickelt, die nach und nach auch den Bereich der Wissenschaften für sich “eroberten”. Der Beitrag fragt, wie und wann sich diese Entwicklung im Fall des Italienischen und des Französischen vollzogen hat. Im Mittelpunkt steht die Frage nach dem aktuellen Status der italienischen und der französischen Wissenschaftssprache, auch und gerade angesichts der 90 beständig größer werdenden Bedeutung des Englischen in der internationalen Kommunikation. Wie reagiert man in Italien und in frankophonen Ländern und Regionen auf diese neue Herausforderung, und welche Zukunftsperspektiven haben das Italienische und Französische als Sprachen in den Wissenschaften? Beatrice Bagola (Trier) Das Internet: Zukunft des Französischen und Italienischen In der heutigen Gesellschaft ist das Internet und der Computer ein fester Bestandteil des Alltagslebens geworden. Die Anwendungsbereiche erstrecken sich auf viele Ebenen und auch die Anzahl der Nutzer steigt ständig. Gerade die Internetnutzer stellen in linguistischer Hinsicht einen interessanten Aspekt des Internets dar. Charakteristisch für das Sprachverhalten einer großen Anzahl der Nutzer ist u.a. die Verwendung der jeweiligen Muttersprache. Auf diese Weise wandelt sich das Internet von einem englisch dominierten virtuellen Raum zu einem multilingualen. Teil dieser multilingualen Gemeinschaft sind auch Nutzer, die sich einer romanischen Sprache, wie z.B. des Französischen und Italienischen, bedienen. Auf verschiedenen Ebenen wird daher eine Distribution der beiden Idiome gefördert. Innerhalb des Vortrags soll nicht nur dieser Punkt diskutiert werden, sondern auch eine mögliche zukünftige Entwicklung der beiden Sprachen im virtuellen Raum angesprochen werden. 91 Hueber Sprachen der Welt Lehrwerke für die Romanischen Sprachen Espresso 1-3 facettes 1, 2 + plus Mirada aktuell Die Extraportion Italien Faszinierend Französisch Sonnige Zeiten für Ihren Spanischunterricht Linea diretta 1a + 1b Reprise PRISMA A1 – B2 Neubearbeitung Der direkte Draht zum Erfolg Auffrischungskurs Französisch Método de español para extranjeros Wir informieren Sie gern ausführlich. Max Hueber Verlag Max-Hueber-Straße 4 85737 Ismaning DEUTSCHLAND Kundenservice Telefon +49 (0) 18 05/48 32 37 Telefax +49 (0) 89/96 02 - 286 E-Mail: [email protected] www.hueber.de Sektion 5 Sprachwandel und räumliche (Dis-)Kontinuität Leitung: Sabine Heinemann (Regensburg), Paul Videsott (Innsbruck) Programm Montag, 26.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Peter Koch (Tübingen) Quantitative und qualitative Aspekte von Bezeichnungsdivergenzen im innersten Kernwortschatz romanischer Sprachen David Trotter (Aberystwyth) Pur meuz acorder en parlance E descorder en variaunce: convergence et divergence dans l’évolution de l’anglo-normand Maria Selig (Regensburg) Das Pikardische – Gedanken zu einer altfranzösischen Dialektologie Hans Goebl (Salzburg) Sprachwandel im Raum: dialektometrisch betrachtet (mit galloromanischen Beispielen) Ingrid Neumann-Holzschuh (Regensburg) Die Varietäten des akadischen Französisch zwischen Kontinuität und Diskontinuität Rembert Eufe (Strasbourg) ‚Secondo la mente, intencion et comandamento de la nostra illustrissima Signoria‘ – Proklamationen, Sendbriefe und Prozessprotokolle aus dem venezianischen Kreta des 15. und 16. Jahrhunderts 93 Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Maria Iliescu (Innsbruck) La grammaticalisation du complément du nom possessif en ancien français et en roumain Marc-Olivier Hinzelin (Konstanz) Sprachklassifikation, Sprachkontakt und Sprachwandel am Beispiel der Stellung der Objektpronomina im Okzitanischen Paola Benincà / Nicoletta Penello (Padova) Variazione sincronica e diacronica nella sintassi romanza: L’Atlante Sintattico dell’Italia Settentrionale e i dati della Filologia Davide Ricca (Torino) Tratti instabili nella sintassi del piemontese contemporaneo: tra italianizzazione e arcaismi locali Martin Haase (Bamberg) Tempus – Modus – Aspekt in Raum und Zeit Thomas Stehl (Potsdam) Phonologischer Wandel im Sprachkontakt: Divergenz, Konvergenz und zyklische Drift Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Michele Loporcaro / André Hilal (Zürich) Contatto e mutamento linguistico in Sardegna settentrionale: il caso di Luras Marcello Barbato (Zürich) Sistemi vocalici a contatto in area italo-romanza Donnerstag, 29.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 94 Matthias Heinz (Tübingen) Zur diachronen phonotaktischen Typologie romanischer Sprachen: methodische Überlegungen Philipp Burdy (Bamberg) Probleme im Zusammenhang mit lat. au Abstracts Peter Koch (Tübingen) Quantitative und qualitative Aspekte von Bezeichnungs-divergenzen im innersten Kernwortschatz romanischer Sprachen Anhand eines onomasiologisch definierten Ausschnitts aus den Kernwortschätzen des Französischen, Spanischen, Italienischen, Portugiesischen, Rumänischen und Sardischen soll untersucht werden, wo sich Bezeichnungswandel gegenüber dem Lateinischen und damit ggf. auch Bezeichnungsdivergenzen zwischen den romanischen Sprachen ergeben haben. Dies ist zunächst quantitativ auszuwerten, so dass erkennbar wird, wie groß die Zentrifugalität in den einzelnen romanischen Sprachen ist (vgl. Koch 2004). Hinzu kommen aber qualitative Aspekte: Es soll anhand eines dreidimensionalen diachronisch-lexikologischen Modells, wie es in Tübinger Projekten verwendet wird (vgl. Blank 2000; Koch 2000; Gévaudan 2003), bestimmt werden, in welcher Proportion jeweils unterschiedliche Typen der lexikalischen Innovation im Bezeichnungswandel vertreten sind (Metonymie, Metapher, Bedeutungserweiterung usw.; Typen der Wortbildung; Typen der Entlehnung). Dabei ist es von Interesse zu beobachten, ob die einzelnen romanischen Sprachen hier unterschiedliche Präferenzen haben oder ob grosso modo die gleichen Verfahren zu beobachten sind. Es soll in einer typologischen Perspektive (vgl. Koch 2005) gefragt werden, an welcher Stelle sich in den einzelnen Sprachen konzeptuell relevante Umorganisationen des lexikalischen Materials ergeben haben (wie z.B. bei lat. CARO gegenüber fr. chair/viande oder sard.log. carre/petta). 95 Literatur: Blank, A. (2000): „Pour une approche cognitive du changement sémantique lexical: aspect sémasiologique“, in: Mémoires de la Société de Linguistique de Paris, N.S. 9, 59-73. Gévaudan, P. (2003): „Lexikalische Filiation. Eine diachronische Synthese aus Onomasiologie und Semasiologie“, in: Blank, A./Koch, P. (edd.), Kognitive roma nische Onomasiologie und Semasiologie, Tübingen, 189-211. Koch, P. (2000): „Pour une approche cognitive du changement sémantique lexical: aspect onomasiologique“, in: Mémoires de la Société de Linguistique de Paris, N.S. 9, 75-95. Koch, P. (2004): „Il cosiddetto ‚conservatorismo‘ lessicale del sardo“, in: Grimaldi, L./Mensching, G. (edd.), Su sardu Limba de Sardigna e limba de Europa, Cagliari, 67-104. Koch, P. (2005): „Aspects cognitifs d’une typologie lexicale synchronique. Les hiérarchies conceptuelles en français et dans d’autres langues“, in: Langue fran çaise 145, 11-33. David Trotter (Aberystwyth) ‚Pur meuz acorder en parlance E descorder en variaunce‘: convergence et divergence dans l’évolution de l’anglo-normand L’anglo-normand, au début une variété au moins théoriquement distincte de l’ancien français – malgré l’absence de textes continentaux avec lesquels on peut comparer les tout premiers textes anglo-normands – s’est sans doute éloigné, au fil des années, de plus en plus de l’ancien français de la France. C’est la conséquence d’une part d’une situation linguistique et sociolinguistique assez spéciale (surtout : contact avec le moyen anglais), d’autre part, de sa position géographique; mais en même temps, en tant que langue internationale du commerce, de la diplomatie et de la littérature, le français insulaire était toujours en contact avec – donc susceptible d’être influencé par – les dialectes de la France (variété centrale «parisienne», mais aussi le picard). De telles influences sont visibles dans l’orthographe et dans le lexique. Il en résulte deux tendances contradictoires: vers la convergence (dédialectalisation, standardisation, tendance à suivre les normes naissantes du français central) et 96 vers la divergence (influence anglaise, isolation, sémantisme/phonologie indépendants). L’anglo-normand est ainsi de ce point de vue un exemple précoce d’une langue romane devenue «langue coloniale», qui s’émancipe tout en restant fidèle à ses origines. Bibliographie: Kristol, A. (1989): „Le début du rayonnement parisien et l’unité du français au Moyen Âge: le témoignage des manuels d’enseignement du français publiés en Angleterre entre le XIIIe et le début du XVe siècle“, in: Revue de linguistique romane 53, 335-367. De Jong, T. (1988): „L’anglo-normand du 13e siècle“, in: van Reenen, P./van Reenen-Stein, K. (edd.): Distributions spatiales et temporelles, constellations des manus crits. Etudes de variation linguistique offertes à Anthonij Dees à l’occasion de son 60ème anniversaire, Amsterdam, 103-112. De Jong, T. (1996): „Anglo-French in the 13th and 14th Centuries: Continental or Insular Dialect“, in: Nielsen, H.-F./Schøsler, L. (edd.): The Origins and Deve lopment of Emigrant Languages. Proceedings from the Second Rasmus Rask Colloquium, Odense University, November 1994, Odense, 55-70. Lusignan, S. (1986): Parler vulgairement. Les intellectuels et la langue française aux XIIIe et XIVe siècles, Paris/Montréal. Roques, G. (1997): „Des interférences picardes dans l’Anglo-Norman Dictionary“, in: Gregory, S./Trotter, D.A. (edd.): De mot en mot: Aspects of Medieval Linguistics, Cardiff, 191-98. Roques, G. (2006, sous presse): „Les régionalismes français en anglo-normand“, in: Actes du XXIVe Congrès International de Linguistique et de Philologie Romanes, Tübingen. Trotter, D.A. (2003): „L’anglo-normand: variété insulaire, ou variété isolée?“, Médiévales 45, 43-54. Maria Selig (Regensburg) Das Pikardische – Gedanken zu einer altfranzösischen Dialektologie Es ist alles andere als leicht, die sprachliche Situation, die in dem heute Nordfrankreich genannten Gebiet im Mittelalter geherrscht hat, so zu beschreiben, dass nicht die moderne, von der Standardsprache dominierte Situation durchscheint. Denn bereits die Rede von der „dialektalen Vielfalt des Altfranzösischen“ projiziert das spätere einheitsstiftende ‚Dach‘ zurück in eine Zeit, in der eine 97 überregionale, die Dialekte einigende Varietät namens Altfranzösisch keinesfalls existierte. Die Beeinflussung durch die modernen Sprachverhältnisse geht aber noch weiter. Denn bei genauerem Hinsehen wird sichtbar, dass die so genannten Dialekte des Altfranzösischen im Prinzip Rückprojizierungen dialektaler Grenzziehungen sind, wie sie sich etwa im 19. Jahrhundert beobachten ließen. Diese – doppelte – Überlagerung der mittelalterlichen Sprachsituation soll am Beispiel des Pikardischen nachvollzogen werden. Hans Goebl (Salzburg) Sprachwandel im Raum: dialektometrisch betrachtet (mit galloromanischen Beispielen) Nicht erst seit Immanuel Kant (1724-1804) weiß man, daß Zeit und Raum essentiell miteinander verschränkte Dimensionen darstellen. Für die konkrete Forschungspraxis jener Wissenschaften, die mit der empirischen Beobachtung des geographischen Raumes und sich darauf entfaltender (belebter und unbelebter) Phänomene befaßt sind, bedeutet dies, daß jede von ihnen getätigte diatopische Analyse eo ipso auch diachrone Relevanz hat. Davon sind somit die Geologie und die Geolinguistik in gleicher Weise betroffen. Im Rahmen meines Beitrags soll unter paralleler Beachtung der ge ometrisch-euklidischen und der basilektal-linguistischen Bewirtschaftung des Raums der Galloromania gezeigt werden, inwieweit sich grundlegende Etappen der Sprachgeschichte der Galloromania in die (nur dialektometrisch sichtbar zu machenden) Tiefenstrukturen des Atlas linguistique de la France eingeschrieben haben und wie diese tiefenstrukturelle Introspektion methodisch bewältigt werden kann. Mein Beitrag wird mit einer Computerdemonstration verbunden sein. 98 Ingrid Neumann-Holzschuh (Regensburg) Die Varietäten des akadischen Französisch zwischen Kontinuität und Diskontinuität Die Varietäten des akadischen Französisch, die noch heute in den maritimen Provinzen Kanadas sowie in Neufundland und in Louisiana (USA) gesprochen werden, haben sich seit der Mitte des 18. Jhs., als Tausende von Akadiern aus ihrer Heimat vertrieben wurden und sich überwiegend in Louisiana wieder ansiedelten, unterschiedlich entwickelt. Dass das Akadische Neuschottlands in mancher Hinsicht heute archaischer ist als die Varietät von Neubraunschweig, ist v.a. seit den Arbeiten von K. Flikeid bekannt, das Verhältnis des Akadischen in Neufundland und in Louisiana zu den beiden anderen Varietäten ist bislang jedoch kaum Gegenstand der Forschung gewesen. Auf der Basis eines alle Varietäten des akadischen Französisch umfassenden grammatischen Korpus sollen die z.T beträchtlichen Unterschiede zwischen den kanadischen Varietäten und dem Cadien, das in diachroner Hinsicht eine Varietät „der zweiten Generation“ ist, aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Folgende Fragen stehen dabei im Zentrum: Welche extralinguistischen Faktoren haben zu der Ausdifferenzierung des Akadischen beigetragen? Inwieweit hat das Cadien typisch akadische Merkmale aufgegeben, handelt es sich bei Cadien vielleicht sogar um ein „acadien avancé“? Inwieweit können für das akadische Französisch die Konzepte eines continuum transgéographique bzw. continuum interlinguis tique von R. Chaudenson fruchtbar gemacht werden? 99 Rembert Eufe (Strasbourg) „Secondo la mente, intencion et comandamento de la nostra illustrissima Signoria“ – Proklamationen, Sendbriefe und Prozessprotokolle aus dem venezianischen Kreta des 15. und 16. Jahrhunderts Räumliche Diskontinuität kann in besonderem Maße in der Entwicklung überseeischer Kolonien gegenüber ihrem Mutterland zum Tragen kommen. Ein in der Romanistik bisher recht wenig untersuchtes Terrain stellen in dieser Hinsicht die ehemals zur Republik Venedig gehörenden Gebiete im Mittelmeerraum dar. Dazu zählt unter anderem Kreta, dessen über vierhundertjährige venezianische Herrschaft schon wegen ihrer Dauer eine eingehendere Betrachtung ihrer sprachlichen Seite wert ist: Verwendeten die Venezianer auf Kreta das gleiche volgare wie in Venedig, erfuhr es dementsprechend hier wie dort die gleichen Veränderungen? Oder zog die räumliche auch eine sprachliche Diskontinuität nach sich und sorgte für die Entstehung eines veneziano coloniale auf Kreta? Diesen Fragen soll anhand einer Analyse von Dokumenten aus der Kanzlei des venezianischen Gouverneurs Duca di Candia nachgegangen werden. Dafür wurden Proklamationen (bandi), Sendbriefe (missive) und Prozessprotokolle (memoriali) der beiden Jahrgänge 1472 und 1567 ausgewählt. Eine solche Zusammenstellung erlaubt es, insbesondere die Ausbreitung des in der Entstehung begriffenen Italienischen im venezianischen Organisationsschrifttum der Kolonie nachzuzeichnen. Die Ergebnisse der Untersuchung lassen sich mit den für Venedig verfügbaren Daten abgleichen; dies wiederum gibt Aufschluss darüber, inwieweit sich die räumliche Diskontinuität auf den sprachlichen Wandel auswirkt. Literatur: Cortelazzo, M. (2000): „Il veneziano coloniale: documentazione e interpretazione“, in: Fusco, F./Orioles, V./Parmeggiani, A. (edd.): Processi di convergenza e diffe renziazione nelle lingue dell’Europa medievale e moderna, Udine, 317-325. Muljačić, Ž. (2002): „L’imbarazzo della scelta: veneziano orientale, veneziano coloniale, veneziano de là da mar?“, in: Van den Bossche, B./Bastiaensen, M./ 100 Salvadori Lonergan, C. (edd.): „... E c’è di mezzo il mare“: lingua letteratura e civiltà marina. Atti del XIV Congresso dell’A.I.P.I., Spalato (Croazia) 23-27 agosto 2000, Firenze, 103-111. Tiepolo, M.F. (1998): „Le fonti documentarie di Candia nell’Archivio di Stato di Venezia“, in: Ortalli, G. (ed.): Venezia e Creta – Atti del Convegno Internazionale di Studi, Iraklion-Chanià, 30 settembre – 5 ottobre 1997, Venezia, 43-72. Tomasin, L. (2001): Il volgare e la legge: storia linguistica del diritto veneziano (secoli XIII –XVIII), Padova. La grammaticalisation du complément du nom possessif en ancien français et en roumain Maria Iliescu (Innsbruck) La grammaticalisation du complément du nom possessif en ancien français et en roumain En dépit de l’affirmation d’Amado Alonso que le français et le roumain font partie d’une Romania discontinua, les deux idiomes présentent en diachronie des ressemblances frappantes. La communication s’occupe en ce sens des variantes et de la grammaticalisation du complément du nom possessif qui montre un développement presque identique dans les deux langues, ressemblances qui s’expliquent par le latin tardif de Gaule et de l’Orient de l’empire roman. Le point de départ de cette ressemblance est dû au datif nominal qui pénètre dans le domaine du génitif en le remplaçant partiellement. Les faits présentés servent aussi de preuve que l’identité du génitif et du datif roumain est un phénomène d’origine latine, qui ne doit pas être cherché dans ‚Union balcanique‘ cité à tort et à travers quand il s’agit du roumain. Marc-Olivier Hinzelin (Konstanz) Sprachklassifikation, Sprachkontakt und Sprachwandel am Beispiel der Stellung der Objektpronomina im Okzitanischen Im Vortrag wird der Wandel in der Stellung der Objektpronomina zum finiten Verb im Okzitanischen untersucht. Die Variation von prä- und postverbaler Position im Altokzitanischen erkläre ich 101 syntaktisch: bestimmte Elemente vor dem Verb wie die Negation, subordinierende Konjunktionen (Komplementierer) u.a. lösen die obligatorische Voranstellung aus. Die syntaktische Klassifikation des Okzitanischen als Sprache galloromanischen oder doch eher iberoromanischen Typus wird in Bezug auf dieses Phänomen hinterfragt. Der Vergleich mit Daten aus dem Altkatalanischen und Altfranzösischen zeigt, dass das Altokzitanische sich in Bezug auf die untersuchte Eigenschaft eher wie das Altkatalanische (und die anderen iberoromanischen Sprachen) als wie das Altfranzösische verhält, eine Variation in der Frequenz der postverbalen Stellung allerdings auch innerhalb der einzelnen Dialekte des Okzitanischen auftritt. Als mögliche Ursache für den Wandel wird der Einfluss des Französischen gegenüber einem sprachinternen Wandel anhand von Daten aus einem Korpus nicht-literarischer Texte (Urkunden, Tagebücher etc.) diskutiert. Paola Benincà / Nicoletta Penello (Padova) Variazione sincronica e diacronica nella sintassi romanza: L’Atlante Sintattico dell’Italia Settentrionale e i dati della Filologia In questa relazione ci proponiamo di illustrare il contributo che lo studio della microvariazione sincronica può portare alla comprensione dell’evoluzione diacronica della sintassi (come è già stato dimostrato per fonologia e morfologia). Ci occuperemo dell’Italia settentrionale, utilizzando lo strumento della banca dati dell’ASIS, Atlante Sintattico dell’Italia Settentrionale, del quale illustreremo brevemente scopi e modalità. Per l’illustrazione abbiamo scelto le strutture interrogative e la negazione postverbale. Per le strutture interrogative partiremo dalla discussione riguardante lo statuto sintattico dell’inversione del soggetto, se essa sia cioè una coniugazione speciale o un movimento sintattico. Dalla variazione dialettale si trova documentata una serie di stadi: in102 versione riconoscibile come sintattica, inversione morfologizzata, mancanza di inversione, raddoppio del clitico soggetto, raddoppio propaginato ai clitici complemento. Si mostrerà da lavori di analisi (Benincà 1989, Munaro 2002) che l’inversione non è solo delle interrogative, ma anche di strutture marcate nella periferia sinistra. La tipologia di queste costruzioni può essere confrontata con stadi antichi delle varietà settentrionali: si prenderà dal veneto lagunare di Lio Mazor e dall’antico milanese (XIV sec.) l’esempio di alcune strutture. Con il piemontese del XVII e XVIII sec. si possono confrontare strutture più recenti (con inversione o con raddoppiamento del clitico) in varietà in cui oggi l’inversione è perduta (cfr. Parry 1997). Il confronto tra il veneziano moderno e il veneziano settecentesco di Goldoni (cfr. Polo 2004), mostra che l’eliminazione dell’inversione nelle strutture interrogative avrebbe preso le mosse da una tipologia specifica di frasi interrogative che si accompagnano a proprietà interpretative particolari. L’inversione con raddoppiamento del clitico (soggetto o oggetto) è oggi documentata in varietà venete (cfr. Penello 2004) in cui si aveva presumibilmente inversione semplice. La diacronia documenta gli stessi tipi osservabili in sincronia. Si concluderà che, anche se la struttura è morfologizzata (anche se, cioè, la forma non sembra generabile meccanicamente), le forme con aggiunta di materiale identificabile come collegato al soggetto sono utilizzate quando si ha movimento del verbo a sinistra, connesso a processi sintattici della periferia della frase. Il secondo argomento è la negazione: analizzando i tipi di negazione frasale nei dialetti dell’Italia settentrionale si osserva riprodotto nella variazione sincronica il ciclo di Jespersen, la prima (e per lungo tempo unica) generalizzazione sulla diacronia della sintassi. I dialetti dell’Italia settentrionale, esclusa l’area veneta, hanno negazioni postverbali, che hanno i loro antecedenti – in epoca tardo medievale o più recenti – in forme di negazione discontinua, originariamente con valore presupposizionale (cfr. Cinque 1994, 103 Zanuttini 1997). E’ interessante che non solo la comparazione dei tipi, ma anche la loro distribuzione geografica mostra la stessa stratificazione; andando dal Veneto alla Lombardia o dal Veneto all’Emilia-Romagna si passa attraverso gli stessi stadi ricostruibili nella grammatica sincronica e documentati nella grammatica diacronica (cfr. Vai 1995, Viale 2004). Bibliografia: Benincà, P. (1989): „Friaulisch: Interne Sprachgeschichte I. Grammatik“, in: Holtus, G./Metzeltin, M./Schmitt, C. (edd.): Lexikon der Romanistischen Linguistik, vol. III: Die einzelnen romanischen Sprachen und Sprachgebiete von der Renaissance bis zur Gegenwart: Rumänisch, Dalmatisch/Istroromanisch, Friaulisch, Ladinisch, Bündnerroma nisch, Tübingen, 563-585. Cinque, G. (1994): „Mica“, in: id. (ed.): Teoria Linguistica e sintassi italiana, Bologna, 311-323. Munaro, N. (2002): „Splitting up subject-clitic verb inversion“, in: Beyssade, C. et al. (edd.): Romance Languages and Linguistic Theory 2000, Amsterdam/ Philadelphia, 233-252. Munaro, N. (2005): „Computational puzzles of conditional clause preposing“, in: Di Sciullo, A.M. (ed.): UG and External Systems, Amsterdam, 73-94. Parry, M. (1997): „Variazione sintattica nelle strutture interrogative piemontesi“, in: Benincà, P./Poletto, C. (edd.): Quaderni di Lavoro dell’ASIS I, Padova, 91-103. Penello, N. (2004), „On enclisis and proclisis in interrogatives in the Northern Italian variety of Carmignano di Brenta“, in: Cocchi, G./Donati, C. (edd.): Atti del XXIX Incontro di Grammatica Generativa, Padova, 59-72 [= Rivista di Grammatica Generativa, 27]. Polo, C. (2004): „Presentazione dell’ASIS, con illustrazione di alcuni fenomeni“, in Marcato, G. (ed.): Questioni Linguistiche. Lingue e Dialetti nel Veneto, vol. 2, Padova, 3-18. Vai, M. (1996): Per una storia della negazione in milanese in comparazione con altre va rietà altoitaliane, Milano [= Annali della Facoltà di Lettere e Filosofia dell’Università di Milano, 49]. Viale, A. (2004): Microvariazione della negazione postverbale nel Veneto orientale, Tesi di laurea, Università di Padova. Zanuttini, R. (1997): Negation and Clausal Structure, New York/Oxford. 104 Davide Ricca (Torino) Tratti instabili nella sintassi del piemontese contemporaneo: tra italianizzazione e arcaismi locali Negli anni recenti si è parlato ampiamente di italianizzazione dei dialetti (cfr. Sanga 1985, Grassi 1993, Radtke 1995, Sobrero 1997, Berruto 1997), ma, come è stato detto da molti, prevalentemente riguardo ai due estremi del sistema linguistico: la fonologia da un lato e il lessico dall’altro. Meno considerati, e tanto meno analizzati in modo sistematico, sono stati i due livelli centrali, la morfologia e la sintassi. In questo contributo si focalizzerà l’attenzione su alcuni tratti instabili della sintassi del piemontese contemporaneo, la cui instabilità potrebbe essere imputata a fenomeni di contatto, in quanto alla forma tradizionale (e anche normativa) del torinese, divergente dall’italiano, si affianca con crescente frequenza un’alternativa strutturalmente più vicina o coincidente con quella dell’italiano. Tale instabilità non sembra coinvolgere affatto alcuni tratti „bandiera“ della sintassi della koiné di base torinese, come la negazione dopo il verbo finito (a parla nen ‚non parla‘) o la posizione postparticipiale dei clitici non soggetto nei tempi composti (a l’ha parlamne ‚me ne ha parlato‘); ma altri tratti forse meno appariscenti, come il clitic doubling per i clitici dativi (i l’hai telefonaje a Gioann ‚ho telefonato a Giovanni‘), la presenza di un clitico locativo non argomentale con i verbi inaccusativi con soggetto posposto (a l’é mòrtje ël gat ‚è morto il gatto‘ vs. ël gat a l’é mòrt ‚il gatto è morto‘), o ancora l’assenza di articolo con il possessivo femminile (a l’ha contame soa stòria ‚mi ha raccontato la sua storia‘) sembrano oggi alternare liberamente con strutture parallele a quelle italiane. È in parte anche questo il caso dell’obbligatorietà dei clitici soggetto, estesa a tutte le persone nella koiné più normativa, ma di fatto limitata da sempre alla 2a sing., 3a sing. e 3a pl., che attualmente sembra regredire sensibilmente anche nelle terze persone; o delle interrogative di costituente con che (andoa ch’it vade? ‚dove vai?‘), che non hanno in 105 realtà mai raggiunto lo stadio di costruzioni obbligatorie, ma oggi appaiono in regressione rispetto al tipo andoa (i)t vade? parallelo all ‚italiano (cfr. Parry 2003:155). Non è tuttavia evidente che tali alternanze debbano essere interpretabili esclusivamente in termini di italianizzazione. Infatti, molti dei tratti sintattici sopra citati hanno una lunga storia di coesistenza nel piemontese con le strategie apparentemente „italianeggianti“, che anzi in realtà sono spesso le più antiche. Diverse innovazioni di carattere „anti-italiano“ affiorano appena nel Seicento e si stabilizzano definitivamente nella koiné torinese solo lungo l’Ottocento: la varietà urbana torinese ha in effetti continuato a divergere crescentemente sul piano sintattico dall’italiano in un periodo in cui il contatto linguistico con la lingua-tetto era già tale da comportare un massiccio afflusso di prestiti, con sensibili conseguenze italianizzanti nella fonetica, nella morfologia derivazionale e anche nell’organizzazione delle classi flessive. Non sempre, però, le innovazioni irradiate dalla capitale hanno avuto il tempo di affermarsi compiutamente in periferia; per cui quel che appare come italianizzazione può anche essere un rafforzarsi di tratti arcaici (in quanto locali) mai totalmente scomparsi, in una fase storica in cui la koiné dialettale urbana ha ormai perso ogni ruolo/prestigio. Da ciò l’esito paradossale che varietà periferiche possono apparire in certi ambiti più italianizzate della varietà cittadina (come è stato già osservato per il lessico e la morfologia, cfr. Grassi 1993:284), al contrario dell’assunzione normalmente condivisa che i fenomeni di italianizzazione muovano a partire dai grandi centri urbani. In questo contributo si cercherà da un lato di dare un quadro descrittivo dei principali mutamenti sintattici in senso italianizzante che si incontrano nel piemontese contemporaneo, e dall’altro di verificare, dove possibile, la plausibilità di uno scenario che attribuisca all’arcaismo locale per lo meno un ruolo di catalizzatore di tali mutamenti. Si farà riferimento sia ad esempi di koiné scritta 106 (specialmente di quella meno letteraria e più esposta al contatto linguistico, come articoli di riviste su temi „moderni“, e, se sarà possibile, campioni di dialetto in rete), sia a documentazioni orali di parlanti sostanzialmente orientati verso la koiné, ma residenti in diverse aree del Piemonte. Bibliografia: Berruto, G. (1997): „Linguistica del contatto e aspetti dell’italianizzazione dei dialetti: appunti di creolistica casalinga“, in: Holtus, G./Kramer, J./Schweickard, W. (edd.): Italica et Romanica. Festschrift für Max Pfister zum 65. Geburtstag, vol. 3, Tübingen, 13-29. Grassi, C. (1993): „Italiano e dialetti“, in Sobrero, A. (ed.): Introduzione all’italiano contemporaneo, vol. II: La variazione e gli usi, Bari, 279-310. Parry, M. (2003): „Cosa ch’a l’é sta storia? The interaction of pragmatics and syntax in the development of Wh-interrogatives with overt complementizer in Piedmontese“, in: Tortora, C. (ed.): The Syntax of Italian Dialects, Oxford, 152-174. Radtke, E. (1995): „Il problema della regressione dialettale“, in: Romanello, M.T./Tempesta, I. (edd.): Dialetti e lingue nazionali. Atti del XXVII Congresso della Società di Linguistica italiana, Roma, 45-53. Sanga, G. (1985): „La convergenza linguistica“, in: Rivista italiana di dialettologia 9, 7-41. Sobrero, A. (1997): „Italianization of the dialects“, in: Maiden, M./Parry, M. (edd.): The Dialects of Italy, London, 412-418. Martin Haase (Bamberg) Tempus, Aspekt und Modus in Raum und Zeit Im Rahmen des Grammatikalisierungsmodells werden Veränderungen im Tempus-Aspekt- Modus-System (TAM-System) durch zwei Prozesse erklärt: (a) (ältere) synthetische Formen werden durch analytische (expressive) Ausdrucksmittel ersetzt, (b) analytische Ausdrucksmittel werden synthetisch und verlieren dabei an Form und Inhalt (semantic bleeching). Bekannte Beispiele sind die Geschichte des romanischen Futurs (FACERE HABEO-Typ) und die des analytischen Präteritums (HABEO FACTUM-Typ). Auf der Basis dieses Modells ist es 107 möglich, das relative Alter der Formen zu bestimmen. Sieht man sich den Befund für die einzelnen romanischen Sprachen und Dialekte genauer an, stellt man jedoch fest, dass die Angelegenheit viel komplizierter ist: Bisweilen existieren totgesagte Formen weiter, während andererseits aus dem Modell zu erwartende Innovationen systematisch ausbleiben: In weiten Teilen Mittelitaliens (außerhalb der Toskana) soll das romanische Futur des FACERE HABEOTyps verschwunden sein, man findet aber durchaus Einzelformen in der Funktion eines Probabilitätsfuturs, die sich nicht aus dem Kontakt mit dem Standarditalienischen erklären lassen. Am Rand der Ibero-Romania und in der Walachei spezialisieren sich Präteritalformen entgegen den Erwartungen des Grammatikaliserungsmodells zu Resultativformen. Es soll gezeigt werden, wie diese Phänomene in einen Zusammenhang gestellt werden können. Thomas Stehl (Potsdam) Phonologischer Wandel im Sprachkontakt: Divergenz, Konvergenz und zyklische Drift Wenn man in bezug auf die Typen des Sprachwandels im Anschluß an Helmut Lüdtke eine Unterscheidung trifft zwischen endogenem, divergentem, zentrifugalem Sprachwandel (meist) einer Sprache und kontaktdynamischem, konvergentem und zentripetalem Sprachwandel als Ergebnis des Sprachkontaktes zweier Sprachen (oder einer Standardsprache und einer dominierten Kleinsprache bzw. eines romanischen Basisdialekts),1 so stellen sich in bezug auf den phonologischen Wandel in Situationen des Sprachkontaktes Fragen nach dem Verhältnis von divergentem und konvergentem Wandel: Gibt es Prozesse des endogenen Wandels in einer oder in beiden Kontaktsprachen unabhängig von der Interferenz der jeweils anderen Sprache? Gibt es „Überkreuzungen“ in dem Sinne, daß endogener, divergenter Wandel und kontaktbedingter, konvergenter Wandel sich wechselseitig beeinflussen, und daß die Ergebnisse wechselseitig „genutzt“ werden, indem 108 sie aufeinander „aufbauen“? Geht man wie Helmut Lüdtke und Rudi Keller davon aus, daß der divergente Wandel eine „zyklische Drift” von Wortkörperschrumpfung > semantaktischer Erweiterung > Verschmelzung aufweist,2 und geht man ferner davon aus, dass der konvergente Wandel, ausgehend von einer Diglossie-Situation, eine analoge zyklische Drift von Kontakt > Konvergenz > Diglossie durchläuft,3 so rücken besonders jene Phänomene des phonologischen Wandels in den Mittelpunkt des Interesses, in denen – immer im Bereich der Phonologie – Prozesse einer zyklischen Drift erkennbar werden, in denen auf die Verfahren eines historisch zurückliegenden Sprachzustandes zurückgegriffen wird, um das phonologische System einer mesolektalen Kontaktvarietät in der aktuellen Sprachkontaktsituation analog zu restrukturieren. Der empirische Bezugsrahmen des Beitrags betrifft die Sprachkontakte „Französisch => Okzitanisch“ im Périgord und „Italienisch => Basisdialekte Apuliens“ in der Provinz Bari, wo jeweils beide Prozesse des Sprachwandels ineinander greifen und eine zyklische Drift erkennen lassen, in der das Wechselverhältnis von divergentem und konvergentem Sprachwandel deutlich wird. ________________________ Cf. Lüdtke, H. (1980a): „Sprachwandel als universales Phänomen“, in: Lüdtke, H. (ed.): Kommunikationstheoretische Grundlagen des Sprachwandels, Berlin/New York, 1-19, hier: 8-9; Lüdtke, H. (1980b): „Auf dem Weg zu einer Theorie des Sprachwandels“, ibid., 182-252, hier: 250-252; cf. hierzu jetzt auch Stehl, T. (2005): „Sprachwandel und Sprachgenese. Kontinuität und Bruch in der Sprachgeschichte“, in: Stehl, T. (ed.): Unsichtbare Hand und Sprecherwahl. Typologie und Prozesse des Sprachwandels in der Romania, Tübingen, 87-110. 2 Cf. Keller, R./Lüdtke, H. (1997): „Kodewandel“, in: Posner, R./Robering, K./ Sebeok, T.A. (edd.): Semiotik. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur, 1. Teilband, Berlin/New York, 414-435, hier: 424-426. 3 Cf. Stehl 2005:103-105. 1 109 Michele Loporcaro / André Hilal (Zürich) Contatto e mutamento linguistico in Sardegna settentrionale: il caso di Luras Il Nord della Sardegna offre una situazione linguistica notoriamente variegata in cui da secoli si trovano a contatto varietà strutturalmente distinte. Nel caso del catalano di Alghero questa separatezza ha una matrice storica chiara: in seguito a vicende note (conquista da parte del re d’Aragona e ripopolamento con coloni catalani a partire dal 1354) vi si parla un dialetto catalano, dunque radicalmente distinto dalle parlate sarde immediatamente adiacenti. Più complesso è il rapporto fra logudorese e sassarese-gallurese, data l’oscurità delle circostanze storiche cui si deve la marcata differenziazione oggi riscontrabile. Se Ascoli (1882-85:108) attribuiva al gallurese „un fondo sardo, ma bizzarramente sopraffatto da immissioni d’altri elementi, tra i quali il côrso meridionale [...] è di gran lunga il più copioso“, successivamente s’è definito questo rapporto oscillando fra le due posizioni sintetizzate da Merlo (1925:20): „Teoricamente, il gallurese potrebb’essere sardo contaminato di corso non meno che corso contaminato di sardo“. Così, pur riconoscendone il fondo sardo, Wagner (1923:226) manda decisamente il gallurese-sassarese, a fini classificatori, „mit dem Korsischen zum Festlanditalienischen“, in polemica con Bottiglioni (1919:44ss) che vede un rapporto più stretto fra gallurese-sassarese e logudorese. Entro questo quadro complesso, il presente lavoro riconsidererà la posizione di Luras, enclave in area gallurese i cui abitanti parlano regolarmente logudorese e gallurese. A proposito dell’origine di questa situazione di bidialettalità s’è replicata in piccolo la discussione generale, contrapponendosi il parere del Bottiglioni (1919:28), che voleva il logudorese sovrapposto qui al gallurese ed acquisito dai commercianti luresi in seguito alle loro attività nel resto della Sardegna, e quella del Wagner (1923:241) che invece considera il logudorese originario ed il gallurese sovrapposto. A favore di quest’ultima interpretazione militano diversi fattori. Se ne aggiun110 gerà qui uno lessicale: la persistenza a Luras di un continuatore autoctono di VETULUS > VECLUS segnalata sinora soltanto in alcuni dialetti centrali mentre il logudorese l’ha generalmente sostituito con bettsu, adattamento del tosc. vecchio. Si passerà quindi all’ambito morfosintattico, considerando alcuni tratti per i quali il lurese diverge dal logudorese comune e che vanno senz’altro imputati a mutamenti prodottisi per contatto col gallurese. L’uno è in parte noto: si tratta dell’abolizione della segnalazione della differenza di genere nel plurale, della quale normalmente si nota in bibliografia soltanto un aspetto particolare, ossia l’estensione al maschile dell’articolo det. sas (Campus 1901:15 n. 1, Wagner 1923:241). Si ha qui concordanza con le condizioni del gallurese (Guarnerio 1892-94:§207, Corda 21990), poiché questo ha un’unica forma di plurale nell’articolo: li akki ‚le vacche‘ (sing. la akka) come li jatti ‚i gatti‘ (sing. lu jattu). Mentre in gallurese la neutralizzazione si è originata per via puramente fonetica, l’abbandono della forma logudorese comune di mpl sos e la generalizzazione di sas a Luras costituiscono un mutamento puramente morfologico. Un altro ben noto parametro per il quale il (sassarese-)gallurese diverge dal logudorese è quello della cliticizzazione nelle perifrasi con verbo modale. Mentre il logudorese è restato alla fase più conservativa (v. in (1a) un esempio dal dialetto di Bonorva), con cliticizzazione obbligatoria al modale (e dunque con ristrutturazione nei termini di Rizzi 1976 o mancata destrutturazione in quelli di Benucci 1990), i dialetti del nord dell’isola ammettono entrambe le opzioni, come osserva Bennucci (1990:111 n. 3) in base ai materiali AIS (carta 1086) e come si illustra in (1b) con un esempio tempiese: (1) a. kustu BjaErE n tti Btt váErE/*n pptt Di lu váErE (Bonorva) b. kista ultizia n tti la pssu vá/n pssu vattilla (Tempio) 'questo piacere non te lo posso fare' Il logudorese di Luras in questo caso è in linea col logudorese co111 mune, mentre ad aver subito un influsso è il gallurese parlato dai luresi, che al contrario di quello dei centri vicini non ammette la costruzione innovativa con cliticizzazione all’infinito. In direzione opposta ha agito il contatto linguistico nel caso della cliticizzazione all’infinito dipendente fuori dei costrutti modali. In ogni costrutto infinitivale il logudorese comune ammette esclusivamente la proclisi (anche qui si tratta su scala romanza dell’opzione conservativa, rispecchiante l’ordine originario SOV) (v. (2a), nuovamente con esempi da Bonorva) mentre il logudorese di Luras permette anche l’enclisi ((2b)): (2) a. preffEldz (an)n ll iskultarE/*iskultárElu (Bonorva) b. preffEr n iskultárElu/(an)n ll iskultarE (Luras) 'preferisco non ascoltarlo' Le condizioni esatte in cui ciò si verifica saranno indagate in dettaglio in questo lavoro: certo è che dato l’assoluto isolamento del fenomeno in area logudorese, questa peculiarità del lurese configura un mutamento sintattico per contatto. Bibliografia: AIS = Jaberg, K./Jud, J. (1928-1940): Sprach- und Sachatlas Italiens und der Süds chweiz, 8 voll., Zofingen. Ascoli, G.I. (1882-85): „L’Italia dialettale“, in: Archivio Glottologico Italiano 8, 98128. Benucci, F. (1990): Destrutturazione. Classi verbali e costruzioni perifrastiche nelle lingue romanze antiche e moderne, Padova. Bottiglioni, G. (1919): Saggio di fonetica sarda, Perugia. Campus, G. (1901): Fonetica del dialetto logudorese, Torino. Corda, F. (21990): Saggio di grammatica gallurese, Sassari. Guarnerio, P.E. (1892-93): „I dialetti odierni di Sassari, della Gallura e della Corsica“, in: Archivio Glottologico Italiano 13, 125-140; 14, 131-200, 385-422. Merlo, C. (1925): „L’Italia dialettale“, in: L’Italia dialettale 1, 12-26. Rizzi, L. (1976): „Ristrutturazione“, in: Rivista di Grammatica Generativa 1, 1-54. Wagner, M.L. (1923): „Zur Stellung des Galluresisch-Sassaresischen (Aus Anlaß von Bottiglionis ‚Saggio di fonetica sarda‘.)“, in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 145, 239-249; 146, 98-112, 223-228. 112 Marcello Barbato (Zürich) Sistemi vocalici a contatto in area italo-romanza Nel suo fondamentale studio del 1939 Lausberg mostrò che in una zona dell’Italia meridionale che va dal Vallo di Diano al Salento settentrionale (Randgebiet) esiste un sistema vocalico a cinque gradi di apertura dove, salvo sotto metafonesi, I breve ed E lunga latine confluiscono con E breve, e parallelamente U breve e O lunga confluiscono con O breve: TIPO I I E E A/A O O U U napoletano i e/i /je a /wo o/u u marginale i /i /je a /wo /u u a siciliano i u Più recentemente, Dalbera Stefanaggi ha condotto a una descrizione accurata dei sistemi vocalici vigenti in Corsica, mostrando che la situazione è più complessa di quanto si credesse in passato: TIPO I sardo i taravese i „a inversione“ i i e „a neutralizzaz.“ I E E A/A O /e a /o u e a o a a o o e O U U u u u L’analogia dei fatti meridionali e di quelli corsi finora non è stata sufficientemente rilevata. Ci troviamo, in effetti, di fronte a situazioni tipologicamente simili, in cui un sistema pentavocalico (siciliano, in un caso, sardo nell’altro) è venuto a contatto con un sistema eptavocalico (rispettivamente napoletano e siciliano). I sistemi attuali si possono spiegare dunque non attraverso le dinamiche verticali (genetiche) ma quelle orizzontali (areali). In entrambi i casi fattori di tipo sociolinguistico hanno avuto la meglio sul principio tipologico 113 formulato da Roman Jakobson secondo cui „la suppression d’une distinction phonologique est plus apte à s’imposer aux parlers qui la possèdent qu’une distinction supplémentaire à s’introduire là où elle manque“ (Jakobson 1971:241). Bibliografia: Dalbera-Stefanaggi, M.-J. (2001): Essais de linguistique corse. Ajaccio. Jakobson, R. (21971 [1938]): „Sur la théorie des affinités phonologiques entre les langues“, in: id.: Selected Writings. I. Phonological Studies, The Hague/Paris, 234246. Lausberg, H. (1939): Die Mundarten Südlukaniens, Halle. Matthias Heinz (Tübingen) Zur diachronen phonotaktischen Typologie romanischer Sprachen: methodische Überlegungen Die phonotaktische Typologie romanischer Sprachen weicht vielfach ab von deren üblicher Gruppierung aufgrund morphosyntaktischer Merkmale. Für die Arealtypologie stellt die Rekonstruktion der Zugehörigkeit einzelner romanischer Sprachen zu bestimmten phonotaktischen Typen eine besondere Herausforderung dar. Als Ausgangspunkt für den Versuch einer Silbenstrukturtypologie romanischer Sprachen soll die Untersuchung bestimmter, die Silbenstrukur affizierender phonotaktischer Prozesse (Elision, Apokope, Epenthese etc.) und die Frequenzanalyse daraus resultierender Silbentypen in historischen Textzeugnissen dienen. Im Zentrum des Vortrags werden zum einen erste Ergebnisse von Voruntersuchungen für ein Forschungsprojekt zur phonotaktischen Typologie romanischer und insbesondere iberoromanischer Sprachen aufgrund der Analyse diachroner Korpora und zum anderen Überlegungen zum methodischen Problem des diskurstraditionellen Bias dieser Ergebnisse stehen. 114 Philipp Burdy (Bamberg) Probleme im Zusammenhang mit lat. au Die historische Lautlehre der romanischen Sprachen ist bis auf wenige Ausnahmen stark einzelsprachlich ausgerichtet. Betrachtet man jedoch bestimmte Phänomene, die bislang – sofern überhaupt – einzelsprachlich konstatiert worden sind, im gesamtromanischen Kontext, so werden mitunter übergeordnete Entwicklungslinien erkennbar. In dem Vortrag wird zunächst der Frage nachgegangen, was der lateinische Diphthong au phonetisch darstellt und ob hier im Laufe der lateinischen Sprachgeschichte Veränderungen eingetreten sind. Anschließend geht es um in den romanischen Sprachen zu beobachtende Wechselwirkungen zwischen au und benachbarten Konsonanten (nachfolgende Verschlusslaute und s sowie vorhergehende Liquide), die z.T. in direktem Zusammenhang mit der Eigenentwicklung von au zu stehen scheinen und sich in einigen Fällen in höhere Ordnungen romanischen Lautwandels auflösen. 115 Sektion 6 Grammatischer Sprachwandel und seine Erklärbarkeit Leitung: Ulrich Detges (München), Richard Waltereit (Tübingen) Programm Montag, 26.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Ulrich Detges (München) / Richard Waltereit (Tübingen) Einführung Giampaolo Salvi (Budapest) Sistemi imperfetti: contatto linguistico e cambiamento grammaticale Maria Goldbach (Hamburg) Morphologische Faktoren als Beschleuniger syntaktischen Wandels Regine Eckardt (Berlin) Der lange Weg zur Negation: Zur Grammatikalisierung von ‘pas’, ‘mie’ und anderen Negationspartikeln Susann Fischer (Stuttgart) Grammaticalisation within the IP domain Paul Gévaudan (Tübingen) Primärer und sekundärer grammatischer Sprachwandel in romanischen Sprachen. Konstruktionsgrammatische Differenzierung sprachlicher Gesetzmäßigkeiten Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr 116 Andreas Dufter (München) Fokusmarkierung als Explanans: Zur Interaktion von grammatischem und prosodischem Wandel 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr im Romanischen Barbara Wehr (Mainz) Pragmatische Faktoren als Auslöser für Sprachwandel Martin Becker (Stuttgart) Verschlungene Pfade einer grammatischen Kategorie ? - Der Fall amara Julia Kuhn (Wien) „Una poca de“ discusión. Versuch einer Erklärung für den Schwund dreier adnominal quantifizierender Formen Monika Sokol (Bayreuth) Sprachreflexion, Prototypen des Diskursiven und Sprachwandel: Spekulationen zur Veränderung lexikalisch-grammatischer Konstellationstypen. Esme Winter (Tübingen) Evolutionäre Argumentationen und die Frage der Erklärbarkeit von Sprachwandelphänomenen Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Hans-Ingo Radatz (Aachen) Objektpronomina, Objektklitika und Objektkonkordanz: Das Kontinuum von analytischer zu synthetischer Realisierung der Objektargumente in der Romania und im Baskischen Claus D. Pusch (Freiburg) L’impératif et le prohibitif dans les langues romanes : comment expliquer leur changement diachronique ? Donnerstag, 29.09.05 9.00 Uhr Susanne Michaelis (Leipzig) Die Rolle der Frequenz in der Entstehung von Kreolsprachen 117 9.45 Uhr Elisabeth Stark (Berlin) Gedanken zur Entstehung des D- and Num-Systems im Romanischen Abstracts Giampaolo Salvi (Budapest) Sistemi imperfetti: contatto linguistico e cambiamento grammaticale Nelle lingue si trovano spesso costruzioni grammaticali che non sfruttano pienamente le potenzialità insite nelle loro caratteristiche fondamentali. Si tratta molte volte di casi di grammaticalizzazione imperfetta riconducibili al modo in cui queste costruzioni si sono formate. Esemplificheremo questo fenomeno con due casi speciali tratti da varietà romanze: le costruzioni del si passivo e del si impersonale in italiano standard e il sistema del congiuntivo nel soprasilvano. Mostreremo come le condizioni particolari in cui le costruzioni sono nate (in ultima analisi, una qualche forma di contatto linguistico) possano spiegare il carattere non perfetto delle costruzioni. I due esempi studiati sono interessanti perché mostrano in maniera chiara come la forma che le lingue assumono storicamente è in parte determinata dal caso, inteso come il concorso di fattori non prevedibili. Ancora più interessante è però il fatto che il funzionamento del linguaggio umano è determinato da principi generali, ed è dall’interazione di questi principi con i casi della storia che nascono le lingue storicamente attestate. Siccome credo che i principi siano più importanti del caso, questi due esempi in cui il caso sembra sopraffare i principi sono provocativi e stimolanti perché ci invitano a studiare le modalità e i limiti di questa interazione per capirne meglio il funzionamento. 118 Maria Goldbach (Hamburg) Morphologische Faktoren als Beschleuniger syntaktischen Wandels Anhand von Infinitivkonstruktionen im Lateinischen, Altitalienischen, Alt- und Mittelfranzösischen und im brasilianischen Portugiesischen soll in unserem Vortrag die Sichtweise motiviert werden, dass morphologisch oder phonologisch bedingte Veränderungen im morphologischen Paradigma von funktionalen Elementen wie z.B. von Tempus, Diathese und von klitischen sowie von unverbundenen Pronomen Auswirkungen auf einige syntaktische Strukturen hat, in denen diese funktionalen Elemente eine Rolle spielen. Je nach Art der Entwicklung im morphologischen Paradigma können die Auswirkungen in der Syntax auf der einen Seite darin bestehen, dass die betreffenden syntaktischen Strukturen unproduktiv werden und durch konkurrierende neue Konstruktionen ersetzt werden (wie beim lateinischen Accusativus cum Infinitivo). Die zum Ausrangieren ausgemusterte Konstruktion muss dabei überhaupt keine Strukturveränderung durchlaufen. Auf der anderen Seite kann eine Zunahme an Produktivität einer syntaktischen Einheit beobachtet werden, die unter Umständen mit einer syntaktischen Umkategorisierung einhergeht (wie bei Klitikanhebungsund Infinitiveinbettungsstrukturen im Mittelfranzösischen). Unser Vortrag skizziert die Suche nach einem Kausalzusammenhang zwischen den beteiligten Phänomenen nach der Art einer allgemeinen Gesetzesaussage. D.h. wir streben ein deduktives Erklärungsmodell an. Dabei werden wir auch zeigen, an welche Grenze unsere Suche stößt, weil wir einige grammatische Faktoren, von der die syntaktische Struktur ebenfalls abhängt (wie z.B. semantische Zusammenhänge), noch nicht hinreichend spezifizieren können. Mithin wollen wir herausstellen, dass das Ergebnis eines syntaktischen Wandels aus dem Zusammenwirken mehrerer, von einander unabhängiger grammatischer Faktoren resultieren kann und es nicht immer möglich ist, einen einzelnen Auslöser auszumachen. 119 Regine Eckardt (Berlin) Der lange Weg zur Negation: Zur Grammatikalisierung von ‘pas’, ‘mie’ und anderen Negationspartikeln Seit Jespersens klassischen Arbeiten zur Negation gilt als Gemeingut, dass sich ursprüngliche Negationsverstärker im Laufe der Zeit in ihrem rhetorischen Wert abnutzen, zu einem regulären Teil der Negation werden und diese schließlich sogar ersetzen können. Die Entwicklung von Altfrz. ‘pas’ = Schritt zum modernen ‘pas’ als Teil der zweigliedrigen Negation ‘ne...pas’, oder auch als alleinige Negation, wird allgemein als ein Paradebeispiel dieses Trends angeführt. In meinem Vortrag werde ich das Stadium der “Negationsverstärkung” näher beleuchten. Bekannte Daten im Altfranzösischen zeigen, dass die Negationspartikeln wie ‘mie’, ‘goutte’, ‘point’ usw. neben negativen Kontexten auch in anderen Konstruktionen verwendet wurden. Ich argumentiere, dass das Spektrum möglicher Verwendungen keineswegs durch “linguistische Verwirrung” der damaligen Sprecher zustande kommt. Es zeigt vielmehr, dass diese Partikeln als sog. negativ-polare Elemente verwendet wurden. Ausgehend von der pragmatischen Theorie polaritätssensitiver Elemente wird gezeigt, dass dieses Stadium ein natürlicher Zwischenschritt auf dem Weg zur Negation ist, der sich in zahlreichen Sprachen der Welt wiederfinden läßt. Die Analyse expliziert eine Einsicht, die in der traditionellen romanistischen Literatur des 19. Jahrhunderts bereits implizit ist, nämlich dass beispielsweise ein Satz wie (i) eine organische Vorstufe zur negativen Verwendung von ‘point’ wie in (ii) sein muss: (i) Resanble je point a celui Qui sol ... vos secorut a cel besoin? Sehe ich dem irgendwie ähnlich, der allein ... Euch in dieser Sache zu Hilfe kam? (ii) Elle ne l’aime point sie liebt ihn (überhaupt) nicht. 120 Susann Fischer (Stuttgart) Grammaticalisation within the IP domain In a generative framework Grammaticalisation is defined as the creation of new functional material through the reanalysis of lexical material or functional material. In this paper I attempt to provide the evidence for the idea that grammaticalization involves the reanalysis of functional categories. In my view functional categories are present in all languages. Languages however differ in the way these functional heads are equipped. Functional heads may be phonetically realized by Merge (i.e. the lexicon provides a morphophonological matrix for the functional head) or by Move (i.e. material from elsewhere in the clause structure is moved to the functional head), or they may not be phonetically realized (i.e. covert movement takes place only after Spell Out). The change in word-order from Old Catalan to Modern Catalan can explained by a change within the functional categories. Old Catalan in contrast to Modern Catalan possessed an additional functional category with strong features that needed to be filled phonetically either by Move or by Merge. Paul Gévaudan (Tübingen) Primärer und sekundärer grammatischer Sprachwandel in romanischen Sprachen. Konstruktionsgrammatische Differenzierung sprachlicher Gesetzmäßigkeiten Die Erklärung von grammatikalischem Sprachwandel setzt ein bestimmtes Verständnis von Grammatik voraus. Frühere und aktuelle Grammatiktheorien hinterlassen zumeist den Eindruck eines “Pools” von Kategorien, auf die eine Reihe von “Gesetzen” zur Anwendung kommen. Doch gerade die Untersuchung von Grammatikalisierung zeigt, dass diese Vorstellung in die Irre führt. Dies zeigt sich beispielsweise an der der Entstehung des romanischen Artikels la aus dem lateinischen Demonstrativum illa(m). Hier ver121 wenden die Sprecher zunächst eine Konstruktion des Typs illa(m) casa(m), die einerseits expressiv ist, andererseits aber bereits die funktionalen Merkmale der späteren romanischen Konstruktion (la casa) aufweist. Bevor man jedoch von einer Kategorie “Artikel” sprechen kann, ist diese Konstruktion einschließlich ihres funktionalen Profils bereits habitualisiert. Hier gilt es also zu unterscheiden zwischen der Entstehung des Funktionsworts la und der Entstehung der Kategorie Artikel. In synchronischer Perspektive zeigen solche Beispiele, dass grammatische Regeln keine allgemeinen Gesetzmäßigkeiten im strengen Sinne sind. Mehr noch: Auf der Grundlage des Konstruktionsbegriffs (Goldberg 1995, Croft 2001) kann man zeigen, dass einzelne Regeln, die mit Lexien und Konstruktionen verbunden sind, grundsätzlichen Vorrang vor allgemeineren Gesetzmäßigkeiten haben. Historisch gesehen sind diese das Ergebnis von Prozessen der Analogisierung (in konstruktioneller Terminologie “Vererbung”). Das von Croft (2001: 17) beschriebene Syntax-LexikonKontinuum (vgl. Langacker 1987: 25–27) lässt sich in diesem Sinne als Hierarchie der Gesetzmäßigkeiten deuten. Für die Grammatikalisiserungsforschung ergibt sich daraus die Notwendigkeit, zwischen primärer Grammatikalisierung von Konstruktionen und sekundärer Grammatikalisierung zu unterscheiden. Für die Erklärung von grammatischem Wandel müssen hier zwei völlig unterschiedliche Wege beschritten werden. Andreas Dufter (München) Fokusmarkierung als Explanans: Zur Interaktion von grammatischem und prosodischem Wandel im Romanischen Im Gegensatz zur Prager Tradition argumentieren viele neuere Arbeiten zur Informationsstruktur für eine weite, nicht auf emphatische und kontrastive Funktionen beschränkte und von der Topik–Kommentar–Gliederung unabhängige Konzeption von Fokus. Nicht selten wird dabei auf Sprachen wie das Ungarische 122 verwiesen, die für fokussierte Teile satzförmiger Äußerungen eine eigene syntaktische Position reservieren. Auch in Sprachen ohne eine solche Fokuskonfigurationalität können aber nach Lambrecht (2000) zumindest Satz-, Prädikat- und Argumentfoki durch unterschiedliche Satzgestalten differenziert und signalisiert werden. In meinem Vortrag sollen die Veränderungen von Fokusmarkierungen in der Geschichte des Französischen und Spanischen untersucht werden. Dabei wird zunächst auf sprachinterne Variation zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit sowie zwischen verschiedenen Diskurstypen einzugehen sein. Anschließend möchte ich die Frage diskutieren, inwieweit der Rekurs auf Fokus–Hintergrund–Gliederungen es erlaubt, Zusammenhänge zwischen verschiedenen syntaktischen und prosodischen Veränderungen herzustellen. Zu berücksichtigen sind dabei nicht nur die im Vergleich zum Spanischen stärkeren Einschränkungen von OV- und VS-Abfolgemöglichkeiten im Neufranzösischen, sondern auch unterschiedliche Grammatikalisierungsgrade bei biklausalen Konstruktionen, Linksherausstellungen und ‘Topikalisierungen’ sowie unterschiedliche akzentrhythmische Entwicklungen. Im Gegensatz zu Sprachwandeltheorien, in denen paradigmatische Motivationen im Sprachwandel, etwa Homonymievermeidung, ausdrücklich nicht mehr als Explanantia vorgesehen sind (cf. Newmeyer 2003, 694–95), soll am Ende dieses Vortrags dafür plädiert werden, die Distinktivät der Markierung von Fokusdomänen bei der Erklärung des Ineinandergreifens von Sprachveränderungen zu berücksichtigen. Barbara Wehr (Mainz) Pragmatische Faktoren als Auslöser für Sprachwandel Die pragmatischen Funktionen „Topic“ (das Konzept, über das – i.a. eine Zeitlang – gesprochen wird) und „Focus“ (das Konzept, das dem Sprecher aus einem bestimmten Grund besonders wichtig ist) bestimmen maßgeblich die Syntax des gesprochenen Franzö123 sischen und Italienischen. Während Topics in nicht-topicprominenten Sprachen nicht gekennzeichnet werden müssen (Subjekte in der Position links vom Verb repräsentieren unmarkierte Topics), muss Focus immer (zumindest intonatorisch) gekennzeichnet werden, um für das Gegenüber identifizierbar zu sein. Zur Funktion Topic. Diese pragmatische Funktion wird zunehmend im gesprochenen Französischen gekennzeichnet, so dass man angesichts einer Vielzahl von Konstruktionen, mit denen Topics markiert werden, sagen kann, dass das français parlé sich einem topicprominenten Sprachtypus annähert (cf. Thörle 2000); es handelt sich um das „Left detachment“ (Pierre, je l’ai vu hier), das „Right detachment“ (Je l’ai vu hier, Pierre), die „Chinese style“-Topic-Konstruktion (La mer, tu vois de l’eau) und die sogen. „phrases à deux sommets“ (Il y a Paul qui m’a chipé mon couteau). Die Konstruktion NP c’est gehört ebenfalls in diesem Kontext; dadurch werden Satztopic und Comment klar voneinander geschieden (nicht nur L’État c’est moi, sondern auch La mer, c’est beau). Im Italienischen können Subjekte angesichts des Fehlens eines klitischen Subjektspronomens nur unter besonderen Bedingungen im Left detachment und Right detachment erscheinen; diese topicmarkierenden Konstruktionen sind gegenüber dem Französischen also statistisch seltener. Dennoch geht das Italienische sozusagen „weiter“ als das Französische und ist typologisch gesehen progressiv mit der Verallgemeinerung von Right detachments bei direkten Objekten, die NICHT Topic sind (Me la dai una sigaretta?) Zu Focus: Im Neufrz. ist die Cleft-Konstruktion (C’est Pierre que j’ai vu) zur Markierung von Focus grammatikalisiert. Der Verlust der focus-markierenden Funktion der Cleft-Konstruktion ist zu konstatieren bei Satzfragen einleitendem est-ce que und bei der Umschreibung der Fragepartikel que: qu’est-ce que...? Das français parlé geht weiter mit Frageformen wie Quand est-ce que..? Comment est-ce que..? etc., wodurch die Lücke im Wissen des Sprechers fokussiert wird. Dasselbe gilt für das italiano parlato, wo 124 die Frageformen Quando è che..? Com’è che..? etc. eine hohe Frequenz besitzen. Es kann gezeigt werden, dass bei der Markierung von Topic und Focus Fragesätze eine besondere Rolle spielen: in Fragesätzen muss der Sprecher besonders deutlich sein, um seine kommunikativen Bedürfnisse klar auszudrücken. Martin Becker (Stuttgart) Verschlungene Pfade einer grammatischen Kategorie ? - Der Fall amara Die „Randromania“ kann mit der Entwicklung der lateinischen Plusquamperfektform amaverat zu den romanischen –ara-Formen ein in heuristischer Hinsicht höchst interessantes Beispiel für grammatisch-funktionalen Wandel im Bereich der Verbmorphologie beisteuern: Schon im Lateinischen lassen sich erstmals modale Gebräuche der Plusquamperfektform in der Apodosis des Konditionalsatzes nachweisen (bekanntestes Beispiel: praeclare viceramus, nisi spoliatum, inermen, fugientem Lepidus recepisset Antonium“ Cicero, XII.10, 3.17). Diese Gebräuche werden dann in der Sprachgeschichte des Spanischen und Portugiesischen (sowie vermutlich auch im nicht dokumentierten Alt-Rumänisch) ausgebaut, führen aber zu ganz gegenläufigen Entwicklungstendenzen. Während sich amara im Spanischen bis zum Ende des 15. Jahrhunderts endgültig als Irrealisform etabliert (und dann in der weiteren sprachhistorischen Entwicklung zunehmend in die noch verbleibenden Domänen von cantase eindringt), profiliert sich die Form im Portugiesischen nach einer längeren Übergangszeit bis zum 19. Jahrhundert als ausschließliche Indikativform (vgl. bei A. Herculano (A Harpa do Crente) noch: Quem me dera ser tu, por balouçar-me Das nuvens nos castelos … ). Im Rumänischen schließlich, das über keine Konjunktiv-II-form verfügt, verschmelzen cantara und konjunktivisches cantase zu einem einzigen Indikativparadigma (vgl. das Plusquamperfekt cânta- sem/-seşi/-se – cântă- ram/-aţi/-ra). 125 Dieses – sehr grob skizzierte – Entwicklungspanorama provoziert eine Reihe von Fragen, von denen wir einige in unserem Beitrag etwas ausführlicher beleuchten wollen: So sollen zunächst die Hauptentwicklungsetappen im Spanischen und Portugiesischen untersucht werden und nach einem gemeinsamen Entwicklungspfad, der freilich dann in umgekehrter Richtung beschritten worden wäre, gesucht werden. Dabei stellt sich zugleich die Frage nach der Zulässigkeit und insbesondere der Funktionsweise von Polyfunktionalität einer grammatischen Kategorie. In diesem Zusammenhang ist auch nach der Rolle des Kontexts sowie der Leistungsfähigkeit von Mechanismen der Inferenzziehung im Prozess der Disambiguierung zu fragen. Auch wird man sich darüber Gedanken müssen, in welchem Maße der hier untersuchte Fall von grammatischem Wandel - i.e. der gegenläufige Funktionswandel einer grammatischen Kategorie in zwei verschiedenen Sprachsystemen - generalisierbare Einsichten in Prinzipien, Funktionsweise und Richtung des sprachlichen Wandels vermittelt. Dabei muss sich auch zeigen, ob sich Konzepte und Terminologie einer letztendlichen Begründung, wie sie Martin Haspelmath in seinem Beitrag über ‚Optimality and diachronic adaptation’ vorschlägt (etwa ‚Variation’, ‚Frequenz’ ‚Adaptation’ und ‚Sprechergebrauchsnutzen’) sinnvoll auf das untersuchte Phänomen anwenden lassen. Julia Kuhn (Wien) „Una poca de“ discusión. Versuch einer Erklärung für den Schwund dreier adnominal quantifizierender Formen In der Präsentation sollen vier spanische Formen behandelt werden, die innerhalb der NP determinierende und quantifizierende Funktion erfüllen. Diese Formen sind un poco de + N, una poca de+ N , un poco + N, una poca + N. Sie finden sich alle vier im diachronen Corpus CORDIS gut belegt, 126 im synchronen Corpus CREA hingegen (wie auch in Grammatiken und Wörterbüchern des Gegenwartsspanischen) fehlen drei der vier Formen, und hier wird nur mehr eine Form geführt, nämlich un poco de+N. In diesem Beitrag soll zunächst illustriert werden, welche Funktionen die vier Formen ursprünglich erfüllten, wobei sich in etwa das folgende Bild ergibt: Una poca de + N fem. stellte ein feminines Äquivalent zu un poco de + N mask. dar. Un poco + N mask. entsprach un poco de+ N, war jedoch stilistisch markiert. Una poca + N fem. ging in seinen Funktionen über un poco + N mask. hinaus, da es nicht nur Äquivalent von un poco de sein konnte, sondern auch nicht affirmativem poca+ N fem. entsprechen konnte sowie über die Quantifikation hinaus eine qualitativ pejorative Komponente einbringen konnte. Sodann soll die zentrale Frage behandelt werden, warum das System drei der vier Formen eliminiert hat. Anhand von Beispielen aus den digitalen Corpora soll illustriert werden, welche „Kräfte“ den Schwund der drei Formen bewirkt haben könnten. Monika Sokol (Bayreuth) Sprachreflexion, Prototypen des Diskursiven und Sprachwandel: Spekulationen zur Veränderung lexikalisch-grammatischer Konstellationstypen. Parallel zur Etablierung von überdachenden Sprachstandards sind in Europa einige Möglichkeiten abhanden gekommen, lexikalische Einheiten mit grammatischen Markierungen je unterschiedlich zu perspektivieren. Als Beispiel für eine sprachübergreifende Defunktionalisierung dieser Art kann die des nominalen GenusParadigmas betrachtet werden: Ist für mittelalterliche Texte des Kastilischen, Französischen oder des Deutschen noch bei einer größeren Anzahl Nomina funktional wechselndes Genus belegbar, und zeigen sich in europäischen Substandardvarietäten (süddt. dialektal: die Butter ‘Butter generisch’ vs. der Butter ‘Stück Butter’) 127 oder in postkolonialen Ausprägungen Reste dieser Funktionalität, so finden sich in den zeitgenössischen Standards nur fossile Spuren (span.: la mar vs. el mar). Andererseits sind neue grammatische Formen entstanden, wie etwa Determinanten-Systeme oder periphrastische Aspekt- und Tempus-Formen. An Beispielen aus der spanischen und französischen Sprachgeschichte und unter Einbeziehung typologischer Erkenntnisse möchte ich der Hypothese nachgehen, dass bestimmte Wandelprozesse in Europa auf eine umfassende Rejustierung der Balance zwischen Lexikon und Grammatik hindeuten, und dass diese Rejustierung indirekt in Beziehung steht mit Paradigmenwechseln in der europäischen Sprachreflexion und mit einer spezifisch okzidentalen Form von Sprachkultur. Wie zu zeigen sein wird, gelten die Regeln der Chaostheorie auch hier: Bei bewussten Eingriffen in komplexe, vernetzte Systeme werden nicht intendierte Prozesse angestoßen, die zu überraschenden Ergebnissen führen. Aus sprachwandeltheoretischer Sicht stellen z.B. die ab dem 17. Jahrhundert im französischen Standard implementierten Obligatorisierungen Sprünge auf dem Grammatikalisierungspfad und ad hoc-Paradigmatisierungen dar. Die der Wandelresistenz dienenden Maßnahmen gerieten so unter der (hier alles andere als unsichtbaren) Hand zu Wandelbeschleunigern. Esme Winter (Tübingen) Evolutionäre Argumentationen und die Frage der Erklärbarkeit von Sprachwandelphänomenen Ein zentrales Anliegen diachroner linguistischer Forschung ist es, den Wandel sprachlicher Strukturen nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu erklären. Hierbei konkurrieren jedoch unterschiedliche Auffassungen bezüglich des Verhältnisses von Grammatik und Sprachgebrauch: Diese werden entweder als autonome Bereiche angesehen (z. B. Newmeyer 2003), oder aber es wird eine weitgehende Korrespondenz zwischen den Bereichen angenommen, 128 so dass grammatische Strukturen erklärt werden können, indem sie auf bestimmte Sprachverwendungen zurückgeführt werden (z. B. Haspelmath 1999). Auffälligerweise wird in beiden genannten Arbeiten evolutionär argumentiert. In meinem Beitrag soll untersucht werden, welche Grundannahmen durch den Rückgriff auf evolutionäre Argumentationen vorausgesetzt sind und inwiefern sich daraus ein Vermittlungsweg zwischen den Positionen ableiten lässt. Ich möchte die These vertreten, dass evolutionäre Argumentationen die Konzeption eines theoretisch bedeutsamen Modells beinhalten, welches das Zusammenwirken von individuellen und globalen Wandelphänomenen (individueller Variation und Artwandel bzw. individueller Sprachverwendung und grammatischem Wandel) darstellt. In dieses Modell können pragmatische, soziolinguistische und informationstheoretische Erklärungsansätze der traditionellen Sprachwandelforschung integriert werden. Gleichzeitig ist jedoch kritisch zu prüfen, inwieweit dieses Konzept von Evolution mit dem biologischen Evolutionsbegriff übereinstimmt und inwiefern Grundbegriffe der biologischen Evolution in der Linguistik nur in einem modifizierten Sinn anwendbar sind. Darüber hinaus sind bestimmte Argumentationsmuster unter wissenschaftstheoretischen Gesichtspunkten zu hinterfragen. Wenn einzelne sprachliche Phänomene durch ihre evolutionäre Entstehung aus einem früheren Sprachzustand erklärt werden, die früheren Stadien selbst jedoch erst auf der Grundlage des aktuellen Stadiums rekonstruiert werden, besteht die Gefahr eines zirkulären „storytelling“ (Gould 1978). Bei der Erklärung singulärer Wandelphänomene sind daher Strategien zu entwickeln, um diese Problematik zu umgehen. Literatur Gould, Stephen Jay (1978): Sociobiology: the art of storytelling. New Scientist 80, 530-533. Haspelmath, Martin (1999): Optimality and diachronic adaptation. Zeitschrift für Sprachwissenschaft 18, 180-205. 129 Newmeyer, Frederick J. (2003): Grammar is grammar and usage is usage. Language 79, 682-707. Hans-Ingo Radatz (Aachen) Objektpronomina, Objektklitika und Objektkonkordanz: Das Kontinuum von analytischer zu synthetischer Realisierung der Objektargumente in der Romania und im Baskischen Syntaktiker gehen typischerweise semasiologisch vor. Ich will mich hier dagegen einmal onomasiologisch der Realisierung semantischer Objektargumente annähern. Dabei soll es primär um solche Objekte gehen, die nicht durch ein lexikalisches Substantiv realisiert werden, nämlich um Pronomina, Pronominalklitika und Kongruenzmarker. Diesen Elementen ist gemeinsam, dass sie allesamt auf Subjekt- und Objektargumente verweisen können; unterscheiden tun sie sich voneinander einmal in der Art, wie sie sich auf ihre Argumente beziehen – nämlich, indem sie sie entweder realisieren, oder aber nur mit ihnen konkordieren –, und zum anderen in ihrem unterschiedlichen Grad morphologischer Freiheit bzw. Gebundenheit. Ich werde dafür argumentieren, dass eine scharfe Abgrenzung zwischen einer bloßen Konkordanz und einer tatsächlichen Realisierung eines Arguments dem graduellen Charakter des Phänomens nicht gerecht wird und in ihrer Zuspitzung zu Zweifelsfällen führt, wie sie z.B. bei der Bewertung des Baskischen auftreten: Je nach Bewertung der morphologischen Fakten kann man Baskisch nämlich entweder als extreme Nullobjektsprache oder aber auch als Sprache mit obligatorischem Objektausdruck beschreiben. Am Beispiel des Spanischen will ich zu zeigen versuchen, dass die Entwicklung der romanischen Objektklitika darstellbar ist als Bewegung auf einer Skala, die von stark analytischen Lösungen (wie beispielsweise den deutschen Objektpronomina) bis zu extrem synthetischen Lösungen in cross reference-Sprachen wie Baskisch reicht. 130 Claus D. Pusch (Freiburg) L’impératif et le prohibitif dans les langues romanes : comment expliquer leur changement diachronique ? L’objectif ‘idéal’ d’une analyse diachronique est d’arriver, à partir d’une catégorie grammaticale bien délimitée, à la reconstruction de sa trajectoire à travers les siècles pour aboutir à l’expression de cette catégorie grammaticale dans le système actuel de la (ou les) langue(s) en question. Dans des cas concrets, cependant, de multiples questions d’ordre théorique se posent : - Dans quelle mesure peut-on considérer les catégories grammaticales à analyser comme étant stables à travers la diachronie ? - Quelles catégories font partie du fonds descriptif non controversé qui permet des ‘descriptions phénoménologiques’ au sens de Haspelmath (2004) ? - Quel poids est-ce qu’on donne au changement formel par rapport au changement catégoriel du phénomène grammatical en question ? Ou – autrement dit – vaut-il mieux partir des formes qui expriment une catégorie grammaticale, ou des concepts qui se trouvent encodés à travers cette catégorie ? - L’impératif et le prohibitif constituent des objets d’étude appropriés pour exemplifier ces difficultés de l’approche descriptive et explicative en diachronie, car ils soulèvent les questions suivantes, entre autres : - Est-ce que l’impératif est une catégorie grammaticale aussi stable que la grammaire traditionnelle l’a voulu faire croire ? Est-ce qu’il est justifié de le considérer ‘mode verbal’ à côté de l’indicatif et du subjonctif ? - Si l’on accepte une catégorie ‘impératif ’ comme acquise, pourquoi l’expression formelle de cette catégorie s’avère-t-elle tellement variée et instable et pourquoi la forme du paradigme dans lequel elle s’organise est-elle caractérisée si fortement par la suppléance et les ‘cases vides’ ? - Ne vaudrait-il pas mieux abandonner la notion catégorielle 131 d’‘impératif ’ au profit d’une catégorie purement pragmatico-discursive d’‘impérativité’ ? Mais comment, dans ce cas, délimiter l’objet d’étude d’une analyse diachronique sans courir le risque d’aboutir à des « explications sans description » ? Le but de ma communication sera d’approfondir la discussion sur les difficultés que rencontre un projet ambitieux de description et d’explication diachroniques dans le cas de catégories grammaticales qui dépendent très étroitement de facteurs pragmatiques, comme l’impératif et le prohibitif, et d’illustrer les avantages descriptifs et les limites explicatives de modélisations cognitives comme p.ex. les cartes sémantiques (mental maps), récemment développées pour l’espace conceptuel de l’impérativité par van der Auwera et al. (2004). Susanne Michaelis (Leipzig) Die Rolle der Frequenz in der Entstehung von Kreolsprachen Die Auswirkungen der Frequenz auf die materielle Beschaffenheit sprachlicher Ausdrücke ist spätestens seit Zipf (1935) bekannt: (1) häufig verwendete Ausdrücke sind kürzer, seltener verwendete Ausdrücke sind länger (aufwändiger kodiert) , (2) häufigere Formen tendieren dazu, bewahrt und analogisch ausgedehnt zu werden. In meinem Beitrag werde ich versuchen, zu zeigen, dass ähnlich wie im gewöhnlichen Sprachwandel oder Erstspracherwerb die Frequenz bestimmter sprachlicher Einheiten auch im Kreolisierungsprozess eine entscheidende Rolle spielt. Häufig wahrgenommene Wörter oder größere syntaktische Versatzstücke werden auch von erwachsenen Lernern leichter in ihre jeweiligen Interlanguages integriert. Meine Beispiele kommen vor allem aus dem Seychellen-Kreol, wie z.B. (1) die Agglutinierung des einstigen französischen Artikels bzw. anderer pränominaler Determinatoren: 132 zom ‚Mann‘ < fr. les hommes, en zom ‚ein Mann‘ aber: zenn onm < fr. jeune homme *zenn zom zetwal ‚Stern‘ < fr. les étoiles nespes ‘Art’ < fr. une espèce de en zetwal ‚ein Stern‘ (2) die Reanalyse von französischen Partizipialformen Passiv als Verbstamm: mor < fr. mort cf. mourir ne < né, cf. naître ouver < ouvert, cf. ouvrir offer < offert, cf. offrir Um die Häufigkeit der Formen empirisch belegen zu können, müsste man strenggenommen Korpora des gesprochenen Kolonialfranzösischen des 17./18. Jahrhunderts untersuchen. Als Ersatz dafür werde ich Frequenzzahlen aus dem heutigen gesprochenen Französisch anführen. Elisabeth Stark (Berlin) Gedanken zur Entstehung des D- and Num-Systems im Romanischen Zu den revolutionären grammatischen Neuerungen im Romanischen im Vergleich zum Altlatein / klassischen Latein gehört ohne Zweifel die Ausbildung eines (mehr oder minder) obligatorischen Systems nominaler Determination. Diese in den Sprachen der Welt eher seltene grammatische Eigenschaft (vgl. Dryer 1989) ist in den vergangenen dreißig Jahren immer wieder in Beziehung gesetzt worden zu anderen grammatischen Eigenschaften von Sprachen wie etwa der obligatorischen (und overten) morphologischen Pluralmarkierung, dem Bestehen einer ‚Zählbarkeitsunterscheidung’ in nominalen Ausdrücken oder allgemein dem Phänomen der ‚Konfigurationalität’ (vgl. Gil 1987, Chierchia 1998, Schroten 2001). Da133 bei werden häufig die Vielfalt der romanischen Sprachen und die bestehenden vergleichsweise großen Unterschiede im Grammatikalisierungsgrad der nominalen Determination zugunsten grober typologischer Verallgemeinerungen nicht oder zu wenig beachtet. Der Vortrag setzt an diesem Punkt an: Ein knapper synchroner und diachroner Sprachvergleich soll mögliche sprecher- und/oder hörerbezogene und damit automatisch universale Motivationen für die Verwendung (in)definiter Nominaldeterminanten in den einzelnen romanischen Sprachen herausarbeiten, wobei funktional-kognitive Erklärungen für kommunikationsbezogene Innovationen herangezogen werden können. So ist der Verlust einer auch semantisch einsetzbaren Substantivflexion wie der Lateinischen ausgleichbar durch pränominale Determinanten (referenzindizierende Demonstrativa, aber auch klassifizierende Numeralia). Die plausible Nachzeichnung der einzelsprachlich unterschiedlich starken Integration dieser Innovationen in im Vergleich zum Lateinischen stark veränderte grammatische Systeme (= Sprachwandel) kann dann aber, aufbauend auf vorliegenden Korrelationen verschiedener grammatischer Phänomen untereinander, nur eine jeweils innersprachliche, d h. innerhalb der einzelnen grammatischen Systeme liegende strukturell-formale Erklärung leisten. Die unterschiedlich starke Grammatikalisierung indefiniter Nominaldeterminanten in der Rand – vs. der Zentralromania und das damit korrelierende Phänomen eines ‚Partitivartikels’ muss im systematischen Zusammenhang mit der offenbar bei Argumenten immer referenznotwendigen Realisierung einer Quantifizierung von N (etwa in NumP) im Romanischen, die aber eben unterschiedlich (durch overtes Numerusaffix oder Artikel usw.) geleistet werden kann, erklärt werden. Literatur Chierchia, Gennaro (1998): Reference to Kinds across Languages. Natural Lan guage Semantics 6-4, 339-405. 134 Dryer, Matthew S. (1989): Article-Noun Order. Papers from the 25th Annual Meet ing of the Chicago Linguistic Society, 83-97. Gil, David (1987): Definiteness, Noun Phrase Configurationality, and the CountMass Distinction. In: Eric J. Reuland / Alice G. B. ter Meulen G. B. (Hrsg.): The Representation of (In)definiteness, Cambridge/Massachusetts: MIT Press, 254-269 (= Current studies in linguistics series, 14). Kemenade, Ans van / Vincent, Nigel (Hrsg.) (1997): Parameters of Morphosyntactic Change, Cambridge: Cambridge University Press. Schroten, Jan (2001): L’absence de déterminant en espagnol. In: Georges Kleiber / Brenda Laca / Liliane Tasmowski (Hrsg.): Typologie des groupes nominaux, Rennes: Presses Universitaires de Rennes, 189-203. Axel Lenzen Verlag Titz Fachverlag für Romanistik Negation und Pragmatik. Sprachen in Forschung und Lehre Das sogenannte Negation Raising im Italienischen. 2004. Band 2. ISBN 3-933223-07-5. 216 S. 34,90 EUR Bàrbara Roviró / Aina Torrent-Lenzen / Andreas Wesch (ed.) Normes i identitats / Normen und Identitäten. Sprachwissenschaftliche Beiträge des 19. Deutschen Katalanistentags 2003. neu Mit Beiträgen von Georg Kremnitz, Joan Veny u.a. 2005. Band 3. ISBN 3-933223-10-5. VI + 322 S. 17,00 EUR Aina Torrent-Lenzen Unidad y pluricentrismo en la comunidad hispanohablante: Cultivo y mantenimiento de una norma panhispánica unificada. neu Vorwort von María Josefina Tejera, Mitglied der Academia Venezolana de la Lengua. 2005. Band 4. ISBN 3-933223-09-1. XXII + 366 S. 22,00 EUR Axel Axel Lenzen Lenzen Verlag Verlag • An • An Haus Haus Behr Behr 7 •7D-52445 • D-52445 Titz Titz Bestellungen: • per Post oder Fax (0 24 63 / 32 79) • online unter <www.axel-lenzen-verlag.de> • per E-mail an <[email protected]> Cristina Bertoli Sand 135 Sektion 7 Dynamik romanischer Varietäten außerhalb Europa Leitung: Silke Jansen (Erlangen), Haralambos Symeonidis (Münster) Programm Montag, 26.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Kristin Reinke (Berlin) Das diaphasische Kontinuum des français québécois als Ausdruck des Verhältnisses zur Muttervarietät Anne-Sophie Calinon (Besançon/Montréal) L’intégration linguistique des immigrants à Montréal par les cours de francisation Anika Falkert (Regensburg) Phonetische Merkmale des français acadien: Betrachtungen zur Dynamik einer Varietät des Französischen in Nordamerika Edith Szlezák (Regensburg) Franco-Americans in Massachusetts – „…no French no mo’ ‘round here“ Elissa Sobotta (München) Französisch-Kreol-Kontinuum in Guadeloupe Katja Ploog (Besançon) Sprachwandel in der neuen Romania unter dem Zeichen von Dichte, Heterogeneität und Anzahl Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr Jens Lüdtke (Heidelberg) Variation im Atlas lingüístico de México 9.45 Uhr Sandra Sánchez-Münninghof (Potsdam) 136 13.30 Uhr 14.15 Uhr 15.00 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr „Algune errore prodría haber…“ Zur Dynamik sprachlicher Assimilation bei italienischen Immigranten am Rio de la Plata Jorge Gomez Rendón (Amsterdam) Interferencias morfosintácticas del quechua en el castellano de hablantes bilingües indígenas de los Andes septentrionales ecuatorianos Tanja Zimmer (Köln) Transferencia lingüística en Costa Rica: rasgos del criollo limonense en el español hablado por los afrocostarricenses Anita Herzfeld (Kansas) La política y la planificación lingüística: del nacionalismo a la globización Martha Guzmán (München) Amerikanisches Spanisch in Texten der Kolonialzeit? Christian Münch (Frankfurt am Main) Zur Dynamik des Spanischen in New York: Migration, Identität und sozialer Wandel Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Dorotea Frank Kersch (Kiel/São Leopoldo, Brasilien) Variação no uso de relativas no contato espanholportuguês no norte do Uruguai Marcelo Jacó Krug (Kiel) Identidade e Comportamento Lingüístico na Percepção da Comunidade Plurilíngue PortuguêsItaliano-Alemão de Imigrante - RS Donnerstag, 29.09.05 9.00 Uhr Martina Schrader-Kniffki (Bremen) Brasilianische Sprachpolitik als Spiegel des franzö137 9.45 Uhr sischen Sprachpurismus Wolf Dietrich (Münster) Zur Syntax und Lexik des volkstümlichen Portugiesischen in der Guaraní-Einflußzone von Mato Grosso do Sul (Brasilien) Abstracts Kristin Reinke (Berlin) Das diaphasische Kontinuum des français québécois als Ausdruck des Verhältnisses zur Muttervarietät Das français québécois ist aufgrund der langen Isolierung der ehemaligen französischen Kolonie vom Mutterland durch zahlreiche Merkmale gekennzeichnet, die es vom français de France unterscheiden. Diese Unterschiede sind eine der Ursachen der so genannten sprachlichen Unsicherheit, die sich in systematischen Abwertungen des eigenen Sprachgebrauchs äußert, da die tatsächlichen sprachlichen Leistungen an der Norm einer anderen Sprachgemeinschaft, dem Modell des français de France, gemessen werden. Um diese Situation zu korrigieren, wurden zunächst Korrekturkampagnen ins Leben gerufen, die eine Anpassung an das français de France beabsichtigten. Die Emanzipation der frankophonen Quebecer im Zuge der Révolution tranquille der 60er Jahre des 20. Jh. beinhaltete auch sprachliche Autonomiebestrebungen. Unter Berufung auf die Erkenntnisse der Soziolinguistik forderte man nun eine größere Toleranz gegenüber den Besonderheiten des français québécois; die Idee einer eigenen standardsprachlichen Norm fand zunehmend Anerkennung. Dennoch bestimmen Vorbehalte gegenüber dem Sprachgebrauch weiterhin den metasprachlichen Diskurs. In den letzten Jahren ist das Fernsehen in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, denn man spricht ihm aufgrund seines Einfluss- und Identifikationspotentials die Funktion zu, die prestigereiche Varietät der Sprache zu verbreiten und durch seine Vorbildwirkung eine 138 Verbesserung der Sprachqualität im Allgemeinen zu bewirken. Anhand der Analyse von 38 Quebecer Fernsehsendungen soll gezeigt werden, wie die Realisierung bestimmter phonologischer und morphologischer Variablen vom Formalitätsgrad der Sendung abhängt und damit das soziolinguistische Verhalten der Sprachgemeinschaft widerspiegelt. Die Verwendung der soziolinguistischen Variablen durch die Fernsehsprecher erlaubt außerdem Rückschlüsse auf deren Einstellung zu den einzelnen Varianten und lässt erkennen, dass der Bezug zum français de France trotz aller Autonomiebestrebungen weiterhin präsent ist. Anne-Sophie Calinon (Besançon/Montréal) L’intégration linguistique des immigrants à Montréal par les cours de francisation Le gouvernement québécois a mis en place des cours de francisation obligatoires pour que les nouveaux immigrants viennent s’intégrer à la communauté francophone et ainsi, redresser le déclin démographique dont souffre le Québec. Dans ces cours de francisation, une place est occupée par la culture québécoise. A l’occasion d’une recherche que j’ai effectuée en 2002, je montre, grâce à des entretiens avec des immigrants ayant suivi ces cours, que les résultats concernant l’initiation à la culture ne sont pas probants. Un autre volet de mon étude donne des indications sur, d’une part, la perception des médias qu’ont les immigrants. Le nombre très important des journaux communautaires leur permet d’avoir une visibilité et de se percevoir comme appartenant eux aussi à la vie culturelle et médiatique de la ville. Les communautés ethniques restent, dans bien des cas, l’interface qui facilite la première intégration à l’espace urbain. D’autre part, des médias comme la télévision, ont souvent été cités, non pas comme vecteur de culture, mais dans les premiers mois d’installation, comme vecteur de langue : c’est un moyen de s’approprier la langue, étant donné que, 139 pour une majorité, les immigrants sont très peu en contact avec la communauté francophone (repli communautaire, accès au travail par l’intermédiaire de la communauté). Ainsi, comment les immigrants s’intègrent et s’approprient la culture québécoise et montréalaise en particulier ? Le rapport à la culture dépend de la situation socio-économique et de la durée d’établissement dans la société d’accueil. L’accès à la culture semble possible quand les autres besoins sont comblés. L’intégration culturelle n’est pas la première intégration visée par les primo-arrivants : subvenir aux besoins vitaux comme trouver un travail et un logement, est le domaine où les immigrants dépensent le plus de temps et d’énergie. Les associations communautaires sont, très souvent, sollicitées pour l’aide qu’elles peuvent apporter comme l’explication des moyens de transport qui facilitent la mobilité urbaine. Les associations sont insérées culturellement à l’intérieur de Montréal et sont également au fait des difficultés des nouveaux arrivants : cette double connaissance leur permet de faire le lien entre nouveaux arrivants et société d’accueil. On s’aperçoit qu’après un certain temps, les immigrants se détachent petit à petit des associations communautaires pour se lancer dans une intégration individuelle. Voyons l’expérience particulière des « Ateliers de francisation » où des bénévoles québécois de souche se proposent de rencontrer des immigrants nouvellement arrivés et ainsi, leur donner un moyen d’accéder à la culture populaire, perçue comme « vraie culture québécoise ». Au vu des résultats de l’étude, les ateliers de francisation sont une expérience complémentaire aux cours de francisation, elle est évaluée très positivement par les bénéficiaires. C’est par l’intermédiaire des associations communautaires que les immigrants peuvent espérer se voir attribuer un « tuteur » qui sera une clé vers l’appropriation du nouvel espace culturel et urbain. Quel type d’intégration culturelle propose les ateliers de francisation ? En conclusion, je propose de transposer les résultats de ma première étude dans une approche plus spécifique de ces in140 tervenants par le biais d’un questionnaire. Je chercherai à savoir quelles représentations ils ont de ce qu’ils véhiculent en terme culturel ? Quelle culture ils pensent transmettre ? Répondent-ils aux demandes du migrant ou ont-ils une idée de ce qui est important à faire découvrir ? Anika Falkert (Regensburg) Phonetische Merkmale des français acadien: Betrachtungen zur Dynamik einer Varietät des Französischen in Nordamerika Anhand von Hörbeispielen zum français acadien, das neben dem français québécois die am weitesten verbreitete Ausprägung des nordamerikanischen Französisch darstellt, sollen einige phonetische Charakteristika aufgegriffen und im Hinblick auf ihren dialektalen Ursprung erläutert werden. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den verschiedenen regionalen Aussprachegewohnheiten, die je nach Provinz (Nouveau-Brunswick, Nouvelle-Écosse, Terre-Neuve) variieren können. Ferner soll diskutiert werden, inwiefern das Aufeinanderprallen von sprachlichem Konservatismus und neueren Tendenzen, die sich aus Sprachkontaktsituationen ergeben, die regionale Gebrauchsnorm beeinflusst. Als Beispiel hierfür kann man das gesprochene Französisch der Îles-de-la-Madeleine anführen, das durch den kontinuierlichen Kontakt zum français québécois vor allem im phonetischen Bereich Veränderungen erfährt. Edit Szlezak (Regensburg) Franco-Americans in Massachusetts – “…no French no mo’ ‘round here” Die Situation des Französischen in den Neuenglandstaaten, dem sogenannten “Québec d’en bas“, gehört zu den relativ schlecht erforschten Bereichen der nordamerikanischen Frankophonie. Am Beispiel von Massachusetts, das aufgrund seiner schon im 19. Jh. weit fortgeschrittenen Industrialisierung (v.a. Textilindustrie) die meisten kanadischen Auswanderer anzog (1930 wurden 336.871 141 registriert; zum Vergleich: in Vermont waren es 46.956), soll die Zweisprachigkeitssituation analysiert werden – sofern man bei den Franco-Americans überhaupt noch von einer solchen sprechen kann, denn nach ersten Auswertungen scheint sich eine asymmetrische Diglossiesituation mit Tendenz zur Auflösung hin zur Monoglossie herauszukristallisieren. (wobei der Begriff ‘FrancoAmericans’ sowohl die Nachfahren der im 19. Jh. und 20. Jh. eingewanderten Québécois als auch die der Acadiens einschließt; Massachusetts war vom Grand Dérangement nicht stark betroffen, die meisten Acadiens in dieser Gegend wanderten aus ökonomischen Gründen aus; dabei spielt auch das Phänomen der migration en chaîne eine Rolle). Folgendes soll besonders berücksichtigt werden: - inwieweit können die Daten des US-Census Aufschluss über die Situation der Franco-Americans geben? welche Probleme werfen die einzelnen Kategorien auf ? (d.h. lässt sich überhaupt feststellen, wie viele Franco-Americans in den Neuenglandstaaten leben und wie viele noch französisch sprechen?) - warum verliert das Französische als Muttersprache aber auch als Fremdsprache in den Schulen an Boden (in erster Linie gegenüber dem Spanischen)? bei dieser Frage kommen sowohl externe Faktoren wie amerikanische Schulpolitik, die Rolle der Medien und der katholischen Kirche, etc. als auch auf der Auswertung einer Umfrage basierende Ergebnisse bezüglich Sprechereinstellungen, Sprachprestige, Sprechverhalten, etc. zum Tragen - wie lassen sich die Varietäten dieser Region im Vergleich zu den Varietäten des Französischen in Kanada charakterisieren? welche Rolle spielen Sprachkontaktphänomene? Elissa Sobotta (München) Französisch-Kreol-Kontinuum in Guadeloupe? Seit den 70er Jahren wird diskutiert, ob die kreolischen Idiome und ihre Lexikongeber Französisch bzw. Englisch in den Gebieten, in 142 denen sie miteinander in Kontakt und Konflikt stehen, zwei voneinander klar trennbare Sprachsysteme darstellen (evtl. in Diglossiesituation) – oder aber die Pole eines Kontinuums bilden. Der vorliegende Beitrag möchte diese Frage im Blick auf die aktuelle Situation im französischen Überseedepartement Guadeloupe auf der Grundlage von Interviews mit 50 Sprechern in Guadeloupe und Paris untersuchen. Die These lautet, dass im Bereich der Phonologie zwei voneinander völlig getrennte Systeme existieren, ein kreolisches und ein französisches. Nur wenige Sprecher beherrschen beide Systeme perfekt; vielmehr sprechen die meisten kreolischen L1-Sprecher Französisch mit kreolischem Akzent, die meisten französischen L1-Sprecher Kreolisch mit französischem Akzent. Beide Sprachen (als L1) zeichnen sich selbstverständlich durch Variation aus, die jeweils als Kontinuum modelliert werden kann: vom créole pur zum französisch beeinflussten créole normal sowie vom kreolisch beeinflussten Regionalfranzösisch (français guadeloupéen) zum français de France. Von einem autonomem Mesolekt hingegen, der Kreol und Französisch verbindet, kann im Bereich der Phonologie nicht die Rede sein; bei den auftretenden Zwischenformen handelt es sich ausschließlich um Kreolismen bzw. Gallizismen, die in Lernervarietäten (L2) auftreten, also eine vorübergehende Begleiterscheinung eines Sprachwechsels von L1 Kreol/L2 Französisch zu L1 Französisch/L2 Kreol. Katja Ploog (Besançon) Sprachwandel in der neuen Romania unter dem Zeichen von Dichte, Heterogenität und Anzahl Ausgehend von der Annahme, dass die (relative) Stabilität einer Diskursgemeinschaft die Voraussetzung für die Herausbildung der ihr eigenen Kommunikationsmodi ist, soll untersucht werden, inwieweit die soziologischen Kategorien Dichte, Heterogenität und Anzahl Erklärungsansätze für sprachliches Verhalten bieten. 143 Städte stellen eine regelrechtes Laboratorium für die Untersuchung von Gemeinschaften dar; Metropolen der Südhalbkugel sind für die Beschreibung von Sprachdynamik besonders geeignet, da einerseits ihre Entstehung sich in einem relativ kurzen Zeitraum abspielt und andererseits die starke Heterogenität der aufeinander treffenden Bevölkerungsgruppen die Mechanismen klarer erkennen lassen. Die Anzahl (der im urbanen Kommunikationsraum zusammentreffenden Sprecher) bedingt Binnendifferenzierung; die Heterogenität (ihrer kulturellen und sprachlichen Herkunft) dynamisiert die Wertesysteme; die Dichte (der urbanen Interaktionen) schafft individuell ein breiteres Formenspektrum aller Sprecher. Das Zusammenspiel aller drei Faktoren bedingt die Charakteristika der Sprachdynamik an einem bestimmten Ort. Darüber hinaus stellt sich die Frage des Dynamikbegriffs: inwiefern lässt sich die verstärkte Heterogenität des Systems als Sprachwandel deuten? Es wird gezeigt, dass der wohl zentralste Begriff der Soziolinguistik - Variation - die komplexen Sachverhalte diskursiver Heterogenität recht unzureichend beschreibt, und es vielmehr einer Aufspaltung der Problematik in mehrere Bereiche bedarf. Im zweiten Teil soll daher die zur Verfügung stehende Terminologien - z.B. linguistic repertoire, Diskurstradition, Polyphonie, Hybridität, Kontinuum - hinterfragt werden. Zur Untersuchung werden schriftliche und mündliche Korpora insbesondere aus der afrikanischen Francophonie (Côte d’Ivoire, Guinée-Conakry, Cameroun) herangezogen, da einerseits der Normbegriff gerade in der Frankophonie sehr monozentrisch angelegt ist und andererseits die Marginalität der afrikanischen Sprecher ein weite Bandbreite von Formen produziert. Literatur Bakhtine M., 1970, La poétique de Dostoïevski, Paris: Seuil (coll. Points Essais). Ducrot, Oswald, 1984, Le dire et le dit. Editions de Minuit (coll. Propositions). 144 Gumperz, John J. & Dell Hymes (eds.), 1964, Directions in Sociolinguistics: The Eth nography of Communication. New York & London: Holt, Rinehart and Winston. Koch, Peter & Wulf Oesterreicher, 1990, Gesprochene Sprache in der Romania: Fran zösisch, Italienisch, Spanisch, Tübingen: Niemeyer. Park, Robert & Ernest W. Burgess & Roderick D. McKenzie, 1925, The City. Chicago: University of Chicago Press. de Toro, Alfonso, 2001, “Reflexiones sobre fundamentos de investigación transdisciplinaria, transcultural y transtextual en las ciencias del teatro en el contexto de una teoría postmoderna y postcolonial de la ‘hibridez’ e ‘intermedialidad’”, Gestos 32, 11-46. Jens Lüdtke (Heidelberg) Variation im Atlas lingüístico de México Im Sinne des Rahmenthemas des Saarbrücker Romanistentags geht es mir um die Varietäten, die in Europa und in Amerika „Dialekte“ genannt werden, die aber sehr verschiedene sprachwissenschaftliche Gegenstände darstellen und deshalb auch verschiedene Forschungsmethoden verlangen. Während die Dialekte in Europa meist einer Standardsprache untergeordnet sind, ist dies in den Kolonialgebieten nicht der Fall. Das europäische Spanisch ist in dieser Hinsicht zweigeteilt: Ein Teil seiner Dialekte in Spanien ist durch Unterordnung unter die Standardsprache zu beschreiben, ein anderer aber besteht sowohl in Spanien als auch in Hispanoamerika aus Erscheinungsformen der Gemeinsprache. Es wird zu zeigen sein, dass der Atlas lingüístico de México entgegen der in ihm deklarierten Intentionen kein im eigentlichen Sinn diatopischer Atlas ist, sondern eher diastratische und diaphasische Phänomene erfasst. Er wird mit einer irreführenden Terminologie seinen Gegenstandsbereich auch gerecht. Es soll versucht werden, dies durch die Diskussion der dialektologischen Begriffe von Lope Blanch und von einigen Beispielen zu zeigen. 145 Sandra Sánchez-Münninghof (Potsdam) „Algune errore podría haber...“: Zur Dynamik sprachlicher Assimilation bei italienischen Immigranten am Río de La Plata Gegenstand der Untersuchung sind die italienischen Migrationsbewegungen in das Gebiet des Río de la Plata in den Jahren 1890 bis 1960 und die damit einhergehende, rasche sprachliche Assimilation der Einwanderer über den Weg der Zweisprachigkeit. Der Spracherwerb des prestigeträchtigen lateinamerikanischen Spanisch (es pañol rioplatense) vollzog sich, bedingt durch die strukturelle Nähe des Iberoromanischen und des Italoromanischen, innerhalb von nur zwei Sprechergenerationen und verlief über die Dynamik eines vertikalen konvergenten Sprachkontaktes, der neue Sprachvarietäten hervorbrachte. Im Zentrum des Forschungsinteresses steht einerseits die auf einer empirischen Datenerhebung basierende Analyse des Auflösungsprozesses einer zu Beginn der Kontaktsituation vorhandenen Diglossie (Spanisch vs. Italienisch / Dialekt), andererseits eine umfassende Beschreibung der neu entstandenen Sprachform cocoliche aus einer variationslinguistischen Perspektive. Bisherige Arbeiten zum cocoliche liegen lediglich aus synchroner Perspektive vor und erfassen diese Sprachkontaktvariante nicht in ihrer gesamten Komplexität und Dynamik. Somit stellt eine Analyse der Genese, Entwicklung und Bandbreite des cocoliche ein Desiderat in der aktuellen Forschung dar. Die Untersuchung beschreibt die Aufeinanderfolge von drei Synchronien innerhalb einer Sprecherfamilie und gelangt damit zu einer diachronischen Analyse der kontaktdynamischen Prozesse zwischen dem Spanischen und dem Italienischen am Río de La Plata. 146 Jorge Gomez Rendón (Amsterdam) Interferencias morfosintácticas del quechua en el castellano de hablantes bilingües indígenas de los Andes septentrionales ecuatorianos. El quechua y el castellano tienen una larga historia de encuentros y desencuentros en los Andes ecuatorianos. Ambas lenguas han convivido de una u otra forma en los últimos 450 años y la influencia entre ellas ha sido mutua. El propósito de esta presentación es abordar justamente la influencia que la lengua indígena ejerce en la configuración morfológica y sintáctica del castellano de hablantes bilingües en los Andes septentrionales del Ecuador. Con este fin hemos recurrido a los materiales (entrevistas abiertas y testimonios) recogidos durante tres estadías de trabajo de campo en la provincia norteña de Imbabura en el período comprendido entre 2001 y 2004. Los objetivos específicos consisten en: 1) identificar esquemáticamente los rasgos morfosintácticos que caracterizan el habla de estos hablantes; 2) determinar su frecuencia de uso como parte de estrategias etnopragmáticas y etnosemánticas que utilizan los hablantes bilingües para posicionarse en contextos comunicativos con respecto a otros hablantes indígenas y a hispanohablantes monolingües. Los resultados obtenidos enriquecerán el estudio de la configuración del habla de bilingües indígenas en los Andes y permitirán nuevos abrir caminos para futuras investigaciones en otras regiones quechua hablantes dentro y fuera del Ecuador. Tanja Zimmer (Köln) Transferencia lingüística en Costa Rica: rasgos del criollo limonense en el español hablado por los afrocostarricenses ¿Qué tipo de procesos lingüísticos pueden ocurrir en una situación de contacto lingüístico entre una lengua codificada y oficial y una lengua criolla que usa un grupo étnico minoritario únicamente en la comunicación oral? La situación en la provincia de Limón, Costa Rica, presenta un caso especial entre las situaciones de contacto, 147 dado que la lengua lexificadora del criollo limonense, el inglés, no es la lengua oficial del país, sino un idioma tipológicamente diferente: el español. Debido a los cambios sociopolíticos después de la revolución de 1948, el español se ha convertido en la lengua de prestigio y de uso oficial en Limón. Por ello, los afrocostarricenses se vieron obligados al aprendizaje de este idioma según sus necesidades. Conforme han pasado los años, las nuevas generaciones han ido incorporando nuevas formas en el idioma, razón por la cual las diferencias en el habla de cada grupo van de la mano con el desarrollo social de las últimas décadas. La competencia lingüística difiere significativamente, por ende, el español de los afrocostarricenses puede considerarse un continuo lingüístico que va desde formas de habla más fosilizadas a las más elaboradas. Por la situación compleja de cambio social, la investigación se sustenta tanto en la teoría sociocultural de Thomason y Kaufmann (1988, Thomason 2001) como en la teoría de “linguistic dominance” de Van Coetsem (1988, 2000), ya que es de suma importancia observar la situación individual de cada hablante. El análisis se basa en conversaciones grabadas entre afrocostarricenses en 2004. El propósito de esta ponencia es discutir si los rasgos particulares de la variedad son resultado de la transferencia de estructuras criollas en el español o si más bien tienen sus raíces en procesos típicos de aprendizaje de lenguas segundas. Adicionalmente, se incluirán los resultados de una encuesta acerca de la actitud lingüística de los hablantes, dado que ésta influye directamente en la elección de códigos en distintas situaciones comunicativas. Anita Herzfeld (Kansas) La política y la planificación lingüística: del nacionalismo a la globalización La excepcional situación lingüística del Paraguay ha despertado recientemente gran interés, por tratarse del único país latinoame148 ricano donde la lengua indígena, el guaraní, parece ser aceptada por los hablantes de la lengua dominante, el español. Sin embargo, se debaten todavía las políticas educativas más apropiadas para la implementación de su enseñanza a nivel nacional. Paralelamente a esa preocupación, el inglés compite por los recursos humanos y técnicos disponibles. Este trabajo presenta los interrogantes que los intelectuales locales deberán formularse para garantizar espacios de promoción, respeto y valoración de la diversidad cultural frente a una forzada globalización cultural. Martha Guzmán (München) Amerikanisches Spanisch in Texten der Kolonialzeit? Der Vortrag beschäftigt sich mit der Frage, ob die Herausbildung des amerikanischen Spanisch anhand diachronischer Untersuchungen Quellen aus der Kolonialzeit erforscht werden kann. Nach der Präsentation der wichtigsten Theorien über die Herausbildung des amerikanischen Spanisch sowie der zentralen Eigenschaften der kolonialen Quellen wird diese Problematik anhand zwei konkreter Beispiels diskutiert, die als typisch hispanoamerikanisch gelten: der Gebrauch der zusammengesetzten bzw. nicht zusammengesetzten Vergangenheitsformen einerseits, der Imperfekt des Subjuntivo auf -RA (amara) andererseits. Das Korpus, das als Basis dieser Untersuchung dient, besteht aus 53 Texten, die im 16. und 17. Jahrhundert in der Karibik verfasst wurden. Es enthält Diskurstraditionen wie die Acta de Cabildo (Akten von Diskussionen über interne Probleme einer Region), die Información de sucesos (Ermittlung auf die Basis von Befragungen), die Relación de sucesos (Bericht über Ereignisse), offizielle Briefe und Privatbriefe, etc. Die Leitfragen der Untersuchung sind die folgenden: 1. Kann man mit Hilfe dieser Texte erklären, wie sich die charakteristischen Merkmale des hispanoamerikanischen Verbalsystem herausgebildet haben? 149 2. Inwiefern ähneln diese Texte in Bezug auf diese Merkmale dem heutigen amerikanischen Spanisch? 3. Welche Theorien über die Herausbildung des amerikanischen Spanischen sind in Übereinstimmung mit den gefundenen Daten? Christian Münch (Frankfurt am Main) Zur Dynamik des Spanischen in New York: Migration, Identität und sozialer Wandel Das Spanische in der Stadt New York war lange Zeit synonym mit den Varietäten puertorikanischer und dominikanischer Einwanderer. Bis in die späten 80er Jahre kam der weitaus größte Teil ihrer hispanophonen Bevölkerung aus Puerto Rico und der Dominikanischen Republik. Seit Anfang der 90er Jahre wurde New York jedoch zum Ziel einer beispiellosen Migrationswelle aus verschiedenen Ländern Lateinamerikas, darunter Kolumbien, Ecuador, verschiedene zentralamerikanische Länder und, in letzter Zeit besonders, Mexiko. Eine neue Varietätenvielfalt hat das Nebeneinander karibischer Varietäten ersetzt und charakterisiert die Situation des Spanischen in New York. Für die Sprecher entwickelten sich die Varietäten ihres jeweiligen Herkunftslandes zu einem wichtigen Element sprachlicher Identität und sozialer Interaktion, insbesondere zwischen den neuen Migranten und den alteingesessenen hispanophonen Gruppen. Während die hispanophone Gemeinschaft der Stadt von der anglophonen Mehrheit nach wie vor als Hispanics, Latinos oder nur ‚the Spanish‘ homogenisiert wird, entwickelte sie nach innen eine soziolinguistische Dynamik, die neben der kulturellen, ethnischen und sozialen Vielfalt der Migrantenkulturen auch eine spezifisch varietätenlinguistische Dimension besitzt. Das Beispiel der Stadt New York lädt dazu ein, die vielfach thematisierte Frage nach der Herausbildung US-amerikanischer Varietäten des Spanischen im Hinblick auf die aktuelle Migrationsdynamik aufzunehmen. Hierbei soll insbesondere der Frage nachgegangen 150 werden, von welchen Faktoren Sprachwandelprozesse im aktuellen Szenario initiiert und geleitet werden und welche kulturellen, ethnischen und sozialen Grenzen dem entgegenwirken. Des weiteren gilt es zu diskutieren, was die Varietätenlinguistik mit der Kategorisierung und Beschreibung neuer US-amerikanischer Varietäten des Spanischen überhaupt leisten kann und wo angesichts der anhaltenden Migration und des raschen sozialen Wandels im Migrantenmilieu ihre Grenzen liegen. Dorotea Frank Kersch (Kiel/São Leopoldo, Brasilien) Variação no uso de relativas no contato espanhol-português no norte do Uruguai: que tipo de relativas os informantes dizem usar e quais efetivamente usam nas suas manifestações Os portugueses foram os primeiros a se instalarem na região hoje pertencente ao norte do Uruguai. Depois da independência do Uruguai e da fixação dos limites, tentou-se suplantar o uso do português através de uma política de castelhanização. A partir daí, instala-se uma situação diglóssica, em que o espanhol passa a ser ensinado na escola, a ser a língua usada nos órgãos públicos, e o português passa a ser a língua falada na esfera doméstica. Os dados do ADDU-Norte retratam esse norte bilíngue e são base para nosso estudo sobre a variação no uso das relativas nessa região de contato. Nesta apresentação, vamos comparar dois estilos: o estilo pergunta-resposta e o estilo conversa livre. Investiga-se aqui a consciência que os falantes têm quanto ao uso que fazem de relativas, comparando esses resultados com o que efetivamente usam ao se manifestarem espontaneamente. 151 Marcelo Jacó Krug (Kiel) Universidade Federal do Rio Grande do Sul O presente estudo investiga o papel da língua na constituição da identidade e etnicidade dos grupos debase imigrante em contato em uma comunidade rural multilíngüe em português, italiano e alemão de Imigrante, no Rio Grande do Sul, Brasil. A concepçãobásica que subjaz a esse propósito é a de que a língua constitui um dos principais fatores de determinação da identidade e etnicidade de um grupo social, neste casorepresentado por descendentes de imigrantes alemães e italianos. O que se investiga aqui é como se dá essa interrelação entre língua e identidade no contato entre dois grupos de fala contrastantes, germânico e românico, e ao mesmo tempo semelhantes, na medida em que compartilham o traço em comum de grupo minoritário falante de uma variedade dialetal aloglota oriunda da imigração a partir do século XIX. Martina Schrader-Kniffki (Bremen) Brasilianische Sprachpolitik als Spiegel des französischen Sprachpurismus Im Mittelpunkt der 1999 in Brasilien als sprachpolitisches Gesetz eingebrachten Proposta Aldo Rebelo steht das Portugiesische als Nationalsprache Brasiliens. Mit diesem in der brasilianischen Presse und unter Linguisten kontrovers diskutierten Sprachgesetz sollen der Gebrauch und die Verbreitung des Portugiesischen in und außerhalb Brasiliens festgelegt und geregelt, vor allem jedoch die Eliminierung von in die Sprache eingegangenen Fremdwörtern betrieben werden. Das Gesetz wurde in expliziter Anlehnung an die 1994 erstmals in Frankreich eingebrachte Loi Toubon vorgeschlagen und spiegelt den französischen Sprachpurismus im Lichte der aktuellen brasilianischen Sprachpolitik des Portugiesischen wider. In diesem Vortrag sollen die jeweiligen sprachpuristisch ausgerichteten Argumentationsstrategien verglichen und die damit verbundene, von Europa nach Brasilien transportierte, vom Französischen 152 auf das Portugiesische Brasiliens übertragene Sprachideologie untersucht werden. Dabei wird auch der jeweils unterschiedliche, sowohl sprachliche, als auch politische Kontext dieser sprachpuristischen Bestrebungen in Betracht gezogen werden. Wolf Dietrich (Münster) Zur Syntax und Lexik des volkstümlichen Portugiesischen in der GuaraníEinflußzone von Mato Grosso do Sul (Brasilien) Es werden Ergebnisse der Sprachaufnahmen aus fünf Befragungspunkten im südlichen Mato Grosso do Sul vorgestellt, die für den Atlas Lingüístico Guaraní-Românico (ALGR) exploriert wurden. Sie beziehen sich zum einen auf Erscheinungen der Syntax des “português popular” der zweisprachigen Sprecher (Guaraní und Portugiesisch), die im Portugiesischen auf Interferenzen bzw. Interstrateinflüssen des Guaraní beruhen können (Verbvalenzen, Personenmarkierung, Modusgebrauch, Consecutio temporum), zum anderen aber typisch für das gesprochene brasilianische Portugiesisch überhaupt sind. Dazu gehören neben Fragen der Artikelverwendung auch lexikalische Bevorzugungen gegenüber Lexemen der Schriftsprache. Einige Ergebnisse werden in Form von Sprachkarten vorgelegt werden. 153 BUSKE ROMANISTIK IN GESCHICHTE UND GEGENWART Mara Borelli de Oliveira Correia Sprachliches Erfassen von Potentialität Untersucht an italienischen und deutschen Belegen. Beiheft 10. 2003. 136 S. 3-87548-347-2. Kart. 38,00 Johannes Kramer Die iberoromanische Kreolsprache Papiamento Eine romanistische Darstellung Beiheft 11. 2004. 250 Seiten. 3-87548-380-4. Kart. 48,00 Diese textlinguistisch orientierte Studie führt zunächst an einen subjektiv geprägten Begriff der Potentialität heran, wie sie auf vorsprachlicher Ebene in der Welt der Aussage konzipiert wird, und erläutert, welche Spezifizierungen auf der sprachlichen Ebene erfolgen. Am Beispiel des Deutschen und des Italienischen werden u.a. Ausdrucksmittel wie Futur und Konditionalis, epistemische Modalwörter, Verben des Meinens, Ausdrücke im Bedeutungsfeld des Scheinens, Konjunktiv im Komplementsatz und Modalverben in Hinblick auf das sprachliche Erfassen von Potentialität behandelt. Berücksichtigt werden auch Sprechhandlungen wie das Fragen und das Versichern sowie die Stellungnahme des Sprechers gegenüber der kommunikativen Regreßpflicht. Auf den drei der venezolanischen Küste vorgelagerten und zum niederländischen Königreich gehörenden Inseln Aruba, Bonaire und Curaçao wird von rund 300.000 Menschen eine in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstandene iberoromanische Kreolsprache gesprochen, Papiamento genannt. Dieser Band behandelt zum ersten Mal in deutscher Sprache ausführlich Entstehung und Struktur des Papiamento. In einem historisch-typologischen Teil skizziert der Autor Wesen und Herausbildung kreolischer Sprachen, er schlägt eine neue Theorie zur Entstehung des Papiamento aus spanisch-portugiesischer Konvergenz in niederländischem Munde vor und beleuchtet den niederländischen Anteil am Papiamento. Zudem wird die Laut-, Formen- und Satzlehre vorgestellt und es wird auf die Herausbildung der zwei modernen Normen des Papiamento eingegangen. Lehr- und Nachschlagewerke zu mehr als fünfzig Sprachen sowie sprachwissenschaftliche Monographien und Zeitschriften bilden das Programm des Helmut Buske Verlages. Bitte fordern Sie unseren aktuellen Katalog »Fremde Sprachen – Sprachwissenschaft« an und besuchen Sie uns im Internet: Helmut Buske Verlag Richardstraße 47 D-22081 Hamburg www.buske.de Tel. +49 (0)40 - 29 99 58-42 Fax +49 (0)40 - 299 36 14 Sektion 8 Spracherwerb in der und um die Romania Leitung: Rita Franceschini (Bozen), Natascha Müller (Wuppertal), Gudrun Ziegler (Neuchâtel/München) Programm Montag, 26.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Giuliano Bernini (Bergamo) Strategie di lessicalizzazione: tipologia e apprendimento. Il caso dei verbi di moto Clive Perdue (Paris) L’expression de la finitude par des apprenants du français et comparaison avec des apprenants d’autres langues Sandra Benazzo (Paris/Lille) L’émergence de moyens grammaticaux pour exprimer les relations temporelles en L2 Celina Edwards (Berlin) Numeralia im Spracherwerb - ein deutsch-italienischer Vergleich Judith Dauster (Saarbrücken) Fremdsprachenfrühunterricht: Möglichkeiten und Grenzen der Analyse von Lerneräußerungen und Unterrichtsdiskurs Erik Lautenschlager (Saarbrücken) Vergleich der Produktionen von Schülern mit Frühfranzösisch ab Klassenstufe 1 bzw. 3 Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr Stefan Pfefferle (Saarbrücken) Paradigmatische vs. syntagmatische Strukturen beim frühen gesteuerten Französischerwerb 155 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Gudrun Ziegler (Neuchâtel/München) Processus référentiels dans l’interaction en langue étrangère précoce - quelques observations Gabriele Budach (Frankfurt/M) Alfabetizzazione bilingue? Multimodales Lernen in einem deutsch-italienischen Grundschulprojekt Eva Lavric (Innsbruck) Kann man von einem Fehler zu einem anderen fortschreiten? Beispiele aus den Interimssprachen Französisch und Spanisch Sigrid Behrent (Saarbrücken) Lernen Lerner voneinander? Auf den Spuren von Spracherwerb in interalloglotter Kommunikation Angela Weißhaar (Hildesheim) Erzählen von Ereignissen in Mutter- und Fremdsprache – Über den Zusammenhang von Sprache, Kultur und Information Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Katrin Schmitz (Wuppertal) Subjektauslassungen und -realisierungen deutschitalienisch bilingualer Kinder Natascha Müller / Antje Pillunat (Wuppertal) Bilinguale Kinder mit einer Sprachstörung: Deutsch-Französisch Donnerstag, 29.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 156 Tanja Kupisch (Hamburg) Sprachdominanz und Balanciertheit im frühen bilingualen Spracherwerb Matthias Bonnesen (Hamburg) Zum Status der „schwächeren“ Sprache (Französisch) im bilingualen Französisch/Deutsch Erstspracherwerb Abstracts Giuliano Bernini (Bergamo) Strategie di lessicalizzazione: tipologia e apprendimento. Il caso dei verbi di moto 1. Il settore dei verbi di moto si presta all’indagine delle strategie di lessicalizzazione delle componenti l’evento di moto, con particolare riguardo della direzione nella quale avviene lo spostamento (p.es. fr. monter), della maniera in cui esso avviene (p.es. fr. courir), della deissi (p.es. fr. venir). Nei termini della caratterizzazione tipologica sostenuta da Talmy (2000), ma originariamente risalente a Tesnière (1959), le lingue romanze esprimono prevalentemente la direzione nel lessema verbale (“verb-framed languages”, cfr. p.es. port. sair, sp. salir, fr. sortir, sardo bessire, it. uscire, rum. a ieşi), opponendosi alla strategia prevalente nelle lingue germaniche, che esprimono la direzione in un elemento adverbale (“satellite-framed languages”, cfr. ted. ausgehen, ingl. go out, sved. gå ut, isl. fara út). D’altro canto la maniera in cui avviene il moto è tendenzialmente espressa come un evento separato rispetto a quello di spostamento in una direzione (cfr. fr. entrer en courant vs. ted. hineinrennen). Il quadro tipologico romanzo non è però compatto e va differenziato in termini variazionisti (cfr. Berthele 2004), tenendo conto della diatopia (p.es. dialetti gallo-italici vs. altri dialetti italo-romanzi), della possibilità di strategie di espressione ridondante (p.es. it. scendere giù) e dei potenziali conflitti nella lessicalizzazione delle componenti deittica e di direzione (p.es. it. venire giù [verso il parlante] vs. scendere). 2. In questo quadro tipologico vengono indagate le strategie di lessicalizzazione messe in atto da apprendenti di italiano L2 nell’acquisizione dei verbi di moto, osservando in particolare la (ri)costruzione del significato dei lessemi della lingua di arrivo e l’espressione della direzione sul lessema verbale o su altri elementi adverbali o adnominali anche in dipendenza della L1 (p.es. MK03 157 entriamo in collegio *la sale* vs. non vado fuori perché c’è fredo tropo). L’indagine, condotta nel quadro teorico funzionalista detto della “Basic Variety” (Klein/Perdue 1997), terrà conto soprattutto dei dati di apprendenti spontanei di diversa L1 compresi nella banca dati del “Progetto di Pavia” sull’acquisizione dell’italiano (cfr. Giacalone Ramat 2003); marginalmente si considereranno dati elicitati costituiti da narrazioni (cfr. Slobin 2004). L’osservazione dei percorsi di apprendimento del lessico del moto da parte di apprendenti di L2, rispecchiando l’input del parlato di nativi nella particolare situazione del contatto linguistico, contribuirà a illuminare alcuni aspetti della problematica posizione tipologica dell’italiano rispetto ai parametri “V-framed” e “S-framed” (cfr. per la maniera scendere di corsa ≡ correre giù). Riferimenti Berthele, Raphael, 2004, “The typology of motion and posture verbs: A variationist account”, in: Kortmann, Bernd (ed.), Dialectology Meets Typology. Dialect Grammar From a Cross-Linguistic Perspective, Berlin, Mouton de Gruyter, pp. 93-126. Giacalone Ramat, Anna (a cura di), 2003, Verso l’italiano. Percorsi e strategie di acquisizione, Roma, Carocci. Klein, Wolfgang / Perdue, Clive, 1997. “The Basic Variety (or: Couldn’t natural languages be much simpler?)”. Second Language Research 13: 301-347. Slobin, Dan, 2004, “The many ways to search for a frog. Linguistic typology and the expression of motion events”, in: Strömqvist, Sven / Verhoeven, Ludo (eds.), 2004, Relating events in narrative: typological and contextual perspectives, Mahwah, NJ, Lawrence Erlbaum Associates, pp. 219-257. Talmy, Leonard, 2000, Toward a cognitive semantics. 2 voll., Cambridge, MA, MIT Press. Tesnière, Lucien, 1959, Eléments de syntaxe structurelle, Paris, Klincksieck. Clive Perdue (Paris) L’expression de la finitude par des apprenants du français et comparaison avec des apprenants d’autres langues Ce sont les catégories morpho-syntaxiques de la personne et du temps qui sont traditionnellement associées aux propositions finies 158 (et absentes des in-fini-tives). La notion de finitude va cependant au-delà, ayant aussi des incidences sémantiques et pragmatiques, ce qui a amené Lasser (1997) à proposer une distinction entre la M(orphological)-finiteness et la S(emantic)-finiteness, distinction que nous adopterons ici. L’expression de la finitude a fait l’objet pendant la dernière décennie de nombreuses analyses par les acquisitionnistes. La méthodologie adoptée est principalement l’analyse de productions d’apprenants face à des tâches verbales comparables (conversations spontanées ou tâches plus contraignantes). Dans cette communication, nous nous pencherons principalement sur l’acquisition du français langue 2, en comparant ce processus à l’acquisition du français L1, d’une part, et à l’acquisition de langues germaniques, d’autre part, toutes ces langues « cibles » disposant d’une morphologie verbale pour marquer la finitude. Nous nous demanderons quels sont les étapes et itinéraires d’acquisition attestés, et en quoi la différence de ‘réussite’ des apprenants enfants et adultes nous aide à comprendre l’organisation et le fonctionnement de la finitude dans les langues en général, sachant que cette différence concerne en premier lieu l’acquisition plus ou moins réussie de la morphologie verbale. Référence: Lasser, Ingeborg (1997). Finiteness in adult and child German. Nijmegen: MPI Series in Psycholinguistics. Sandra Benazzo (Paris/Lille) L’émergence de moyens grammaticaux pour exprimer les relations temporelles en L2, Paris und Lille Les recherches sur l’acquisition non guidée d’une L2 ont montré que les stades initiaux sont caractérisés par l’absence de morphologie verbale fonctionnelle (cf. Basic Variety, Klein et Perdue 1997). L’ancrage temporel de l’énoncé est, à ce stade, soit implicite – si inférable sur la base de principes pragmatiques ou d’organisation 159 discursive – soit exprimé lexicalement par un large répertoire d’adverbes temporels. Ce n’est qu’au stade suivant que les relations temporelles sont encodées grammaticalement par la flexion verbale (cf. Dietrich et al. 1995). Cette communication focalise sur la transition entre l’expression lexicale et grammaticale des relations temporelles, en discutant les résultats de recherches récentes sur une partie des données ESF, notamment français, anglais, néerlandais et allemand L2. L’analyse des productions d’apprenants met en évidence deux parcours acquisitionnels (apparemment) divergents : a) dans certains cas l’emploi fonctionnel de la morphologie verbale semble être précédé par une étape intermédiaire où deux morphèmes libres encodent séparément les valeurs de temps/aspect (cf. p.ex. double proto-auxiliaires, Starren 2000); b) dans d’autres, les premières formes d’auxiliaire semblent encoder une valeur temporelle, alors que certaines distinctions aspectuelles sont exprimées par des marqueurs lexicaux spécialisés (adverbes de contraste temporel tels que encore/déjà, cf. Benazzo 2003). Nous suggérons qu’on peut rendre compte des deux parcours acquisitionnels par la tendance développementale commune de traiter séparément les valeurs complexes de la flexion verbale : les composantes temporelle et aspectuelle seraient encodées d’abord de manière analytique – soit par deux morphèmes libres, soit par une forme verbale associée à un marqueur lexical spécialisé – avant de pouvoir fusionner dans la morphologie verbale. Celina Edwards (Berlin) Numeralia im Spracherwerb – ein deutsch-italienischer Vergleich Die Kategorie der Zahlen, der Zahlwörter sowie das Konzept Zahl an sich stellen komplexe Probleme der kognitiven Verarbeitung, des Erwerbs, aber auch der wissenschaftlichen Beschreibung dar (Wiese 2003). 160 Der vorliegende Beitrag soll, ausgehend von existierenden Zahlenverarbeitungsmodellen (z.B. Triple Code Model in Dehaene 1992), den Spracherwerb der Numeralia im deutsch-italienischen Vergleich analysieren. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der morpho(no)logischen Repräsentation deutscher bzw. italienischer Numeralia: Es soll der Frage nachgegangen werden, ob diese den Erwerb von Numeralia beeinflusst oder nicht. Die dabei zugrunde gelegte These lautet, dass je nach morphologischer Struktur des jeweiligen Numeralsystems der Erwerb der Numeralia mit bestimmten Schwierigkeiten verbunden ist und zu fehlerhaften Produktionen führen kann. Sowohl das italienische als auch das deutsche System bieten Bereiche, die aus morphologischer Sicht ‚einfach’, d.h. morphologisch motiviert sind, als auch solche, die ‚schwierig’, also nicht (gänzlich) motiviert sind. Zur Überprüfung dieser These wurde eine empirische Untersuchung durchgeführt: Diese basiert auf Interviews mit 50 italienischen und 50 deutschen Kindern zwischen 3 und 7 Jahren, die in verschiedenen Experimenten u.a. zählen und morpho(no)logisch fehlerhafte Numeralia (sowohl Kardinalia als auch Ordinalia) entdecken müssen. Hat die morphologische Struktur Einfluss auf den Erwerb von Numeralia, so ist bei den empirischen Untersuchungen mit unterschiedlichen Ergebnissen von deutschen und italienischen Kindern zu rechnen. Sollte es sich beim Numeralia-Erwerb allerdings um einen rein kognitiven einzelsprachunabhängigen Prozess handeln, dürften die unterschiedlichen Numeralsysteme keinen Einfluss auf den Erwerb der Numeralia haben und somit zu keinen Unterschieden zwischen beiden Sprechergruppen führen. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung werden zeigen, dass in den untersuchten Bereichen eine Sprachabhängigkeit im Erwerb von Numeralia besteht und Zahlenverarbeitung (zumindest teilweise) auch sprachlich beeinflusst wird. 161 Literatur (Auswahl): Dehaene, Stanislas (1997): The Number Sense, New York: Oxford University Press. Fuson, Karen (1988): Children’s Counting and Concepts of Number, New York: Springer. Hurford, James (1987): Language and Number, Oxford: Blackwell. Wiese, Heike (2003): Numbers, Language, and the Human Mind, Cambridge: Cambridge University Press. Judith Dauster (Saarbrücken) Fremdsprachenfrühunterricht: Möglichkeiten und Grenzen der Analyse von Lerneräußerungen und Unterrichtsdiskurs Bei der spezifischen Spracherwerbssituation, die in diesem Sektionsbeitrag näher betrachtet wird, handelt es sich um den frühen gelenkten Spracherwerb im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts im Primarbereich. Die Auswertung basiert auf Video- und Audioaufnahmen eines Projektteams unter der Leitung von Prof. Dr. Rita Franceschini und Dr. Sabine Ehrhart, das die Einführung des Frühfranzösisch ab Klassenstufe 1 an saarländischen Grundschulen wissenschaftlich begleitete. Dabei werden übliche Vorgehensweisen bei der Analyse von Lerneräußerungen und Unterrichtsdiskurs vorgestellt und in Ihrer Anwendbarkeit auf die Spezifik des Frühunterrichts hinterfragt. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, welche Möglichkeiten sich aus der Kombination unterschiedlicher methodischer und theoretischer Vorgehensweisen ergeben. Informationen zum Projekt: www.languagestudies.unibz.it/landesforschung.html Erik Lautenschlager (Saarbrücken) Vergleich der Produktionen von Schülern mit Frühfranzösisch ab Klassenstufe 1 und Klassenstufe 3 Die vorgestellte empirische Studie untersucht Daten, die im sogenannten Père-Noël- Versuch, im Rahmen des am Lehrstuhl für 162 Angewandte Linguistik der Universität des Saarlandes angesiedelten Projekts „Effizienz des Frühunterrichts: begleitende Forschung im Rahmen der Fremdsprachenreformen“ erhoben wurden. Das experimentelle Setting, das zur Evaluation der aktiven Kompetenzen der Lerner durchgeführt wurde, erlaubt eine Untersuchung im Bereich der Sprachproduktion aber auch der Sprachrezeption der Lernenden. Dabei wird auf zwei Ebenen verglichen: zum Einen liegen Daten von Schülern gleichen Alters aber unterschiedlichen Lernstadiums vor. Zum Anderen werden Daten von Schülern betrachtet, die im gleichen Lernstadium, aber unterschiedlichen Alters sind. Der Stand der Lernersprache wird punktuell quantitativ und qualitativ anhand verschiedener Indikatoren untersucht. Dabei werden die MLU, die Anteile von mutter- und lernersprachlichen Äußerungen an der Gesamtproduktion, die Benutzung verschiedener Wortarten sowie das Hörverstehen auf beiden oben beschriebenen Ebenen vergleichend betrachtet. Stefan Pfefferle (Saarbrücken) Paradigmatische vs. syntagmatische Strukturen beim frühen gesteuerten Französischerwerb Für L2-Lernende im Rahmen des frühen gesteuerten Französischerwerbs bietet die Lehr-Lern-Interaktion in der Fremdsprache den primären Erwerbskontext. Als Einstieg in das Fremdsprachenlernen dient dabei die Beherrschung funktionaler Ausdrücke der Zielsprache (sog. Routinen). Die Verwendung und insbesondere die voranschreitende Segmentierung dieser Routinen durch die Lerner liefern wertvolle Einsichten bei der Suche nach Verbindungen zwischen beobachtbarer Interaktion im Klassenzimmer und den nicht direkter Beobachtung zugänglichen Lerneffekten. Welche Wege und Irrwege die L2-Sprecher in ihrer Sprachproduktion durch die interne Analyse der gelernten Routinen auf pa163 radigmatischer und syntagmatischer Achse beschreiten, um sich schließlich der Grammatik der Zielsprache anzunähern, soll in diesem Beitrag nachgezeichnet werden. Gudrun Ziegler (Neuchâtel / München) Processus référentiels dans l’interaction en langue étrangère précoce - quelques observations L’enseignement-acquisition des langues étrangères à un très jeune âge (à partir de la (pré)-scolarité) offre depuis peu un champ nouveau pour l’analyse du développement d’une L2 en milieu guidé. Partant du fait que de telles interactions en classe soient - sinon conditionnées du moins imprégnées - par les facteurs de base du cadre spécifique d’acquisition (par exemple: début d’alphabétisation en L1, voire L2), cette communication s’intéresse aux spécificités des processus référentiels mis en oeuvre par les participants à l’interaction. Les productions d’apprenants (français langue étrangère précoce) laissent entrevoir l’émergence d’un certain type de pratiques référentielles qui tiennent compte du champ réduit de références possibles (p.ex. sujet thématique préétabli), disponible aux participants. De fait, l’analyse des processus référentiels suggère que le parcours acquisitionnel des apprenants, et plus précisément le système émergent des déterminants, sont déterminés par la nature située de ces pratiques référentielles en interaction. Gabriele Budach (Frankfurt/M) Alfabetizzazione bilingue? Multimodales Lernen in einem deutschitalienischen Grundschulprojekt Der Beitrag untersucht bilinguales Lernen in einem deutsch-italienischen Grundschulprojekt, das im Sinne eines Two-way-immersion Modells beide Sprachen als Ziel- und Unterrichtssprache berücksichtigt. Mit Schuleintritt beginnt für alle Kinder, die z.T. einen deutschsprachigen, z.T. einen italienisch- bzw. zweisprachigen Hin164 tergrund haben, parallel die Alphabetisierung in beiden Sprachen. Gegenstand der hier angestellten Betrachtungen ist der Umgang der Kinder mit Schriftlichkeit in beiden Sprachen und die Rolle der Zweisprachigkeit für den Schriftsprachenerwerb. Es ist davon auszugehen, dass der Schriftsprachenerwerb ein komplexer Prozess ist, in den eine Vielzahl von Faktoren einfließt. Daher stellt sich die Frage, welche sprachlichen und außersprachlichen Ressourcen nutzen die Kinder, um Schriftliches zu entziffern, Aufgaben zu lösen und Sinn zu erzeugen? Welchen Anteil hat (einzelsprachliche) Schriftlichkeit an diesen Prozessen? Welche anderen Ressourcen wie etwa gesprochene Sprache, visuelle Impulse, kontextuelles und lebensweltliches Wissen stützen den Schriftsprachenerwerb und wie werden diese Ressourcen in der konkreten Interaktion, im Unterrichtsgespräch oder in Partnerarbeit von den Kindern eingesetzt? Welche Unterschiede sind im Schnittpunkt individueller Lernerprofile und sozialer kommunikativer Bedingungen beobachtbar? Theoretisch knüpft die hier präsentierte Studie an Halliday (1985) und sein Konzept der metasprachlichen Funktionen sowie an Kress (2001) und seine Überlegungen zum Lehren und Lernen als multimodalem Prozess an. Methodisch basiert die Untersuchung auf ethnographischen Techniken der Datenerhebung (teilnehmender Beobachtung, Video- und Audiomitschnitten von Unterrichtsgeschehen, biographischen und retrospektiven Interviews sowie Lautdenkprotokollen), die qualitativ ausgewertet werden. Die hier präsentierten Daten stehen für kommunikative Interaktionssituationen, literacy events („talking around texts“, vgl. Heath 1983), in denen die Beschäftigung mit Schriftlichkeit in ihrer sozialen wie auch kognitiven Einbettung beobachtet werden kann. Die analysierten Daten stammen aus retrospektiven Interviews der Forscherin mit jeweils zwei Kindern, die Material kommentieren, das von ihnen im Rahmen einer Aktivität zum Sprachenportfolio gesammelt wurde. 165 Die Analyse zeigt, auf welche Weise der (zweisprachige) Schriftsprachenwerwerb durch andere Modi unterstützt wird und dokumentiert Beispiele, in denen das Lernen einer Einzelsprache hinter einem sprachübergreifenden Lernen von Konzepten zurücktritt. Michel Halliday (1985): An Introduction to Functional Grammar. London: Edward Arnold. Shirley B. Heath (1983): Ways with words. Cambridge: Cambridge University Press. Gunther Kress et Theo van Leeuwen (1996): Reading Images. The Grammar of visual design, London: Routledge. Gunther Kress et al. (2001): Multimodal teaching and learning. The rhetorics of the science classroom, London/N.Y.: Continuum. Eva Lavric (Innsbruck) Kann man von einem Fehler zu einem anderen fortschreiten? Beispiele aus den Interimssprachen Französisch und Spanisch Der Fehler als notwendiges Durchgangsstadium in der Entwicklung der Interimssprache – die Interimssprache als ständig in Veränderung, in Restrukturierung befindliches System – und all dies als wertvolles heuristisches Instrument bei der Erforschung von (Fremd-) Spracherwerbsprozessen: Dem soll in diesem Beitrag anhand von Beispielen aus dem tertiären Französisch- und Spanischerwerb Germanophoner nachgegangen werden. Insbesondere soll beleuchtet werden, inwieweit und nach welchen Kriterien nicht nur zielsprachen-konforme Äußerungen, sondern auch bestimmte Typen von Fehlern als Zeugnisse für Lernfortschritt gegenüber anderen Fehlertypen gewertet werden können, und in welchen Bereichen (Grammatik, Lexikon) dieses Konzept des «von Fehler zu Fehler Fortschreitens» am besten greift. Das Corpus stammt sowohl für Französisch als auch für Spanisch von jeweils zwei verschiedenen Lernergruppen, einer aus dem schulischen Fremdsprachenunterricht und einer Erwachsenengruppe. 166 Abschließend soll den Fragen nachgegangen werden, was die Ergebnisse für die Spracherwerbsforschung zu bedeuten haben und welche Konsequenzen in der konkreten didaktischen Umsetzung daraus zu ziehen sind. Sigrid Behrent (Saarbrücken) Lernen Lerner voneinander? Auf den Spuren von Spracherwerb in interalloglotter Kommunikation Der Frage, ob Lerner voneinander lernen können, ist in der Zweitspracherwerbsforschung bereits nachgegangen worden. Die Studien, die sich zumeist auf den durch Fremdsprachenunterreicht an der Schule gesteuerten Spracherwerb beziehen (vgl. die Zusammenfassung einiger Resultate bei Long/Porter 1985), gelangen im Allgemeinen zu einer positiven Antwort. Einige Autoren (z.B. Barthomeuf 1991) führen das Erwerbspotential der Lerner-Lerner-Kommunikation auf die Komplementarität der individuellen Kompetenzen zurück, wobei deren relative Symmetrie vor dem massiven Transfer von Fehlern bewahrt. Im Rahmen meines konversationsanalytisch orientierten Dissertationsprojektes habe ich authentische Gespräche zwischen Studenten gleicher und verschiedener Erstsprachen untersucht, die sich zur Verbesserung ihrer Französischkenntnisse in Frankreich aufhalten. Das Ziel meiner Arbeit ist die Beschreibung von Charakteristika und Besonderheiten dieses von mir als „interalloglotte Kommunikation“ bezeichneten Interaktionstyps. Dabei interessiert mich auch die oben aufgeworfene Frage, bezogen auf natürliche (ungesteuerte) Sprachlernsituationen. Im Rahmen meines Beitrags möchte ich zeigen, wie sich die beobachteten Französischlerner in ihren Gesprächen gegenseitig helfen, sich korrigieren, sprachliche Probleme aushandeln und diskutieren und inwiefern sich ihre „Methoden“ von denen unterscheiden, die in Studien zur Interaktion zwischen Nichtmutter- und Muttersprachlern beobachtet wurden. In diesen Untersuchungen 167 zur so genannten exolingualen Kommunikation wird häufig die Schwierigkeit bzw. Unmöglichkeit thematisiert, das Stattfinden von Erwerb nachzuweisen. So ist lediglich von „potentiellen Erwerbssequenzen“ (séquences potentiellement acquisitionnelles, de Pietro/ Matthey/Py 1989) und „Gelegenheiten zum Sprachenlernen“ (lan guage learning opportunities, Brouwer 2003) die Rede. Dieser Vorsicht folgend sollen einige Hypothesen zum Erwerbspotential interalloglotter Kommunikation formuliert werden. Angela Weißhaar (Hildesheim) Erzählen von Ereignissen in Mutter- und Fremdsprache – Über den Zusammenhang von Sprache, Kultur und Information In diesem Vortrag geht es darum, ob ein in der Muttersprache erzähltes Ereignis die gleichen Informationen enthält wie dasselbe in einer Fremdsprache erzählte. Unbestritten ist es eine Frage unserer fremdsprachlichen Kompetenz, ob wir das, was wir sagen wollen, in der Fremdsprache angemessen in Inhalt und Form ausdrücken können. Doch wissen insbesondere viele, die bereits einen langjährigen Auslandsaufenthalt hinter sich haben und über ausgezeichnete Fremdsprachenkenntnisse verfügen, daß irgendetwas, unabhängig von der Sprachkompetenz in der Fremdsprache „anders“ bleibt. Was ist es, das wir anders, besser oder vorzugsweise in der Mutter- oder Fremdsprache mitteilen? Um diesem Unterschied auf die Spur zu kommen, wurden französische, italienische und deutsche Muttersprachler/innen mit unterschiedlicher fremdsprachlicher Kompetenz gebeten, ein Ereignis jeweils in beiden Sprachen zu erzählen. Bei einem Vergleich fallen strukturelle und inhaltliche Unterschiede auf, die individueller, thematischer oder kulturtypischer Natur sind. Sie dürften nicht nur im allgemeinen Rahmen interkultureller Kommunikation zum Tragen kommen und bisweilen zu Mißverständnissen führen, sondern insbesondere auch in dem der Weitergabe von Informationen innerhalb mehrsprachiger Unternehmen. Neben einem Systematisierungsversuch der gefun168 denen Resultate geht es um Erklärungsmöglichkeiten, wobei auch Ergebnisse der modernen Hirnforschung berücksichtigt werden. Bibliographische Angaben: Barthomeuf Jacques (1991), « Asymétrie et apprentissage dans les activités de groupe en classe », in : C. Russier/H. Stoffel/D. Véronique (ed.), Interactions en langue étrangère, Aix-en-Provence : Publications de l’université de Provence, 249258. Brouwer Catherine E. (2003), « Word searches in NNS-NS interaction: opportunities for language learning? », The Modern Language Journal 87/4: 534-545. De Pietro Jean-François/Matthey Marinette/Py Bernard (1989), « Acquisition et contrat didactique: les séquences potentiellement acquisitionnelles de la conversation exolingue », in : D. Weil/H. Fugier (ed.), Actes du troisième colloque régional de linguistique, Strasbourg, 99-124. Long Michael H./Porter P. A. (1985), « Group work, interlanguage and second language acquisition », TESOL Quarterly 19.2 : 227-270. Katrin Schmitz (Wuppertal) Subjektauslassungen und –realisierungen deutsch-italienisch bilingualer Kinder Ziel des Vortrags ist es, die Einflussanfälligkeit des Subjektbereichs im Italienischen der bilingualen deutsch-italienischen Kinder zu belegen und eine Erklärung des Einflusses im Rahmen des Erwerbs pragmatischer Kompetenzen zu motivieren. Hierbei wird die von Müller (1998), Hulk & Müller (2000), Müller & Hulk (2001) begründete Sichtweise, wonach Spracheneinfluss trotz früher Sprachentrennung möglich ist und dabei nicht durch Sprachdominanz, sondern durch Eigenschaften des jeweiligen Phänomenbereichs bestimmt wird, zugrundegelegt. Die von den Autorinnen etablierten Kriterien der Überlappung der Zielsysteme und der Schnittstellencharakter (Syntax/ Pragmatik) sind für den Subjektbereich erfüllt. Im Hinblick auf die Richtung des Einflusses verweisen die Autorinnen auf die Komplexitätskriterien von Jakubowicz (2000), die im Vortrag genauer vorgestellt und diskutiert werden. Unter der Annahme, dass Subjekte in jedem Satz vorhan169 den sind und in der VP verkettet werden und sie somit weniger komplex als Subjekte im Italienischen sind, lässt sich ein Einfluss des Deutschen auf das Italienischen vorhersagen, der dazu führt, dass im Italienischen mehr Subjekte realisiert werden als bei monolingualen Kindern. Für die Überprüfung dieser Vorhersagen wird Evidenz aus dem monolingualen und bilingualen Erwerb des Französischen und Italienischen erbracht. Hierzu werden sowohl Langzeit- als auch Querschnittsstudien herangezogen. Unter den Langzeitstudien werden je ein monolingual deutsches und italienisches Kind (letzteres aus der CHILDES-Datenbank) sowie vier bilinguale Korpora von deutsch-italienisch bilingualen Kindern herangezogen. Die bilingualen Korpora wurden alle im Rahmen des Forschungsprojekts „Frühkindliche Zweisprachigkeit: Deutsch/Italienisch und Deutsch/Französisch im Vergleich“ (vgl. Müller, Cantone, Kupisch & Schmitz 2002) erhoben. Zentrales Ergebnis der Analyse von Schmitz (erscheint) ist, dass sich insgesamt ein Einfluss des Deutschen in der Realisierungsrate der Subjekte im Italienischen zeigt, der auch für ähnliche Kombinationen von einer Nullsubjekt- und einer Nicht-Nullsubjektsprache wie z.B. Englisch/Italienisch (vgl. Serratrice & Sorace 2002) beobachtet wurde, die nicht von einer Sprachdominanz abhängt. Da gezeigt werden kann., dass sich die bilingualen Kinder deutlich unterschiedlich in beiden Sprachen verhalten, muss eine fehlerhafte Parametersetzung ausgeschlossen werden. Im Vortrag wird daher diskutiert, ob nicht auch im Italienischen die Schnittstelle Syntax/Pragmatik betroffen ist und die sich entwickelnde pragmatische Kompetenz hier im Zentrum steht. Erste Ergebnisse einer Anwendung der von Serratrice & Sorace (2002) vorgeschlagenen (auch statistisch untermauerten) Kriterien für den Informationsgehalt von overten und ausgelassenen Subjekten auf die Longitudinalstudien der bilingualen Kinder, um ihre pragmatische Kompetenz zu ermitteln (vgl. Schmitz erscheint), werden vorgestellt. 170 Literatur: Hulk, A. & Müller, N. (2000). Crosslinguistic influence at the interface between syntax and pragmatics. Bilingualism: Language and Cognition 3 (3), 227-244. Jakubowicz C. (2000). Functional categories in (ab)normal language acquisition. Manuskript CNRS, Paris 5. Kupisch, T., Schmitz, K., Müller, N. & Cantone, K.F. (in Vorb.) Language dominance in bilingual children. Manuskript, Universität Hamburg. Müller, N. (1998). Transfer in bilingual first language acquisition. Bilingualism, Language, and Cognition 1 (3). 151-171. Müller, N. & Hulk, A. (2001). Crosslinguistic influence in bilingual language acquisition: Italian and French as recipient languages. Bilingualism: Language and Cognition 4 (1), 1-21. Müller, N., Cantone, K., Kupisch T. & Schmitz, K. (2002). Zum Spracheneinfluss im bilingualen Erstspracherwerb: Italienisch – Deutsch. In: Linguistische Be richte 190, 157-206. Schmitz, K. (erscheint) Vulnerable subjects? Arbeiten zur Mehrsprachigkeit, Universität Hamburg. Serratrice, L. & Sorace, A. (2002). Overt and null subjects in monolingual and bilingual Italian acquisition. In: B. Beachley, A. Brown & F. Conlin (Hgg.) Pro ceedings of the 26th Annual Boston University Conference on Child Language Development, Somerville, MA: Cascadilla Press, 739-750. Natascha Müller / Antje Pillunat (Wuppertal) Bilinguale Kinder mit einer Sprachstörung: Deutsch-Französisch Erwerbsstudien zu monolingualen Kindern mit Spezifischer Sprachentwicklungsstörung haben gezeigt, dass einige grammatische Domänen wie bei unauffälligen monolingualen Kindern erworben werden. Eine Forschungsrichtung vermutet, dass der existierende Unterschied zwischen den beiden Gruppen ein rein quantitativer ist (Verzögerung im Falle der sprachgestörten Kinder). Erst kürzlich sind die Erwerbsdaten von bilingualen Kindern mit einer SSES auf bestimmte grammatische Domänen untersucht und mit bilingual unauffälligen und monolingual gestörten / unauffälligen Kindern verglichen worden; Paradis et al. (2003). Diesen Studien zufolge entwickeln sich bilinguale Kinder mit SSES wie bilingual 171 sprachunauffällige Kindern, d.h. die Sprachdaten weisen Anzeichnen für den Spracheneinfluss auf. Der Vortrag wird einen grammatischen Bereich im Erwerb untersuchen, der im monolingual ungestörten / gestörten und bilingual ungestörten Erwerb als sehr gut erforscht gelten kann, die Entwicklung des Pronomengebrauchs, vgl. Müller, Crysmann & Kaiser (1996), Schmitz & Müller (2005) und Clark (1985), Hamann et al. (1994), Jakubowicz et al. (1996), Jakubowicz et al. (1998), Müller et al. (1996), Müller et al. (2005), Paradis (2004), Paradis & Crago (2004). Der Erwerb dieses Bereichs soll an einem deutsch-französischen Kind mit SSES und an bilingual deutsch-französischen Kindern, die entweder (1) eine unbalancierte (mit Französisch als schwacher Sprache) oder (2) eine balancierte Sprachentwicklung aufweisen, aufgezeigt und Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede in den Entwicklungsverläufen analysiert werden. Die Sprachstörung kann helfen, insbesondere den unbalancierten bilingualen Erwerbsverlauf, wie er sehr oft vorkommt, zu beschreiben und ihn von der Sprachstörung abzugrenzen. Die Studie ermöglicht ferner einen Ausblick auf den kindlichen Zweitspracherwerb. Literatur: Clark, E. V. (1985). The acquisition of Romance with special reference to French. In D. I. Slobin (ed.), The crosslinguistic study of language acquisition, pp. 688-782. Hillsdale, New Jersey: Erlbaum. Hamann, C., Rizzi, L. & Frauenfelder, U. (1994). On the acquisition of the pronominal system in French. Geneva Generative Papers, 2 (2), 91-103. Jakubowicz, C., Müller, N., Kang, O.-K., Riemer, B. & Rigaut, C. (1996). On the acquisition of the pronominal system in French and German. In A. Springfellow, D. Cahana-Amitay, E. Hughes & A. Zukowski (eds.), Proceedings of the 20th annual Boston university conference on language development, pp. 374385. Somerville, Massachusetts: Cascadilla Press. Jakubowicz, C., Nash, L., Rigaut, C. & Gérard, C.-L. (1998). Determiners and clitic pronouns in French-speaking children with SLI. Language Acquisition 7, 113-160. Kupisch, T., Schmitz, K., Müller, N. & Cantone, K. (2005). Language domi- 172 nance in bilingual children and (its relation with cross-linguistic influence). Manuskript. Müller, N., Crysmann, B. & Kaiser, G. A. (1996). Interactions between the acquisition of French object drop and the development of the C-system. Language Acquisition, 5 (1), 35-63. Müller, N., Cantone, K., Kupisch, T. & Schmitz, K. (2005). Clitic realizations and - omissions in early child grammar: A comparison of Italian and French. Manuskript. Paradis, J. (2004). The relevance of Specific Language Impairment in understanding the role of transfer in second language acquisition. Applied Psycholinguistics 25, 67-82. Paradis, J. & Crago, M. (2004). Comparing L2 and SLI grammars in French: focus on DP. In P. Prévost & J. Paradis (eds.) The acquisition of French in different contexts. Benjamins: Amsterdam. Paradis, J., Crago, M., Genesee, F. & Rice, M. (2003). Bilingual children with Specific Language Impairment: how do they compare with their monolingual peers? Journal of Speech, Language and Hearing Research 46, 1-15. Schmitz, K. & Müller, N. (2005). Strong and clitic pronouns in monolingual and bilingual first language acquisition: comparing French and Italian. Eingereicht. Tanja Kupisch (Hamburg) Sprachdominanz und Balanciertheit im frühen bilingualen Spracherwerb In den vergangenen drei Jahrzehnten wurden in der Forschung zum bilingualen Erstspracherwerb zwei grundsätzlich verschiedene Meinungen vertreten. Volterra & Taeschner (1978) entwickelten ein Modell, wonach bilinguale Kinder ihre zwei Sprachen zunächst nicht trennen, welches in den späten 70er Jahren und zu Beginn der 80er Jahre weitgehend anerkannt wurde. Arbeiten der 90er Jahre haben hingegen gezeigt, dass bilinguale Kinder ihre beiden Sprachen von Beginn der Sprachproduktion an unterscheiden, im Hinblick auf das Lexikon sowie die Grammatik (e.g. Genesee 1989). Die neuesten Forschungsarbeiten zu diesem Thema haben gezeigt, dass sich Sprachentrennung und Spracheneinfluss im bilingualen Individuum nicht ausschließen (e.g. Gawlitzek-Maiwald & Tracy 1996, Müller & Hulk 2001). Diese hier präsentierte Studie geht von der letztgenannte Annahme aus. 173 Bisher wurde Spracheneinfluss vor allem im Zusammenhang mit Sprachdominanz gesehen. Hiernach tritt Einfluss vor allem dann auf, wenn die Entwicklung der einen Sprache im bilingualen Kind weiter fortgeschritten ist als in der anderen. (e.g. Grosjean 1982:190). Leider gibt es bisher nur wenige Studien, die dieses auch systematisch an unbalancierten Kindern gezeigt haben. Auch ist zu bedenken, dass „absolute Balanciertheit“ ein theoretisches Konstrukt ist, dem in der Realität selten, wenn überhaupt, entsprochen wird. In dieser Studie sollen sieben bilinguale Kinder miteinander verglichen werden, die sich hinsichtlich ihres Balanciertheitsgrades unterscheiden. Die Arbeit fokussiert die Entwicklung der Determinanten im Alter zwischen eineinhalb und drei Jahren bei Kindern, die das Deutsche simultan mit dem Französischen oder dem Italienischen erwerben. Der gewählte Bereich eignet sich besonders für die Untersuchung des Spracheinflusses, da vorangegangene Studien einen Kontrast zwischen dem Determinantenerwerb bei monolingualen Kindern in den romanischen Sprachen einerseits und den germanischen Sprachen andererseits offen gelegt haben. Genauer gesagt lassen Kinder, die eine germanische Sprach erwerben, nachhaltiger und über einen längeren Zeitraum hinweg Determinanten aus als Kinder, die eine romanische Sprache erwerben (e.g. Lleó & Demuth 1999, Chierchia et al. 1999). Dieses Faktum als Ausgangspunkt nehmend, untersucht die vorliegende Studie, ob sich die Asymmetrie in der bilingualen Entwicklung widerspiegelt. Ein positiver Befund würde für die Sprachtrennung sprechen, ein negativer Befund hingegen für Spracheinfluss. Die Studie belegt, dass die meisten bilingualen Kinder keinen Sprachkontrast zeigen, obwohl dies zu erwarten wäre, wenn man davon ausgeht, dass sich die Kinder in jeder der Sprachen einem monolingualen Kind entsprechend verhalten. Darüber hinaus zeigen die Vergleiche der bilingualen Kinder untereinander und der bilingualen Kinder mit einem monolingualen Kind, dass sich der 174 Determinantenerwerb im Deutschen einiger bilingualer Kinder extrem schnell vollzieht. Dies könnte so ausgelegt werden, das die romanische Sprache einen positiven Einfluss auf den Erwerb des Deutschen hat. Betrachtet man die Daten im Detail, so zeigt sich, dass sich der Einfluss besonders deutlich manifestiert, wenn Französisch die zweite Sprache ist, unabhängig davon, ob es die starke oder die schwache Sprache repräsentiert. Mit anderen Worten wird Spracheneinfluss nicht durch Dominanz, sondern durch die Eigenschaften der Zielsprachen entscheidend mitbestimmt. Literatur: Chierchia, G., M. T. Guasti & A. Gualmini (1999). Nouns and articles in child grammar and the syntax/ semantics map. Presentation at GALA 1999, Potsdam. Gawlitzek-Maiwald, I. & R. Tracy (1996). Bilingual Bootstrapping. Linguistics 34. 901-926. Genesee, F. (1989). Early bilingual development: One language or two? Journal of Child Language 16. 161-179. Grosjean, F (1982). Life with two languages. Cambridge, Mass: Harvard University Press. Lleó, C. & K. Demuth (1999). Prosodic constraints on the emergence of grammatical morphemes: cross-linguistic evidence from Germanic and Romance languages. In A. Greenhill, H. Littlefield & C. Tano (eds) Proceedings of the 23rd Annual Boston University Conference on Child Language Development, Somerville, MA: Cascadilla Press. 407-418. Müller, N. & A. Hulk (2001). Crosslinguistic influence in bilingual language acquisition: Italian and French as recipient languages. Bilingualism: Language and Cognition 4. 1-21. Volterra V. & T. Taeschner (1978). The acquisition and development of language by bilingual children. Journal of Child Language 5. 311-326. Matthias Bonnesen (Hamburg) Zum Status der „schwächeren“ Sprache (Französisch) im bilingualen Französisch/Deutsch Erstspracherwerb Dieser Beitrag greift die bereits von Parodi (1990) und Schlyter (1990) durchgeführte Untersuchung wieder auf, in der das Fran175 zösische, nach den Autorinnen als schwächere Sprache bezeichnet, im unausgeglichenen Erstspracherwerb analysiert wird. Die Daten stammen von zwei Kindern des DuFDE-Korpus (vgl. Schlyter 1990, Köppe 1994). Schlyter kommt zu dem Ergebnis, dass der Gebrauch dieser Sprache Parallelen zum L2-Erwerb aufweist. Die Arbeiten der genannten Autorinnen können jedoch nur als Skizzen betrachtet werden, was nicht zu Lasten der Autorinnen geht, da zum damaligen Zeitpunkt nicht einmal die Hälfte der Transkripte, d.h. maximal eines pro Monat, zur Verfügung stand. Inzwischen sind alle Aufnahmen transkribiert worden. Eine Auswertung der gesamten Korpora zeigt, dass für den Erwerb gerade besonders aufschlussreiche Transkripte damals nicht vorlagen. So lässt sich bei Betrachtung der gesamten Korpora wesentlich früher deutliche Evidenz für den Erwerb der Finitheit finden, als es noch für Schlyter und Parodi aufgrund des begrenzten Datenmaterials möglich war. Dennoch hat bereits Schlyter beobachtet, dass die Kinder fehlerhafte Konstruktionen gebrauchen, die gewöhnlich nicht dem L1, sondern dem L2-Erwerb zugeordnet werden. Aus diesem Grunde äußert sie die Vermutung, dass der Erwerb der schwächeren Sprache dem L2-Erwerb entsprechen könnte. Bei dem von ihr beobachteten Phänomen handelt es sich um Äußerungen, in denen Subjektklitika mit Infinitiven gebraucht werden, was im monolingualen und ausgeglichenen bilingualen L1-Erwerb nicht beobachtet werden konnte. Es fehlt in Schlyters Arbeit jedoch eine Quantifizierung dieses Phänomens, was jedoch aufgrund des begrenzten Datenmaterials zum damaligen Zeitpunkt, selbst wenn es vorliegen würde, nur sehr begrenzt aussagekräftig gewesen wäre. Hier soll der vorliegende Beitrag eingreifen. In meiner Präsentation wird eine exakte statistische Auswertung über das oben beschriebene Phänomen vorgelegt, aus der sich ablesen lässt, in wie weit genügend dieser Äußerungen in Relation zum zielsprachlichen Gebrauch der Subjektklitika (d.h. mit finiten Verben) vorliegen, um als Evidenz für den Status der „schwächeren“ Sprache als 176 L2 gelten zu können. Natürlich ist meine Untersuchung nicht nur auf dieses Phänomen beschränkt. Der Erwerb der schwächeren Sprache wird auf jegliche Auffälligkeiten hin untersucht, die gewöhnlich nicht im L1-Erwerb auftreten, und diesbezüglich quantifiziert. Von besonderer Relevanz ist hierbei neben dem Gebrauch der Klitika auch die Platzierung der Negation, die im L1-Erwerb kaum fehlerhaft gebraucht wird. Insgesamt zeigt meine Datenauswertung, dass nur sehr wenige Auffälligkeiten und diese nur in geringem Umfang vorliegen. Zwar sind diese durchaus bemerkenswert, doch erscheint die Klassifizierung als L2 anhand der vorliegenden Korpora für die „schwächere Sprache“ als unangemessen. Literatur: Köppe, R. (1994). The DUFDE Project. In J.M. Meisel (Hg.), Bilingual First LanguageAcquisition. French and German Development. Amsterdam, Philadelphia: Benjamins, 15-27. Parodi, T. (1990). The acquisition of word order regularities and case morphology. In: J.M. Meisel (Hg.), Two First Languages – Early Grammatical Development in Bilingual Children. Dordrecht: Foris, 157-192. Schlyter, S. (1990a). Itroducing the DuFDE project. In: J.M. Meisel (Hg.), Two First Languages – Early Grammatical Development in Bilingual Children. Dordrecht: Foris, 73-86. Schlyter, S. (1990b). The acquisition of tense and aspect. In: J.M. Meisel (Hg.), Two First Languages – Early Grammatical Development in Bilingual Children. Dordrecht: Foris, 87-122. 177 NE CHMAGA können, so einfach wie nie … Sprachen Französisch Italienisch Spanisch …mit den Sprachmagazinen aus dem Spotlight Verlag. www.spotlight-verlag.de/info ZI NE .1 P FÜR S RA UROPAS NR VO A5_Anz_Tagungsband 16.08.2005 17:26 Uhr Seite 1 Sektion 9 Sportsprache in der Romania Leitung: Joachim Born (Jena), Maria Lieber (Dresden) Programm Montag, 26.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr Joachim Born (Jena) Einführung Maria Lieber/ Enrico Petters (Dresden) Sportsprache in der Romania: Historie – Diskurse – Sprachräume Hans Ulrich Gumbrecht (Stanford) Über den Stellenwert der Gewalt im Sport - und wie man darüber [nicht] reden kann. Rainer Moritz (Hamburg) Der Ball und Gott sind rund. Über die Feuilletonisierung des Sports Aníbal Ford (Buenos Aires) “El alma está en orsái (offside) che bandoneón”. El juego como proveedor de metáforas existenciales Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr Lina Albers (Paris) Anglicismes: Carton Rouge! Jochen Müller (Saarbrücken) Fremdwahrnehmung und Sportberichterstattung im deutsch-französischen Kontext Tanja Fischer (Jena) Emotionen in der Fußballsprache – Eine Fallstudie zur Berichterstattung der Fußballeuropameisterschaft 2004 179 14.45 Uhr 15.30 Uhr 16.15 Uhr Thomas Klemm (Frankfurt/M.) Aussöhnung im und durch Fußball Marietta Calderón (Salzburg) Spanische Snowboardterminologie in ihrer fachsprachendidaktischen Nutzung Fabio Marri (Bologna) La maratona su Internet: un esempio italiano Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 10.30 Uhr Katrin Wisniewski (Dresden) Sportsprache in der italienischen Politik Kristin Reinke (Berlin) Sprachliche Besonderheiten der Eishockeysportberichterstattung in Québec und Frankreich Schlusswort: Maria Lieber Abstracts Maria Lieber / Enrico Petters (Dresden) Sportsprache in der Romania: Historie – Diskurse – Sprachräume Gegenstand des Vortrags ist eine historische Aufbereitung dreier Facetten in der Entwicklung eines genuin sportsprachlichen Diskurses in der Romania: Ausgehend von der Etymologie des Terminus ‚Sport’ und seinen Varianten in den romanischen Sprachen soll die Herausbildung des komplexen Systems sportsprachlicher Kommunikation in den verschiedenen Sprachräumen der Romania vor einem geschichtlichen Hintergrund beleuchtet werden. 180 Hans Ulrich Gumbrecht (Stanford) Über den Stellenwert der Gewalt im Sport - und wie man darüber [nicht] reden kann. (Bei Redaktionsschluss lag noch kein Abstract vor) Rainer Moritz (Hamburg) Der Ball und Gott sind rund. Über die Feuilletonisierung des Sports Frühen war alles übersichtlicher: Wer als Intellektueller seine Satisfaktionsfähigkeit bewahren wollte, mied alltagskulturelle Phänomene und scheute es, seine intellektuellen Kräfte an „niederen“ Gegenstände zu erproben. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, mieden es Geistes- und Sozialwissenschaftler folglich lange Zeit, sich über den Sport tiefschürfende Gedanken zu machen. Dieses Bild änderte sich Anfang der neunziger Jahre, als es – im Gefolge von Postmoderne und Popliteratur – chic wurde, sich der Alltagskultur zu widmen, ohne diese als mindere Bereiche der Unterhaltungsindustrie zu brandmarken. In kurzer Abfolge erschienen Essays und Romane von Schriftstellern wie Nick Hornby, Javier Marías und Eduardo Galeano, von Literaturkritikern wie Dirk Schümer und Helmut Böttiger, von Kunsthistorikern wie Horst Bredekamp, Philosophen wie Martin Seel oder Volker Caysa, Philologen wie Hans Ulrich Gumbrecht oder Kulturwissenschaftlern wie Klaus Theweleit. Der Vortrag untersucht in kurzweiliger Form, wie sich diese Autoren ihren Gegenständen sprachlich nähern, welche Rolle sie dem Sport, insbesondere der Fußball, in ihren Gedankengängen zuweisen und wie sie versuchen, das Geschehen auf dem grünen Rasen mit ästhetischen Maßstäben zu messen ... und Martin Walsers bedenklichen Satz „Sinnloser als Fußball ist nur eins: Nachdenken über Fußball“ zu widerlegen. 181 Aníbal Ford (Buenos Aires) “El alma está en orsái (offside) che bandoneón”. El juego como proveedor de metáforas existenciales El deporte en sus diferentes géneros (genres) – relatos en vivo y en directo, comentarios y análisis, elaboraciones históricas, etc., con desarrollos, por otro lado, muy diferentes en América Latina- ha sido un proveedor constante no sólo de innovaciones lexicales referidas a sí mismo, sino de metáforas, expresiones, construcciones lingüísticas que han ingresado en los sistemas de pensamiento o de reflexión de la vida cotidiana. Este corpus “filosófico”, esta “literature as equipment for living” como dijera hace décadas Kenneth Burke, aparece de manera particularmente nodal en la poesía de los géneros musicales populares como es el caso del tango. Nuestro objetivo es analizar este traslado de las situaciones del juego – particularmente del fútbol, el box y las carreras de caballos- a ese corpus filosófico o de reflexión existencial en dos instancias : las letras de tango en los tres deportes y la elaboración literaria, en el caso particular del fútbol, a través de escritores como Roberto Fontanarrosa o Juan Sasturain. Lina Albers (Paris) Anglicismes: Carton Rouge! Foul oder Faute, corner oder coup de pied de coin, break oder brèche? Der Einfluss des Englischen auf das Französische zeigt sich besonders deutlich im Lexikon, dem flexibelsten Bereich der Sprache. Von staatlicher Seite wird den Anglizismen im Rahmen der Loi Toubon durch die Erarbeitung offizieller Ersatzwörter begegnet, deren Gebrauch allerdings nur innerhalb des öffentlichen Dienstes verordnet werden kann. Daher ist es interessant, den tatsächlichen Einfluss der Sprachpolitik auf den Sprachgebrauch zu un182 tersuchen. Können die offiziellen Ersatzwörter die proskribierten Anglizismen aus der Sprache verdrängen? Und welche Kriterien für die Akzeptanz der termes officiels lassen sich feststellen? Diesen Fragen soll anhand einer Pressetextanalyse nachgegangen werden. Die Sportsprache bietet sich deshalb als besonders geeigneter Untersuchungsgegenstand an, da sie eine Vielzahl von Anglizismen umfasst und auch besonders stark von der Arbeit der Terminologiekommissionen betroffen ist. Jochen Müller (Saarbrücken) Fremdwahrnehmung und Sportberichterstattung im deutsch-französischen Kontext Die Darstellung von Deutschen und Franzosen im Rahmen der Sportberichterstattung des jeweiligen Nachbarlandes könnte unterschiedlicher kaum sein. Nach dem Motto „Sag mir, wie du spielst, und ich sage dir, wer du bist!“ werden zahlreiche Handlungen der Sportler als „typisch deutsch“ bzw. „typisch französisch“ dargestellt, verallgemeinert und auf die jeweilige Gesamtgesellschaft übertragen. So ermittelt die Sportberichterstattung die Vorstellung eines imaginären Volkscharakters von Deutschen und Franzosen. Hier wird am Beispiel der Fußball-WM 1998 in Frankreich gezeigt, wie aufschlussreich Untersuchungen popularkultureller Medienereignisse für die interkulturelle Fremdwahrnehmungsforschung sein können. Mit Hilfe seines interdisziplinären Ansatzes vermag Müller nicht nur zu unterstreichen, dass sich Deutsche und Franzosen quasi diametral entgegen gesetzte Charaktere zuschreiben, er legt auch offen, welche Ereignisse der Geschichte und welche Informationen über den Anderen im kollektiven Gedächtnis am stärksten verwurzelt sind, und welche Beziehung Deutsche und Franzosen zur Sprache des Nachbarn haben. Eine ausführliche Untersuchung der Berichterstattung über die folgenschweren Ausschreitungen deutscher Hooligans am 21. Juni 1998 in Lens ermöglicht es Müller zudem, ein Schlaglicht auf das emotionale 183 Verhältnis der Nachbarn und ihren Umgang mit den aufgrund der gemeinsamen Vergangenheit besonders sensiblen Themen Hooliganismus und Rechtsradikalismus zu werfen. Schließlich wird hier eine Reihe von bislang unerforschten Unterschieden der beiden Presse- und Fernsehkulturen herausgearbeitet: die grundlegend verschiedenen Fußball-Kommentarstile im Fernsehen (Sprechgeschwindigkeit, Einsatz von Pausen, Lautstärke etc.), die unterschiedliche Gestaltung (Regie, Kamera-Führung, Set-Up etc.) von TV-Live-Ereignissen und die divergierende Schwerpunkt-Setzung in der Fernseh-Werbung. Tanja Fischer (Jena) Emotionen in der Fußballsprache – Eine Fallstudie zur Berichterstattung der Fußballeuropameisterschaft 2004 Emotionen bilden einen ständigen Begleiter unseres alltäglichen Lebens, auch wenn sie uns nicht immer bewusst sind. Dabei steht jedem Menschen das ‚Sprachwerkzeug’ zur Verfügung, um beispielsweise dem subjektiven Gefühlsempfinden Ausdruck zu verleihen. Seit einigen Jahren steigt das Interesse, Emotionalität nicht nur in der Psychologie, sondern auch in der Linguistik in den Mittelpunkt der Forschung zu rücken. Der Beitrag unterstützt die Verknüpfung der beiden Wissenschaftsdisziplinen der Psychologie und Linguistik beim emotionalen Erleben und trägt entsprechende Erkenntnisse zusammen. Dabei soll aufgezeigt werden, dass sich Emotionen nicht nur im oralen Diskurs, sondern ebenso gut auch in schriftlichen Texten durch spezifische emotionale Ausdrucksweisen und Indikatoren systematisch belegen lassen. Der Zusammenhang von Emotionen und deren Realisierung in der spanischen Sprache wird exemplarisch an der Fußballsprache unter einem psycholinguistischen Gesichtspunkt untersucht. Als Fallbeispiel dient dazu die Berichterstattung in den spanischen Printmedien zum Fußballspiel zwischen Spanien und Portugal während der Europameisterschaft 2004 in Portugal. Implikationen zur psycholingu184 istischen Betrachtung von Emotionen in den Printmedien werden diskutiert. Thomas Klemm (Frankfurt/M) Aussöhnung im und durch Fußball Die Portugiesen haben sich als Gastgeber der Europameisterschaft 2004 selbst überrascht und ihr Selbstbild in Richtung eines „modernen Patriotismus“ (Staatspräsident Jorge Sampaio) verändert. Darüber hinaus zeigte das Fußballfest mit Rekord-Fernsehquoten in vielen Ländern, wie vereint Europa zumindest beim Fußball erscheint. Die Klubs haben die Erschütterungen nach dem BosmanUrteil überwunden, die Öffentlichkeit hat sich mit der fortschreitenden Kommerzialisierung des Fußballs abgefunden. Dennoch ist fraglich, ob im Weltmeisterschaftsjahr 2006 der „KlinsmannEffekt“ hierzulande über den Fußball hinauswirken und Reformwillen und Zuversicht entstehen lassen kann. Marietta Calderón (Salzburg) Spanische Snowboardterminologie in ihrer fachsprachendidaktischen Nutzung Sowohl allgemeine lexikologische Methoden als auch die Erarbeitung fachsprachlicher Vokabularien werden für Studierende dadurch attraktiv, dass sie ihre mögliche direkte Relevanz für ihr Umfeld erkennen – an Hand der spanischen Snowboardterminologie im Vergleich mit der spanischen Schiterminologie werden dazu folgende Punkte ausgeführt: - Studentische Ersterfahrungen mit terminologischem Arbeiten - „Neue“ vs. „etablierte“ Terminologien und ihre Gemeinsamkeiten - Schnittstellen mit anderen Fachsprachen (z.B. Medizin) - Übergangsbereiche Fachsprache(n) – Allgemeinsprache(n) 185 - Gruppenidentität „Snowboarding“ in ihren diskursiven Aspekten - Wörter, Sachen, Anglizismen Fabio Marri (Bologna) La maratona su Internet: un esempio italiano La lingua del podismo popolare, già studiata in prospettiva europea da Lieber-Marri 1998, oggi può essere seguita anche nella sua diffusione mediante internet, che in Italia ha accompagnato l’ulteriore propagarsi di questa pratica sportiva. È preso in esame il sito web (e testata giornalistica online) più noto in Italia, “Podisti.Net”, dove la terminologia tecnica dello sport si combina col linguaggio tipico dell’internet e le particolari forme tra oralità e scrittura (chat line, forum, rubriche varie) ad esso legate. M. Lieber – F. Marri, Le maratone popolari in italiano e nelle principali lingue europee, in Atti del XXI Congresso internazionale di Linguistica e Filologia Romanza (Palermo 1995), II, Tübingen, Niemeyer, 1998, 419-433. Katrin Wisniewski (Dresden) Sportsprache in der italienischen Politik Die Sprache der italienischen Politik hat sich in der sogenannten „Zweiten Republik“ drastisch verändert. Das traditionelle politichese wurde ersetzt durch ein gentese (Dell’Anna/ Gualdo 2004: 25), mit dem Ziel der Einfachheit und Verständlichkeit für eine möglichst große Anzahl an (medial angesprochenen) Adressaten, gekennzeichnet u.a. durch frappierende verbale Aggressivität, einen vermehrten Gebrauch von Ausdrücken aus der Welt der Wirtschaft – und aus der Welt des Sports. In dem Vortrag soll nachgezeichnet werden, wie Politiker sich der Sportsprache als bewusste Technik bedienen, v.a. um eine emotionale Annäherung an ihre Adressaten zu erzielen. Besonders auffällig ist dieses Phänomen bei Premierminister Silvio Berlusconi. Auch in den (Print-)Medien lässt sich eine Häufung sportsprach186 licher Termini in der politischen Berichterstattung bzw. im Kommentar beobachten. Auf diachronischer Ebene soll die unübersehbare Kontinuität in der Verwendung sportsprachlicher Ausdrücke in der politischen Rhetorik Italiens, v.a. im Zusammenhang mit der für sie typischen Konzentration auf antagonistische Konstellationen (Parallelität von Kriegs- und Sportmetaphern in der Politik), expliziert werden. Kristin Reinke (Berlin) Sprachliche Besonderheiten der Eishockeysportberichterstattung in Québec und Frankreich Im Rahmen der Erforschung der Sportsprache ist eine Untersuchung der Sprache der Eishockeyberichterstattung in Québec besonders interessant, weil diese Sportart in der anglophonen Kultur Montréals ihren Ursprung hat. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts dominiert sie die kanadische Sportszene und wird von anglophonen und frankophonen Kanadiern gleichermaßen als ihr Nationalsport angesehen. Aufgrund der Herkunft des Eishockeys ist sein Vokabular besonders stark der englischen Beeinflussung ausgesetzt. Als Symbol der Anglisierung, nicht nur der Sprache, sondern auch der Kultur, wurde die Hockeysprache Anfang des 20. Jahrhunderts in Québec Ziel einer veritablen Offensive gegen die Ausbreitung von Anglizismen in der französischen Sprache. Anhand der Analyse von französischen und Quebecer Kommentaren zu Eishockeyspielen, die im Januar 2005 im Fernsehen übertragen wurden, soll überprüft werden, ob sich der englische Einfluss in diesen beiden Varietäten auf verschiedene Art und Weise manifestiert oder ob die Sportart mitsamt dem Vokabular nach Frankreich exportiert wurde. Dabei wird zu klären sein, welche Typen der Entlehnung sowie Adaptations- und Integrationsmechanismen jeweils bevorzugt werden, welche Strategien der Französisierung zu beobachten sind und inwieweit die beiden Varietäten des Französischen eine 187 unterschiedliche Auswahl aus den Möglichkeiten der Allgemeinsprache treffen. Der Vortrag versteht sich als Beitrag zur Erforschung der diatopischen Komponente der Sportsprachen, wobei sich die komparative Perspektive aus dem unterschiedlichen soziokulturellen Kontext in Québec und Frankreich ergibt. 188 Sektion 10 Minimalistische Sprachwissenschaft in der alten Welt Leitung: Guido Mensching, Eva-Maria Remberger (Berlin) Programm Montag, 26.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Eva-Maria Remberger (Berlin) Restrukturierung im minimalistischen Modell Esther Rinke (Hamburg) OV-VO-Variation in infinitival complements. A diachronic study of Portuguese causative construc tions Kleanthes Grohmann / Ricardo Extepare (Zypern) Zur Grammatik von Wurzelinfinitiven Sandra Paoli (Cambridge) (entfällt voraussichtlich) Feature reduplication: perfect or rudimentary repetition? Inflectional features at the C level Luis López (Chicago/Berlin) Analyses of right dislocation in Catalan and Italian Christoph Gabriel (Osnabrück) Prosodisch motivierte Bewegungen im Spanischen: Versuch einer minimalistischen OTModellierung Dienstag, 27.09.05 9.00 - 10.30 14.00 Uhr Cecilia Poletto (Padua) Die linke Peripherie der Phasen: IP- und DPScrambling im Altitalienischen Dalina Kalulli (Wien) 189 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr EPP as a Requirement on Predication: Evidence from Bare Nouns in Romance Roberta D’Alessandro (Cambridge) The interaction between temporal and nominal quantification: a case study” Lucia Grimaldi (Berlin) Die Syntax von Äquativkonstruktionen Robert Hagen (Berlin) Logische Form, lexikalische items und Bedeutungs gehalt. Wie passen das Minimalist Program und das Generative Lexikon zusammen? Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Kay González Vilbazo / Volker Struckmeier (Köln) Agree im Esplugischen: Porque Paco no ha gekauft Sangría Tonjes Veenstra (Berlin) On typological correlates and pure syntax: evidence from expletives in Romance-based creoles Donnerstag, 29.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 190 Natascha Pomino (Berlin) Aspekte der Relation zwischen Syntax, Morphologie und Phonologie: Spanische Verbalflexion im Rahmen neuer generativer Annahmen Heidrun Völker (Berlin) Computerbasierte Visualisierung minimalistischer Derivation Abstracts Eva-Maria Remberger (Berlin) Restrukturierung im minimalistischen Modell Restrukturierung scheint aus einer offenbar zweiteiligen Derivation mit einem Matrixsatz und einem eingebetteten Satz eine, wenn auch komplexe, doch monoklausale Struktur zu schaffen. Kennzeichen für Restrukturierung, z.B. im Italienischen, sind (u.a.) Cli tic Climbing und Hilfsverbselektion. In der nicht-restrukturierten Konstruktion (1) verbleibt das Klitikum ci im eingebetteten Satz, klitisiert also postverbal an den Infinitiv, und die Hilfsverbselektion im Matrixsatz wird durch das Modalverb volere bestimmt. In (2) dagegen hat sich das Klitikum nach oben bewegt und die Hilfsverbselektion ist an das eingebettete Verb andare, ein unakkusativisches Verb, angepasst; zudem ergibt sich Partizipialkongruenz mit dem Modalverb: (1) it. Gianna ha voluto andarci. (2) it. Gianna ci è voluta andare. In meinem Vortrag soll nun der minimalistische Sonden-und-Phasenansatz (vgl. Chomsky 1995, 2000, 2001) auf Restrukturierungsverben angewandt werden. In diesem Zusammenhang wird mit romanischen Daten gearbeitet, die obligatorisch Restrukturierung aufweisen, wie z.B. (3) im Gegensatz zu (4) im Sardischen, aber auch mit Daten, die trotz der Subjektidentität zwischen Matrixsatz und eingebettetem Satz keine Infinitivkonstruktion erlauben, wie z.B. das Kalabrische, vgl. (5) vs. (6). (3) sard. Juanne lu keret fákere. (nach Jones 1993:142) (4) sard. *Juanne keret potet lu fákere. (nach Jones 1993:142) (5) kal. Vogghiu i vaiu. (6) kal. *Vogghiu iri. 191 Bei der Analyse soll besonders auf die Merkmalszusammensetzung von T (vgl. Pesetsky & Torrego 2002) und deren Zusammenspiel mit C (vgl. die Merkmalsvererbung von C an T bei Chomsky 2005) eingegangen werden. Esther Rinke (Hamburg) OV-VO-Variation in infinitival complements. A diachronic study of Portuguese causative constructions This talk is concerned with the diachronic development of periphrastic (Arrais 1985) or analytical (Comrie 1981) expressions of causativity in Portuguese. The focus will be on constructions which involve a causative verb, such as mandar (to demand) or fazer (to make) and a transitive infinitival complement with a DP-object as in the example below. Mandei os alunos ler(em) o livro. In a diachronic comparison of the syntax of these constructions in Old as opposed to Modern Portuguese, two main differences can be observed: First, the infinitival complement of the respective causative verbs may be realized as an inflected infinitive in Modern Portuguese, but not in Old Portuguese (Martins 2001, 2004; Wirebek 1994; Rinke 1999, 2005). Second, transitive infinitival complements of causative verbs may show OV-order in Old Portuguese but not in Modern Portuguese (Silva 2003; Rinke 2005). On the basis of these observations, two questions arise. One question is how the inflected infinitive became an option in complement position of causative verbs in the history of Portuguese. The other question is, why OV-order ceased to be an option in Modern Portuguese. This aim of this paper is twofold. I will first address the question of how to account for OV-VO-variation within a minimalist model of sentence structure. I will then propose a solution for the two questions raised above. More precisely, I will defend the hypothesis that there exists a synergy effect between the loss of OV order and 192 the development of inflected infinitival phrases in complement position of causative verbs. I will argue that apparent OV order in Old Portuguese has to be analyzed as a passive construction inherited from Latin. Therefore, the thematic object of the non-finite verb that complements a causative verb represents its syntactic subject. Apparent OV order of this type disappears, once the inflected infinitive becomes an option in the complement position of causative verbs and begins to express passive. In minimalist terms, one could speculate that this diachronic development represents a case in which a more economical structure replaces a less economical structure. In fact, passive constructions involve movement, while, following Barbosa’s (1995) analysis of null subject languages, this does not hold for inflected infinitival phrases. Kleanthes Grohmann / Ricardo Extepare (Nicosia) Zur Grammatik von Wurzelinfinitiven Wurzelinfinitive in der Erwachsenensprache offenbaren interessante Variation in temporaler Modifikation innerhalb der romanischen Sprachfamilie: während Wurzelinfinitive im Spanischen, Katalanischen, Galizischen und Italienischen adverbielle Modifikation durch ein deiktisches Adverb der Vergangenheit wie z.B. gestern erlauben, tut das ihr englisches Gegenstück nicht und verhält sich daher wie das Französische und Portugiesische (und alle germanischen Sprachen): (1) Yo ir a la fiesta ayer?! Ya me extraña! [√span., katalan., galiz., italien.] (2) *Me go to the party yesterday?! Never![*franz., portug., alle german.] Es gibt zwei weitere, verwandte Eigenschaften, die diese Sprachen näher unterscheiden: (i) Die Sprachen, die Wurzelinfinitiven erlauben, durch ein deiktisches Adverb der Vergangenheit modifiziert zu wer- den, verfügen außerdem über Infinitivbewegung über den 193 temporalen Kopf hinaus (Kayne 1991, Uriagereka 1995) und (ii) sie alle haben eine niedrig angelegte C-Projektion FP, des- sen Kopf F0 den bewegten Infinitiv aufnimmt (Uriagere- ka 1995, Rizzi 1997). Eine Ausarbeitung dieser Eigenschaften, gekoppelt mit einer syntaktisch und semantisch motivierten komplexen Struktur von Wurzelinfinitiv und Coda (der Zusatz Ya me extraña! in (1), ohne den der gesamte Ausdruck nicht zulässig ist) wird uns erlauben, uns an eine grammatische Beschreibung von Wurzelinfinitiven anzunähern und sprachübergreifende Variation auf elegante Art und Weise darzustellen. Leider abgesagt: Sandra Paoli (Cambridge) Feature reduplication: perfect or rudimentary repetition? Inflectional features at the C level Recent work within the generative grammar framework (Frajzyngier 1995, Rizzi 1997, Benincà 2001, Benincà and Poletto 2004) has convincingly shown that COMP does not simply demarcate clausal boundaries, but acts as the interface between pragmatic and propositional content, encoding inflectional as well as discourse information. Assuming a system that does not allow recursion of identical functional projections nor features poses a theoretical question as to the nature and extent of inflectional features duplicated at the CP level: is it a question of perfectly identical information being expressed at both levels or are the features lexicalised in the left periphery an impoverished version of those expressed in IP? Drawing on diverse Romance varieties (two northern Italian dialects (Tur(inese) and Mar(ebbano)), and Fr(ench)), the present paper presents evidence for the existence of [mood] and [number] features expressed overtly through various heads of the left periphery. In particular, the data brought forward suggest that these inflectional features are not fully-fledged but are expressed in terms 194 of a binary [+/-] value: the [mood] features expressed at the C level are [± subjunctive], rather than ranging over the whole array of mood values; the [number] features expressed at the C level are not combined with [person] yielding the fully-fledged, complete range of feature specification, but are only expressed in terms of a [+/-] value, suggesting again that information relating to the inflectional content of the clause finds a rudimentary expression in the left periphery. Luis López (Chicago / Berlin) Analyses of right dislocation in Catalan and Italian Less than ten years ago, the Romance linguist had reason to complain that the area of right dislocation had barely been touched and our knowledge of it was rudimentary. The brief remarks in Vallduví (1992) and Kayne (1994) raised more questions than they answered and suggested that there were many unexplored possibilities for a linguist with a theoretical bent. This situation holds no more. Indeed, the problem now seems rather the opposite: to find one’s way among all the competing analyses - in chronological order: Villalba (1996, 2000), Cechetto (1999), Cardinaletti (2002), López (2003), Belletti (2004), Samek-Lodovici (2005). Quite surprisingly, these researches claim to have found evidence for mutually contradictory, indeed opposed, proposals: for instance, Villalba, Cechetto, López and Belletti argue that right dislocations are a middle field phenomenon, Cardinaletti argues that they are the lowest ranked constituents in the clause while Samek-Lodovici instead argues that they are in a very high position. Thus, the purpose of this talk is to submit these proposals to scrutiny and find out if there is a “winner”. 195 Christoph Gabriel (Osnabrück) Prosodisch motivierte Bewegungen im Spanischen: Versuch einer minimalistischen OT-Modellierung Sowohl im derivationellen als auch im optimalitätstheoretischen Rahmen sind in letzter Zeit Vorschläge für die Modellierung des Ineinandergreifens von syntaktischer und prosodischer Komponente bei der Vermittlung der Fokus-Hintergrund-Gliederung im Spanischen erarbeitet worden (u.a. Zubizarreta 1998, Domínguez 2004; Gutiérrez Bravo 2002, Samek-Lodovici 2003). Die vorwiegend syntaktische Herangehensweise dieser Arbeiten wird ergänzt durch eine Reihe prosodischer Studien, die sich v.a. im Rahmen des Autosegmental-Metrischen Modells mit der intonatorischen Fokusrealisierung befasst haben (u.a. Face 2002, Hualde 2003). Vergleicht man die verschiedenen Ansätze, so fällt auf, dass diese sich auf z.T. stark divergierende Grammatizitätsurteile stützen. So besteht beispielsweise keine Einigkeit in Bezug auf die Frage, inwiefern die prosodische Prominenz einer (nicht-kontrastiv) fokussierten Konstituente die syntaktische Ableitung beeinflusst: Wird in syntaktisch ausgerichteten Arbeiten eine transitive Konstruktion mit fokussiertem satzinitialen Subjekt meist als ungrammatisch bewertet und stattdessen eine prosodisch motivierte Bewegung des präsupponierten Materials vorhergesagt (resultierende Abfolge: VOF[S]F), so gehen die Autoren intonationsphonologischer Beiträge i.d.R. davon aus, dass ein durch fokalen Akzentton hervorgehobenes Subjekt in Initialposition unproblematisch ist (F[S]FVO). Bezieht man informationsstrukturell motivierte Merkmale in den Ableitungsmechanismus mit ein, dann ist eine Modellierung fokusinduzierter Wortstellungsvariation im derivationellen Rahmen solange unproblematisch, als sich die in den Daten konstatierten Abfolgen unterschiedlichen, pragmatisch wohl definierten Kontexten zuordnen lassen. Gleiches gilt für die klassische Optimalitätstheorie, die von einer festen Hierarchie entsprechender Beschränkungen ausgeht. Kritisch ist jedoch jede Art von Variation, 196 die weder eindeutig pragmatisch determiniert ist, noch in plausibler Weise als Resultat unterschiedlicher Register- oder Sprechergrammatiken interpretiert werden kann und demnach ‘wahre Optionalität’ im Sinne einer Gleichwertigkeit zweier oder mehrerer Oberflächenformen in ein und demselben Kontext darstellt. Eine mögliche Lösung bietet hier das Modell der Stochastischen Optimalitätstheorie (Boersma/Hayes 2001). In meinem Beitrag möchte ich anhand des Beispiels transitiver Strukturen mit overter Subjekt-DP und voll bzw. klitisch realisiertem Objekt zeigen, dass sich fokusinduzierte Variation im Bereich der Wortstellung und der Intonationskonturen adäquat modellieren lässt, wenn man annimmt, dass die gemäß dem minimalistischen Sonde-Ziel-Modell (Chomsky 2000) aufgebauten Strukturen vor Spellout einer optimalitätstheoretischen Evaluation unterliegen. Das Einspeisen von Vorkommensfrequenzen in den sog. Gradual Learning Algorithm (GLA) erlaubt dabei die Integration von Optionalität im oben skizzierten Sinne. Als empirische Basis dienen experimentell erhobene Daten von 18 Sprechern unterschiedlicher europäischer und amerikanischer Varietäten des Spanischen sowie spontansprachliches Material, das im Hinblick auf die Möglichkeiten syntaktischer und intonatorischer Fokussierung systematisch durchgesehen wurde. Die Erhebung von italienischen und französischen Vergleichsdaten erlaubt schließlich die Skizze einer kontrastiven Analyse der drei Sprachen. Cecilia Poletto (Padua) Die linke Peripherie der Phasen: IP- und DP-Scrambling im Altitalienischen Hier soll ein grundlegender Begriff diskutiert werden, der seit der Einführung der minimalistischen Perspektive vernachlässigt worden ist, nämlich der “traditionelle” Begriff des Parameters als eine einzelne abstrakte Eigenschaft, die eine Reihe von unterschiedlichen, scheinbar nicht zusammenhängenden Phänomenen steu197 ert. Wenn Parameter, wie im Allgemeinen angenommen, durch die Eigenschaften funktionaler Köpfe dargestellt werden können und wenn wir Rizzis (1997) und Cinques (1999) Ansätzen der Abbildung funktionaler Strukturen folgen, dann hat der Begriff des Parameters im traditionellen Sinne keine gültige Verwendung in der Syntaxtheorie mehr: Hier sind einzelsprachliche Unterschiede vielmehr in eine Reihe von Mikroparametern aufgebrochen, von denen jeder nur ein einzelnes Phänomen erklärt. Dennoch ist es in der minimalistischen Theorie möglich, den Begriff des Parameters als eine einzelne Eigenschaft, die auf mehrere verschiedene Bereiche der Syntax Auswirkungen hat, aufrecht zu erhalten. Das Ziel dieses Vortrags ist es, auf der Basis des Begriffs der Phase ein formales System von Parametern auszuarbeiten. Das empirische Untersuchungsgebiet ist die Syntax des unteren Bereichs der IP und ihre Beziehungen zur Syntax der CP und der DP im Altitalienischen. Der Grund für diese Wahl liegt darin, dass der diachrone Wandel die interessante Eigenschaft aufweist, versteckte Beziehungen zwischen unterschiedlichen Phänomenen aufzudecken; es lässt sich nämlich zeigen, dass manche Phänomene zur selben Zeit auftauchen oder verschwinden. Eine Reihe scheinbar unabhängiger Eigenschaften der CP im Altitalienischen kann in der Tat als unterschiedliche Instanz ein und derselben abstrakten syntaktischen Eigenschaft, die in einem einzigen funktionalen Kopf kodiert ist, abgeleitet werden. Während bekannt ist, dass im Altromanischen im Allgemeinen V2-Stellung zu finden ist (vgl. u.a. Benincà 1985 und Roberts 1993), ist es relativ unbemerkt geblieben, dass das Altitalienische Scrambling von Objekten und adverbialen XPs in den Bereich links des Partizips Perfekts erlaubt, so dass sich Sätze mit Verbendstellung ergeben, vgl. (1): (1) a. quello che per uso è già dagli antichi servato, (Bono Giamboni, Vegezio, p. 108, r. 25-26) b. i nimici avessero già il passo pigliato, (Bono Giamboni, Orosio, p. 88, r. 15) 198 c. ed ha’mi la cosa molte volte ridetta (Bono Giamboni, Trattato, p. 131, rr. 20-21) Das altitalienische Scrambling betrifft sowohl (nicht kontrastiv) fokussierte, vgl. (1a), als auch topikalisierte Elemente, vgl. (1b); auch kann mehr als ein Element nach Bewegung links des Partizips erscheinen, vgl. (1c) (vgl. Grewendorf 2004 für eine Analyse von Scrambling als Bewegung in Fokus- und Topic-Positionen). Im Altitalienischen war zudem Partizipialkongruenz mit postverbalen Objekten, wie bereits durch Egerland (1997) gezeigt, noch möglich (vgl. (2)): (2) c’ ha rifiutata la nobile città di Giadres (Novellino, p. 133, r. 3) Scrambling findet sich auch innerhalb der DP: ein Adjektiv (3a), ein Teil einer AdjP (3b), oder ein Komplement (3c) kann in eine pränominale Position bewegt werden: (3) a. b. c. la quale guardava al figliuolo piccolo del morto fratello, (Paolo Orosio, Delle Storie contra i Pagani, p. 148) di gentile aspetto molto (Dante, Vita nuova, c. 1292-93) quando vi dissi del cavallo cosa così meravigliosa (Novellino, p. 120 r. 14) Interessanterweise kann der N-Kopf einer DP auch links von einem Quantifizierer erscheinen, vgl. (4a, b): (4) a. b. donò anella molte (Novellino, p. 123 r. 51) sanza cavaliere neuno tornerò ad Epiro. (Bono Giamboni, Orosio, a. 1292) 199 All diese Phänomene gehen zur selben Zeit verloren, genauer gesagt, zu dem Zeitpunkt, als die V2-Stellung verloren geht. Das lässt vermuten, dass es sich um Erscheinungsformen ein und derselben abstrakten Eigenschaft handelt. Ich schlage vor, dass der gleichzeitige Verlust von V2, IP-Scrambling, Partizipialkongruenz, DPScrambling und N-Fronting auf Bellettis (2004) Vorschlag zurückgeführt werden kann, demzufolge die linke Peripherie der oberen Phase (CP) und die linke Peripherie der unteren vP-Phase ähnlich aufgebaut sind, nämlich als eine (oder mehrere) TopicPs gefolgt von einer FokusP; ich gehe davon aus, dass dieser Vorschlag auch auf die DP-Phase ausgeweitet werden kann. Jede Phase hat also an ihrem oberen Randbereich eine Schicht, die eine Diskursschnittstelle bildet, wo Topic- und Fokus-Projektionen durch Merge eingefügt werden. Es soll angenommen werden, dass die Eigenschaften des Fokus- und des Topic-Kopfes phasenunabhängig sind und dass derartige Projektionen, wo auch immer sie zu finden sind, die selben Eigenschaften haben. Benincà (1995) schlägt vor, dass V2 im Altitalienischen ein Effekt einer Fokus-Projektion ist, die innerhalb der unteren CP liegt, welche wiederum obligatorisch durch das flektierte Verb besetzt sein muss; V3-Anordnungen (die im Altitalienischen, im Gegensatz zum Altfranzösischen, sehr häufig sind) ergeben sich, wenn die SpecFokus-Position und eine (oder mehrere) SpecTopic-Positionen, die höher als FocusP liegen, gefüllt sind. Wenn wir annehmen, dass das Fokus-Merkmal in allen Phasen überprüft werden muss, dann können Fälle wie (4a, b) als N-Bewegung in die DP-interne Fokus-Position analysiert werden. Fälle wie (3b) können als N°-zu-Fokus°-Bewegung gefolgt von AdjektivBewegung nach SpecFocus analysiert werden (s. außerdem, dass es hier keinen Determiner gibt, eine Eigenschaft, die offensichtlich mit der N-Anhebung zusammenhängt). Dieselbe Argumentation kann auf IP-Scrambling angewandt werden: Im Altitalienischen muss sich das Partizip Perfekt in die 200 Fokus-Projektion im linken Randbereich der vP-Phase bewegen; Scrambling ergibt sich also durch Bewegung einer XP in die SpecFocus-Position oder durch eine oder mehrere XPs in SpecTopic(s) der “unteren linken Peripherie”. Dieser Ansatz kann auch die Fälle von postpartizipialer Objektkongruenz, wie in (2), und somit den Grund für deren gleichzeitiges Verschwinden erfassen. Wenn sich Partizipialkongruenz durch eine Spezifizierer-Kopf-Relation ergibt, wie ursprünglich von Kayne (1991) vorgeschlagen, dann unterscheidet sich das Altitalienische minimal von dem modernen Italienischen, nämlich dadurch, dass das Partizip Perfekt, auf seinem Weg zur Fokus-Position, eine AgrO-Projektion passieren muss. Wenn das Objekt ebenfalls nach SpecAgrO angehoben wird, dann ergibt sich Objektkongruenz; das Partizip bewegt sich dann weiter hoch zu Fokus°, so dass sich die Anordnung Partizip-Objekt ergibt. Obwohl sich also die Anordnung beider Elemente nicht vom modernen Italienisch unterscheidet, zeigt doch die Morphologie, dass die Syntax in der Tat Unterschiede aufweist, da sich das Partizip in Fokus und das direkte Objekt in AgrO befindet. Wenn diese Analyse zutrifft, dann unterscheidet sich Altitalienisch von dem modernen Italienisch durch eine einzige Eigenschaft: der Fokus-Kopf muss durch den X°-Kopf gefüllt werden, der zu der lexikalischen Projektion der betreffenden Phase gehört: also durch N in der DP-Phase, durch das flektierte Verb in der CP-Phase und durch das Partizip Perfekt (oder das flektierte Weg auf seinem Weg in die höherliegende Phase) in der vP-Phase. Zusätzlich stehen in jeder Phase Topic-Projektionen links von Fokus zur Verfügung. Es können nun durch diesen Ansatz eine Reihe von Voraussagen hinsichtlich des parallelen Verhaltens der linken Peripherie der CP und der der vP gemacht werden: So stellt das Altitalienische z.B. ein expletives Element für die SpecFokus-Position zur Verfügung (ein für V2-Systeme typisches Merkmal), nämlich die adverbiale Form sì. Es ist daher zu erwarten, dass sì auch satzintern als ein 201 Expletivum des tieferen Fokus vorkommen kann. Das scheint in der Tat der Fall zu sein: (5) Però quando mi tolle sì il valore, che gli spiriti pare fuggan via (Dante, Vita nuova, p.121) Darüber hinaus weist das Altitalienische bekannterweise Enklise auf, wenn sich das flektierte Verb in satzinitialer Position befindet. Dasselbe passiert, wenn absolute Partizipien von nicht-unakkusativischen Verben (die von Belletti (1990) als reduzierte AspP interpretiert werden) satzinitial stehen, was wiederum die Parallelen zwischen oberer und unterer Phase bestätigt: (6) trovò l’arme del re Meliadus, che lli avea fatta sì bella deliberanza, e donatogli (Novellino, p. 268 r. 21) Die Syntax der DP soll ebenfalls untersucht werden, um zu zeigen, dass die vorliegende Analyse auch auf Fälle determiniererloser DPs und postnominaler Possessiva im Sinne von N-Anhebung angewandt werden kann. In einem größeren Zusammenhang kann also der Ansatz, Eigenschaften funktionaler Elemente als phasenunabhängig zu betrachten, die technischen Mittel dazu liefern, einige (wenn auch wahrscheinlich nicht alle) der Phänomene, die im GB-Modell durch den Begriff des Parameters erfasst worden sind, in das aktuelle Modell zu übertragen. Dalina Kalulli (Wien) EPP as a Requirement on Predication: Evidence from Bare Nouns in Romance The central claim that I put forward in this talk is that predication – or some analogue of it – is at the basis of our linguistic reality and cognition. Specifically, drawing on work by Kiss (2002) and 202 Rizzi (2005) on the featural definition of subjects, I will argue that EPP should be defined as a requirement on predication. I discuss countable bare singulars in Romance, with the goal of establishing certain parallels with existential bare plurals which should eventually highlight some aspects of the latter that have long perplexed linguists (e.g. their scope behaviour), as well as other aspects that have only recently started being considered, such as the status of existential bare plurals in terms of features that are said to encode information structure. I will dwell on the role and place of information structure notions in current syntactic theory. The main unifying theme of these specific aspects is the conceptually appealing idea that syntax and semantics are in fact isomorphic. I further strengthen this idea of syntax-semantics isomorphism by defining distinctions with respect to the building blocks that enter syntactic computation, specifically by showing (contra Longobardi 1994) that existential bare plurals like bare singulars, are not DPs with a morphologically null D but NPs altogether lacking a Dprojection. Roberta D’Alessandro (Cambridge) The interaction between temporal and nominal quantification: a case study It is a well-known fact that some impersonal pronouns may receive an inclusive interpretation under what has been identified by Cinque (1988) as specific time reference. Italian impersonal si, for instance, presents a tripartite interpretational system: it may receive a generic (1), as well as an existential interpretation (2). The existential interpretation is only possible with transitive and unergative verbs (Cinque 1988). In addition, Italian si may be interpreted as we (3) (inclusive interpretation) (D’Alessandro & Alexiadou 2003, Egerland 2003). (1) A Napoli si lavora fino ai 15 anni 203 (2) Si è lavorato per due mesi per risolvere il problema (3) Ieri si è stati licenziati In this paper, I show that specific time reference is not the only cause of inclusiveness, but that the inclusive reading is rather caused by temporal boundedness of the event (cf. Iatridou, Anagnostopoulou & Pancheva 2003). I propose that under boundedness, impersonal pronouns that otherwise behave like indefinites (Chierchia 1995, Mandikoetxea 2002) assume a definite-personalpronoun-like behavior, and receive their interpretation logophorically, through anchoring to the Speech Act head (Speas 2000, Sigurðsson 2002). This head encodes information about the actual participants in the speech event (for example it specifies that the actual referent of a 2nd person pronoun is the addressee). The we/I reading is also accounted for in terms of split vs. selective binding. Boundedness goes together with perfective aspect (Smith 1991, Iatridou & al. 2003). When the verb is perfective, impersonal si receives an inclusive interpretation (3). If the event is temporally unbounded, the inclusive reading cannot arise. Moreover, if an adverbial phrase that suspends boundedness is introduced in an inclusive bounded clause, the interpretation of the impersonal pronoun becomes generic (4). (4) a. b. Si è arrivati in ritardo Si è sempre arrivati in ritardo ‘We arrived late’ ‘People/#we have always arrived late’ According to Mandikoetxea (2002), Italian impersonal si and Spanish impersonal se behave as indefinites. I show, however, that for Italian this is only true in unbounded clauses. When the clause is 204 bounded, they behave as personal pronouns. In bounded/inclusive clauses, that admit predicative NPs according to the test proposed by Kratzer (1995), Italian si may be replaced by a personal pronoun, but not by an indefinite subject (5). (5) a. Da bravi cittadini, si è / noi abbiamo /# qualcuno ha raccolto le firme ‘As good citizens, we have signed a petition’ When si appears in an unbounded context, it behaves as an indefinite, i.e. like a free variable (Kamp & Reyle 1993, Diesing 1992, Chierchia 1995). I propose that this variable is bound by the [boundedness] operator, located on the Aspectual head (Iatridou & al. 2003). When this operator is missing, and the event is bounded, si/man are anchored to the Speech Act head(s), that encodes information about the participants in the clause. Lucia Grimaldi (Berlin) Die Syntax von Äquativkonstruktionen In diesem Vortrag wird eine minimalistische Analyse von Äquativkonstruktionen (ÄK) vorgestellt, die Daten aus verschiedenen romanischen Sprachen sowie dem Englischen und Deutschen berücksichtigt. Äquativkonstruktionen, in der romanistischen Tradition besser bekannt als „Vergleiche der Gleichheit“, fristen innerhalb der Forschung zur Komparation ein eher trauriges Dasein, da sich diese seit jeher auf Komparativkonstruktionen (KK), also so genannte „Vergleiche der Ungleichheit“ konzentriert hat. Oftmals wird – implizit oder explizit – davon ausgegangen, dass sich Komparativanalysen 1:1 auf Äquativkonstruktionen übertragen lassen, eine Annahme, die vor allem auf die verstärkte Beobachtung englischer Adjektivvergleiche wie (1) und (2) zurückzuführen ist: (1) en. Mary is more intelligent than John (KKAdj) 205 (2) en. Mary is as intelligent as John (ÄKAdj) Zieht man jedoch Nominalvergleiche hinzu, ergibt sich ein anderes Bild. Nominale Äquative (3) weisen scheinbar eine elaboriertere Struktur auf als ihre adjektivischen Entsprechungen (2) einerseits und als nominale Komparative (4) andererseits: (3) en. Mary eats as many cookies as John (ÄKN) (4) en. Mary eats more cookies than John (KKN) Betrachtet man außerdem Daten aus romanischen Sprachen, wird das Bild offenbar noch komplexer. Dies soll anhand italienischer Daten beispielhaft illustriert werden: (5) it. (6) it. (7) it. (8) it. Maria è più intelligente di Gianni (KKAdj) Maria è (tanto) intelligente quanto Gianni (ÄKAdj) Maria mangia più (tanti) biscotti di Gianni (KKN) Maria mangia tanti biscotti quanti Gianni (ÄKN) Das scheinbare Äquativelement tanto ist in (6) allenfalls fakultativ (im Gegensatz zu più in (5)), und die Variante ohne tanto ist deutlich unmarkierter. In (8) ist tanto zwar obligatorisch, allerdings kann es im umgangssprachlichen Italienisch auch in KKN wie (7) vorkommen. Auf den ersten Blick scheinen die Daten also eher nahe zu legen, dass in italienischen ÄK kein analoges Element zum Komparator più nötig ist. Bedenkt man, dass der Komparator in den meisten Analysen von Komparativen als Kopf der gesamten Kon- 206 struktion aufgefasst wird, entsteht bei einer einheitlichen Analyse von KK und ÄK zumindest Erklärungsbedarf. Ein weiterer Unterschied zwischen italienischen ÄK und KK betrifft das Element quanto. Während es in KK nur auftritt, wenn der Standard des Vergleichs durch einen (finiten) Satz realisiert wird (s. (9) vs. (10)), ist es in Äquativen immer obligatorisch: (9) it. Gianni è più intelligente di *(quanto) non lo sia Luca (10) it. Gianni è più intelligente di (*quanto) Luca (11) it. Gianni è (tanto) intelligente *(quanto) lo è Luca (12) it. Gianni è (tanto) intelligente *(quanto) Luca Außerdem ist quanto in phrasalen ÄK scheinbar in der Lage, Akkusativkasus zu vergeben, parallel zu di in phrasalen KK: (13) it. Maria è (tanto) intelligente quanto me (14) it. Maria è più intelligente di me Die „klassische“ Analyse von quanto als wh-Operator im Komparativsatz scheint im Fall der ÄK also ebenfalls nicht besonders hilfreich zu sein. Die hier präsentierte minimalistische Analyse nominaler und adjektivischer Äquative stellt einen Versuch dar, die bereits existierenden Ansätze zu Komparativen mit den jüngsten Forschungsergebnissen zur Lokalisierung quantifizierender Ausdrücke in der DP und AP in Einklang zu bringen und dabei die o.g. Phänomene zu erklären. 207 Robert Hagen (Berlin) Logische Form, lexikalische items und Bedeutungsgehalt. Wie passen das Minimalist Program und das Generative Lexikon zusammen? Der Beitrag beschäftigt sich mit einem der zentralen Konzepte in Chomskys Sprachtheorie, dem Konzept der »logischen Form« (LF). Der Terminus bezeichnet im Minimalist Program die Schnittstelle zwischen der Sprachfähigkeit (Faculty of Language in narrow sense, FN) und dem konzeptuell-intentionalen System (C-I). C-I erhält an der Schnittstelle den Output von FN und konvertiert ihn in bedeutungshaltige »Gedanken« – die in C-I weitergehend interpretiert werden können. Der Output von FN besteht aus »arrangements of lexical features« (Chomsky 1995: 225), die im Zuge der Derivation aus Ensembles von lexikalischen items erzeugt werden (Vgl. a. Chomsky 2000, 2001 & im Erscheinen). Wenn es nun darum geht zu bestimmen, welcher Art die Information ist, die von FN erzeugt und an C-I übergeben wird, würde man intuitiv annehmen, dass die übergebenen »syntaktischen Objekte« eine erkennbare Ähnlichkeit mit Trägern von Bedeutung haben müssen. Chomskys Hauptaugenmerk bleibt überwiegend dem Bereich der Syntax vorbehalten. Auf welche Weise gelangen aber die Aspekte sprachlicher Repräsentationen, die in den Bereich der Semantik allein fallen, an die Schnittstelle zu C-I? Aus meiner Sicht eignet sich Pustejovskys (1995) Modell eines »generativen Lexikon« dazu, zu Einsichten in dieser Frage zu gelangen. Dieses geht von kognitiven (generativen) Mechanismen aus, die über Entitäten des mentalen Lexikons operieren. Die lexikalischen items sind als komplexe (semantische) Merkmalskonfigurationen konzipiert. Die generativen Mechanismen setzen die items durch regelgeleitete Operationen zu größeren Einheiten zusammen, die semantisch interpretierbar sind. Es fällt ins Auge, dass beide Modelle insbesondere die beiden folgenden Grundannahmen teilen: (1) Ein lexikalisches item wird als »a set of [formal] features« 208 (Chomsky 1995: 244) oder »a more complex construction from features« (Chomsky 1995: 382, Anm. 26) charakterisiert. (2) Die lexikalischen items werden mittels bestimmter syntaktischer Operationen zu komplexeren Einheiten zusammengesetzt. Im Kompositionsprozess spielen Merkmale und Merkmalskonfigurationen eine entscheidende Rolle. Ausgehend von diesem Kern gemeinsamer Annahmen versuche ich herauszuarbeiten, inwieweit eine Integration der beiden Ansätze leistbar ist. Ich veranschauliche dies in Grundzügen anhand romanischer Daten. Kay González Vilbazo / Volker Struckmeier (Köln) Agree im Esplugischen: Porque Paco no ha gekauft Sangría Die Asymmetrie grammatischer Relationen im Code-Switching ist eine Eigenschaft, die in vielen Arbeiten und für viele Sprachpaare beobachtet wurde (vgl. Joshi 1985, Myers-Scotton 1993, Den Dikken & Rao 2003, Gonzalez 2005). In unserem Vortrag zeigen wir, dass Asymmetrien für das deutsch-spanische Code-Switching an der Deutschen Schule Barcelona („Esplugisch“) im Rahmen einer minimalistischen Analyse auf einfache und plausible Weise repräsentiert werden können. Das Esplugische zeigt Asymmetrien im Code-Switching, die die syntaktischen Kontexte restringieren, in denen vom Spanischen ins Deutsche (oder umgekehrt) gewechselt werden darf. Besonders auffällig ist hierbei, dass die Restriktionen asymmetrisch in dem Sinne sind, dass der Wechsel in bestimmten Fällen nur vom Spanischen ins Deutsche möglich ist, während in anderen Fällen ein Sprachwechsel nur vom Deutschen ins Spanische erlaubt ist. So ist zwar die Kombination spanisches Auxiliar und deutsches Partizip möglich, aber nicht umgekehrt: (1) a) *Maria hat die Bowle bebido. b) Paco ha getrunken una Sangría. Asymmetrien dieser Art sind nicht auf das Esplugische beschränkt 209 und bedürfen daher im Rahmen einer universalgrammatischen Theorie einer prinzipiellen Repräsentation. Grundlage unserer Analyse ist die minimalistische Theorie der Merkmalsprüfung durch die Operation Agree. Die Operation Agree gleicht Merkmale eines syntaktischen Objekts (des Sondierers) mit Merkmalen eines anderen syntaktischen Objekts in der Domäne des Sondierers (dem Ziel) ab. Ungrammatikalität entsteht, wenn Sondierer und Ziel nicht in der Lage sind, all die uninterpetierbaren Merkmale wechselseitig zu tilgen, die eine Verletzung der Interpretationsanforderungen an den Schnittstellen hervorrufen (vgl. Chomsky 2000, 2001, 2005). Wie wir zeigen, reduzieren sich die Asymmetrien im Code-Switching des Esplugischen auf eine Asymmetrie in der Merkmalsausstattung der beteiligten deutschen und spanischen lexikalischen Elemente: Ist die Merkmalsmenge des Ziels reicher an uninterpretierbaren Merkmalen als die Merkmalsmenge des Sondierers, kann die Agree-Operation nicht symmetrisch applizieren, uninterpretierbare Merkmale können daher nicht getilgt werden und lösen in der direkten Folge die Ungrammatikalität der Struktur aus. Die Analyse erklärt daher ein bekanntes Faktum des Code-Switching exemplarisch für das Esplugische, ohne hierzu auf syntaktische Zusatzannahmen zurückgreifen zu müssen: Vielmehr reichen bekannte syntaktische Operationen im Zusammenspiel mit philologisch wohletablierten morphosyntaktischen Merkmalen aus, um die Asymmetrie empirisch korrekt und explanatorisch stark zu repräsentieren. In einem Ausblick kann spekuliert werden, inwieweit dieser Ansatz auf andere Sprachpaare im Code-Switching ausgedehnt werden kann und welche Konsequenzen für das Inventar syntaktischer Merkmale in der Minimalistischen Syntax hieraus folgt. 210 Tonjes Veenstra (Berlin) On typological correlates and pure syntax: evidence from expletives in Romance-based creoles As noted in Chomsky (2000, 2001a, 2001b), the investigation of expletives cross-linguistically has been pivotal in recent research because they are, in a sense, manifestations of pure syntax, virtually devoid of meaning yet satisfying requirements of EPP and Case. Therefore, we will focus on expletive constructions in Romancebased creoles in order to find out what these languages can tell us about typological correlates of pure syntactic properties that have been proposed in the literature. In particular, we will discuss the profiles and typology of null subject (NS) languages. As is well-known from the typological literature (e.g. Gilligan 1987), the classical NS profile in the sense of Rizzi (1982) does not stand a typological exam. A comparison of different Romance-based creoles only reinforces this point. But, as noted in Haider (2001) and Kaiser (2004), both van der Auwera (1984) and Gilligan (1984) stated that only the correlation between pro-drop and the lack of subject expletives holds without any exception. In this talk we present evidence against this absolute correlation on the basis of an examination of expletive constructions in Papiamentu, a language which will be argued to have a non-NS profile. A second typological generalization, posited by Alexiadou & Anagnostopoulou (2001) that will be discussed and argued against concerns the placement of arguments by Spell-Out, centering the discussion on principles that force arguments to leave the VP across languages. The empirical domain they cover consists of constructions where subject movement is not required for reasons related to the Extended Projection Principle, expletive constructions being one of them. In these environments, one of the arguments must vacate the VP. They argue that argument externalization is related to Case Theory. We present data from Papiamentu that cast 211 doubt on the claim that the Subject-in-Situ generalization should be accounted for in terms of Case Theory. In the approach of Alexiadou & Anagnostopoulou (2001), it is crucial that NP and PP arguments pattern differently, since only the former are dependent on the v-V complex for their Case. It is shown that in Papiamentu NP and PP arguments do not exhibit different patterns. In both cases the subject-in-situ option is not possible. This is a strong argument against the Case-theoretic approach. Furthermore, PP arguments and PP adjuncts do pattern differently. Only in the latter case, the subject can remain in-situ. This is taken to indicate that the argument/adjunct distinction is an important factor in the analysis of expletive constructions in Papiamentu. In addition, the discussion allows us to make the following points: First, Papiamentu has verb movement, although it has no affixal TMA markers (Baptista 2000). This argues against the correlation between “rich” Agreement and verb movement (Bobaljik 2001). Second, the behavior of serial verbs in expletive constructions shows that we have to distinguish two types of them in Papiamentu: compound and syntactically built serial verb constructions. Natascha Pomino (Berlin) Aspekte der Relation zwischen Syntax, Morphologie und Phonologie: Spanische Verbalflexion im Rahmen neuer generativer Annahmen Im Minimalist Program (Chomsky 1995) gelangen alle lexikalischen Einheiten voll flektiert in die syntaktische Derivation. Sie weisen eine komplexe Merkmalsmatrix auf, in der sowohl phonologische als auch semantische und morphosyntaktische Merkmale kodiert sind. Für einen erfolgreichen Merkmalsabgleich müssen die φ-Merkmale allerdings mehrfach spezifiziert sein: in der voll flektierten Verbform, in der funktionalen Kategorie T0 und in der Subjekt-DP. Bei den Verbformen, wo die syntaktische und morphologische Struktur sich gegenseitig widerspiegelt, führt dies zu 212 redundanten Strukturen. Die Neuerungen im Rahmen des Sondenund Phasenmodells (Chomsky 1998ff.) ermöglichen es in Kombination mit der Distributed Morphology (Halle & Marantz 1993), die Schnittstelle zwischen Syntax, Morphologie und Phonologie aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Viele der Aspekte von dem, was im Allgemeinen als Morphologie bezeichnet wird, werden nunmehr als Mapping-Prozesse verstanden, die während des Transfers von DNS nach Φ stattfinden. Anhand der spanischen Verbalflexion sollen diese Prozesse diskutiert und gegen die der Checking-Theorie zugrunde liegende stark lexikalistische Hypothese argumentiert werden. Heidrun Völker (Berlin) Computerbasierte Visualisierung minimalistischer Derivation Im Laufe der Entwicklung der minimalistischen Syntaxtheorien markiert spätestens die Einführung des Phasenkonzepts und der Operation Agree (Chomsky 1999, 2001) den Übergang von repräsentationsbasierten zu vollständig derivationalen Ansätzen. Die Darstellung eines Derivationsablaufs mit Hilfe von Klammerausdrücken oder Syntaxbäumen kann mit Standard-Präsentationssoftware jedoch kaum zufriedenstellend gelöst werden. Wünschenswert wäre daher ein computerbasiertes Hilfsmittel zur weitgehend automatisierten Erzeugung von Baumdarstellungen, das auch die dynamische Komponente der Derivation angemessen visualisiert. Der Vortrag stellt als Lösung ein Computerprogramm vor, das Syntaxbäume für die einzelnen Derivationsschritte zur Ausgabe am Bildschirm oder für den Export in Form von Grafikdateien erzeugt. Über die reine Visualisierung hinaus simuliert die Software eine Derivation gemäß den von Chomsky (1999, 2001) formulierten theoretischen Ansätzen: Auf eine vom Benutzer vorgegebene Enumeration wendet das Programm automatisch die universalgrammatischen Operationen Merge, Move und Agree an und speichert die Baumdarstellungen für alle Zwischenschritte. 213 Der Ablauf der Derivation kann beliebig oft wiederholt, schrittweise vorwärts und rückwärts durchlaufen oder als Animation abgespielt werden. Dadurch können theoretische Überlegungen auf Konsistenz geprüft und komfortabel an einer größeren Zahl von Beispielen getestet werden. Bei der Realisierung wurden die universalgrammatischen Grundoperationen fest im Programm verankert, während die Kategorien und ihre Eigenschaften, auf die diese Operationen angewendet werden, variabel gehalten sind. Sie werden mit Hilfe von externen Konfigurationsdateien festgelegt, die für unterschiedliche Sprachen und theoretische Ansätze angepasst werden können. Die Software kann auf praktisch allen Computerplattformen verwendet werden (Windows, Mac, Linux, Solaris u.a.). Im Vortrag werden die Möglichkeiten des Programms am Beispiel des Spanischen gezeigt, das auch bei der Entwicklung zugrunde gelegt wurde. Die verwendeten funktionalen Kategorien sind daher speziell auf die Erklärung syntaktischer Phänomene des Spanischen (vgl. z.B. Mensching und Remberger, im Druck) zugeschnitten. 214 Romanistik im Franz Steiner Verlag Altfranzösisches Wörterbuch Adolf Toblers nachgelassene Materialien, bearbeitet und herausgegeben von Erhard Lommatzsch, weitergeführt von Hans Helmut Christmann, vollendet von Richard Baum und Willi Hirdt, unter Mitwirkung von Brigitte Frey Friedrich Wolfzettel Le Conte en palimpseste Studien zur Funktion von Märchen und Mythos im französischen Mittelalter 2005. 210 Seiten. Kart. ¤ 34,– / sFr 54,40. ISBN 3-515-08631-5 Elektronische Ausgabe redaktionell bearbeitet von Peter Blumenthal und Achim Stein Friedrich Wolfzettel Reiseberichte und mythische Struktur Romanistische Aufsätze 1983-2003 4 CD-ROM: ISBN 3-515-08167-4 / DVD: ISBN 3-515-08199-2: ¤ 370,– / sFr 592,– 2003. 492 Seiten. Kart. ¤ 80,– / sFr 128,–. ISBN 3-515-08302-2 Auf CD-ROM / DVD ist ab sofort das vollständige Altfranzösische Wörterbuch erhältlich. Die benutzerfreundliche Ausgabe enthält über 37 000 Artikel mit 15 000 Verweisen. Eine alphabetische Liste schafft einen schnellen Überblick über die Einträge, die Verweise auf spätere Nachträge und die 15000 Varianten. Die letzten Artikel (ab „vorage“) konnten hier nicht berücksichtigt werden und wurden durch die entsprechenden Einträge von Godefroys Dictionnaire de l'ancienne langue française ersetzt. Die bislang unveröffentlichte komplette Bibliographie von Christmann gibt erstmals einen Gesamtüberblick über die Textausgaben sowie die philologischen und linguistischen Studien, die die drei Autoren bei der Schaffung des Wörterbuchs konsultiert haben. Demo-Version im Netz unter: www.uni-stuttgart.de/lingrom/stein/tl Franz Steiner Verlag Romanistik Postfach 101061, 70009 Stuttgart www.steiner-verlag.de [email protected] Text und Kontext BAND 21 Klaus W. Hempfer Poetik des Dialogs Aktuelle Theorie und rinascimentales Selbstverständnis 2004. 191 Seiten. Kart. ¤ 34,– / sFr 54,40. ISBN 3-515-08576-9 BAND 22 Klaus W. Hempfer / Gerhard Regn / Sunita Scheffel, Hrsg. Petrarkismus-Bibliographie 1972-2000 2005. XIII, 214 Seiten. Kart. ¤ 40,– / sFr 64,–. ISBN 3-515-08618-8 Zeitschrift für französische Sprache und Literatur BEIHEFT 33 Michael Cuntz Der göttliche Autor Apologie, Prophetie und Simulation in Texten Pascals 2004. VI, 251 Seiten. Kart. ¤ 44,– / sFr 70,40. ISBN 3-515-08105-4 Sektion 11 Romanische Sprachgeschichten und Sprachgeschichtsschreibung Leitung: Jochen Hafner, Wulf Oesterreicher (München) Programm Montag, 26.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr José Jesus de Bustos Tovar (Madrid) Cambios lingüísticos en la organización del discurso Wulf Oesterreicher (München) Glanz und Elend romanischer Sprachgeschichtsschreibung Thomas Krefeld (München) Zur ‘Kontinuität’ in der romanischen Sprachgeschichtsschreibung Christian Timm (Leipzig) Zur Berücksichtigung des Varietätengefüges in der Sprachgeschichtsschreibung Raymund Wilhelm (Heidelberg) Regionale Sprachgeschichte als Geschichte eines mehrsprachigen Raums: Perspektiven einer Sprachgeschichte der Lombardei Sergio Lubello (Salerno) La storia della lingua italiana: nascita, evoluzione e prospettive di una disciplina Dienstag, 27.09.05 8.15 Uhr 9.00 Uhr 216 Hans-Martin Gauger (Freiburg/Brsg.) Walther von Wartburgs ‘Évolution et structure’ wiedergelesen Jochen Hafner (München) Das Zeitalter der französischen Klassik im Spie- 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr gel von Ferdinand Brunots ‘Histoire de la langue française’ Gerda Haßler (Potsdam) Normierungsdiskurse in der Sprachgeschichte und der Historiographie der Sprachwissenschaft. Das Beispiel der Remarqueurs Johannes Kabatek (Tübingen) Otra historia de las lenguas ibero-románicas (y norománicas): en torno a la actualidad de una vieja idea Julio Arenas Olleta (Madrid/München) Pugna de normas y cuña castellana. Sobre las imágenes de fuerza en la historiografía de la lengua de Menéndez Pidal Roland Schmidt-Riese (München) Nebrija y Pastrana – héroe y antihéroe. De cómo la historiografía se vuelve cómplice de los autores posteriores Marta Fernández Alcaide (Sevilla) Documentación privada del Siglo de Oro español y la historiografía lingüística Mittwoch, 28.09.05 8:15 Uhr 9.00 Uhr 9.45 Uhr Maria Selig (Regensburg) ‘Plattlatein’, ‘Volkslatein’, ‘Vulgärlatein’. Konzeptualisierungen sprachlicher Variation in den Anfängen der Romanistik Annette Endruschat (Trier/München) ‘Neue’ älteste Schriftdokumente des Portugiesischen und die ‘Geburt’ des Portugiesischen Konstanze Jungbluth (Saarbrücken/ Tübingen) Das Rinnsal der schriftlichen Überlieferung. 217 Gewissheiten und Desiderata der katalanischen Sprachgeschichtsschreibung Donnerstag, 29.09.05 8.15 Uhr 9.00 Uhr 9.45 Uhr Rudolf Windisch (Rostock) Die ersten Grammatiken des Rumänischen und die Şcoala Ardeleană im 18./19. Jahrhundert Iris Bachmann (Manchester) Kreolsprachen: ein Grenzfall in der Sprachgeschichte? Alberto Vàrvaro (Neapel) Abschlußdiskussion und kritische Zusammen fassung der Sektion 11: Romanische Sprachgeschichten und Sprachgeschichtsschreibung Abstracts José Jesus de Bustos Tovar (Madrid) Cambios lingüísticos y cambios en la organización del discurso La lingüística histórica se ha ocupado de las transformaciones de la lengua en los planos fonografemático, léxico semántico y sintáctico. Desde el positivismo, los historicistas han ido incorporando nuevos modelos de descripción lingüística: desde el estructuralismo funcional al análisis del discurso. Esta última perspectiva nos permite avanzar en la explicación de los cambios lingüísticos: el decurso histórico no sólo afecta a elementos del sistema, sino también a la forma en que éstos se organizan en los actos de comunicación. Uno de los principios de la teoría del discurso es, desde Benveniste, el de que la lengua es expresión de la subjetividad del hablante, que se manifiesta a través de recursos lingüísticos. La deixis, los modalizadores verbales y los marcadores discursivos son elementos básicos, de naturaleza lingüística, en la creación de textos. La función modalizadora depende del valor que en discurso adquieren ciertos 218 elementos lingüísticos; ello exigirá volver a la indagación sobre los textos mismos y no sobre repertorios informatizados. El camino está abierto para los historiadores de la lengua. Es interesante señalar los puntos de contacto entre estos nuevos enfoques del análisis del discurso y los viejos criterios de la filología y la estilística surgida en el seno de la escuela española de Menéndez Pidal. Existe una primera evidencia: el análisis del texto no puede limitarse a testimoniar un ‘estado de lengua’ y suponer su datación. Su objetivo final es la interpretación del sentido del texto. El análisis del discurso puede contribuir a dilucidarlo: el sentido depende de las relaciones que se establecen entre enunciador y enunciatario en función del contexto pragmático creado por el autor. Por ejemplo, ese contexto es fundamental para interpretar el fondo temático, de carácter político y jurídico, que existe en el Cantar de Mio Cid. Menéndez Pidal fue el primero en advertirlo. Aspectos como los mecanismos de progresión del discurso o las manifestaciones verbales de la cohesión y de la coherencia han de ser estudiados en diacronía. La historia de la lengua se enriquecerá así con la descripción sistemática de mecanismos verbales, que han sufrido un cambio sustancial a lo largo de la historia. En esta ponencia se analizará en algunos testimonios medievales y clásicos la evolución en las formas de organización del discurso, que son, en definitiva, cambios lingüísticos en íntima relación con los cambios ideológicos de una sociedad. Este análisis confirma, a mi juicio, la complementariedad entre el análisis discursivo de los textos medievales y el ‘modus interpretandi’ pidaliano, aportando nuevas perspectivas a la interpretación textual y a la historia de la lengua. Wulf Oesterreicher (München) Glanz und Elend romanischer Sprachgeschichtsschreibung Die nationalgeschichtlich gestaffelte Entstehung der romanischen Sprachgeschichten setzt eine Emanzipation vom Paradigma des Komparatismus voraus, das mit der historisch-vergleichenden 219 Grammatik die Sprachwissenschaft im 19. Jahrhundert dominierte (Auroux 2000). Romanischen Sprachgeschichten gelingt es so, sukzessive verschiedene Forschungsansätze zu synthetisieren und gewissermaßen einen Gegenentwurf zu präsentieren, der die Unzulänglichkeiten des junggrammatischen, historisch-vergleichenden Ansatzes zu überwinden sich vornimmt. Allerdings basiert dieser Gegenentwurf in unterschiedlichem Maße auf der Unterscheidung von interner und externer Sprachgeschichte. Der Beitrag möchte herausstellen, dass in den großen romanischen Sprachgeschichten jedoch latent massive teleologische Vorstellungen wirksam sind, die nicht allein das vorrangige Interesse an der Herausbildung der Standardsprachen bestimmen, sondern gerade auch aus einer ex post-Perspektive die entsprechenden historischen Zustände selektiv wahrzunehmen erlauben und sie gelegentlich sogar massiv deformieren. Ich habe hierfür den Begriff der invertierten Teleologie entwickelt. Die sprachgeschichtlichen Darstellungen leiden – für die Epochen vor der Durchsetzung der Standardsprachen – vor allem an der Nichtberücksichtigung der jeweiligen Kommunikationsräume, in denen teilweise konkurrierende Ausbau-Idiome existieren, die gerade (noch) keine Dialekte der späteren Nationalsprachen sind. Letztlich sind die sich ergebenden Widersprüche und Lücken aber Resultate einer mangelhaften Konzeptualisierung der geographischen und kommunikativen Räume, die vorschnell auf die Verhältnisse des punto di arrivo (Vàrvaro 1972) der Nationalsprachenentwicklung bezogen werden bzw. diesen antizipieren. Schließlich möchte ich zeigen, wie ich mir die Überwindung der letztlich unglücklichen Unterscheidung von interner und externer Sprachgeschichte vorstelle: eine neue Konzeptualisierung setzt begriffliche Klarheit bezüglich der oben skizzierten Zusammenhänge voraus. 220 Thomas Krefeld (München) Zur ‘Kontinuität’ in der romanischen Sprachgeschichtsschreibung Der Umgang mit der Kontinuität lässt tief blicken: Er offenbart ganz unmissverständlich die (oftmals unausgesprochene und gelegentlich wohl geradezu unaussprechliche) historische Grundauffassung eines Romanisten, denn es gibt nur wenige Bereiche, in denen sprachliche Evidenz und sprachwissenschaftliche Fragwürdigkeit sich in einer derartig trügerischen, scheinbaren Selbstver ständlichkeit verbinden. Dies gilt zunächst für die zeitliche Kontinuität und betrifft insbesondere die Art und Weise wie aus mehr oder weniger spurenhaften Textbelegen Anfänge von ‘Nationalsprachen’ konstruiert werden. Hinzu kommt sodann in der räumlichen Dimension die unkontrollierte Beliebigkeit, mit der die (syntopische) Kontinuität am Ort/in einer Region und die (diatopische) Kontinuität zwischen benachbarten Orten/Regionen bei der Rekonstruktion ausdrücklich zu Grunde gelegt oder aber – ganz im Gegenteil – ausgeblendet werden. Ein Blick in die kanonischen Ge schichten des Französischen, Spanischen und Italienischen zeigt, dass es sich keineswegs um einen spezifisch rumänischen Komplex handelt. Christian Timm (Leipzig) Zur Berücksichtigung des Varietätengefüges in der Sprachgeschichtsschreibung Eine der wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit der Schreibung von Sprachgeschichte betrifft die Untergliederung ihres Untersuchungsgegenstandes. In der historischen Sprachanalyse handelt es sich hierbei um die Periodisierung von Sprachgeschichte, deren wesentliche Aufgabe in der Systematisierung und Strukturierung der historischen sprachlichen Entwicklungen zu sehen ist, um die Erkenntnisse später in didaktisch aufbereiteter Form darstellen zu können. Bei einem Blick auf die verschiedenen Sprachgeschichten der einzelnen romanischen Sprachen wird jedoch offensichtlich, 221 dass die Anzahl der Perioden mitunter deutlich variiert. Im Spanischen wie auch im Französischen beispielsweise stehen sich zweiund dreigliedrige Modelle für die Periodisierung der Sprachgeschichte gegenüber, wobei erstere Altfranzösisch resp. Altspanisch und modernes Französisch resp. modernes Spanisch polarisieren, letztere sind um die Zwischenstufe des Mittel-französischen resp. Mittelspanischen erweitert. Die Verschiedenheit der Kriterien, die der Periodisierung zugrunde gelegt werden, die zwangsweise auch zu stark divergierenden Abgrenzungen der einzelnen Epochen bei den Modellen führen, dürften hierfür verantwortlich sein. Für die Periodisierung der italienischen Standardsprache schlägt Krefeld (1988) nicht zuletzt aufgrund der Besonderheiten ihrer Entwicklung und Herausbildung eine alternative Herangehensweise vor: Die Geschichte der italienischen Standardsprache wird nicht als solche gegliedert, sondern die historischen Epochen ihres Zusammenspiels mit den zahlreichen romanischen Dialekten auf der italischen Halbinsel werden fokussiert und die verschiedenen Perioden dieses Diasystems bestimmt. Dieser Ansatz scheint sehr erfolgversprechend zu sein und soll auf die Geschichte weiterer romanischer Sprachen angewandt werden. Raymund Wilhelm (Heidelberg) Regionale Sprachgeschichte als Geschichte eines mehrsprachigen Raums: Perspektiven einer Sprachgeschichte der Lombardei Die traditionelle italienische Sprachgeschichtsschreibung interessiert sich in erster Linie für die Prozesse der sprachlichen ‘Vereinheitlichung’, d.h. für die Durchsetzung des Italienischen als verbindlicher Standard- oder Nationalsprache in den einzelnen Regionen. Demgegenüber soll in diesem Beitrag am Beispiel der Lombardei das Funktionieren mehrsprachiger Gesellschaften in ihrer historischen Dynamik fokussiert werden. Mehrsprachigkeit erscheint dabei nicht etwa als eine krisenhafte Situation, die geradezu notwendig nach einer Überwindung streben würde, viel222 mehr beruht sie auf einem oftmals erstaunlich stabilen sozialen Konsens, aufgrund dessen den einzelnen Sprachen oder Varietäten unterschiedliche Funktionsbereiche zugewiesen werden. Drei Stationen einer Sprachgeschichte der Lombardei sollen dabei beispielhaft herausgegriffen werden: Die Schreibtraditionen des mailändischen volgare (Ende 13. – Anfang 16. Jh.): Vor dem Hintergrund der immer wieder beschriebenen ‘Toskanisierung’ der lombardischen Koiné soll hier vor allem das Auftreten dialektaler Innovationen herausgestellt werden; insbesondere in den Texten des 15. Jahrhunderts vermag die mailändische Schreibtradition geradezu gegenläufige sprachhistorische Dynamiken abzubilden. Das Spanische in der Lombardei (16. – 17. Jh.): Die spanische Herrschaft bringt eine massive Präsenz des Spanischen im Herzogtum Mailand mit sich; von Interesse ist dabei weniger die Verwendung von Hispanismen als vielmehr das Nebeneinander der unterschiedlichen Sprachen (Spanisch, Italienisch, lombardischer Dialekt) in einzelnen Kommunikationsbereichen wie der Verwaltung, dem Theater, dem Erbauungsschrifttum. Die poetische Tradition des mailändischen Dialekts (17. – 20. Jh.): Seit dem 17. Jahrhundert besitzt das Mailändische eine prestigeträchtige dichtungssprachliche Tradition, die bis heute eine wesentliche Identifikationsfläche für das regionale Selbstverständnis bildet; die dichtungssprachliche Verwendung erlaubt die historische Aufarbeitung einer Dialektvarietät, die sich immerzu in Abgrenzung gegenüber anderen Sprachen, wie insbesondere dem Italienischen, definiert. Die drei skizzierten historischen Momente sollen hier für die Methodenreflexion nutzbar gemacht werden. Dabei wird ein sprachhistorisches Modell angestrebt, das die Integration zumindest der drei folgenden Fragekomplexe erlaubt: (a) die interne Geschichte; (b) das Zusammenspiel unterschiedlicher Sprachen oder Varietäten; (c) die Geschichte von Diskurstraditionen. 223 Sergio Lubello (Salerno) La storia della lingua italiana: nascita, evoluzione e prospettive di una disciplina La Storia della lingua italiana è disciplina relativamente giovane: la prima istituzione di una cattedra di Storia della lingua italiana risale al 1938 presso la Facoltà di Lettere di Firenze, mentre la prima trattazione al 1960, anno di pubblicazione della Storia della lingua italiana di Bruno Migliorini. La relazione intende: presentare gli inizi scientifici della disciplina nel secondo Ottocento (periodo in cui in Europa si affermano le scienze del linguaggio e la grammatica storico-comparativa) e quindi il rapporto tra il paradigma neogrammaticale (la Sprachgeschichte di Paul si risolve di fatto nella grammatica storica) e il ritardo di una trattazione di storia della lingua italiana, tra tentativi non riusciti, abbozzi e progetti incompiuti (significativo il titolo di un noto lavoro del 1972-73 di AlbertoVàrvaro, Storia della lingua: passato e prospettive di una categoria controversa) l’evoluzione della disciplina anche grazie a modelli stranieri (su tutti fu fondamentale la comparsa tra il 1896 e 1899 de L’Histoire de la langue française di Ferdinand Brunot con il binomio, da allora canonico, di histoire externe – histoire interne) le prospettive attuali: dalle ottime trattazioni manualistiche a studi specifici e settoriali, aperti finalmente alla sintassi e alla testualità dell’italiano antico, la disciplina si caratterizza in fondo come “ancor giovane ed in parte magmatica, ma per ciò stesso ancora capace di irradiare energia vitale” (Alfredo Stussi, Storia della lingua italiana: nascita d’una disciplina, in SLE, I, 5). 224 Hans-Martin Gauger (Freiburg) Walther von Wartburgs ‘Évolution et structure’ wiedergelesen Walther von Wartburgs Évolution et structure de la langue française, „mit bewundernswerter Klarheit geschrieben“ (so Gerhard Rohlfs), erschien zuerst 1934 in Leipzig, von der 3. Auflage an (1946) in Bern. Herauszuarbeiten sind: 1. die Ausrichtung auf ein allgemeineres Publikum („gens cultivés“), 2. die Reduktion, bei Zulassung einiger „vues nouvelles et idées personnelles“, auf „les faits connus depuis longtemps“ und also auf das bloße Darlegen („présenter, non pas démontrer“), 3. die Saussuresche Anlage (4 synchronische Kapitel: Altfranzösisch, 16. Jahrhundert, „français moderne“ – somit 17. Jahrhundert bis zum „état actuel“ – und 3 diachronische, die „les mouvements“ aufzeigen „qui ont fait de la langue de Virgile celle de Gustave Flaubert“), also das „Ineinandergreifen von historischer und deskriptiver Sprachwissenschaft“ (so ein Titel Wartburgs schon von 1931), 4. die Aufnahme durchaus Vosslerischer oder ‘externer’ Elemente („les rapports entre l’évolution morale, politique, sociale, littéraire et les tendances générales qui régissent la vie de la langue française“). Jochen Hafner (München) Das Zeitalter der französischen Klassik im Spiegel von Ferdinand Brunots ‘Histoire de la langue française’ Die historiographische Aufarbeitung und Darstellung der französischen Klassik stellt einen wichtigen, zugleich aber nicht unproblematischen Teil im sprachhistorischen Werk Ferdinand Brunots dar. Neben einer kritischen Würdigung von Brunots umfangreichen Arbeiten zum 17. Jahrhundert soll auch ein Einblick in seine Arbeitsweise gegeben werden. Dabei lässt sich zeigen, dass die Histoire de la langue française unmittelbar an Brunots eigene Vorarbeiten anknüpft. Abschließend soll der Frage nachgegangen 225 werden, inwiefern Brunots Darstellungen als diskursive Matrix für das sprachhistoriographische Arbeiten nach Brunot dienten und in welch starkem Maße die französische Sprachgeschichtsschreibung über lange Jahre hinweg in direkter Abhängigkeit von Brunots Werk stand. Gerda Haßler (Potsdam) Normierungsdiskurse in der Sprachgeschichte und der Historiographie der Sprachwissenschaft. Das Beispiel der Remarqueurs Dass sich Forschungen zur Sprachgeschichte nur mit Vorsicht auf Texte zur Normierung stützen sollten, ist eine zweifellos richtige methodologische Prämisse. Ebenso wenden sich auch Historio graphen der Sprachwissenschaft eher selten dem Ablauf der Normierungen zu. Gibt man jedoch die Selbstbeschränkung beider Disziplinen auf, so erweisen sich Normierungsdiskurse als ein Forschungsgegenstand, der wechselseitig Fragen aufwirft. Am Beispiel der Remarqueurs soll versucht werden, die Entwicklung eines Normierungsdiskurses zu verfolgen. Die Bezeichnung Remar queurs lehnt sich an Vaugelas’ Remarques sur la langue française und die in deren Folge entstandenen Texte an. Wie neuere Forschungen zeigen, kann dabei von einer zeitlichen Kontinuität über vier Jahrhunderte ausgegangen werden, die sich an Formen und Strukturen der zum Normierungsdiskurs gehörenden Texte nachweisen lässt. Eine Reihe von Autoren schafft mit ihren Äußerungen über den Sprachgebrauch und ihren Normierungsvorschlägen eine kollektive Dynamik, die zu passionierten Diskussionen und Polemiken, aber auch zu Theoretisierungsversuchen führte. Doch was lässt sich aus den Remarques für die Geschichte der Sprache ableiten? In welcher Beziehung stehen sie zu den Grammatiken der jeweiligen Zeit? Welchen soziokulturellen Herausforderungen entsprachen und entsprechen die Remarqueurs und was bestimmt ihre Identität? Neben der Heterogenität der Remarqueurs als Gruppe ist dabei auch die von jeder epistemologischen Fundierung fer226 ne Diversität ihrer Textproduktion zu berücksichtigen. Als Charakteristikum der Remarqueurs kann ein ‘Dialog’ mit der sprachlichen Erfahrung angesehen werden, der zum Bestandteil der grammatischen Deskription wurde und auf komplexe Weise in die Kodifizierung der Norm einging. Johannes Kabatek (Tübingen) Otra historia de las lenguas ibero-románicas (y no-románicas): en torno a la actualidad de una vieja idea Existe en la actualidad un cierto consenso sobre algunas características de la historiografía lingüística que hay que superar: en primer lugar, la concepción teleológica que habría llevado una lengua nacional al lugar que ‘justificadamente’ le corresponde; se intenta buscar una alternativa a una historia de la lengua que es poco más que el espejo de la historia de la literatura, trabajando de manera especializada sobre aspectos particulares, reemplazando la obra de individuos por el trabajo en equipo (Cano 2004, y los proyectos dirigidos por Company para el español o Pérez Saldanya para el catalán). Esta tendencia hacia una creciente especialización es necesaria, pero deja la síntesis de los diferentes aspectos en manos del receptor, cuya capacitación para ello es muy variada. Además, por mucho que se incluyan aspectos de lenguas vecinas o de lenguas que influyeron sobre la lengua en cuestión, el objetivo de tales empresas suele ser unilingüe, es decir, acostumbra a consistir en la descripción de la historia de una lengua, quizá con alusiones a tendencias universales, pero perdiendo de vista a veces la perspectiva de un conjunto cultural o tipológico de estrecha relación mutua. Pensamos, por lo tanto – y presentaremos ejemplos y muestras de ello – que para complementar los grandes proyectos de equipo son necesarias, en la actualidad, obras de síntesis, combinando las referencias a los estudios detallados con grandes líneas de evolución, paralelismos, rasgos comunes y distintivos. Algo semejante a 227 lo que Antonio Tovar había presentado a finales de los años sesenta (Tovar 1968), pero teniendo en cuenta lo que sabemos ahora, después de tantos trabajos importantes publicados en los últimos decenios. Julio Arenas Olleta (Madrid/München) Pugna de normas y cuña castellana. Sobre las imágenes de fuerza en la historiografía de la lengua de Menéndez Pidal Más allá de la importancia de la metáfora como mecanismo cognitivo general (Lakoff/Johnson 1980), se ha señalado su valor ‘epistémico’ dentro del discurso científico, como medio para concretar elementos abstractos o procesos difíciles de describir (Swiggers 1990). La implantación del paradigma de la lingüística histórica conlleva la puesta en circulación hasta nuestros días de imágenes acuñadas o redefinidas en la nueva disciplina científica como familia de lenguas, lengua madre, nacimiento y muerte de una lengua, etc. (Krefeld 2004). En espera de la publicación de la *Historia de la lengua, es en la gran síntesis de Orígenes del español, donde Pidal nos ha dejado las páginas más importantes de su pensamiento lingüístico. En esta obra la perfecta articulación de una cantidad abrumadora de datos conduce a la elaboración de sucesivas explicaciones sobre la fijación de determinados rasgos de ‘la lengua’, sobre todo en su nivel fonético. Como corolario, se presenta un planteamiento general geográfico-cronológico sobre el comportamiento de los dialectos ibéricos en la época de orígenes, que queda dibujado en términos de confrontaciones de fuerzas, de luchas de unas soluciones con otras dentro de un mismo dialecto en un periodo determinado y de abierta batalla entre algunos dialectos, en la que uno de ellos, el castellano, está llamado a descuajar la unión lingüística de fondo mozárabe entre este y oeste y a borrar los dialectos mozárabes al sur del Duero, obrando como una cuña, clavada al norte, que pene tra hasta Andalucía. En esta comunicación, además de delimitar el alcance estrictamente teórico del concepto de pugna de normas, 228 intentaremos precisar las implicaciones que el recurso continuado a este tipo de imágenes tienen en la visión pidaliana de la historia lingüística peninsular. Roland Schmidt-Riese (München) Nebrija y Pastrana – héroe y antihéroe. De cómo la historiografía se vuelve cómplice de los autores posteriores Nebrija se conoce en el presente, ante todo, como el autor de la Gramática castellana, pero en su época como el de las Introductiones latinae. He aquí un primer desajuste que hay que tener en cuenta en la operación hermenéutica. Nebrija es, además, en su época y en la nuestra igualmente conocido, quizá un poco más todavía en su época, pero más controvertido también. El proyecto de Nebrija es de revolución cultural: introducir las buenas letras en España. Este su proyecto cuenta con adversarios y en contra de los adversarios se perfila. Uno de ellos es Pastrana, adversario muerto. Nebrija pretende sustituir los manuales de aprendizaje del latín de Pastrana, ampliamente difundidos, por el propio, las Introductiones. Logra esta meta, aunque de manera menos espectacular y fulminante de la que se pretende. Para estimar lo que pasa, hay que tomar en serio las estadísticas de difusión y de imprenta, así como las diferencias objetivas que corren de un manual a otro. También ver cómo se ubican los procedimientos que aplica cada uno en la cronología y la tradición. La complicidad con Nebrija así queda puesta en tela de juicio. Pues por más que seamos continuadores de la revolución que inició, no es forzoso serlo de su retórica a la par. Por el contrario, habrá que cuestionar el concepto mismo de revolución y nuestra participación en sustentarlo. 229 Marta Fernández Alcaide (Sevilla) Documentación privada del Siglo de Oro español y la historiografía lingüística En los últimos años, han sido frecuentes las llamadas de atención de los historiadores de la lengua acerca de la necesidad de atender, dentro de los estudios diacrónicos, a textos que no pertenecen al ámbito literario ni al historiográfico. En ese sentido, la reciente Hi storia de la lengua española (Cano 2004) supone un avance importante en esta sección de la investigación lingüística. En este trabajo nos proponemos presentar un corpus de documentación privada del siglo XVI, que constituye un ejemplo de lo que se ha venido denominando “competencia escrita de impronta oral”. El análisis de los documentos, en comparación con otros estudios realizados partiendo de las gramáticas de la época, puede aportar datos interesantes a la historia de nuestra lengua, no sólo desde el punto de vista de los rasgos lingüísticos en sí mismos, sino también desde el punto de vista de las variedades diastráticas y diatópicas, que no siempre se tienen en cuenta, dado que este amplio corpus constituye un reflejo de la sociedad de la época. Para constatarlo, nos centraremos en alguno de los cambios gramaticales más interesantes en este periodo, aportando asimismo los datos que otros estudiosos han señalado, basándose en las gramáticas o en los textos literarios. Lo que nos parece más relevante, sin embargo, no son estos datos que pueden o no cambiar –quizá sí enriquecer– la historia de la lengua que conocemos, sino la importancia que su introducción en la investigación y en la historiografía lingüística puede y debe tener para la metodología de los estudios diacrónicos de la lengua. 230 Maria Selig (Regensburg) ‘Plattlatein’, ‘Volkslatein’, ‘Vulgärlatein’. Konzeptualisierungen sprachlicher Variation in den Anfängen der Romanistik Die Geburtsstunde der Romanistik schlug bekanntlich, als Friedrich Diez in seiner Grammatik der romanischen Sprachen (1836-1844) den Nachweis führt, dass die romanischen Sprachen gleichrangige Weiterentwicklungen des „niedern Lateins des Volkes“ sind. Diez postulierte damit als gemeinsamen Ursprung der romanischen Sprachen eine Sprachform, die parallel zur klassisch-lateinischen Literatursprache existiert haben musste. Anders als für die germanistische oder gar die indogermanische Sprachwissenschaft war für die Romanistik die Anerkennung einer sprachinternen Variation also konstitutiver Bestandteil der historisch-vergleichenden Sprachforschung. Zweifellos kann in dieser frühzeitigen Konzeptualisierung sprachinterner Variation die Avantgardefunktion der romanistischen Sprachwissenschaft gesehen werden. Bei näherer Analyse der in den Anfängen der Romanistik von Friedrich Diez, aber auch von August Friedrich Pott, August Fuchs oder Hugo Schuchardt vorgeschlagenen Definitionen des ‘Vulgärlateins’ werden aber auch die großen Schwierigkeiten sichtbar, sprachinterne Variation unter den Bedingungen des die Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts dominierenden organizistischen Sprachbegriffs zu denken. Annette Endruschat (Trier/München) ‘Neue’ älteste Schriftdokumente des Portugiesischen und die ‘Geburt’ des Portugiesischen In den vergangenen Jahren ist durch die Analyse früher Texte die Diskussion um den ältesten portugiesischen Text neu entfacht worden. Immer wieder wurden ‘neue’ älteste Sprachdokumente in portugiesischer Sprache vorgestellt. Dabei gehen die Auffassungen 231 darüber, was ein Text ist und vor allem, was ein Text in portugiesischer Sprache ist, weit auseinander. Angesichts der Datenlage und im Vergleich mit den Schriftzeugnissen in anderen romanischen Sprachen scheint es angebracht, von einem Kontinuum, d.h. von einem allmählichen Ablösungsprozess des Portugiesischen vom Lateinischen auszugehen. Bei dieser Ablösung spielt nicht nur die jeweils zugrunde liegende (distanz- versus nähesprachliche) Konzeption eine wesentliche Rolle, sondern auch die Gattung der betrachteten Texte. An ausgewählten Texten aus dem 9.-13. Jahrhundert und anhand einiger sprachlichen Parameter (Gebrauch von Präpositionen und Kasusverfall, Deklinationsmuster, Wortstellung) soll gezeigt werden, wie sich allmählich portugiesische Strukturen durchsetzen und dass es kaum möglich ist, die ‘Geburtsurkunde’ des Portugiesischen zu finden. Konstanze Jungbluth (Saarbrücken/Tübingen) Das Rinnsal der schriftlichen Überlieferung. Gewissheiten und Desiderata der katalanischen Sprachgeschichtsschreibung Begründet durch ihr philologisches Erbe ist die katalanische Sprachgeschichtsschreibung ähnlich wie die anderer romanischer Sprachen traditionell sehr stark an literarischen Texten orientiert. Zwei Gründe haben dazu geführt, dass in jüngerer Zeit auch andere Überlieferungen unter sprachwissenschaftlicher Perspektive ausgewertet wurden. Einerseits bestand der Wunsch, die ‘Lücke’ in der katalanischen Sprachgeschichtsschreibung zu schließen, die das 16.-18. Jahrhundert umfasst, namentlich die so genannte Decadèn cia. Andererseits wendete sich der Blick der Linguisten von den literarischen Texten ab und berücksichtigte zunehmend beispielsweise historische, juristische und ‘alltägliche’ Textsorten, wie Briefe und autobiographische Zeugnisse der sogenannten semi-cultes. Ein kurzer Überblick über die vorliegenden Gesamtdarstellungen zur katalanischen Sprachgeschichte soll überleiten zur exempla232 rischen Vorstellung einiger neuerer Arbeiten, die sich bemühen, die sprachlich-diskursive Wirklichkeit, die uns überliefert ist, in ihrem historischen Wandel zu erfassen, der durch eine die Einzelsprachen überdachende Kontinuität einerseits und durch Brüche andererseits charakterisiert werden kann. An einem konkreten Beispiel möchte ich schließlich zeigen, dass die in Alteuropa in der romanischen Welt entwickelten Textmuster auch in der Neuen Welt praktiziert wurden, so dass Manuskripte diesseits und jenseits des Atlantiks darauf warten, transkribiert und ausgewertet zu werden, um unser Wissen um die Vielfalt des jeweils einzelsprachlich gebundenen Sprachgebrauchs nicht zuletzt unter interdisziplinären Gesichtspunkten zu erweitern. Rudolf Windisch (Rostock) Die ersten Grammatiken des Rumänischen und die Şcoala Ardeleană im 18./19. Jahrhundert Die ‘Siebenbürgische Schule’ (rumän. Şcoala ardeleană) mit ihren Vertretern Samuil Micu-Clain (1745-1806), Gheorghe Şincai (17541816) und Petru Maior (1754-1821), Gelehrte (Altphilologen) und Theologen, wird in Rumänien als Beleg für die von Westeuropa herüberreichende Aufklärung bewertet. Die Lebensbedingungen der unter österreichisch-habsburgischer Herrschaft (Joseph II, bis 1790; Leopold) stehenden Rumänen waren denkbar schlecht: im Konzert der 3 ‘Staatsnationen’ (deutsche) Sachsen, Ungarn und (ungarische) Szekler verfügten sie über keinerlei staatsbürgerliche Rechte; Amts- und Verwaltungssprache im ungarisch-siebenbürgischen Gubernium war Deutsch. Die Rückbesinnung dieser ‘Latinisten’ auf die Latinität des Rumänischen führte – anders als im Westen der Romania – nicht zu einer Emanzipation, sondern gerade zur Demonstration der Dignität der eigenen Sprache, des Rumänischen, zur Lösung vom slawischen Einfluss, als Anstoß zur nationalen Emanzipation auch in kultureller Hinsicht. 233 Iris Bachmann (Manchester) Kreolsprachen: ein Grenzfall in der Sprachgeschichte? Kreolsprachen haben als linguistisches Ausnahmephänomen Geschichte gemacht. In der öffentlichen Meinung wurden sie meist als Kauderwelsch oder Jargon abgetan. Die historisch-vergleichende Grammatik analysierte sie als Derivate der europäischen Lexifizierersprachen und integrierte sie damit als Beispiele einer diskontinuierlichen oder gebrochenen Entwicklung einer Sprachgeschichte. Der amerikanische Strukturalismus schließlich betonte ihre Naturalisierung als muttersprachliche Weiterentwicklung eines Pidgins, eine Vorstellung, die schließlich in Bickertons These von der Aktivierung eines Bioprogramms kulminierte. Dabei dienten Kreols letztlich stets dazu, als Ausnahmen die Regel jeweiliger linguistischer Konzeptualisierungen zu bestätigen. In meinem Vortrag werde ich eine sprachwissenschaftsgeschichtliche Analyse nutzen, um die konzeptuellen Grenzbereiche aufzuzeigen, in denen die Kreolistik stets angesiedelt war. Auf diese Weise hoffe ich Aufschluss zu geben, wie dieses Potential des Zwischenraums positiv zu nutzen wäre, um traditionelle Vorstellungen von Sprache und Sprachgeschichte kritisch zu hinterfragen. 234 Romanistik bei Stauffenburg Zibaldone Zeitschrift für italienische Kultur der Gegenwart Herausgegeben von Thomas Bremer und Titus Heydenreich No. 39 / Frühjahr 2005 Blut im Chianti? Italiens Krimi heute EUR 12,00 / SFr 21,80 ISBN 3-86057-978-9 Henning Krauß / Till R. Kuhnle / Hanspeter Plocher (Hrsg.) 17. Jahrhundert – Theater Stauffenburg Interpretation: Französische Literatur, 2003, 291 Seiten EUR 20,50 / SFr 37,00 ISBN 3-86057-902-9 No. 40 / Herbst 2005 Cantautori: Liederdichter in Italien Mit CD EUR 12,00 / SFr 21,80 ISBN 3-86057-979-7 lendemains Heft 113 Alexandre Kostka (Hrsg.) Gerhard Wild Kunst- und Kulturtransfer um 1900 Cahiers lendemains, Band 2, 2005, 200 Seiten EUR 35,00 / SFr 62,00 ISBN 3-86057-691-7 Interkulturelle Ästhetik im Werk Alejo Carpentiers Siegener Forschungen, 2004, 390 Seiten EUR 76,00 / SFr 130,90 ISBN 3-86057-537-6 Anke Dörner Jens Lüdtke Leonardo Olschki: ein jüdischer Romanist zwischen Integration und Emigration Romanica et Comparatistica, Band 38, 2005, XII, 346 Seiten EUR 58,00 / SFr 100,30 ISBN 3-86057-088-9 Inhaltlich – diachronisch – synchronisch 2005, 460 Seiten geb. Ausgabe: EUR 49,50 / SFr 86,30 ISBN 3-86057-993-2 kart. Ausgabe: EUR 33,00 / SFr 56,80 ISBN 3-86057-994-0 Paris – Weimar/Weimar – Paris „La vita spezzata“ Laïcité und Islam in Frankreich 2004, 144 Seiten EUR 14,30 / SFr 25,00 ISBN 3-86057-976-2 Paraphrasen der Alten Welt Romanische Wortbildung Stauffenburg Verlag Brigitte Narr GmbH Postfach 25 25 D-72015 Tübingen www.stauffenburg.de Sektion 12 Il Teatro italiano del Cinquecento e Seicento e la ricezione europea Leitung: Rolf Lohse (Göttingen) Programm Montag, 26.09.05 Strutture spaziali, movimento e il comico – La lingua del teatro Strutture spaziali, movimento e il comico 9.00 Uhr Rudolf Behrens (Bochum) Zum Verhältnis von Bühnenarchitektur, Hand- lung, Komik und räumlicher Sinndimension 9.45 Uhr Esther Schomacher (Bochum) Spiel-Raum Haus. Die Aneignung des häuslichen Raumes und die Subversion sozialer Codes in ausgewählten Komödien des 16. Jahrhunderts 14.00 Uhr Eva Erdmann (Erfurt) Komik und Bewegung im Theater des 17. Jahrhunderts La lingua del teatro 14.45 Uhr Tatiana Bisanti (Saarbrücken) Gli Ingannati (1531): plurilinguismo teatrale e ricezione europea 16.00 Uhr Piero Trifone (Siena/Rom) La parola dell’istrione. Grammatica e retorica del teatro rinascimentale 16.45 Uhr Marco Gargiulo (Siena) Il Granchio e La Spina. La lingua di Lionardo Salviati a teatro Dienstag, 27.09.05 Dimensione interculturale ed internazionale del teatro italiano: Espagna, Francia, Germania, Croatia 236 9.00 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Ludger Scherer (Bonn) Niccolò Machiavellis Komödien und ihre Rezeption in Spanien Daniela Dalla Valle (Torino) La presenza del teatro di Torquato Tasso nella cultura francese cinque-secentesca. Vion d’Alibray Laura Rescia (Trento) Il Candelaio (1582) di Giordano Bruno nelle traduzioni francesi di primo ‘600: ricezione del testo e strategie traduttive Günter Berger (Bayreuth) Ruzante in Frankreich und Deutschland / Ruzante in Francia e in Germania Lada Cale Feldman (Zagreb) L’autore croato Marino Darsa e l’autocoscienza teatrale nel cinquecento Monica Pavesio (Torino) L’intermediazione della commedia dell’arte nel passaggio in Francia di alcuni intrecci del teatro spagnolo secentesco Mittwoch, 28.09.05 La pastorale 9.00 Uhr 9.45 Uhr Daniela Sautter (Tübingen) Der Übergang von der Pastoraltradition des Cinquecento zum venezianischen Opernlibretto im Seicento Andrea Grewe (Osnabrück) Nel regno di Silvia. La presenza del dramma pastorale italiano nel teatro comico francese tra Seie Settecento 237 Donnerstag, 29.09.05 Tragedia – sperimentalismo 9.00 Uhr Birgit Neff (Stuttgart) Giovan Battista Giraldi Cinzio und sein Beitrag zur italienischen Tragödie des 16. Jahrhunderts - in Theorie und Praxis 9.45 Uhr Rolf Lohse (Göttingen) Lo sperimentalismo nel dramma del Cinquecento Abstracts Rudolf Behrens (Bochum) Zum Verhältnis von Bühnenarchitektur, Handlung, Komik und räumlicher Sinndimension (Abstract lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.) Esther Schomacher (Bochum) Spiel-Raum Haus. Die Aneignung des häuslichen Raumes und die Subversion sozialer Codes in ausgewählten Komödien des 16. Jahrhunderts. Eine ganze Reihe von Komödien des 16. Jahrhunderts stellt das bürgerliche Haus in das Zentrum einer spatial sich auffächernden Handlung. Die von Beginn an räumlich determinierten Intrigen mancher dieser Komödien zielen z.B. darauf ab, die gattungstypischen Liebeshändel durch das Einschleusen des jugendlichen Liebhabers in das Haus des Vaters der begehrten jungen Frau glücklich aufzulösen. Dies impliziert eine Aneignung der mit einer spezifischen Semantik versehenen Räumlichkeit des Hauses, die wiederum die Richtung der komödiantischen Handlungsdynamik vorgibt (dieser Grundstruktur folgen z.B. Ariosts I Suppositi; Oddis L’Erofilomachia, Della Portas La Fantesca u.a.). Zum einen subvertieren nämlich das verdeckte Einschleichen und die heim238 lichen Annäherungsversuche – immer räumlich als Versuche des Zutritts inszeniert – innerhalb des Hauses dessen soziale Ordnung und sind doch stets dem Risiko des Entdecktwerdens ausgesetzt. Zum anderen steht das Haus in regem Austausch mit dem Außen der umgebenden Stadt, die in diesen Komödien vornehmlich als Kontingenzen und damit Störfaktoren produzierender Raum in Erscheinung tritt, und dies ironischerweise im Gegensatz zu der in der Bühnenarchitektur immer stillschweigend mitgeführten Konzeption der ‚città ideale’. Der Raum des Hauses erweist sich damit als hochsensibles Terrain: Er unterliegt einer massiven Kontrolle und Überwachung und eröffnet zugleich gerade durch die komplexe soziale Struktur des Casato und die räumliche Binnendifferenzierung Möglichkeiten, diese Kontrolle zu unterlaufen. Im Haus überblenden sich dabei räumliche Position und soziale Funktion: Die Aneignung des Raumes zielt letztlich auf die Aneignung einer sozialen Funktion. Umgekehrt verläuft das Ausfüllen einer solchen Funktion auch immer über das “Ausfüllen” von Räumen. Eben dies macht den häuslichen Raum anfällig für vielfältige Manipulationen, die sich den Figuren als Stimulantien für ihr Spiel geradezu aufdrängen. Dieser Zusammenhang zwischen spatialer und sozialer Aneignung soll im Vortrag erstens vor dem Hintergrund der im 16. Jahrhundert florierenden, das Haus betreffende Traktatliteratur (Architekturtraktatistik, Hausväterliteratur, Ökonomik), erläutert werden. Dabei sind insbesondere die Korrespondenzen in den Blick zu nehmen, die sich zwischen Traktatistik und Komödie im Hinblick auf zentrale Themenkomplexe, wie die Rolle des Hausvaters, den sozialen Code der Ehre und den Bereich der Ökonomik, ergeben. Des Weiteren soll dieser Zusammenhang in seinen Auswirkungen auf die Rezeption der Komödie im höfischen Kontext dargestellt werden. Hier wird es um die Erweiterung von Spannungs- und Differenzerfahrungen gehen, die sich aus dem Umstand ergeben, dass 239 für ein höfisches Publikum Verhaltensideale und deren Durchbrechung auf ein genuin bürgerliches Milieu projiziert werden. Im Mitlesen der als ideal konzipierten Funktionen des Hauses und der sozialen Rollen seiner Bewohner in der Traktatliteratur als ideologischem sottofondo der Komödien wird sich erweisen, dass gerade der diskursiv überdeterminierte Raum des Hauses sich dazu eignet, ständisch definierte Rollen, Verhaltenskodices und Erwartungen im Spiel unterschiedlich zu perspektivieren und somit in ihrer Geltungskraft zu suspendieren. Das Haus wird so als zweiter, potenzierter Spiel-Raum innerhalb des Stückes und damit als Protoform des “Theaters im Theater” funktionalisiert. Eva Erdmann (Erfurt) Komik und Bewegung im Theater des 17. Jahrhunderts Der Beitrag will die Entwicklung der Komik als szenisches Element im klassischen Theater des 17. Jahrhunderts nachvollziehen und ihre europäischen Ressourcen rekonstruieren. Komik wird dabei als ein unterhaltsam belustigender Effekt verstanden, der auf solchen Darstellungen des Körpers im Bühnenraum fußt, die von bekannten Körperformen und Bewegungen abweichen und dadurch innovative Momente in das klassische Theater einbringen. Der Import fremder Theaterformen nach Frankreich – wie beispielsweise der italienischen – scheint bereits ausreichenden Stoff für die Produktion von „Komischem“ abzugeben. Hervorgehoben werden soll in diesem Beitrag auch die Differenz von einem burlesken, komischen Körper, der einem Publikum zum Zweck des Verlachens vorgeführt wurde, und einer Körperkomik oder einem Körperwitz, der zur Performanz eines selbständig agierenden Subjekts gehört, um mit körperlicher Geistesgegenwart in Bühnenhandlungen einzugreifen. Es soll gezeigt werden, dass die klassische Komik sich gattungsübergreifend in die verschiedenen Theaterformen einfügt. Daher liefert die Komödie Molières ebenso Beispiele dieser neuen Komik wie Le Cid, Modell der tragischen 240 Form, wenn sich dort die Infantin und der König Don Fernando als Dramaturgen aufführen, die das Schauspiel des Widerstreits von Liebe und Ehre zwischen Chimène und Don Rodrigo mit körperlichen Mitteln lenken. Tatiana Bisanti (Saarbrücken) Gli Ingannati (1531): plurilinguismo teatrale e ricezione europea Gli Ingannati (1531), opera composta a più mani nell’ambito dell’Accademia degli Intronati di Siena, è fra le commedie italiane del Cinquecento una di quelle che vanta la più grande popolarità e la più vasta ricezione in ambito europeo. Tradotta in francese da Charles Estienne (Les Abusez, 1543), recepita in Spagna, dove vedono la luce la traduzione latina di Juan Pérez (Decepti) e quella spagnola di Lope de Rueda (Los Engañados 1567), riscritta in latino e messa in scena a Cambridge (Laelia, 1547), sarà infine rielaborata dallo stesso Shakespeare in The Twelfth Night (1600-1601). Nel testo de Gli Ingannati si ritrovano costellati qua e là esempi singolari del plurilinguismo teatrale cinquecentesco, affidati in particolare al personaggio del pedante, topos caricaturale ormai fissato che nel proprio enunciato alterna e contamina latino e italiano, e alla figura dello spagnolo Giglio, dove il pastiche linguistico assolve ad una funzione non solo comico-caricaturale, ma anche contestualizzante e polemica, a parziale smentita di quel distacco dagli eventi storico-politici eletto a criterio programmatico dagli Intronati. L’intervento sarà dedicato innanzitutto all’analisi e alla valutazione dei suddetti fenomeni di plurilinguismo, ma anche alla loro contestualizzazione in ambito italiano e al raffronto con le successive riscritture in ambiente europeo. 241 Piero Trifone (Siena/Roma) Questione della lingua e teatro nel Cinquecento Il teatro moderno nasce nei primi anni del Cinquecento dall’innesto della novellistica boccacciana sul tronco della tradizione classica (Plauto e Terenzio in primis), e si sviluppa all’interno delle corti delle grandi città rinascimentali, da Roma a Firenze, da Ferrara ad Urbino, da Mantova a Venezia, con l’intervento di autori quali Ariosto, Machiavelli, Castiglione, Caro, Gelli, Aretino, Varchi, la cui attività è strettamente legata alle discussioni contemporanee intorno ai codici letterari, linguistici e comportamentali. Riflessi diretti di tali dispute si hanno significativamente nelle stesse commedie cinquecentesche, ad esempio nella Vedova di Cini, dove il napoletano Cola Francesco e il fiorentino Sennuccio si fronteggiano proprio sul terreno della ”questione della lingua”. Il primo, con la vanagloria caratteristica dei personaggi partenopei, afferma che i non fiorentini conoscono la lingua italiana meglio dei fiorentini: « Et sai perché? / Perché nui autri havimmo lo Boccaccio / et lo Petrarca per mastri: ma vui / havite o le notriccie o le fantesche, o altra simil sorte di persone / ignorante». Come si vede, il personaggio napoletano segue i dettami delle Prose della volgar lingua di Pietro Bembo solo nelle enunciazioni teoriche, non nella prassi linguistica, e presta il fianco con i suoi marcati dialettalismi a facili ironie da parte dell’antagonista fiorentino. Oltre che attraverso gli echi del dibattito cinquecentesco presenti all’interno di alcune opere, il complesso e per tanti aspetti problematico rapporto tra questione della lingua e genere teatrale si esprime attraverso il tipo di considerazione riservata alla drammaturgia nei trattati linguistici, attraverso l’atteggiamento delle grammatiche e dei dizionari (fino al Vocabolario della Crusca) nei confronti dei testi comici, attraverso i pressoché inevitabili compromessi tra gli orientamenti teorici professati e le soluzioni pratiche escogitate dagli uomini di teatro. L’esame delle opere teatrali scritte dai partecipanti alle discussioni sulla lingua, in particolare, consente di 242 verificare fino a che punto le scelte espressive corrispondono alle affermazioni di principio. Marco Gargiulo (Siena) Il Granchio e La Spina. La lingua di Lionardo Salviati a teatro Leonardo Salviati occupa un posto di rilievo nelle discussioni attorno alla questione della lingua del secondo Cinquecento, vestendo i panni del conciliatore e di colui nel quale confluiranno le diverse riflessioni sviluppatesi nel corso di un secolo di dibattiti. Fondamentale sarà infatti, come è noto, la sua impronta negli sviluppi successivi delle teorizzazioni e delle scelte che porteranno alla nascita del Vocabolario della Crusca e agli orientamenti del canone linguistico dei secoli successivi. In questo lavoro vogliamo occuparci della sua produzione teatrale - due commedie, la prima, intitolata Il Granchio, del 1566 e ambientata a Firenze la seconda, intitolata La Spina, del 1592 e ambientata a Genova - dando particolare rilievo alle caratteristiche della lingua del Salviati per il teatro. Ludger Scherer (Bonn) Niccolò Machiavellis Komödien und ihre Rezeption in Spanien Machiavellis Theater steht, auch was seine Rezeption in der Literaturwissenschaft angeht, ganz im Schatten der politischen Schriften, insbesondere des berühmt-berüchtigten Principe. Vorliegende Studien beziehen sich primär auf Quellenfragen, eine mögliche Wirkungsgeschichte der Komödien Andria, La Mandragola und Clizia wird kaum untersucht. Der Vortrag skizziert zunächst Machiavellis an Terenz orientierte Komödientheorie und geht dann der Frage nach, ob sich in Spanien, besonders im Siglo de Oro, eine Rezeption dieser Theorie (und Praxis) nachweisen läßt, oder ob, wie so oft, die Kontroverse um den Principe die Wahrnehmung Machiavellis dominiert. Ansatz243 punkte liefern u.a. Lope de Vegas El mejor maestro, el tiempo (1615), El villano en su rincón (1617) und Fuenteovejuna (1619). Daniela Dalla Valle (Torino) La presenza del teatro di Torquato Tasso nella cultura francese cinquesecentesca. Vion d’Alibray. Mi riprometto di analizzare il successo – estremamente ampio – dell’Aminta nel teatro francese della fine del Cinquecento e soprattutto del Seicento: traduzioni, imitazioni, influenza sul genere pastorale francese; e mi soffermerò poi sull’incrocio fra l’Aminta e il Pastor Fido, con la ripresa particolarmente forte del testo guariniano. Inoltre sposterò l’attenzione sulla presenza – molto più limitata – del Torrismondo. Entrambe le opere tassiane sono state tradotte in francese da Vion d’Alibray, personaggio interessante e simbolico di un particolare momento del teatro francese, ed è su queste traduzioni – o piuttosto ”interpretazioni” dei due testi tassiani – che si concluderà la mia comunicazione. Laura Rescia (Trento) Il Candelaio (1582) di Giordano Bruno nelle traduzioni francesi di primo ‘600: ricezione del testo e strategie traduttive Il Candelaio, la prima commedia di Giordano Bruno, fu completata e pubblicata a Parigi nel 1582. Pur non venendo forse mai rappresentata, quest’opera conobbe sicura diffusione in Francia nella prima metà del XVII secolo, in modo particolare nell’ambiente del libertinage érudit, e grazie al contributo di almeno due traduzioni anonime. Della prima si conserva un manoscritto presso la Biblioteca Nazionale di Parigi, testimone che viene fatto risalire ai primi anni del 244 XVII secolo; la seconda viene invece pubblicata nel 1633 con il titolo di Boniface et le Pédant. La questione della lingua è un nodo centrale dell’intera filosofia nolana, ma è nel Candelaio che Bruno manifesta piena consapevolezza della presenza nella lingua di registri diversi, un particolare gusto per la dimensione ludica della parola, e un sicuro utilizzo della potenza della parola, posta al servizio di un’ideologia destinata a fecondare la cultura francese della seconda parte del XVII secolo. Il nostro studio intende dunque indagare come questa centralità linguistica sia stata colta e restituita nelle traduzioni francesi della pièce. Intendiamo consacrare un’attenzione particolare al lessico e alla fraseologia del testo di partenza e di arrivo, comparando e ipotizzando relazioni tra queste traduzioni e gli strumenti lessicografici (monolingui, bilingui e plurilingui) che si stavano costruendo in quegli anni in Francia. La nostra indagine ci permetterà di ricavare elementi di riflessione e indizi sulle motivazioni di tali trasposizioni, nonché sul grado di penetrazione dei testi teatrali italiani nella cultura francese, intesa anche nella sua nascente normatività linguistica. Günter Berger (Bayreuth) Ruzante in Deutschland / Ruzante in Germania Die “Wiederentdeckung” Ruzantes in Italien nach dem 2. Weltkrieg hat in Deutschland bis heute ein vergleichsweise geringes Echo gefunden. Dies gilt für praktisch alle Ebenen und Instanzen der Rezeption: Übersetzungen, Aufführungen, Bearbeitungen, Literaturkritik und Literaturwissenschaft. Selbst die Begeisterung eines Dario Fo, über die Henning Klüver jüngst in Zibaldone (1999) berichtete, hat dem Paduaner hierzulande nicht zu größerer Popularität verholfen. Es wird zu fragen sein, ob Spezifika der frühen deutschen Rezeption wie die Übersetzungen des Parlamento (1961) und des Bilora (1968) von Heinz Riedt in ein altertümelndes bäurisch angehauchtes 245 Dialektdeutsch oder die Fusion der Piovana und des Parlamento zu einer 1967 in Halle aufgeführten “Volkskomödie” durch Armin Stolper nicht Ausdruck eines besonderen (Miss-)Verständnisses sind, das seinerseits eine nachhaltige Rezeption Ruzantes in Deutschland eher behindert hat. Lada Cale Feldman (Zagabria) L’autore croato Marino Darsa e l’autocoscienza teatrale nel cinquecento L’influsso del teatro italiano cinquecentesco sulla scena teatrale ragusea dell’epoca, sopratutto nell’opera del suo autore più noto, Marino Darsa (1508-1567), ex-rettore studentesco dell’università di Siena, è stata ampiamente discussa. Tuttavia, la ricerca di parallelismi tra la ricca produzione drammaturgica italiana e gli spunti che ne derivava Darsa non includeva l’interesse per lo sviluppo di un procedimento destinato a diventare uno dei segni più marcati della modernità teatrale inaugurata dal teatro cinque- e seicentesco: il teatro nel teatro. Tale procedimento, già presente nell’opera di Darsa nelle sue diverse proto-manifestazioni, ma pienamente canonizzato un mezzo secolo dopo nel stranoto esempio shakespeareiano dell ”Assassinio di Gonzaga” inserito nella tragedia Amleto, consiste di uno sdoppiamento ontologico dello spazio teatrale volto a esplorare le funzioni e i limiti estetici e politici della finzione. Il ricorso darsiano a tale strategia drammaturgica è rudimentale e sperimentale ma coerente, sostenuto dai vari altri riferimenti allo sdoppiamento dell’identità, alla duplicità morale e duplicità artistica, come prova di un alto livello dell’autocoscienza dell’autore per quanto riguarda il posto del teatro come pratica estetica e come metafora dell’esistenza, sia nel mondo in generale che in un microcosmo civile del Rinascimento quale Dubrovnik, la cui vita sociale era profondamente teatralizzata in se stessa. La mia indagine verterà sugli eventuali contributi della drammaturgia italiana in questo riguardo, nell’intento di spiegare come e perchè il teatro di Darsa riuscisse a superare i limiti imposti dalla commedia umanistica Italiana, pro246 prio come lo avrebbe fatto Shakespeare nelle sue commedie dotate di dimensioni metateatrali. Monica Pavesio (Torino) L’intermediazione della commedia dell’arte nel passaggio in Francia di alcuni intrecci del teatrospagnolo secentesco Analizzando le fonti di alcune delle numerose imitazioni del teatro spagnolo del Siglo de Oro, che invasero la Francia nel ventennio compreso fra il 1640 ed il 1660, emerge con chiarezza come negli intrecci e nel comportamento dei personaggi comici di queste pièces francesi siano talvolta facilmente individuabili elementi riconducibili ai canovacci della commedia dell’arte composti in Italia ad imitazione delle comedias spagnole e successivamente esportati in Francia e messi in scena a Parigi dalla troupe dell’Ancien Théâtre Italien. Per illustrare questo fenomeno abbastanza diffuso, anche se ancora poco conosciuto, ci serviremo di alcune opere teatrali francesi – due commedie di Thomas Corneille, Les engagements du hazard del 1656 e Dom César de Avalos del 1674, ed una tragicommedia di Philippe Quinault, Les coups de l’amour et de la fortune del 1655- e cercheremo di evidenziare, mediate la collazione con le opere spagnole dalle quali derivano – due comedias di Calderón, una di Montalbán e due di Moreto-, gli elementi estranei che possono essere riconducibili ad alcuni canovacci della commedia dell’arte da noi individuati nelle collezioni italiane e francesi. Daniela Sautter (Tübingen) Der Übergang von der Pastoraltradition des Cinquecento zum venezianischen Opernlibretto im Seicento Der Vortrag beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Übergang von der Pastoraltradition des Cinquecento zum venezianischen Opernlibretto im Seicento. Gemeinsame Elemente der von Guarini im 247 Verrato (1588) und im dazugehörigen Compendio (1600) formulierten Poetik zur pastoralen Tragikomödie sollen am Beispiel der Pastoraldramen Aminta (1573) und Pastor fido (1583) im Vergleich zur Oper La finta pazza (1641) von Giulio Strozzi und anderen betrachtet werden und auf dem Bruch der decorum-Norm im Sei cento beruhende Variationen in der Oper aufgezeigt werden. Das in der Forschung bislang wenig aufgearbeitete innamoramento per pietàElement der Pastoraltradition soll vorgestellt und seine Variation in der Finta pazza gezeigt werden. Ein weiterer Punkt der Untersuchung ist ein Vergleich der Aufführungspraxis der Renaissancetheatertradition mit derjenigen der Oper in Venedig. Hinzu kommen die Einflüsse der Canzonetten- und Madrigaldichtung des Cinque cento, die im Falle der Finta pazza auf metrischer Ebene aufgezeigt werden sollen. Dieser Beitrag will versuchen, der Forschung der romanistischen Literaturwissenschaft in einer textnahen Analyse der genannten Werke und der Aufführungspraxis weiterführende Perspektiven hinsichtlich der im 17. Jahrhundert nicht explizit formulierten Poetik des Opernlibrettos aufzuzeigen. Andrea Grewe (Osnabrück) Nel regno di Silvia. La presenza del dramma pastorale italiano nel teatro comico francese tra Sei- e Settecento Il dramma pastorale, nato alla corte ferrarese del Cinquecento, conosce un enorme successo in tutta l’Europa. Soprattutto la corte di Francia, che sin dai primi decenni del secolo guarda in direzione dell’Italia, s’interessa subito alla nuova creazione teatrale. Così la prima traduzione dell’Aminta è dedicata ad Enrico IV, un’altra alla sua prima moglie, Marguerite de Valois. I comici dell’arte, tra cui la compagnia dei Gelosi con la famosa attrice Isabella Andreini, interprete del ruolo dell’Aminta nella prima rappresentazione ferrarese, contribuiscono a far conoscere il nuovo genere teatrale che dopo poco viene accolto e adattato anche dagli scrittori francesi 248 come Racan e Mairet che creano i primi drammi pastorali francesi negli anni Venti del Seicento. I motivi di questo successo sono molteplici, come ha dimostrato la critica che ha sottolineato di volta in volta il carattere utopico dell’Arcadia teatrale, la sua carica anticortigiana o l’impatto poetologico del genere. Nel mio intervento vorrei mettere a fuoco ancora un altro aspetto, cioè quello del rapporto tra i sessi che costituisce uno degli argomenti più discussi agli inizi dell’Età Moderna. Vista nel contesto della cosiddetta Querelle des Femmes, la relazione tra la ninfa ribelle all’amore e il pastore dolce e ubbediente, pronto a sacrificarsi per la donna amata, rappresenta un nuovo modello del rapporto tra donna e uomo, destinato a rispondere alle attese di un pubblico di corte in cui la parte femminile e la sua importanza stavano aumentando. L’influsso del ‘terzo genere’ italiano non si limita però al solo dramma pastorale francese. Ancora più importante è forse il fatto che la creazione di una nuova commedia francese alla fine degli anni Venti da parte di Pierre Corneille si debba ugualmente al suo modello. Nel mio intervento cercherò dunque di far vedere come il problema del rapporto tra i sessi, discusso in modo nuovo nel dramma pastorale, s’inserisca adesso nella commedia per diventarne uno dei temi principali che caratterizzerà ancora il teatro ‘italiano’ del Marivaux nella prima metà del Settecento. Birgit Neff (Stuttgart) Giovan Battista Giraldi Cinzio und sein Beitrag zur italienischen Tragödie des 16. Jahrhunderts - in Theorie und Praxis Giovan Battista Giraldi Cinzio (1504-1573) prägte die Entwicklung der volkssprachlichen Tragödie im Italien des 16. Jahrhunderts entscheidend und dies nicht nur durch die Niederschrift von neun Tragödien, die teilweise auch unter seiner Leitung aufgeführt wurden, sondern insbesondere auch durch eine aktive und intensive Beteiligung an den poetologischen Diskussionen seiner Zeit. 249 Durch die Auslegung der erst am Übergang zum 16. Jahrhundert wieder entdeckten und in der Folge kontrovers interpretierten Poetik des Aristoteles, der Ars poetica des Horaz und anhand der Rezeption der überlieferten griechischen und römischen Tragödien erstellt Giraldi Cinzio ein eigenes Tragödienkonzept, das er dann in seinen Texten und Aufführungen umzusetzen versucht. Hierbei spielt außerdem die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Autoren und Dichtungstheoretikern eine wichtige Rolle, von deren Ansichten er sich teilweise in polemischer Weise distanziert. Ein zentrales Argument der sowohl theoretischen als auch praktischen Überlegungen des Ferrareser Gelehrten ist die Frage nach der Realisierung der Stücke auf der Bühne und ihre daraus resultierende Wirkung auf die Zuschauer, an deren Geschmack er sich orientiert. Der Erfolg beim Publikum als Qualitätsmerkmal führt zu neuen Argumentationslinien und Konzeptionen. So entwirft Giraldi Cinzio die Tragödie “di lieto fine” unter anderem als Zugeständnis an den Publikumsgeschmack und zeichnet damit den Weg zu einer neuen Gattung, der Tragikomödie, vor. Im Vortrag soll einen Blick auf diese wirkungsästhetisch orientierten theoretischen Überlegungen Giraldi Cinzios geworfen werden – sowohl im Hinblick auf ihre Bedeutung und Stellung innerhalb der Rezeption der antiken Poetiken als auch hinsichtlich ihres Einflusses auf die Tragödienproduktion und Aufführungspraxis des Autors. Außerdem kann gegebenenfalls in einem Ausblick geklärt werden, inwiefern dies Einfluss auf die weitere Entwicklung der italienischen Tragödie auch des 17. Jahrhunderts genommen hat. Rolf Lohse (Göttingen) Lo sperimentalismo nel dramma del Cinque Il teatro italiano del Cinquecento è stato un teatro sperimentale che dava importanti e decisivi impulsi al teatro moderno europeo riguardo ai generi, alla scelta della materia, alla forma del testo dram250 matico, all’allestimento, alla tecnica della scena, alla costruzione dei teatri, alla professionalizazzione dei attori e all’organizazzione del teatro come istituzione determinata del contesto rappresentativo. L’intervento cerca di considerare momenti importanti dell’evoluzione del dramma e delle forme specifiche di questo nuovo teatro riguardo all’apetto della sperimentazione estetica. L’intervento presenta i primi risultati di una ricerca più vasta sui condizioni sotto i quali il teatro moderno sviluppa la sua ricchezza di generi in Italia nel Cinquecento. Das experimentelle italienische Theater des 16. Jahrhunderts Das italienische Theater des 16. Jahrhunderts – ein in vieler Hinsicht experimentierendes Theater – gibt entscheidende Anstöße für die Herausbildung des modernen europäischen Theaters der kommenden Jahrhunderte. Diese experimentellen Impulse betreffen die Gattungen, die Stoffauswahl, die Gestaltung des dramatischen Texts, die Aufführungstechnik, den Theater- und Bühnenbau, die zunehmende Professionalisierung der Schauspieler und generelle Organisationsform des Theaters als Institution, die durch die Einbindung in einen repräsentativen Kontext bestimmt ist. In dem Beitrag kommen ausgewählte Momente der Entwicklung des Dramas, der dramatische Formensprache und der Institution Theater im italienischen 16. Jahrhundert unter dem Gesichtspunkt des ästhetischen Experimentierens zur Darstellung. In dem Beitrag werden erste Ergebnisse einer breiter angelegten Studie präsentiert, die der Frage gilt: Wie und unter welchen Bedingungen entsteht das neuzeitliche Theater und die dramatische Gattungsvielfalt in Italien? 251 Sektion 13 Lateinische Dichtung und volkssprachliche Traditionen von der Renaissance bis zum Neoklassizismus Leitung: Marc Föcking (Hamburg) / Gernot M. Müller (Augsburg) Programm Montag, 26.09.05 Institutionelle und sprachliche Voraussetzungen 8.30 Uhr Begrüßung und Einführung 9.00 Uhr Ulrich Eigler (Zürich) Humanismus als Netzwerk: Erasmus und seine Freunde 9.45 Uhr Beate Czapla (Bonn) Latein oder Volgare. Zu den Kriterien der Sprachenwahl bilingualer Dichterphilologen des Quattro- und beginnenden Cinquecento Lateinische Genera und volkssprachliche Lyrik 11.00 Uhr Gernot Michael Müller (Augsburg) Die Xandra des Cristoforo Landino im Span- nungsfeld von antiken und volkssprachlichen Dichtungsmodellen 14.00 Uhr Gregor Vogt-Spira (Greifswald) Basia. Kußdichtung des 15. und 16. Jahrhunderts im Spannungsfeld von lateinischer und volks- sprachlicher Tradition 14.45 Uhr Ulrike Schneider (Berlin) Volkssprachliche Transformationen der Heroides in der italienischen Renaissance 16.00 Uhr Stefanie Stockhorst (Augsburg) Eklogenprobleme im Barock. Zur deutschspra- chigen Rezeption von antikem Gattungsmodell 252 und romanischen Mustertexten am Beispiel von Oswald Belings ‚Verdeutscheten Waldliedern‘ 16.45 Uhr Solveig Malatrait (Hamburg) ‚Lire dans la vie.‘ Die metadiskursive Inszenierung der Verssatire Mathurin Regniers gegen die latei nische satura. Volkssprachliche Lyrik und lateinische Prätexte 17.30 Uhr Florian Neumann (München) Francesco Petrarca und die Traditionen der italienischen Lyrik Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr Marc Föcking (Hamburg) Ariadnes Karneval. Zur Transformation antiker Subtext in Lorenzo de’ Medicis Canzona di Bacco 9.45 Uhr Florian Mehltretter (Köln) Modelle des guten Lebens. Boiardos Amorum libri zwischen Petrarkismus und Antikebezug 14.00 Uhr Tobias Leuker (Augsburg): Formen der Auseinandersetzung mit lateinischer Dichtung in den beiden ersten Generationen des spanischen Petrarkismus 14.45 Uhr Jörg Robert (München/Würzburg) Deutsch-französische Dornen: Paul Melissus Schede und die Pluralisierung der späthumanistischen Poetik zwischen Latinität und Volkssprache(n) Interferenzen lateinischer und volkssprachlicher Epik 16.00 Uhr Reinhard Krüger (Stuttgart) Lateinisches Modell und nationalsprachliche Epik in der Romania der Renaissance 16.45 Uhr Thorsten Burkard (München) Romanzo und Epos in italienischen Dichtungslehren des Secondo Cinquecento vor dem Hinter253 grund antiker und neulateinischer Theorien Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Christian Rivoletti (Konstanz) Wahrheit, Dichtung und politische Macht: Vergil, Dante und die Lügen der epischen Tradition im Orlando Furioso Florian Schaffenrath (Innsbruck) Ubertino Carrara und Tommaso Stigliani. Lateinische und italienische Columbus-Epik im Vergleich Abstracts Ulrich Eigler (Zürich) Humanismus als Netzwerk: Erasmus und seine Freunde Das Schicksal des Erasmus war zwiespältig. Der Berühmtheit zu Lebzeiten steht Geringschätzung, ja Verurteilung nach seinem Tode gegenüber. Auch heute noch erhält Erasmus nicht den Ruhm, der ihm gebührt. Eine Erklärung für dieses Missverhältnis liegt in den verschiedenen Netzwerken, die einerseits den Aufstieg des Erasmus garantierten, andererseits gerade das Gegenteil zuließen. Erasmus wird begreifbar als Mediengestalt, die seiner publizistischen Präsenz seine Existenz verdankt, mit der Veränderung aber der medialen Bedingungen der ursprünglichen Stützungsmechanismen verlustig geht. Der Vortrag ist der Beschreibung dieses Netzwerks gewidmet und begreift dieses als neuartiges System, das an die Stelle mittelalterlicher Formen getreten ist. 254 Beate Czapla (Bonn) Latein oder Volgare. Zu den Kriterien der Sprachenwahl bilingualer Dichterphilologen des Quattro- und beginnenden Cinquecento Ausgehend von Analogien und Diskrepanzen zwischen den Dichterphilologen des Hellenismus und der italienischen Renaissance sollen für die letzteren zunächst mögliche Kriterien der Entscheidung für das Lateinische oder die Volkssprache, wie sie in der Literaturwissenschaft vertreten werden, theoretisch diskutiert werden. In einem zweiten Teil werden zwei kürzere Dichtungen des Neapolitaners Jacopo Sannazaro vorgestellt werden (Farsa di Venere che cerca il figliuolo amore; Epigramm 2,59: De amore fugitivo), die Adaptationen ein und derselben im 15. und 16. Jahrhundert sehr beliebten hellenistischen Vorlage darstellen, von denen aber die eine im Volgare und in der Tradition der volkssprachlichen Literatur, die andere auf Latein und in antiker Form-Tradition verfasst ist. Hierbei soll der Versuch unternommen werden, sowohl die Kriterien der Sprachenwahl am konkreten Fall plausibel zu machen, als auch die grundsätzliche Einheit von lateinischem und volkssprachlichem Werk desselben Dichters aufzuzeigen. Gernot Michael Müller (Augsburg) Die Elegiendichtungen des Cristoforo Landino im Spannungsfeld von anti ken und volkssprachlichen Dichtungsmodellen Der seit 1443/44 entstandene und bis in die 70er Jahre des 15. Jahrhunderts immer wieder ergänzte Elegienzyklus des Cristoforo Landino, der nach der in ihm besungenen Geliebten Xandra betitelt ist, gehört zu den frühesten Beispielen lateinischer Liebesdichtung der italienischen Renaissance und eignet sich daher in besonderem Maße, die Konstitutionsbedingungen neulateinischer Liebeslyrik in Italien zu hinterfragen. Die exemplarische Analyse zentraler Gedichte des in der Forschung bislang kaum beachteten Xandra-Zyklus wird dabei eine eklektisch-plurale Poetik zutage fördern, die 255 sich nicht nur durch die Orientierung an verschiedenen (antiken) Formtypen, sondern vor allen Dingen durch die Engführung von Diskurselementen lateinischer wie volkssprachlicher Liebesdichtung auszeichnet. Der Xandra-Zyklus Landinos wird somit zum Paradigma für die komplexe Genese der neulateinischen Elegie im italienischen Quattrocento, die sich weder formal noch inhaltlich allein durch den Rückgriff auf die römische Liebeselegie erklären lässt, sondern vor dem Hintergrund einer ganzen Reihe von lateinischen und volkssprachlichen Modellen vollzieht. Der Aufweis, dass Landinos Liebeskonzept dabei vor allem auf dem Canzoniere Petrarcas beruht, ist ein Hauptziel des hiermit skizzierten Vortrags. Gregor Vogt-Spira (Greifswald) Basia. Kussdichtung des 15. und 16. Jahrhunderts im Spannungsfeld von lateinischer und volkssprachlicher Tradition Kussdichtung stellt ein instruktives Beispiel für die wechselseitige Verknüpfung von lateinischer und volkssprachlicher Tradition in der frühen Neuzeit dar. Eine zentrale Spielart catullischen Dichtens, gewinnt sie an Komplexität dadurch, dass es sich bei der lateinischen um antike wie zeitgenössische Tradition handelt. Diese Physiognomie scheint in einer gewissen Spannung zur zeitgenössischen Leitdoktrin der Textproduktion zu stehen und dies hat die Perspektive in der Tat lange bestimmt. Indes ist dabei der historisch spezifische Textbegriff, der sich in manchen Zügen von dem nach dem linguistic turn geläufig gewordenen unterscheidet, zu berücksichtigen. Der Beitrag wird zunächst konzeptionelle Grundlinien auch vergleichend ausziehen und dann das Phänomen an einigen ausgewählten Beispielen demonstrieren. 256 Ulrike Schneider (Berlin) Volkssprachliche Transformationen der Heroides in der italienischen Renaissance Eine Vielzahl von Handschriften und Kommentaren belegt die breite Rezeption der Heroides im ausgehenden 15. und 16. Jahrhundert in Italien. Im Anschluss an die Heroidendichtung Ovids entstanden zunehmend auch eigenständige Dichtungen, zunächst im Kontext des lateinischen Humanismus, dann aber auch in der volkssprachlichen Literatur. Dabei lässt sich ein breites Spektrum von Transformationen identifizieren, das von der umfangreichen Sammlung der Pístole des Luca Pulci (1481 gedruckt) über die drei Bücher De amore coniugali (1505) des Pontano bis hin zum Grenzphänomen einer Verbindung von Elegie und Petrarkismus – etwa bei Vittoria Colonna und Berardino Rota – reicht. Insofern mit den Heroides ein Modell weiblicher elegischer Rede aus männlicher Feder vorlag, das im 16. Jahrhundert in Konkurrenz zum petrarkistischen Modell trat, dessen Sprecherrolle primär männlich kodiert war, lassen sich am Beispiel volkssprachlicher Transformationen der Heroides ebenso jeweils unterschiedliche Funktionalisierungen weiblicher Rede wie auch Interferenzphänomene zwischen Autor- und Sprechergeschlecht fokussieren. Stefanie Stockhorst (Augsburg) Eklogenprobleme im Barock. Zur deutschsprachigen Rezeption von antikem Gattungsmodell und romanischen Mustertexten am Beispiel von Oswald Belings ‚Verdeutscheten Waldliedern‘ Die Versekloge nach dem Vorbild Vergils ist aufgrund ihrer antiken Ursprünge als einziges pastorales Genre von Anfang an im poetologischen Diskurs kanonisiert, spielt allerdings in der zeitgenössischen Dichtungspraxis nur eine marginale Rolle. Dagegen gewinnt die aus der italienischen Tradition seit Sannazaros Arcadia (1504) übernommene sog. Prosaekloge bei den Barockdichtern im257 mer größere Beliebtheit, während sie erst um die Jahrhundertmitte allmählich in den Poetiken auftaucht, die das gemischte Genus nach dem Verskriterium nur schwer zu klassifizieren wissen. Die antike Ekloge steht in den Poetiken gleichermaßen Modell für die Versund Prosavarianten der Bukolik, reicht aber als normativer Rahmen nicht mehr aus, um die neuartigen Entwicklungen zu normieren. Hinzu kommen die prinzipiellen Schwierigkeiten dabei, insbesondere die metrischen Formvorgaben im Vernakulären umzusetzen. Die barocken Eklogenprobleme lassen sich exemplarisch an Oswald Belings Übersetzung von Vergils Eklogen mit dem Titel Verdeutschete Waldlieder (1649) festmachen, die postum von Adam Olearius herausgegeben wurden. Kein geringerer als Martin Opitz habe ihn selbst, so Olearius, ermutigt, Vergil in Alexandrinern zu übersetzten, da dies leichter falle als das lateinische Metrum nachzuahmen. Aufgrund des Dreißigjährigen Krieges habe er zunächst keine Zeit dazu gefunden, und als er dann den begabteren jungen Holsteiner Oswald Beling kennenlernte, habe er das Projekt an ihn abgegeben. Vor der Drucklegung sei dieser allerdings an den Pocken verstorben, so daß er die Endredaktion übernommen habe, ohne, wie er einräumt, die Übersetzung letztlich zufriedenstellend bewältigen zu können. Solveig Malatrait (Hamburg) ‚Lire dans la vie.‘ Die metadiskursive Inszenierung der Verssatire Mathurin Regniers gegen die lateinische satura Während es bekanntlich für einen Römer schwierig war, keine Satire zu schreiben, warnt Du Bellay seine Zeitgenossen gerade vor den Gefahren satirischen Schreibens. Die Instauration der Verssatire in Frankreich etwa 60 Jahre nach dieser Warnung durch Mathurin Régniers Satires erscheint nur dann als unkritische, ja unoriginelle Übernahme der horazischen sermones, wenn sich der Vergleich auf generische Merkmale wie Inhalt und elocutio beschränkt. Die Untersuchung pragmatischer Merkmale wie Modus, Sprechhaltung 258 und implizierter Rezeptionshaltung anhand der „eng“ imitierten achten Satire, die das narrative Substrat von sermo I, 9 übernimmt, weist hingegen Régniers Verssatire als tiefgreifende Transformation des antiken Hypotextes aus. Die horazische Inszenierung des dichterischen Ichs wird in einer die Selbstinszenierung durch subversive Selbstobservation moderierenden komödienhaften mise en scène einer metadiskursiven mise en abyme unterzogen. Régniers poetisches Ich – Subjekt und Objekt des gnadenlosen Blicks – benutzt in seinem Spiel mit der Norm die Form als poetischen Signifikanten für die vermeintliche Sinnkonstitution, die, wenn sie auch keine wirkliche „ungerade“ Kommunikationsmodalität darstellt, doch der Ideologie der horazischen Satire genau entgegengesetzt zu sein scheint und so zumindest die Eigenständigkeit der neuzeitlichen Verssatire in ihrem lebensweltlichen Bezug und in ihrem Gebrauch postuliert. Florian Neumann (München) Francesco Petrarca und die Traditionen der italienischen Lyrik Francesco Petrarca (1304-1374) wird im 16. Jahrhundert zur Autorität für ein raffiniert-auskalkuliertes lyrisches Dichten und für die Normierung der italienischen Dichtungssprache. Die Lyrik, die Petrarca in seinen Rerum vulgarium fragmenta gesammelt hat, gilt seit etwa dem zweiten Viertel des Cinquecento für das lyrische Dichten im volgare als maßgebend. Im Zentrum der Kommentare, die im Zusammenhang mit Petrarcas Kanonisierung entstehen und diese entscheidend befördern, steht das dichterische Verfahren Petrarcas. Besondere Aufmerksamkeit erfährt dabei der Rückbezug auf die lateinische Dichtung des Altertums. Über Petrarca ließ (und läßt) sich daher in besonderer Weise das komplexe Verhältnis zwischen den lyrischen Traditionen der römisch-lateinischen Antike und des volgare erörtern 259 Marc Föcking (Hamburg) Ariadnes Karneval. Zur Transformation antiker Subtexte in Lorenzo de‘ Medicis „Canzona di Bacco“ Kaum ein Text hat in der Geschichte seiner Rezeption so konträre Deutungen hervorgebracht wie Lorenzos Canzona di Bacco, die noch für Jakob Burckhardt wie eine „wehmütige Ahnung der kurzen Herrlichkeit der Renaissance zu uns herübertönt“, in späteren Interpretationen aber zum kaum verhüllten Hymnus der Ficinianischen Theologia platonica geworden ist. Diese Spannung der Interpretation zwischen einem diesseitsorientierten carpe diem und dessen metaphysische Transzendierung durch eine platonisierende Hierogamie aber ist letztlich auf die Spannung zurückzuführen, die zwischen den Elementen des Textes und seiner antiken wie biblischen Subtexte (Ecclesiastes, Philostratus d.Ä., Catull, Ovid) selbst besteht und die Lorenzos neoplatonischer Synkretismus zu einem deren Pluralität gleichzeitig akzentuierenden wie auf einer höheren Ebene vereinigenden Text zusammenfügt. Es entsteht ein Text, dessen semantische und ideologische Strukturen sich unmittelbar zurückbeziehen lassen auf seine Gebrauchsfunktion im Florentiner Karneval und dessen institutionalisiertes und daher versöhntes Zusammentreffen von Diesseits und Jenseits. Florian Mehltretter (Köln) Modelle des guten Lebens. Boiardos Amorum libri zwischen Petrarkismus und Antikebezug Texte, die sich im Schnittpunkt einer Pluralität von Diskursmodellen situieren, gelten als symptomatisch für eine Konstellation der ‚Pluralisierung‘, die in neueren Konstruktionen des Renaissancebegriffs der Episteme dieser Epoche zu Grunde gelegt wird. Meist wird solche Pluralisierung entweder als Effekt eines Dezentrie- 260 rungsprozesses oder aber als inszenierte Reflexion auf die Vielheit zur Verfügung stehender Modelle aufgefasst. Anhand von Boiardos Amorum libri soll aufgezeigt werden, dass die Begegnung einer sich aus Petrarca herschreibenden Tradition mit erneuten antiken Modellen in manchen Fällen nützlicher als Syntheseversuch beschrieben werden kann – in diesem Fall im Rahmen eines Entwurfs von Lebenskunst, der zugleich an einer mythischen Zivilisationsstiftung im Rahmen des Selbstverständnisses des ferrareser Hofes Anteil hat. Tobias Leuker (Augsburg) Formen der Auseinandersetzung mit lateinischer Dichtung in den beiden ersten Generationen des spanischen Petrarkismus Der Vortrag wird zu Beginn mögliche Gründe für das geringe Aufkommen neulateinischer Lyrik in der spanischen Renaissance erörtern und die starke Neigung damaliger gelehrter Dichter zur Übersetzung antiker Poesie beleuchten. Im dritten Teil des Referats sollen poetologische Positionierungen kastilisch schreibender Lyriker gegenüber den auctores der Antike kommentiert werden, bevor der letzte Abschnitt anhand der Analyse einzelner Texte aufzeigen soll, in welchem Maße traditionell kastilische bzw. aus der italienischen Literatur entlehnte Dichtungsformen durch explizite theoretische Äußerungen oder performative Akte zu Pendants bestimmter Gattungen der lateinischen Lyrik erhoben wurden. Die in die Untersuchung einbezogenen Dichter entstammen den beiden ersten Generationen des spanischen Petrarkismus, die von Garcilaso de la Vega (1501-1536) bzw. Fernando de Herrera (1534-1597) geprägt wurden. 261 Jörg Robert (Würzburg/München) Deutsch-französische Dornen: Paul Melissus Schede und die Pluralisierung der späthumanistischen Poetik zwischen Latinität und Volkssprache(n) Der kurpfälzische Rat und Bibliothekar Paul Melissus Schede (1539-1602) zählt nicht nur zu den bedeutendsten Figuren der deutschen Literatur vor Opitz, er ist zugleich einer der prominenten Vertreter der europäischen Gelehrtenrepublik seiner Zeit. Vor allem Schedes lateinische Dichtung belegt seine persönlichen wie literarischen Kontakte zur französischen Pléiade (Ronsard, Dorat, Beze, Henri Estienne), nach England (Sidney) oder Holland (Gruter). Sie umfasst neben dem Hauptwerk, den Schediasmata (1575 bzw. 1586), die ursprünglich 36 Bücher starke, jedoch nur in Teilen erhaltene Sammlung der Acanthae bzw. Spinae (‚Dornen‘). Diese umkreisen die zunächst fiktive Geliebte Rosina/Rhodanthe, in der Schede seine vom Schicksal verheißene Gattin präfiguriert sieht – desiderum illius, quam numquam vidi. Als „Experiment mit dem Leben“ (Schäfer) wie als virtuoser Höhepunkt des deutschen „Fin-de-siècle-Humanismus“ (Kühlmann) sind die Acanthae eines der Hauptwerke des europäischen Petrarkismus. Ausgehend von einem deutschen Rosina-Lied aus dem Umkreis der Acanthae soll Schedes souveränes Spiel mit alternativen Sprach- und Diskursmodellen zwischen Latinität und Volkssprache – deutscher wie französischer –in seinem (späthumanistischen) Kontext gewürdigt werden. Im Ergebnis wird zu zeigen sein, dass Schedes Werk nicht nur einseitig und teleologisch auf einen „Übergang zur deutschen Dichtung“ (Trunz) zuläuft, sondern vielmehr als ständiger, die Sprach- und Kulturbereichen integrierender und transzendierender Austausch zu begreifen ist. In Schedes Werk bleibt die Volkssprache nur eine Option neben (gleichwerigen) anderen, die gegen Ende seines Lebens zunehmend wieder hinter die gesamteuropäische, insbesondere romanische Latinität zurücktritt. 262 Reinhard Krüger (Stuttgart) Lateinisches Modell und nationalsprachliche Epik in der Romania der Renaissance Bei Betrachtung der dichterischen Aktivitäten der Renaissance fällt auf, dass es mit einer großen Ausnahme praktisch keine der antiken Formen gibt, welche nicht auch in lateinischer Sprache im 15. oder 16. Jahrhundert zahlreich nachgebildet würde. Faktisch ausgenommen von dieser poetischen Emulation mit den Lateinern ist jedoch ds Epos. Obgleich in der Gattungshierarchie symbolisch an der Spitzenposition, wagt niemand, in lateinischer Sprache Vergil oder Lukian es gleichzutun. Stattdessen treffen wir auf ein System zahlreicher Verästelungen vergilianischer Epik, welche in die nationalen und nationalsprachlichen Epik-Konzepte einfließen. Es stellt sich im Anschluss an derartige Beobachtungen die Frage, weshalb eigentlich kein lateinisches Epos geschrieben wurde: Es scheint hierbei so zu sein, dass hier weniger kulturelle Vorbilder wie die Aeneis und die Pharsalia wirken, als vielmehr die kulturpolitischen und nationalstaatlichen Vorgaben und Bedürfnisse, welche es unmöglich machen, dass es angsichts der politischen Funktionsbestimmung des vergilianischen Epos als einem gewaltigen Enkomion auf den frühneuzeitlichen Herrscher, zu einer Renaissance der lateinischen Epik in großem Maßstab kommt. Die Abwesenheit einer so hoch bewerteten Form im Gesamt der neolateinischen Literatur scheint vor diesem Hintergrund ebenso aussagekräftig für die literaturhistorische Konfiguration zu sein wie die Präsenz anderer Formen. Thorsten Burkard (München) Romanzo und Epos in italienischen Poetiken des Secondo Cinquecento vor dem Hintergrund antiker und neulateinischer Dichtungstheorien Dem Höhepunkt der italienischen epischen Poesie im ausgehenden 16. Jahrhundert, Torquato Tassos Gerusalemme liberata, geht eine intensive Gattungsdiskussion voraus, die sich nicht nur an die 263 großen antiken Entwürfe (die aristotelische Poetik und die Ars Poetica des Horaz) anschließt, sondern auch Beziehungen zur neulateinischen Dichtungstheorie aufweist, wie sie sich etwa in Julius Caesar Scaligers bedeutender Poetik von 1561 findet. Als italienische Theoretiker der epischen Dichtung sind, neben den Kommentatoren der antiken Poetiken, zu nennen: Giambattista Giraldi Cinzio, Giambattista Pigna, Camillo Pellegrino, Antonio Minturno, vor allem aber wiederum Torquato Tasso, der mit seinen Discorsi del poema eroico von 1594 den wichtigsten Beitrag zu dieser literaturtheoretischen Auseinandersetzung und zugleich in gewisser Hinsicht ihren Abschluss lieferte. Im Rahmen der Modernisierung der literarischen Gattungen in der Renaissance ist hierbei vor allem von Interesse, inwieweit die alte Gattung des Epos neu definiert und vom zeitgenössischen Romanzo abgegrenzt wird, inwieweit die italienischen Theoretiker einerseits Gedanken aus der antiken und neulateinischen Epostheorie aufnehmen, andererseits aber ihre poetologischen Vorstellungen aus einer Analyse der antiken Epen beziehen und inwieweit sich signifikante Unterschiede zwischen neulateinischer (eher traditioneller?) und italienischer (eher fortschrittlicher?) Poetologie erkennen lassen. Christian Rivoletti (Konstanz) Wahrheit, Dichtung und politische Macht: Vergil, Dante und die Lügen der epischen Tradition im Orlando furioso «Non fu sì santo né benigno Augusto / come la tuba di Virgilio suona»: In einer der bekanntesten Episoden seines Epos bringt Ariost eine (nur scheinbar) scherzhafte Anklage gegen die gesamte epische Tradition und ihre „Verknechtung“ durch die politische Macht vor. Neben anderen habe auch Vergil die historische Wahrheit verfälscht und Äneas sowie Augustus gepriesen, um den Wünschen seines Kaisers nachzukommen. In der Forschung wurde diese Passage aufgrund ihres paradoxen und rätselhaften Charakters oft vom übrigen Text getrennt betrachtet: Somit blieb aber 264 bislang die Existenz eines komplexen textinternen Verweissystems unerkannt, das durch subtile metrische und semantische Andeutungen das Verhältnis Vergil-Augustus thematisiert und es als ironisches Vergleichselement in den verschiedenen enkomiastischen Abschnitten über die Fürsten von Ferrara ins Spiel bringt. Die im 35. Gesang geführte paradoxe Reflexion über die Funktion der Dichtung und ihre Beziehung zur historischen Wirklichkeit wird durch dieses Geflecht von Verweisen an mehreren Stellen des Epos implizit fortgesetzt. In diesem ästhetischen Diskurs bezieht Ariost auch Dantes Göttliche Komödie ein, als Hauptort der Vermittlung zwischen vergilschem Epos und volkssprachlicher Tradition. In diesem Zusammenhang sind der parodistische Charakter der Dante-Zitate sowie die ironische Kritik an Vergil wesentliche Bestandteile einer Poetik, die, während sie einerseits für eine extrem „entfesselte“ und realitätsunabhängige Fiktionalität plädiert, andererseits traditionsbrechende Wege schafft, um verborgene ethische und gesellschaftliche Aspekte der Wirklichkeit ans Licht zu bringen. Florian Schaffenrath (Innsbruck) Ubertino Carrara und Tommaso Stigliani. Lateinische und italienische Columbus-Epik im Vergleich (Abstract lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.) 265 Sektion 14 Postmoderne Lyrik – Lyrik in der Postmoderne Leitung: Gerhard Penzkofer (Würzburg) Programm Montag, 26.09.05 9.00 Uhr 09.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Kurt Hahn (München) „Ici en deux“ - Das Subjekt und die Materialität in André Du Bouchets luftigem Schreiben Gerhard Penzkofer (Würzburg) Metamorphosen des Raums. Zur spatialistischen Lyrik von Pierre und Ilse Garnier Wolfram Nitsch (Köln) Photographie und Schrift bei Gérard Macé Irmgard Scharold (Erlangen) La tentation de l’anonyme - Die französische Lyrikerin Esther Tellermann Elisabeth Bauer (Regensburg) Voyage en Digitalie. Französische Lyrik im Zeichen des Computers Monika Sokol (Bayreuth) Anmerkungen zur Postmoderne-Diskussion aus der Perspektive der Rap-Forschung Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr Thorsten Greiner (Würzburg) “L’ipotesi che tutto sia un bisticcio”. Zur Lyrik des späten Montale Martha Kleinhans (Würzburg) Patrizia Valduga: violente Mystik und lyrisches Medikament Robert Fajen (Würzburg) 267 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Poesie der Überschreibung: Zur Lyrik der gioventù cannibale Stefanie Rubenis (München) 15 Desideri von Alda Teodorani – ein Audio Art Book Hans Paschen (Stuttgart) „Mit den Dingen sprechen“: poesia anti-diarréi- ca. Das Verhältnis der Poetik João Cabral de Melo Netos zur Diskussion um die Postmoderne Itzíar López Guil (Zürich) Escaparates y venenos en la última poesía de Felipe Benítez Reyes Mittwoch, 28.09.05 09.00 Uhr 09.45 Uhr Marco Kunz (Bamberg) Lyrik und Terrorismus: Die Madrider Attentate vom 11. März 2004 und ihre poetische Verarbei- tung Henriette Partzsch (Genf) Rhetorik des Authentischen Abstracts Kurt Hahn (München) „Ici en deux“ - Das Subjekt und die Materialität in André Du Bouchets luftigem Schreiben Das Verschwinden des Subjekts in der Zeichenmenge treibe postmodernes Schreiben, so die gängige Auffassung, in die Aporie. Bevorzugter Vermittlungsmodus, dem zersetzenden Diskursgewirr stattzugeben, sei dabei auch im Gedicht das entgrenzende Textspiel. Mit bestechender Kontinuität reflektiert die Dichtung von André Du Bouchet (1924-2001) zwar diese lyrische condition post moderne, unterschreitet sie aber radikal. In Verschärfung moderner 268 Schreibverfahren (Mallarmé, Reverdy) inszeniert Du Bouchet die Seite als Schnittfläche zwischen Darstellung und Dargestelltem, auf der sich die Dissemination herrenlos ausbreitet und zugleich ein hybrider Dialog der Stimmen, Werke und Gattungen statt hat. Auf der Schwundstufe von Repräsentation - Berg, Feuer, Erde, Luft modellieren in Überblendung mit dem Schreibort fortwährend dasselbe Szenario - wird jedoch Begriffen wie Materialität, Medialität und Performanz eine andere, wenn man so will: elementare Dimension zu Teil: Anhand späterer Texte (z.B. Rapides, Axiales, Ici en deux) will dieser Beitrag zeigen, dass in Du Bouchets Zeichenkonstellationen sich eine Körperlichkeit abdrückt, die immerhin Spuren von Subjektivität verrät. Seine écriture aérée vollzieht performativ den Atemrhythmus nach und markiert in der Signifikantenmaterialität die Schritte des Gehenden, ohne dass dessen Weg durch die (semiotische) Natur eine Ankunft bei sich implizieren müsste. Gerhard Penzkofer (Würzburg) Metamorphosen des Raums. Zur spatialistischen Lyrik von Pierre und Ilse Garnier Die französische Nachkriegszeit ist auch für die Lyrik eine Zeit der Experimente. Die Lettristen entwerfen Hypergraphien und Buchstabenbilder. Das eben entwickelte Tonband hält phonetische Kollagen fest, Verbophonien, „audio-poèmes“, „Gedichtpartituren“, Sprechaktionen und „Schreirhythmen“ („crisrythmes“). Es gibt kybernetische Gedichte, kinetische Gedichte, Gedichte für bewegte Rezitation. In diesen historischen Kontext gehört auch der Spatialismus, dem sich Pierre und Ilse Garnier bis heute verschrieben haben. Der Spatialismus ist anfangs eine besondere Variante der konkreten Poesie. Wie diese entdeckt er die räumliche Präsenz und Materialität sprachlicher Zeichen. Er entwickelt Wortskulpturen, topologische und geometrische Zeichengebilde, Kollagen und Mandalas, Ideogramme oder Piktogramme. Diese 269 Konstellationen (im Sinne von Eugen Gomringer) sagen nicht aus, sondern manifestieren ihre eigene Präsenz. Sie sind autoreferentiell. Deshalb bilden sie kein Ventil für Gefühle und Gedanken, sondern suchen den engen Bezug zu naturwissenschaftlichen und soziologisch fundierten Kommunikationsaufgaben. Als radikale Entgrenzung und Erneuerung der poetischen Sprache, als Zeichenkritik und experimentelle Kommunikation steht der Spatialismus in direktem Zusammehang mit den modernen Avantgarden. Meine Überlegungen gehen nun dahin, dass sich diese ästhetische und zeichenkritische Programmatik spätestens seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts verändert. Garnier zerstört in seinen späten Texten die Materialität der Zeichen, der Buchstabenräume und Wortkonstellationen. Seine Bildfiguren sind asketische Erinnerungen an Bildlichkeit. Verloren geht die Autoreferentialität der Gedichte. Ihre Kompositionen beziehen sich nicht auf sich selbst, sondern auf ausgedehnte Referentenkomplexionen. Dabei wird auch Geschichte reflektiert. Die spatialistische Poesie wird narrativ. Auf diese Weise finden Garniers Texte zu einer semantischen Fülle und plénitude zurück, die an die antiken Figurengedichte und carmi na cancellata des Mittelalters erinnern mag. Die Texte machen diese Fülle nicht anschaulich, sie verwirklichen und sie vermehren sie nicht. Aber sie beschwören ihre Präsenz, erinnern an sie, machen sie vorstellbar. Der Spatialismus wird zu einer Imaginations- und Meditationskunst. Diese Befunde sind vielleicht, so meine Hypothese, als Symptome postmoderner Einflussnahmen zu deuten, die den späten Spatialismus als eigentümliche Überlagerung moderner und postmoderner Denk- und Gestaltungsfiguren ausweisen. Wolfram Nitsch (Köln) Photographie und Schrift bei Gérard Macé Spätestens seit Baudelaires mit einer Widmung an Nadar versehenem Sonett Le rêve d’un curieux hat auch die Lyrik an der literarischen Modellierung des Photographischen teil, die bislang haupt270 sächlich an narrativen Texten untersucht worden ist. Konsequent entfaltet wird eine solche intermediale Auseinandersetzung mit dem Lichtbild jedoch erst in der Lyrik des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts, insbesondere bei Gérard Macé. An Prosagedichten aus seinem Band La mémoire aime chasser dans le noir (1993) soll vor dem Hintergrund seiner essayistischen Arbeiten über Schriftlichkeit und Bildlichkeit dargelegt werden, inwiefern sich lyrische Rede als «photographie sans appareil» darbieten und inwiefern sie dadurch die ihr zeitgenössische theoretische Reflexion über das Photographische bereichern kann. Irmgard Scharold (Erlangen) La tentation de l’anonyme - Die französische Lyrikerin Esther Tellermann « Puisque je ne suis pas maître du mot qui surgit, du poème antérieur ou à venir, mais que tous ceux qui m’ont précédé, investissent mon geste, lui donne l’intelligence et la limite de l’élève. » (E. Tellermann) Der Dominanz des Symbolischen - greifbar auch in den literarischen Diskursen der großen Autoren - setzt die französische Lyrikerin Esther Tellermann (*1947) eine Schreibweise bewusster Askese entgegen. Tellermann schreibt und argumentiert aus einer post-freudianischen und post-lacanianischen Perspektive heraus, die sich der „unheimlichen Wiederkehr“ der immer schon geliehenen Worte („paroles empruntées“) ebenso bewusst ist wie sie um das Primat des Signifikanten weiß. Statt die Stimmen der gro-ßen Dichter („ces voix des grands saisis de poésie“) im parodistischen intertextuellen Spiel zu dekonstruieren, sucht sie die Auflösung dieser stets erinnerten Filiationen in deren polyphoner Verschmelzung, die sie als Anonymisierung begreift, als eine systematische Ent-leerung von tradierten Bedeutungen und Mythen, als ein Abschleifen der Form und eine Distanzierung von der Historie. Tellermanns Texte, deren Ästhetik an die Werke eines Giacometti oder Beckett 271 erinnert, erweisen sich so als Palimpseste, die in der Geste des Ausradierens von Konzepten wie Subjektivität, Originalität, Tradition und Geschichte diese zugleich noch einmal aufrufen und dadurch eine eigentümliche Duplizität gewinnen, in der alles zu einem eigentümlichen „entre-deux“ gerinnt: Zwischen Realität und Traum, zwischen Kollektivität und Individualität gewinnen ihre lyrischen „Erzählungen“ eine neue archetypische Qualität. Ausgehend von den poetologischen Reflexionen der Lyrikerin will der Beitrag die Situierung des Œuvres (1976–2004) zwischen Moderne und Postmoderne diskutieren. Elisabeth Bauer (Regensburg) Voyage en Digitalie. Französische Lyrik im Zeichen des Computers Mit der digitalen Revolution des ausgehenden 20. Jahrhunderts ist im Kontext der neuen Medien (i.e. Computer & Internet), eine neue literarische Gattung entstanden: die digitale Literatur. Als genuine Literaturform des Computermediums schöpft sie ihre ästhetische und stilistische Differenz aus dessen technischen Prämissen. Dabei knüpfen, für das Französische, die digitalen Werke überraschend eng an die Traditionen der Printliteratur an, so dass sich insbesondere die Kategorien der Narrativik und Lyrik im digitalen Medium wieder erkennen lassen. Während die narrativen Werke, der Name Hyperfiction verrät es, auf dem Strukturprinzip des Hypertextes basierend die narrativen Instanzen der Strukturanalyse verändern und dezidiert auf eine ausgeprägte Benutzerintegration abzielen, vertieft die digitale Lyrik die Kluft zwischen den Gattungen auch auf medial-formaler Ebene, indem sie auf die hypertextuelle Superstruktur verzichtet. So verbannt das Konzept poésie et art programmés eines Philippe Bootz den Gedichtleser/User ganz aus dem Werk, beraubt ihn jeglicher Teilhabe und beansprucht militant, ganz für sich zu bestehen. Die Betonung des Eigenwerts von Typographie und Seitenlayout lenkt den Blick auf die Materialität des Textes, vielmehr auf dessen Vir272 tualität; die medial erweiterte Nachfolgerschaft zur Konkreten und Visuellen Poesie wird darin offenkundig. Das Gedicht als Film, dessen multimediale Protagonisten Text- und Bildanimationen sind, setzt den Leser einer dem Computermedium untypischen, und daher umso intensiver empfundenen, Entschleunigung aus. Ergänzt durch eine dadaistisch anmutende Theatralik der Lautlichkeit des Gedichtes wird der „Textkörper“ flüchtig und immateriell : Das Gedicht als Ganzes wandelt sich zum systemgesteuerten Ereignis, zum Anti-Happening, das nur passiv beobachtet werden will und sich den eingeübten Interaktionsversuchen des Users konsequent entzieht. Diese einander diametral entgegenstehenden ästhetischen Strategien und Ansprüche der Hyperfiction und der digitalen Poesie schlagen sich symptomatisch bereits in ihren Distributionsformen nieder: Sind die Hyperfictions für eine maximal große Leserschaft frei zugänglich im Internet verfügbar, erscheinen die digitalen Gedichte nahezu ausschließlich auf CD-ROM im Rahmen von höchst spezialisierten Magazinen in kleiner Auflage, z.B. „alire“ und „DOC(K)S“. Sie entziehen sich so der Inflation vorgeblicher Information und dem Zufallskonsumenten im Internet - der parnassische Anspruch elitärer Lyrik hat sich also bis ins Computerzeitalter gerettet. Der mépris dem Massenpublikum gegenüber zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass einige digitale Dichter ihre Werke ausschließlich für Mac und nicht PC konzipieren. Vielfältig, geradezu rhizomatisch sind die historischen Rückbezüge der gegenwärtigen digitalen Dichtung, ihr (post-)modernes Erbe lässt sich nicht leugnen. Die digitale Revolution hat sich also für die (digitale) Poesie weich in Samt gekleidet. Dennoch ist der Verdacht eines simplen Medienwechsels unbegründet - aus alten Versatzstücken und neuem medialen Kontext hat sie sich ein unverwechselbares Antlitz geschaffen. 273 Monika Sokol (Bayreuth) Anmerkungen zur Postmoderne-Diskussion aus der Perspektive der RapForschung Die Realität ist die Zukunft der Leute von gestern Kool Savaz feat. Azad, All 4 One (2005) Die Bezeichnung Rap geht auf das afroamerikanische Verb to rap (urspr. „schlagen, treffen“) zurück, das seit dem 18. Jahrhundert in der Bedeutung ‚treffend/gekonnt/versiert verbal agieren (sprechen)‘ belegt ist. Rapping bezeichnete zuerst also eine schwach formularisch grundierte Diskurstechnik, die in oralen Diskurstraditionen ausgebaut, tradiert und kultiviert wurde. Metonymisch erweitert bezeichnet der Begriff Rap heute ein musiko-diskursives Genre bzw. eine genre-konstitutive Verbindung aus rhythmisch dominierter musikalischer Textur und integriertem, elaboriertem Diskurs. Medial und transkulturell hybrid und insgesamt postmodern anmutend geriet Rap zunächst ins Blickfeld von Cultural Studies und New Musicology, die Bindung der Praxis an bestimmte gesellschaftliche Gruppen weckte das Interesse von Soziologen und Ethnographen. Aufgrund der eher gesprochenen als gesungenen Realisierung und der Erkennbarkeit lyrischer Verfahren wurde es dann auch immer üblicher, Rap als (para)literarische bzw. (para)lyrische Gattung zu betrachten - und textwissenschaftlich zu analysieren. Ich möchte in meinem Beitrag zeigen, inwiefern die vielen Arbeiten, die Rap als Phänomen einer wie auch immer definierten Postmoderne klassifizieren und analysieren, wesentliche Aspekte der Genre-Praxis übersehen oder sogar bewusst ausblenden. In einem zweiten Schritt wird es dann darum gehen, gerade diese ausgeblendeten Bereiche in den Fokus zu stellen und für die Diskussion des Postmoderne-Begriffs im Bereich künstlerischer Ausdrucksformen im allgemeinen und lyrischer im besonderen fruchtbar zu machen. 274 Thorsten Greiner (Würzburg) “L’ipotesi che tutto sia un bisticcio”. Zur Lyrik des späten Montale Die Frage, ob das, was man Postmoderne nennt, nicht nur in Erzählliteratur, sondern auch in der Lyrik Spuren hinterlassen hat, die auf eine Literatur von Rang deuten, hängt nicht allein davon ab, was man als typisch postmodern ansieht, sondern auch davon, wie man sich die Weiterentwicklung der modernen Lyrik im 20. Jahrhundert vorstellt. In ähnlicher Weise wie man die Postmoderne weniger als Bruch denn als Radikalisierung bestimmter Ausprägungen der Moderne auffassen kann, ließe sich eine ab dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts einsetzende Transformation des so wirkungsmächtigen Paradigmas der hermetischen modernen Lyrik denken, bei der sich Merkmale des Postmodernen wie der Verlust eines emphatischen Subjektbegriffs, der Hang zum Spiel mit fremder Rede oder die Grenzöffnung zu Trivialkunst mit dem verbinden, was den Modellcharakter des hermetischen Paradigmas der Moderne seit seinen Anfängen ausmacht: der Spannung von Irrationalismus und Reflexion (Baudelaire: „Deux qualités littéraires fondamentales: surnaturalisme et ironie“), die etwa bei Rimbaud im Programm eines „raisonné dérèglement de tous les sens“ erscheint, sich nach dem ersten Modernisierungsschub der Avantgarden des 20. Jahrhunderts in den Gegensatz einer reflexionsdominierten (Valéry) und einer irrationalistischen Komponente (Surrealismus) aufspaltet, um ab den 30er Jahren zu ganz unterschiedlichen Varianten einer Dialektik der beiden Pole zurückzukehren (Saint-John Perse, Char, Bonnefoy). Die größte Schwierigkeit eines solchen Versuchs, in der Lyrik Moderne und Postmoderne miteinander zu vermitteln, scheint in der offensichtlichen Unvereinbarkeit einer souveränen Gegenschöpfungsästhetik der Moderne mit dem Spielcharakter der Postmoderne, die den Glauben an autonomes Imaginieren verloren hat, zu liegen. Doch ist daran zu erinnern, dass das dialektische Modell moderner Lyrik eine Verbindung aus Fremd- und Selbstbestim275 mung, aus dem Abenteuer der Auseinandersetzung mit dem Irrationalen, ganz Anderen und der reflektierten Inszenierung dieses Abenteuers darstellt (und dass Ricardous Formel von der Ablösung der „écriture d’une aventure“ durch die „aventure d’une écriture“ für moderne Lyrik insofern nicht gilt, als in ihr beide Modi schon immer zusammenfielen). Zu postulieren wäre für eine postmodern beeinflusste moderne Lyrik also so etwas wie eine entmystifizierte Dialektik des alten Paradigmas, bei der das emphatisch Fremde ebenso wie das emphatisch Eigene entzaubert wurde. Beides, das Faszinosum des Irrationalen und seine kalkulierte Inszenierung, präsentiert sich von nun an in schlichterer Form, ohne deshalb an Prägnanz einzubüßen. Die Dialektik von Fremd- und Selbstbestimmung kann sich jetzt als Hingabe an ein Spiel mit fremden Diskursen manifestieren, dessen Regeln der Spielende selbst zu erfinden hat. Im beiläufig unauffälligen Inszenieren des Spiels hält sich jener Rest an Subjektivität, auf den die Gattung Lyrik selbst in Zeiten der Postmoderne nicht verzichten zu können scheint. Die hier skizzierte Hypothese einer Beziehung zwischen dem literarhistorischen Faktum moderner Lyrik und der Postmoderne soll an einem Klassiker der italienischen Lyrik des 20. Jahrhunderts erprobt werden. Beim späten Montale findet sich fast nichts mehr von der zwar kargen, aber immer noch deutlich symbolhaft verdichteten Welt der Naturdinge aus dem Frühwerk. Schon die Werktitel aus den 70er Jahren weisen auf ein heterogenes Gemisch („Satura“, 1971) bzw. auf eine Hinwendung zum Alltäglichen („Diario del ‘71 e del ‘72“, 1973 und „Quaderno di quattro anni“, 1977), mit der das Prosaisch-Triviale bald aperçuhaft zur sarkastischen Demontage metaphysischer Gewissheiten eingesetzt, bald in der Form von Zitat oder Redefetzen sprachspielerisch in den Dienst einer Semiose gestellt wird, in der sich ein Ich nur noch ironisch seiner selbst versichern kann. 276 Martha Kleinhans (Würzburg) Patrizia Valduga: violente Mystik und lyrisches Medikament Vieles spricht dafür, die Gedichte der italienischen Lyrikerin Patrizia Valduga (geb. 1953 in Castelfranco, Veneto) nicht unter das Signum der Postmoderne zu stellen, scheint sie doch einen bewusst elitären Dichtungsbegriff zu vertreten, der mit Zeitgeist und Zeitgeschmack, mit vergnüglicher Konsumierbarkeit von Lyrik nichts zu tun haben will. Die Überflutung unserer Gesellschaft mit Fernsehbildern und einem den Massenmedien entlehnten reduktionistischen Jargon sind ihr ein Gräuel. „Il vero ‚terminale‘, in fede mia, / è chi ama Benni, la Tamaro, Eco... / chi palpita per la similpoesia...“ - Wahrlich unheilbar krank ist, so polemisiert sie in der Gedichtsammlung Corsia degli incurabili, derjenige, der post moderne Bestsellerautoren wie Stefano Benni, Susanna Tamaro und Umberto Eco schätze. Einem solchen Schreiben verweigert sie die Zuordnung zur Poesie. Es stellt sich die Frage, ob Valdugas ambitionierte Lyrik mehr als selbstbewusste Pose ist, und weiter, ob sie sich vielleicht nicht doch innerhalb der Postmodernediskussion verorten lässt. Anhand ausgewählter Analysebeispiele zeigt der Vortrag wesentliche Charakteristika ihres Dichtens auf und konfrontiert sie mit postmodernen Lyrikkonzepten. Darf man diese Lyrik zu Recht als originellen neolirismo verstehen, der der italienischen Lyrik des 21. Jahrhunderts frische Impulse zu geben vermag? Valduga bevorzugt geschlossene Strophenformen wie das Sonett, traditionelle Metren und Reime, deren obsessionelle Züge ihr nicht verborgen bleiben. Die Dichterin glaubt an die therapeutische Funktion von Lyrik und deutet etwa in der triadischen Mehrdeutigkeit von Medicamentum als Pharmakon, Gift und Liebestrank die Zielrichtung an. Schreiben ist für sie Mittel gegen die Angst, aber auch ein Ritual, sich dem Tode zu exponieren. Wie die Widmung eines Lyrikbandes „a chi combatte i berlusconi della terra“ offenbart, scheut sie sich keineswegs vor politischer Positionierung, im 277 Vordergrund steht aber stets das Ringen mit Sprache, die Sorge um die Sprache („vogliono assassinare l’italiano!“), das subtile und sensible Feilen an der Sprache. Nicht so sehr die Reihe der evozierten Dichter als das formvollendete Gewebe aus intertextuellen Zitaten und Gegenwartssprache, die Kombination von kruder Alltäglichkeit (bis hin zur Pornographie) mit der ‚hohen‘ Tradition italienischer Poesie (in einer eigentümlichen Reihe von Jacopone da Todi, katholischen Barockdichtern, Pascoli, Manzoni, Montale bis Rébora) schafft faszinierend-irritierende lyrische Kunstwerke, die den gängigen zeitgenössischen Tendenzen der Lyrik entgegenlaufen und sie doch nicht völlig ignorieren können. Zahlreiche Aspekte von Valdugas Lyrik könnten auch unter dem Stichwort ‚postmodern‘ subsumiert werden. Beispielsweise entbehrt ihre Selbstcharakterisierung als religiöse Dichterin nicht der Provokation, erscheint diese als Teil eines wohl kalkulierten, permanenten Tabubruchs. Valdugas Dichtung wird zudem von einer kruden Obszönität beherrscht, die alle erdenklichen Phasen und Mechanismen des Sexualaktes benennt. Auch vor degoutanten Inszenierungen schreckt sie nicht zurück: In Donna di dolori reflektiert eine Frau, deren Körper bereits bestattet ist und sich in Auflösung befindet, über sich und die Welt. Religiöse Rituale und Textstrukturen (z.B. in Requiem) werden mit extremen Formen der Sexualität und des Todes verknüpft und erzeugen den Eindruck einer profanisierten Mystik. Onomatopoetische Klangexperimente fokussieren aktuelle Probleme wie beispielsweise das Krankheitsbild der Bulimie in Altri medicamenta 1980-1982. Immer wieder sucht Valduga schließlich die intermediale Begegnung, etwa mit dem Theater und - wie jüngst in Manfred - mit der Malerei. Robert Fajen (Würzburg) Poesie der Überschreibung: Zur Lyrik der gioventù cannibale Die Literatur des italienischen pulp, die wegen ihres Hangs zur grellen Gewalt in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts für Skan278 dale sorgte, kann als provokante Radikalisierung der Postmoderne verstanden werden. Die Autoren der gioventù cannibale heben in ihren Texten ästhetische, mediale und moralische Grenzen auf, indem sie z. B. amerikanische Horrorfilme ebenso wie Alessandro Manzoni zitieren, die Trash-‚Kultur‘ des Massenmediums Fernsehen mit Fragmenten des naturwissenschaftlichen Diskurses verknüpfen oder metatextuelles Raffinement mit kruder Pornographie mischen. Angesichts der Entwicklung des postmodernen Paradigmas ist es freilich wenig überraschend, dass die italienischen Pop-Literaten bislang narrative Formen bevorzugt und mit lyrischen Texten - wohl wegen der geringen Breitenwirkung - allenfalls am Rande experimentiert haben. Dies hat sich erst 2001 schlagartig geändert, als bei Einaudi der Gedichtband Nelle galassie / oggi come oggi der drei ‚Kannibalen‘ Raul Montanari, Aldo Nove und Tiziano Scarpa erschien. Innerhalb von zwei Tagen war die Erstauflage des in der renommierten Reihe Collezione di poesia publizierten Buches vergriffen. Sein Erfolg liegt in seiner Konzeption begründet: Die drei Autoren bezeichnen ihre Texte als Covers und beziehen sich dabei auf die in der Pop-Musik gängige Praxis, bekannte Lieder in neuen Arrangements zu interpretieren. Die Gedichte von Nelle galassie / oggi come oggi nehmen diese Form der réécriture beim Wort und inszenieren einen spielerischen Dialog mit prominenten englisch- und deutschsprachigen Pop-Songs aus den letzten vierzig Jahren: Die italienischen Texte ‚überschreiben‘ die fremdsprachigen Texte und erfinden so eine neue Stimme für eine Musik, die das Lebensgefühl einer ganzen Generation geprägt hat. Ziel des geplanten Vortrages wird es zum einen sein, die unterschiedlichen literarischen Verfahren genauer ins Auge zu fassen, die in Montanaris, Noves und Tizianos Cover-Versionen verwendet werden; zum anderen soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit Nelle galassie / oggi come oggi als postmoderne Lyrik den ästhetischen Konzeptionen der modernen Avantgarden entgegengesetzt ist. 279 Stefanie Rubenis (München) 15 Desideri von Alda Teodorani – ein Audio Art Book 15 Desideri ist ein Art Book, das 15 Erzählungen enthält, die sowohl gedruckt und mit Bildern illustriert sind, als auch von der Autorin (auf CD) gelesen werden, während ihre Stimme von einer eigens dafür komponierten Musik unterlegt ist. Es handelt sich um ein hybrides Gebilde aus Text, Klang und Bild. Die Erzählungen könnte man mit „noir erotico“ beschreiben. Ich möchte diskutieren, ob dieses von der Autorin erfundene genre als postmoderne Prosa an der Grenze zur Poplyrik beschrieben und historisch verortet werden kann und ob damit eine neue Strömung in der italienischen Literatur erkennbar wird, zu der man etwa auch Aldo Nove und vor allem Lello Voce zählen kann. Hans Paschen (Stuttgart) „Mit den Dingen sprechen“: poesia anti-diarréica. Das Verhältnis der Poetik João Cabral de Melo Netos zur Diskussion um die Postmoderne Die historische Phase der „Postmoderne“ ließe sich vielleicht, angesichts der großen Heterogenität der künstlerischen Realisierungen in dieser Zeit, am besten als eine Phase der kritischen Selbstbesinnung abendländischer Tradition in der Zeit vom zweiten Weltkrieg bis zum Fall der Mauer beschreiben. Der kulturellen „Peripherie“ käme so gesehen in derselben Zeit die Rolle einer beginnenden Selbstaffirmation in einer zunehmend globalen Kultur zu. Im Zusammenhang der brasilianischen Literaturgeschichte stellt sich die Periodisierung der Modernismen allerdings ohnehin anders dar, indem die Avantgardebewegung selbst bereits in unterschiedliche Phasen zerfällt, so dass die „Postmoderne“ einigen Autoren als ein „terceiro modernismo“ (Moisés) erscheint. Die zeitliche Erstreckung des dichterischen Werks von João Cabral de Melo Neto (von O Engenheiro 1945 bis Sevilha andando 1990) deckt sich mit dieser Zeitspanne und bietet sich daher an, 280 verschiedene Aspekte dieser Entwicklung aus der Sicht einer peripheren Literatur zu thematisieren. Die Leitfrage der Untersuchung ist also, wie sich dieses Werk zu verschiedenen künstlerischen Tendenzen bzw. theoretischen Polemiken dieser Zeit verhält. Dabei wird zuerst die Beziehung zur unmittelbar vorangehenden Avantgardebewegung unter Berücksichtigung der brasilianischen Literaturverhältnisse betrachtet, um dann die Poetik von João Cabral de Melo Neto anhand von Werkbeispielen aus unterschiedlichen Schaffensphasen - Morte e Vida Severina (1956) im Zusammenhang mit der Diskussion um Sartres Begriff der engagierten Literatur; Educação pela pedra (1966) im Zusammenhang mit der poesia concreta - einigen Aspekten der Diskussion um die Postmoderne gegenüber zu stellen. Schließlich werden die Wandlungen der Poetik in den Werken nach Educação pela pedra in Bezug auf die Postmoderne-Diskussion in Betracht gezogen. Itzíar López Guil (Zürich) Escaparates y venenos en la última poesía de Felipe Benítez Reyes El poeta español Felipe Benítez Reyes es, sin duda, uno de los creadores más inquietantes de cuantos integran la corriente lírica postmoderna que ha dado en llamarse poesía de la experiencia. Ya en sus primeros poemarios se ponen de manifiesto dos formas bien distintas de concebir la poesía, mostrándose una inequívoca adhesión por aquella que caracterizará Vidas improbables (1994), libro que fue galardonado con el Premio Internacional Ciudad de Melilla, el Premio Nacional de Poesía y el Premio Nacional de la Crítica. Vidas improbables es un poemario en el que, a modo de antología poética, un Yo ficticio presenta la biografía y obra de varios poetaspersonaje ordenadas diacrónicamente. Según creo haber demostrado en otros trabajos, Vidas improbables logra plasmar, llevándolas al límite, algunas de las máximas propias de la lírica postmoderna española: la ficcionalización del Yo poético y un concepto de la tradición literaria en tanto que “legado múltiple que, una vez parcelado 281 a gusto del consumidor, cada cual asume, interpreta y finalmete engrandece o trivializa según su capacidad y entendimiento” (F. Benítez Reyes, Paraísos y mundos, Madrid, Hiperión, 1996, p. 22.) Ahora bien, la original puesta en escena de esta poética en Vi das improbables constituye la culminación de un proceso iniciado en poemarios anteriores y no podía sino traer aparejado un cambio en las estrategias discursivas que Felipe Benítez Reyes desplegará en libros posteriores: de ellas trataré de dar cuenta en mi comunicación, centrándome especialmente en su Escaparate de Venenos (2000). Marco Kunz (Bamberg) Lyrik und Terrorismus: Die Madrider Attentate vom 11. März 2004 und ihre poetische Verarbeitung Nach den Bombenanschlägen auf Madrider Vorortszüge am 11. März 2004 reagierten zahlreiche, vor allem spanische Schriftsteller/Innen mit Texten auf das furchtbare Ereignis, unter anderem wurden auch Lyrikanthologien publiziert mit Gedichten, die direkt auf die Attentate Bezug nehmen: Manuel Rico (ed.), 11 de marzo 2004. 114 poemas contra el olvido (Bartleby, 2004), und VV. AA., Madrid, once de marzo. Poemas para el recuerdo (Pre-textos). Die Attentate, wie schon zuvor der 11. September in den USA, stellten eine Reihe von für die Postmoderne als typisch bezeichnete Ideen grundsätzlich in Frage: z.B. „anything goes“, „déclin des métarécits de légitimation“, „simulation“, „end of history“, usw. Kann eine „postmoderne“ Ästhetik (d.h. für mich in erster Linie eine Ästhetik, die sich durch eine Bündelung spezifischer formaler Merkmale als „postmodern“ bezeichnen lässt) die Krise und womöglich den Bankrott postmodernen Denkens überstehen angesichts eines Terrorismus, der unter Ausnutzung postmoderner Medien vormoderne Werte propagiert, und einer konservativen Renaissance, die unter dem Vorwand der Antiterrorkompagne teils ebenfalls antimoderne Züge trägt? 282 Henriette Partzsch (Genf) Rhetorik des Authentischen Die Zeit nach dem Ende der großen Erzählungen hat ihren eigenen Mythos geschaffen: die Geschichte vom Schwinden des Wirklichen in der totalen Simulation. Der Mensch der Postmoderne bewohnt demnach eine Welt, die sich nur noch als ein Spiel von Spiegeln begreifen lässt und in ihrer totalen Virtualisierung umso nachdrücklicher auf dem Wert des Authentischen beharrt. In der Diskussion dieser Diagnose wird mit Vorliebe auf die neueren Medien wie Film, Fernsehen, Computerspiele und Internet verwiesen; die Lyrik erscheint, wenn überhaupt, in diesem Zusammenhang eher als leicht anachronistische Bastion des Widerstandes, gehört sie doch zu den Gattungen, die weniger kohärente Realitätsentwürfe schafft als vielmehr deren Brüche aufspürt. Ein Blick auf die Situation im Spanien der letzten 20 Jahre des 20. Jahrhunderts lässt jedoch vermuten, dass gerade die Lyrik von dieser postmodernen Problematisierung der Simulation von Authentizität betroffen ist. Ich schlage daher vor, die verwirrende Vielfalt der dichterischen Strömungen in Spanien (poesía de la experiencia, poesía del silencio, nuevo poesía social, realismo sucio etc.) nicht als Beispiel des Slogan „Anything goes!“ aufzufassen, sondern sie vielmehr als unterschiedliche Antworten auf die gemeinsame Herausforderung des Schreibens in der Simulation zu lesen, eine Herausforderung, die allerdings nicht völlig neu ist, sondern als Spannung zwischen Schein und Wahrheit das lyrische Sprechen mindestens seit seiner Verwandlung in einen gedruckten Diskurs begleitet und antreibt. 283 Sektion 15 Europäischer Film (seit 1945) im Kontext der Romania: Geschichte und Innovation Leitung: Gisela Febel / Natascha Ueckmann (Bremen) Programm Montag, 26.09.05 9.00 Uhr 9.30 Uhr 10.00 Uhr 14.00 Uhr 15.00 Uhr 16.00 Uhr 17.00 Uhr Gisela Febel / Natascha Ueckmann (Bremen) Eröffnung der Sektion, Praktisches zum Ablauf der Tagung Jörg Türschmann (Wien) La querelle des fabricants: Claude Chabrol et Rainer Werner Fassbinder Peter Herr (Bremen) Die Filmkomödie als neue Form der Auseinander- setzung mit der Shoah: Train de vie und La vita è bella François Jost (Paris) D’où vient Amélie Poulain? Karen Struve (Bremen) (Selbst-)Repräsentationen im postkolonialen cinéma beur: Blickwinkel im ‚Dritten Raum’ Oreste Sacchelli (Nancy) Présence du cinéma italien en France: le cas de Respiro Cornelia Lund (Stuttgart) Postsurrealistische Affekte – zu den Musikvideos von Michel Gondry Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr 284 Esther Gimeno Ugalde (Wien) Cine de oposición al franquismo: el ejemplo de 9.30 Uhr 10.00 Uhr 14.00 Uhr 14.30 Uhr 15.00 Uhr 16.00 Uhr 16.30 Uhr 17.00 Uhr J. A. Bardem Sebastian Thies (Bielefeld) Dezentrierte Bildwelten – Zum Filmschaffen des chilenischen Exils in Europa Burkhard Pohl (Göttingen) Road Movies in Spanien zwischen nationaler Ver- gewisserung und internationaler Einschreibung Heidi Denzel de Tirado (Saarbrücken) Mantel-und-Degen-Abenteuer in Künstlerfilmen der Romania: Carlos Sauras Buñuel y la mesa del rey salomón und seine Einflüsse Sabine Schrader (Leipzig) Tano da morire (1997) – „Es ist gut, weil es schreck- lich ist“ (Susan Sontag)? Gunnar Nilsson (Jena) Der brasilianische Film auf der Suche nach seiner Sprache Teresa Pinheiro (Chemnitz) Grenzüberschreitungen in der ‚portugiesischen’ Filmproduktion der 1930er Jahre Claudia Bahmer (Stuttgart) An der Schwelle vom ‚Bewegungs-Bild’ zum ‚Zeit- Bild’: Zur kinematographischen Formensprache in André Malraux’ Espoir – Sierra de Teruel (1938/1939) Cécile Kovashazy (Montpellier) Der Doppelgänger im französischsprachigen Film nach 1945 Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr 9.30 Uhr Anke Wortmann (Halle/Saale) Das Risorgimento im italienischen Film Christiane Solte-Gresser (Bremen) Das Bild Italiens im Film des neorealismo. Anmer- 285 10.00 Uhr kungen zu einem italienischen, romanischen und europäischen Kapitel der Filmgeschichte Karin Weitzer (Graz) «Auf der Suche nach dem verlorenen Rad» Vittorio De Sicas Ladri di biciclette im Spannungs- feld zwischen Tradition und Innovation Gisela Febel / Natascha Ueckmann (Bremen) Abschlussdiskussion, Praktisches zur Publikation Abstracts Jörg Türschmann (Wien) La querelle des fabricants: Claude Chabrol et Rainer Werner Fassbinder Claude Chabrol, das ist Alfred Hitchcock. Rainer Werner Fassbinder, das ist Douglas Sirk. Chabrol, das ist die Nouvelle Vague. Fassbinder, das ist das Kino der Siebziger in der BRD. Chabrol und Fassbinder, das ist François Ozon. Wer diese Filiationen verfolgt, wird gerne den Begriff des Filmautors verwenden. Filmautoren sind etwas Widersprüchliches in der Art von Solitären, die die geistige Elite einer filmästhetischen Internationale bilden. Im Augenblick ihrer größten Erfolge gelten Filmautoren jedoch immer auch als Kritiker ihrer Zeit. Sie vermitteln demnach gesellschaftliche Probleme über die Grenzen des Produktionslandes ihrer Filme hinaus. Dies gilt besonders für die Siebzigerjahre, als Gesellschaftsund Ideologiekritik nahezu jeden Kulturbereich prägte. Vor diesem Hintergrund geraten Chabrol und Fassbinder aneinander. Sie entdecken ein gemeinsames Merkmal ihrer Arbeit: so viele Filme wie nur möglich zu drehen. Der Beitrag widmet sich der Begegnung zweier Regisseure, die ihre Namen zu einer Marke machen und branding mit dem Anspruch auf künstlerische Autonomie verknüpfen. 286 Peter Herr (Bremen) Die Filmkomödie als neue Form der Auseinandersetzung mit der Shoah: Train de vie und La vita è bella 60 Jahre Befreiung der Konzentrationslager heißt auch 60 Jahre Auseinandersetzung mit der Massenvernichtung der Juden. Dabei bewegt sich die Diskussion zwischen dem Imperativ, das Wissen über den Holocaust zu verbreiten und wach zu halten, und der These der grundsätzlichen Undarstellbarkeit. Im Massenmedium (Spiel-)Film äußert sich dies in der Spannung zwischen dem Versuch einer authentischen Darstellung und der Gefahr der Trivialisierung. Steven Spielbergs Tragödie Schindler’s List, der bislang ambitionierteste Versuch Hollywoods, die Realität der industriellen Massenvernichtung darzustellen, ist Ausgangspunkt einer vermehrten filmischen Auseinandersetzung mit der Shoah in den 90er Jahren. In diesem Rahmen müssen auch die Komödien La vita è bella von Roberto Benigni und Train de vie von Radu Mihaileanu verstanden werden. Sie setzen gerade nicht auf Authentisierung, sondern versuchen, mit dem Mittel der Komik eine andere Art der Auseinandersetzung zu entwickeln. Ziel meines Beitrages wird es sein, diese andere Art herauszuarbeiten. Auf dieser Grundlage soll dann die Frage verfolgt werden, ob und inwieweit die Komödie eine neue Blick- und Erkenntnisweise eröffnet, die dem Holocaust angemessen ist. Zugespitzt formuliert: Macht die Holocaustkomödie das Unerzählbare erzählbar(er) oder ist sie nur ein weiterer Schritt in der massenmedialen Trivialisierung des Schreckens? François Jost (Paris) D’où vient Amélie Poulain ? Amélie Poulain a soulevé un débat politique extrêmement violent en France, certains reprochant à ce film d’être d’extrême droite et de faciliter l’ascension de Le Pen. Aux USA, en revanche, le film a été très bien accueilli. Comment un même film peut-il recevoir 287 des interprétations aussi différentes ? C’est ce que nous tenterons d’éclaircir en nous demandant quels horizons d’attente ont présidé à la réception du film de Jeunet. Le premier horizon d’attente réside dans l’hésitation sur le monde auquel il faut rattacher le film. Tout film, selon moi, pouvant être reçu en fonction de trois interprétants - le monde réel, le monde fictif et le monde ludique -, Amélie a été écartelé entre ces trois mondes. Malgré sa volonté explicite de se situer dans la fiction, le film a été ramené sur le terrain de la réalité par le critique de Libération, comme par beaucoup de critiques américains, qui y ont vu, pour le premier, une négation du Paris d’aujourd’hui, pour les autres, la confirmation des représentations d’un Paris romantique. Dans un cas comme dans l’autre, ces deux renvois à la capitale française ont été filtrés par des traditions cinématographiques, mais, tandis que les Français le renvoyaient à Carné, et critiquaient, du même coup, un retour réactionnaire vers une France « franchouillarde », les Américains l’ont ancré dans un « revival » de la Nouvelle Vague… alors que le cinéaste lui-même évoque comme référence le cinéma américain (et notamment les comédies de Capra) ! Où se situe le film entre innovation et tradition ? Dans un troisième monde, qui a été moins convoqué par les critiques, le monde ludique : l’invention d’Amélie Poulain est, en effet, dans le regard d’un cinéaste qui joue : avec des stratégies d’accumulation, de collection, plus que de narration, une tension entre gratuité et nécessité, et des références constantes au monde de la télévision. Tout le scénario illustre finalement une rédemption moins par l’amour que par l’amour des images, cause de tous les bonheurs. Karen Struve (Bremen) (Selbst-)Repräsentationen im postkolonialen cinéma beur: Blickwinkel im ‚Dritten Raum’ Bilder der Erinnerung aus der maghrebinischen Vergangenheit der Eltern und Bilder der Gegenwart in den banlieues der franzö288 sischen Großstädte – in diesem Spannungsfeld etablieren die Beurs, die Kinder der maghrebinischen Immigranten in Frankreich, ein eigenes Imaginarium im postkolonialen cinéma beur seit den 1980er Jahren. Die Inszenierung der Immigrationsgeschichte der Eltern – deren Spuren, aber gerade auch die Diskontinuitäten und Leerstellen in den Erinnerungen – und die Etablierung einer eigenen Geschichte in der filmischen (Selbst-)Repräsentation der Beurs sollen in meinem Beitrag beispielhaft an drei Filmen untersucht werden, die nach Carrie Tarr an Bruchstellen der Geschichte entstehen und darüber hinaus für das Genre des cinéma beur selbst Umbrüche und Paradigmenwechsel darstellen: erstens der Klassiker des cinéma beur, „Le Thé au harem d’Archimède“ (1985) von Mehdi Charef, zweitens „La Haine“ (1995) von Mathieu Kassovitz mit dem Fokus auf die Black-Blanc-Beurs der banlieue und drittens „L’Esquive“ (2004) von Abdellatif Kechiche, der sprachgewaltig soziale Determination und Identifikationen in der banlieue durch die Schulaufführung eines Theaterstücks von Marivaux erzählt. Das Selbstbild der Beurs im Film wird dabei in einem ersten Schritt anhand von Identifikationstopoi wie Elternhaus, Peer Group und (institutionalisierter) französischer Gesellschaft untersucht sowie – im Hinblick auf das Filmgenre und die entsprechende Filmästhetik – die wechselseitige Beeinflussung und Bedingung von Sprache und „Filmsprache“ analysiert. Ausgehend von dieser synchronen Perspektive werden in einem weiteren Schritt durch eine diachrone Betrachtung der Resistenzen und Dynamiken in der Repräsentation von Identität und Geschichte aufgezeigt und in der Verschränkung der Untersuchungsachsen das Potential der hybriden, transkulturellen Identifikationsfigur beur untersucht. Während in „Le Thé au harem d’Archimède“ eine (interkulturelle) Zwischenraumsituation zwischen arabischer und französischer Kultur und Sprache vorgeführt wird, agieren in „La Haine“ Protagonisten, die in die Zwischenraumsituation alle marginalisierten 289 Jugendlichen in einer – nicht unproblematischen – multikulturellen Gruppenkonstellation des Black-Blanc-Beur integriert haben. Dass in „L’Esquive“ schließlich die Immigrationsgeschichte der Akteure weiter in den Hintergrund tritt und der Imaginationsraum der banlieue durch den massiven Einsatz von Sprache als zentrales identitätsstiftendes Angebot hervortritt, zeigt, dass die Beurs sich nicht mehr innerhalb gängiger Polaritäten wie „français“/“arabe“, „Zentrum/Peripherie“ etc. auf nationaler, kultureller, sprachlicher etc. Ebene situieren, sondern vielmehr eigene Strategien hybrider Identifikationen durch Blickwinkel in einem ‚Dritten Raum’ nach Bhabha schaffen. So funktioniert das cinéma beur als „eine Neubestimmung alternativer, hybrider Orte der kulturellen Verhandlung“ (Bhabha). Oreste Sacchelli (Nancy) Présence du cinéma italien en France: le cas de Respiro. Jadis bien distribué en France, le cinéma italien a pratiquement disparu depuis une vingtaine d’années de nos salles. Les auteurs et les comédiens italiens actuels ne sont pas connus du public français. Cependant, de temps à autres, un film fait exception: il est plébiscité par la critique et réalise une bonne carrière commerciale. Respiro (Emmanuele Crialese, 2002) est un cas d’école: en Italie le film a reçu un accueil plutôt négatif, alors qu’en France il a été un véritable succès. Le distributeur italien a tenté d’en jouer en faisant resortir le film avec une nouvelle bande annonce composée simplement des titres élogieux de la presse française. mais le résultat n’a pas été meilleur. Pour expliquer cet état de choses, il faut émettre l’hypothèse que le film correspond à une « certaine idée de l’Italie » que se font les Français, mais qui est fort éloignée de l’idée que les Italiens se font de leur propre identité. 290 Cornelia Lund (Stuttgart) Postsurrealistische Affekte – zu den Musikvideos von Michel Gondry Michel Gondry greift in seinen Musikvideos wiederholt auf von den Surrealisten entwickelte ästhetische Verfahren zurück, besonders auf filmische Strategien, die in den surrealistischen Filmen der 20er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts entwickelt wurden, wie etwa Brüche in der Raum-Zeit-Konstruktion oder Collagenstrukturen. In mehreren Videos spielt er mit der Poetisierung alltäglicher Objekte, Regenschirm und Nähmaschine auf dem Seziertisch werden zu Fledermäusen auf dem Teller. Wundersame Verdopplungen finden statt (etwa im Video zu Kylie Minogues „Come into my world“), die perspektivischen Verzerrungen im Video zu „Like a Rolling Stone“ von den Rolling Stones erinnert an Man Rays Experimente mit Gelatinefiltern in „L’Etoile de Mer“. Der Beitrag möchte untersuchen, wie Michel Gondry surrealistische Verfahren im kommerziellen Kontext des Musikvideos einsetzt und weiterentwickelt. Hierbei soll insbesondere der Bezug der bildlichen Verfahren zur Musik und ihr Einsatz zur musikalischen Affektsteuerung herausgearbeitet werden. Esther Gimeno Ugalde (Wien) Film als Ausdruck des Widerstands gegen die Franco-Diktatur: Das Beispiel J. A. Bardem In den ersten Jahrzehnten der Franco-Diktatur versuchte die strenge Zensur mit ihren restriktiven Maßnahmen jegliche Kritik am Regime zu verhindern. Trotzdem gelang es einigen spanischen Regisseuren wie J. A. Bardem und L. G. Berlanga immer wieder, diese raffiniert zu umgehen. Auch die rasch zunehmenden europäischen Koproduktionen in den 1950er Jahren boten den erwähnten Regisseuren und vielen anderen Gelegenheit, sich an ein internationales Publikum zu wenden und den inquisitorischen Methoden der Zensur zu entkommen. 291 In diesem Vortrag soll anhand zweier Filmbeispiele – Muerte de un ciclista (1955) und Calle Mayor (1956), die als Meisterwerke Bardems gelten – verdeutlicht werden, in welche Widersprüche das spanische Kino während der ersten Jahrzehnte der Franco-Diktatur verstrickt war. In beiden Filmen ist es dem Regisseur gelungen, ein kritisches und sehr exaktes Bild des Systems und der etablierten Gesellschaft zu vermitteln. Aufgrund ihres kritischen und eindeutig politischen Inhalts sowie der Darstellung der Figuren werden sie dem spanischen Filmschaffen zugeordnet, auch wenn es sich in beiden Fällen um Koproduktionen (Spanien/Italien bzw. Spanien/ Frankreich) handelt. In beiden Werken ist der europäische Einfluss latent zu spüren, und anhand von Parallelen zu Schlüsselwerken des cinema italiano wie Cronaca di un amore (M. Antonioni) und Ossessione (L. Visconti) im Falle von Muerte de un ciclista oder I vittelloni (F. Fellini) im Falle von Calle Mayor sind die kulturellen Tendenzen des damaligen Europas erkennbar. Zum Abschluss des Vortrags wird ausgehend von den großen Erfolgen dieser Filme auf internationalen Festivals wie Cannes oder Venedig und dem dadurch erlangten Ansehen Bardems innerhalb des europäischen Kinos auf seine Anerkennung als Symbol des inneren Widerstandes in Spanien durch die internationale Kritik eingegangen. Sebastian Thies (Bielefeld) Dezentrierte Bildwelten - Zum Filmschaffen des chilenischen Exils in Europa Als die chilenischen Filmschaffenden wie u.a. Raúl Ruiz, Patricio Guzmán, Pedro Chasquel und Miguel Littín nach dem Militärputsch in Chile ins Exil gehen mussten, lag die Erfahrung einer gerade auch filmästhetisch ausgesprochen fruchtbaren politischen „militancia“ in der sozialrevolutionären Bewegung der 60er und der frühen 70er Jahre hinter ihnen. Obwohl der chilenische Film auf keine eigene Tradition zurückblicken konnte und in jener Zeit 292 filmästhetische Fragestellungen - beeinflusst auch von Julio García Espinosas Thesen zum „cine imperfecto“ - ohnehin eher abfällig mit dem Verweis auf bourgeoise Rezeptionskriterien abgetan wurden, hatte sich im Kontext der Unidad Popular innerhalb kürzester Zeit eine kraftvolle eigenständige und politisch engagierte Filmsprache herausgebildet. Insbesondere die utopische Strahlkraft des mit dem Freitod Allendes gescheiterten chilenischen Wegs zum Sozialismus verlieh dieser Filmproduktion im Exil fast schlagartig kulturelles Kapital im Feld des europäischen Filmschaffens. Der Problematik zum Trotz, die sich aus der bis heute nur sehr eingeschränkten medialen Integration von exilierten Kunstschaffenden in europäischen Aufnahmeländern ergibt, konnten die chilenischen Filmschaffenden so seither aus den kulturellen Zwischenwelten des Exils und Postexils Filme produzieren, die das Filmschaffen in Europa nachhaltig mit geprägt haben. Der Blick auf das chilenische Filmschaffen in Europa - wie hier an Teilen des Werks von Raúl Ruiz exemplifiziert - bietet die Möglichkeit, die euro(ro)manische Nabelschau des diesjährigen Romanistentags leicht zu dezentrieren und gleichzeitig eine bipolare Gegenüberstellung vom - überspitzt formuliert - politisch und kulturell affirmativen und an Hollywood orientierten Kino-Mainstream und seinem filmästhetisch innovativen euroromanischen Widerpart zu unterlaufen. Burkhard Pohl (Göttingen) Road Movies in Spanien zwischen nationaler Vergewisserung und internationaler Einschreibung Zwar wird im spanischen Kino der 1990er Jahre die Metropole Madrid immer wieder neu inszeniert, doch bleibt die Provinz als filmische Kontrastfolie präsent. Gerade jüngere spanische Produktionen greifen dabei auf die Konventionen des Road Movie zurück. Wird das Road Movie dabei ‚nationalisiert’ oder folgt es 293 primär international etablierten Genre-Mustern? Filme wie Airbag (Juanma Bajo Ulloa, 1997) und Carreteras secundarias (Emilio Martínez Lázaro, 1997) zeigen die Spannbreite von der Reise als Vehikel historischer Erinnerung und Initiation, bis hin zur parodistischen Erkundung des Hinterlandes und seiner politischen Gegenwart. Heidi Denzel de Tirado (Saarbrücken) Mantel-und-Degen-Abenteuer in Künstlerfilmen der Romania: Carlos Sauras Buñuel y la mesa del rey salomón und seine Einflüsse In der Nachkriegszeit erfuhren hageographische Filme bekannter Persönlichkeiten allgemein eine Blütezeit. Doch bereits in den 60er Jahren nahm das Interesse an erbaulichen Vorzeigebiographien auf der Leinwand immer mehr ab, und so verschwanden Lebensdarstellungen von Berühmtheiten über mehrere Jahre aus den Kinos, da es der internationalen Filmindustrie äußerst schwer fiel, neue filmische Erzählstrategien für Biopics von Zelebritäten zu entwickeln. Seit einigen Jahren nehmen biographische Filme nun aber wieder von neuem einen Platz in der Filmgeschichte ein. Während sich besonders im angelsächsischen Raum eine Tendenz herauskristallisiert hat, die das Leben von Künstlern und Schriftstellern als einen harten Überlebenskampf darstellt, der von Krankheiten, Psychosen und Abhängigkeiten geprägt ist, sind in der Romania mehrere Künstlerfilme entstanden, die Schriftsteller und Maler nicht als leidende überbegabte Genies entblößen, sondern als geistreiche Hasardeure und Draufgänger, die ihr ereignisreiches und strapaziöses Leben durchaus geschickt zu meistern wissen. Diese meist sehr stark fiktionalen Biopics bedienen sich vieler Elemente aus exotischen, surrealistischen und historischen Abenteuerfilmen, so dass man von einer Mischform von Attraktions- und Erzählkino sprechen kann. Am Beispiel von Carlos Sauras Buñuel y la mesa del rey salomón soll herausgearbeitet werden, inwiefern sich der Film der Stilmittel anderer kinematographischer 294 Genres bedient und worin gegenseitige Einflüsse und Wechselwirkungen innerhalb der Künstlerfilme der Romania bestehen. Da der biographische Film als Gedächtnisgattung immer wieder Anlass zu Diskussionen über die Darstellung von Geschichte im Kino bot, soll überdies besonders der Frage nachgegangen werden, wie „Geschichte“ in diesen abenteuerlichen Biopics in Szene gesetzt wird. Denn auch in der Form von surrealistisch fantastischen Abenteuergeschichten fungieren biographische Künstlerfilme noch stets als Medien der bildlich codierten kulturellen Erinnerung, die für viele Zuschauer oft die einzige Begegnung mit dem Leben und Werk von Künstlern und Schriftstellern darstellt. Sabine Schrader (Leipzig) Tano da morire (1997) – „Es ist gut, weil es schrecklich ist“ (Susan Sontag)? Das Mafiamusical Tano da morire (Regie: Roberta Torre) wird 1997 in Venedig als das beste Debüt ausgezeichnet, in Italien macht sich eine „Tanomania“ breit. Der Film setzt die italienische Filmtradition fort, er ist mit Laienschauspielern besetzt, was auf den neorea lismo verweist, gleichzeitig aber tanzen die Protagonisten vor handgemalten Palermokulissen, nichts scheint ‚echt’ – auch nicht die Tränen der Freunde und Familie des ermordeten Mafiachefs und Metzgermeisters Tano. Der Film lebt von den intra- und intermedialen Bezügen zur Film- und Literaturgeschichte Siziliens, doch das kollektive Gedächtnis wird zum Trash oder – wie Susan Sontag es formulieren würde – zu camp. Der Film löst entsprechend eine Diskussion um Kunst und Ethik in Italien aus. Darüber hinaus trägt Tano da morire zur Rekonstruktion der italienischen Filmlandschaft der ausgehenden 1990er Jahre bei, die – analog vielleicht zum derzeitigen Berlinfilm in Deutschland – die einzelnen Regionen neu inszeniert. Filme wie von Carla Apuzzo Rose e pistole (1998), Davide Ferrarios Roadmovie Figli di Annibali (1998) oder Alessandro Pivas La capagira (2000) sind komödian295 tische Hymnen auf die regionale Besonderheit und Skurrilität von Bari, Neapel usw. Am Beispiel des Films Tano da morire möchte ich die zeitgenössische Verarbeitung kollektiver Mythen aufarbeiten und in Hinblick auf den ‚regionalen Film’ nach der Entstehung einer neuen Mythologie fragen. Gunnar Nilsson (Jena) Der brasilianische Film auf der Suche nach seiner Sprache Nach dem Zusammenbruch der nationalen Filmproduktion während der Austeritätspolitik unter Präsident Collor hat sich die brasilianische Kinolandschaft erstaunlich schnell mit neuem Leben gefüllt. Die bemerkenswert vielfältigen und qualitätsvollen Produktionen, die im Kielwasser von Terra estrangeira (Walter Salles, 1995) entstanden, lassen die Krise zu Beginn der letzen Dekade in Vergessenheit geraten. Im Bereich des Kurzfilms kann sogar von einem Boom die Rede sein. Eine junge Filmemacher-Generation, die sich jenseits der ästhetischen Vorgaben des Cinema Novo wieder Brasilien-bezogenen Thematiken zuwendet, ist neben die großen Namen getreten. Wenngleich es verfrüht ist, vermeintlich verbindende Elemente der verschiedenartigen Ansätze zu benennen, wird zumindest eines deutlich: Bei aller Heterogenität schreiben sich die neuen Ästhetiken ohne ideologischen Ballast entschlossen in das Spannungsfeld zwischen fremden (europäischen oder nordamerikanischen) und eigenen Traditionslinien ein, auf der Suche nach einer eigenen, aber nicht zwangsläufig ‚brasilianischen’ Filmsprache. Teresa Pinheiro (Chemnitz) Grenzüberschreitungen in der ‚portugiesischen’ Filmproduktion der 1930er Jahre Dass die ästhetischen und materiellen Grenzüberschreitungen womöglich schon immer ein Charakteristikum der romanischen Film296 produktion waren und dass diese Grenzüberschreitungen über die Grenzen der Romania hinweggingen – dies zeigt uns die Beschäftigung mit der portugiesischen Filmproduktion der 1930er Jahre. Einer der letzten Stummfilme, der in Portugal gedreht wurde, Maria do Mar (1930) von Leitão Barros, zeigt deutliche ästhetische und filmtechnische Einflüsse des klassischen sowjetischen Kinos (Pudovkine, Eisenstein) sowie des deutschen Expressionismus (Wiene, Lang). Auch die ersten Tonfilme, die in Portugal gedreht wurden – A Severa (1931) von Leitão Barros, A Canção de Lisboa (1933) von José Cottinelli Telmo und Gado Bravo (1934) von António Lopes Ribeiro – blieben technisch fast ausschließlich in den Händen deutscher Filmschaffender (Erich Philippi, Herbert Lippschitz, Heinrich Gärtner), die im Zuge der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten zur Emigration getrieben wurden und in Portugal einen ‚sicheren Hafen’ fanden. Diese internationale Prägung der Formen und Techniken verhinderte jedoch nicht, dass in allen erwähnten Filmen nationale Themen behandelt wurden. Zu überprüfen wäre, inwiefern die Internationalität der Filmproduktion in den 1930er Jahren die Auswahl diese Thematik sogar begünstigt hat. Claudia Bahmer (Stuttgart) An der Schwelle vom ‚Bewegungs-Bild‘ zum ‚Zeit-Bild‘: Zur kinematographischen Formensprache in André Malraux’ „Espoir – Sierra de Teruel“ (1938/39) Zwar entstand der hier thematisierte - einzige - Film André Malraux’ bereits Ende der dreißiger Jahre, doch ergibt sich ein unmittelbarer Bezug zu dieser Sektion bei Betrachtung der zeitgenössischen Kritik von (und nach) 1945, dem Jahr der ersten Wiederaufführung von „Espoir – Sierra de Teruel“. Unabhängig von ihrer jeweiligen Grundhaltung gegenüber Malraux’ Film heben nahezu alle Kritiken auf ein in spezifischer Weise hervorstechendes Charakteristikum von „Espoir“ ab: eine bemerkenswert starke Konzentration auf 297 die künstlerische Formensprache des Filmes selbst, die das erzählte Geschehen zwar unterstütze, aber auch schon eine relativ hohe Eigenständigkeit diesem gegenüber behaupte. André Bazin führt in seinem kritischen Essay „L’Espoir – du style au cinéma“ dieses neue „Formdenken“ Malraux’ auf zwei Hauptkriterien zurück, die auch Gegenstand von Malraux’ eigenen kunsttheoretischen Überlegungen sind: „ellipse“ und „comparaison“. Anhand einer Bezugnahme auf Malraux’ eigene Kunstschriften, in welchen auch die Rolle des Kinos als autonome, moderne Kunstform behandelt wird, soll der Versuch einer Bestimmung von Wesen und Funktion der Malraux’schen Formensprache unternommen werden, welche sich – so meine These – als exemplarischer Übergang von einem vorkriegstypischen image-mouvement zu einem nachkriegstypischen image-temps (nach Gilles Deleuze) darstellen und verstehen lässt. Cécile Kovashazy (Montpellier) Der Doppelgänger im französischsprachigen Film nach 1945 In der romantischen Prosa wurde die Figur des Doppelgängers als zentrales Thema betrachtet, denn sie ließ die Fiktionalisierung des dunklen Teils unserer Sehnsucht zu, des düsteren Objekts, dass Freud ein paar Jahrzehnte später ins Rampenlicht geholt hat. Trotz seines Klischeestatus in der Literatur des 19. Jahrhunderts hat der Doppelgänger seine Aura nicht verloren, sondern lebendig Einzug in der neuen Kunst des 20. Jahrhunderts gehalten, dem Film. Ich schlage vor, die Eigentümlichkeiten dieses Motivs im französischsprachigen Film nach 1945 zu untersuchen. Die zentrale Frage wird sein: Gibt es eine kinematographische Eigentümlichkeit der Figur des Doppelgängers? Und wenn ja, wie lässt sie sich präzisieren? Für meinen Analysekorpus lasse ich bewusst Science-Fiction Filme (parallele Welten) und die zur Zeit zahlreichen Filme über bio-ethische Fragen des Klonens beiseite. Ich beschäftige mich mit fünf Filmen, die einen repräsentativen Überblick der Figur 298 des Doppelgängers geben: zwei französische Filme (Plein soleil von René Clément, 1960 und La nuit américaine von François Truffaut, 1973), ein französischsprachiger belgischer Film (Toto le héros von Jaco van Dormael, 1991) und zwei Filme, die es erlauben nach den Grenzen der Romania zu fragen (La double vie de Véronique von Krzysztof Kieslowski, 1991 und Ce jour là von Raúl Ruiz, 2003). Eine Typologie (auf der griechisch-römischen Mythologie gründend), die spezifisch für den literarischen Doppelgänger ist, wird uns dabei behilflich sein zu hinterfragen, ob sie auch für filmische Werke gültig ist. Bei dieser Gegenüberstellung wird gezeigt, dass einige Gestalten des literarischen Doppelgängers einerseits im Film unmöglich sind und andererseits einige Gestalten nur im Film realisiert werden können. Die unterschiedlichen Verwendungen des Motivs in Film und Literatur lassen sich durch erzähl- bzw. filmtechnische Mittel feststellen (Hauptfrage: ein oder zwei Schauspieler? Temporalität? usw.); somit verändert sich die Rezeption (der Zuschauer sieht das Versehen des Hauptcharakters, die Entwicklung der Spannung wird anders behandelt). Am Schluss steht die Frage, ob die Doppelgängertäuschung im Film möglich ist. Anke Wortmann (Halle/Saale) Das Risorgimento im italienischen Film Im Jahre 2002 hat der italienische Staatspräsident Ciampi die italienischen Filmschaffenden aufgefordert, sich vermehrt um die Repräsentation der italienischen Geschichte und insbesondere des Risorgimento zu kümmern. Doch schon der erste italienische Film, der 1904 gedrehte La presa di Roma, hat das Ereignis zum Gegenstand, mit dem das Risorgimento politisch als abgeschlossen gelten kann. Es folgen bald und kontinuierlich weitere Filme, in denen gern der heroische Anteil Garibaldis betont wird. Die italienischen Risorgimento-Filme nach 1945 eröffnen ein Spannungsfeld, in dem auf der einen Seite der Einigungsprozess als eine Erfolgsgeschichte erzählt wird, als Einigung über regionale 299 Grenzen hinweg und als Sieg über feindliche Mächte, die Italien besetzt halten (Viva l’Italia und schon 1860). Auf der anderen Seite stehen die Werke, die die Einigung als verpasste Chance behandeln und der Gramsci’schen These folgen, es handele sich um eine „conquista regia e non movimento popolare“ (Senso, Il gattopardo, Bronte). Gleichzeitig aber reflektieren viele Regisseure über ihre Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ihre eigene Gegenwart, wie die Chancen auf eine neue politische und soziale Ordnung nach 1945 oder nach 1968 – Themen von europäischer Relevanz. Christiane Solte-Gresser (Bremen) Das Bild Italiens im Film des neorealismo. Anmerkungen zu einem italienischen, romanischen und europäischen Kapitel der Filmgeschichte Der neorealismo zählt zu den bedeutendsten und innovativsten Strömungen innerhalb der europäischen Filmgeschichte. Im Zentrum des Beitrages sollen die Themen und Erzählweisen stehen, welche nach 1945 als ‚typisch’ für das italienische Kino und seine Erneuerungstendenzen galten. Es geht dabei, anders als in der zumeist additiv verfahrenden Forschungsliteratur, vor allem um die Suche nach Verfahren, mittels derer die einzelnen Filmemacher an der Konstruktion des Bildes von einem neuen Italien arbeiten. Hierfür gilt es in erster Linie die Filmtechnik, die verwendeten Motive und das Verhältnis von Film und Literatur, von Film und historischer Dokumentation bzw. von Film und politischer Agitation zu untersuchen. In diesem Zusammenhang stellen sich folgende Fragen: Welche konkreten Ausgangsbedingungen bestimmen die Versuche einer Innovation des Kinos im italienischen Kontext? Wodurch unterscheiden sich die Filme, mit denen sich das post-faschistische Italien eine eigene Identität zu ‚erschreiben’ versucht, von anderen europäischen Filmen der Nachkriegszeit? Wie hängt die Entstehung des Bildes vom eigenen Land mit der politischen Vergangenheit 300 zusammen? Inwiefern kommt dem neorealismo eine Position zwischen radikaler Abkehr von der Tradition und bewusstem Anknüpfen an die eigene Geschichte zu? Lässt sich in Italien eine spezifische Sprache des cineastischen Erzählens ausmachen? Und vor allem: In welcher Hinsicht hat diese Strömung nicht nur den Verlauf der italienischen, sondern der europäischen Filmgeschichte insgesamt geprägt? Im Rahmen der Sektion zum Kino der Romania will der Beitrag zu einer Diskussion darüber anregen, inwiefern der neorealismo über die Grenzen des eigenen Landes hinaus stilbildend für das Imaginarium und das Gedächtnis des europäischen Films geworden ist. Karin Weitzer (Graz) „Auf der Suche nach dem verlorenen Rad“. Vittorio De Sicas Ladri di biciclette im Spannungsfeld zwischen Tradition und Innovation Der italienische Neorealismus der unmittelbaren Nachkriegszeit entdeckt das Medium Film neu als ästhetische Darstellungsmöglichkeit und Reflexion kollektiver zeitgeschichtlicher Erfahrung. Aufgrund des Einbruchs der Zeitgeschichte in alle Bereiche des Lebens bekommt zeitgeschichtliches kinematographisches Erzählen die Funktion geschichtlicher Selbstverständigung in einer als Krise begriffenen Gegenwart. Neorealismus lässt sich am besten durch Negation (kein ausgefeiltes Drehbuch, keine Studioaufnahmen, keine professionellen Schauspieler, keine standardisierte Sprache) charakterisieren. Trotz der entschiedenen Ablehnung überkommener Filmkonventionen und der expliziten Hinwendung zur Gegenwart stellen neorealistische Filme keinen vollständigen Bruch in der Gattungstradition der italienischen Filmproduktion dar. Das hat zur Folge, dass Konstitution und Durchsetzung des neorealistischen Films in keinen poetologischen Diskurs eingebettet sind. Dieser Vortrag soll zeigen, dass der Neorealismus, wenngleich ihm keine klar definierte Poetik zugrunde liegt, doch als filmtheoretisches Kontinuum bezeichnet werden kann, das bestimmte 301 Konstanten und distinktive Merkmale aufweist. Gemeinsam ist allen neorealistischen Ausdrucksformen das Bewusstsein einer einschneidenden historischen Wende und die dadurch bedingte Suche nach innovativen Formen narrativer Komposition als Darstellung von Widersprüchlichkeit. Bezüglich der filmischen Narration kommt in diesem Vortrag der Frage nach dem Phänomen der Zeitdualität erzählte Zeit/ Erzählzeit (Christian Metz) eine zentrale Bedeutung zu. Vittorio De Sicas und Cesare Zavattinis oscargekrönter Film Ladri di biciclette, der von André Bazin als „der extremste Ausdruck des Neorealismus“ bezeichnet wird, fokussiert die ästhetische Zeitproblematik sowie die Schwellensituation am Ende der faschistischen Ära und bewegt sich wie kein anderer in einem Spannungsfeld zwischen tradierten Formen und Innovation. Daraus resultiert eine Ambiguität, die nicht zuletzt die Darstellungsmodalität von Wahrnehmung und Wirklichkeit betrifft. Anhand einer exemplarischen Einzelanalyse von Ladri di biciclette sollen rekurrente Oppositionspaare (Kolletiv-Individuum; öffentlich-privat; Hoffnung-Resignation; Katholizismus-Marxismus; Realismus-Symbolismus) und für den Neorealismus charakteristische Topoi (feindliche Masse, Blick des Kindes) dargestellt werden, welche die europäische und internationale Filmästhetik nachhaltig beeinflussten. De Sicas miseen-scène, Zavattinis einzigartige Skandierung des Drehbuches und nicht zuletzt die von beiden stets vermittelte umanità prägten nicht nur die filmgeschichtlich bedeutendsten kinematographische Strömungen der Romania (nouvelle vague, cinéma rive gauche, movida etc.), sondern hinterließen auch in Werken der weltweit angesehensten Regisseure (Milos Forman, Samuel Fuller, Robert Altman, Woody Allen) und innovativsten Newcomern (Xie Jin) explizit europäische (Film)Spuren. 302 Sektion 16 Die Inszenierung von Begegnungen: Entdeckung und Eroberung in Text und Film Leitung: Ute Fendler (Saarbrücken) / Monika Wehrheim (Saarbrücken) Programm Montag, 26.09.05 Inszenierung und Eroberung 9.00 Uhr Monika Wehrheim (Saarbrücken) Kolumbus als friedlicher Idealist und die Erobe- rung als interkulturelle Begegnung - 1492 von Ridley Scott Verena Dolle (Eichstätt) Amerika als Ort der Freiheit? Die Eroberung Mexikos als Erinnerungsort in Captain from Castile (USA, 1947) Nadia Lie (K.U. Leuven) La representación del Nuevo Mundo en La contro- versia de Valladolid (Jean-Daniel Verhaeghe/Jean- Claude Carrière) Filming Back I 14.00 Uhr Freya Schiwy (University of California, Riverside) Wider den Imperialen Blick – Dekolonisierung, Video und indianische Bewegungen Wolf Lustig (Mainz) Aju ne xe pee remiurama: die Umsetzung von Hans Stadens „Wahrhaftige[r] Historie der wilden, nackten grimmigen Menschenfresser-Leute“ in Form des ersten tupi-sprachigen Kinofilms Markus Klaus Schaeffauer (Freiburg) 303 Bilder des Unsagbaren: Cabeza de Vaca Inszenierungen und Medien 16.00 Uhr Sabine Roßbach (Saarbrücken) Die Eroberung Mexikos, in immer neuem Licht: Hernán Cortés, Diego Rivera, Salvador Corrasco Katja Carrillo Zeiter (Frankfurt/M) La cruz del sur – Die Eroberung Lateinamerikas im Dokumentarfilm Dienstag, 27.09.05 Inszenierungen und Medien 9.00 Uhr Marcela Caetano Popoff (Montevideo, Uruguay) La reescritura de la historia: ficción-realidad- fabulación. Una mirada comparada desde la cinematografía: Deus e o diabo na terra do sol y La Reina de la Noche. Mario Mongi (Frankfurt) La anti-escenificación de la alteridad. El film Los Muertos (2004) de Lisandro Alonso Joachim Michael (Freiburg) Der Mythos der Sklavin als Herrin: Xica da Silva zwischen Text, Film und Fernsehen Inszenierungen und Medien 14.00 Uhr Ute Fendler (Saarbrücken) Kolonialgeschichte zwischen Palimpsest und Simultanität. Inszenierungen aus Québec, Mexiko und Senegal Kolonialgeschichte intermedial Pierre Halen (Metz) L’exploitation du Congo vue par Conrad et ses dérivés romanesques et cinématographiques Helmut Schwartz (Saarbrücken) Zwischen Kolonial-Nostalgie und Aufarbeitung der Vergangenheit: Louis Gardels Roman Fort 304 Sagane (1980) und dessen Verfilmung durch Alain Corneau (1984) Filming Back II 16.00 Uhr Susanne Greilich (Regensburg) „Napoléon vu par les Egyptiens“ – Youssef Chahine’s Adieu Bonaparte Jean-Claude Naba (Ouagadougou) „Quand le tirailleur tire chez lui“ – Camp de Thiaroye von Ousmane Sembène und Tasuma von Daniel Kollo Sanou Mittwoch, 28.09.05 Inszenierungen und Gender 9.00 Uhr Mechtild Gilzmer (Berlin) Der koloniale Blick im Spiegel “weiblicher” Texte und “männlicher” Bilder Pascale Solon (Belfort/Marseille) Der Kurzfilm Il était une fois Donyazad (1996) von Merzak Allouache: Gender – Intertextualität – Ästhetik Abstracts Monika Wehrheim (Saarbrücken) Kolumbus als friedlicher Idealist und die Eroberung als interkulturelle Begegnung - 1492 von Ridley Scott Ein herausragendes Beispiel für die diskursive ‚Entschärfung‘ der Aneignung fremder Territorien und der gewaltsamen Unterwerfung der dort ansässigen Bevölkerung bildet von jeher das Bordbuch des Kolumbus und dessen Rezeption, in die sich der mit Blick auf den 500. Jahrestag der ‚Entdeckung‘ Amerikas produzierte Film 1492 von Ridley Scott problemlos einreiht. Die Sichtweise der Erstbegegnung von ‚Neuer‘ und ‚Alter‘ Welt ist aufs engste verknüpft mit 305 der positiven Kolumbus-Gestalt, die das Bordbuch aus der Feder des Las Casas und die Historia del Almirante des Kolumbus-Sohns Hernando schufen. Der Vortrag soll herausarbeiten, welche in den ersten Berichten angelegten Topoi der Film wie aufgreift, intermedial reinszeniert und damit erstaunlich ungebrochen jene Mythen fortschreibt, die zahlreiche Kolumbus-Studien des ausgehenden 20. Jahrhunderts zu dekonstruieren versuchten. Verena Dolle (Eichstätt) Amerika als Ort der Freiheit? Die Eroberung Mexikos als Erinnerungsort in „Captain from Castile“ (USA, 1947) Die Eroberung Mexikos durch Hernán Cortés ist ein Ereignis, das in vielerlei Form behandelt und verarbeitet worden ist. Zu nennen sind hier als erstes die spanischen historiographischen Texte des 16. Jahrhunderts, dann die literarische Verarbeitung in den Epen des sog. „ciclo de Cortés“. Eine Europäisierung des Stoffes erfolgt ab Ende des 16. Jahrhunderts (Montaigne, Essais, Dryden, The Indian Emperour 1667). Im 18. Jahrhundert wird der Stoff unter Verlagerung auf den Antagonisten von Cortés, Moctezuma, erfolgreich auf der Opernbühne umgesetzt (z.B. Vivaldi/Giusti 1733, Graun/ Friedrich der Große 1755, De Majo/Cigna Santi 1765 u.v.m.). Mein Vortrag beschäftigt sich mit einer der wenigen filmischen Annäherungen an das Sujet: „Captain from Castile“, USA 1947 (Regie Henry King, mit Tyrone Power und Jean Peters in den Hauptrollen, nach dem gleichnamigen Roman von Samuel Shellabarger [1944]). Ausgehend von Pierre Noras Konzept der „lieux de mémoire“ soll untersucht werden, welche Modellierungen das Geschehen der Eroberung Mexikos in Kings Film erfährt und welches Bild damit von der Begegnung mit dem Anderen, von Cortés, von Spanien und von Amerika vermittelt wird. Einmal mehr zeigt sich, dass das historische Geschehen zur Projektionsfläche für das eigene Selbst306 verständnis, für Vorstellungen von Zivilisation und der Begegnung zwischen den Kulturen wird. Nadia Lie (K.U. Leuven) La representación del Nuevo Mundo en La controversia de Valladolid (Jean-Daniel Verhaeghe/Jean-Claude Carrière) El título de esta película televisiva, hecha en conmemoración del V. Centenario para la televisión francesa, refiere a los debates que tuvieron lugar en Valladolid a mediados del siglo XVI acerca de la intervención española en el Nuevo Mundo. De por sí, la narrativización de un debate que ocupó varios meses ya plantea un problema especial al cineasta y guionista, pero en el caso presente, la película también denota la lectura de fuentes secundarias sobre el debate, más en particular La conquête de L’Amérique ou la question de l’Autre de Tzvetan Todorov (1982). Se interpretará la película como una reescritura del debate original implicando el deslizamiento de un discurso dicotómico y occidentalista hacia un discurso dialógico, ‘posoccidentalista’. En este proceso de reescritura ocupa un lugar central la introducción de una serie de actores representativos del mundo indígena, la cual conduce en cierto momento a una inversión radical de perspectivas. Freya Schiwy (University of California, Riverside) Wider den Imperialen Blick – Dekolonisierung, Video und indianische Bewegungen Der Vortrag enthält Überlegungen zum Konzept der “Biopower” (Michael Hardt und Antonio Negri), die von der Perspektive indianischer Bewegungen und deren immaterieller audiovisueller Arbeit aus beleuchtet wird. Nach Hardt und Negri zeichnet sich ein scheinbar paradigmatisch veränderter globaler Kapitalismus u.a. dadurch ab, dass kulturelles und intellektuelles Schaffen, sowie die gesamte Lebenswelt dem kapitalistischen Markt eingegliedert 307 sind. Kritik kann, nach dieser Sichtweise, nicht mehr von außen erfolgen, sondern ist dem System selbst immanent. Die Kraft der Lebenswelt (Biopower) wird somit als eine potenziell befreiende Macht verstanden, die sich der alles durchdringenden Biopolitik dieses neuen globalen Imperiums entgegen setzt. Durch einen Vergleich von zwei Filmen, La Nación Clandestina (Dir. Jorge Sanjinés) und Qati Qati (resp. Reynaldo Yujra) kommt der Begriff der Dekolonisierung unter den Bedingungen des globalen multikulturellen Marktes in schärferes Licht. Die kapitalistische Weltordnung erscheint so im Lichte von Kontinuität statt Bruch. Wolf Lustig (Mainz) Aju ne xe pee remiurama: die Umsetzung von Hans Stadens „Wahrhaftige[r] Historie der wilden, nackten grimmigen MenschenfresserLeute“ in Form des ersten tupi-sprachigen Kinofilms 1999 präsentierte der brasilianische Filmemacher Luiz Alberto Pereira den Film „Hans Staden“, ein „drama histórico“, in dem erstmals fast ausschließlich die Tupi-Sprache verwendet wird. Auch in anderer Hinsicht handelt es sich um den Versuch, eine Chronik aus der Zeit der Entdeckung und Eroberung Amerikas mit maximaler historischer „Authentizität“ auf die Leinwand zu bringen. Neben einigen Aspekten der Verwendung einer indigenen Sprache im Kinofilm soll das durchaus ambivalente Verhältnis zur Textvorlage einer Analyse unterzogen werden. Markus Klaus Schaeffauer (Freiburg) Bilder des Unsagbaren: Cabeza de Vaca (Abstract lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.) 308 Sabine Roßbach (Saarbrücken) Die Eroberung Mexikos, in immer neuem Licht: Hernán Cortés, Diego Rivera, Salvador Corrasco Diego Riveras Gründungsmythos für das nachrevolutionäre Mexiko (Murales, 1929 – 1945) zeigt die mexikanische Geschichte von der aztekischen Priesterherrschaft über die spanische Eroberung und mexikanische Revolution bis in eine sozialistische Zukunft und darf als Programm moderner mexikanischer Nationalidentität verstanden werden. Auffällig ist die Dämonisierung der spanischen Eroberer, die Rivera vornahm (so wird Cortés als brutaler, goldgieriger Syphilitiker dargestellt); dem gegenüber steht die Idyllisierung der alten indianischen Kultur. Eine ähnliche Tendenz charakterisiert das Bild von mexikanischer Völkerbegegnung und Kulturvernichtung, das der junge mexikanische Regisseur und Drehbuch autor Salvador Corrasco in seinem ersten Film La Otra Conquista (1999) zeigt. Es scheint, als begehrte das moderne Mexico, die Regierung sowohl als Vertreter von Kunst und Kultur, auf gegen die – zuallererst von den spanischen Eroberern dominierten – Darstellungen ihrer frühen Landesgeschichte. Deren ‚fremde’ Texte sollen abgeschüttelt werden, damit Platz wird für eine ‚eigene’ Identität, die ihre indianische Tradition bewußt aufwertet gegenüber den europäischen Wurzeln der mexikanischen Gesellschaft. In meinem Vortrag möchte ich die Neu- und Umwertung der mexikanischen Eroberungsgeschichte, die bis heute andauert, intermedial analysieren. Ausgehen will ich von den Briefen Cortés an Kaiser Karl V. sowie Bernal Diaz del Castillos Berichten über die Eroberung Mexicos. Diese Texte sollen einerseits mit Riveras Murales, andererseits mit Corrascos La Otra Conquista kontrastiert werden. Wir erhalten – in drei verschiedenen Medien (Text/Wandgemälde/Film) – vier völlig unterschiedliche Inszenierungen desselben geschichtlichen Ereignisses. Wie die differierenden Darstellungen ‚gemacht’ sind, sollen vergleichende Analysen einzelner Szenen erhellen, die in allen vier Werken vorkommen – und doch 309 jede eine eigene Interpretation der historischen Fakten transportieren. Katja Carrillo Zeiter (Frankfurt am Main) „La cruz del sur“ – Die Eroberung Lateinamerikas im Dokumentarfilm Der Film „La cruz del sur“ (1992) des chilenischen Dokumentarfilmers Patricio Guzmán thematisiert die Rolle der Religionen im heutigen Lateinamerika. Patricio Guzmán ist vor allem durch seine Dokumentarfilme zum Putsch in Chile und dessen Folgen einem größeren Publikum bekannt geworden. „La cruz del sur“ bildet durch sein Thema gleichsam eine Ausnahme im Filmwerk des Regisseurs. Ausgehend von der Frage nach der Stellung der Kirche, geht Guzmán hier dem Wandel des Katholizismus nach, den dieser gerade auch durch den Kontakt mit anderen nicht-europäischen Religionen oder Glaubensrichtungen – wie unter anderem dem Voodoo – durchlebt hat. Dabei wechseln dokumentarische Aufnahmen aus der Gegenwart und nachgestellte Szenen aus der Zeit der Eroberung Lateinamerikas einander ab. Es soll zum einen der Frage nachgegangen werden, welche Rolle nachgestellte historische Szenen in Dokumentarfilmen insgesamt einnehmen. Diese Technik wird gerade in letzter Zeit in Filmen zu historischen Themen zu einem beliebten Darstellungsmittel, da auf diese Weise historische Fakten Teil der filmischen Erzählung werden. In bezug auf Guzmáns Film wäre zum anderen zu fragen, welche Funktion der ständige – und auch willkürliche – Wechsel zwischen beiden Erzählformen des Dokumentarfilms einnimmt, denn es geht Guzmán nicht primär um eine Aufarbeitung der christlichen Eroberung Lateinamerikas. Für ihn steht die aktuelle Situation des Kontinents im Vordergrund. Marcela Caetano Popoff (Montevideo, Uruguay) La reescritura de la historia: ficción-realidad-fabulación. Una mirada comparada desde la cinematografía: Deus e o diabo na terra do sol y La 310 Reina de la Noche El mestizaje generó en América Latina una lucha por la identidad. Desde ella, el mestizo fue sujeto de una sociedad “antropoémica”, aculturada, que –siguiendo a Levi Strauss- “vomita” al individuo de su seno y otra “antropofágica” marginada y marginante que lo “digiere”, transformándolo en un sujeto indefinido que necesita de mediadores “prestigiosos” que lo validen, o lo condenen a la “otredad”. Un camino para considerar la reescritura de la historia podría ser el de reconocer las herencias de las cuales partimos y analizar sus transformaciones, la polifonía, esa multiplicidad de voces que representan, a su vez, múltiples memorias que resisten el olvido, sin perder de vista que toda reescritura de la historia no es sino un intento de avanzar hacia un “tiempo recobrado” en función de una memoria colectiva que nutre la memoria individual. Elijo los casos de dos films latinoamericano Deus e o diabo na terra do sol del brasileño Glauber Rocha y La Reina dela noche del mexicano Arturo Ripstein a fin de trabajar desde ellos e -con la apoyatura de “La estética del hambre”, texto escrito por el propio Glauber Rocha y textos programáticos del muralista Diego Rivera- intentar algunos abordajes respecto a la supervivencia de espacios de poder y disciplinamiento -herencia continental de las instancias de conquista y colonización-, enfrentados a su vez a una subalternidad que alterna entre la rebelión y el fracaso esencial de volverse invisible como una construcción ficcional del otro, una invención de su propia existencia. Mario Mongi (Frankfurt) La anti-escenificación de la alteridad. El film „Los Muertos“ (2004) de Lisandro Alonso Cuatro siglos atrás llega la Orden Jesuita a la región selvática y mesopotámica en lo que hoy es la frontera entre Paraguay, Argentina, Brasil y Uruguay. Allí se implementó una fina tecnología de 311 construcción económico-social y psicológico-moral sobre las diferentes etnias: Las Reducciones Guaraníes. Una naturaleza humana cristianizable es el presupuesto antropológico subyacente para un proyecto de corte presuntamente utópico y autoritario que marca al „reducido“ con el signo de una minoridad al menos provisional. La evangelización trae su propia estética con su propia escenificación: el encuentro dulce, no violento. Pero el fracaso político de aquel proyecto deja librado a su suerte al habitante de esta zona, es decir, sujeto a su supervivencia como mera fuerza de trabajo dentro de otro sistema de premios y castigos y lo sumerge en el cono de sombra de la dicotomía entre barbarie y civilización del siglo XIX. El siglo XX aporta migraciones internas y masificación mediática, represión policial y marginalidad. El resultado diverge en mucho del „ideal jesuítico“ y conforma un „otro“ otro sólo parcialmente integrado. Lo que sucede después es el eterno retorno de los encuentros culturales y sus „reducciones“. Si es posible escapar de este círculo, si es deseable hacerlo, si es un proyecto a realizar, es la cuestión a abordar en el análisis del film de Alonso: un intento de „démontage“ dramático, cuya estética niega su propia escenificación del „otro misionero“ construyendo una vez más su propia alteridad. Joachim Michael (Freiburg) Der Mythos der Sklavin als Herrin: Xica da Silva zwischen Text, Film und Fernsehen Xica da Silva ist eine historische Gestalt des 18. Jahrhunderts, die als ehemalige Sklavin und Mätresse eines hochrangigen portugiesischen Adeligen in der luso-brasilianischen Kolonie zu Macht und Reichtum gelangte. Sie geriet nach ihrem Tod 1796 in Vergessenheit, erstand jedoch 1868 historiographisch wieder auf. Mit der Geschichtsschreibung des ehemaligen Diamantenfördergebietes setzte eine Tradition der Mythenbildung und –umbildung ein, die 312 bis heute nicht abgeschlossen scheint. Im 20. Jahrhundert nahm sich die Literatur in unterschiedlicher Weise des Stoffes an. Entscheidend für den Mythos der Figur in der brasilianischen Gegenwartskultur war jedoch die Verfilmung Xica da Silva von Cacá Diegues 1976. Diegues, Mitbegründer des cinema novo, feiert die Gestalt in seinem Film als eine Art „Heldin Brasiliens“, die sich über die repressiven und rassistischen Strukturen der Kolonialgesellschaft hinwegsetzt und den Weg zu einer „neuen Zivilisation“ weist. Der Film popularisiert die Ursprungsvision einer brasilianischen „Rassendemokratie“, und so verwundert es nicht, dass sich zwanzig Jahre später das Fernsehen des Mythos annimmt. Das Fernsehen knüpft explizit am Film an, jedoch führt die intermediale Passage in Form einer Telenovela im Grunde zu einem völlig anderen Ergebnis. Als serielles Melodrama verliert die Utopie einer tropischen Überwindung sozialer Grenzen (Liebesglück) wieder zugunsten der Übermacht von kolonialer und rassistischer Gewalt (Zerstörung des Liebesglücks) an Boden. Sie setzt sich durch, aber erst ganz am Ende, nachdem das Publikum monatelang allabendlich die Grausamkeiten der Kolonialgesellschaft über sich ergehen lassen musste. Ute Fendler (Saarbrücken) Kolonialgeschichte zwischen Palimpsest und Simultanität. Inszenierungen aus Québec, Mexiko und Senegal Das Medium Film eignet sich besonders durch die Möglichkeiten der Montage auf Bild- und Tonebene ebenso wie auf syntaktischer und semantischer Ebene, die fortwährende Präsenz der Geschichte von Entdeckung und Kolonialisierung in der Gegenwart „sichtbar“ werden zu lassen - sei es in Form eines Palimpsests oder in Form von Simultanität der Epochen. Der Vergleich dreier Film aus verschiedenen Ländern, die alle aus einem Kolonialprozess hervorgegangen sind - „Les maudits sauvages“ des Kanadiers JeanPierre Lefebre, „Ceddo“ des Senegalesen Ousmane Sembène und 313 „Barroco“ des Mexikaners Paul Leduc - erlaubt es, Prozesse der Hybridisierung und Synkretisierung als Konstanten der Kolonialgeschichte aufzuzeigen. Dabei werden Strategien von Rechtfertigungsdiskursen verschiedener Art und Provenienz ebenso deutlich wie Ikonen des Kolonialdiskurses (wie beispielsweise der ‚Missionar’, der ‚Eroberer’, der ‚Händler’, der ‚Wilde’) oder erklärende Geschichtskonstrukte für die Gegenwart, die in der filmischen Konstruktion über Palimpsest und Simultanität hinterfragt werden. Pierre Halen (Metz) L’exploitation du Congo vue par Conrad et ses dérivés romanesques et cinématographiques La représentation, par Joseph Conrad, des premières années de la „mise en valeur“ du Congo dans le contexte du Congo Free State est tout sauf la représentation d’une rencontre entre collectivités humaines. C’est au contraire une mise en scène de la violence et de la non-compréhension entre des mondes qui s’excluent mutuellement. Ce phénomène, qui peut être mis en rapport avec la crise fin-de-siècle, se retrouve dans la postérité romanesque et cinématographique de Heart of Darkness, mais avec des nuances. Contrairement à Apocalypse Now, assez fidèle, de ce point de vue, à Conrad, le film Heart of Darkness ajoute un interface humain et culturel sous la forme d’un personnage (et d’un visage) particulier de colonisé, qui (paradoxalement pour le propos anticolonialiste) est une figure classique du roman colonial. Dans le roman, Céline et Greene, chacun à leur manière et malgré la radicalité de leur propos, ajoutent eux aussi une figure narrative de „compréhension“ entre les mondes humains. C’est moins évident chez Moravia, entre autres auteurs „conradiens“. La communication s’interrogera sur le statut de l’image et du média en général dans ces différents traitements de la tradition conradienne. 314 Helmut Schwartz (Saarbrücken) Zwischen Kolonial-Nostalgie und Aufarbeitung der Vergangenheit: Louis Gardels Roman ‚Fort Sagane‘ (1980) und dessen Verfilmung durch Alain Corneau (1984) „Service inutile“ könnte man diesen Roman, einen Titel Montherlands zitierend, nennen, denn das Buch Gardels lässt sich unschwer einer Tradition der zugleich kritischen, heroisierenden und philosophischen Verarbeitung der ‚Eroberung der Wüste‘ durch Frankreich zuordnen, innerhalb derer Montherland selbst mit „La rose de sable“ einen markanten Beitrag geleistet hat. Gardel fügt der eingangs bezeichneten Dreifachdimension (Kolonialkritik, Kolonialnostalgie und philosophische Aufbereitung der Begegnung mit der Wüste) eine vierte Dimension hinzu, die in den letzten beiden Jahrzehnten in verschiedenen literarisch-historischen Kontexten (insbesondere dem des ersten Weltkriegs) beträchtliche Bedeutung gewonnen hat: will sagen die Familiengeschichte und ihre reflektierende Vergegenwärtigung, und zwar insoweit als die Hauptfigur des Romans in einzelnen Etappen ihres Lebenswegs nach Aussage des Autors an bestimmte Ereignisse im Leben seines eigenen Großvaters erinnert. „Service inutile“, das wird im Roman sehr deutlich – und dennoch erscheint dieser Dienst in gewisser Weise als ein bewundernswert heroischer Dienst am Vaterland und an seiner, wie auch immer unvollkommen erfüllten ‚zivilisatorischen Mission‘ im Maghreb. Der Film – drei Stunden zwölf Minuten – bleibt dem Romangeschehen erstaunlich nahe. Der Eindruck, den er auf der Aussageebene beim Zuschauer hinterlässt, ähnelt daher dem Eindruck bei der Lektüre des Romans inhaltlich sehr stark. Dennoch erscheint die heroisch-nostalgische Komponente im Film durch die Bildeindrücke verstärkt. Der Beitrag versucht, die verschiedenen Komponenten von Film und Roman näher zu beleuchten und beide Werke in die Tradition der – meist nur partiell – kritischen 315 französischen Kolonialliteratur einzuordnen, deren Wurzeln bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Susanne Greilich (Regensburg) „Napoléon vu par les Egyptiens“ – Youssef Chahine’s Adieu Bonaparte Im Mittelpunkt dieses Vortrages steht einer der bekanntesten und zugleich umstrittensten Filme des ägyptischen Regisseurs Youssef Chahine: der 1984 beim Festival von Cannes präsentierte „Adieu Bonaparte“ mit Michel Piccoli in einer der Hauptrollen. „Adieu Bonaparte“ ist der bisher wohl einzige ägyptische Film, der sich mit dem napoleonischen Feldzug aus der Sicht der „Eroberten“ beschäftigt. Vielmehr als um einen bloßen Gegendiskurs zur offiziellen französischen Geschichtsschreibung geht es Chahine in „Adieu Bonaparte“ aber um eine Demontage geläufiger, stereotyper Repräsentationen arabisch-islamischer Mentalität (Fatalismus, Unterwerfung der Frau), sowie um eine übergreifende Reflektion darüber, wie der Umgang mit dem Fremden und den Einflüssen des Westens in den arabischen Gesellschaften erfolgen kann und sollte. Chahine zeigt dies am Beispiel der beiden Brüder Bakr und Ali, die mit ihrer Familie von Alexandria nach Kairo ziehen, um am Kampf gegen die Franzosen teilzunehmen, bald aber schon zu einem gänzlich unterschiedlichen Umgang mit den „Eroberern“ gelangen. Jean-Claude Naba (Ouagadougou) „Quand le tirailleur tire chez lui“ – Camp de Thiaroye von Ousmane Sembéne und Tasuma von Daniel Kollo Sanou (Abstract lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.) 316 Mechtild Gilzmer (Berlin) Der koloniale Blick im Spiegel “weiblicher” Texte und “männlicher” Bilder Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist der einleitende Essay von Assia Djebar zu ihren Erzählungen “Femmes d’Alger dans leur appartement (Paris 1980). Assia Djebar bezieht sich mit dem Titel auf ein Gemälde, das Eugène Delacroix 1832, nach seinem kurzen Aufenthalt in Algier, gemalt hat. Assia Djebar analysiert dieses Gemälde als Ausdruck der kolonialen Unterwerfung, die den Körper der fremden Frau zur Allegorie für das zu erobernde Land macht. Ich möchte diesem Bild-Text-Verhältnis genauer nachgehen und dabei auch das filmische Schaffen als bildhafte Antwort von Assia Djebar darstellen. In einem zweiten Schritt möchte ich die Text-Bild Betrachtung (Assia Djebar und Delacroix) mit einem anderen Text-BildVerhältnis fortführen. Die algerischstämmige Autorin Leila Sebbar hat gemeinsam mit Jean-Michel Belorgy eine Reihe von Postkarten herausgegeben, auf der nordafrikanische Frauen abgebildet sind. Diese Photos, die um die Wende zum 20. Jahrhundert entstanden sind, stellen in gewisser Weise die Fortsetzung des Delacroixschen Blickes im Medium der Photographie dar. In einem kurzen einführenden Beitrag zeichnet Leila Sebbar ein einfühlsames Bild der Hintergründe für den gesellschaftlichen Status der dargestellten Frauen. Ebenso wie Christelle Taraud in ihrem Buch “Mauresques. Femmes orientales dans la photographie coloniale” analysiert Leila Sebbar diese Photos als Ausdruck einer spezifischen sexuellen Gewalt und Teil der kolonialen Unterdrückung. Abschließend möchte ich diese Darstellungen mit den Photos von Marc Garanger in Zusammenhang bringen, der als einfacher Soldat während des Algerienkriegs den offiziellen Auftrag hatte, algerische Frauen zu photographieren. Es stellt sich u.a. die Frage, ob und in welcher Weise der koloniale Blick in seinen Photos überwunden wurde. 317 Pascale Solon (Belfort/Marseille) Der Kurzfilm Il était une fois Donyazad (1996) von Merzak Allouache: Gender – Intertextualität – Ästhetik In seinem Kurzfilm „Il était une fois Donyazad“ aus dem Jahr 1996 greift der in Algerien geborene Filmregisseur Merzak Allouache einen prestigereichen Text der arabisch-islamischen Literatur auf, nämlich die Geschichtensammlung „Tausendundeine Nacht“. Wie schon in anderen Filmen thematisiert Allouache in dem märchenhaft-fantastische Züge tragenden Kurzfilm die maghrebinische Immigration in Frankreich und deren interkulturelles Konfliktpotenzial. Er nimmt hier insbesondere die Beziehungen zwischen den Geschlechtern in den Blick. Der Beitrag versucht herauszuarbeiten, wie der Filmemacher Allouache den in der islamischen Welt zum Teil zensierten Text aktualisiert, um patriarchalische Diskurse des Migrantenmilieus und auch stereotype Repräsentationsformen, die für die historischen wie die gegenwärtigen Beziehungen zwischen „Orient“ und „Okzident“ bestimmend sind, aufzubrechen. 318 mm Anz Romanistentag A5 18.05.2005 10:40 Uhr Seite 1 Romania Viva Texte und Studien zur romanischen Gegenwartsliteratur (Hrsg. von Prof. Dr. Ulrich Prill, Münster) Die Reihe versteht sich als innovativer Beitrag zur Literaturwissenschaft. Sie widmet sich den Kulturen der Romania in ihrer ganzen Vielfalt. Schreiben aus dem Nichts Gegenwartsliteratur und Mathematik – das Ouvroir de littérature potentielle (Romania Viva 1) Von Uwe Schleypen 2004, 456 Seiten, Hardcover 68,00 Euro ISBN 3-89975-036-5 Vom Skandal der Stille entgegen Wege im Werk Pier Vittorio Tondellis (Romania Viva 2) Von Sandra Siegert 2004, 240 Seiten, Hardcover 39,90 Euro ISBN 3-89975-037-3 Mathematik und Literatur, Berechnung und Imagination – nichts scheint unvereinbarer zu sein, als diese beiden Arten, die Welt zu betrachten. Und dennoch treffen sie sich: In der écriture sous contrainte. Mit diesem Schreibkonzept der französischen Autorengruppe Oulipo setzt sich Uwe Schleypen auseinander. Pier Vittorio Tondelli – Stil und Thematik des 1991 im Alter von 36 Jahren verstorbenen Autors haben für junge Schriftsteller noch heute Vorbildcharakter. Sandra Siegert untersucht Verläufe und wiederkehrende Themen in seinem Werk und macht Bezüge für den deutschsprachigen Leser deutlich. Ihr neuer Verlag Unsere Titel erhalten Sie im Buchhandel oder direkt beim Verlag Martin Meidenbauer Verlagsbuchhandlung GmbH & Co. KG Erhardtstraße 8 · 80469 München Tel (089) 20 23 86 03 · Fax (089) 20 23 86 04 www.m-verlag.net Sektion 17 Geschichte der literarischen Spannung Leitung: Kathrin Ackermann (Salzburg) / Judith MoserKroiss (Salzburg) Programm Montag, 26.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Alwin Fill (Graz) Sprachliche Mittel zur Erzeugung von Spannung und Suspense im literarischen Text Andreas Fuchs (Rostock) Zur missachteten poetologischen Qualität der Scholien: das Verständnis der dramatischen Span- nung in antiken Kommentaren Grazia Dolores Folliero-Metz (Siegen) „Pos de chantar m’es pres talenz“. Paradigmatische Beispiele der Spannung aus der altfranzösischen Literatur Kathrin Ackermann (Salzburg) Spannungstechniken im italienischen Barockro- man Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 320 Christopher F. Laferl (Salzburg) Das Problem der Spannung in frühneuzeitlichen spanischen Poetiken Judith Moser-Kroiss (Salzburg) Ignacio de Luzán und seine Poetik Jutta Fortin (Wien) Spannung, das Fantastische und Intellektualisie- rung: Mérimées „La Vénus d’Ille“ Doris Wieser (München) 16.00 Uhr 16.45 Uhr Die Täterperspektive bei Patrícia Melo und Élmer Mendoza. Spannungserzeugung durch moralisch ambivalente Protagonisten Wolfram Aichinger (Wien) Significación, intensidad und tensión in der Poetik Julio Cortázars Gero Arnscheidt (Bochum) Spannung im spanischen Kriminalroman und seinen Hybridisierungen Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Jörg Türschmann (Mannheim) Spannung und serielles Erzählen. Vom Feuilleton- roman zur Fernsehserie Gudrun Held (Salzburg) Verfahren intermodaler Spannung auf Kontakt- texten: Beobachtungen am Beispiel italienischer, französischer und deutschsprachiger Zeitschriften-Covers Abstracts Alwin Fill (Graz) Sprachliche Mittel zur Erzeugung von Spannung und Suspense im literarischen Text In diesem Vortrag wird argumentiert, dass das Erzeugen von Spannung auf verschiedenen Ebenen der Sprache geschehen kann. Auf der Wortebene leisten dies eigene „Spannungswörter“ (wie Gefahr, Verdacht, unerwartet etc.), aber auch Neologismen, Wortkontraste und Metaphern, auf der Satzebene etwa die Retardierung syntaktischer Konstituenten, Fragesatz, Ellipse, Variation der Satzstrukturen und Ähnliches. Am wichtigsten ist die Textebene, auf der z.B. kataphorische Elemente (etwa beziehungslose Pronomina am An321 fang! – „Millimeter für Millimeter verließ er sie ...“), eingeschränkte Erzählperspektive, Variation der Thema-Rhema-Folge und verschiedene Formen der Intertextualität für Spannung sorgen. In dem Vortrag wird Spannung von Suspense unterschieden, wobei argumentiert wird, dass Suspense insbesondere durch Zurückhaltung von Information und Geben überraschender Information erzeugt wird. Der Vortrag wird auch auf die verschiedenen Spannungsmittel in den einzelnen literarischen Gattungen sowie auf die unterschiedliche Bedeutung der sprachlichen Spannungsmittel in den verschiedenen literarischen Epochen eingehen. Andreas Fuchs (Rostock) Zur missachteten poetologischen Qualität der Scholien: das Verständnis der dramatischen Spannung in antiken Kommentaren Aus der Antike sind uns zahlreiche Kommentare, vielfach in Form von Randnotizen in den Handschriften überliefert. Besonders die alexandrinischen Gelehrten seit dem 3. Jh. v. Chr. haben mit diesen Scholien schwer verständliche Passagen dichterischer Werke erläutert und auch literarische Wirkungen zum Gegenstand ihrer Kommentierung gemacht. Darunter fallen auch recht präzise Aussagen zur dramatischen Spannung. Aus dem ausschließlich deskriptiven Umgang mit diesem Phänomen (es gab ja schließlich keinen Terminus, in den sie ihre Vorstellung von dramatischer Spannung kleiden konnten) lässt sich folgern, welch bedeutende Rolle ‚Spannung’ oder ‚Suspense’ als dramatische Wirkung produktions- und rezeptionsästhetisch bereits spielte. Dieser Forschungsansatz betritt Neuland, denn die Scholien sind bisher in der Forschung ganz überwiegend nur im Kontext neuzeitlicher Sacherklärungen behandelt und kaum als eigenständige Zeugnisse eines theoretischpoetologischen Diskurses untersucht werden. Ich werde den Versuch unternehmen, exemplarisch an wenigen ausgewählten Scholien zu Homers Ilias und zur griechischen Tragödie nachzuweisen, dass dramatische Spannung als eine kom322 plexe literarische Wirkung von den antiken Literaturwissenschaftlern erkannt und beschrieben wurde, auch in Abgrenzung zu und in Wechselwirkung mit anderen Wirkungsphänomen der Literatur, wie der dramatischen Ironie. Grazia Dolores Folliero-Metz (Siegen) ’Pos de chantar m’es pres talenz’. Paradigmatische Beispiele der Spannung aus der altfranzösischen Literatur In diesem Beitrag werden einige Beispiele von „literarischer Spannung“ aus der altfranzösischen Literatur vorgestellt. Als Einführung dienen ein Einblick in eine Dichtung von Wilhelm IX. von Aquitanien und ein ausgedehnter Hinweis auf die narrative Struktur der Chanson de Roland. Corpus des Beitrags wird hingegen die genaue Analyse der Entwicklung der Novelle Yvain (Der Löwenritter) des Chrétien de Troyes sein. Diese Erzählung sollte nach Auffassung des Autors die Aufmerksamkeit eines gebildeten Kreises gewinnen, auch dank der subtilen Hilfe des „narrativen suspense“. Kathrin Ackermann (Salzburg) Spannungstechniken im italienischen Barockroman Spannung gilt als ein Phänomen, das untrennbar mit der Entstehung der Unterhaltungsliteratur am Ende des 18. Jahrhunderts verbunden ist, um von da an unaufhaltsam zur Herausbildung spezifischer Subgenres zu führen, die dem Leser eine atemlose, durch ein finales Ereignis abgeschlossene Lektüre versprechen. Doch bereits im 17. Jahrhundert existiert in Italien eine blühende Romanproduktion, zu deren Kennzeichen die Orientierung der Autoren an der Lesererwartung gehört. Die im Zuge der Aristoteles-Rezeption des Cinquecento erarbeiteten Konzepte zur Konstruktion der Intrige finden nicht nur im Drama Anwendung, sondern auch im Roman, dem mit der Übernahme des heliodorischen Schemas 323 ein Modell für eine Erzählung mit markierter Finalspannung zur Verfügung steht. Aus der Verbindung zwischen der Anwendung tragödienspezifischer Techniken und der Nachahmung der „Aithiopika“ entsteht eine neue Form des Erzählens, die mit der Ausweitung des Lesepublikums ab der Mitte des 16. Jahrhunderts immer größere Verbreitung findet. Am Beispiel ausgewählter italienischer Romane der dreißiger und vierziger Jahre des 17. Jahrhunderts soll untersucht werden, welche Techniken der Spannungserzeugung die Autoren verwenden, um ihre Leser in Atem zu halten. Dabei wird insbesondere auf das Ineinandergreifen von Spannungsbögen unterschiedlicher Intensität und Reichweite, das Zusammenwirken von Rätselspannung und Suspense, die Moderation der Erwartungshaltung des Lesers durch den Erzähler und die Orchestrierung des Geschehens durch trennscharf dargestellte Affekte eingegangen. Ausgehend von einer Abgrenzung gegenüber modernen Formen der Spannung soll versucht werden, die Rolle rezeptionsspezifischer Faktoren wie Gattungswissen, Identifikationsmöglichkeiten, historisch unterschiedlicher Zeitkonzeptionen und kultureller Bewertungen emotionaler Reaktionen zu bestimmen. Christopher F. Laferl (Salzburg) Das Problem der Spannung in frühneuzeitlichen spanischen Poetiken Wie schon die aristotelische Poetik, so kennen auch die spanischen poetologischen Abhandlungen des ausgehenden 16. und des 17. Jahrhunderts den Begriff der Spannung nicht. Mit Fragen der Gestaltung der Handlung, die Zuschauer, Leser und Hörer packen soll, setzen sich diese Texte aber sehr wohl auseinander. In diesem Beitrag soll untersucht werden, inwiefern in der Filosofía antigua poética (1596) des Alonso López Pinciano Fragen des Handlungsaufbaus, wie sie bei ihm unter den Begriffen „variedad de la fábula“, „perturbación“, „novedad“, aber auch „peripecia“ und „agnición“ abgehandelt werden, mit dem uns vertrauten Spannungsbegriff 324 in Beziehung gesetzt werden können. Die Ergebnisse dieser Fragestellung werden schließlich mit zwei anderen dichtungstheoretischen Texten der Zeit, des Arte nuevo de hacer comedias en este tiempo (1608) von Lope de Vega und der Agudeza y arte de ingenio (1642) von Baltasar Gracián, verglichen werden. Dieser Vergleich soll eine Antwort auf die Frage ermöglichen, ob für das Problem der Spannung eine Entwicklung für den ungefähr fünfzigjährigen Beobachtungszeitraum von 1598 bis 1642 festgestellt werden kann. Judith Moser-Kroiss (Salzburg) Ignacio de Luzán und seine Poetik „[Q]ue las dificultades sean ingeniosamente enlazadas, y nazcan unas de otras, teniendo en continua suspensión los ánimos del auditorio, inciertos del éxito de la fábula.“ Das fordert Ignacio de Luzán in einem Kapitel über die Tragödie aus seinem im Jahr 1737 veröffentlichten und 1789 neu aufgelegten Werk La poética. Reglas de la poesía en general y de sus principales especies. Bemerkenswert an diesem Zitat ist, dass sich der Autor explizit mit dem Phänomen der Spannung auseinandersetzt. Die „suspensión“ des Publikums und die Ungewissheit über den Ausgang des Stücks sind erwünscht und stellen positive Merkmale dramatischer Dichtung dar, wie Luzán auch an anderen Stellen seines Werkes feststellt – immerhin soll auf diese Weise erreicht werden, dass der Zuschauer sich mit dem Helden des Theaterstücks identifiziert und sich der Dramatik des Gezeigten nicht entziehen kann. Für Luzán, der sich sowohl mit antiken als auch zeitgenössischen Poetiken intensiv auseinandergesetzt hat, scheint das Prinzip der Spannung geeignet, das Ziel der Literatur zu erreichen, wie es den Vorstellungen der Aufklärung in Anlehnung an die antiken Poetiken entspricht: das Publikum gleichzeitig zu unterhalten und zu erziehen. Im Vortrag soll der Frage nachgegangen werden, welchen Stellen325 wert die Spannung in Luzáns Poetik vor allem in Bezug auf die dramatische Dichtung einnimmt. Jutta Fortin (Wien) Spannung, das Fantastische und Intellektualisierung: Mérimées „La Vénus d’Ille“ Mérimées „La Vénus d’Ille“ (1837) konfrontiert den Protagonisten und den Leser mit einer scheinbar bösartigen Venusskulptur, die einerseits die wissenschaftliche Neugier des Archäologen-Erzählers aus Paris weckt und andererseits den Dorfbewohnern der Stadt Ille Angst einflößt. Die Spannung währt bis zum Schluss der Erzählung; das (Todorovsche) Dilemma, die Vorkommnisse um die Skulptur als mögliche Unfälle zu interpretieren oder aber der Venus tatsächlich ein eigenständiges Leben und einen eigenen Willen zuzugestehen, bleibt ungelöst. Als ein Merkmal des Fantastischen kann gelten, dass die Texte dieses Genres Intellektuelle darstellen. In „La Vénus d’Ille“ diskutiert der Archäologe begeistert über die unvollständige Aufschrift auf dem Sockel der Skulptur, um die Bedeutung der Venus zu erfassen. Dieses Interesse des Gelehrten, das sich trotz der bevorstehenden Hochzeit ausschließlich auf die intellektuelle Auseinandersetzung mit der Skulptur konzentriert, gepaart mit seiner betonten Gleichgültigkeit Frauen gegenüber, weist darauf hin, dass er nicht asexuell ist, sondern dass er vielmehr vor dem Sinnlichen zurückschreckt und Schutz im Intellektuellen sucht. In der Psychoanalyse – ich beziehe mich auf Anna Freuds The Ego and the Mechanisms of Defense (1936) – wird ein solches defensives Ersetzen eines psychischen Problems durch eine intellektuelle Fragestellung als „Intellektualisierung“ bezeichnet. Der Beitrag zeigt, dass der Abwehrmechanismus der Intellektualisierung in der fantastischen Literatur nicht funktioniert. Vielmehr wird das Problem, das durch die Intellektualisierung auf einer unbewussten Ebene bewältigt werden soll, in die Wirklichkeit des 326 Texts übertragen und so dem Protagonisten und dem Leser vor Augen geführt. Als die Venus den Bräutigam in seiner Hochzeits nacht tötet, wird die Angst des Gelehrten vor dem Weiblichen, die seine Theorie von der Venusskulptur bestimmt, rationalisiert und dadurch gleichzeitig seine Theorie bestätigt. Doch durch die reale Manifestation des Problems innerhalb der Erzählung intensiviert das Fantastische die Angst, die durch den Prozess der Intellektualisierung normalerweise minimiert werden sollte. Obwohl sich das Interpretationsdilemma durch ein solches Lesen der Ereignisse zugunsten des Übernatürlichen auflöst, wird der Leser durch diese Erklärung nicht beruhigt. Die Spannung fällt ab, doch zurück bleibt ein Gefühl des Unheimlichen. Doris Wieser (München) Die Täterperspektive bei Patrícia Melo und Élmer Mendoza. Spannungserzeugung durch moralisch ambivalente Protagonisten Innerhalb des Megagenres Kriminalliteratur hat sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Untergattung herausgebildet, die mit suspense ficition oder roman à suspense bezeichnet wird. Ihre Initiatoren, die Amerikanerin Patricia Highsmith und ihre französischen Kollegen Pierre Boileau und Thomas Narcejac, haben sich nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Theoretiker mit der neuen Ausprägungsform des Kriminalromans auseinandergesetzt. Durch die Verschiebung der Perspektive vom Ermittler zum Täter oder Opfer versuchen die Autoren, den Spannungs- und Angsteffekt besonders wirksam zu gestalten. Der Perspektivenwechsel führt notgedrungen zu strukturellen Änderungen wie etwa der Verlegung der Romanhandlung auf den Zeitraum vor dem Verbrechen und den Verzicht auf ein Täterrätsel sowie auf eine ausführliche Darstellung der Ermittlung. Gleichzeitig birgt die Form aber die Möglichkeit einer flexibleren Spannungsgestaltung. Mittlerweile gehören solche „Spannungsromane“ zum Grundrepertoire der internationalen Kriminalliteratur. 327 Zwei zeitgenössische lateinamerikanische Romane dieser Machart sollen hier hinsichtlich ihres Spannungspotentials dem amerikanischen und französischen Vorbild gegenüber gestellt werden: O matador (1995) von Patrícia Melo aus Brasilien, und Un asesino solitario (2001) von Élmer Mendoza aus Mexiko. In diesen Werken wird die Kriminalhandlung aus der Perspektive des Täters, d.h. des Mörders, erzählt, jedoch nicht in einer mit dem Verbrecher sympathisierenden Weise. Die Grenze zwischen Täter und Opfer verwischt in beiden Romanen so sehr, dass der Leser in einem moralisch leeren Raum zurückgelassen wird. Nach einem strukturellen Vergleich des Spannungsverlaufs mit den erwähnten „Klassikern“, sollen die Rezeptionsbedingungen dieser Texte hinterfragt werden. Wenn Empathie oder sogar Sympathie des Lesers für die Figur zum prototypischen Spannungsaufbau nötig sind, wie kann dann bei einem ambivalenten Protagonisten, der mit negativen und positiven Aspekten gleichzeitig kodiert wird, dennoch Spannung entstehen? Melos und Mendozas Auftragsmörder gewähren eine tiefe Einsicht in ihr Innenleben, ohne dass sie deshalb zu Sympathieträgern oder Identifikationsfiguren werden könnten. Hier soll daher nach dem Ansatz Peter Vorderers (1996) exemplarisch überprüft werden, ob Empathie wirklich eine notwendige Vorraussetzung für den Aufbau von Spannung ist, oder diese vielmehr mit einer emotionsneutralen Übernahme der Perspektive der Zielperson von Seiten des Lesers zusammenhängt. Wolfram Aichinger (Wien) Significación, intensidad und tensión in der Poetik Julio Cortázars In dem Vortrag Algunos aspectos del cuento diskutierte Julio Cortázar 1962 diejenigen elementos invariables, die einer guten Erzählung ihre besondere Atmosphäre geben und sie zu einem Kunstwerk machen. Er führt dazu die Schlüsselbegriffe significación, intensidad und tensión ein. Das Referat soll den Ansatz mittels folgender Fragen umreißen: 328 Wie fasst Cortázar seine Konzepte und welche Position nimmt er damit in der Poetik von suspense und Spannung ein? Bei welchen Autorinnen und Autoren findet er seine Ästhetik der Erzählung verwirklicht und wie begründet er diese Auswahl? Wie ist der Beitrag dieses Zugangs, der Emotionssteuerung und Ästhetik verbindet, für die wieder erwachte Debatte um Werturteile in der Literaturwissenschaft einzuschätzen? Gero Arnscheidt (Bochum) Spannung im spanischen Kriminalroman und seinen Hybridisierungen Im spanischen Kriminalroman, der sich – im europäischen Vergleich sehr spät – erst in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts herausbildet, beruht der Spannungsaufbau zunächst ganz auf dem Komplex des traditionellen whodunnit. In der Folgezeit wurde das Schema des Kriminalromans bereits bei Manuel Vázquez Montalbán von den Elementen des »literarischen Plus« (Ulrich Suerbaum) überwuchert, was bei den späteren Autoren zu vielfachen Hybridisierungen des Kriminalromanschemas geführt hat. Der Beitrag will überprüfen, inwiefern Elemente der literarischen Spannung jeweils in spezifischer ggf. auch national typischer Form in die hybridisierten Komponenten verlagert worden sind und inwieweit sie als verkaufsfördernde Elemente von Autor und Verlag strategisch eingesetzt wurden. Im Vordergrund werden Romane von Antonio Muñoz Molina, Javier Marías, Jesús Moncada und Carlos Ruiz Zafón stehen. Jörg Türschmann (Mannheim) Spannung und serielles Erzählen. Vom Feuilletonroman zur Fernsehserie In der Spannungsforschung wird vor allem der Spannungsaufbau untersucht. Serielles Erzählen verfügt zur Erzeugung von Spannung über ein besonderes Mittel: die Unterbrechung des Publikationsflusses. Der Abbruch einer Spannungssituation birgt eine 329 außerordentliche Dynamik, die bei den audiovisuellen Medien cliff hanger genannt wird. Die ausgesetzte Situationsspannung ist paradoxerweise eines der augenfälligsten Beispiele für die Erzeugung von Spannung. Historisch gesehen ist dieses Verfahren immer schon in unterschiedlichen Anordnungen der Mise en abyme anzutreffen, bevor es dann in der Zeit der „industriellen Literatur“ (Sainte-Beuve) Verwendung findet. Bis in die Gegenwart bildet das Paradox des suspendierten Suspense ein allgegenwärtiges Stilmittel. Der Beitrag ist der Kombinatorik zwischen Erzählstoff und Spannungsaufbau in verschiedenen Formen des seriellen Erzählens gewidmet. Das Aussetzen von Spannung soll dabei auch als medienevolutionäre Wandlung hin zu Montagetechniken in einteiligen Erzählungen berücksichtigt werden. Gudrun Held (Salzburg) Verfahren intermodaler Spannung auf Kontakttexten: Beobachtungen am Beispiel italienischer, französischer und deutschsprachiger Zeitschriften-Covers Covers, eine bisher von der Linguistik kaum beachtete multimodale Textsorte, repräsentieren nicht nur das kompetitive Markenzeichen von Printmedien; in ihrer Funktion als Kontakttext bzw. als verkaufsorientiertes ‘Schaufenster’ und ‘Aushängeschild’ des Bezugsproduktes haben sie vorrangig die Aufgabe, für sich selbst zu werben und dabei ausgewählte Inhalte des Bezugsheftes möglichst schmackhaft zu präsentieren. Den modernen technologischen Möglichkeiten entsprechend werden hierfür sämtliche Codes – also Bild, (Typo-)Graphie und Sprache – gleichermaßen aufgewendet und zu einem geschickt designten, mehrdimensional angelegten und ästhetisch ansprechenden Gesamtkommunikat verarbeitet, in dem Spannung die fundamentale Köder-Rolle spielt. Mit dem Ziel, sowohl die anspruchsvollen Stammleser interessiert bei der Stange zu halten, als auch neue Konsumenten anzulocken und so den Absatz zu steigern, weisen Covers demnach zahlreiche 330 Textstrategien auf, welche im gezielten Zusammenspiel von Optik und Stilistik darauf angelegt sind, kurz, schnell und schlagkräftig auf kommende Informationen vorzubereiten und hinzuweisen sowie diese möglichst neugierweckend anzureißen oder anzudeuten. Dadurch geben sie ein exemplarisches Forum zur Erstellung einer Semiotik der Spannung ab, welche FILL 2003:132 als bisher nicht eingelöstes Desiderat formuliert. Als Ergebnis einer ersten Untersuchung von Titelseiten italienischer, französischer und deutschsprachiger Nachrichtenmagazine der letzten 5 Jahrgänge soll hier auf zwei verschiedene Typen von Spannungsformen näher eingegangen und diese vor allem an den Bild-Text-Beziehungen festgemacht werden: Zum einen geht es um die zwingenden, textsortenkonstitutiven Spannungsformen, die der kataphorischen Natur der Covers entsprechen und potentielle Leser gezielt an die kommende Information heranführen. Sie lassen sich vor allem als indexikalischer Stil deuten und umfassen in der typischen fraktalen Form der Cover-Sprache semantische Mittel (performative, metasprachliche Bezeichnungen, wertende Adjektiva, Nominalkleckse durch Hyperbeln oder Metaphern, Kollokate, etc.) genauso wie syntaktisch-textuelle (Ellipsen, Mittel des Suspense und der Retardierung, Serialisierungen, enumerative Wiederholungen, Unbestimmtheitsmarker, Substitution von Kataphern durch Anaphern, etc.). Zum andern geht es um die bewusst inszenierten kreativen Spannungsformen, die gleichsam auf zweiter Ebene als visuell-verbale Rhetorik über den textkonstitutiven Spannungsaufbau gezogen werden und damit noch mehr – vor allem vergnügliche - Spannung erzeugen. Im Mittelpunkt dieser wirksamen Strategien steht die multimodale Wiedergabe der rhetorischen Figuren, wobei durch gezielte Abweichung von Bild und Sprache, durch kontrastierende oder verfremdende Kombinationen der beiden Codes konventionelle Beziehungen gestört und eingespielte Erwartungen durchbrochen werden. Derartige Deautomatisierungen entfachen das spielerische Potential des 331 Symbolsystems und drängen den verblüfften Konsumenten nach selbständiger (Auf)Lösung, die im Bezugstext unmittelbar angelegt sein muss. Es wird versucht, die auffälligsten – und von Kultur zu Kultur sehr verschiedenen - Spannungsformen zwischen Bild und Text systematisch herauszuarbeiten. Als Analyse-Basis dient das Konzept der „semantischen Dichte“ nach Blumenthal 1983, welches mit seinem Gegenteil der „semantischen Offenheit“ zielführend ergänzt wird. 332 Sektion 18 Die Krise der Zivilisation Leitung: Edoardo Costadura (Jena) / David Nelting (München) Programm Montag, 26.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Dirk Rose (München) La Civilité Moderne oder Wie kam die Krise in die Zivilisation? Edoardo Costadura (Jena) Sturm ohne Ende. Über eine Figur der Krise in der europäischen Romantik Anna-Sophia Buck (Münster) Exotismus und Eskapismus in Pierre Louys’ La femme et le pantin (1898) Helmut Meter (Klagenfurt) Valérys La crise de l’esprit (1919) und Montales L’Europa e la sua ombra (1949). Zwei Essays zur Krise des „europäischen Geistes“. Michael Einfalt (Freiburg i. Br.) Le nouveau mal du siècle – die „verlorene Genera- tion“ und die Krisenwahrnehmung nach dem Ersten Weltkrieg Olaf Müller (Jena) Gescheitertes Krisenmanagement in der NRF: Zu den Reaktionen auf Roger Martin du Gards „Épilogue“(1940) Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr 334 David Nelting (München) Von der Krise der Zivilisation zur Krise der 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Repräsentation: Überlegungen zur neorealis- tischen Wirklichkeitsmodellierung am Beispiel von Vittorini und Fenoglio Stefano Sasso (Halle/Wittenberg) Die Krise der Zivilisation im Werk Eugenio Montales und Vittorio Serenis Patrick Difour (Jena/Paris) Camus’ Analyse der „Krise der Zivilisation“ Stephan Leopold (München) Der Untergang des Abendlandes und die Erfin- dung Amerikas – Les Tarahumaras von Antonin Artaud und Alejo Carpentiers Poetik des real maravilloso Angela Leona Oster (München) Medea–Morphosen – Mythographien als Indika- tor produktiver Zivilisationskrisen Kian-Harald Karimi (Bonn/Berlin) L’histoire, le chaos humain et le chaos métaphysique. Eine Geschichte jenseits der Geschichte in Texten von Maurice Dantec, Michel Houellebecq und Frédéric Beigbeder Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Fernand Hörner (Wuppertal) Dandysmus als Phänomen von Übergangszeiten von Baudelaire bis zum Splatterdandy Hanjo Berressem (Köln) Bret Easton Ellis: Glamorama Donnerstag, 29.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Henning Teschke (Berlin) Vergesst Europa! Dietrich Scholler (Bochum) Medienkrisen und Krisenmedien in der 335 Gegenwartsliteratur Abstracts Dirk Rose (München) La Civilité Moderne oder Wie kam die Krise in die Zivilisation? Im Jahr 1671 veröffentlichte Antoine de Courtin seinen Nouveau traité de la civilité. Er wurde 1705 unter dem neuen Titel La Civilité Moderne von Christian Friedrich Hunold ins Deutsche übersetzt. Es handelt sich dabei um ein »Anstandsbuch«, das angemessenes Verhalten und Höflichkeit lehren will. Unter einer »Krise der Zivilisation« hätten seine Autoren und Leser höchstens schlechtes Benehmen verstanden. Darin drückt sich keine Antiquiertheit aus, sondern im Gegenteil, wie es Hunolds Titel deutlich macht, eine spezifische Verbindung von Modernität und Zivilisation. Rousseau, nur wenige Jahrzehnte später, klagt in der Nouvelle Héloise genau diese Form von normierender und exkludierender Zivilisation an, die er als krisenhaft empfindet. Seine Bücher wollen gerade einen distinkten Raum jenseits eines normierenden Zivilisationsprojektes eröffnen. Er findet ihn in der »Natur«, aber auf die Natur beriefen sich auch schon de Courtin und Hunold. Nur ist bei ihnen Natur noch Teil der Zivilisation, als Sublimierung, und nicht ihr Gegenteil, wie bei Rousseau. Von einer »Krise der Zivilisation« ließ sich demnach erst dann sprechen, nachdem eine Position außerhalb von ihr möglich geworden war: sei es in der Natur oder einer Literatur, die nicht mehr vorgängig soziale Diskursrollen vorgab, imitierte und variierte. Zu fragen bliebe dann freilich immer noch nach der spezifischen Modernität von Courtins und Hunolds Zivilisationsbegriff. 336 Edoardo Costadura (Jena) Sturm ohne Ende. Über eine Figur der Krise in der europäischen Romantik Das Bild des Sturmes, die Darstellungen von Dichtern, Feldherren oder Wanderern in stürmischer Atmosphäre sind aus dem Repertoire und aus der Ikonographie der europäischen Romantik nicht wegzudenken. Alternativ zur gängigen Aufschlüsselung des Sturmes als Metapher des aufgewühlten Seelenzustandes eines empfindsamen, romantischen Ichs, soll hier der Sturm als Figur der Krise – des Umbruchs, des Epochenwandels, etc. – gedeutet werden. Etwa bei Foscolo, Chamisso und vor allem bei Chateaubriand haben Darstellungen von Gewittern und Orkanen zeitdiagnostischen Charakter – und dies auch, wenn von Seelenzuständen die Rede ist. Im Sturm erfährt sich das Subjekt in seiner Vergänglichkeit und Zeitgebundenheit, mithin in seiner Historizität – als «letzter Zeuge der feudalen Sitten» (Chateaubriand), als Repräsentant einer (zwangsläufig) verlorenen Generation. Ob meteorologisches Ereignis oder psychologisches Phänomen, der Sturm bezeichnet in der europäischen Romantik stets auch die «empörten Zeiten» (Chamisso). Anna-Sophia Buck (Münster) Exotismus und Eskapismus in Pierre Louÿs’ La femme et le pantin (1898) « Seules les femmes que les longs hivers du Nord n’immobilisent pas près du feu, ont cette grâce et cette liberté » (Louÿs, 1990 : 34f.) wird im ersten Kapitel des Romans La femme et le pantin über den Typus der Andalusierin ausgesagt. Gern wurde der bisher ohnehin von der Literaturwissenschaft wenig untersuchte Text als Fin-desiècle-Variante von Mérimées Carmen aufgefasst, der von Sevillas couleur locale lebt. Die Diskursivität des Romans geht jedoch weit über die idées reçues einer Voyage en Espagne à la Gautier oder Mérimée hinaus, wenn auch beide Intertexte zweifellos als Palimpseste 337 durch Louÿs’ Roman durchschimmern. Nicht nur tradierte Klischees der Weiblichkeit, die schon im Einleitungskapitel bedient werden, sondern zahlreiche räumliche, religiöse und gesellschaftliche Oppositionen konstituieren La femme et le pantin. So wird ein Spannungsfeld zwischen Frankreich und Spanien erzeugt, in dem sich Paris und Sevilla, die Seine und der Guadalquivir, die Champs Elysées und die Calle de las Delicias kontrastiv gegenüberstehen. Der Sektionsbeitrag wird der Frage nachgehen, ob und auf welche Weise der Romantext Heterotopien hervorbringt, ob er durch seine exotistische Attitüde Rückschlüsse auf die kulturelle Befindlichkeit, der er entstammt, zulässt, oder ob er doch einer dekadentmanieristischen und amimetischen Ästhetik verhaftet ist. Helmut Meter (Klagenfurt) Valérys La Crise de l’Esprit (1919) und Montales L’Europa e la sua ombra (1949). Zwei Essays zur Krise des „europäischen Geistes“ Unter den vielfältigen, von einem umfassenden Krisenbewusstsein bestimmten und kontroversen Europadiskursen im Gefolge des ersten und dann des zweiten Weltkriegs verdienen zwei kulturkritische Essays besondere Berücksichtigung: Valérys La Crise de l’Esprit und Montales L’Europa e la sua ombra. Beide künden von einer letzten Endes irreversiblen Krise des „europäischen Geistes“ und demzufolge – mit je unterschiedlichen Argumenten – vom zumindest vorläufigen Ende Europas sowohl als autoritativem Kulturmodell wie auch als weltpolitischem Machtfaktor. Valéry wie Montale begreifen Europa essentiell als eine mentale Kategorie und sehen Europas Niedergang als schlüssige, unaufhaltsame Folge seiner konstitutiven geistigen Beschaffenheit: Was Europa den Nicht-Europäern an authentischen Qualitäten vermittelt habe, richte sich nun gegen Europa selbst. Habe, folgt man Valéry, lange Zeit eine kulturelle und politische „inégalité“ zugunsten Europas bestanden, so sei aus dieser – „par ses propres effets“ – eine „inégalité de sens contraire“ geworden. Und laut Montale verspürt Europa, 338 von dem die ‚Initiative’ allen ‚Wissens’ ausgegangen sei, nunmehr „il contraccolpo delle opere proprie“. Divergierende Auffassungen zwischen den beiden Denkweisen liegen hingegen im Hinblick auf die Vereinigten Staaten von Amerika vor. Haben diese für Valéry als „une création formidable“ des in ihnen weiterlebenden „Esprit européen“ zu gelten, so handelt es sich bei Montale im Falle von „America“ um „un mondo nuovo che deve quasi tutto all’Europa, ma non è l’Europa“. Demzufolge könne der „spirito europeo“, solle er nicht gänzlich schwinden, nur in Europa selbst wiederbelebt werden. Die vergleichende Gegenüberstellung beider Konzeptionen soll vor dem Hintergrund weiterer Europadiskurse erfolgen und sich besonders dem Aspekt der Krise widmen. Michael Einfalt (Freiburg) Le nouveau mal du siècle – die ‘verlorene Generation’ und die Krisenwahrnehmung nach dem Ersten Weltkrieg Der Erste Weltkrieg ist das wohl markanteste Ereignis in der Reihe der Zivilisationskrisen der Moderne. Modernisierungskrise und Untergangsfanal fallen hier zusammen. Die Krisenwahrnehmung am Ausgang des Weltkrieges ist nicht auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen beschränkt, sie erfasst die Gesellschaft als Ganzes und bestimmt die ideologischen, ästhetischen und intellektuellen Auseinandersetzungen insgesamt. Der Beitrag beschäftigt sich mit einem Phänomen, das in der zeitgenössischen Öffentlichkeit große Beachtung fand und das Berührungspunkte zu verschiedenen weiteren Ausprägungen dieses Krisenbewusstseins aufweist, vom modernismuskritischen renouveau catholique bis zur ikonoklastischen Avantgarde. Der nouveau mal du siècle ist zunächst Ausdruck der Stimmungslage einer bestimmten Generation: derjenigen Jugendlichen, deren große Brüder in den Krieg zogen und nicht mehr wiederkamen und die darin ihr eigenes Los vorgezeichnet sahen. Marcel Arland bringt die Befindlichkeit dieser Generation in sei339 nem Essay “Sur un nouveau mal du siècle” (1924) auf den Punkt. Jacques Rivière, Herausgeber der Nouvelle Revue française, hatte bereits vor dem Krieg eine ethisch-moralische Erneuerung eingefordert; seine Erwiderung auf Arland macht indes den Riss zwischen den Generationen nur noch offenkundiger. Arland wird durch diese Debatte zum Wortführer der nach 1900 Geborenen, deren radikale Sinnsuche zwischen Katholizismus und Avantgarde oszilliert. Die eigentliche Bewegung hat sich nach nur zwei bis drei Jahren erschöpft, steht in dieser Zeit jedoch im Zentrum der ästhetischen Auseinandersetzungen. Der nouveau mal du siècle soll in seinem Verlauf, seinen Protagonisten, Medien, ästhetischen Positionen, den wichtigsten literarischen Werken und in seiner Ausstrahlung auf die literarische und intellektuelle Öffentlichkeit systematisch beleuchtet werden. Olaf Müller (Jena) Gescheitertes Krisenmanagement in der NRF: Zu den Reaktionen auf Roger Martin du Gards „Epilogue“ (1940) Mitten in der europäischen Krise nach dem Münchener Abkommen arbeitet Roger Martin du Gard, Nobelpreisträger von 1937, am Schlußstück seines Romanzyklus „Les Thibault“, dem „Epilogue“. Als das Manuskript im Spätsommer 1939 im Verlag landet, erscheint den dortigen Lesern, vor allem Schlumberger und Paulhan, Martin du Gards pazifistischer Blick auf den Ersten Weltkrieg, der den „Epilogue“ prägt, als der aktuellen Krise und dem daraus vermeintlich resultierenden Bedarf nach patriotischer Erbauungsliteratur als gänzlich unangemessen, so dass sie sich mit allen Mitteln bemühen, die Publikation dieses Romans ihres Freundes zu verhindern. Anhand der verschiedenen Positionen in diesem Streit, an dem auch noch Gide, Duhamel, Gaston Gallimard und einige prominente Literaturkritiker beteiligt sind, möchte ich die literarischen und politischen Krisenvorstellungen und die jeweiligen 340 Lösungsvorschläge beschreiben, die zwischen dem Sommer 1939 und dem Sommer 1940 zu beobachten sind. David Nelting (München) Von der Krise der Zivilisation zur Krise der Repräsentation: Überlegungen zur neorealistischen Wirklichkeitsmodellierung am Beispiel von Elio Vittorinis Uomini e no Als eine der wohl einschneidensten Zivilisationskrisen im europäischen Raum darf ohne Zweifel die Erfahrung der totalitären Gewalt des Faschismus gelten, die für Elio Vittorini die Welt als einen mondo offeso erscheinen ließ. Kondensiert findet sich dieses Moment zivilisatorischer Krise in der italienischen Literatur vor allem im Bereich des Neorealismus und seiner Kernthematik, der Auseinandersetzung mit dem Krieg und der Resistenza. In diesem Kontext entsteht aus dem Bewusstsein um die Zivilisationskrise ein Bewusstsein um die Krise vorgängiger narrativer Darstellungsformen, die Italo Calvino nachträglich in seinem Vorwort zur zweiten Auflage des Sentiero dei nidi di ragno thematisiert. Am Beispiel von Elio Vittorinis Resistenza-Roman ‘Uomini e no’ soll gezeigt werden, wie die Problematisierung mimetischen Erzählens in den Vordergrund tritt, und wie diese Problematisierung der Möglichkeiten des mimetischen Erzählens im Rahmen der politisch grundierten Wirklichkeitsmodellierung des Neorealismus nicht nur die Wirklichkeitsadäquanz realistischer Rede in Frage stellt, sondern auch die Verbindlichkeit ideologischer Zugehörigkeiten und Sinnmodelle. Neorealistisches Erzählen wird zu einem zeichenhaften Erzählen, das zum einen das realistische Paradigma durchstreicht und das zum anderen lebensweltlich konkrete ideologische Standortbestimmungen überschießt. 341 Stefano Sasso (Halle / Wittenberg) Die Krise der Zivilisation im Werk Eugenio Montales und Vittorio Serenis Im reichen Panorama der italienischen Dichtung des 20. Jahrhunderts ragen in der Zeit unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg bis zur Nachkriegszeit und schließlich bis in die 80er Jahre die Werke zweier Autoren allererster Größenordnung heraus, nämlich die von Eugenio Montale und Vittorio Sereni. Das lyrische Werk Montales und das des jüngeren Sereni interpretieren, auf unterschiedliche Weise, kulturelle Mythen und Ideale der Zivilisation, und treten auch zu deren Verteidigung an in Momenten, in denen diese Ideale zu verschwinden drohen. Die Möglichkeit dieses Verschwindens zeichnet sich in zwei Zeitpunkten ab, die äußerst gegensätzlich sind: zum einen in den Diktaturen, die dem Zweiten Weltkrieg vorausgehen, sowie im Krieg selbst, und schließlich beim Wiederaufbau und der Modernisierung in der Nachkriegszeit. Während in der ersten Phase diese Bedrohung sehr gut sichtbar und deutlich ist, geschieht sie doch eindeutig vor dem Hintergrund eines diktatorischen Einheitdenkens, scheint in der zweiten Phase das soziale Magma, das die Modernisierung und Technisierung der Gesellschaft hervorgebracht hatte, den Reichtum der idealen Mythen der Zivilisation von Innen heraus zu erodieren und die Gesellschaft so einem neuen Einheitsdenken auszuliefern. Angesichts dieses Szenarios reagieren die Dichtung Montales und die Serenis unterschiedlich, indem sie verschiedene Interpretationen vorschlagen und Stil und Sprache bei der Darstellung unterschiedlich verwenden, ohne dass sie jedoch dabei jemals in ihrer Bereitschaft zum kulturellen und zivilen Dialog an Kraft verlieren. 342 Patrick Difour (Jena/Paris) Camus’ Analyse der „Krise der Zivilisation“ « Dans l’expérience absurde, la souffrance est individuelle. A partir du mouvement de révolte, elle a conscience d’être collective » - so heisst es zu Beginn von Camus’ essayistischem Werk L’homme révolté (1951). Diese souffrance collective drückt sich in Krisenphänomenen aus: In der fiktiven Chronik La Peste (1947) kommt an der Epidemie zur Darstellung, dass alle gesellschaftliche Ordnung und alltägliche Gewohnheit den fundamentalen und permanenten Krisenzustand der menschlichen Existenz nur notdürftig verdeckt. Das Schauspiel Les justes (1949) bringt einen mehrfach kritischen Zustand im Politischen auf die Bühne, indem es einen gerechten und gerade darin sich selbst problematisch werdenden Terrorismus zwischen die Tyrannie als reale und die abstrakte Ideologie als radikalutopische Ordnung stellt. Diesen zivilisatorischen Krisen als Ausdruck der souffrance collective nun tritt in Camus’ zweiter, „positiver“ Werkphase, welche von den genannten Texten markiert wird, die Revolte als eine Haltung entgegen, die auf eine andere Art von Ordnung verweist. Sie tut dies insofern, als sich in ihr das Individuum auf menschliche Solidarität hin übersteigt und damit eine Bindung eingeht, aus der einzig sein Aufstand seine Berechtigung erhält: „La solidarité des hommes se fonde sur le mouvement de révolte et celui-ci, à son tour, ne trouve de justification que dans cette complicité.“ Wie verhält es sich mit der Revolte als Antwort auf das Absurde im Bereich des Transindividuellen? Sind die Ordnung und die Bindung, auf die sie verweist, sozialtauglich, selbst wenn die Revolte letztlich selbst absurd ist und ihrerseits riskiert, in eine Krise umzuschlagen? In welcher Weise also stellt Camus’ „Je me révolte, donc nous sommes“ zivilisatorischen Krisen menschliche Solidarität konstruktiv entgegen? 343 Stephan Leopold (München) Der Untergang des Abendlandes und die Erfindung Amerikas – Les Tarahumaras von Antonin Artaud und Alejo Carpentiers Poetik des real maravilloso Folgt man E. O’Gormans einflußreicher These von der invención de América, so ließe sich die Literatur des lateinamerikanischen boom als segunda invención lesen – gelingt es ihr doch, wie etwa in Cien años de soledad (1967) von G. García Márquez, Lateinamerika in (s)einer radikalen Alterität zu feiern und so Subalternität, Gewaltsamkeit und ökonomische Abhängigkeit zu einem Mythos der wunderbaren Wirklichkeit umzuschmieden. Dass dieses Wunderbare Lateinamerika gleichsam ontologisch eigne, hat der abtrünnige Surrealist A. Carpentier in seinem epochalen Vorwort zu El reino de este mundo (1949) programmatisch behauptet und den real maravilloso offensiv gegen die Taschenspielertricks der Schule um Breton ausgespielt. Zugleich kehrt sich der an Spengler geschulte kubanische fondateur de discoursivité damit aber auch ostentativ von dem nach dem zweiten Weltkrieg untergegangenen Abendland ab und macht Lateinamerika zu einem objet du désir, wie es Europa seit je für die amerikanischen Kolonien gewesen ist. Ein Vergleich des Vorworts zu El reino de este mundo mit dem Manifeste du surréalis me ergibt nun freilich mehr als nur punktuelle Überschneidungen und so wird man sich zu fragen haben, ob nicht Carpentier die seit dem Symbolismus virulente (Neu-)Verzauberung der Welt seinerseits erst nach Amerika trägt. Dies gilt umso mehr, als es mit Antonin Artaud ebenfalls ein dissidenter Surrealist war, der bereits zehn Jahre zuvor vor dem kulturell erschöpften Europa in Mexiko – und im Peyote – das Heil gesucht hat und mit Les Tarahumaras (1937) ein frühes Zeugnis einer écriture des Wunderbaren abgelegt hat. Die wunderbare amerikanische Alterität, wie sie die Literatur des boom ausgeschrieben hat, würde damit dann nicht zuletzt lesbar als eine komplexe Rückprojektion von Ganzheit, die im Sinne des Lacanschen Spiegelstadiums sowohl Lateinamerika zu einem po344 sitiven Identitätsmuster verholfen als auch Europa und den USA eine Form von Orientalismus (Said) an die Hand gegeben hat, die das Unbehagen an der eigenen Industriekultur zu mildern wußte. Angela Leona Oster (München) Medea–Morphosen – Mythographien als Indikator produktiver Zivilisationskrisen Der Beitrag geht von der Beobachtung aus, dass kaum ein anderes literarisches (und cineastisches) Motiv die Krise der Zivilisation derart genau und facettenreich protokolliert, wie der von zahlreichen romanischen Autoren adaptierte Medea-Mythos. Ausgehend von dem klassischen europäischen Erbe Euripides’ und Senecas fungieren die historisch variablen „Medea-Morphosen“ (Johannes R. Gascard) als seismographischer Indikator des zivilisatorischen Krisenbewusstseins. Sei es in (neo)klassizistischen oder experimentellavantgardistischen Literaturen: über Corneille, Anouilh bis hin zu Pasolini oder Dario Fo/Franca Rame wird das Medea-Mythologem allererst zur mythographischen Signatur, in deren Textur sich ästhetische und gesellschaftliche Problemfelder überschneiden. Die Konfrontation ‚moderner’ Horizonte (Jason, Korinth) mit archaischen Welten (Medea, Kolchis) dient der abendländischen Literatur bis in die Gegenwart hinein als Folie, um aus den Krisen der Zivilisation ein poetisches Potential zu schöpfen, das sich sowohl der Auflösung in traditionelle als auch in modernistische Konzepte mit ‚barbarischer Vitalität’ widersetzt. Die ambivalenten Topographien, die sich in den Medea-Morphosen konstituieren, oszillieren zwischen utopischen Fiktionen und atopischen Mimographien. Der Zusammenprall von realhistorischer Zivilisation und primitivem Mythos – so kann anhand der Medea-Mythographien gezeigt werden – führt unweigerlich zur ‚Krise’. Zugespitzt könnte man sogar formulieren: die moderne Zivilisation vollzieht sich als permanente Krisis und gewinnt aus eben dieser Krisenhaftigkeit die spezifische Signatur ihrer Ästhetizität. 345 Kian-Harald Karimi (Berlin/Bonn) L’histoire, le chaos humain et le chaos métaphysique: Eine Geschichte jenseits der Geschichte in Texten von Maurice Dantec, Michel Houellebecq und Frédéric Beigbeder Als Höhe- und Wendepunkte einer gefährlichen Entwicklung pflegen Krisen zwar ihre Schatten vorauszuwerfen. Zu Ereignissen, die sie vor aller Welt zu Tage treten lassen, werden sie zumeist erst zu einem späteren Zeitpunkt. Dass es sich bei einer Krise der Zivilisation zumal um einen außerordentlichen Wendepunkt handelt, kann daher oft erst dann konstatiert werden, wenn deren Wirkungen in unserer Alltagswelt unübersehbare Spuren hinterlassen haben. Maurice Dantec (Le théâtre des opérations, Laboratoire de catastrophe générale), Michel Houellebecq (Extension du domaine de la lutte, Particules élémentaires, Plateforme) und Frédéric Beigbeder (99 francs, Windows on the World) stehen mit ihren Texten für eine Generation französischer Autoren, die gesellschaftliche Veränderungen nicht mehr primär aus der Sicht eines großen flüchtigen Augenblicks betrachten. Viel eher wird hier gegenwärtig, dass sich Revolutionen nicht so sehr in Aufständen, wilden Ausschreitungen oder Staatsstreichen vollziehen, die doch so flüchtig sind wie die Wellen an der Oberfläche des Meeres, um ein bekanntes Bild von Fernand Braudel in Anspruch zu nehmen. Die Aufschlüsselung unseres genetischen Codes, die mikroelektronische Revolution oder die sexuelle Emanzipation der Frauen finden in der unbewegten Tiefe einer See statt, zu der gerade die sich zur philosophischen Reflexion öffnenden Erzählungen einen privilegierten Zugang haben. Sie verstehen es, die Geschichte jenseits der Geschichte in eine Sprache zu fassen, die gleichsam Verborgenes und doch schon Gegenwärtiges zu antizipieren vermag. 346 Fernand Hörner (Wuppertal) Dandysmus als Phänomen von Übergangszeiten von Baudelaire bis zum Splatterdandy «Le dandysme apparaît surtout aux époques transitoires» und: «Le dandysme est le dernier éclat d´héroïsme dans les décadences» heißt es in Le Peintre de la vie moderne, Baudelaires vielzitiertem Aufsatz über den Maler Constantin Guys. Die dandystische Geisteshaltung ermöglicht es, sich über die Umbrüche der Zeit durch eine eigene, souverän verkörperte Ästhetik hinwegzusetzen. Baudelaires Dandy sagt der bürgerlichen Gesellschaft, die immer utilitaristischer und leistungsbezogener denkt, in einem letzten, vergeblichen Aufbäumen den Kampf an. Der Dandysmus soll jedoch nicht nur der Vergangenheit zugewandt das aristokratische Vergnügen an der Nutzlosigkeit bewahren, zudem werden in der Darstellung des Malers Constantin Guys die Figuren des Dandys und des Flaneurs zu einer Symbiose gebracht, die den Künstler versinnbildlichen soll, der sich das rege Großstadttreiben zur Heimat nimmt und sich mit kindlicher Neugierde auf die Suche nach dem macht, was Baudelaire «modernité» nennt. Ausgehend von diesem Konzept des Dandysmus als Versuch, sich den Bedingungen des jeweilig «modernen» Leben zu stellen, sollen ausgewählte Texte aus unterschiedlichen Zeiten vor und nach Baudelaire beleuchtet werden, die Dandysmus neu interpretieren und als Antwort auf virulente Debatten der Zeit inszenieren. In Gautiers «Daniel Jovard», einer Geschichte der Jeunes-France, geht die Initiierung des gleichnamigen Protagonisten in den Dandysmus einher mit der Abkehr von klassischen Dichtungsidealen, und spielt ironisch mit Gautiers eigener Byron- sowie Hugo-Begeisterung. Ließe sich hier eine Verbindung herstellen zu Alfred de Mussets Contes d´Espagne et d´Italie, die wegen ihrem betont lässig bis provokativem Umgang mit klassischen und romantischen Dichtungskonventionen von seinen Zeitgenossen oft als „dandysme littéraire“ (ab-)qualifiziert wurden? 347 Auch neuere Übergangszeiten scheinen dandystische Antworten hervorzurufen. In ihrem Essay „Notes on Camp“ stellt Susan Sontag die Lebenshaltung „Camp“ als Lösung dar, wie Dandysmus in Zeiten funktionieren kann, in denen individueller Geschmack durch die massenhafte Verbreitung von Kultur als Ware bedroht ist. Die Trivialität von Massenprodukten findet in einer übertriebenen Affirmation, dem Kultivieren eines ästhetischen, vielleicht sogar dekadenten, Sinn für das Abwegige („good taste of bad taste“) ihr ironisches Echo. Kehrt hier der „plaisir aristocratique de déplaire“ aus Baudelaires Fusées wieder? Der Daten-Dandy des Autorenkollektivs der Agentur Bilwet wiederum entsteht in der Zeit der kompletten Digitalisierung des Lebens. So wie der Flaneur von Baudelaire (und Benjamin) die Straßen ziellos durchkreuzte, surft er durchs Internet, um aus der Unendlichkeit von Daten seine eigene Auswahl nutzloser Informationen zu sammeln. Die unverhohlene Willkür und Nutzlosigkeit der angesammelten Daten ist der Versuch, den immensen Weiten des Internets auf dandystisch-ästhetische Weise Herr zu werden. Ist auch er neugierig auf der Suche einer „modernité“? Abschließend soll anhand der am 9.11.2004 veröffentlichten CD „Terrorista“ der Band Splatterdandy um den Sänger Robert Defcon dargestellt werden, welche Konsequenzen diese Art Dandysmus aus den terroristischen Anschlägen zieht. Diese werden weniger als tiefgreifender Einschnitt, sondern als Resultat der kompletten Medialisierung der Gesellschaft angesehen. Der Kampf um Bilder und Medienaufmerksamkeit wird höhnisch nachgeäfft. „Der Skandal ist die Sprache, in der man mit euch reden muss“, heißt auf der CD. Zeigt sich hier die bereits von Barbey d´Aurévilly beschriebene art de plaire en déplaisant des Dandys? 348 Hanjo Berressem (Köln) Bret Easton Ellis: Glamorama Der Beitrag thematisiert die durch den ‘internationalen Terrorismus’ sowohl in Amerika als auch in Europa ausgelöste Krise anhand des Romans Glamorama von Bret Easton Ellis, dessen Schauplätze sowohl Amerika (New York) als auch Europa (London|Paris) sind. Im Zentrum der Untersuchung liegen zum einen die ästhetische Verarbeitung traumatischer Ereignisse [09.11], zum anderen die sich aus einem äußerst virulenten Krisenbewusstsein heraus entwickelnde ‘neo-naturalistische’ Poetik, d.h. die Entwicklung eines in die Postmoderne reflektierten Naturalismus. Henning Teschke (Berlin) Vergesst Europa! Seit der Expansion der europäischen Weltnahme in der frühen Neuzeit findet diese Dynamik auch in den Filialgattungen der französischen Literatur (Reisebericht, Utopie und exotischer Roman) Ausdruck. Der Zugang zu neuen Welten begünstigt in seinen imaginären Varianten die Verlegung der Transzendenz in die Horizontale. Die Entdeckung des überseeischen oder extraterrestrischen „ganz Anderen“ vollzieht sich primär als ein Vorgang im Raum. Literaturhistorisch gibt das 18. Jahrhundert darüber Auskunft, sofern im Abstoß vom status quo vom „Außen“ (Insel, Kontinent, Stern) als politischer, nostalgischer oder utopischer Referenz die Rede ist. Fontenelle, Voltaire, Montesquieu, Bougainville, Diderot und Rousseau setzen auf Distanz, die gelegentlich bis zur Bezugslosigkeit fortgehen musste, um das Eigene perspektivisch verfremdet zur Anschauung zu bringen. Wenn sich die Gegenwart in dieser Optik nicht mehr wiedererkennen kann, dann infolge der globalen Verfassung des Lebens im „Weltinnenraum“ des Kapitals, das alles Heterogene in sich hineingezogen hat und die zu Kuriositäten abgeschwächten Differenzen innerhalb desselben homo349 genen Raums verteilt. Nach der Selbsteinkreisung der Menschheit, nach dem Verschwinden des Außen bleibt nur noch die Dimension des nackten Seins zurück, die jeder Aneignung widersteht. Von ihr schrieb Hervé Guibert, solange er konnte. Dietrich Scholler (Bochum) Medienkrisen und Krisenmedien in der Gegenwartsliteratur Wenn man die Zivilisationswerdung mit Norbert Elias als einen Prozess zunehmender Affektbeherrschung, ausgefächerter Verfeinerung und Distanzierung versteht, dann heißt das für den Bereich der Kommunikation, dass die warmen Worte oraler Gesellschaften sich in die kalten Wörter der Schriftkulturen verwandeln. Seit Gutenbergs Erfindung des Drucks werden diese Wörter technisiert und in Distanzzeichen transformiert. Wird die neue Technik noch Ende des 18. Jahrhunderts als Fortschritt zum Zwecke der Wissensverbreitung gefeiert, gerät der tote Buchstabe frühestens seit Rousseau und Herder bzw. spätestens in der Romanitk in den Brennpunkt der Kritik. Eine ähnliche Dialektik zwischen Verheißung und Verdammung kann zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Zeitalter der Typewriter-Ära diagnostiziert werden. Ein dritter Schub der Technologisierung des Wortes geht schließlich von der elektronischen Datenverarbeitung aus, ein Medienumbruch, dessen Konsequenzen sich immer deutlicher abzeichnen, nämlich wiederum als Januskopf: Die eine Hälfte blickt in der Nachfolge McLuhans mit verklärten Augen in die Zukunft, die andere schaut zurück und zählt mit Postman eher die Krisenopfer. Beide Tendenzen haben in den romanischen Gegenwartsliteraturen deutliche Spuren hinterlassen, sei es in Form der elegischen Verlustanzeige, sei es in der grotesken Überzeichnung flagranter Auswüchse bzw. – auch das gibt es – in der rettenden Anverwandlung des Neuen. Es soll daher einmal der Versuch gemacht werden, diese ganz unterschiedlichen ästhetischen Reaktionsweisen an einem kleineren Korpus der Ge350 genwartsliteratur herauszuarbeiten – mit punktuellen Rückblicken auf die vorangehenden Umbruchskrisen um 1800 bzw. 1900. 351 Sektion 19 Aspekte der politischen Theologie der Neuzeit – Herrscherbilder und Staatsverständnis in den Dramen von Renaissance, Barock und Klassik Leitung: Till R. Kuhnle (Augsburg) Programm Montag, 26.09.05 9.00 Uhr 9.10 Uhr 9.50 Uhr 14.00 Uhr 14.10 Uhr 14.50 Uhr 16.00 Uhr 16.40 Uhr 352 Till R. Kuhnle (Augsburg) Begrüßung/Einführung Dagmar Schmelzer (Regensburg) „Der heilige König? Theologische Bezüge und Volksglaube in der Darstellung der Reyes Católicos in Lope de Vegas Comedias“. Marga Graf (Aachen) Herrscherbilder in den Dramen des Siglo de Oro bei Lope de Vega (1562-1635) und Calderón de la Barca (1600-1681) Diskussion Roberta Anselmi (München) Gli avvocati di Dio: dalla Legge alla Giurispru- denza universale. Considerazioni su “Le pli” di Gilles Deleuze. Marie-Christine Desmaret (Lille) “Baroques batailles dans Les Tragiques d’Agrippa d’Aubigné ” ou “la guerre des images“. Dagmar Stoefele (München) Tragische Ersetzung. Die Leerstelle der politischen Souveränität in Agrippa d’Aubignés Les Tragiques. Jean-Christophe Delmeule (Lille) Pour une théologie politique paradoxale: „ Les 17.20 Uhr Provinciales“ de Pascal. Florent Gabaude (Limoges) Das Martyrium der beiden Katharinen. Die (Teil-) Säkularisierung der romanischen tragoedia sacra im politischen Trauerspiel des Andreas Gryphius. Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr 9.40 Uhr 10.20 Uhr 14.00 Uhr 14.40 Uhr 16.00 Uhr 16.40 Uhr 17.20 Uhr Alfred Strasser (Lille) Das Konzept des „Souveräns“ im Theater von Daniel Casper von Lohenstein Marion Duvauchel (Valenciennes) Arrière plan métaphysique, philosophie de l’histoire et conflits de souveraineté Diskussion Christoph Oliver Mayer (Dresden) Zum Herrscherbild in der Querelle des Anciens et des Modernes. Zwischen akademischer Objekti- vierung und dramatischer Subjektivierung am Beispiel Oroondate (1645) Saskia Wiedner (Augsburg) Der gebrochene Herrscher – Racines La Thébaïde ou Les Frères ennemis Manfred Hinz (Passau) Racine und der Tyrannenmord Ethel Matala de Mazza (München) Antiochus, Bérénice, César oder Das ABC der Souveränität (Racine, Bérénice) Till R. Kuhnle (Augsburg) Die “Tragödie” des Thésée in Racines Phèdre Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr La théologie politique – actualité et défi d’un concept contesté (discussion en langue française) 353 Abstracts Dagmar Schmelzer (Regensburg) „Der heilige König? Theologische Bezüge und Volksglaube in der Darstellung der Reyes Católicos in Lope de Vegas Comedias“. Die Darstellung spanischer und nicht-spanischer Könige bei Lope de Vega beugt sich nicht der einfachen Annahme, Könige seien im Zuge der frühneuzeitlichen Propaganda beispielhaft und politisch korrekt gezeichnet und zu zeichnen. Vielmehr findet sich in Lopes Theaterstücken ein breites Panorama von Verfehlungen gekrönter Häupter, das ob der lange Zeit vertretenen These von der politischen Konformität des Theaters im Siglo de Oro zunächst stutzen macht (McKendrick 2000). Die teilweise bemerkenswerten Negativbeispiele verantwortungsloser Amtsträger werden jedoch ergänzt von idealisiert tugendhaften Konterparts und ebenso wie diese im Sinne eines Fürstenspiegels genutzt, der historisches Material zu erbaulichen Exempla aufbereitet. Gerade die Behandlung von Fernando el Católico, dem anerkannten Ahnherr der Habsburger in Spanien und ersten „modernen“ Herrscher der iberischen Halbinsel, ist unter dem Gesichtspunkt nationaler Identitätsstiftung ein Politikum. Die Regierungszeit der Katholischen Könige umfasst nicht umsonst Ereignisse, die für das neuzeitliche Spanien in den folgenden 200 Jahren prägend sein sollten: Das Ende der Reconquista und die Vertreibung der Mauren und Juden bedeutete auch das Ende der convivencia de las tres culturas, wie sie für das mittelalterliche Spanien prägend war. Die Vereinigung der kastilischen und aragonesischen Königreiche führt zur Auseinandersetzung mit zentripetalen Kräften und zur Einrichtung einer starken königlichen Zentralmacht. Die Entdeckung und Eroberung Amerikas schafft ein Reich, in dem buchstäblich die Sonne nicht untergeht. Interessant ist es vor diesem Hintergrund, wie die Figur des zum Mythos verklärten Königs Fernando in zwei Stücken Lopes zur 354 Darstellung kommt. In El piadoso aragonés und El mejor mozo de España wird Fernando durch verschiedene thematische und formale Bezüge in die Nähe eines Heiligen gerückt. Das Spektrum der „Befunde“ reicht von Weissagungen, Träumen und Zeichen der Erwählung über die Erzählschemata der Versuchung bis zur Verwendung allegorischer Figuren. Die Darstellung des Königs und seiner königlichen Gemahlin Isabel oszilliert zwischen der Stilisierung zu Heiligen und dem karnevalesken Gegenteil. Die für Lope charakteristische Nähe zu Volkstraditionen zeigt sich dabei auch in der Art des religösen Bezugs. Es wird zu untersuchen sein, inwieweit die Paralellen in der Darstellung des Königs und des Heiligen über die Intention der Idealisierung Fernandos hinausgehen und auf zeitgenössische staatstheoretische Vorstellungen wie das Gottesgnadentum oder die Lehre von den zwei Naturen des Königs zugreifen. Marga Graf (Aachen) Herrscherbilder in den Dramen des Siglo de Oro bei Lope de Vega (15621635) und Calderón de la Barca (1600-1681) Beide Autoren sind im Genre Drama (comedia, tragedia, auto sacral) die herausragenden Vertreter des spanischen Siglo de Oro des 16. und 17. Jahrhunderts, das die Epochen der Renaissance und des Barock umfasst und politisch in die Regierungszeit von Karl V. (1519-1556) und Philipp II. (1556-1598) fällt, unter deren Regime Spanien nicht nur politisch, sondern auch literarisch eine Vorrangstellung in Europa einnahm. Eine Untersuchung der Dramen Lopes und Calderóns im Hinblick auf die in ihnen sich abzeichnenden Herrscherbilder kann nicht losgelöst von einem für die Epoche typischen Ständebild, auf der einen Seite Königtum und Adel, auf der anderen Seite das mittlere und untere Bürgertum, Kaufleute und Bauern, vorgenommen werden. Während sich hier sicher Parallelen zu anderen europäischen Ländern der Epoche aufweisen lassen, sind die Dramen 355 der genannten Autoren inhaltlich vorrangig durch ein typisch spanisches Moralkriterium der Epoche geprägt: den Ehrenkodex. Der Ehre zuliebe treibt die Gerichtsausübung seltsame Blüten, die auch das Bild der Herrscher auf der Bühne bestimmen. Es bietet sich bei der Analyse der Dramen – vor allem bei Lope de Vega – die interessante Frage an, ob aus der Perspektive der Herrscherbilder, in ihrer positiven Version als guter und weiser Landesvater, rey sabio, ebenso wie in der negativen Rolle des Verführers und Machtmenschen, vor allem hier, von Seiten des Autors bewusst Kritik am gesellschaftlichen status quo der Epoche vorgenommen wird. Es gibt Literaturwissenschaftler, die in der Darstellung des Bürgers, vor allem des Bauernstandes, der seine Rechte und Tugenden gegen den anmaßenden Adel und auch angesichts drohender staatlicher Gewalt verteidigt, erste Ansätze zu demokratischem Denken sehen wollen. Auffällig bei beiden Dramatikern ist zweifellos das negative Bild der Vertreter des Adels. Interessant ist der häufige Rückgriff ihrer dramatischen Handlung auf historische Ereignisse, vor allem in Verbindung mit Verfehlungen des Adels gegenüber dem Untertan aus den unteren Klassen – häufig Verführung und Entführung der Frauen meistens aus dörflichem Umfeld. Mit dem Rückgriff auf reale Begebenheiten ließe sich unter Umständen eine Form von Gesellschaftskritik verbinden, da sich die Darstellung nicht auf reine Fiktion stützt, sondern zumindest für die Forschung als realer Fakt im Raum steht. Über die nationalen Grenzen hinaus gesehen, tauchen vor allem Themen mit patriotischem Tenor auf, wenn spanischer Katholizismus und englischer Protestantismus im historischen Rollenspiel aufeinander prallen, wie in Dramen um Maria Stuart und ihre Kontrahentin um den Thron, Königin Elisabeth, oder die Vernichtung der spanischen Armada durch Francis Drake zum Thema bei Lope de Vega gemacht werden. 356 Roberta Anselmi (München) Gli avvocati di Dio: dalla Legge alla Giurisprudenza universale. Considerazioni su “Le pli” di Gilles Deleuze Nel saggio Le pli. Leibniz et le baroque (1988) Gilles Deleuze ripercorre le tappe della filosofia di Leibniziana mettendone in luce soprattutto gli aspetti “Barocchi”, o moderni. E moderna in Leibnitz è anche la visione teologico - politica, che pur in un momento di profonda e insanabile crisi – quella postrinascimentale-, di dubbio profondo nei confronti del potere divino e della legittimità di quello umano, non lascia spazio ad un prematuro nichilismo, ma al contrario riprende i vecchi principi, li moltiplica, li modifica e li sfrutta per ricostituire la Sovranità e giustificare, discolpandola, la realtà. Per ogni “caso irritante” è necessario un principio, un precedente che lo legittimi e lo trasformi in Legge universale. Da questo punto di vista è ragionevole definire Leibniz il fondatore del pensiero moderno? In quali termini è lecito parlare di secolarizzazione dei concetti filosofico – teologici già a partire da tale corrente filosofica? La ricostruzione del mondo rinascimentale, sembra presentarsi come lotta interna, una psicosi, un conflitto di interessi nell’uomo, all’interno dell’anima umana, tra la necessità di un ordine superiore regolatore e legislatore e la coscienza di un’evoluzione che già ne accusa l’assenza. Libertà o sottomissione? Leggi o etica individuale? In base ai più rilevanti recenti studi si cercherà di chiarire il punto intorno a tali questioni, tenendo presente soprattutto le teorie di Giorgio Agamben e di Carl Schmitt. 357 Marie-Christine Desmaret (Lille) “Baroques batailles dans Les Tragiques d’Agrippa d’Aubigné” ou “la guerre des images“ L’écriture baroque des Tragiques d’Agrippa d’Aubigné se caractérise par le choc des images. Il se livre dans cette œuvre une guerre iconique autour de deux pôles. D’une part, celui des multiples combats où l’écriture postule le soulèvement, le choc, la lutte, la caricature, la charge au sens militaire du terme, la dénonciation, la satire féroce et la constante turbulence de la vie des formes. D’autre part, D’Aubigné raconte qu’il a eu une vision céleste où Dieu lui enjoint de lui consacrer sa poésie. La dramatisation du chant contribue au caractère religieux et épique. La sublimation biblique donne à voir des événements transfigurés et symbolisés. Nombreux sont les passages qui attribuent une origine surnaturelle et prophétique à l’acte d’écrire : c’est le ravissement où D’Aubigné feint d’avoir participé à la visite du ciel avec les élus, l’enthousiasme, la possession divine étant inhérentes à la création poétique. L’étude visera à montrer comment la plume se fait arme de combat et comment le texte devient le lieu de l’affrontement des représentations les plus antagonistes. Nous analyserons les effets admirables de l’image baroque. Bibliographie - Bazin, Germain, « La gloire », Figures du baroque, colloque de Cerisy dirigé par Jean-Marie Benoist, PUF, Paris, 1983. - Buci-Glucksmann, Christine, La folie du voir. De l’esthétique baroque, éd. Galilée, 1986. - Cahiers D’Aubigné, Nizet. - Dubois, Claude-Gilbert, Le Baroque, profondeurs de l’apparence, Larousse, coll. « Thèmes et textes », 1973. - Dubois, C.-G., « L’imaginaire dans l’œuvre poétique d’Agrippa d’Aubigné », RHR, 10, déc. 1979, p. 52-55. - Dubois, Claude-Gilbert, Montluc, D’Aubigné : deux épées, deux plumes. 358 - Fragonard, Marie-Madeleine, La pensée religieuse d’Agrippa d’Aubigné et son expression, 1986. - Gruzinski, Serge, La guerre des images de Christophe Colomb et « Blade Runner » (1492-2019), Fayard, 1990. - Lestringant, Franck, Les Tragiques, 1986 et La cause des martyrs, 1991. - Prat, Marie-Hélène, Les mots du corps : un imaginaire lexical dans Les Tragiques d’Agrippa d’Aubigné, 1996. - Tuzet, H., Le cosmos et l’imaginaire, Corti, 1965. - Weber, Henri, La création poétique au XVIe siècle en France, de Maurice Scève à Agrippa d’Aubigné, Nizet, 1955. Dagmar Stoefele (München) Tragische Ersetzung. Die Leerstelle der politischen Souveränität in Agrippa d’Aubignés Les Tragiques Zwar sind die Tragiques kein Drama im gattungstypologischen Sinne, aber wie schon der Titel andeutet, zeichnet den eigentlich epischen Text eine Theatralität oder, moderner ausgedrückt, eine bemerkenswerte Performativität aus. Ein souveränitätstheoretisches Dilemma bildet den Ausgangspunkt und die Grundlage nicht nur dieses, sondern im Prinzip aller Texte Agrippa d’Aubignés (1552-1630). Für den Calvinisten und „homme de guerre“, der jahrelang an der Seite von Henri de Navarre gekämpft hatte, bedeutete dessen Konversion zum Katholizismus im Jahr 1593 nichts anderes als eine Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes. Während sich mit dem Ende der Religionskriege die Konzeption der Politiques durchgesetzt hatte, denkt Aubigné die Figur des Königs weiterhin in einer unauflösbaren Einheit von sacerdotium und regnum. Auf die als ‚existentiell‘ und ‚substanziell‘ wahrgenommenen, gesellschaftlichen Auflösungstendenzen reagiert Agrippa d’Aubigné auf eine ähnliche Weise wie der moderne politische Theologe Carl Schmitt: Er knüpft an eine dissoziierte Wirklichkeit an, indem er diese überzieht mit einer umfassenden „Begriffsbestimmung“ von Freund und Feind. Das ist die für Aubignés Texte so charakteristische apokalyptische Zuspitzung der 359 weltgeschichtlichen Lage auf den Kampf zwischen rechtgläubigen Reformierten und widerchristlichen ‚Papisten‘. Anhand seines wichtigsten poetischen Werkes, der Tragiques, sollen die Strategien aufgezeigt werden, mit denen die unbesetzbar gewordene Position des Souveräns überschrieben wird. Ein prophetischer Ich-Erzähler, der an die Stelle des königlichen Helden tritt, verwandelt die Geschichte der Religionskriege in ein apokalyptisches Szenario, das am Ende des Textes die eigene, poetische Selbstauslöschung mit einschließt. Der epische Triumph wird ermöglicht über die Figur des Märtyrers, der in seiner Weigerung, sich die Macht über den eigenen Tod nehmen zu lassen, eine prinzipielle Gefährdung der politischen Souveränität darstellt. Das Bürgerkriegsepos wird zur Selbstschreibung eines gewissermaßen unfreiwillig souveränen Dichters. Jean-Christophe Delmeule (Lille) Pour une théologie paradoxale : Les Provinciales de Pascal « Ce n’est pas d’aujourd’hui que la politique de Pascal déplait aux conservateurs pour ce qu’il met l’usurpation à l’origine de l’autorité, et aux révolutionnaires pour ce qu’il prêche la soumission. » ( G Ferreyrolles) A propos de Blaise Pascal, Paul Claudel déclarait « il ne suffit pas d’être géomètre pour être logique ». Pour celui qui croyait et qui était sûr de sa foi, les propositions pessimistes du philosophe ne pouvaient que déplaire. Mais elles traduisent surtout le paradoxe de la pensée de Pascal, de ses prises de position et de la réception de ses écrits. Comme l’a écrit Vincent Carraud, dans un article sur le Jansénisme : « Le paradoxe est que finalement les Provinciales représentent en même temps un succès et un échec. Un échec dogmatique […] à cause d’une série de condamnations qui faisaient cette fois définitivement échouer le clan janséniste. Mais les parties morales des Provinciales furent extrêmement bien reçues à Rome ». Etrange résultat pour celui qui à l’époque des cardinaux-ministres 360 remet en cause l’autorité de Rome tout en insistant sur la Révélation, le fondement divin et le rôle de la force dans la justification du pouvoir politique. De quel ordre est donc la théologie politique développée dans les Provinciales ? Florent Gabaude (Limoges) Das Martyrium der beiden Katharinen. Die (Teil-) Säkularisierung der romanischen tragoedia sacra im politischen Trauerspiel des Andreas Gryphius In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und nicht zuletzt in den 40er Jahren florierte in Frankreich die sog. „christliche Tragödie“. In Anlehnung an die Tragoediae sacrae von Nicolas Caussin (1620) und an Corneilles Polyeucte entwickelte Gryphius das Gegenmodell des deutschen und lutherischen Märtyrerdramas. Seine Catharina von Georgien kann etwa als Gegenstück zur heiligen Katharina von Alexandria gesehen werden, deren Martyrium drei zeitgenössische französische Autoren inspirierte : Boissin de Gallardon (1618), Jean Puget de la Serre (1643) und l’Abbé d’Aubignac (1649). Gryphius greift auf die dramatische Hohlform des hagiographischen Theaters romanischen Ursprungs zurück und verwandelt die tragoedia sacra in eine tragoedia politica, deren profaner Stoff der unmittelbaren historischen Aktualität entnommen wird. Dabei geht die Säkularisierung der Intrige und der königlichen Märtyrerfigur mit der Sakralisierung des Politischen einher, die am mittelalterlichen Typologiedenken festhält und an der lutherischen Konfessionalisierung des Deutschen Reiches teilhat (cf. Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling). Die Königin bzw. der König (Carolus Stuardus) als Abbild Gottes stirbt den demonstrativen, spektakulären Märtyrertod als imitatio christi. Die politische Theologie des Gottesgnadentums und die Verwerfung des Königsmordes werden somit einer heilsgeschichtlichen Perspektive untergeordnet (cf. Habersetzer, Politische Typologie 361 und dramatisches Exemplum, Stuttgart, 1985). Darüber hinaus entspricht die Zurschaustellung des Königs in der Märtyrer-Pose dem Repräsentationsdenken des höfischen Absolutismus und dessen Vorstellung von lebendiger Geschichte als Spektakel. Unter Verwendung aller plastischen Mittel der epideiktischen Rhetorik wird das Märtyrerdrama als „absolute Lobpreisung“ (Ricoeur, La mémoire, l’histoire, l’oubli, Paris, 2000) des Königs konzipiert. Alfred Strasser (Lille) Das Konzept des „Souveräns“ im Theater von Daniel Casper von Lohenstein Das gesamte literarische Werk Daniel Casper von Lohensteins (1635-1683) steht unter dem Aspekt des Politischen. Seine zentrale Fragestellung lautet, inwieweit sich das politische Handeln von den Normen der Moral und der Religion loslösen darf, ja loslösen muss, um das Wohl des Staates zu wahren, das für ihn das oberste Wesensgesetz des Staates ist. Nach Lohenstein könne das nicht durch Volkssouveränität erreicht werden, die er uneingeschränkt ablehnt, sondern nur durch den absolutistisch herrschenden Fürsten, den Souverän, der deswegen nicht den von ihm gemachten Gesetzen unterworfen sein darf. Dieses Konzept des Souveräns, das Lohenstein in der Person von Kaiser Leopold I. realisiert sieht, soll am Beispiel der Stücke Cleopatra und Sophonisbe analysiert werden. Marion Duvauchel (Valenciennes) Arrière plan métaphysique, philosophie de l’histoire et conflits de souveraineté Quel est l’objet formel de la philosophie de l’histoire ? C’est le sens intelligible, pour autant qu’il peut être perçu, du déroulement ou de l’évolution. La notion d’évolution illustre de manière frappante une notion fondamentale : que la philosophie de la nature est la philosophie de l’être en devenir et du mouvant. Or, on peut dé362 gager deux structures ou deux perspectives d’intelligibilité : celle de la tradition classique (grecque) qui fournit la pensée du monde accompli en soi, et celle de la tradition biblique. La tradition biblique de l’histoire postule deux choses : d’une part qu’en dépit de la contingence, du mouvement, de l’impermanence des choses, de la part de risque, de hasard, d’aventure, et d’irréversibilité, le monde a une histoire et un sens dans le temps, et d’autre part l’attente eschatologique qui génère la conscience historique moderne, dirigée vers le futur, qu’elle soit motivée par des intentions chrétiennes, non chrétiennes voire anti-chrétiennes. C’est ce que Michel Foucault a perçu quand il suggérait qu’on pouvait „reconnaître deux grandes morphologies, deux grands foyers principaux, deux fonctions politiques du discours historique. D’un côté l’histoire romaine de la souveraineté, de l’autre l’histoire biblique de la servitude et des exils” (Michel Foucault, « Il faut défendre la société », cours au collège de France, 1976, Hautes études, Gallimard, Seuil, 1997, p. 68). Il fait des tragédies historiques de Racine, des « tragédies du droit et du roi, essentiellement centrées sur le problème de l’usurpateur et de la déchéance, de l’assassinat du roi, et de cette naissance d’un être nouveau que constitue le couronnement d’un roi ». Et il pose la question : „Comment un individu peut-il recevoir par la violence, l’intrigue, le meurtre et la guerre une puissance publique qui doit faire régner la paix, la justice, l’ordre et le bonheur ? Comment l’illégitimité peut-elle produire la loi ? La tragédie de Shakespeare s’acharne au contraire, sur cette plaie, sur cette espèce de blessure répétée que porte au corps la royauté, dès lors qu’il y a mort violente des rois et avènement des souverains illégitimes”. C’est ainsi qu’il fait de la tragédie racinienne „par un de ses axes au moins, une sorte de cérémonie, de rituel de re-mémorisation des problèmes du droit public”. Il y a selon lui une sorte d’appartenance essentielle entre la tragédie et le droit. On dit que le théâtre du classicisme français a mis en scène l’ „analogie des concepts théologiques et politiques”. La question 363 que je vais soulever est la suivante : quelle forme prend la transposition scénique d’arrière plans métaphysiques aussi différents que celui de la tradition classique et celui de la tradition biblique ? (Le corpus sera sans doute Bérénice, Athalie, Esther, Cinna, Horace et Polyeucte.) Et quelle est la nature de cette appartenance essentielle entre la tragédie et le droit ? Christoph Oliver Mayer (Dresden) Zum Herrscherbild in der Querelle des Anciens et des Modernes. Zwischen akademischer Objektivierung und dramatischer Subjektivierung am Beispiel Oroondate (1645) In der Parallèle des Anciens et des Modernes preist Perrault nur relativ wenige französische Theaterstücke des eigenen Jahrhunderts, sondern geht eher auf kritische Distanz zu den Theaterautoren wie Racine – man vergleiche die Querelle d’Alceste – und sogar zum Theater selbst. Während Narrativik und Lyrik als Exemplum dienen, preist er für heutige Leser völlig unerwartet ein heute bereits vergessenes Stück, Oroondate ou les Amans discrets, eine Tragikomödie von Guérin de Bouscal, die inhaltlich den Tragödien des Racine, formal den Corneilleschen Tragikomödien ähnelt, aber aufgrund ihrer vermeintlichen Zweitklassigkeit nicht einmal mehr in den Literaturgeschichten auftaucht. Ein Werk, dessen Kanonisierung sozusagen auch Perrault nicht geglückt ist. Das sujet des inneren Konflikts des Prinzen von Marokko ist gerade zu Zeiten der Fronde sehr beliebt und erlebt dort gleich drei Umsetzungen als Tragikomödie. Dabei wird ein Herrscherbild ersichtlich, dass sich so gar nicht mit dem zu decken scheint, das Perrault in seinen poetologischen Überlegungen im Kontext der Querelle vertritt. Der Kontrast zwischen der dramatischen Subjektivierung des Herrschers, der als Liebender als Person im Drama eingeführt wird, und dem Souverän, von dem im akademischen Kontext die Rede ist, erinnert nicht nur an die zwei Körper des Königs, sondern, und das wird zu zeigen sein, weist das unbedingt 364 notwendige Miteinander von Subjektivität und Objektivität auf, was wiederum zu einer unverzichtbaren Integration auch der Anciens in das Denken der Modernen führt. Das Beispiel Oroondate soll die Verbindung von Provokation und Integration im Denken Perraults aufzeigen und die Wichtigkeit des Konstrukts eines Herrschers demonstrieren, der beide Stränge verkörpert. Die Konstruktion monarchischer Souveränität wiederum trägt deshalb nachhaltig zur Selbstaufwertung von Literatur bei, wobei bei Perrault demzufolge von literarischer Souveränität in diesem Sinne zu sprechen wäre. Saskia Wiedner (Augsburg) Der gebrochene Herrscher – Racines La Thébaïde ou Les Frères ennemis „L´Etat, c´est moi.“ Mit diesem programmatischen Ausruf manifestiert sich der Sonnenkönig als absoluter Souverän. Indes bedeutet diese Identifikation mit dem Staat, dass der mit absoluter Macht ausgestattete König das Sinnzentrum einer Ordnung bildet, deren Imperative er zu befolgen hat: Das über allem stehende staatsmännische Gebot der raison d’état gehört ebenso dazu wie der an honneur, honnêteté und bienséance ausgerichteten Kodex des höfischabsolutistischen monde. In der klassischen Tragödie erfährt der Monarch seine Versinnbildlichung als Einheit und seine Apotheose durch die bewusste Überschneidung politischer und theologischer Begrifflichkeit. Die 1663 entstandene und 1664 von Molière uraufgeführte Tragödie Racines La Thébaïde ou Les Frères ennemis bricht die Einheit des absolutistischen Herrscherbildes auf und stellt sie in zwei diametral entgegengesetzten Positionen, in Gestalt der verfeindeten Brüder Eteokles und Polyneikes, gegenüber. Auch Kreon, der nach dem Tod der Prinzen das Machtvakuum für seine Thronbesteigung nutzt, scheitert, da sich ihm Antigone, das letzte Mittel zur Legitimation seiner Macht, durch ihren Tod entzieht. Diese polare Auflösung des absolutistischen Herrscherbildes 365 wird insbesondere vor der Folie von Racines Alexandre le Grand deutlich. Manfred Hinz (Passau) Racine und der Tyrannenmord Viele der Tragödien Racines behandeln explizit (besonders deutlich in Andromaque) oder implizit die Legitimität (absolutistischer) Herrschaft, mit der umgekehrt die Frage der illegitimen Herrschaft und des entsprechenden Widerstandsrechts (Tyrannenmord) unlösbar verknüpft ist. Es wäre überhaupt völlig unplausibel anzunehmen, dass die Welle des monarchomachischen Denkens, die besonders in Frankreich zunächst von hugenottischen Autoren ausgelöst und dann von katholischer Seite gegen die unter Häresieverdacht stehenden französischen Könige adaptiert wurde (am prominentesten Juan de Mariana SJ, De rege et regimine principis, das auf keinem Index librorum prohibitorum fehlt), vorbeigegangen wäre. In Andromaque jedenfalls erwägt Oreste explizit die Frage, ob es sich bei seiner geplanten Ermordung von Pyrrhus nicht um einen Tyrannenmord handle. Die Autorinstanz (so scheint mir) verwirft diese Hypothese mit dem (guten technischen) Grund, das Handlungsgeschehen im Tragödienrahmen zu halten, denn die Ermordung eines illegitimen Herrschers wäre legitim und nicht tragisch. Damit bestätigt Racine einerseits das monarchomachische Widerstandsrecht, setzt es für die gegebenen Umstände jedoch außer Kraft. Soweit ich sehe, ist der Frage der herrschaftsjuristischen Grundlage von Racines Tragödien und speziell dem Einfluss der monarchomachischen Autoren in der Sekundärliteratur bislang nicht nachgegangen worden, nicht einmal von Louis Marin, der ansonsten den Ausgangspunkt meiner Überlegungen bildet. Ich möchte bei meinen Überlegungen, die selbstverständlich in den kommenden Jahren einer detaillierteren Ausarbeitung bedürfen, von Andromaque ausgehen (und damit natürlich auch die von Lucien Goldmann 366 aufgeworfene Frage streifen, ob es sich dabei um eine „echte“ Tragödie handle) und anschließend noch weitere Tragödienkonstruktionen (vor allem Britannicus und Bajazet) heranziehen. Ethel Matala de Mazza (München) Antiochus, Bérénice, César oder Das ABC der Souveränität (Racine, Bérénice) Wenn Staatsräson im Verständnis der Neuzeit das Recht einer Vernunft monarchischen Handelns meint, das ein Zuwiderhandeln gegen die Gesetze gebietet – weil es dem Gemeinwohl förderlich ist, die öffentliche Ordnung aufrecht erhält oder das politische Überleben des Fürsten sichert –, so wird der Spielraum dieses Rechts in Racines Bérénice dramatisch gekappt. Im Zwischenraum des „cabinet qui est entre l’appartement de Titus et celui de Bérénice“ öffnet er sich nur, um der höheren Vernunft der Gesetze den Vortritt zu lassen und sich in diese Grenzen zu fügen. Neben dem Für und Wider der politischen Argumente bietet Racines Kammerspiel ein hochtheatralisches Szenario des mächtigen Schweigens und ohnmächtigen Redens, des Augenöffnens und Augenschließens auf, um dem rite de passage Kontur zu geben, in dem natürliche und begehrliche Körper des Königs sich in das Ebenbild seines symbolischen Körpers transfiguriert. Die eucharistische Ratio dieser Selbstverwandlung – das Selbstopfer, das der König erbringt, um als Metapher seiner selbst aufzuerstehen – hat Jean-Marie Apostolidès in seiner einschlägigen Studie Le prince sacrifié eingehend beschrieben. Dagegen wird der Vortrag stärker an Louis Marins Studie über das portrait du roi anknüpfen und nach den Bildern, Mittlerfiguren und Diskursen fragen, die in Racines Lehrstück vom königlichen Einverständnis die Metamorphose vom einen Körper zum anderen bewerkstelligen. Dabei geht es auch um die Position, die das Theater zum Gegenstand seiner Darstellung bezieht. Immerhin bezahlt es das Einverständnis mit der Spaltung der akklamierenden 367 Öffentlichkeit in ein „Volk“ hinter der Bühne, von dessen Beifall die Tragödie nur spricht, und in ein Publikum vor der Bühne, das den Sieg der politischen Vernunft betrauert, weil es von dem portrait du roi allein die Kehrseite zugewandt bekommt – das Theater der Grausamkeit, aus dem es hervorgegangen ist. Till R. Kuhnle (Augsburg) Die “Tragödie” des Thésée in Racines Phèdre Der Beitrag versucht die Tragödie um Phèdre (et Hyppolite) von Jean Racine (1677) aus der Sicht einer „politischen Theologie“ (Carl Schmitt) zu interpretieren. Dabei gilt das Hauptaugenmerk der Gestalt des Königs Thésée, den das tragische Schicksal seiner zweiten Gattin Phèdre und seines Sohnes Hipppolyte aus der ersten Ehe mit der Amazonenkönigin Antiope von der Last einer die staatliche Ordnung gefährdenden Vergangenheit befreit – und dadurch erst zu einem souveränen Herrscher macht. Durch seinen acte de générosité gegenüber seiner Gefangenen Aricie aus dem attischen Geschlecht der Pallantiden, die er nunmehr als seine Tochter betrachtet, affirmiert Thésée am Ende seine fürstliche gloire und erhebt sich definitiv zum Sinnzentrum einer absolutistischen Ordnung. Die eigentliche Tragödie der beiden Protagonisten des Stücks erweist sich auf diesem Hintergrund als Teil einer komplexen Strategie zur Legitimierung fürstlicher Macht, deren Träger ihr Handeln an den unerschütterlichen Prämissen einer zynischen Staatsraison (raison d’état) auszurichten haben und dennoch – so das Paradox – gegen die Anforderungen eines auf honneur, honnêteté und bienséance aufbauenden Wertesystems nicht verstoßen dürfen. Phèdre steht somit in der Kontinuität des Themas von der „tragischen Menschwerdung“, an deren Ausgang sich der Fürst als Souverän bewährt. Geradezu exemplarisch hat Racine eine solche „tragische Menschwerdung“ in seiner Tragödie Bérénice (1670) an der Gestalt des römischen Kaisers Titus vorgeführt. 368 Nicht weniger scheint an Racines Bearbeitung des Tragödienstoffes aus der antiken Mythologie der ideologische Anspruch des Absolutismus im Frankreich des 17. Jahrhunderts auf: Das Konstrukt des „Gottesgnadentums” verleiht dem von unhintergehbaren Imperativen diktierten politischen Handeln – das sich allein schon über diese Imperative als „immanent“ hinreichend legitimiert erweist – den letztgültigen Legitimationsgrund durch eine „politische Theologie“. Dabei spielt die Thematik des Opfers durch den als ministre de Dieu (vgl. Apostolidès) begriffenen Königs eine herausragende Rolle – die sich an Phèdre nicht zuletzt über die dort erfolgte Bearbeitung der antiken Vorlagen von Euripedes und Seneca exemplifizieren lässt. Im Begriffssystem des Klassizismus haben juristische, ethische und rhetorische bzw. ästhetische Vorstellungen Eingang gefunden, die für die gesellschaftliche Ordnung eine unerschütterliche Autorität beanspruchen, die dem Rang der theologischen traditio und ihren Begriffen in der Kirche entspricht. Die arcana imperii, auf denen die monarchische Herrschaft beruht, lassen etwa für Scudéry das Handeln des Königs in demselben Licht erscheinen wie das Wirken eines in seinem Ratschluss unergründlichen und unhinterfragbaren deus absconditus (Scudéry: „dieu caché“). 369 Romanistik michael einfalt ottmar ette ursula erzgräber Franziska sick (Hg.) Intellektuelle Redlichkeit/ Intégrité intellectuelle Literatur – Geschichte – Kultur 2005. 738 Seiten, 1 Frontispiz, 14 Abbildungen. (Studia Romanica, Band 125) Geb. € 68,–. isbn 3-8253-5030-4 Croisements d’anthropologies Pascals Pensées im Geflecht der Anthropologien 2005. xiv, 407 Seiten. (Neues Forum der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, Band 26) Geb. € 65,–. isbn 3-8253-5035-5 christiane maaß annett volmer (Hg.) Mehrsprachigkeit in der Renaissance 2005. ii, 283 Seiten. (Germanisch-Romanische Monatsschrift, Beihefte, Band 21) Geb. € 39,–. isbn 3-8253-1625-4 dirk neumeister Die französische Theaterparodie im frühen 19. Jahrhundert 2004. 489 Seiten. (Studia Romanica, Band 122) Kart. € 58,–. isbn 3-8253-1643-2 jan söffner Das Decameron und seine Rahmen des Unlesbaren 2005. 287 Seiten. (Neues Forum für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Band 23) Geb. € 45,–. isbn 3-8253-1632-7 jan henrik witthaus Fernrohr und Rhetorik Strategien der Evidenz von Fontenelle bis La Bruyère 2005. 273 Seiten, 5 Abbildungen. (Neues Forum für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Band 28) Geb. € 45,–. isbn 3-8253-5053-3 jing xuan Der König im Kontext: Subversion, Dialogizität und Ambivalenz im weltlichen Theater Calderón de la Barcas 2004. 278 Seiten. (Studia Romanica, Band 124) Kart. € 45,–. isbn 3-8253-1664-5 jutta weiser Vertextungsstrategien im Zeichen des désordre Rhetorik, Topik und Aphoristik in der französischen Klassik am Beispiel der Maximes von La Rochefoucauld 2004. 318 Seiten, 3 Abbildungen. (Neues Forum für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Band 25) Geb. € 48,– isbn 3-8253-1639-4 D-69051 Heidelberg · Postfach 10 61 40 · Tel. (49) 62 21 / 77 02 60 · Fax (49) 62 21 / 77 02 69 Internet http://www.winter-verlag-hd.de · E-mail: [email protected] rudolf behrens andreas gipper viviane mellinghoffbourgerie (Hg.) Universitätsverlag winter Heidelberg Sektion 20 Literatur und Bürgerkrieg in der Romania Leitung: Anja Bandau (Berlin) / Albrecht Buschmann (Potsdam) / Isabella v. Treskow (Potsdam) Programm Montag, 26.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 10.30 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Martin von Koppenfels (Berlin) Bürgerkrieg und bürgerlicher Roman. Flauberts Education sentimentale und der Juniaufstand 1848 Cornelia Sieber (Leipzig) Am Rande der portugiesischen Geschichte: Miguel Sousa Tavares’ Equador (2003) Anja Bandau (Berlin) Die haitianische Revolution als Bürgerkonflikt Catherine Milkovitch-Rioux (ClermontFerrand) La guerre d’Algérie au miroir de la littérature: les ambiguïtés d’un conflit Virginie Brager (Bamberg) Paris - Algier: die ewige Suche nach dem anderen Monika Neuhofer (Salzburg) Versäumte Geschichte. Jorge Semprún und der Spanische Bürgerkrieg Marga Graf (Aachen) Spanien im Herzen - der spanische Bürgerkrieg 1936-1939 als Selbsterfahrung lateinamerikanischer Dichter: Pablo Neruda (Chile) und Nicolás Guillén (Kuba) 371 Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 10.30 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Alexandra Ortiz Wallner (Costa Rica/ Potsdam) Percepciones de la (pos)guerra en El Salvador y la estetización de la violencia Valeria Grinberg Pla (Frankfurt/M) (Un-)möglichkeiten der Erinnerung: der Genozid an den Maya in Horacio Castellanos Moyas Roman Insensatez Gesine Müller (Halle) Gustavo Álvarez Gardeazábal: Varianten literarischer Inszenierung des kolumbianischen Bürgerkriegs Marlene Kuch (Würzburg) Antiheroischer Widerstand. Testimonios von Frauen aus frankistischen Gefängnissen Albrecht Buschmann (Potsdam) Der Bürger, der Krieg und der Held: André Malraux’ L’Espoir zwischen Erfahrung und Repräsentation Christian v. Tschilschke (Regensburg) Konkurrenz und Zusammenwirken der Medien in der Erinnerung an den Spanischen Bürgerkrieg: Soldados de Salamina als Roman und Film Elisabeth Suntrup (Passau) Das kulturelle Erinnern des Bürgerkrieges und die Überwindung gesellschaftlicher Dichotomien in zwei Romanen der Enkelgeneration: La larga marcha (1996) und El hijo del acordeonista (2004) Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr 372 Sabine Zangenfeind (Potsdam) Widerstand oder Bürgerkrieg? Positionen zum 9.45 Uhr 10.30 Uhr 11.15 Uhr italienischen Resistenza-Diskurs in Medien und Geschichtsschreibung Isabella v. Treskow (Potsdam) Transformation der Erinnerung. Fiktionale Texte zum italienischen Bürgerkrieg (1943-1945) Marie-Aude Charret (Limoges) Guerre, sexualité, langage et identité. De L’Assaut de Reinaldo Arenas à Etat de siège de Juan Goytisolo Timo Obergöker (Potsdam) Bukarest 1989 – Die Darstellung der Rumänischen „Revolution“ in der rumänischen Gegenwartsliteratur Abstracts Martin von Koppenfels (Berlin) Bürgerkrieg und bürgerlicher Roman. Flauberts Éducation sentimentale und der Juniaufstand 1848 Der Pariser Arbeiteraufstand vom Juni 1848 und die auf ihn folgende blutige Repression können in mehr als einer Hinsicht als historisches Paradigma für die internen Kämpfe der europäischen Nationalstaaten des 20. Jahrhunderts angesehen werden. Als exemplarisch darf andererseits auch die Behandlung der Juniereignisse in Flauberts Éducation sentimentale (1869) gelten, die für den Umgang avancierter Erzählliteratur mit den ”großen Momenten” der kollektiven Geschichte Maßstäbe setzte. Flauberts bis dato unerhörte Technik indirekter Darstellung, die die historisch entscheidenden Ereignisse in den toten Winkel der Erzählperspektive verlegt, seine Verweigerung der Chronistenrolle, ja der Zeugenschaft selbst, wirken auch heute noch als Provokationen, die die integrative Kraft kollektiver Gedächtnisbildung in Frage stellen. Die berühmten Passagen aus Flauberts Roman eignen sich daher als Ausgangs373 punkt für grundsätzliche Überlegungen zur narrativen Verarbeitung kollektiver Katastrophen. Dabei geht es einerseits um die Frage, wie der Ausnahmezustand des Zivilkrieges in die Privatexistenz, das bürgerliche Interieur und den zivilen Stadtraum eingreift (die alle drei konstitutiv für den modernen Roman sind). Andererseits steht zur Debatte, wie ”Geschichte” und Einzelschicksal, wie historische und romanhafte Erinnerung aufeinandertreffen oder einander durchkreuzen. Vor allem aber stellt sich die – für Flaubert entscheidende – Frage, wie sich die Zerstörung des Phantasmas kollektiver Identität (peuple, patrie, drapeau) auf die Sprache auswirkt. Den Zusammenbruch der Kategorie des Politischen im Juni 1848, so meine These, reflektiert Flaubert als Entwertung des Politischen schlechthin: der gemeinsamen Sprache. Der locus communis wird zum unhaltbaren Ort. Die Geschichte entpuppt sich als Ansammlung ungleichzeitiger Privatgeschichten. Flauberts Poetik des absoluten Gemeinplatzes registriert die politische Desintegration als Zerfall des identifikatorischen Bandes, das durch die Sprache verläuft. Cornelia Sieber (Leipzig) Am Rande der portugiesischen Geschichte: Miguel Sousa Tavares’ Equador (2003) In dem Beitrag möchte ich die Strategie des 2003 erschienenen Romanes Equador untersuchen, der den großen innenpolitischen Konflikt in Portugal zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus einer Randperspektive zeigt. Der aus Porto (einem Zentrum der Aufstände) stammende Autor Miguel Sousa Tavares hat in seiner historischen Erzählung gerade nicht die Präsentation der Konfliktlinien zwischen regierenden Verteidigern der Monarchie und den neuen städtischen Schichten, die für die Durchsetzung einer Republik stritten, fokussiert. Statt dessen kontrastiert und rekontextualisiert er den Konflikt im “Mutterland” mit Blick auf Portugals Kolonialpolitik jener Zeit, indem er die Inselkolonie São Tomé als Haupt374 handlungsort und den dortigen Gouverneur als Protagonisten wählt. Durch diese Randperspektive, so möchte ich zeigen, zerfällt die Narrationsmöglichkeit, die portugiesische Situation eindeutig und umfassend als einen antagonistischen Kampf zwischen klar abgrenzbaren Konfliktgruppen darzustellen und mittels typischer Gruppenvertreter zu verdeutlichen. Aus Tavares’ erweiterter historischer Perspektive stellt sich neben das Bild des internen Konflikts das weiterhin nach außen wirkende hegemonische Bild der Nation gegenüber den Kolonien, da Monarchisten und Republikaner letztendlich die gleiche Kolonialpolitik befürworteten. Anhand der Perspektivierung des Romans durch den Inselgouverneur andererseits stellt der Autor neben die Vorstellung des typischen Gruppenvertreters die Darstellung einer komplexen Figur im Konflikt mit politischer, rassischer und geschlechtlicher Andersheit. Anja Bandau (Berlin) Die haitianische Revolution als Bürgerkonflikt In der haitianischen Revolution (1792-1804) überlagern und verschränken sich verschiedene historische Prozesse, die im Ergebnis der ersten erfolgreichen Sklavenrevolution zur Unabhängigkeit Haitis führten. Zwischen der Kolonie Sainte Domingue und der Kolonialmacht Frankreich, den unterschiedlichen Parteien der “Grands Blancs” (weiße Plantagenbesitzer) und der “Petits Blancs” (Handwerker, Lohnarbeiter, Händler), der Mulatten und freigelassenen Sklaven sowie der Sklaven bilden sich verschiedene Konfliktlinien heraus, entlang derer Bürgerrechte und nationale Gemeinschaft ausgehandelt werden. Anhand ausgewählter literarischer Texte diskutiert dieser Beitrag die Inszenierung der Revolution als Kampf um die Konstituierung einer civitas und als Bürgerkonflikt. Er geht der Repräsentation von Phänomenen wie Asymmetrie im Kräfteverhältnis und Nähe der Konfliktparteien nach, die für Bürgerkriegskonfliktkonstellationen relevant sind. 375 Catherine Milkovitch-Rioux (Clermont-Ferrand) La guerre d’Algérie au miroir de la littérature: les ambiguïtés d’un conflit La définition et la dénomination de la « guerre d’Algérie » ont toujours posé problème: apparentée en France, durant le conflit, à des « troubles de l’ordre public », évoquée par périphrase ou par litote sous l’appellation « les événements », la guerre d’Algérie s’appelle encore, sur l’autre rive de la Méditerranée, guerre d’indépendance ou guerre de libération. Les instances internationales s’accordent désormais à réfuter l’inscription des conflits liés à la décolonisation dans le champ juridique des « guerres civiles », et quand on évoque la « guerre civile » à propos de l’Algérie, il est question sans ambiguïté du conflit né dans les années 1990, de la « seconde guerre d’Algérie ». Mais au-delà des jugements de l’histoire, la littérature permet de sonder dans les profondeurs de l’imaginaire, l’inconscient d’un conflit qui s’apparente à de multiples égards aux déchirements des guerres civiles. J’aimerais donc aborder, dans les représentations littéraires de la guerre, de Kateb Yacine à Assia Djebar, de Jean Pélegri à Alain Vircondelet, la représentation historique de la citoyenneté française, aux racines du conflit ; l’évocation d’une « guerre contre les civils » (Maïssa Bey), les figurations du territoire algérien comme terre-mère ; l’arrachement de communautés (pied-noire, harkie) dont l’histoire était inscrite, à des titres divers, sur le territoire algérien, et la préfiguration, enfin, d’une guerre civile ultérieure qui s’y dessine en creux. Virginie Brager (Bamberg) Paris-Algier: Die ewige Suche nach dem Anderen Seit dem 1. Mai 2004 gewinnt das Thema der Grenze innerhalb Europas eine besondere Bedeutung. Die Grenzen des europäischen Kontinents öffnen sich und lösen sich sogar auf. De Gaulles’ Satz ”Europa vom Atlantik bis zum Ural” zeigt den immerwechselnden Charakter des territorialen Europas und sein besonderes Schicksal. 376 Die Topographie Europas hatte sich auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erheblich verändert. In den 60er Jahren, die die Unabhängigkeit Nordafrikas ankündigten, änderten sich die Grenzen der verschiedenen Kolonialmächte. Das Beispiel Algeriens zeigt, dass sich das Territorium der Kolonialmacht Frankreich auf die Grenzen der Metropole reduzierte und sich endgültig von Afrika trennte. Frankreich zog sich zurück, dies war aber kein endgültiger Abschied. Die ”besonderen” Verhältnisse, die die Beziehungen beider Länder seit dem Algerienkrieg, oder anders formuliert, seit ”den Operationen zur Wiederherstellung der Ordnung” charakterisieren, erinnern jedoch an die ”gemeinsamen” guten und schlechten Zeiten von ”früher” und beweisen, dass alles doch sehr rasch ging und dass der Unabhängigkeitsprozess weder an Frankreich noch an Algerien spurlos vorbeiging. Um das damit einhergehende Unbehagen, das seit mehr als vierzig Jahren die Beziehungen beider Länder belastet, genauer darzustellen, möchte ich zwei Filme vorstellen: Là-bas, mon pays (1999) von Alexandre Arcady und Viva l’Aldgérie (2003) von Nadir Moknèche. Beide Filme spielen sich jenseits des Mittelmeers ab, das jetzt die offizielle Grenze zwischen zwei Ländern verkörpert, aber von den Protagonisten ununterbrochen mental oder physisch übersprungen wird. Einmal von Algerien aus träumen die Bewohner von Algier von einer besseren Welt, in einem demokratischen Land und von Frankreich aus wollen die entwurzelten Franzosen partout in das Land der Brüder zurück, ”là-bas”, in deren Heimat. Die Verleihung des César-Filmpreises des besten französischen Films an den Film L’esquive des tunesischstämmigen Filmregisseurs Abdellatif Kechiche am 27. Februar 2005 ist ein weiterer Beweis für die Verhältnisse besonderer Art, die zwischen ”La Grande Nation” und dem Maghreb weiterexistieren. 377 Monika Neuhofer (Salzburg) Versäumte Geschichte. Jorge Semprún und der Spanische Bürgerkrieg Bei Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs ist Jorge Semprún noch keine dreizehn Jahre alt und gezwungen, mit seiner Familie ins Exil zu gehen. 1953 kehrt er erstmals, nunmehr als Untergrundkämpfer gegen Franco im Dienste der Kommunistischen Partei, nach Spanien zurück. Der Bürgerkrieg aber wird für immer eine Lücke in seiner Biographie bilden. Trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) stellt diese versäumte Geschichte einen zentralen persönlichen Mythos im Leben und Schreiben Semprúns dar, der als Hintergrundfolie in fast allen Texten präsent ist, von Le grand voyage (1963) bis zum jüngsten Roman Veinte años y un día (2003). ”Semprun n’a pas vécu la guerre civile de l’intérieur de l’Espagne, ni même à l’extérieur, mais au-dedans de lui-même. Il a gardé avec lui la guerre d’Espagne”, schreibt Gérard de Cortanze. Parallel zur Entwicklung des Autors vom kommunistisch-militanten Aktivisten zum mehrsprachigen europäischen Schriftsteller verändert sich auch die Perspektive, die er in den literarischen (und filmischen) Bearbeitungen des eigenen Lebens auf den Spanischen Bürgerkrieg wirft. Dennoch bleibt das historische Ereignis – sei es als kommunistischer, sei es als spanischer Mythos – ein Angel- und Fluchtpunkt, an dem sich Semprún bis heute abarbeitet. Im Vortrag soll die gewissermaßen doppelte Rolle des Spanischen Bürgerkriegs im Werk Sempruns untersucht werden – insbesondere an zwei Texten, die in dieser Hinsicht jeweils eine Art Schwellenfunktion einnehmen: an La guerre est finie (1965), das als literarische Vorlage für Alain Resnais’ Film konzipiert wurde und sich mit dem Ende der politischen Tätigkeit im Untergrund auseinandersetzt, sowie an Adieu, vive clarté (1998), in dem die Anfangszeit im französischen Exil thematisiert wird und gleichzeitig eine Rückbesinnung auf die spanische Herkunft erfolgt. 378 Marga Graf (Aachen) Spanien im Herzen – der Spanische Bürgerkrieg 1936-1939 als Selbsterfahrung lateinamerikanischer Dichter: Pablo Neruda (Chile) und Nicolás Guillén (Kuba) Der literarische Niederschlag aus Anlass der Ereignisse der Jahre 1936-1939 in Spanien in Poesie und Prosa des Chilenen Pablo Neruda (1904-1973) und des Kubaners Nicolás Guillén (1902-1989) ist unzweifelhaft vorwiegend autobiographisch zu werten. Der enge persönliche Kontakt mit spanischen Intellektuellen, Dichtern und Schriftstellern dieser Epoche - Valle Inclán, Antonio Machado und den Vertretern der jüngeren Generation, García Lorca, Rafael Alberti – hat das Bild und die Eindrücke aus der Zeit des Spanischen Bürgerkrieges, den Wandel von der Republik zur Diktatur bei beiden Lateinamerikanern, die in ihrem eigenen politischen Umfeld ihre Erfahrungen mit Machtwechseln und zivilen Unruhen hatten, in besonderem Maße geprägt. Es geht in diesem Vortrag nicht um eine wertende Analyse von Poesie und Prosa unter dem Blickwinkel ihrer ästhetischen und strukturellen Merkmale, sondern um engagierte Literatur, die auf einen ganz bestimmten Anlass, hier auf das politische und kulturelle Umfeld der dreißiger Jahre in Spanien fokussiert ist. Pablo Neruda und Nicolas Guillén lassen sich dabei in ihren Werken von den Ereignissen in Spanien nicht aus der Perspektive des passiven Beobachters inspirieren. Sie sind Zeitzeugen vor Ort. In Spanien ebenso wie in ihren Heimatländern in Lateinamerika. Das gilt für Neruda in diplomatischer Mission als chilenischer Konsul in Barcelona und Madrid (1934). Als aktive Veranstalter und Teilnehmer an Kongressen – u. a. am II Congreso Internacional de Escritores para la Defensa de la Cultura in Valencia, Barcelona und Madrid – machen sie sich in ihren Werken zum Sprachrohr der freien Entfaltung literarischen Schaffens ihrer spanischen Kollegen gegen Unterdrückung, Zensur, und Freiheitsberaubung durch das Regime Franco: Neruda in seinem Buch España en mi corazón, einem 379 Gedichtzyklus, der während des Bürgerkrieges auf dem Montserrat gedruckt wurde, Nicolás Guillén in seinem Gedichtband Espa ña, poema en cuatro angustias y una esperanza, geschrieben und veröffentlicht 1937 in Mexiko während seiner Teilnahme am Congreso de la Liga de Escritores y Artistas Revolucionarios. Alexandra Ortiz Wallner (Costa Rica/Potsdam) Percepciones de la (pos)guerra en El Salvador y la estetización de la violencia La ponencia quiere mostrar a través del análisis de las novelas La diabla en el espejo (2000) y Donde no estén ustedes (2003) del escritor salvadoreño Horacio Castellanos Moya, diversas formas que asumen las representaciones de la violencia en una sociedad latinoamericana como la salvadoreña, la cual fue azotada durante doce años por una guerra civil que dejó cerca de un millón de víctimas. En el momento de la posguerra surgen en el ámbito literario centroamericano nuevas formas de expresión que se distancian de la literatura testimonial, forma dominante durante los conflictos armados de la región, y revelan apropiaciones de la violencia desde otras perspectivas. En este sentido, la producción literaria del salvadoreño Horacio Castellanos Moya resulta representativa de los procesos de estetización de la violencia en las literaturas centroamericanas que se escriben durante el periodo de las posguerras en el istmo. Valeria Grinberg Pla (Frankfurt/M) (Un-)möglichkeiten der Erinnerung: der Genozid an den Maya in Horacio Castellanos Moyas Roman Insensatez Insensatez (Mexiko: Tusquets 2004), der bislang letzte Roman des salvadorianischen Schriftstellers Horacio Castellanos Moya (1957), beschäftigt sich explizit mit der Problematik der Erinnerung an die Gräueltaten, die das Militär in Guatemala während der siebziger und achtziger Jahre verübte und denen ein großer Teil der MayaBevölkerung des Landes zum Opfer fiel. Dabei wirft der Roman 380 die Frage auf, inwiefern eine ästhetische Wahrnehmung bzw. Verarbeitung der Berichte der Überlebenden zu einer empathischen oder einer distanzierten, die Geschehnisse verfremdenden Teilhabe an den Ereignissen von Seiten der Ladino-Bevölkerung führt: Der Protagonist, ein ausländischer Journalist, hat den Auftrag, den Informe de la verdad, in dem die Aussagen der überlebenden Maya schriftlich festgehalten wurden, Korrektur zu lesen. Diese Lektüre löst bei ihm eine intensive und spannungsreiche Auseinandersetzung mit den Folgen aus, die die schriftliche Fixierung der Bürgerkriegserlebnisse sowohl für die Opfer als auch für die Täter hat und führt zu der Frage nach Schuld und Verantwortung für die Vernichtung der Maya-Bevölkerung. Der Roman gibt darauf keine explizite Antwort - wie eine implizite, in den erzähltechnischen bzw. intertextuellen Strukturen des Romans enthaltene Antwort aussehen könnte, möchte ich in meinem Vortrag ebenso diskutieren wie die Frage, ob die Ladino-Bevölkerung eine Art kollektiver Schuld an der Vernichtung der Maya-Bevölkerung trägt. Ferner lädt der Roman dazu ein, die Genrespezifik von Schreiben und Erinnerung zu untersuchen und die Unterschiede zwischen einer fiktionalen (am Beispiel des Romans selbst), einer testimonialen (am Beispiel von Rigoberta Menchús Testimonio Me llamo Rigo berta Menchú y así me nació la conciencia) und einer nicht-literarischen (am Beispiel des Informe Para la Recuperación de la Memoria Histórica: „Guatemala, Nunca Más“) Fortschreibung der Erinnerung an die Bürgerskriegstraumata in den Blick zu nehmen. Gesine Müller (Halle) Gustavo Álvarez Gardeazábal: Varianten literarischer Inszenierung des kolumbianischen Bürgerkriegs Am 9. April 1948 wurde Jorge Elicier Gaitán, der Präsidentschaftskandidat der Liberalen Partei, mitten im Zentrum Bogotás ermordet. Diese Gewalteruption, die als El Bogotazo in die Geschichte einging, war der Beginn einer Kette von Gewalthandlungen, die bis 381 in die 50er Jahre hinein auf ländliche Regionen ausgriffen und sich im kollektiven Gedächtnis als La Violencia einprägten. 200.000300.000 Menschen mussten in diesem Konflikt, dessen Hintergrund sowohl die soziale Frage als auch Kämpfe zwischen den parteipolitischen Eliten waren, ihr Leben lassen. Bereits diese erste Phase weist wichtige Parallelen mit der heutigen Konfliktsituation auf, vor allem was die Schwäche des Staates und die Rolle paramilitärischer Organisation betrifft. Aufgrund der ununterbrochenen Bürgerkriegssituation nimmt es nicht wunder, dass es kaum literarische Ausdrucksformen aus Kolumbien gibt, die nicht in irgendeiner Weise das Phänomen Violencia tangieren. Während sich viele Autoren indirekt mit der permanenten Gewaltpräsenz im Land beschäftigen, hat der aus Tuluá stammende Gustavo Álvarez Gardeazábal (*1945) sich selbst und sein Gesamtœuvre über die Jahrzehnte hinweg sehr konkret der Aufarbeitung des Bürgerkrieges verschrieben. Dementsprechend können seine literarischen Texte auch als Dokumentation einzelner Etappen des kolumbianischen Bürgerkriegs gelesen werden. Der Sektionsbeitrag will mit der Gegenüberstellung von Cóndores no entierran todos los días (1971) und Comandante Paraíso (2002) die Anfangsphase der Violencia (1948-1957) mit den jüngsten Entwicklungen der 90er Jahre vergleichen. Wie hat sich die Bürgerkriegssituation und vor allem ihre literarische Inszenierung entwickelt? Aus welcher Perspektive und für welchen impliziten Leser wird erzählt? Álvarez Gardeazábal war zunächst Gobernador von Valle del Cauca und hat ab 1999 zwei Jahre aufgrund falscher Anschuldigungen im Gefängnis gesessen. Inwiefern positioniert er sich in dem Konflikt literarisch und über welche Ausdrucksmöglichkeiten verfügt er? 382 Marlene Kuch (Würzburg) Antiheroischer Widerstand: Testimonios von Frauen aus frankistischen Gefängnissen Der Beitrag setzt sich mit den Erzählungen von Frauen (Juana Doña, Soledad Real u.a.) auseinander, die nach der Niederlage der spanischen Republik viele Jahre ihres Lebens in politischer Gefangenschaft verbrachten und dort ihren eigenen stillen Krieg führten. Diese Zeitzeuginnen legen Wert darauf, dass ihre Leiden und Entbehrungen ebenso wie der männliche Kampf als Beitrag zum antifrankistischen Widerstand anerkannt werden. Damit knüpfen sie sowohl an die soziale Revolution von 1936 an, als auch an ihren Anspruch auf (staats)bürgerliche Gleichstellung, die erst wenige Jahre zuvor von der Republik gesetzlich festgeschrieben worden war. Sie stellen sich bzw. die Gruppe, für die sie sprechen, als Heldinnen dar, müssen jedoch erkennen, dass die Heroisierung zur Selbstentmündigung führt, solange sie sich an vorgegebenen (männlichen) Modellen orientiert. Sie sind, um eine paradoxe Formel zu verwenden, antiheroische Heldinnen. Die Autorinnen berichten von Torturen, die den Vergleich mit Märtyrerinnen nahelegen. Der Status der Opferheldin erweist sich jedoch als durchaus zwiespältig. Die Texte zeigen Frauen, die sich dagegen wehren, zu Opfern gemacht zu werden, und die um ihr physisches und moralisches Überleben kämpfen. Dies ist indes nur durch eine heroische Selbstdisziplin möglich, die zunächst zwar als Widerstand erscheint, schließlich aber als (erzwungene) Kollaboration mit einem Herrschafts- und Unterdrückungssystem durchschaut wird, die sich gegen sie selbst richtet. Ein wesentliches Element dieses Herrschaftssystems ist das Schweigegebot, das nicht erst seit dem verlorenen Bürgerkrieg auf den Frauen lastet, und das Juana Doña, Soledad Real und andere (darunter, als ‚Vermächtnisverwalterin‘, Dulce Chacón mit dem Roman La voz dormida, 2002), gestärkt durch das Bewusstsein, eine Bewährungsprobe bestanden zu haben, mit ihren testimonios durchbrechen. So wird 383 die extreme äußere Bedrängnis der politischen Gefangenschaft in dialektischer Umkehrung zum Ort der inneren Emanzipation: Die frankistischen Gefängnisse sind Keimzellen des modernen spanischen Feminismus. Albrecht Buschmann (Potsdam) Der Bürger, der Krieg und der Held: André Malraux’ L’Espoir zwischen Erfahrung und Repräsentation L’Espoir entstand 1936/1937 unter dem unmittelbaren Eindruck der ersten Monate des Spanischen Bürgerkrieges, in dem der Autor als Organisator einer Fliegerstaffel selbst dezidiert Stellung bezog. Darum wurde das Buch, ungeachtet seiner propagandistischen Absicht, immer wieder als ”Dokument” oder ”témoignage” bezeichnet. Der Text bildet also Prozesse ab, die sich seinerzeit an der Schnittstelle zwischen individueller Erfahrung und literarischer Gestaltung vollzogen. Deren Dynamik soll exemplarisch rekonstruiert werden, wobei auf die methodischen Vorarbeiten in dem Sammelband Bürgerkrieg. Erfahrung und Repräsentation (hgg. von I. v. Treskow, A. Buschmann, A. Bandau, Berlin 2005) zurückgegriffen wird. Im Mittelpunkt des Vortrages wird die Relektüre des Textes stehen, wobei bald 70 Jahre nach seinem Erscheinen die literarhistorische Analyse der Techniken der Bürgerkriegsdarstellung auf die Frage zugespitzt werden soll, welche Elemente aus heutiger Perspektive fruchtbar zu machen sind. Hilfreich wird dabei der Seitenblick auf die Verfilmung Sierra de Teruel sein, die unter der Regie Malraux’ noch während des Krieges entstand. 384 Christian von Tschilschke (Regensburg) Konkurrenz und Zusammenwirken der Medien in der Erinnerung an den Spanischen Bürgerkrieg: Soldados de Salamina als Roman und Film Mit dem Aussterben der letzten Zeitzeugen des Bürgerkiegs und einem wachsenden Bevölkerungsanteil, der nicht einmal mehr die Franco-Diktatur bewusst erlebt hat, steht Spanien, ähnlich wie Deutschland, an der Schwelle eines erinnerungskulturellen ,Gezeitenwechsels‘. Gleichzeitig erlangt eine neue ‘Deutungskohorte‘ Diskursmacht, die die Erinnerung an den Bürgerkrieg zwar weiterhin als moralische Verpflichtung betrachtet, seinen kommerziellunterhaltenden Aspekten als Ware aber entspannt gegenübersteht. Diese Generation zeigt sich versöhnungsbereit, scheut sich aber auch nicht, offen Defizite der Vergangenheitsbewältigung einzuklagen. Auch besitzt sie ein scharfes Bewusstsein für die Fiktionalität und mediale Konstruiertheit der Geschichte, dem auf der anderen Seite ein gesteigertes Informations-, Dokumentationsund Authentizitätsbedürfnis entspricht. Javier Cercas außerordentlich erfolgreicher Roman Soldados de Salamina (2001) und David Truebas gleichnamige Verfilmung (2003) stehen exemplarisch für diese Entwicklung. Als rezentes Beispiel einer medialen Verschränkung, wie sie für die Geschichte der ästhetischen Repräsentation des Spanischen Bürgerkriegs insgesamt typisch ist, lassen sich Roman und Film daher zunächst einmal als unterschiedliche mediale Ausprägungen eines aktuellen, beiden gemeinsamen Diskurszusammenhangs interpretieren. Gerade der Vergleich der Aufbereitung desselben Stoffes in verschiedenen Medien erlaubt es jedoch auch, Spuren einer mediengeschichtlichen, erinnerungspolitischen und marktstrategischen Konkurrenz aufzudecken, die einen interessanten Einblick in die Ambivalenzen der gegenwärtigen Hinwendung zur Bürgerkriegsvergangenheit gewähren. So drängt sich etwa die Frage auf, ob der vergleichsweise geringere Erfolg des Films auch darauf zurückzuführen ist, dass er die Ambivalenzen 385 des Romans im Namen eines politisch und pädagogisch korrekten Umgangs mit der Geschichte einzuebnen versucht. Elisabeth Suntrup (Passau) Das kulturelle Erinnern des Bürgerkrieges und die Überwin-dung gesellschaftlicher Dichotomien in zwei Romanen der Enkelgeneration: La larga marcha (1996) und El hijo del acordeonista (2004) In den letzten Jahren haben sich zahlreiche spanische Schriftsteller der Enkelgeneration verstärkt der Thematik des Spanischen Bürgerkrieges angenommen. Anders als in manchen Romanen auch jüngerer Autoren, in denen die gesellschaftlichen Traumatisie rungen und eindeutigen politischen Antagonismen fortgeschrie ben werden, inszenieren und reflektieren Rafael Chirbes in La larga marcha (1996) und Bernardo Atxaga in El hijo de acordeonista (2004) von einem rückblickenden Standpunkt aus die heterogenen politischen, sozialen und generationellen Bruchlinien, die durch den Bürgerkrieg verursacht oder verstärkt wurden und lange fortwirkten. Dabei setzen sich die beiden Autoren zugleich kritisch mit der eigenen, von den Folgen des Bürgerkrieges in hohem Maße gepräg ten Generation auseinander: mit der 68er Generation in La lar ga marcha sowie mit der ETA-Generation im Baskenland der 70er Jahre in El Hijo del acordeonista. Der Vortrag will die Komplexität der in den Romanen dargestellten erinnerungskulturellen Grenzen und Bruchlinien herausarbeiten und zeigen, mit welchen narrativen Strategien gängige Dichotomien überwunden werden. Durch die vergleichende Analyse sollen dabei auch Parallelen wie Unterschiede zwischen den beiden Romanen deutlich gemacht werden. 386 Sabine Zangenfeind (Potsdam) Widerstand oder Bürgerkrieg? Positionen zum italienischen ResistenzaDiskurs in Medien und Geschichtsschreibung ”Che scandalo, fu guerra di popolo” betitelt das Magazin L’Espresso ein umfangreiches Dossier anlässlich des 50. Jahrestages des Kriegsendes im April 1995 und beschreibt damit das problematische Verhältnis der italienischen Öffentlichkeit und der offiziellen Historiographie zur eigenen Geschichte der Jahre 1943 bis 1945 unter deutscher Besatzung. Teil des Dossiers ist ein ”zehn unbequeme Fragen” umfassendes Interview mit dem Historiker Claudio Pavone, dessen Publikation Una guerra civile. Saggio storico sulla moralità nella Resistenza (Torino, Bollati Boringhieri 1991) eine breite kontroverse Debatte über die Bewertung der italienischen Widerstandsbewegung auslöste. In diesem Interview verteidigt Pavone seine Interpretation der Resistenza als Bürgerkrieg sowohl gegen die Kritik von linker als auch von rechter Seite. Der Vortrag nimmt die Thesen Pavones und ihre Rezeption zum Anlass, die grundlegenden Entwicklungslinien des Resistenza-Diskurses in den italienischen Medien und der italienischen Geschichtsschreibung (u.a. Romolo Gobbi: Il mito della Resistenza, 1992; Gian Enrico Rusconi: Resistenza e postfascismo, 1995) nachzuzeichnen. Dabei soll auf die Interdependenz zwischen der Debatte über die Resistenza und des jeweiligen politischen Tages- und Weltgeschehens ebenso eingegangen werden wie auf die Frage nach der Bedeutung der Resisten za für die Konstituierung eines italienischen Identitätsbewusstseins in der Nachkriegszeit. Isabella von Treskow (Potsdam) Transformation der Erinnerung. Fiktionale Texte zum italienischen Bürgerkrieg (1943-1945) Die Kämpfe zwischen Faschisten und Mitgliedern der Widerstandsgruppen in der deutschen Besatzungszeit (1943-1945) als 387 Bürgerkrieg zu bezeichnen, war in Italien lange ein Tabu. Die Linke verstand ihren Einsatz als Befreiungskampf Italiens von den Deutschen, als deren “Marionetten” die Vertreter des Mussolinischen Regimes betrachtet wurden. Die neofaschistische Rechte versuchte, den Kampf der Resistenza gerade mit dem Terminus “Bürgerkrieg” als mörderischen Gewaltakt gegen den eigenen “Bruder” zu verunglimpfen. Erst mit C. Pavones Studie Una guerra civile (1991) wurde der Versuch unternommen, den Begriff als neutrale Bezeichnung für den innergesellschaftlichen Gewaltkonflikt nutzbar zu machen. Dass realitär italienische faschistische gegen italienische antifaschistische Bürger stritten und Zivilisten in die Kämpfe einbezogen, umgeht die Erinnerungsliteratur der vierziger Jahre von Resistenza-Mitgliedern aus psychologisch-traumatischen und gesellschaftspolitischen Gründen. Die fiktionale Literatur ist offensiver. Dennoch präsentiert auch sie in der Phase des Wiederaufbaus und im allgemeinen Versöhnungsklima den faschistischen Gegner entweder dämonisierend oder nur am Rande. Im Vordergrund der Analyse wird die Frage stehen, mit welchen Mitteln und welcher Wirkung die Literatur in zwei Etappen der Erinnerung Bürgerkrieg und Bürgerkriegs-Situationen evoziert. Prosatexte von E. Vittorini, I. Calvino und B. Fenoglio der Jahre 1945 bis 1949 stehen für die Nachkriegszeit. Carta bianca (1990) des Erfolgsautors C. Lucarelli markiert den Sprung in die Gegenwart, in der Faschisten locker geschildert werden und ihr Treiben das dramatisch-bunte Material einer Kriminal-story bildet, ohne dass diese “menschliche” Darstellung als verletzend oder blasphemisch empfunden zu werden scheint. Marie-Aude Charret (Limoges) Guerre, sexualité, langage et identité. De L’Assaut de Reinaldo Arenas à l’Etat de siège de Juan Goytisolo Les deux œuvres présentent les thématiques de la guerre et de la sexualité. Mais, ces deux thématiques, qui sont presque un lieu 388 commun de la littérature fictionnelle de guerre, sortent de leur relation bilatérale et s’articulent sur la problématique du langage, qui œuvre, en creux, dans cette écriture de la guerre. Puisque, chez Arenas, les mécanismes présentés dans cette genèse de la guerre civile montrent tout un processus de déterritorialisation de la parole dans les gestes, secondé par une écriture qui se fait à même les corps – car toute réponse à un acte de langage d’un seul individu s’inscrit dans sa torture et sa mort – on justifie alors la place de ce roman dans la catégorie des romans sur la guerre civile. La place qui est réservée à une espèce de non-voix – mélange de silence imposé et de psalmodie autorisée par le pouvoir – rappelle le mécanisme répétitif du personnage-narrateur, labourant le corps des hommes, inscrivant ainsi dans leur chair la dette de sa naissance; dette elle-même fortement connotée par la terreur de devenir sa mère, de « devenir elle ». Puisque, en creux, tout le mouvement de l’œuvre est régenté par ce désir de meurtre, on est en droit de se poser la question de l’identité, non seulement individuelle mais également collective: Deleuze et Guattari ont montré dans l’Anti-Œdipe comment le codage des flux de désir étaient une condition du socius et que la domination – et les luttes qui y affèrent – s’exerçait « à travers et dans la transcendance du signifiant ». Or, celle-ci renvoie au mystère de l’écriture de l’œuvre elle-même, et notamment à celui du titre des chapitres. Par ailleurs, la prolixité des intellectuels dans l’œuvre de Goytisolo, qui relate la guerre civile de Bosnie dans les années 1990 et, plus particulièrement, le siège de Sarajevo, pose le problème du langage en tant que lieu de mémoire. Le rapport entre la liberté prise avec les codes narratifs traditionnels par l’auteur et la liberté avec laquelle agissent les intellectuels met en question le rapport d’un peuple à son passé. Mais, les métaphores et les métonymies qui constituent une jouissance de la glose du passé pour ces intellectuels doivent être mises en rapport avec la véritable origine du signifiant, que Lacan définit comme une « représentation refoulante ». La guerre 389 devient donc un théâtre où l’œil extrait et mesure simultanément, d’une part, la visibilité du mot qui désigne la chose et, d’autre part, la douleur d’un graphisme (exprimé sur et par le corps) qui forme un signe avec la chose désignée. - Les guerres civiles, telles qu’elles sont représentées dans ces deux œuvres, replieraient-elles ainsi la question de l’identité sur celle du signifiant? Timo Obergöker (Potsdam) Bukarest 1989 – Die Darstellung der Rumänischen ”Revolution” in der rumänischen Gegenwartsliteratur Das Ende des Ceauçescu-Regimes hebt sich in vielerlei Hinsicht von den Revolutionen in den Transformationsländern Mittel- und Ostmitteleuropas ab. Einerseits, weil die Brutalität des Spitzelregimes selbst in den anderen kommunistischen Ländern ihresgleichen suchte, andererseits, weil sich die Rumänische Revolution durch einen hohen Grad an Inszenierung auszeichnete und letztlich mehr einem Staatsstreich glich als einer wahrhaftigen Revolution. Weiterhin gilt es zu berücksichtigen, dass, anders als in den meisten ehemaligen kommunistischen Diktaturen, der Wandel zur Zivilgesellschaft relativ spät einsetzte. Noch 1990 wurde eine regierungsfeindliche Demonstration durch ”zu Hilfe” geholte Bergarbeiter niedergeschlagen. Die Bilder dieses Aufstandes, wie sie beispielsweise in dem Dokumentarfilm Piata Universitatea gezeigt werden, evozieren ”Bürgerkriegs”-Szenarien. Mit Ausnahme des bürgerlichen Intermezzos von 1996-2000 unter Constatinescu, pflegte Präsident Illescu (1990-1996, 2000-2004) einen autoritären Führungsstil, verbunden mit Wahlfälschungen und Wahlgeschenken, und scheute sich nicht vor einer Zusammenarbeit mit der antisemitischen PRM (Partidul România Mare, Partei Großrumänien) Tudors. Bis heute konkurrieren zahlreiche, hochideologisierte Ansätze – mit denen sich immer Ansprüche und Deutungsmonopole verbinden – miteinander. War die Revolution ein Bürgerkrieg, ein in390 szenierter Bürgerkrieg oder doch eine “richtige” Revolution? Wer hat wen verraten? Wer was inszeniert? Der Vortrag versucht, anhand ausgewählter Texte vornehmlich aus den 90er Jahren, die Darstellung des Umbruchs in seiner Komplexität nachzuvollziehen. Dabei soll dem Begriff der Inszenierung eine besondere Rolle zukommen. Durch welche literarischen Strategien wird versucht, die Spezifik des Umsturzes, die Rolle der Massenmedien (man denke nur an die Bilder von Ceauçescus Hinrichtung) und die Allgegenwart des Fernsehens zu erfassen und die unmittelbare Aneignung (den Verrat?) durch die ”Reformkommunisten” zu erfassen? 391 Sektion 21 Montréal und Toronto: Mediale und literarische Spiegelungen von Migration im urbanen Raum Leitung: Verena Berger, Fritz Peter Kirsch, Daniel Winkler (Wien) Programm Montag, 26.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Fritz Peter Kirsch (Wien) Eröffnung der Sektion Peter Klaus (Berlin) Montréal, c’est le Canada (déconstruit): Montréal ein unvollendetes literarisches Kunstwerk? Lutz Schowalter (Trier) Multikulturell, transkulturell, kanadisch? Zur Position des urbanen Subjekts in der anglokanadischen Literatur Klaus-Dieter Ertler (Graz) Lateinamerika in der „écriture“ der kanadischen Metropolen Paul Morris (Saarbrücken) Ankunft in Toronto: Zeitgenössische kanadische Literatur und die Repräsentation der Immigrantenidentität Ursula Moser (Innsbruck) Montréal „in a nutshell“: Metrotexte der Quebecker Literatur Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr 392 Christine Wesselhöft (Bielefeld) „Ville d’exils juxtaposés“? Montréal als urbaner und literarischer Raum im Werk Régine Robins 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr Ludwig Deringer (Aachen) Migration, Multilingualismus und Moderne: Montréal in der Lyrik A. M. Kleins Robin Curtis (Berlin) Erinnerung und Immigration: das Vergessen jenseits der Grenze Jürgen Müller (Bayreuth) Zur Repräsentation und Imagination der ‘Quebekizität’ der Metropole Montréal im quebekischen Film Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Magdalena Schweiger (Nantes) „Le Rap montréalais“ - Jugendkultur und Immigration in Montréal Jürgen Erfurt (Frankfurt/M.) „Alpha-francisation“ haitianischer Migranten in Montréal Donnerstag, 29.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Verena Berger (Wien) Inseln in der Stadt: Jugendliche ImmigrantInnen in Montréal Martin Küster (Marburg) Fronteras Americanas in der multikulturellen Metropole: Migrationserfahrung und ihre Spiegelung im zeitgenössischen kanadischen Drama 393 Abstracts Peter Klaus (Berlin) Montréal, c’est le Canada (déconstruit): Montréal ein unvollendetes literarisches Kunstwerk? Es ist ein weiter Weg vom proletarischen Saint-Henri in ‚Bonheur d’occasion’ bis zu Moniques Proulx’ Novellensammlung ‚Les Aurores montréales’. Montréal war ja nie eigentlich Heimat des Flaneurs à la Benjamin oder Franz Hessel. Man denke nur an den oder die ausgeflippten marginalisierten Helden in Jacques Renauds ‚Le Cassé’ oder an die neuen „coureurs des villes“ à la Christian Mistral und Michel Michaud. In Régine Robins ‚La Québécoite’ erleben wir ein vielschichtiges Montréal, ein dekonstruiertes Montréal, dessen chronotopische Basis durch die Erzähler immer wieder unterminiert wird. Gérard Étienne erwählt in einigen seiner Romane Montréal als Schauplatz postkolonialistischer Auseinandersetzungen. Eine versöhnliche Note klingt durch in Monique Proulx’ Titelgeschichte ‚Les Aurores montréales’. Ähnlich wie in Michael Ondaatje ‚In the Skin of a Lion’ wird auch hier der vereinsamte kanadische Held durch die Einwanderer in seiner neuen Heimat, eben Montréal, integriert. Lutz Schowalter (Trier) Multikulturell, transkulturell, kanadisch? Zur Position des urbanen Subjekts in der anglokanadischen Literatur Sowohl in theoretischen Konzepten der Kanadistik als auch in der Alltagswelt der Kanadier werden Fragen von Identität, Zugehörigkeit und Differenz seit Jahren kontrovers und produktiv immer wieder neu verhandelt. Zu den Schlagworten Multikulturalismus, ‚distinct society‘ und Mosaik gesellt sich in theoretischen Diskussionen der letzten Zeit immer häufiger das Konzept des Transkulturalismus. Im regelmäßig durchgeführten Zensus können die 394 Einwohner Kanadas als ethnische Zugehörigkeit inzwischen auch ‚kanadisch‘ angeben. Auf den verschiedensten Ebenen – in persönlichen Begegnungen, in Freundschaften, in Geschäftsbeziehungen und zunehmend auch in partnerschaftlichen Verbindungen – (er)leben besonders die Bewohner der Metropolen Montréal und Toronto täglich ihre kulturellen Unterschiede und neue Gemeinsamkeiten. Ob und wie sich dies in der anglokanadischen Literatur widerspiegelt, soll stichprobenartig u.a. anhand von Brian Moores ‚The Luck of Ginger Coffey’ (1960), Austin Clarkes ‚Toronto-Trilogie’, M.G. Vassanjis ‚No New Land’ (1991), Clark Blaises ‚Montréal Stories’, Nino Riccis ‚Where She Has Gone’ (1997), Gabriella Goligers ‚Song of Ascent’ (2001) und Russell Smiths ‚Muriella Pent’ (2004) aufgezeigt werden. Leben die literarisch gestalteten urbanen Subjekte multikulturell, transkulturell oder ‚einfach‘ nur kanadisch? Lassen sich trotz der Vielzahl der Perspektiven Trends feststellen? Klaus-Dieter Ertler (Graz) Lateinamerika in der „écriture“ der kanadischen Metropolen Im Panorama der „littératures migrantes“ der frankophonen Metropole Montréal nimmt Lateinamerika einen prominenten Platz ein. Das hat zum einen vorrangig mit der Immigration aus dem karibischen Raum zu tun, andererseits aber auch mit den Folgen der lateinamerikanischen Diktaturen, die viele Zeitgenossen ins Exil trieben. Zu dieser Gruppe zählt der aus Brasilien stammende Autor und Maler Sergio Kokis, dessen Werke die Migration im urbanen Raum auf eine ganz eigentümliche Weise zum Ausdruck bringen. Der Schriftsteller fiktionalisiert in seinen Texten die Erfahrungen des Fremden in der kanadischen Metropole, was formal wie auch thematisch überaus innovativ wirkt. In der vorliegenden Analyse soll die lateinamerikanische Dimension dieses Werkes genauer untersucht und beschrieben werden. 395 Paul Morris (Saarbrücken) Ankunft in Toronto: Zeitgenössische kanadische Literatur und die Repräsentation der Immigrantenidentität In der englisch-kanadischen Literatur des späten zwanzigsten Jahrhunderts fungiert die Stadt Toronto häufig als urbaner Ankunftsort, an dem sich die menschlichen Schicksale der Einwanderung abspielen. Vielleicht mehr als jede andere kanadische Stadt verkörpert Toronto die Herausforderungen, die Immigration sowohl an die Einwanderer selbst als auch an die dominante Kultur stellt: Immigration erfordert eine Identitätsänderung für Einwanderer und das Land. Der Vortrag bietet einen Überblick über die Darstellung von Toronto als Ankunftsort für Immigranten in ausgewählten Romanen von Michael Ondaatje bis Dionne Brand. Ich will zeigen, dass diese zeitgenössischen Romane ein sehr differenziertes Bild der Identität der Immigranten liefern, welches über eine bloße Identifizierung mit der jeweils eigenen ethnischen Vergangenheit hinausgeht. Diese Einwanderungsromane zeigen, dass die kanadische Literatur derzeit ein Verständnis von nationaler und persönlicher Identität entwickelt, welches die offizielle Politik des Multikulturalismus mit seiner Fokussierung auf ethnische Zugehörigkeit in Frage stellt. Ursula Moser (Innsbruck) Montréal „in a nutshell“: Metrotexte der Quebecker Literatur Montréal und Toronto sind - wie „die andere“ nordamerikanische Metropole New York auch - nicht erst Topoi der zeitgenössischen Literatur. Frühe literarische Bearbeitungen gehen bis in die erste (!) Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück; die 30er Jahre des 20 Jahrhunderts und später die 1970er Jahre schenken Toronto und Montréal verstärkt Aufmerksamkeit, bevor sie weitere 20 Jahre später wie andere Großstädte auch zu „kulturellen Interferenzräumen im postkolonialen Kontext“ werden (Heinz Gorr, ‚Paris als interkultu396 reller Raum’, 2000). Den Blick auf das Transportmittel der Metropole, auf die Metro, zu richten, bedeutet, sich dieser letzten Phase der literarischen Gestaltung der Großstadtthematik zuzuwenden. In der „Übermoderne“ (Marc Augé, ‚Orte und Nicht-Orte’, 1994), deren wichtigstes Merkmal das Übermaß ist, bringt die „Überfülle des Raums“ sogenannte Nicht-Orte hervor, denen die Merkmale Identität, Relation und Geschichte fehlen. Wie Flugzeug und Auto, wie Bahnhof und Einkaufszentrum zählt auch das Phänomen der Metro dazu, ja der „Raum des Reisenden“ ist als „Archetypus des ‚Nicht-Orts’“ einzuschätzen. Auf der Erlebnisebene ist er mit dem Gefühl der Einsamkeit verbunden, zugleich macht er aber auch „die passiven Freuden der Anonymität und die aktiven Freuden des Rollenspiels“ erfahrbar. Auf der Basis dieser Grundüberlegungen und Marc Augés ‚Un ethnologue dans le métro’ (1986) sollen die 2002 in Montréal erschienene Textsammlung ‚Lignes de métro’, aber auch einschlägige Passagen aus Francine Noël (‚Miriam première’), Dany Laferrière (‚Chronique de la dérive douce’) u.a. analysiert werden. Die zentralen Fragen betreffen den Raum, den die Metro umschreibt, die Beziehung, die das Individuum zu diesen Räumen eingeht, und die literarische Repräsentation. Christine Wesselhöft (Bielefeld) „Ville d’exils juxtaposés“? Montréal als urbaner und literarischer Raum im Werk Régine Robins Migration bzw. Immigration als literarisches Thema wird von in Quebec lebenden Migranten-Autoren sowohl in inhaltlicher als auch formaler Hinsicht auf vielfältige Weise ausgestaltet. Räumliche Bezugspunkte und Darstellungsformen sind damit ebenfalls – je nach inhaltlichem Fokus der Texte – von unterschiedlicher Relevanz. Gemeinsam ist ihnen indes, dass sie sich – geht es um die konkrete Verortung von Migrationserfahrungen innerhalb Québecs – fast ausschließlich auf Montréal beziehen. Dies gilt auch für die Schriftstellerin und Historikerin Régine Robin, die zunächst 397 in Paris und seit Anfang der 1980er Jahre in Montréal am Fachbereich Soziologie der Université du Québec lehrt: In ihren literarisch-fiktionalen Texten fungiert der urbane Raum als zentraler Bezugsrahmen der geschilderten Migrationsprozesse, die sie, vor einem autobiographischen Hintergrund, als transnationale Bewegung sowohl innerhalb als auch zwischen Montréal und Paris sowie anderen Großstädten beschreibt. Der Vortrag nimmt Robins Roman ‚La Québécoite’ (1983) – der Montréal als Handlungsort in den Vordergrund stellt – als Ausgangspunkt der Überlegungen: Es wird zu zeigen sein, wie Robin, u.a. im Rückgriff auf Begriffe wie „errance“, „nomade“ und „exil“, das Thema Migration zum einen mit anderen (auto)biographischen Elementen verknüpft und diese, zum anderen, in Bezug auf Montréal als literarischem Raum als fragmentarisch und unabgeschlossen konturiert. Gleichzeitig gilt es, die anderen urbanen Bezugspunkte des Romans sowie von anderen Werken Robins – d.h. vor allem Paris – nicht aus den Augen zu verlieren und auf ihre Funktion für den Migrationsprozess der Figuren hin zu befragen. Ludwig Deringer (Aachen) Migration, Multilingualismus und Moderne: Montréal in der Lyrik A. M. Kleins Das Schaffen des anglophonen Montréaler Dichters Abraham Moses Klein (1909-1972) kann als Modellfall gelten, in dem sich eine Reihe grundlegender Aspekte kanadischer Großstadtliteratur überlagern: Kleins Œuvre entsteht aus der Erfahrung der Migration seiner ukrainisch-jüdischen Familie in die kosmopolitische frankokanadische Metropole; sein Werk spiegelt Transforma- tionen sprachlicher, literarischer, ethnischer und religiöser Einwanderertraditionen zu eigenständiger Dichtung wider und lebt nicht zuletzt aus dem Multilingualismus des Dichters; es stellt aus den genannten Gründen ein Paradigma eines sich anbahnenden Epochenwandels dar. Die kosmopolitische „Montréal Group of Poets“, zu der 398 Klein gehörte, markiert in den 1920er Jahren die Anfänge der literarischen Moderne Kanadas in der Gattung ‘Lyrik’. Der Vortrag verfolgt das Ziel, Darstellung und Funktionen der Weltstadt Montréal bei Klein anhand repräsentativer Gedichte zu erkunden und die Texte in ihren kulturellen Kontexten zu interpretieren. (Wechsel-)Beziehungen zwischen den Montréal Poets und der internationalen Strömung des Imagismus werden kurz beleuchtet, insbesondere solche zwischen Klein und Ezra Pound, in dessen Cantos der archetypische ‘Wanderer’ eine Grunderfahrung der Kultur der Moderne schlechthin repräsentiert. Robin Curtis (Berlin) Erinnerung und Immigration: das Vergessen jenseits der Grenze Anfang der 90er Jahre gab es eine kleine Welle von kanadischen Filmproduktionen, die sich mit dem Vorgang des Erinnerns – und noch auffälliger – mit der Bedeutung des Vergessens befassten. Ziel dieser Filme war es, die Vergangenheit in bestimmter Weise zu verarbeiten. Im Zentrum standen dabei sowohl die schwierigen Erfahrungen des Lebens in einer ethnischen Minderheit, wie auch der Umgang mit den oft nur fragmentarisch überlieferten Erinnerungen an ein historisches Trauma. In meinem Vortrag sollen zwei dieser Filme behandelt werden: Gariné Torossians ‚Girl from Moush’ (Canada, 1994) und Atom Egoyans ‚Calendar’ (Canada, 1993). Diese Filme, die sich beide auf der Oberfläche mit den späten Auswirkungen des armenischen Genozids am Anfang des 20. Jahrhunderts befassen und damit die nachhallenden Erfahrungen des Verlusts einer ganzen Kultur nachspüren, setzen sich darüber hinaus mit der Problematik des Informationsverfalls auseinander. Beide Filme beharren auf der Signifikanz von Lakunae, der konturierten Lücken, die in ihrer besonderen Gestalt selbst wiederum identitätsstiftend sind. 399 Jürgen E. Müller (Bayreuth) Zur Repräsentation und Imagination der ‘Quebekizität’ der Metropole Montréal im quebekischen Film (Bei Redaktionsschluss lag noch kein Abstract vor.) Magdalena Schweiger (Nantes) „Le rap montréalais“ - Jugendkultur und Immigration in Montréal (Bei Redaktionsschluss lag noch kein Abstract vor.) Jürgen Erfurt (Frankfurt/M) „Alpha-francisation“ haitianischer Migranten in Montréal In Fortführung früherer Untersuchungen zu Diskursen, Konzepten und Methoden der Erwachsenen-Alphabetisierung von Frankophonen und von Migranten in Toronto und Montréal und der Praxis der bilingualen Sprachaneignung widmet sich der Beitrag den aktuellen Wandelprozessen in einem haitianischen Alphabetisierungszentrum in Montréal. Der Beitrag geht der Frage nach, welcher Handlungsraum für die Fortführung eines kommunitären Projekts vom Typ der alpabétisation populaire im Kontext der aktuellen Reformen der Québecer Sprach- und Immigrationspolitik (überhaupt noch) besteht. Auszuloten sind dabei die Konsequenzen für die Alphabetisierungs- und Sprachpraxis im Migrationsmilieu, die aus einer Ökonomisierung und Bürokratisierung des Bildungsdiskurses resultieren. Wenn in den neunziger Jahren die Orientierung dieses Alphabetisierungszentrums noch zuvorderst auf einem Erwerb literaler Fähigkeiten zunächst in Kreolisch und nachfolgend in Französisch bei gleichzeitiger Vermittlung sozialer Kompetenzen lag, so gerät die gegenwärtige Alphabetisierungspraxis zunehmend unter das Diktat eines arbeitsmarktpolitischen Rechtfertigungsdiskurses. Zu Ungunsten des Kreolischen und der Konzeption einer alphabétisation populaire tritt nun die alpha-francisation in den Vordergrund. 400 Verena Berger (Wien) Inseln in der Stadt: Jugendliche ImmigrantInnen in Montréal In seinem ersten Roman ‚Côte-des-Nègres’ (Éd. Boréal, 1998) zeichnet Mauricio Segura ein realistisches Bild der soziokulturellen Situation jugendlicher ImmigrantInnen in Côte-des-Neiges, einem der bedeutendsten multiethnischen Stadtviertel von Montréal. Die kanadische Literaturkritik feierte den Erstling des kanadischen Schriftstellers chilenischer Herkunft als ein Werk, das in der Literatur Quebecs dem 20 Jahre zuvor erschienenen Roman ‚La grosse femme d’ à côté est enceinte’ von Michel Tremblay über das frankophone Arbeitermilieu in Plateau-Mont-Royal um nichts nachsteht. Die Integration jugendlicher ImmigrantInnen in Montréal stellt sich in diesem überwiegend autobiographischen Roman ‚Côte-desNègres’ als konfliktiv dar: Der Alltag der Figuren Seguras ist zwar von Mehrsprachigkeit, Pluriethnizität und Transnationalismus im urbanen Umfeld gekennzeichnet. Die Helden sind Jugendliche, die mit dem physischen und psychischen Überschreiten von Grenzen, dem Kreuzen von Kulturen, und der Koexistenz von Sprachen und Identitäten vertraut sein sollten. Dennoch spielen Identität, Ethnizität und Nationalität eine übergeordnete Rolle: „Les Latino Power“ und die „Bad Boys“, lateinamerikanische und haitianische Jugendbanden, stehen nicht nur im Konflikt mit der frankokanadischen Kultur. Seguras Buch handelt vielmehr von einem heftigen interethnischen Streit um ein Revier in Côte-des-Neiges und damit um die Aneignung sozialer und urbaner Räume. Mit Hilfe des Dokumentarfilms ‚Zéro Tolérance’ (2004) von Michka Saäl soll der Frage nachgegangen werden, welche Position Angehörige der zweiten und dritten ImmigrantInnen-Generation gegenüber alter, neuer und anderer Kultur sowie gegenüber der Kulturenvielfalt und kulturellen Identität im urbanen Umfeld Montréals einnehmen. 401 Martin Küster (Marburg) Fronteras Americanas in der multikulturellen Metropole: Migrationserfahrung und ihre Spiegelung im zeitgenössischen kanadischen Drama Der Vortrag wird sich am Beispiel von Dramen wie Guillermo Verdecchias ‚Fronteras Americanas’ (‚American Borders’), Robert Lepages ‚Polygraphe’ und Steve Galluccios ‚Mambo Italiano’ mit Aspekten des Multikulturalismus und der Integration von Immigranten in das multikulturelle Mosaik der kanadischen Metropolen Toronto und Montréal beschäftigen. Dabei rücken neben der sozialen und politischen Problematik der Integration von Migranten auch und vor allem Fragen einer übergreifenden kanadischen und/oder nord- bzw. panamerikanischen Identität sowie der ihr Ausdruck gebenden sprachlichen Hybridität (französisch-englisch, spanisch-englisch, italienisch-französisch, italienisch-englisch) in den Mittelpunkt. 402 Sektion 22 Die Konstituierung eines europäischen Kommunikationsraumes im Wandel der Medienlandschaft des 18. Jahrhunderts Leitung: Siegfried Jüttner (Duisburg), Volker Steinkamp (Duisburg) Programm Montag, 26.09.05 Europäische Diskurslandschaften I: Zentrum und Peripherie Diskussionsleitung: Helmut Jacobs 9.00 Uhr Christian von Tschilschke (Regensburg) Spanien als Afrika Europas. Zur Konjunktur einer Denkfigur im 18. Jahrhundert 9.45 Uhr Manfred Tietz (Bochum) Die Entstehung eines europäischen Kommunikationsraums und die apologetische Reaktion peripherer Nationen“ Diskussionsleitung: Manfred Tietz 14.00 Uhr Christoph Müller (Aachen) Portugals Öffnung nach Europa: Die Rolle der estangeirados im 18. Jahrhundert 14.45 Uhr Volker Steinkamp (Duisburg-Essen) Europa im fiktiven Briefroman des 18. Jahrhunderts – zu Rochebrunes Espion de Thamas Kouli-Kan dans les Cours de l’Europe Europäische Diskurslandschaften II: Nation und Universalismus Diskussionsleitung: Siegfried Jüttner 16.00 Uhr Wilhelm Graeber (Göttingen) Zwischen Komparatistik und nationalkultureller Identitätsbildung: Desfontaines, La Porte und Fréron als Kritiker der englischen Literatur 16.45 Uhr Hans-Jürgen Lüsebrink (Saarbrücken) 404 Enzyklopädismus und transkulturelle Erfahrung – europäische Dimensionen von Werk und Biographie des Bruzen de la Martinière (1662-1746) Dienstag, 27.09.05 Kommunikationsräume des 18. Jahrhunderts I Diskussionsleitung: Klaus-Dieter Ertler 9.00 Uhr Alf Monjour (Duisburg-Essen) Fachsprache und neue Medien im 18. Jahrhundert. Theorie und Praxis des Terminologieimports im französisch-spanischen Kommunikationsraum 9.45 Uhr Helmut C. Jacobs (Duisburg-Essen) Die Rolle der Phantasie in den Medien der spanischen Aufklärung Kommunikationsräume des 18. Jahrhunderts II: Überleitung zur Presse Diskussionsleitung: Christian von Tschilschke 14.00 Uhr Klaus-Dieter Ertler (Graz) Entwürfe von Kommunikation in ‚La Pensadora gaditana‘ von Doña Beatriz Cienfuegos 14.45 Uhr Claudia Gronemann (Leipzig) La(s) Pensadora(s) – die moralische Wochenschriften als europäisches Genre? Umbrüche und Konstanten in der Presselandschaft der franz. Aufklärung Diskussionsleitung: Volker Steinkamp 16.00 Uhr Jens Häseler (Potsdam) Zwischen Gelehrsamkeit und Aufklärung. Umbrüche der französischen Zeitschriftenlandschaft in der Mitte des 18. Jahrhunderts 16.45 Uhr Georgette Stefani-Meyer (Saarbrücken) Die Auswirkung der Periodizität und der Materialität der Publikation auf die Form des Artikels in der gelehrten Presse zur Zeit des Journal des savants 405 Mittwoch, 28.09.05 Umbrüche und Konstanten in der Presselandschaft der span. Aufklärung Diskussionsleitung: Alf Monjour 9.00 Uhr Alberto Romero Ferrer (Cádiz) Publicística, prensa y sátira: Bartolomé José Gallardo 9.45 Uhr Jan-Henrik Witthaus (Duisburg-Essen) Zur Europäisierung der Kritik in der spanischen Presse des 18. Jahrhunderts Donnerstag, 29.09.05 ‚Europa‘, ‚Nation‘ und die Medienlandschaft der Aufklärung – Bilanzen Diskussionsleitung: Hans-Jürgen Lüsebrink 9.00 Uhr Siegfried Jüttner (Duisburg-Essen) Die Nationalisierung der Kultur und europäisches Bewusstsein im Medium der aufgeklärten Presse in Spanien 9.45 Uhr Abschlussdiskussion Abstracts Christian von Tschilschke (Regensburg) Spanien als Afrika Europas. Zur Konjunktur einer Denkfigur im 18. Jahrhundert Die Frage nach dem Verhältnis Spaniens zu Europa stand lange Zeit im Mittelpunkt des Identitätsdiskurses, der für die spanische Kultur insgesamt charakteristisch ist. Im 18. Jahrhundert kristallisierte sich diese Frage in einem ganz speziellen Topos: der Gleichsetzung Spaniens mit Afrika. Diese Variante des ‘mental mapping’, in der die Diskrepanz zwischen Europa als geographischem Raum 406 und mentalem Konstrukt markant zum Ausdruck kommt, durchzieht den spanischen Europadiskurs ebenso wie den europäischen Spaniendiskurs der Epoche. Zwei Dinge vor allem machen diesen Topos zu einem interessanten Untersuchungsgegenstand: Zum einen die Aussicht, an ihm exemplarisch die Konstitutionsbedingungen und Auschließungsmechanismen studieren zu können, die den Europadiskurs der europäischen, insbesondere der französischen Aufklärung kennzeichnen, und zum anderen die Möglichkeit, Aufschluss über die spezifischen semiotischen Potenziale zu gewinnen, die sich aus spanischer Sicht aus einer randständigen Selbstpositionierung ergeben. Die spanischen Texte, in denen sich die Denkfigur ‘Spanien als Afrika Europas’ nachweisen lässt, sind vielfältig: von Feijoos Teatro crítico universal (1726-1740) über Cadalsos Cartas marruecas (1773/74) und Cañuelos „Oración apologética por el África y su mérito literario“ (1787) bis zu Capmanys Centinela contra franceses (1808). Nicht weniger vielfältig sind die Funktionen, die sich mit dem Topos in unterschiedlichen historischen Kontexten verbinden: selbstkritisches Insistieren auf der eigenen Rückständigkeit, (ironische) Positivierung kultureller Alterität, antiimperialistische Anklage usw. Ein besonderes Augenmerk soll in diesem Zusammenhang der bereits verschiedentlich aufgeworfenen Frage gelten, inwiefern sich aktuellere Theorien des (Post-) Kolonialismus auf die Situation Spaniens und seine Beziehung zu Europa im 18. Jahrhundert anwenden lassen. Manfred Tietz (Bochum) Die Entstehung eines europäischen Kommunikationsraums und die apologetische Reaktion peripherer Nationen: der Fall Spanien Die großen Zeitschriften des 18. Jahrhunderts, deren Anfänge wie die des Journal des Savans (1665 ff.), der Acta Eruditorum (1682 ff.) oder des Journal de Trévoux (1701 ff.) z.T. ins 17. Jahrhundert zurückreichen und die in einer der damaligen internationalen Spra407 chen (Latein oder Französisch) geschrieben wurden, haben zweifelsohne unmittelbar zur Schaffung eines nationenübergreifenden, europäischen Wissens- und Kommunikationsraums beigetragen. Peripher verortete Nationen und Wissensgesellschaften wie Spanien mussten jedoch schon bald feststellen, dass sie de facto aus diesen europäischen Räumen zwar nicht als Rezipienten, wohl aber als Produzenten ausgeschlossen waren. Dies geschah, weil ihre Beiträge zum europäischen Wissen von den meinungsbildenden Nationen als inexistent oder irrelevant angesehen wurden. Daraus ergibt sich im konkreten Fall Spaniens, dass bereits die erste gelehrte spanische Zeitschrift, der Diario de los literatos de España (1737) stark apologetische Elemente enthält. Der vorliegende Beitrag will prüfen, inwiefern diese apologetischen Ansätze der Entstehung eines gemeinsamen europäischen Kommunikationsraums als Informationsbeitrag eher förderlich oder aber als Propagierung eines falschen Selbstbildes eher kontraproduktiv gewesen ist. Christoph Müller (Aachen) Portugals Öffnung nach Europa: Die Rolle der estrangeirados im 18. Jahrhundert Nach der 1640 wiedererlangten Unabhängigkeit von Spanien und dessen Niedergang im weiteren Verlauf des 17. Jahrhunderts, fand in Portugal schon im ausgehenden 17. Jahrhundert, aber besonders im 18. Jahrhundert auf kulturellem, politischem und wissenschaftlichem Gebiet eine bewusste Abkehr vom iberischen Nachbarn und eine Hinwendung zum übrigen europäischen Ausland statt. Im unter João V erstarkten und stabilisierten Portugal strebte man danach, möglichst in allen Bereichen auf der Höhe der Zeit zu sein. Eine wichtige Rolle spielten dabei die sogenannten estrangeirados, Intellektuelle, die entweder im staatlichen Auftrag oder aus persönlichen Gründen ins europäische Ausland (besonders Frankreich, Italien, England, Deutschland) reisten und in Briefen oder 408 Traktaten von den dortigen Entwicklungen und Erkenntnissen in Wissenschaft, Kultur und Politik berichteten (z.B. Luís António Verney, Luís da Cunha oder Gomes Freire). In diesem Zusammenhang soll die Frage erörtert werden, inwieweit durch diese Tätigkeit Europa in das Bewusstsein der Portugiesen gelangte bzw. die Portugiesen ihre traditionelle Ausrichtung nach Übersee modifizierten und sich Europa annäherten. Volker Steinkamp (Duisburg-Essen) Europa im fiktiven Briefroman des 18. Jahrhunderts - zum Espion de Thamas Kouli-Kan dans les Cours de l´Europe (1746) des Abbé de Rochebrune Die von Giovanni Paolo Marana mit seinem Esploratore turco Ende des 17. Jahrhunderts begründete Gattung des fiktiven Briefromans, in dem zumeist orientalische Reisende in satirisch-kritischer Form von ihren Eindrücken und Erfahrungen während ihrer Reisen auf dem europäischen Kontinent berichten, findet bereits 1721 in Montesquieus Lettres persanes ihr unbestrittenes Meisterwerk. In unmittelbarer Nachfolge der Lettres persanes erscheint im Frankreich des 18. Jahrhunderts eine Reihe von Werken, die zwar nicht die literarische Qualität und Originalität des Vorbilds erreichen, wohl aber von der anhaltenden Popularität der Gattung zeugen. Wie Montesquieu machen auch die zumeist weniger bekannten Autoren dieser Schriften sich die spezifische Struktur und Form des fiktiven Briefromans zunutze, um ein nicht unbedingt systematisches, dafür aber überaus vielfältiges und facettenreiches sowie immer auch kritisches Bild vom zeitgenössischen Europa mit seinen politischen und zivilisatorischen Lebensformen zu entwerfen. Am Beispiel des Espion de Thamas Kouli-Kan dans les Cours de l´Europe ou Lettres et memoires de Pagi-Nassir-Bek contenant diverses Anecdotes Politiques pour servir à l´histoire du Tem présent des Abbé de Rochebrune (1746) soll gezeigt werden, wie der fiktive Briefroman im 18. Jahrhundert zum idealen Medium wird, in dem das sich im 409 Zeitalter der Aufklärung konstituierende Bewusstsein von Europa als zivilisatorischer Einheit in der Vielfalt seinen adäquaten Aus druck finden kann. Wilhelm Graeber (Göttingen) Zwischen „Komparatistik“ und nationalkultureller Identitätsbildung: Desfontaines, La Porte und Fréron als Kritiker der englischen Literatur Die Zeitschriftenkritik englischer Literatur gestattet aufschlussreiche Einblicke in Frankreichs Verständnis der eigenen Literatur sowie eines künftigen europäischen Kulturraums. Das seit Voltaires Lettres philosophiques zunehmende Englandinteresse findet seinen Niederschlag in Besprechungen englischer Werke, zu denen französische Kritiker ein zwiespältiges Verhältnis zeigen: Der Bewunderung der als freiheitlich empfundenen englischen Vorstellungskraft stehen klassizistische Vorstellungen gegenüber, denen zufolge Frankreichs kulturelle Hegemonie ungebrochen bleibt: „l’Europe nous jugera la palme des Belles-Lettres“, erklärt Fréron noch 1751 und sieht im beginnenden geistigen Austausch einen (bereits vorentschiedenen) Wettstreit der Nationen. Die für den Zeitraum von 1740 bis 1760 repräsentativen Zeitschriften von Desfontaines, La Porte und Fréron reflektieren die Spannung zwischen tief wurzelnden anti-englischen Stereotypen und der aufkommenden Anglomanie, zwischen nationalkultureller Identitätsbildung und einem erwachenden „komparatistischen“ Interesse am Fremden. Die Wahrnehmung der englischen Alterität trägt insofern zur kollektiven Identität bei, als die Kritiker nun Werke der eigenen Literatur als typisch „französisch“ kennzeichnen und in Beziehung zu einem „Nationalcharakter“ setzen. Untersuchte Zeitschriften: Abbé Desfontaines, Observations sur les écrits modernes (1735-1743) und Jugements sur quelques ouvrages nouveaux (1744-1746) Abbé de La Porte, Observations sur la littérature moderne (1749-1752) 410 Fréron, Lettres sur quelques écrits de ce temps (1749-1754) und die frühen Jahre der Année littéraire (ab 1749) Hans-Jürgen Lüsebrink (Saarbrücken) Enzyklopädismus und transkulturelle Erfahrung – europäische Dimensionen von Werk und Biographie Bruzen de la Martinières (16621746) Der Beitrag beschäftigt sich mit Lebenslauf, Werk und europaweiter Wirkung eines in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts sehr einflussreichen Polygraphen und Geschichtsschreibers, der jedoch in der Forschung bisher kaum berücksichtigt worden ist: AntoineAugustin Bruzen de la Martinière (Dieppe 1662 – La Haye 1746), der unter anderem durch seinen großen, in zahlreichen Auflagen vorliegendes Dictionnaire géographique, historique et critique (1726-39), aber auch durch eine ganze Reihe von anderen Werken wie der Introduction générale à l’étude des sciences et des lettres (1731) bekannt geworden ist, die in erster Linie im Kontext seiner langjährigen Holland- und Deutschland-Aufenthalte entstanden sind. Werk und Karriere von Bruzen de la Martinière, der u.a. offizielle Funktionen wie die des „Géographe de sa Majesté Catholique“ bekleidete, sollen vor allem unter zwei Gesichtspunkten untersucht werden: Zum einen bezüglich seines europaweiten Kommunikationsnetzes, das seiner Tätigkeit als Wörterbuchschreiber und –kompilator, Journalist, historiographischer Polygraph und Übersetzer zugrundelag, und zum anderen mit Hinblick auf die hiermit verknüpften Formen der Wissensrezeption und Wissensverarbeitung, vor allem in Übersetzungen, Kommentaren, Fortschreibungen („Continuations“) und Anthologien („Bibliothèque Raisonnée“), zeittypischen Formen der Wissenskultur des Aufklärungszeitalters, die ihrerseits eng mit der Kommunikationskultur der Epoche (Korrespondentennetze, Salons, mündliche Kommunikationsformen) verbunden sind. 411 Alf Monjour (Duisburg-Essen) Fachsprache und neue Medien im 18. Jahrhundert. Theorie und Praxis des Terminologieimports im französisch-spanischen Kommunikationsraum Im Jahre 1792 erscheint in Madrid der Diario de los nuevos descubri mientos de todas las ciencias físicas, que tienen alguna relacion con las diferentes partes del arte de curar, publicado en París por M. de Fourcroy. Es handelt sich dabei um die spanische Übersetzung des nur wenige Monate zuvor von Antoine François de Fourcroy (1755-1809), dem großen Naturwissenschaftler, Revolutionär und Hochschulpolitiker, herausgegebenen vierbändigen naturwissenschaftlichen Rezensions- und Berichtsorgans, der Médecine éclairée par les sciences physiques, ou Journal des découvertes relatives aux différentes parties de l’art de guérir (4 vols., 1791-1792). In dem Sektionsbeitrag soll der in Bibliotheken nur selten anzutreffende spanische Diario Fourcroys vorgestellt und in fachsprachenlinguistischer Perspektive analysiert werden. Dabei sind die typischen “fachsprachlichen Vertextungsstrategien” (Kalverkämper) in der Übersetzung wie im Original gleichermaßen zu diagnostizieren. Als aufschlussreicher noch unter dem Aspekt des Wissenstransfers erweisen sich dagegen die Techniken des Terminologieimports, der den in kürzester Zeit stattfindenden Anschluss Spaniens an die europäischen Wissenschaftszentren widerspiegelt. “Todavía nos falta mucho para llegar al grado de perfeccion de otras Naciones”, heißt es im programmatischen Vorwort (IV) der anonymen Übersetzer des Diario, die sich gegen eine “Medicina à la Española” (XIV) und den “patriotismo hipócrita” (XV) ihrer Zeit wenden; ihre Übersetzerarbeit sei demgegenüber Teil des wirklichen Engagements “por el bien de la Nacion” (XVIII), und in diesem Kampf dürfte die Schaffung eines muttersprachlichen Fachvokabulars eines der wirksamsten Instrumente darstellen. 412 Helmut C. Jacobs (Duisburg-Essen) Die Rolle der Phantasie in den Medien der spanischen Aufklärung Die Phantasie war in der ästhetischen Diskussion des achtzehnten Jahrhunderts eine zentrale Kategorie, an der sich die Geister schieden. Die Skala der Bewertungen der Phantasie bewegt sich zwischen entschiedener Ablehnung und vorbehaltloser Befürwortung. Einerseits bietet sie die Möglichkeit, sich von vertrauten Dingen zu lösen und in Unbekanntes, Unvertrautes vorzudringen und Neuland zu erschließen. Andererseits geht es dabei aber immer auch um die Frage nach den Grenzen dieser Freiheit sowie, in praktischer Hinsicht, um die Suche nach Strategien, die Phantasie einzugrenzen, zu zügeln und zu reglementieren. In den im achtzehnten Jahrhundert neuen Printmedien wie den moralischen Wochenschriften oder der Druckgraphik Goyas wird diese Diskussion nicht nur aufgenommen, die Phantasie spielt vielmehr auch in der Programmatik dieser im Sinne der Ideen der Aufklärung und der didaktischen Belehrung eingesetzten Medien eine zentrale Rolle, um Heterogenes zusammenzubringen und Ordnung zu stiften. Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Diskussionen über die Phantasie in der Epoche der spanischen Aufklärung soll diesem Phänomen der Aufwertung und Autonomisierung der Phantasie anhand der Untersuchung einiger moralischer Wochenschriften wie der Druckgraphik Goyas nachgegangen werden. Klaus-Dieter Ertler (Graz) Entwürfe von Kommunikation in La Pensadora gaditana von Doña Beatriz Cienfuegos La Pensadora gaditana (1763/64) gehört zu den prominentesten Wochenschriften der spanischen Aufklärung. Die Zeitschrift folgt in ihrer Anlage und ihrem Idearium dem Modell des englischen Spectator, dessen Autoren Joseph Addison und Richard Steele die erfolgreiche Gattung der „Moralischen Wochenschriften“ zu Be413 ginn des 18. Jahrhunderts begründeten. In unserem Beitrag sollen die im spanischen Text angelegten Mikroerzählungen untersucht werden, wobei es vorrangig um die Beschreibung und Analyse der spezifischen Kommunikationsentwürfe der Zeitschrift geht. Claudia Gronemann (Leipzig) Catones sin barbas y Licurgos con basquiñas. Zur Konstruktion eines europäischen Kommunikationszusammenhangs in den moralischen Wochenschriften mit weiblicher Herausgeberfigur Die Konstitution der moralischen Wochenschriften als Gattung im europäischen Maßstab möchte ich in meinem Beitrag als Manifestation eines modernen Kommunikations- und Diskurs zusammenhangs “Europa” beschreiben. Die spanischen Wochenschriften entfalten sich vor der Folie eines europaweit verbreiteten Gattungsmusters, dessen diskursive Charakteristik adaptiert und für den eigenen kulturellen Kontext transformiert wird. So vollzieht sich die Konstitution einer breiten, explizit auch das weibliche Publikum inkluierenden Öffentlichkeit in Spanien mit Bezug auf eine übergreifende europäische Diskursgemeinschaft. Dies soll am Beispiel der semanales mit weiblicher Herausgeberfigur aufgezeigt werden, wobei im Vergleich mit anderen europäischen “Frauenzeitschriften” wie The female Spectator oder Gottscheds Ver nünftigen Tadlerinnen einerseits Gattungskonstanten (Architextualität) und andererseits die Spezifika der spanischen Texte herausgearbeitet werden. Nicht auf die konkrete textuelle Manifestation der europäischen Idee als ideologisches Konstrukt bezieht sich demzufolge mein Beitrag, sondern auf die Erweiterung der nationalen República literaria unter Bezug auf europäische Diskurse. 414 Jens Häseler (Potsdam) Europaberichterstattung in französischen allgemein-wissenschaftlichen Periodika Die Bibliothèque angloise (1717-1728) hat zweifellos zur wachsenden Anglomanie in Frankreich beigetragen. Wegen der geringen Frankreichkorrespondenzen der englischen Buchhändler übernahm sie die Information des französischen Publikums über englische (und lateinische) Neuerscheinungen sowie über Arbeiten de Royal Society. Sie ergänzte damit das international offenbar lückenhafte Spektrum der großen Gelehrtenzeitschriften und erreichte durch den Verlag und Vertrieb in den Niederlanden eine gute europäische Verbreitung. Seit diesem Modell erscheinen immer wieder französische Zeitschriften regionaler Spezialisierung, deren Ziel es ist, das französischsprachige Publikum über fremdsprachige Neuerscheinungen zu unterrichten. Sie setzen eine Tradition des Wissensaustauschs der Gelehrtenrepublik in der lingua franca des 18. Jahrhunderts, der französischen Sprache, fort. Gleichzeitig haben sie, im Unterschied zu den Acta Eruditorum oder dem Journal des savants, bereits das wachsende gebildete Publikum, das nicht selbst wissenschaftlich bzw. „literarisch“ tätig ist, als Adressaten im Auge. Einige Charakeristika der Entwicklung dieses für den Markt der Europaberichterstattung in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wesentlichen Zeitschriften sollen anhand der von Berliner Hugenotten herausgegebenen und in den Niederlanden publizierten Bi bliothèque germanique (1720-1740), dem darauf folgenden Journal lit téraire d’Allemagne (1741-42) und der Nouvelle Bibliothèque germanique (1746-1760) diskutiert werden. Die fachliche Struktur der Berichterstattung entwickelt sich mit einem Schwerpunkt auf historischen Werken ähnlich wie in anderen zeitgenössischen, allgemeinwissenschaftlichen Periodika. Bemerkenswert ist die überproportionale Zunahme von besprochenen Werken und Originalbeiträgen aus dem Bereich Naturwissenschaften und Künste ab den 1740er Jahren. Eine Besonderheit stellt die umfangreiche Rubrik der geogra415 phisch geordneten Nouvelles littéraires dar, die, deutlicher als die Rezensionen und Artikel, die geographische Repräsentativität der Berichterstattung deutlich machen. Während in der Zeitschrift seit den 1720er Jahren immer wieder Reaktionen auf andere Gelehrtenzeitschriften, Journal des savants, Mémoires de Trévoux oder die Bibliothèque raisonnée (1728-1753) zu finden sind, denen gegenüber sie als Ergänzung oder Konkurrenz verstanden wird, verändert sich in den 1750er Jahren die Lage grundlegend. Mit dem Journal étranger (1754-62) und auch dem Jour nal encyclopédique (1756-1794) treten zwei neue Typen von Periodika mit dem Ziel europaweiter Berichterstattung auf den Plan, die das Erbe der regionalorientierten und der universal berichtenden Journale antreten wollen. Die Gegenüberstellung der Berichterstattungsprinzipien zwischen den traditionellen und den neuen Periodika wird den Horizont auf den Umbruch der Presselandschaft und der République des lettres in der Mitte des 18. Jahrhunderts öffnen. Georgette Stefani-Meyer (Saarbrücken) Die Auswirkung der Periodizität und der Materialität der Publikation auf die Form des Artikels in der gelehrten Presse zur Zeit des Journal des savants. Avec le Journal des savants on assiste á l’émergence d’une identité médiatique sous la pression conjuguée des contraintes matérielles et des contraintes rédactionnelles qui découlent elle-mêmes de la périodicité de la publication. Malgré leur extériorité par rapport à la nature des contenus véhiculés par le Journal, ces facteurs provoquent une évolution lente, mais non moins décisive, de la structuration de ces derniers. Les publications du type Journal des savants s’opposent aux publications des académies de la même époque en ceci qu’ils sélectionnent en fonction du point de vue de leurs rédacteurs des informations qu’ils communiquent périodiquement à des publics non 416 captifs. Ils doivent faire face à la nécessité de créer une identité stable, celle du titre face au caractère hétéroclyte de ses contenus et celle de la publication par de là la diversité de ses numéros. Notre intervention poursuit trois objectifs : – Retracer les effets induits de la périodicité et avec elle des contraintes commerciales et matérielles d’une diffusion hebdomadaire sur les modalités d’exploitation du support papier et de structuration de l’aire scripturale. – Envisager cette évolution en fonction du pragmatisme d’une telle publication, dont la survie dépend de la sollicitation et de l’obtention renouvelée de l’agrément du public. – Enfin esquisser l’hypothèse d’une relation entre l’optimisation des modes de structuration visuelle et de classification des savoirs communiqués, la cooptation de l’intérêt d’un public exigeant et donc les standards de qualité visés par la publication, et les contraintes intrinsèques des systèmes de savoirs représentés. Nous retiendrons comme manifestations caractéristiques de cette équation complexe le passage progressif des tables annuelles à des formes nouvelles telles que l’index rerum, suivi de l’index nominum et de l’index à entrées mixtes, la rubrification des ouvrages présentés, l’introduction de la bibliographie et l’apparition de l’article de synthèse. Alberto Romero Ferrer (Cádiz) Publicística, prensa y sátira: Bartolomé José Gallardo La recuperación plena de Bartolomé José Gallardo frente al olvido y el silencio donde se encuentra recluido necesita de un acercamiento que contemple no sólo su imagen cervantina como loco erudito y bibliófilo apartado de la realidad, como tampoco había que deformarlo viendo sólo su otra imagen más crítica, dura y satírica que tanto molestaría a don Marcelino Menéndez Pelayo y que tanta fuerza y vigencia puede tener incluso para el intelectual de hoy, como origen de la sátira moderna y de una nueva forma 417 de entender la comunicación periodística. Había, pues, que fundir ambas proyecciones con otras imágenes más modernas en las que aparece Gallardo como un intelectual de primera, un político claro y un hombre de letras de amplias miras y extraordinaria proyección en los estudios filológicos, historiográficos y bibliográficos. Tal vez esta fuerza pudieron intuirla sus enemigos y detractores y, de ahí, ese insistente empeño en su descrédito y olvido. En cualquier caso, este trabajo se centra en sus aspectos más controvertidos e innovadores, pues se pretende establecer el papel del bibliófilo extremeño en el establecimiento de los nuevos medios y estrategias de la comunicación literaria y política en el tránsito de la Ilustración al Romanticismo, mediante sus aportaciones al mundo de la publicística, la prensa y la sátira, haciendo especial hincapié en su papel como inventor de la sátira moderna. Jan-Henrik Witthaus (Duisburg-Essen) Zur Europäisierung der Kritik in der spanischen Presse des 18. Jahrhunderts Die in den Jahren 1737-1742 erfolgende Veröffentlichung des Diario de los literatos de España bezeichnet nicht allein ein zentrales Datum der spanischen Pressegeschichte, sie markiert in vielfacher Hinsicht einen bemerkenswerten Einschnitt in der Entwicklung der spanischen Literaturkritik. Mit dem Diario wird erstmals das Projekt angestrebt, die Kritik als Instrument der spanischen Reformbewegung in einem periodisch erscheinenden Rezensionsorgan zu etablieren. Gleichsam erfolgt hierbei erklärtermaßen der Versuch, die Kriterien für die Kritik des zeitgenös sischen Schrifttums an die europäischen Standards anzupassen. Das heißt, dass die Autoreflexion der Kritik vor dem Hintergrund einer imaginierten europäischen Außenperspektive stattfindet und diese Blickkonstellation mitführt. Obwohl sich in der Folge der konkrete Gegenstandsbereich der Kritik erweitert und nicht allein auf die Besprechung zeitgenössischen 418 Schrifttums beschränkt – so haben begriffsgeschichtliche Studien gezeigt – bleibt doch die Imagination einer von außen auf die Iberische Halbinsel gerichteten Perspektive ein beschreibbares Charakteristikum, welches Konstanz markiert. Aufzeigen lässt sich eine solche Linie anhand zentraler Pressetexte der spanischen Aufklärung: etwa anhand der Discursos Mercuriales von Juan-Henrique Graef, des Censors von Luis Cañuelo oder auch der Cartas marruecas von José de Cadalso, welche bekanntlich im Correo de Madrid erschienen. Die Arbeitshypothese des geplanten Beitrages besagt, dass der Heterogenität der erwähnten Texte und der Pressegattungen zum Trotz die Autoreflexion der Kritik, insbesondere innerhalb des reformorientierten Flügels der spanischen Aufklärung, stets auch vor einem imaginierten europäischen Außenpublikum erfolgt. Siegfried Jüttner (Duisburg-Essen) Die Nationalisierung der Kultur und europäisches Bewusstsein im Medium der aufgeklärten Presse Die für die Epochenschwelle zur Moderne oft verzeichnete Nationalisierung der Kulturen erweist sich bei detaillierter Betrachtung der einzelnen Fälle oftmals als dialektische Kehrseite eines ausgeprägten europäischen Bewusstseins, das in erheblichem Maße von einer neuen, länderübergreifenden Kommunikationsstruktur geprägt wird. In diesem Wandel der Medienlandschaft, der das Thema unserer Sektion darstellt, hat insbesondere die Presse im Hinblick auf die Doublette ‚Europäisierung/Nationalisierung‘ eine Schlüsselrolle inne – dies lässt sich zumindest anhand vorliegender Textkorpora für die spanische Aufklärungsbewegung nachweisen. Zentrale Beispiele der spanischen Pressegeschichte belegen die Etablierung einer Europa-Ideologie im Reformdiskurs. Diese setzt auf einen Ausbau des Wissenstransfers, um Anschluss zu finden an die wissenschaftlichen und technischen Innovationen der anderen europäischen Nationen, sie imple 419 mentiert gleichsam das Bewusstsein von Europa als einem weltweit superioren Zivilisationsraum, der seinen Führungsanspruch untermauert und den menschlichen Fortschritt befördert. Diese Tendenz einer Öffnung hin auf Europa und die zugehörige Ideologie lassen sich verzeichnen seit dem frühen Diario de los literatos de España, sie zeigen sich etwa in den vielbeachteten Discursos Mercuriales, sie werden schließlich tonangebend im zentralen Espíritu de los mejores diarios literarios que se publican en Europa. Als gegenläufige Tendenz wird jedoch auch bei allen erwähnten Beispielen erkennbar, dass mit der kulturellen Öffnung ebenfalls die eigene nationale Profilierung zum gleichwertigen Anliegen gerät. In der geplanten Vorlage sollen anhand von paradigmatischen Pressetexten zunächst die Diskurselemente aufgezeigt werden, die Europa-Ideologie und kulturelle Nationalisierung konstituieren. Sodann werden die presseeigenen Strategien thematisiert, mit denen das Medium durch seine Organisation einer Durchsetzung dieser Diskursivik Vorschub leistet. Die auf periodische Publikation angelegten Kommunikationsweisen des Mediums: journalistische Schreibstrategien, Rezension, Formen der Anordnung und Rubrizierung lassen sich beschreiben als eine ‚Rhetorik der Presse‘, die an der Schwelle zur Moderne erheblichen Anteil an der Neumodellierung der Kultur hat. 420 Sektion 23 Europas neue Liebe - Theorie und Repräsentation des Affekts um 1700 Leitung: Dietmar Rieger (Gießen), Kirsten Dickhaut (Gießen) Programm Montag, 26.09.05 8.45 Uhr 9.00 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Eröffnung der Sektion Renate Schlüter (Rostock) Affektkontrolle und Kontrollverlust: amour sage vs. douce volupté. Der Wandel des Petrarcabildes in der französischen Literatur zwischen 1650 und 1750 Wolfgang Matzat (Tübingen) Liebe und Natur im französischen Roman zwischen Klassik und Aufklärung Rotraud von Kulessa (Freiburg) Von der carte du tendre zur sensibilité: Dramen von französischen Autorinnen zwischen 1650 und 1750 Bernd Blaschke (Berlin) Code und Komik. Molières Liebessemantiken zwischen Partizipation und Parodie Roland Galle (Essen) Die Medialisierung der Liebe im Porträt Jörn Steigerwald (Bochum) ’Galante Liebes-Ethik’ – Jean-François Sarasins Dialogue sur la question s’il faut qu’un jeune homme soit amoureux Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr Cerstin Bauer-Funke (Saarbrücken) 421 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Der Liebesdiskurs in den Lettres amoureuses von Cyrano de Bergerac Michael Bernsen (Bochum) Liebe in Zeiten der Repräsentation: Jean de La Fontaine Anne Amend-Söchting (Gießen) „Qui veut faire l’ange fait la bête“ - Pascals anthropologisch-dynamische Affekttheorie der „Pensées“ Martin Neumann (Hamburg) Die Aporie(n) leidenschaftlicher Liebe. Überlegungen zu den Lettres portugaises Rainer Zaiser (Köln) Gefährliche Leidenschaften: Vom Wandel der ‚amour galant’ zur ‚amour passion’ im Roman der französischen Klassik: La Princesse de Clèves und Les Lettres portugaises Kirsten Dickhaut (Gießen) Selbstbewußte Liebesbriefe: Treize lettres amoureuses Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Jutta Weiser (Duisburg) Literarische Inszenierungen einer science du cœur bei Marivaux Birgit Wagner (Wien) Haremskonstellationen. Liebe und Exotismus Donnerstag, 29.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 422 Carolin Fischer (Berlin) Physiologie und Imagination als Achsen des Liebesdiskurses Michel Delon (Paris) Réhabilitation des passions et métaphore des 10.30 Uhr vents marins Abschluss der Sektion Abstracts Renate Schlüter (Rostock) Affektkontrolle und Kontrollverlust: amour sage vs. douce volupté. Der Wandel des Petrarcabildes in der französischen Literatur zwischen 1650 und 1750 In der französischen Literatur des 17. Jahrhunderts spielt die Rezeption Petrarcas eine untergeordnete Rolle. Erst von der Mitte des 18. Jahrhunderts an setzen sich Gelehrte und Künstler wieder verstärkt mit dem italienischen Dichter und seinem Werk auseinander. Dennoch repräsentieren die Jahre zwischen 1650 und 1750 keineswegs eine tabula rasa der Petrarca-Rezeption. Sowohl die 1669 erschienene Übersetzung des Canzoniere von Catanusi als auch die Werke der Scudéry (bes. Mathilde d’Aguilar, 1667) oder die Vaucluse-Sonette ihres Bruders Georges de Scudéry belegen, dass das Leben und das Werk Petrarcas auch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts rezipiert wurden. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung der französischen Autoren mit dem Werk Petrarcas steht dabei auch und vor allem die im Canzoniere modellierte Liebeskonzeption, welche bereits in den letzten Dezennien des 17. Jahrhunderts eine Neudeutung erfährt. In seiner 1765 erschienenen Lettre de Pétrarque à Laure gestattet Nicolas Romet dem italienischen Dichter, der in diesem aus paarweise gereimten Alexandrinern bestehenden Gedicht als lyrisches Ich spricht, eine Liebesnacht mit der schönen Laura. Die leidenschaftliche Begegnung entpuppt sich zwar als eine Vision des schlafenden Petrarca, den die Übernachtung in einer an den Dido-Mythos gemahnenden Höhle zweifelsohne zu einem derartigen Traum anregte, die vom lyrischen Ich ersehnte „douce 423 volupté“ wird damit aber immerhin in der Phantasie durch die „tendres caresses“ der Laura und ihre „premières faveurs“ gestillt. Dem Autor ist dabei durchaus bewusst, dass er mit seinen Versen von der traditionellen Lesart abweicht. Im Vorwort zu seiner Lettre nämlich stellt er fest, dass der zum Topos der Petrarca-Rezeption gewordene amour pur im 18. Jahrhundert seine Gültigkeit verloren hat. Hatte Catanusi im Vorwort seiner Übersetzung des Canzoniere in Bezug auf die Liebe Petrarcas von einem „amour tousiours sage & tousiours discret“ gesprochen, so konstatiert Romet: „depuis long-temps on ne croit plus à tant de sagesse, j’ai mieux aimé me plier au goût de ce Siècle, que de rappeller [ !] celui d’un autre.“ Die Modifikation der Liebeskonzepte beginnt bereits in Mlle de Scudérys „nouvelle galante“ Mathilde d’Aguilar, sie wird im Kontext der preziösen Lyrik von Madame Deshoulières weiterentwickelt, um in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts z.B. von Le franc de Pompignan, dessen Voyage de Languedoc et de Provence (1745) auch Romet vorlag, in einem dem amour pur gegenläufigen Konzept zu münden: Die Moral nämlich, so erfahren die Vaucluse-Besucher in Lefranc de Pompignans Reisebereicht, sei „toujours bonne pour la théorie“. Wie die Neuformulierung der quasi mythischen Lauraliebe in Richtung einer die Sexualität nicht ausschließenden Sinnenliebe in den französischen Texten des 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts im einzelnen motiviert ist, soll am Beispiel einzelner Texte und Textsorten auch vor dem Hintergrund der von Luhmann beschriebenen Entwicklungsprozesse analysiert werden. Wolfgang Matzat (Tübingen) Liebe und Natur im französischen Roman zwischen Klassik und Aufklärung Der Beitrag will die Transformation der Liebessemantik zu Beginn der Aufklärung am Beispiel narrativer Texte in Frankreich untersuchen. Das diskursive und soziale Spannungsfeld, das hierbei in den 424 Blick zu nehmen ist, reicht vom Paradigma einer - zunehmend mit der Konnotation der Libertinage befrachteten - gesellschaftlichen Galanterie zu einer im Zeichen von Natur und Tugend stehenden ehelichen bzw. den Ehestand begründenden Liebe, von der moralistischen Psychologie mit ihrer Zentrierung auf das Konzept des amour-propre zur aufklärerischen sensibilité, vom sozialen Kontext der adligen Salongesellschaft zum Bürgertum. Das Textcorpus, das für diese Analyse in Betracht zu ziehen ist, umfasst narrative Texte von Mme de Lafayettes Princesse de Clèves bis zu den Romanen von Marivaux, Prévost und Rousseau. Ein besonderer Schwerpunkt wird voraussichtlich auf Les Illustres Françaises von Robert Challes gelegt werden. Rotraud von Kulessa (Freiburg) Von der carte du tendre zur sensibilité: Dramen von französischen Autorinnen zwischen 1650 und 1750 Nicht nur in ihren Romanen setzen sich Frauen, ausgehend von den Überlegungen der Précieuses und der carte du tendre einer Mlle de Scudéry, mit der Liebes- und Ehethematik auseinander (vgl. hierzu: Joan DeJean, Tender Geographics. Women and the Origins of the Novel in France, New York, Columbia University Press, 1991). Die kritische Auseinandersetzung mit der klassischen Dichotomie der passionraison durch die femme de lettres, die am Ende der Klassik langsam abgelöst wird von dem Diskurs der sensibilité, kann genauso an der Gattung der contes de fées sowie an den Dramen abgelesen werden. Dieser Beitrag soll diesen Paradigmenwechsel exemplarisch an einigen wichtigen von Autorinnen verfassten Dramen nachzeichnen, wie z.B. an der Tragödie Genséric (1680) von Mme Deshoulières, den Dramen Mme de Villedieus wie Le Favori (1665), Marie-Anne Barbiers Arrrie et Pétus (1702), an Mme de Gomez‘ Cléarque (1717), Mme du Boccages Les Amazones (1749), Mme de Graffignys, Cénie (1750). 425 Bernd Blaschke (Berlin) Code und Komik. Molières Liebessemantiken zwischen Partizipation und Parodie Laut Niklas Luhmanns Rekonstruktion historischer Liebeskommunikation etabliert sich um 1650 eine neue ‚gepflegte Semantik’ der Liebe als Passion. Nicht mehr die Schönheit der Geliebten werde nun als Grund der Liebe ausgegeben, sondern Liebe selbst und Imagination des Liebenden. Anstelle idealisierender Konzepte etabliere sich nun eine paradoxe Kodierung: Liebe als widerstreitende Einheit von plaisir und passion. Statt Vernunft amtiert nun Gefühl als höchste Instanz der Liebe. Durch die neue Freiheit als prekären Grund der Liebe entstehen neue Probleme des Zeichenlesens, des Vertrauens und des Kredits zwischen Liebenden. Molières Komödienschaffen deckt sich mit Luhmanns Zeitraum des Diskurswandels und Molières Komödien haben regelmäßig vertrackt komische Liebeskommunikationen zu ihrem Thema. Wie aber beobachtet ein Produzent von Komik die Spannungen im neuen paradoxen Liebeskonzept? Molière verspottet die Preziösen (1658 und neuerlich in den Femmes Savantes 1672). Freilich partizipiert er auch an preziöser Kommunikation, etwa im Jupiter des Amphitryon und in galanten Stücken wie Les Amants magnifiques oder Psyché. Das normative Verhältnis von Körper und Geist, also Molières raffinierter Antiplatonismus, ist mein einer thematischer Fokus bei der Verortung Molières zwischen Parodie und Partizipation des preziösen Codes, der Nexus von Semantiken des Krieges, der Gewalt und Verletzung der andere. Neben den genannten Stücken offenbaren besonders die École des Maris und Ecole des Femmes eine Auseinandersetzung Molières mit widerstreitenden Codes des Liebens und ihrer Lehrbarkeit. Aber auch jenseits pädagogischer Initiationen ist das Wissenwollen und Zeichenlesen die ebenso verzweifelte wie für komische Missverständnisse anfällige Hauptbeschäftigung der Liebenden. Inwieweit Molières Liebesmodelle tatsächlich der neuen antiökonomischen 426 Passionslogik des Exzesses folgen oder nicht weit eher eine Logik des Tauschs von Vertrauen, Kredit und Liebe propagieren, ist mein letztes Thema. Dabei kommt die sozialstratifikatorische Differenz von Molières Liebescodes in den Blick: pragmatische Diener und Bürger lieben (kommunizieren) anders, als Dom Juan oder die Prinzen der höfisch galanten Liebesspiele. Roland Galle (Essen) Die Medialisierung der Liebe im Porträt Ausgangspunkt der Untersuchung sind die unterschiedlichen Liebeskonzepte, die in den Romanen der Mlle de Scudéry einerseits, bei Mme de Lafayette andererseits sich sedimentieren bzw. Gestalt gewinnen. Untersucht werden soll, ob und gegebenenfalls wie diese Differenz sich in der (wechselweisen) bildhaften Wahrnehmung der Liebenden niederschlägt. Dabei soll der Funktion von Porträts – ihrer Struktur, ihrer Wirkung, ihrer Aufgabe für den Erzählaufbau – eine Schlüsselrolle eingeräumt werden. Jörn Steigerwald (Bochum) ’Galante Liebes-Ethik’ – Jean-François Sarasins Dialogue sur la question s’il faut qu’un jeune homme soit amoureux In der neueren Forschung wird Paul Pellisons Einleitungsaufsatz der Werkausgabe Sarasins, der Discours sur les oeuvres de M. Sarasin als Grundlegung der ‚esthétique galante’ (Alain Viala) angesehen. Pellison selbst hebt an Sarasins Werken besonders den Dialogue sur la question s’il faut qu’un jeune homme soit amoureux hervor, da dieser damit auf zweifache Weise Neuland betreten habe. Zum einen dadurch, dass er den bis dato wenig geschätzten und auch wenig verwendeten Dialog als Diskursform nobilitiert habe und zum anderen dadurch, dass er dem Dialog die ihm eigene Thematik, die ‚questions de morale’ eingeschrieben habe, die aus diesem Dialog 427 eine vollkommen neue Dialogform werden ließ, die als ‚dialogue galant’ bezeichnet werden kann. Bemerkenswerter Weise führte Pellisons Hochachtung von Sarasins Dialog nicht dazu, dass er in der Forschung Berücksichtung fand, obwohl er, so die These, als Dialog und als Gespräch über die Liebe Ausdruck jener neuen Liebe ist, die sich im Namen der Galanterie um die Mitte des 17. Jahrhunderts konsolidiert und um 1700 ihre Peripetie erlebt. Das Referat wird sich daher der Analyse dieses Gesprächs von Männern über Männer unter Männern widmen – das dadurch im klaren Gegensatz zu Gesprächsszenerien in den Texten Madeleine de Scudérys steht –, die sich der Frage nach der Notwendigkeit der Liebe in der eigenen Gesellschaft widmen, mithin die Liebe des Mannes in der höfischen Gesellschaft ‚problematisieren’. Dabei soll sowohl dem Dialog selbst als dem Diskurssystem Beachtung geschenkt werden, das zur Repräsentation der Liebesdiskussion dient, als auch der Problematisierung der männlichen Liebe, mithin der zugrunde liegenden Liebes-Ethik, die im Gespräch zum Vorschein kommt. Cerstin Bauer-Funke (Saarbrücken) Der Liebesdiskurs in den Lettres amoureuses von Cyrano de Bergerac Im Zentrum des Vortrages stehen die Liebesbriefe Cyrano de Bergeracs, die zwischen Mitte der 1640er und 1650er Jahre entstanden sind und im Jahre 1654 veröffentlicht wurden. Die Briefe belegen Cyranos Versuche, sich als galanter Briefschreiber in den mondänen Salons von Paris bekannt zu machen. Gegenstand der Untersuchung wird daher sein, an welche Modelle galanter Konversation Cyrano anknüpft und wie er die Verwendungsmöglichkeiten der Gattung Brief für sein Spiel mit literarischen Traditonen auslotet. Zu untersuchen ist ebenfalls, inwiefern die Liebesbriefe in der Tradition des Petrarkismus stehen und wie der Briefschreiber sich selbst und die angebetete Frau in den Briefen in Szene setzt. 428 Michael Bernsen (Bochum) Liebe in Zeiten der Repräsentation: Jean de La Fontaine Das 17. Jahrhundert ist das Zeitalter der Repräsentation. Die Wahrnehmung der Dinge wird nach Wichtigem und Unwichtigem unterschieden, das Wirkliche auf Klassen und Typen reduziert. Die Zeichen verweisen nicht länger auf einen Schöpfungs- bzw. Heilszusammenhang, da Gott sich aus der Welt zurückgezogen hat. Diese funktioniert nach allgemeinen Gesetzen, die der menschliche Verstand erkennen kann. Die Sprache erhält die Funktion, die Dinge zu benennen. Sie repräsentiert für die erkennende Vernunft das von ihr getrennte Sichtbare. Auch der Diskurs über die Liebe wird diesen Regeln unterworfen. An den Bemühungen, die Erscheinungen der Liebe in Form einer ‹carte du tendre› zu kartographieren, lässt sich dies beispielhaft ablesen. Auch La Fontaines Fabeln über die Liebe unterwerfen sich in gewisser Weise diesen Spielregeln. Kaum eine literarische Gattung ist so gut geeignet, die Anforderungen an die Ordnung des Wissens und Erkennens im Zeitalter der Repräsentation zu erfüllen, wie die Fabel. Fabeln und Fabelsammlungen haben einen geradezu taxonomischen Charakter. Der Diskurs der Fabel ist linear. Mögliche Verweisungen und simultane Eindrücke, die sich aus der Erzählung ergeben, werden durch die Moral auf ein transparentes Bezeichnetes reduziert. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass La Fontaine einen doppelten Diskurs praktiziert. Nur an der Oberfläche hält er sich an die Regeln der Repräsentation. In den geordneten Diskurs der Fabel ist ein zweiter, unsystematischer Diskurs eingewebt, der die logische Ordnung des Erzählten durch hieroglyphische, mit vielfältigen Sinnverweisungen aufgeladene Zeichen konterkarriert. Sinn und Zweck dieses Diskurses ist es, die Ordnung der Liebe sowie Geste ihrer Beherrschung in Frage zu stellen und damit zugleich die Episteme der Repräsentation zu hinterfragen. 429 Anne Amend-Söchting (Gießen) „Qui veut faire l’ange fait la bête“ - Pascals anthropologisch-dynamische Affekttheorie der „Pensées“ Blaise Pascal (1623-1662), eigentlich Mathematiker und Physiker, gilt auf der Basis seiner jansenistischen Ideologie und gleichzeitig unabhängig von ihr als Meister der geschliffenen Rhetorik, vor allem des Paradoxons. In den nicht zuletzt manuskriptgeschichtlich hochkomplizierten, unvollendeten und nach wie vor unendlich faszinierenden, erstmals 1670 postum veröffentlichten Pensées gilt es, an einigen signifikanten Textstellen die Essenz der rhetorischen Würze aufzubrechen und die eigentliche inhaltliche Tragweite der sentenzhaften Ausführungen zu verdeutlichen. So zeigt sich, dass sich Pascal gerade mit den Pensées im Abseits strenger traditioneller Oppositionen bewegt und damit eine Affekttheorie entwirft, die in mindestens fünffacher Hinsicht gewürdigt werden muss: als rhetorisches Kabinettstück und somit eigenständiger und eigentümlicher Diskurs (1), in der christlich-eschatologischen Grundorientierung (2), aus der sich eine religionenintegrierende und mit alleinigem Bezug auf die Affekte gar religionentranszendierende Ethik abstrahieren ließe (3) und als dynamische Anthropologie der menschlichen Gefühlswelt (4), die sich nur mit der steten Bezugnahme auf die gesellschaftliche Welt entfalten kann (5). Herausgestellt werden soll auch, dass Blaise Pascal, einer der wesentlichen Theoretiker des Affekts und der Affektmodellierung, nicht nur an der Entwicklung eines neuen Diskurses der Liebe beteiligt ist, sondern auch und sogar neuere hirnphysiologische Erkenntnisse antizipiert. Martin Neumann (Hamburg) Die Aporie(n) leidenschaftlicher Liebe. Überlegungen zu den Lettres portugaises Die fünf kleinen Briefe einer portugiesischen Nonne wurden bei ihrem Erscheinen 1669 gelesen als Ausdruck leidenschaftlicher 430 Liebe par excellence, und das war zu dem Zeitpunkt in mehrfacher Hinsicht neu, denn anders als die ‘klassischen’ Romanheldinnen à la Gomberville oder Scudéry übte Mariane keine strenge Selbstkontrolle und war auch nicht tugendhaft. Trotzdem übten ihre Leidenschaftlichkeit und ihre dadurch scheinbar größere Realitätsnähe eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf die zeitgenössischen Leser aus, was die zahlreichen Neuauflagen, Antworten, Weiterschreibungen usw. dokumentieren. Ihre Briefe positionieren sich auf verschiedenen Ebenen jenseits anerkannter moralischer, ethischer und auch literarischer Standards, verstoßen ohne mit der Wimper zu zucken gegen die meisten der nicht gerade wenigen Regeln des siècle classique. Der Beitrag will den Gründen nachgehen, weshalb die Konzeption einer leidenschaftlich ausgelebten Liebe, die in Marianes Briefen zum Ausdruck kommt, trotz des immensen Erfolgs des Buchs im 17. Jahrhundert zum Scheitern verurteilt ist, wobei ein besonderes Augenmerk auf den Nexus zwischen Normbruch und Gattung sowie Weiblichkeit gerichtet wird. Rainer Zaiser (Köln) Gefährliche Leidenschaften: Vom Wandel der ‚amour galant’ zur ‚amour passion’ im Roman der französischen Klassik: La Princesse de Clèves und Les Lettres portugaises Der Beitrag geht von der These aus, dass die ritualisierte Liebeskasuistik, wie sie im höfisch-galanten Roman des 17. Jahrhunderts entworfen wird und in Mademoiselle de Scudérys Carte de Tendre paradigmatisch zur Anschauung gelangt, im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts durch das Auftauchen der amour passion im Liebesdiskurs des Romans eine Unterminierung erfährt, die mehr als nur ein überkommenes höfisches Liebeskonzept in Frage stellt. Die Liebe verliert ihre bloße Bedeutung als gesellschaftlicher Verhaltenskodex und wird zu einer individuellen Leidenschaft, die nur noch mit Mühe unter Kontrolle zu halten ist und das moralische Ordnungs431 gefüge der Gesellschaft zu gefährden beginnt bzw. dessen scheinhafte Fassade zu entlarven droht. In der Princesse de Clèves zeigt sich allerdings, dass die Autoritätsdiskurse von Gesellschaft und Kirche noch zu übermächtig sind, um dem Individuum einen Freiraum zur Verwirklichung seines Begehrens einzuräumen. Individualität wird erkauft durch den Verzicht auf Liebe und den Rückzug aus der Gesellschaft. Noch stärker gefährden die Leidenschaften die institutionalisierten Schranken der Moral in den Lettres portugaises, wo sie im Zentrum der Affektkontrolle, in der klösterlichen Abgeschiedenheit, ihre Macht entfalten. Die Briefe der portugiesischen Nonne stellen im Endeffekt das Sinnbild für die Existenz eines Individualismus dar, der sich gegen die gesellschaftlichen Moralvorstellungen des 17. Jahrhunderts zu regen beginnt. Die Kraft dieses Individualismus wird dabei in den Lettres portugaises um so deutlicher, als sie mit einem entscheidenden Tabu brechen. Eine liebende Nonne, die ihre verbotene Liebesleidenschaft in Briefen offenbart, gehört im 17. Jahrhundert zu den extremsten Formen der Selbstenthüllung, die den Individualismus über jede Art von institutionalisierter Moral stellt. Die amour passion signalisiert dabei die Präsenz einer Stimme, die wesenhaft zum Menschen gehört und die sich immer wieder kontraproduktiv zum Norm- und Ordnungsdenken einer Gesellschaft verhält. Im Roman des 18. Jahrhunderts wird gerade diese Stimme, die sich als Leidenschaft, Empfindsamkeit oder Irrationalität äußert, noch mehr Spielraum gewinnen. Kirsten Dickhaut (Gießen) Selbstbewußte Liebesbriefe: Treize lettres amoureuses Die Briefliteratur erscheint als besonders adäquates Medium, um das für die Liebessemantik konstitutive Begehren nach dem Abwesenden darzustellen. Die französische Epistolographie – von Guilleragues bis Rousseau – zeigt eine hohe Affinität zur Liebesgeschichte, die von galant über erotisch zurück zu preziös verschie432 dene Qualitäten auch zeitgleich ausbildet. Edme Boursault, Verfasser der Lettres de Babet von 1669, publiziert 1700 den Briefroman Treize lettres amoureuses, deren doppeldeutiges Epitheton für meine Überlegungen eine zentrale Rolle besitzt. In meinem Beitrag möchte ich die Rolle der verbrieften Liebe durch eine medienanthropologische Analyse konturieren. Boursaults monologische Briefe besetzen überkommene Liebestopoi neu, indem sie diese als Wissensordnung gleichsam markieren und darüber hinaus die Darstellung von Liebe durch einen Selbstbezug ergänzt wird, der – auf der kommunikativen Ebene von Schrift und Liebe – dazu gereicht, eine Umcodierung der Liebessemantik zu modellieren und die Individualisierung der bürgerlichen Schreibweise über Liebe vorzubereiten. Im Blick auf die Selbstvergegenständlichung von Liebe in den Briefen zeigen sich diese als selbstbewusst, und die Inszenierung der Genese der Liebesbriefe weist diese als selbstreflexiv aus. Das Bedeutungskontinuum sowie semantische Verschiebungen der Liebeskommunikation in Richtung des ‚Selbst’ auszuweisen, soll Ziel meines Beitrags sein. Jutta Weiser (Duisburg) Literarische Inszenierungen einer science du cœur bei Marivaux Die Dramen Marivaux’ sind thematisch durchzogen von den effets surprenants der Liebe, von unbewussten affektiven Neigungen, die in einem Augenblick unverhoffter Evidenz ins Bewusstsein der Bühnenfiguren gelangen. Der Fokus des Beitrags richtet sich zum einen auf die epistemologische Verortung der Liebeskonzeption Marivaux’ zwischen dem überkommenen Modell einer negativen Anthropologie und den Idealen der Empfindsamkeit, zum anderen aber auch auf die besondere Funktion von Dialog und Sprache für den Erkenntnisprozess. Es soll gezeigt werden, dass der psychische Mechanismus einer wechselseitigen Liebeserkenntnis und dessen theatrale Inszenierung einer science du cœur geschuldet sind, die um 1700 eine wichtige 433 Scharnierstelle darstellt im Übergang von der Salon-Galanterie als einem diskursiv generierten Liebescode zu einem Liebesideal, das auf Innerlichkeit und Gefühlskonstanz ausgerichtet ist. Ausgehend von dem anonym erschienenen Discours sur les passions de l’amour, der als Kompendium des moralistischen und psychophysiologischen Wissens betrachtet werden kann, sollen die verschiedenen um die Jahrhundertwende entwickelten Möglichkeiten der Verknüpfung von emotionaler Erkenntnis und Poetologie (François Lamy, Fontenelle, Du Bos) im Hinblick auf eine literarische Umsetzung bei Marivaux ausgelotet werden. Birgit Wagner (Wien) Haremskonstellationen. Liebe und Exotismus Weder die Verbindung von Exotismus und Orientalismus noch die Aufladung dieser Imaginationsprogramme mit sexuellen Phantasmen und gender-Hierarchien sind Erfindungen des europäischen 19. Jahrhunderts. (West-) Europa um 1700 ist ein Europa der Kolonialmächte. Welche Effekte diese conditio in den Liebesdiskursen produziert hat, gilt es in diesem Beitrag zu diskutieren. Besonderes Aufmerksamkeit wird dabei zwei literarischen Ereignissen zu widmen sein, die die französischen Begegnungen mit dem „Orient“ nachhaltig modelliert haben: die Publikation der Mille et une nuits in der Fassung von Antoine Galland (1704) und die der Lettres persanes von Montesquieu (Erstfassung 1721). Wie artikuliert sich die klassische Dichotomie von amour und raison, wenn die Liebeskonstellation in einer nicht-europäischen Kultur angesiedelt ist/ wird? Welche Relation von Liebe und Sexualität äußert sich, wenn es auf Grund der exotischen Distanzierung erlaubt, ja nachgerade geboten scheint, die Liebe mit Dominanz- und Unterwerfungsrelationen zu versöhnen? Die Antworten scheinen hinter den verriegelten Türen des (fiktiven) Harems zu liegen und verweisen doch zurück auf Europa. 434 Carolin Fischer (Berlin) Physiologie und Imagination als Achsen des Liebesdiskurses Genau in der Epoche, die den zeitlichen Rahmen der in dieser Sektion analysierten Werke und Phänomene vorgibt, entwickelt sich primär in Frankreich eine Gattung, deren Zentrum die künstlerische Darstellung eines bestimmten Affektes bildet: der erregende Roman. Die frühen Texte, L’Ecole des Filles (1655) und L’Académie des Dames (lateinisch 1660/französisch 1680), bleiben bis zur Revolution Bestseller der verbotenen Literatur, was ebenfalls für Thérèse philosophe (1748) gilt, die selbst der Marquis de Sade als Klassiker des Genres anerkannte. Gerade die beiden frühen Dialoge sind in Bezug auf die gängigen Liebesdiskurse der Zeit in verschiedener Hinsicht aufschlussreich: Zum einen – und dies ist zweifellos der Gattung geschuldet – reduzieren sie die verschiedenen Dimensionen der Liebesthematik und ihrer Repräsentation weitgehend auf die Körperlichkeit. Zum anderen greifen sie aber zeitgenössische Erklärungsmodelle wie Descartes’ Passions de l’âme auf, die sie entsprechend der eigenen Bedürfnisse modifizieren. Drittens schließlich illustrieren sie mit ungewöhnlicher Prägnanz, wie sehr das Sprechen über die Liebe diese entzünden kann. Michel Delon (Paris) Réhabilitation des passions et métaphore des vents marins Hans Blumenberg a depuis longtemps montré la fécondité d’une étude des métaphores et, en particulier, de celles du voyage en mer et du naufrage. L’idéal antique du retrait et d’une sagesse au-dessus des passions s’exprime dans les vers lucrétiens Suave mari magno. La réhabilitation de la nature humaine vers 1700 passe par l’acceptation des passions, dangereuses mais indispensables, comme les vents qui permettent et menacent la navigation et le commerce. Dans un des Dialogues des morts, Fontenelle ouvre la voie à une justification des passions comme vents nécessaires, qui va progressivement 435 s’amplifier jusqu’à l’éloge voltairien du commerce et à la fascination pour la tempête et le naufrage. 436 hispanistentag 10/8/05 EIN SCH ER NEU 13:44 Página 1 N E UNG IBEROAMERICANA VERVUERT MADRID, FRANKFURT AM MAIN, SEPTEMBER 2005 Guido Rings: Eroberte Eroberer Darstellungen der Konquista im neueren spanischen und lateinamerikanischen Roman (Editionen der Iberoamericana, A 35) 296 S., EUR 44 ISBN 3865272215 Mit der Ausrichtung auf „eroberte Eroberer“ konzentriert sich diese Studie auf paradoxe Denkfiguren einer gebrochenen Perspektive im Kontext der Konquista Lateinamerikas, die anhand neuer und neuster spanischer und lateinamerikanischer Romane erarbeitet wird. Innovativ ist vor allem die Erschließung einer bisher weitgehend marginalisierten spanischen Sicht als dialogische Spiegelung, bei der sich ein „Sonderweg“ in der Kolonialthematik abzuzeichnen scheint. Kompetent, kenntnisreich und verständlich verfasst, eignet sich dieses Werk für eine Vielzahl interessierter Leser. Mechthild Albert (ed.): Vanguardia española e intermedialidad Artes escénicas, cine y radio (La casa de la riqueza. Estudios de cultura de España, 7) 616 S., EUR 36 ISBN 848489200X / 386527210X El volumen recoge contribuciones de autores de alto prestigio internacional como Hans Ulrich Gumbrecht, José-Carlos Mainer, Román Gubern o Volker Roloff, entre otros. Se centra en la actitud de la literatura de vanguardia frente a los recursos expresivos y comunicativos que ofrecen tanto los diversos géneros musicales como los nuevos medios técnicos del cine y de la radio; este planteamiento permite, entre otros objetivos de índole más bien estética, considerar la vanguardia española en relación con la cultura de las masas. … und wenn Sie einmal nach Madrid kommen, versäumen Sie es nicht, bei unserer Buchhandlung LIBRERÍA IBEROAMERICANA in der calle Huertas, 40 vorbeizuschauen. � IBEROAMERICANA Editorial Vervuert, Amor de Dios, 1 – E-28014 Madrid, Tel.: +34 91 429 35 22 / Fax: +34 91 429 53 97 � VERVUERT Verlagsgesellschaft, Wielandstr. 40 – D-60318 Frankfurt am Main, Tel.: +49 69 597 46 17 / Fax: +49 69 597 87 43 www.ibero-americana.net - [email protected] Sektion 24 Unausweichlichkeit des Mythos – Mythopoiesis in der europäischen Romania nach 1945 Leitung: Claudia Jünke (Bonn), Michael Schwarze (Eichstätt) Programm Montag, 26.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Christoph Jamme (Lüneburg) Mythos zwischen Sprache und Schrift Wolfgang Asholt (Osnabrück) Von der (vorläufigen?) Notwendigkeit des Avantgardemythos Michael Schwarze (Eichstätt) Klassische Mythologie im secondo dopoguerra: Cesare Paveses Dialoghi con Leucò Silke Segler-Messner (Stuttgart) Die Résistance als Mythos im französischen Zeugendiskurs der Nachkriegszeit Paul Geyer (Bonn) Romanistik und Europäische Gründungsmythen Odile Bombarde (Paris) La psychanalyse comme mythe au XXe siècle Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Beatrice Baldarelli (Eichstätt) Pasolini und die Atriden Werner Helmich (Graz) Mythosdenunziation bei Barthes und Torrente Ballester 14.00 Uhr Mechthild Albert (Saarbrücken) 438 14.45 Uhr 16.00 Uhr 16.45 Uhr Mittelalter-Mythen in der postmodernen Narrativik Stephanie Wodianka (Giessen) Der Artushof als (Re-)Import. Zum Aufstieg eines Untergangsmythos in Literatur und Film der Jahrtausendwende Ulrich Winter (Marburg) Erzählung des Mythos und Mythos der Erzählung: Bürgerkrieg und Diktatur im spanischen Roman nach Franco Sonja Kral (Wien) Nationale Mythen der Spanier – Textuelle Inszenierung in Geschichte und Gegenwart Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Laetitia Rimpau (Frankfurt/M) Robinson im Meer der Erkenntnis. Michel Tournier, J.M.G. Le Clézio und Umberto Eco Susanne Kleinert (Saarbrücken) Mythencollage im italienischen postmodernen Roman: Carmen Covitos Del perché i porcospini attra versano la strada (1995) Donnerstag, 29.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Susanne Hartwig (Potsdam) Sisyphe.com − Frédéric Beigbeders Mythos der Mythenbildung Claudia Jünke (Bonn) ’La hora de los valientes’? - Mythos und Geschichte in aktuellen filmischen Rekonstruktionen des spanischen Bürgerkriegs 439 Abstracts Christoph Jamme (Lüneburg) Mythos zwischen Sprache und Schrift Im Anschluss an meine Studie Gott an hat ein Gewand geht es mir in dem Beitrag darum, den Mythos-Begriff in der Spannung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit zu erörtern. Außerdem geht es mir um das Aufbrechen einer „klassizistischen Blickverengung“ (E. Torra). Beide Zentralthesen hängen aber auf das Engste zusammen und sind ihrerseits abhängig von einem symboltheoretischen Mythenverständnis, das ich im Anschluss an Cassirer und Langer entwickelt habe und noch einmal zur Diskussion stellen möchte. Es geht um die These, dass der Mythos ein komplexes Repräsentationssystem ist, das die frühe Welterfahrung symbolisch darstellt. Nicht nur ist die mythische Denkweise eine der für das gesamte primitive Denken charakteristischen Grundzüge, nicht nur verkörpert der symbolbildende Mensch – wie die Warburg-Schule uns gelehrt hat – die elementare Stufe der Rationalität, sondern die Kultur insgesamt wird hier verstanden als ein Symbolsystem zur Ordnung der erfahrenen Wirklichkeit (in Worten, Ritualen, Bildern, Mythen). Aus diesem symboltheoretischen Mythenverständnis ergeben sich dann die beiden eben erwähnten Konsequenzen: 1.) Die grundlegende Erweiterung der Materialbasis für die Mythendiskussion, eine „klassizistische“ Verengung ist vornherein ausgeschlossen; 2.) die Entwicklung eines eigenen geschichtsphilosophischen Mythosmodells: Wir gehen nicht mehr von einem festen archaischen Mythos aus, sondern wir versuchen, den Mythos-Begriff historisch zu differenzieren, genauer: zwischen Mythischem, Mythos und Mythologie zu differenzieren und diese drei Gestalten jeweils verschiedenen Menschheitsepochen zuzuordnen. 440 Die üblicherweise im Mittelpunkt der Mythos-Forschung stehenden Göttergeschichten von Homer und Hesiod erscheinen vor diesem Hintergrund bereits als eine erst um 800 v. Chr. einsetzende Spätform mythischen Denkens, in der das Symbolsystem – durch seine ästhetische Komponente aus dem engeren religiös-kultischen Zusammenhang gelöst – sich emanzipiert und zur Mythologie wird. Die „Mythologie“ ist bereits Teil einer Aufklärungsbewegung und steht nicht im Gegensatz zur gleichzeitig entstehenden griechischen Philosophie. Die griechische Mythologie ist mithin nicht archaisch, sondern markiert den Beginn der modernen Mythos-Rezeption. Wolfgang Asholt (Osnabrück) Von der (vorläufigen?) Notwendigkeit des Avantgardemythos (Abstract lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.) Michael Schwarze (Eichstätt) Klassische Mythologie im secondo dopoguerra: Cesare Paveses Dialoghi con Leucò Im Werk von Cesare Pavese (1908-1950) ist der Mythos allgegenwärtig. So inszenieren seine Romane des „realismo mitico“ wiederholt die Notwendigkeit des Unmöglichen, indem sie den überzivilisierten Großstädter die heilsversprechende Rückkehr in das rurale Ambiente der Kindheit als verlorenes Paradies erleben lassen. Es herrscht dort eine archaische Grausamkeit, die dem modernen Kulturmenschen unerträglich ist und ihm jegliche (Wieder-) Beheimatung unmöglich macht – was ihm bleibt, ist ein Dasein im Zustand endgültiger ‚Differenz’ (von der Stadt wie vom Land, von der Kindheit wie der Erwachsenenwelt). Diese Zusammenhänge sind bekannt. Sie bilden den Hintergrund, vor dem hier ein weniger prominentes Beispiel Pavesescher Mythosarbeit analysiert werden soll: Es handelt sich um eine von Hesiods Theogonia ausgehende re-écriture klassischer Mythologie, welche 441 der Autor 1947 veröffentlichte – zu einem Zeitpunkt also, da die politisch-ideologische Instrumentalisierung unterschiedlichster Mythen durch das faschistische Regime in der italienischen Gesellschaft noch allgegenwärtig war und Pavese selbst sich im Geiste der „resistenza culturale“ engagierte. Der Vortrag will der Frage nachgehen, wie diese pointierte Wende zur Mythologie zu begreifen ist. Die mythopoietische Praxis unseres Autors – so die Hypothese – steht hier für ein Konzept, das der griechischen Mythenerzählung aufgrund ihres Symbolcharakters ein generatives Potential zumisst. Die neuen Mythenerzählungen aber, die den symbolischen Gehalt des klassischen Mythos aktualisieren, besitzen im historisch-diskursiven Rahmen ihrer Entstehung einen spezifischen Erkenntniswert. Worin er für Pavese grundsätzlich bestand und wie er mit Blick auf den literarischen Umgang mit dem Ventennio nach 1945 gedeutet werden kann, wird u.a. Gegenstand der Erörterungen sein. Silke Segler-Messner (Stuttgart) Die Résistance als Mythos im französischen Zeugendiskurs der Nachkriegszeit Erst fünfzig Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs erscheint in Frankreich ein Text, der sich mit den Folgen der Occupation für die Konstitution nationaler Identität auseinandersetzt. Henry Roussos Studie Le syndrome de Vichy: de 1944 à nos jours zeichnet in einer umfassenden Perspektive die Entwicklung des nationalen Gedächtnisses unter dem Aspekt der Rückkehr des Verdrängten nach. Ausgehend von der Hypothese, das Vichy-Regime bezeichne das kollektive Trauma Frankreichs nach 1945, beschreibt Rousso drei Phasen der Vergangenheitsbewältigung. Im Anschluss an den Wiederaufbau (1944-1954) dominiert zwischen 1954 und 1971 die Etablierung und Glorifizierung des Résistance-Mythos, der die Erinnerung an Vichy verdrängt und die französische Beteiligung an den Verfolgungen und Deportationen minimiert. Zwischen 1971 442 und 1974 lässt sich dann ein Bewusstseinswandel konstatieren, der zu einer Revision der Geschichte führte, die bis in die Gegenwart andauert. Den Ausgangspunkt meiner Analyse des Résistance-Mythos als Legitimationsstrategie nationaler Identitätsbildung konstituiert die Relektüre der Texte der zurückgekehrten Deportierten. Parallel zu den Diskussionen um den Begriff des literarischen Engagements erfährt der Augenzeugenbericht nach 1945 eine unverkennbar ideologische Aufladung. Er avanciert zum Medium einer politischen Stellungnahme gegen den Nationalsozialismus und tritt für die Rehabilitierung humanistischer Ideale ein. Der Zeuge, der aufgrund seiner politischen Tätigkeit verhaftet, gefoltert und in die Konzentrationslager transportiert worden ist, wird in diesem Zusammenhang zum Exemplum nationalen Widerstands. Die Beobachtung, dass die so genannten Vernichtungslager mit ihren Gaskammern und Krematorien in erster Linie für die Ermordung der europäischen Juden erbaut worden sind, wird zugunsten der Begründung eines kollektiven Gedächtnisses des französischen Widerstands unterdrückt. Die Dekonstruktion des RésistanceMythos beginnt erst in dem Augenblick, in dem der trügerischer Eindruck der Homogenität der Opfer der Wahrnehmung ihrer Diversität weicht und bald von dem Diskurs über die Einzigartigkeit der Shoah überdeckt wird. Anhand exemplarischer Beispiele möchte ich die unterschiedlichen Strategien untersuchen, die dem Zeugentext bei der Bewältigung nationaler Geschichte zur Verfügung stehen. Paul Geyer (Bonn) Romanistik und Europäische Gründungsmythen Den Begriff des Gründungsmythos prägt immer schon eine paradoxe Als-Ob-Struktur. Er ist gezeichnet vom Scheitern der Alten und Neuen Mythologien im 18. und 19. Jahrhundert und trägt geradezu ostentativ die Konnotation fiktiver Projektion vor sich her. 443 Dennoch gibt er seinen Anspruch, Verbindlichkeiten zu schaffen, nicht auf. Gerade dadurch aber eignet sich der Begriff des Gründungsmythos besonders gut, um den Prozess pro- und retrospektiver Sinnprojektion in der Konstruktion post- und supranationaler ‚Identitäten’ zu fassen. Zu fragen wäre, welche vergangenen Verbindlichkeiten die Romanistik als Literatur- und Kulturwissenschaft der Europa-Idee noch anbieten kann und will. Odile Bombarde (Paris) La psachanalyse comme mythe au XXe siècle (Abstract lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.) Beatrice Baldarelli (Eichstätt) Pasolini und die Atriden Kaum ein anderer italienischer Autor der Nachkriegszeit kann die Formel „Unausweichlichkeit des Mythos“ für sich so sehr beanspruchen wie Pasolini, dessen Vorliebe für die mythischen Sagen der griechischen Antike in der klassisch-humanistischen Bildung, aber auch in einer tiefen emotionalen Verwandtschaft mit seinen Hauptfiguren wurzelt. Vor allem der Mythos um Agamemnon, Orestes und Elektra scheint ihn zu reizen, wie die Übersetzung der äschyleischen Oresteia für Gassman, die Tragödie „Pilade“, und der Dokumentarfilm „Appunti per und Orestiade africana“ zeigen. Pasolini bemüht sich, den Atridenstoff gezielt rein politisch zu interpretieren und darzustellen, und begreift den Mythos, ausgehend von der von Äschylos geprägten Tradition, in erster Linie als lebendiges Instrument der politischen und sozialen Deutung der jüngsten italienischen Geschichte sowie des Schicksals des ‚Entwicklungskontinents’ Afrika. Doch ungeachtet der Intentionen des Autors übernimmt der Atridenmythos in seinen Inszenierungen weitergehende und signifikantere Funktionen. Der Beitrag wird den Versuch unternehmen, weniger erforschte Aspekte seiner 444 Verwendung zu beleuchten: Dabei wird es insbesondere um den Mythos als existentialistischen Schlüssel zum Menschsein und als Instrument der Reflexion über Mythopoiesis und Mythendeutung gehen. Werner Helmich (Graz) Mythosdenunziation bei Barthes und Torrente Ballester Es geht darum, an zwei literarisch gewichtigen und historisch hinlänglich überblickbaren Beispielen zu zeigen, wie breit auch unter der einengenden Voraussetzung eines negativen und weiten, d.h. nicht auf die tradierten Mythen beschränkten Mythosbegriffs — der Mythos als das Alte Falsche, da Repressive, gerade auch in neuem Gewand — die Skala literarischer Realisierungsformen einer écri ture ist, die sich als aufklärerische Mythoskritik versteht. Die Namen Roland Barthes (1915–1980) und Gonzalo Torrente Ballester (1910–1999), die der Literarhistoriker ansonsten trotz ihrer Zugehörigkeit zu einer Generation und ihrer gemeinsamen Affinität zu metaliterarischen Fragen — Torrente hat lange Jahre in den USA gelehrt und zahlreiche literaturgeschichtliche und literaturtheoretische Werke publiziert — kaum in einem Atemzug zu nennen gewohnt ist, stehen hier metonymisch für zwei in mehr als einer Hinsicht gegensätzliche Varianten der literarischen Mythosdenunziation in der europäischen Romania der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die beiden Autoren schreiben 1. aus einer nach herkömmlichem Verständnis diametral entgegengesetzten ideologischen Position (marxistisch und materialistisch vs. bürgerlich-konservativ und katholisch), 2. mit unterschiedlichem terminologisch-methodologischem Hintergrund (strukturelle Mythenforschung und Semiotik vs. anthropologische und fiktionstheoretische Überlegungen) und 3. in verschiedenen literarischen Ausdrucksformen (kulturkritische Essayistik vs. avantgardistische Erzählfiktion). Die zentralen Texte im Falle Barthes sind die Essays Mythologies und Le Mythe, aujourd’hui, 445 beide 1957 erschienen, bei Torrente vor allem die Romane Don Juan (1963) sowie die der sogenannten „trilogía fantástica“ La saga/fuga de J. B. (1972), Fragmentos de Apocalipsis (1977) und La isla de los jacintos cortados (1980). Der historische Abstand bezieht sich gerade bei diesem Thema nicht allein auf den schieren Zeitverlauf seit dem Erscheinen, sondern mehr noch darauf, dass die weltanschaulichen Prämissen der Autoren durch die inzwischen eingetretenen Veränderungen eher aus einer neutral-wissenschaftlichen Außenperspektive betrachtet werden können als zur Abfassungszeit ihrer Texte. Natürlich gibt es nicht nur diese beiden Realisierungsformen; um aber bei grundsätzlich als erkenntnisfördernd erwünschter kontrastiver Darstellung doch ein Minimum an Einzeltextzuwendung zu ermöglichen, scheint es günstig, den Vergleich auf zwei Textkorpora zu beschränken und andere Autoren, die im Rahmen der gleichen Prämissen im einzelnen abweichende Positionen vertreten, nur gelegentlich ergänzend anzuführen. Gerade für den neueren spanischen Roman liegt hier durch die Arbeiten von Mariano López López, El mito en cinco escritores de posguerra (1992) und anderen Kritikern viel nützliches Material vor. Als Erkenntnisziel ergibt sich aus der Analyse der unterschiedlichen schreibpraktischen Folgerungen aus der eingangs skizzierten Mythoskonzeption die Konstituierung zweier relativ eigenständiger und verallgemeinerungsfähiger Poetiken der Mythosdenunziation — kritische Mythosanalyse vs. kritische Mythopoiesis — nach Maßgabe der Verfahren, nach denen man gemeinhin Sekundärund Primärliteratur voneinander trennt. Mechthild Albert (Saarbrücken) Mittelalter-Mythen in der postmodernen Narrativik Der Beitrag beschäftigt sich mit Motiven der Grals- und Artusepik im spanischsprachigen Roman der 1980er und 1990er Jahre. 446 Stephanie Wodianka (Giessen) Der Artushof als (Re-)Import. Zum Aufstieg eines Untergangs-mythos in Literatur und Film der Jahrtausendwende Das Mittelalter hat – inszeniert zwischen Mythos und Geschichte – auch in französischen Romanen und Filmen der Jahrtausendwende Konjunktur. Inwiefern Artus und die Ritter der Tafelrunde dabei im Vergleich mit anderen Mittelalter-Mythen eine besondere Rolle spielen, möchte der Beitrag zeigen. Die Sonderstellung der Matière de Bretagne ergibt sich zum einen daraus, dass es sich hierbei um einen Mythen-Reimport aus dem angloamerikanischen Raum handelt, der sich durch eine neuerdings starke Tendenz zur Historisierung auszeichnet. Zu fragen ist deshalb zunächst nach den möglichen mythopoietischen Verfahren einer französischen ‚Renationalisierung’. Zum anderen resultiert die Sonderstellung des Artushofes aus der Tatsache, dass dieser einen Untergangsmythos repräsentiert: Er impliziert eine (Mytho-)Poetik des Endes, deren literatur- bzw. filmästhetische, aber auch erinnerungskulturelle Konsequenzen im Referat untersucht werden sollen. Eine der zentralen Thesen wird dabei sein, dass der mythopoietischen Inszenierung von Untergang und Ende in den Jahrzehnten um die Jahrtausendwende ein spezifisches Deutungspotential zukommt, das in besonderer Weise die erinnerungskulturellen Bedürfnisse der Jahrtausendwende zu erfüllen vermag und an deren spezifischen Gestaltungsweisen sich auch eine französische (Wieder)Aneignung des Artushofes aufzeigen lässt. Ulrich Winter (Marburg) Erzählung des Mythos und Mythos der Erzählung: Bürgerkrieg und Diktatur im spanischen Roman nach Franco Historische Romane in Spanien entfalten in den 80er und 90er Jahren das Bürgerkriegsthema immer wieder entlang zweier Narrative. Zum einen die Erzählung von Unterdrückung und Befreiung: der 447 Krieg wird zur Urszene des franco-faschistischen Traumas, er mündet in ein vier Jahrzehnte währendes nationales Drama mit glücklichem Ausgang. Zum anderen der tragische Bruderzwist, dem das Versprechen der Versöhnung eingeschrieben ist. Das weitgehend invariante narrative Substrat und die Funktion gesellschaftlicher Selbstverständigung lassen Bürgerkrieg und Frankismus in literarischen Darstellungen die Züge eines Mythos annehmen. Wenn es zutrifft, dass sich die literarische Verhandlung des Frankismus an diesen Narrativen abarbeitet, dann stellt sich – jenseits eines mythenkritischen oder erinnerungspolitischen Interesses an dem Verhältnis von Darstellung und historischer Wirklichkeit – vor allem die Frage nach dem literarischen Bild dieses Mythos. Dieses Bild selbst erklärt sich zunächst aus dem gesellschaftlichen Verständigungsbedarf über Vergangenheit, der gerade an Literatur als einer Kulturtechnik unter anderen (Film, Fernsehen, Presse) herangetragen wird. Näher zu befragen sind dann jedoch die spezifisch narratologischen Möglichkeiten und Grenzen literarischer Mytho-Logie, die diese Funktionalität umsetzen, z.B. das filmische Schreiben bei Antonio Muñoz Molina als Chiffre irrealer Vergangenheit oder der Einsatz einer kollektiven Erzählstimme als Abbild versöhnter Geschichte bei Manuel Rivas. Ausgehend von der Unterscheidung dreier Diskurstypen fiktionalen Schreibens – Erzählen, Beschreiben und Argumentieren – lässt sich zeigen, dass die literarische „Arbeit am Mythos“ von Bürgerkrieg und Frankismus in einer je nach Autor bzw. Werk unterschiedlichen Gewichtung und gegenseitigen (De-)Stabilisierung der Dimensionen (a) Handlung / Narrativität (dem ursprünglich ‚mythischen’ Verfahren des Erzählens mithin), (b) nicht-narratives Bild und (c) Wertehorizont zu Tage tritt. 448 Sonja Kral (Wien) Nationale Mythen der Spanier – Textuelle Inszenierung in Geschichte und Gegenwart Das griechische Wort Mythos bedeutet ursprünglich ‘Erzählung’. Wenn wir heute über Mythen sprechen, so meinen wir damit häufig die Götter- und Heldengeschichten der klassischen Antike, noch häufiger aber vermutlich Mythen als ätiologische Erzählungen, die die Entstehung einer bestimmten Lebenswelt konstruieren, ohne für uns als moderne Menschen noch begründbar zu sein. Nach der Herausbildung der europäischen Nationalstaaten im 19. und 20. Jahrhundert hat sich eine symbolische Bedeutungskomponente der Mythen als besonders wirksam erwiesen: Der sogenannte nationale Mythos als historisch mehr oder weniger belegbare Geschichte mit häufig verklärenden Elementen kann spätestens seit dieser Zeit als ein Identitätsmerkmal par excellence von Nationen gelten, wie rezente einschlägige Publikationen zeigen. Der vorliegende Beitrag möchte am Beispiel Spaniens rekonstruieren, auf welche Weise nationale Mythen als willkürlich aus den Fakten einer Nationalgeschichte gefilterte Erzählungen von Episoden im kulturellen Gedächtnis der Völker gespeichert, tradiert und nach 1945 medialisiert werden. Dabei liegt der Schwerpunkt der Darstellung auf den narrativen Strategien und Strukturen der Mythen und ihrer Umsetzung in Texten. Als Materialien fungieren dabei spanische historiographische Texte und Kulturgeschichten sowie Berichte aus der aktuellen Presse. Ziel des Beitrags ist es letztendlich, die historisch konstante Wirkung und damit zeitgenössische Aktualität von nationalen Mythen im Rahmen einer globalisierten europäischen Gesellschaft herauszustellen. Literatur: Abbott, Porter: Introduction to Narrative. Cambridge: CUP 2002. Flacke, Monika (Hrsg.): Mythen der Nationen. Ein europäisches Panorama. München: Koehler & Amelang 22001 (11998). 449 Flacke, Monika (Hrsg.): Mythen der Nationen. 1945 - Arena der Erinnerungen. Mainz: Zabern 2004 (2 Bände). Metzeltin, Michael / Thir Margit: Erzählgenese. Ein Essai über Ursprung und Entwic klung der Tex-tualität. Wien: Drei Eidechsen 21998 (11996). Metzeltin, Michael: Kognitive, gesamtmediale, politische Anthropologie. Ein neuer Ansatz zur Kulturanthropologie. Wien: Drei Eidechsen 2001. Metzeltin, Michael: Nationalstaatlichkeit und Identität. Ein Essay über die Erfindung von National-staaten. Wien: Drei Eidechsen 2000. Nöth, Winfried: Handbuch der Semiotik. Stuttgart: Metzler 22000 (11985). Smith, Douglas Anthony: National Identity. London: Penguin 1991. Laetitia Rimpau (Frankfurt/M) Robinson im Meer der Erkenntnis. Michel Tournier, J.M.G. Le Clézio und Umberto Eco „Der Schiffbruch, als überstandener betrachtet“, schreibt Hans Blumenberg, „ist die Figur einer philosophischen Ausgangserfahrung“. In ihr stellen sich die Totalität des Lebens und die „Selbsterfahrung des Dichters“ dar. Diese Grundgedanken, die Blumenberg in Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher (1979) formuliert, bilden den Ausgangspunkt, über einen literarischen Mythos nachzudenken, der Anfang des 18. Jahrhunderts entstand: den Robinson-Mythos. Am Beispiel von drei Romanen (der französischen und italienischen Gegenwartsliteratur) – Vendredi ou les Limbes du Pacifique (1969) von Michel Tournier, Le chercheur d’or (1985) von Jean-Marie Gustave Le Clézio und L’isola del giorno prima (1994) von Umberto Eco - sollen Formen und Funktionen der modernen und postmodernen „Arbeit am Mythos“ vorgestellt werden. Vor dem Hintergrund einer Infragestellung des aufklärerischen Vernunftbegriffs (Tournier, Le Clézio) und dem Spiel mit kulturellen Konventionen (Eco) wird die mythische Struktur der Texte zum neuen Sinnträger. Bedeutsam sind in diesem Zusammenhang das Inselparadigma, d.h. das Meer als Denkraum, und die Gattungsfrage. Denn in allen hier behandelten Texten werden die Grenzen zwischen Rei450 sebericht und Roman, zwischen Wahrheit und Fiktion fließend. „Robinson“ verkörpert die von Blumenberg angesprochene „Daseinsmetapher“: Indem er gezwungen ist, sich Schritt für Schritt die Welt zu erschaffen, erfindet er auch sich selbst - Selbstverlust und Selbstsuche bedingen einander. Dieser Prozess vollzieht sich vor allem im Medium der écriture. Alle drei Gestrandeten sind auch Schreibende, sie verfassen Texte, finden sie vor oder überschreiben sie: Das Palimpsest der (wieder)gefundenen Schrift wird zum Zeichen einer „poetologischen Daseinsmetapher“ - für die Figur, aber auch für das Autor-Ich. Susanne Kleinert (Saarbrücken) Mythencollage im italienischen postmodernen Roman: Carmen Covitos Del perché i porcospini attraversano la strada (1995) In ihrem Roman Del perché i porcospini attraversano la strada kombiniert Carmen Covito den in der Ich-Erzählerin verkörperten AriadneMythos mit dem Don-Juan-Mythos. Der Protagonist, ein spanischer Tänzer, erarbeitet mit seiner Truppe ein experimentelles DonGiovanni-Ballett, dessen Aufführung die Rahmenebene für einen Rückblick auf die Beziehungsgeschichten der Figuren bildet. Der Mythenbezug steht bei Covito einerseits im Zeichen einer Reflexion über Veränderungen der Geschlechterrollen und über das Thema Liebe versus Verführung, andererseits einer metafiktionalen Erkundung der Faszination von Theater und Kunst. Darüber hinaus wird der Vortrag auf Variationen des mythischen Substrats, Überschneidungen mit anderen intermedialen Referenzen – z. B. auf den Carmen-Film von Carlos Saura – und auf den ironischen Gestus der Mythencollage eingehen. 451 Susanne Hartwig (Potsdam) Sisyphe.com – Frédéric Beigbeders Mythos der Mythenbildung Die Entstehungsgeschichte des Bestsellers 99 Francs (Grasset 2000) des französischen Shooting-Stars Frédéric Beigbeder ist ein beeindruckendes Beispiel für erfolgreiche Selbststilisierung eines Autors im 21. Jahrhundert. Der Roman denunziert Werbung als erstickende Mythenproduktionsmaschine, die lediglich Manipulation zum Ziel habe, legt sie doch den Akzent nicht etwa auf den sinnstiftenden, sondern eher auf den ‚ökonomischen‘ Aspekt von Mythen: Diese können und sollen als symbolische Verdichtungen aufgrund der Prägnanz ihrer Aussagen und dank ihres hohen Wiedererken nungswertes sowie ihrer gesellschaftsübergreifenden Verbindlich keit gezielt verkaufsfördernde Botschaften in komprimierter Weise transportieren. Das Pamphlet gegen die Gesellschaft der totalen Vermarktung – das in einer selbstreferentiell-ironischen Schleife seine eigene Vermarktung gleich mitbeschreibt – beruht indes auf eher altmodischen Grundwerten und Binäroppositionen wie gut/böse, natürlich/künstlich, gesund/schädlich. Ist Beigbeders Erfolgs roman letztlich die Fortschreibung eines (Meta-)Mythos über Mythen? Wie funktioniert Mythenbildung im Zeitalter der Globalisierung? Welche Funktion übernimmt sie als Ausdruck ‚kultureller Kompetenz‘ in der Gesellschaft? Und inwiefern ist ein ‚Mythos zweiter Ordnung‘ als Selbstwiderspruch ein Mittel uneigentlichen Erzählens? Diese Fragen sollen anhand von 99 Francs und unter Rückgriff auf weitere Texte des Autors (Vacances dans le coma, Grasset 1994; Windows on the World, Gallimard 2003) erörtert werden. Claudia Jünke (Bonn) ‚La hora de los valientes’? – Mythos und Geschichte in aktuellen filmischen Rekonstruktionen des spanischen Bürgerkriegs Betrachtet man die aktuelle Kinolandschaft in Spanien, so wird einer der Schwerpunkte von der Gattung des historischen Films 452 gebildet, wobei insbesondere die Zeit des Bürgerkriegs und der Francodiktatur im Zentrum des Interesses steht. Die filmische Beschäftigung mit der jüngeren Vergangenheit ist im Kontext einer erinnerungskulturellen Umbruchsituation zu verorten: Während in den ersten postfranquistischen Jahren tendenziell ein kollektives Vergessen den Weg zur Demokratie ebnete, ist inzwischen das Bedürfnis nach Erinnerungsarbeit in den Vordergrund gerückt. Anhand von ausgewählten Beispielen – zu denken wäre etwa an Libertarias (V. Aranda 1996), La hora de los valientes (A. Mercero 1998), Silencio roto (M. Armendáriz 2001), Soldados de Salamina (D. Trueba 2003), El lápiz del carpintero (A. Reixa, 2003) – wird der Vortrag zeigen, inwiefern sich im historischen Film im Gegenwartsspanien die Geschichtsdarstellung mythopoietischer Praktiken bedient. ‚Mythos’, verstanden als sinnproduzierendes Verfahren der Komplexitätsreduktion, Dekontextualisierung, Universalisierung und Enthistorisierung, fungiert hier – etwa unter Rückgriff auf Deutungsmuster wie die Opposition ‚gut’/‚böse’ oder die Schaffung von Heldenfiguren – als Strategie kollektiver retrospektiver Sinnstiftung. Drei Aspekte scheinen in einer solchermaßen fokussierten Untersuchung des aktuellen historischen Films in Spanien besonders interessant und sollen im Vortrag erörtert werden: (1) die Dialektik von Mythos und Geschichte, (2) die Funktion des Mythos als Erinnerungsträger, (3) die Funktion dieser spezifischen Geschichtsaneignung innerhalb der spanischen Gegenwartskultur, einer Geschichtsaneignung, die sich unter anderem dadurch auszeichnet, dass sie auf mythokritische Kommentare weitgehend verzichtet. 453 Wissen, wie Frankreich funktioniert Entdecken Sie Frankreich neu Dieses Lexikon bietet Ihnen umfassende Hintergrundinformationen zu Ereignissen aus Geschichte, Politik und Kultur. Sie erhalten Daten und Fakten zu Organisationen und Institutionen aus Wirtschaft, Bildung und Medien. Erneuern Sie Ihr Wissen und vertiefen Sie Ihre Kenntnisse über gesellschaftsund kulturpolitische Aspekte des gegenwärtigen und vergangenen Frankreichs. Frankreich Lexikon Schlüsselbegriffe zu Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Geschichte, Kultur, Presse- und Bildungswesen Von Bernhard Schmidt, Jürgen Doll, Walther Fekl, Siegfried Loewe und Fritz Taubert 2., überarbeitete Aufl age 2005, 1.224 Seiten, fester Einband, € (D) 128,–/ sfr. 202,–, ISBN 3 503 06184 3 Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Kultur Renommierte Fachkenner haben alle Fakten aktuell und solide für Sie aufbereitet. Karten, Tabellen und Register erleichtern Ihnen den Überblick. Sie müssen nicht mehr unter Zeitdruck Informationen aus verschiedenen Quellen zusammentragen. Dank zahlreicher Querverweise können in diesem Kompendium schnell die überraschendsten Zusammenhänge erschlossen werden. Viele Einträge sind mit Internetadressen versehen, die Sie zu den aktuellsten Entwicklungen und Geschehnissen führen. www.ESV.info/3 503 06184 3 Weitere Informationen zu unserem philologischen Verlagsprogramm finden Sie auf unserer Website: www.ESV.info ES erich schmidt verlag [email protected] www.ESV.info Postfach 30 42 40 10724 Berlin Bestell-Fax 030 / 25 00 85-275 ● Frkr-Lex Anz 120 1c.indd 1 20.05.2005 14:58:50 Prozessfarbe Schwarz Sektion 25 Bilderwelten - Textwelten - Comicwelten: romanistische Begegnungen mit der „neunten Kunst“ Leitung: Frank Leinen (Düsseldorf), Guido Rings (Cambridge) Programm Montag, 26.09.05 9.00 Uhr 9.30 Uhr 10.10 Uhr 14.00 Uhr 14.40 Uhr 15.20 Uhr 16.00 Uhr 16.40 Uhr Einführung Véronique Otto (Passau) Les lecteurs de bandes dessinées en Europe Guido Rings (Cambridge) Bilder eines quijotesken Verliebten. Toepffers Les amours de M. Vieux-Boix als Karikatur romantischer Tendenzen Albert Barrera-Vidal (Liège) La bande dessinée et le Moyen Age Anne Begenat-Neuschäfer (Aachen) Hergé: ‘Tintin au Tibet’ Joachim Sistig (Düsseldorf) La BD submergée par les Teutons: Die Inszenierung stereotyper Identitätsmuster zwischen Mainstream und Autonomie während der Occupation Ian Horton (Cambridge) The Persistence of Colonialist Attitudes in Innovative Comic Book Writing Ann Miller (Leicester) L’Oubapo: la bande dessinée se soumet à la contrainte Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr Thomas Amos (Heidelberg) 455 9.40 Uhr 14.00 Uhr 14.40 Uhr 15.40 Uhr 16.20 Uhr 17.00 Uhr La BD à venir. Tendenzen des gegenwärtigen französischen Comics Frank Leinen (Düsseldorf) Spurensuche im Labyrinth. Marc Antoine Mathieus Bandes dessinées zu Julius Corentin Acquefacques als experimentelle Metafiktion Mechtild Bierbach (Düsseldorf) Sprachwelten – Zur Semiose von Onomatopoetika in französischsprachigen Comics Hartmut Nonnenmacher (Freiburg) Autoreferentialität des Mediums und narrative Metalepsen im französischen und spanischen Comic Jessamy Harvey (London) La mística de la feminidad franquista en los cuentos de hadas de los tebeos femeninos Monica Boria (Cambridge) Il Movimento del Settantasette e il fumetto Marina Hertrampf (Regensburg) COMIC-PHOTO-ROMAN: Intermediale Wechselbeziehungen zwischen BD und Photographie im Kontext der Postmoderne Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr 9.40 Uhr Oliver Emanuel (Trier) Das ‚Deutsche‘ und die Deutschen in den Comicwelten von Francisco Ibáñez Susanne Schütz (Halle) Inodoro Pereyra, el renegau ‑ Anmerkungen zu einem argentinischen Anti-Helden Donnerstag, 29.09.05 9.00 Uhr 456 Liliana Ruth Feierstein (Mannheim/Buenos Aires) 9.40 Uhr El proceso: De Kafka a Oesterheld Ricardo Feierstein (Buenos Aires) Estereotipos y racismo en la historieta argentina Abstracts Véronique Otto (Passau) Les lecteurs de bandes dessinées en Europe A l’heure actuelle, qui lit la bande dessinée en Europe ? Quel impact a le neuvième art dans le paysage culturel et dans la vie sociale des Européens ? Dépassant les concepts de réception littéraire et d’intermédialité, on tentera de cerner la réception « humaine », de tracer le lectorat de la bande dessinée dans trois régions linguistiques : française, italienne et allemande. Deux sources complémentaires s’offrent à l’étude : les chiffres officiels de librairie et la présence dans les médias (et particulièrement sur internet) du médium B.D./Fumetto/Comic. Là où l’étude interculturelle peut se heurter aux différences méthodologiques entre différentes statistiques nationales, la médiatisation web de la BD, quantifiée empiriquement mais aussi étudiée qualitativement, donnera lieu à des conclusions fructueuses. Sciemment, et partant du principe que la bande dessinée est un medium moderne dont le lectorat n’a point crainte de s’exprimer sur la Toile, on se penchera ainsi sur les forums électroniques, blogs et e-zines consacrés à la BD pour essayer d’identifier partiellement le lecteur de BD en Europe. Guido Rings (Cambridge) Bilder eines quijotesken Verliebten. Toepffers Les amours de M. VieuxBoix als Karikatur romantischer Tendenzen Die akademische Debatte um den Wert der Bilderromane des Schweizer Autors Rodolphe Töpffer kulminierte unlängst noch 457 einmal im Kontext zweier Jubiläumsfeiern, als 1996 im französischen Angoulême mit Bezug auf das Todesjahr des Schweizers 150 Jahre und in New York unter Verweis auf Richard Fenton Outcaults The Yellow Kid 100 Jahre Comicgeschichte gefeiert wurden. „Töpfferiens“ und „Centenaristes“ lieferten sich hier ausführliche Wortgefechte, die nichts an ihrer Aktualität verloren haben. Mittlerweile hat Töpffer auch seinen Weg in viele Literaturgeschichten gefunden (vgl. Francillon 1997, Junod 1993, Kindler 1988), aber es mangelt an neueren rezeptions- und produktionsästhetischen sowie historisch-soziologischen Arbeiten, die den Bilderroman als literarischen Zerrspiegel soziokultureller Tendenzen erarbeiten könnten (Wegbereiter bleibt Kunzle 1990). Unser Beitrag analysiert die Verzerrungen romantischer Affektmodellierungen in Töpffers erstem Bilderroman, Les amours de M. Vieux-Boix, und versucht damit, etwas zur Füllung der literarästhetischen Forschungslücke beizutragen. Es geht also im Wesentlichen um die Frage: Mit welchen romantischen Leitmotiven bricht der Autor, mit welchen Mitteln, und warum? Dabei sind folgende Arbeitsthesen formulierbar: 1. Für Rodolphe Töpffers Werk ist eine Parodisierung klassischer und romantischer Affektmodellierung charakteristisch. Von daher kann er also kaum als „classique attardé” bezeichnet werden; vielmehr scheint es sich um einen pragmatisch-realistischen Künstler zu handeln, der im Genf der 1830er Jahre eine verbreitete „révolte contre le goût dominant” und „la contestation des frontières des genres” mitmacht (Bridel 1997: 74). 2. Töpffers Vieux-Bois bricht insbesondere mit den Vorstellungen einer idealisierten höfisch-ritterlichen Liebeskonzeption, mit dem tradierten Konzept von Melancholie und Dolorismus als Freiraum des Genies und mit einem romantischen Verständnis, in dem Natur als Ort zur Entwicklung menschlicher Tiefendimension betrachtet wird. Das Recht zur Schwärmerei wird dem Prota- 458 gonisten aber durchaus gewährt, denn seine Geschichtserfahrung ist alles andere als human. Albert Barrera-Vidal (Liège) La bande dessinée et le Moyen Age 1. En guise d’introduction La bande dessinée (ou BD) est une forme de littérature populaire combinant images (dessins) et textes et dont la fonction première est de divertir, de distraire, de faire oublier les soucis du quotidien : c’est avant tout une littérature d’évasion. Mais elle n’a rien de monolithique : c’est au contraire un phénomène complexe et diversifié, dans lequel l’exhaustivité est quasiment exclue. On s’est donc basé sur un corpus qui, au-delà des préférences personnelles, tendra à une certaine exemplarité. On distinguera ici les BD comiques, basées sur l’humour, et les BD dites « réalistes » ainsi que les BD mixtes. En outre, la BD est un « lieu de mémoire » (Pierre Nora) qui, de par son origine populaire, se différencie également en fonction du contexte culturel de la communauté à laquelle elle s’adresse. Trois zones culturelles seront privilégiées : les USA, le monde francobelge, l’Espagne. 2. Le Moyen Age dans la bande dessinée Le Moyen Age (MA) désigne traditionnellement une période de l’histoire occidentale d’un millier d’années (476 - 1453 ou 1492). De toute évidence, le nombre impressionnant de séries à thématique médiévale manifeste une évidente fascination pour le MA. Il existe une certaine affinité entre BD et MA, mais ici, il s’agira de présenter le MA dans la BD. Différents cas de figure seront analysés dans l’usage qui est fait du MA : Simple ingrédient décoratif ou élément constitutif de l’intrigue, située chronologiquement dans cette période lointaine, L’attitude de l’auteur, qui peut osciller entre description rigoureuse et imagination débridée. 459 3. Les principaux culturèmes médiévaux Cette présence du MA se manifeste par la présence de divers signes culturels ou culturèmes : - les personnages représentatifs de la société médiévale (chevalier, dame, seigneur, page, etc.), - les personnages d’un monde merveilleux (mages, fées, ogres, etc.), - les animaux du quotidien (chevaux, destriers, etc.), - les animaux merveilleux (dragons, licornes, etc.), - les objets caractéristiques (armes, armures, etc.), - les lieux typiques (châteaux forts, donjons, etc.), - les signes nobiliaires (armoiries), - les noms évocateurs (roi Arthur, Lancelot, Merlin, Mélusine, etc.), - un langage archaïsant (mais transparent) évoquant l’ancien français. Ces différents objets d’un monde révolu ont valeur de signes. 4. En conclusion : certaines idées du MA Mais de quel MA s’agit-il ? Quelques tendances ressortent du corpus analysé : - La description distanciée d’un MA « historique », avec un certain souci de réalisme et se voulant relativement conforme à l’image qu’en donne l’historiographie (séries historiques publiées dans le magazine Vécu, de Glénat), - La vision d’un MA idéalisé, voire mythifié, servant parfois des objectifs idéologiques (Prince Vaillant, de Harold Foster), - La présentation d’un MA engagé, militant, mis explicitement au service d’une cause (Les cathares, dans Mémoires de cendres de Philippe Jarbinet), - L’invention d’un MA imaginaire sans grand rapport avec l’Histoire réelle, mais exprimant une ambiance médiévale fantastique ou poétique (Thorgal, de Van Hamme), 460 - Un monde fantasmé ou diffusant une esthétique morbide, dite « gothique », La présence d’un MA fantaisiste, déjanté, mais ludique ou parodique, jouant parfois sur les anachronismes (Robin Dubois, de Turk et de Groot), ce qui implique auprès du public une certaine idée diffuse du MA. Anne Begenat-Neuschäfer (Aachen) Hergé: «Tintin au Tibet» Après la lecture de Pierre-Yves Bourdil, proposée en 1985 sous le titre Hergé : Un livre : Titin au Tibet, parue aux Éditions Labor à Bruxelles, et l’ample analyse de Jean Marie Floch, Une lecture de Tintin au Tibet, aux PUF en 1997, tout semble dit sur un album, publié en 1960 - soit trente ans après la genèse du protagoniste – dont l’auteur confessa qu’il le sauverait parmi les premiers. Tintin au Tibet relate l’histoire étonnante d’une amitié qui a son fondement dans la relation réelle entre Hergé et Chang Chongren et décrit bien un voyage au-delà des frontières géographiqes d’abord, rendues infranchissables à cause de la guerre, philosophiques ensuite, puisque le traitement du temps et de l’espace y est tout différent par rapport aux autres albums d’Hergé. Si nous nous décidons à rouvrir néanmoins le dossier de Tintin au Tibet, c’est dans une double perspective, à savoir si, premièrement, cet album peut être considéré comme un accessus à l’œuvre d’Hergé et, deuxièment, dans quelle mesure il contribue à sa literacité. Jochen Sistig (Düsseldorf) La BD submergée par les Teutons: Die Inszenierung stereotyper Identitätsmuster zwischen Mainstream und Autonomie während der Occupation In den verschiedenen Äußerungsformen der massenkulturellen Medien reflektieren sich ideale Wunschformeln, reine Helden und 461 kollektive Psychosen unter der Oberfläche des populären Diskurses. Gattungstypisch fehlen dem Comic zwischen dem absolut Bösen und dem absolut Guten zunächst die Zwischentöne der gebrochenen Charaktere. Die Popularität des Massenmediums basiert auf der Trennschärfe der moralischen Positionen, die dem Leser ein simples Identifikationsmodell antragen und ohne „dialektischen“ Zweifel das unhinterfragbar Gute - an der Seite des solidarisierten Lesers - am Ende (meist) zum Sieg führen. Aus der Zeit der politischen Instrumentalisierung des Comics während des 2. Weltkrieges stammt die vielfach verbreitete Kategorisierung des Comics als Teil der systemkonformen literarischen Subfeldes. Comics sind das Sprachrohr des Mainstreams, tragen aber zum Teil auch zu dessen Entwicklung bei und können dabei einen eigenen autonomen Standpunkt gegenüber dem herrschenden Diskurs entwickeln. Tatsächlich finden sich aber besonders unter den frankophonen Bandes Dessinées und in den illustrés zahlreiche Beispiele für dissidierende ästhetische und ideologische Ansätze, gerade auch aus der Zeit der deutschen Besatzung nach 1940. Die deutsch-französischen Beziehungen sind von einer gegenseitigen Wahrnehmung in Stereotyp-Mustern zwischen den Aggregatzuständen Krieg (der deutsche Landser) und Frieden (der melomane, romantische deutsche Dichter) geprägt. Aus französischer Perspektive besitzt das Deutschlandbild vielfach eine klar definierte Funktion im Rahmen der eigenen Nationalmythologie. Der „Deutsche“ ist auch nach dem Krieg ein Standard-Motiv im Repertoire französischer und belgischer BD-Autoren geblieben. In vielen bekannten Serien widmet sich ihm mindestens eine Episode (Astérix, Spirou, Tintin, Yoko Tsuno, Blueberry, Michel Vaillant, La patrouille des Castors etc.). 462 Ian Horton (Cambridge) The Persistence of Colonialist Attitudes in Innovative Comic Book Writing The presence of colonialist attitudes in some comic books, Tintin and Asterix for example, have been noted. Other European examples from the middle decades of the twentieth century also promoted such a viewpoint. In a British context a range of characters that appeared in comics such as The Eagle, Victor, Valiant and Hotspur displayed colonialist attitudes and many stories were set in historical colonialist scenarios. This can, in part, be explained by the general focus on issues of national identity after the Second World War but it is perhaps more difficult to account for the persistence of these attitudes in contemporary comic book writing. This paper explores this continuity in values by examining a range of European comic books from the middle of the 20th century and comparing these with later works by the English writer Alan Moore and the French artist-writer Jean ‘Moebius’ Giraud. An examination of the comic books turned graphic novels Watch men (1986, artist Dave Gibbons) and The League of Extraordinary Gentlemen (1999-2003, artist Kevin O’Neill) by Moore shows that the narrative structure and visual languages employed are innovative and playfully engage with comic book genre stereotypes. In addition they reference many other sources of popular literature ranging from Victorian posters and novels to contemporaneous advertising campaigns. Giraud’s comic books Lieutenant Blueberry (1963, co-creator Jean-Michel Charlier) and Upon a Star (1983) similarly subvert genre stereotypes and employ innovative narrative structures. However, despite their radical nature these comic books also contain colonialist features and this paper will explore this tension and its underlying causes. 463 Ann Miller (Leicester) L’Oubapo : la bande dessinée se soumet à la contrainte Depuis la fondation de l’Oulipo à Cerisy en 1960, de nombreux Ou-X-po basés sur des arts autres que la littérature ont vu le jour. Ce fut également à Cerisy, en 1987, qu’un groupe d’artistes et de chercheurs conçurent l’idée d’étendre cette initiative à la bande dessinée. La constitution officielle de l’Ouvroir de Bande Dessinée potentielle eut lieu en 1992, lors d’une réunion du comité de rédaction de l’Association, la plus influente des maisons d’édition indépendantes qui s’établirent au début des années 1990, dans le but d’encourager l’épanouissement d’une bande dessinée d’auteur. Parmi d’autres types d’expérimentation artistique, les auteurs de l’Association entreprirent des explorations selon le modèle oulipien d’une littérature à contraintes. Le cadre théorique dans lequel les oubapiens poursuivirent leurs recherches fut élaboré par Thierry Groensteen dans un article qui parut dans le premier recueil de travaux oubapiens publié en 1997. Groensteen dresse une liste de contraintes génératrices et de contraintes transformatrices qui ont déjà servi ou qui pourraient servir de point de départ à des exercices oubapiens. Dans mon exposé seront examinés des exemples de bandes dessinées créees depuis 1997 à partir de deux types de contrainte. Je soutiendrai que les contraintes génératrices, en exacerbant ou en limitant les mécanismes signifiants du média, permettent une mise en valeur de ceux-ci et contribuent donc à une stratégie de légitimation. Cette stratégie transparaît de façon plus paradoxale au travers des contraintes transformatrices, par moyen desquelles des albums classiques de l’âge d’or franco-belge sont impitoyablement soumis à des opérations qui les obligent à dévoiler des significations latentes, dans un double geste de répudiation et de réappropriation. En tout cas, la lumière jetée sur les ressources formelles de la bande dessinée par l’application de ces deux types de contraintes 464 ne devrait plus laisser de doute quant à son potentiel expressif et artistique. Thomas Amos (Heidelberg) La BD à venir. Tendenzen des gegenwärtigen französischen Comics Bestrebt, den Comic aus einer seit Jahren andauernden Krise herauszuführen, ihn zu erneuern und ihm neue Leserschichten zu erschließen, unterziehen seit einigen Jahren französische ComicKünstler das totgesagte Medium radikalen Veränderungen. Für den textuell-inhaltlichen Teils sind das u. a. die Vermischung der Genres, die Verbindung von „hohen“ und para-literarischen Formen und Inhalten sowie Selbstreferentialität und Intertextualität. In noch größerem Maße jedoch hat sich die graphische Gestaltung des Comics gewandelt, das reicht von kunsthistorischen Zitaten und Verweisen, intermedialen Bezügen und Kombinationen verschiedener Stile und Techniken bis zum Bild als para-textuellem Element. Insgesamt findet eine Entwicklung zu einer anspruchsvollen und eigenständigen Kunstform, zum Art-Comic statt. Anhand mehrer Fallbeispiele der gegenwärtigen französischen Comic-Szene wird gezeigt, wie Text und Bild innovativ zusammenwirken und somit die Möglichkeiten des grundsätzlich intermedial angelegten Medium Comic demonstrieren. Frank Leinen (Düsseldorf) Spurensuche im Labyrinth. Marc Antoine Mathieus Bandes dessinées zu Julius Corentin Acquefacques als experimentelle Metafiktion Seit 1991 machte Marc Antoine Mathieu die erträumten, traumhaften, aber auch traumatischen Erlebnisse seines Protagonisten Julius Corentin Acquefacques zum Thema seiner bislang fünf Bände über den „prisonnier des rêves“. Da in Traumwelten die Grenze zwischen Möglichem und Unmöglichem aufgehoben wird, experimentiert Mathieu in diesen Büchern mit den Normen und 465 Codes des Genres. Durch das Paradox einer Aufhebung und analogen Bestätigung von Oppositionen, Spiegelungen, durch durchbrochene Bildfelder, spiralförmige Strukturen, Mischungen von Bild und Photo sowie unerwartete optische Effekte tut sich ein beunruhigendes, zugleich aber durch die Poesie des Undenkbaren reizvolles Universum ohne Fluchtpunkte auf. In ihm werden die graphischen ebenso wie die narrativen Codes des Mediums Bande dessinée permanent relativiert und konterkariert. Zugleich offenbart sich durch zahlreiche Anspielungen der bibliothekhafte und labyrinthische Charakter des imaginierten Universums, das sich aus unendlich ineinander verschachtelten Texten und Bildern zusammensetzt. Wie der systematisch desorientierte Leser, so entdeckt auch dessen alter ego Acquefacques – das phonetische Palindrom ist für sich genommen bereits sehr aussagekräftig – die totalisierenden Zwänge, denen seine Existenz unterliegt. Diese werden aber zugleich träumend aufgelöst, um im Sinne einer „mise en abyme“ sogleich neuen Unwägbarkeiten Raum zu geben. Mathieus „Bandes dessinées“ erscheinen aufgrund dieses Arrangements als Sinnbilder der postmodernen Befindlichkeit des Menschen. Detailanalysen sollen zu erkennen geben, wie jedes Album der Serie auf seine Weise Spezifika der „Bande dessinée“ metafiktional umspielt und hierbei neue Perspektiven schafft. Mathieus Bände „L’origine“, „La Qu...“, „Le Processus“, „Le Début de la fin“ sowie „La 2,333e dimension“ erweisen sich hierbei als „livres-objets“, welche die von ihnen vermittelte Weltsicht nicht nur narrativ und graphisch, sondern auch im Raum materialisiert widerspiegeln. Ein weiteres Anliegen des Vortrags besteht darin zu illustrieren, von welch großer philosophischer Aktualität die von Mathieu inszenierten Denkanstöße sind. 466 Mechtild Bierbach (Düsseldorf) Sprachwelten – Zur Semiose von Onomatopoetika in französischsprachigen Comics „Ein extrem einfacher Code erscheint beispielsweise in Comics: ‚gluck gluck’, ‚grrrr’, ‚ächz’ – keine Flexion, eingeschränkter Wortschatz, keine syntaktische Subordination“, dieses Zitat aus der FAZ vom 11.03.04 belegt eine weit verbreitete Meinung über die verarmte und defizitäre Sprache in Comics. Nicht ganz zufällig wird dies mit sprachlichen Elementen belegt, die sich in der Tat herkömmlichen Kategorien grammatischer Beschreibung weitgehend entziehen: nämlich die Onomatopoetika, die ganz ähnlich wie die Interjektionen jede systematische Sprachbeschreibung vor schwierige Aufgaben stellen und daher gerne als „Restkategorie“ ausgesondert werden. Die Verwendung von Sprachzeichen „minderer“ Qualität diskreditiert dann leicht auch gleichzeitig die Texte und Textgattungen selbst, die mit sprachlichen Zeichen des Typs pouf, vlan, toc-toc so intensiv arbeiten, wie Comics es tun. Ziel des Beitrags ist es, auf zeichen- und kommunikationstheoretischer Grundlage 1. eine Charakteristik von Onomatopoetika zu geben und 2. ihre spezifische Leistung, auch und gerade in Comics zu untersuchen. Es wird sich zeigen, dass dank ihrer Verwendung eine medial ganz einzigartige Kommunikationsstruktur zustande kommt. Abschließend werden wir 3. versuchen, einen Einblick in die unterschiedlichen Intensitätsgrade zu geben, mit denen im Verlauf der Entwicklung französischsprachiger Comics von diesem Mittel Gebrauch gemacht wurde. Möglicherweise bietet sich damit ein Kriterium, das es erlaubt, typologische Unterscheidungen innerhalb der Comics zu treffen, je nachdem, ob sie mit Hilfe der Onomatopoetika ganz bestimmte Kommunikationsstrukturen aufbauen oder darauf verzichten. 467 Hartmut Nonnenmacher (Freiburg) Autoreferentialität des Mediums und narrative Metalepsen im französischen und spanischen Comic Es fällt auf, dass Schriftsteller (z.B. in Quelques mois à l’Amélie von Denis oder in Roco Vargas von Torres) und Maler (z.B. in Cité Lumière von Benoit oder in Cahiers d’Orient von Ferrandez) sehr viel häufiger als Figuren in Comics auftreten als Comiczeichner selbst. Letzteres ist jedoch zumindest der Fall in Le réseau Madou von Goffin/Rivière, wo ein Comic-Zeichner und ein Comic-begeisterter Junge als Figuren auftreten, sowie v.a. in L’affaire belge des Belgiers Sokal und in den autobiographischen Alben des spanischen Zeichners Carlos Giménez (v.a. Los profesionales), wo sogar explizit die Beschreibung der Lebens- und Arbeitsweise von Comiczeichnern und der Mechanismen des Comic-Betriebs in Brüssel bzw. in Barcelona im Mittelpunkt steht. Fast zwangsläufig mündet die Darstellung von Comiczeichnern als Figuren auch in eine direkte oder indirekte Thematisierung des Aktes der Comic-Produktion selbst. Beispiele für eine solche sozusagen formale Autoreferentialität des Mediums finden sich nicht nur in den oben genannten drei Werken, sondern punktuell auch bei anderen Comic-Autoren. Fast alle diese Beispiele lassen sich mit Genette auf den Begriff der Metalepse bringen, d.h. es liegen Vermischungen verschiedener Erzählebenen oder Erzählerstimmen vor. So können extradiegetische und diegetische Erzählebene überlappen, was zum bildlichen Nebeneinander von Autor und Figur führt (z.B. in El manantial de la noche von Prado oder an verschiedenen Stellen bei Gotlib sowie in Spiegelmans Maus), auch der Zusammenfall von diegetischem und metadiegetischem Niveau (z.B. in À la recherche de Sir Malcolm von Fl’och/Rivière) sowie die Verschmelzung der extradiegetischen Erzählstimme mit dem diegetischen Ich-Erzähler als Figur (in Capitán Patapalo von Abulí / Rossi) kommen vor. Es soll ein Überblick über die genannten Formen inhaltlicher und 468 formaler Autoreferentialität des Mediums Comic gegeben und dabei auch untersucht werden, inwiefern v.a. die narrativen Metalepsen auf Techniken beruhen, die spezifisch für das Comic und deshalb in Erzählliteratur und Film nicht anwendbar sind. Jessamy Harvey (London) La mística de la feminidad franquista en los cuentos de hadas de los tebeos femeninos Durante el régimen franquista, distintas editoriales crearon revistas y tebeos dirigidos especialmente a niñas y adolescentes. Estas publicaciones reflejaban el discurso ideológico del régimen en relación a la mujer, que consistia en mantenerla recluida en la esfera privada. Esta ponencia discute como el tebeo femenino proyecta la mística de la feminidad franquista en su narrativa y en su iconografía. Me centraré en particular en el análisis de los cuentos de hadas y encantamientos; un genero que ha sido criticado por plasmar actitudes profundamente tradicionales hacia el género. Propongo, sin embargo, que en estas historietas se pueden encontrar dimensiones ideológicas que expresan las contradicciones de los discursos de género de la epoca. Monica Boria (Cambridge) Il Movimento del Settantasette e il fumetto In Italia gli anni della contestazione studentesca del ’68 prima e del ’77 poi hanno visto un utilizzo ironico e parodico di forme grafiche quali la vignetta, la striscia e il fumetto ai fini della controinformazione e della protesta. Ma gli anni Sessanta e Settanta sono stati anche anni cruciali di rinnovamento stesso del fumetto, con l’arrivo dei fumetti per adulti e di quelli cosiddetti ‘d’autore’. Nel mio intervento, dopo aver fornito un breve quadro storicosociologico, mi concentrerò sul Movimento del Settantasette, di cui poi approfondirò la cosiddetta ‘ala creativa’. Gli slogan e i testi 469 del movimento facevano uso di materiali vari, dai jingles delle pubblicità alla musica pop, dalle riminescenze letterarie classiche ai personaggi dei fumetti. Prenderò in esame la specifica interazione tra il medium del fumetto e il progetto del movimento studentesco, interazione che si caratterizza principalmente come distorsione parodica di testi e autori classici, a fini di satira e di protesta. Ne è un esempio il rifacimento di Stefano Tamburini, sulla rivista Zut, del fumetto per ragazzi Il Signor Bonaventura (creato da Sergio Tofano nel 1917 per Il Corriere dei Piccoli). Il duplice intento di Tamburini era quello di dar voce alla protesta degli studenti e di farsi beffe al contempo di un classico della cultura popolare benpensante. Ma il Movimento è stato a sua volta rappresentato in modo del tutto inedito e originale nelle tavole di Andrea Pazienza, che attraverso il personaggio autobiografico di Pentothal, apparso su Linus nella primavera del 1977, ha dato forma e voce al protagonista di quel movimento, un antieroe ironico che vive tra cortei universitari, viaggi e sogni. Nella seconda parte del mio intervento mi soffermerò dunque sulla prima opera di Pazienza, analizzandone il linguaggio innovativo, sia dal punto di vista del disegno e della scansione delle vignette, che dell’uso della lingua (italiano e dialetto). A conclusione del mio intervento fornirò una breve valutazione sull’eredità che la ricca stagione di sperimentazione e innovazione avviatasi negli anni Settanta ha lasciato dietro di sé. Marina Hertrampf (Regensburg) COMIC-PHOTO-ROMAN: Intermediale Wechselbeziehungen zwischen BD und Photographie im Kontext der Postmoderne Die Ästhetik der Postmoderne kennzeichnet sich durch Heterogenität, Stilpluralismus und die mannigfaltige Suche nach neuen Gestaltungs- und Erzählverfahren. Folge sind verschiedenartigste innovative z.T. experimentelle Hybridformen mediendurchdrungenen Erzählens. In einer von (multi)medial vermittelten visuellen Reizen geprägten Welt muss es quasi zwangsläufig zu Wechselbe470 ziehungen zwischen den einzelnen (Bild)medien kommen. Die statischen Bildgattungen Comic und Photo-Roman weisen starke strukturelle Gemeinsamkeiten auf: So basieren beide etwa auf dem Funktionsprinzip der Ellipse und der aktiven Leserbeteiligung am Rezeptionsprozess. Damit ist die Grundlage für den intermedialen Austausch gegeben. Die an für sich bereits hybride Gattung Comic findet in photographischen Bildern und Motiven diverse neue Ausdrucksmöglichkeiten. Mit dem Siegeszug des Internets als neuem Massenmedium findet auch die BD zu weiteren intermedialen Gestaltungsformen, bei denen es zu einem kompletten Medienwechsel kommt. Aus der Auseinandersetzung des Comics mit der Photographie entstehen neue Genres und Subgattungen, was sich allein an der Bezeichnungsvielfalt ablesen lässt: bande pho tographiée, photo-BD, BD-photo, roman-photo, photo-roman. Ausgehend einschägiger theoretischer Arbeiten zu Intermedialität (Nünning, Rajewsky) und Comic samt seiner Hybride (Baetens, Grivel, Groensteen, Masson, Peeters), werden anhand einzelner Beispiele verschiedene struktuelle Spielarten intermedialer Durchdringung von Comic und Photographie dargestellt. Die Untersuchungen wollen einerseits deren konkrete Funktionen innerhalb des Einzelwerks analysieren, beabsichtigen darüber hinaus jedoch auch eine Kontextualisierung hinsichtlich ihres Bezugs zur Ästhetik der Postmoderne. Näher eingegangen wird dabei auf Arbeiten von J.C-Claeys, E. Guibert, Léandri, M-F. Plissart und B. Peeters, Teulé sowie auf den virtuellen Photo-Roman Toute l’histoire incroyable de Bonin Ouaib le personnage virtuel. Die abschließende Betrachtung von Romanen der minimalistischen Autoren P. Deville und J. Echenoz wird darüber hinaus zeigen, inwieweit auch eine Reihe rein literarische Texte der Postmoderne thematisch und strukturell von Comic und Photographie durchdrungen sind. 471 Oliver Emanuel (Trier) Das „Deutsche“ und die Deutschen in den Bilderwelten von Francisco Ibáñez Die Untersuchung der Entstehung, Verfestigung und Abbildung von nationalen, ethnischen und rassischen Stereotypen ist mittlerweile ein relativ gut erschlossener Bereich innerhalb der Diskurse über Rassismus, Nationalismus, Ethnozentrismus und Kolonialismus im Comic. Die sogenannte ‚neunte Kunst‘ bildet diese Stereotypen mit ihren charakteristischen ästhetischen Mitteln, also Text, Bild und Bildfolge ab. Auf diesen drei Ebenen entwickelt sich im jeweiligen Comic-Diskurs ein ganz spezifisches Stereotypeninventar heraus, dessen Elemente nicht selbstreferentiell sind, sondern auf das nationale, rassische oder ethnische Andere verweisen. Das Stereotyp des „Deutschen“ ist nur eines von vielen, die im internationalen Comic zu finden sind. Es basiert, wie alle Stereotypen, auf einer Kombination von als typisch für eine bestimmte Gruppe angesehenen Eigenschaften, in diesem Fall zumeist Militarismus, Organisationswahn, Kadavergehorsam usw. Diese stereotype Darstellungsweise existiert nicht nur intertextuell im Comic, sondern liegt vielmehr intermedial, so z. B. auch im Film oder im Computerspiel, vor. Allerdings ist sie nicht unbedingt interkulturell homogen, sondern das, was im europäischen oder US-amerikanischen Comic-Diskurs als typisch „deutsch“ gilt, kann im lateinamerikanischen oder im chinesischen als typisch „europäisch“ angesehen werden. Mit Blick auf die Bilderwelten von Francisco Ibáñez, einer der herausragenden Comic-Macher der Postmoderne, ist die stereotype Darstellung des „Deutschen“ und der Deutschen deswegen besonders interessant, weil Ende der 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts mit dem Wegfall der franquistischen Zensur in Bilderwelten, die bereits seit den 50er-Jahren existierten, erstmals offene Kritik am ehemaligen franquistischen Regime und seinem Verbündeten Deutschland möglich geworden war. 472 Das ursprüngliche Bild vom „Deutschen“ und den Deutschen hat sich in den Comics von Ibáñez seit den 80er-Jahren deutlich gewandelt. Aus dem faschistischen Staat der ideologischen Landkarte, dem Inbegriff des Bösen, wird ein geographisch, kulturell, politisch und auch sprachlich erfahrbarer Raum. Die dadurch hinterlassene semantische Lücke im Diskurs wird zunehmend von anderen stereotypen Figuren, wie z. B. dem lateinamerikanischen Diktator oder dem Generalissimus selbst, besetzt. Bemerkenswert erscheint die Rezeption des Stereotyps des Deutschen durch das deutsche Publikum über die Bilderwelten des Spaniers Ibáñez, wobei offensichtlich die dunkle Seite der eigenen nationalen Identität in Form einer Comic-Katharsis verarbeitet wird. Susanne Schütz (Halle) Inodoro Pereyra, el renegau ‑ Anmerkungen zu einem argentinischen Anti-Helden Inodoro Pereyra, der gaucho macho y cabrío des argentinischen Comic-Zeichners und Schriftstellers Roberto Fontanarrosa, kommentiert seit mehr als 25 Jahren Geschichte, Kultur und Gesellschaft Argentiniens. Während am Beginn seiner Veröffentlichungen die Parodie anderer Diskurse im Zentrum der Comic-Produktion Fontanarosas stand, erfolgte im Laufe der Jahre eine Hinwendung zu zeitgenössischen Persönlichkeiten und Situationen des argentinischen Alltags sowie eine zunehmende Konzentration auf Situationskomik und Wortwitz. Der Beitrag untersucht die erzählerische und zeichnerische Entwicklung der Comic-Serie nachzeichnen, intertextuelle Bezüge und literarische Parodien (z.B. „Martin Fierro“ und J.L. Borges), Reflexionen sozialer Konflikte und Elemente der nationalen Identitätskonstruktion. 473 Liliana Ruth Feierstein (Buenos Aires/ Düsseldorf) El Proceso: de Kafka a Oesterheld Pero el hecho clave respecto de Kafka es el de que poseía una terrible premonición, que veía – hasta el punto del detalle exacto – acumularse el horror. „El proceso“ presenta el modelo clásico de Estado de terror. (Georg Steiner) Si El Proceso da nombre a una de las últimas e inconclusas obras de Kafka, fue también la autodefinición de los militares argentinos de su dictadura genocida: proceso de reorganización nacional. Los militares, quienes probablemente no leyeron al escritor judeocheco, intuyeron el carácter inacabable de aquella palabra : pesadilla interminable. En 1917, cuando Kafka se mudaba a la calle de los alquimistas de Praga y se declaraba la tuberculosis en su cuerpo, nacía en Buenos Aires el que luego sería denominado « padre de la historieta argentina » : Hector G. Oesterheld. Ambos autores, que escribieron obras muy diversas en muchos sentidos, compartieron el oído aguzado para intuir el horror que se avecinaba en sus respectivas sociedades, y sus dispositivos de poder. « Conrad, Beckett, Kafka, no son sino algunos autores que se percatan de este momento de transición que se ha iniciado desde el siglo pasado, y que conciben la deshumanización y el anonimato modernos como el desenlace de un proceso de vaciamiento del nombre propio », recuerda Esther Cohen. Décadas después Oesterheld (d)escribirá el proceso que se avecinaba sobre la sociedad argentina, e intentará – en una última fase- combatirlo desde la historieta. Mi ponencia se centrará en el análisis de El Eternauta, una obra – como El Proceso – reescrita varias veces y que quedó inconclusa. Una historieta que, como el relato de El Castillo, describe con precisión su escenario – no la Praga principios del siglo XX sino las calles de Buenos Aires, instalando la narración y el horror en el mundo cotidiano de los lectores. « No había visto nunca mirada semejante. La mirada del hombre 474 que había visto tanto que había llegado a comprenderlo todo», dice el narrador de El Eternauta al ver por primera vez a este viajero del tiempo. Kafka y Oesterheld comprendieron antes que muchos otros los tiempos por venir y fueron víctimas de estos totalitarismos. Re-leerlos hoy es, para decirlo con Walter Benjamin, asistir a la cita secreta que tenemos con las generaciones pasadas, es decir, ejercer la justicia. Ricardo Feierstein (Buenos Aires) Estereotipos y racismo en la historieta argentina En las últimas décadas existe un proceso de revalorización y de con sumo del género cómic. Ello ha dado lugar al nacimiento de una estética de la historieta, como masivo lenguaje comunicativo y camino para recuperar la imaginación que le falta a la novela actual. Y, por otro lado, a su consideración como una concepción subliminal del mun do (como en los casos de Tarzán de los Monos o el Pato Donald). Desde este ángulo, puede estudiarse la influencia del cómic en la formación de estereotipos y corrientes de opinión, sobre todo entre las capas populares, que constituyen la mayoría de los consumidores. Los héroes de papel son figuras mentales que se inscriben en el inconsciente colectivo. Guionistas y dibujantes tienen necesidad de usar estereotipos para facilitar la lectura y el seguimiento de los personajes, que deben ser esquemáticos y de fácil identificación. También se sirven de convencionalismos y elipsis de tiempo y espacio, así como argumentos maniqueos, para la transmisión de este género de lectura rápida, que admite pocas sutilezas expresivas. Hemos rastreado el prejuicio en los contenidos latentes y manifiestos de algunos cómics contemporáneos latinoamericanos: la figura del indio, el gaucho, el negro colonizado o sirviente, el gallego, el militante político, el judío y el gitano, a través de diversos ejemplos. Es una forma de construir la imagen del Otro, como mensaje encubierto de una trama de aventuras. La contracara “existencial y humanista” de esta tendencia fue la 475 nueva historieta argentina de los años 50 y 60 del siglo pasado. Posibilitó nuevas maneras – humanistas, existenciales- de acercamiento al personaje y a sus conflictos, en especial, en los protagonistas de guionistas y dibujantes como el germano-argentino Héctor G. Oesterheld, el ítaloargentino Hugo Pratt, el maestro Alberto Breccia y el paraguayo-argentino Francisco Solano López. Algunos de los personajes y situaciones analizados son Ernie Pike y la Segunda Guerra Mundial, Sargento Kirk y la conquista del Oeste norteamericano, Ticonderoga y las tribus indígenas en la guerra de independencia de Estados Unidos, El Eternauta y las invasiones extraterrestres, Mort Cinder o Sherlock Time y los viajes en el tiempo, Bull Rocket y los avances de la técnica y otros. 476 Sektion 26 Recherches récentes sur Gustave Flaubert en Allemagne Leitung: Jeanne Bem / Uwe Dethloff (Saarbrücken) Programm Dienstag, 27.09.05 Présidence: Jeanne Bem 9.00 Uhr Jacques Neefs (Paris) Flaubert, le comique des idées 9.20 Uhr Andrea Landvogt (Wurzbourg) Caricature et citation 9.40 Uhr Dorothea Kullmann (Toronto) Narratologie et histoire littéraire (à propos de «Madame Bovary») 10.00 Uhr Discussion Présidence: Jacques Neefs 14.00 Uhr Sabine Narr (Sarrebruck) Transgressions médiatiques: la relation entre texte et image chez Flaubert 14.20 Uhr Monika Bosse (Bielefeld) L’esthétique cinématographique à l’épreuve des romans de Flaubert 14.40 Uhr André Stoll (Bielefeld) Le parcours de l’icône: «Salammbô» revisitée 15.00 Uhr Discussion Présidence: Joseph Jurt 16.00 Uhr Christine Ott (Marbourg) La poétique alimentaire de Flaubert 16.20 Uhr Jörg Dünne (Munich) Pour un Flaubert ‚allemand‘: Poétique et pratique de l’ascèse à partir de la «Correspondance» 477 16.40 Uhr 17.00 Uhr Annette Clamor (Osnabruck) À la recherche de l’autre: l’œuvre de jeunesse comme mise en abyme d’une genèse artistique Discussion Mittwoch, 28.09.05 Présidence: Uwe Dethloff 9.00 Uhr Gisela Haehnel (Cologne) Charles Bovary - un personnage ‚dévalorisé‘ 9.20 Uhr Harald Nehr (Giessen) «L’Éducation sentimentale» comme ‚livre sur rien‘? La critique du romantisme par le ‚style‘ flaubertien 9.40 Uhr Aurélie Barjonet (Sarrebruck / Paris) Flaubert dans la presse, l’édition et la recherche allemandes (1985-2005) 10.00 Uhr Discussion et conclusion Abstracts Jacques Neefs (Paris / Baltimore) Flaubert, le comique des idées Flaubert se proposait, avec Bouvard et Pécuchet, d’inventer un «comique d’idées». Bouvard et Pécuchet, roman érudit, roman philosophique, roman comique: dans le déroulement des épisodes et dans le rythme des phrases se croisent volonté de savoir, désir de certitude, contradictions et doute. Flaubert construit ainsi une figure complexe de la catastrophe des idées en gestes, en postures et en phrases. Faire de la prose narrative une dramaturgie comique, au cœur même des théories et des pensées, pour déjouer les prétentions d’autorité, est ce qu’accomplit Bouvard et Pécuchet… Mais cela éclaire également de manière singulière les œuvres antérieures. 478 Andrea Landvogt (Würzburg) Caricature et citation Dans le roman Madame Bovary de Gustave Flaubert, la situation énonciative est hétérogène : il existe une grande variété de procédés citationnels – dont la forme la plus fameuse est le « style indirect libre ». Le paradigme du discours autre va des formes marquées (« discours direct » ou le « discours indirect »), en passant par les formes polyphoniques dont l’énonciateur reste incertain, jusqu’aux formes à peine marquées qui laissent seulement entrevoir un dédoublement des voix. Néanmoins, cette multitude de techniques servant à rapporter les paroles d’autrui se distingue par une structure commune: tous ces modes de citation sont à la fois « reprise » et « modification ». Or, au XIXe siècle, nous avons une autre forme d’art – non-verbale – dans laquelle nous trouvons cette structure de « reprise-modification »: c’est la caricature. La communication cherchera à analyser de façon exemplaire dans quelle mesure le procédé qui se trouve à l’origine de la caricature graphique peut être comparé aux formes de citation dans Madame Bovary. L’emploi libre et varié que Flaubert fait des formes du discours rapporté, tout en les accompagnant par d’autres stratégies stylistiques (comme l’exagération ou le contraste), semble être une réalisation très proche de la caricature graphique – sauf que Flaubert ne dessine pas avec des lignes tranchantes, mais avec des mots tranchants. Dorothea Kullmann (Avignon) Narratologie et histoire littéraire (à propos de Madame Bovary) On constate aujourd’hui, dans l’étude des littératures narratives romanes, et surtout dans l’étude des romans du XIXe siècle, une curieuse bipartition. Tout ce qui a trait à la structure narrative ou aux procédés techniques n’est plus guère étudié que dans le cadre de théories structuralistes, autrement dit, de systèmes terminolo479 giques et catégoriels anachroniques, et auxquels on attribue une valeur plus ou moins absolue. En revanche, en ce qui concerne le contenu ou l’idéologie, on observe, certes, une grande méfiance à l’égard des notions de source et d’influence, mais pas de rejet de la perspective historique en tant que telle. Or cette différence n’a pas de raison d’être. Tout comme les éléments idéologiques, les phénomènes communément étudiés par les narratologues s’insèrent dans un contexte historique, que ce soit sur l’axe diachronique de l’histoire littéraire ou sur l’axe synchronique des idées littéraires de chaque époque. Flaubert apparaît comme le sujet d’expérience par excellence de l’étude structuraliste. Pas une nouvelle théorie, ou variante de théorie, qui ne se sente comme obligée de s’essayer sur les textes flaubertiens. On se propose donc de réinsérer la technique narrative de Flaubert dans un contexte historique et de montrer, à partir de quelques exemples, à quel point on risque de fausser l’interprétation, en négligeant ce contexte. On se concentrera sur l’exemple de Madame Bovary et sur l’aspect diachronique. Seront traitées, entre autres, la description, la subjectivité et la focalisation, la chaîne de motivation. Sabine Narr (Saarbrücken) Transgressions médiatiques: La relation entre texte et image chez Flaubert L’œuvre de Gustave Flaubert est traversée par une relation fondamentale entre le médium textuel et le médium visuel. Cette communication s’intéressera à l’œuvre de jeunesse de Flaubert dans laquelle se manifeste la recherche d’un langage original et authentique, au-delà des clichés. Jetant un regard sceptique sur la langue et sur le médium textuel, Flaubert nourrit un vif intérêt pour les beaux-arts qui exerceront une influence plus grande encore sur ses œuvres ultérieures. Quels sont les enjeux de cette nouvelle conscience de la médialité ? Qu’est-ce que cela implique 480 pour son esthétique ? La relation entre le texte flaubertien et l’influence du médium visuel sera examinée dans les différentes versions de La Tentation de saint Antoine : c’est surtout dans cette « œuvre de toute [s]a vie » – d’après les mots de Flaubert – que la question des médias prend une nouvelle dimension et devient plus complexe. L’analyse des procédés et des techniques essayera de montrer comment Flaubert réussit à transgresser les limites du médium textuel et comment La Tentation contribue à la naissance de la littérature moderne, ainsi que Michel Foucault le formule dans son article « Un ‘fantastique’ de bibliothèque ». Monika Bosse (Bielefeld) L’esthétique cinématographique à l’épreuve des romans de Flaubert A en juger d’après bon nombre de critiques flaubertiens, l’une des qualités distinctives de cet inventeur d’une écriture de la modernité consisterait à avoir laissé pressentir dans son écriture romanesque, les procédés de représentation (ou de mise-en-scène) propres à la technologie médiatique de l’avenir. En particulier, bien sûr, les procédés du cinéma, qu’il aurait anticipés, leur confiant l’articulation consciente et réfléchie des pulsions de son imaginaire. Partant de ce constat, mon propos sera, inversement, de m’interroger sur l’attitude adoptée par certains auteurs des versions cinématographiques des romans flaubertiens, face aux ressorts de cette technique de visualisation jugée anticiper la leur. S’agirait-il là d’une mise en pratique de l’esthétique de Flaubert, ou au contraire de la substitution d’une autre, plus appropriée aux besoins de leurs «images mouvantes»? Aurait-on donc à faire ici à une «école de voir» nouvelle, capable de contester les acquis flaubertiens? 481 André Stoll (Bielefeld) Le parcours de l’icône: «Salammbô» revisitée Dressée en icône d’un pouvoir théocratique, Salammbô est exposée à tous les avatars que subit celui-ci au cours de l’histoire cernée par le récit flaubertien. Évoluant dans l’interstice des collectivités en conflit, son itinéraire lui fait traverser des lieux de rencontre, qui s’avèrent être des carrefours de discours mythologiques et politiques tant occidentaux qu’orientaux. En nous arrêtant un instant à l’un ou l’autre de ces points de croisement, nous essayerons donc de dégager le rôle que l’auteur a réservé à l’agencement de son sujet au niveau du conflit des civilisations (modernes, bien sûr). Christine Ott (Marburg) La poétique alimentaire de Flaubert Cette contribution a pour but d’élucider les fonctions des métaphores alimentaires que Flaubert emploie pour décrire son œuvre, sa manière de travailler ou encore un certain style d’écriture. Une analyse de sa correspondance relève la présence de métaphores alimentaires pour presque chacun des aspects du processus de création littéraire. Le thème de la nourriture, au sens propre comme au sens figuré, y occupe d’ailleurs une place centrale. Et très souvent, on constate un glissement imperceptible du sens propre au sens figuré, de l’aliment matériel à l’aliment spirituel – ou inversement. Ainsi, il n’est pas toujours aisé de distinguer entre un usage con-scient, calculé, de la métaphore alimentaire, et un processus involontaire, par lequel l’„obsession alimentaire“ (Jean-Pierre Richard) de Flaubert paraît envahir, comme une excroissance parasitaire, son écriture épistolaire. Je suis toutefois d’avis que le thème alimentaire, chez Flaubert, relève surtout du désir calculé de créer un nouvel imaginaire du travail poétique. Cette conception affirme le côté physique, aliénant, incontrôlable de l’écriture. La création littéraire est perçue comme un processus mêlant inextricablement facteurs 482 physiques et intellectuels, volontaires et involontaires. Si Flaubert choisit l’imaginaire de l’alimentation pour illustrer sa conception du travail poétique, c’est parce que, instinctivement, il le trouve apte à exprimer un processus de production des signes qui se réalise comme entre-dévoration du propre et de l’impropre. Jörg Dünne (Munich) Pour un Flaubert «allemand»: Poétique et pratique de l’ascèse à partir de la Correspondance Ma communication essaie de montrer comment la poétique flaubertienne est profondément marquée par la notion d’ascèse qui puise ses codes dans une longue tradition chrétienne et qui est reprise au 19e siècle par des philosophes allemands comme Schopenhauer et (dans un esprit critique) Nietzsche. Cette double perspective «allemande» sur sa poétique risque de faire découvrir un autre Flaubert, chez lequel la pratique ascétique sous-tend la fameuse impersonnalité de l’écriture, pour faire apparaître un mode moderne et indirect d’«écriture de soi» (Michel Foucault). Peutêtre la meilleure approche de cette poétique flaubertienne seraitelle la Correspondance, et notamment l’échange avec Mlle Leroyer de Chantepie où Flaubert joue patiemment le rôle de directeur de conscience vis-à-vis d’une vieille fille en mal de spiritualité. Loin de se dresser face à Mlle Leroyer de Chantepie dans une position de supériorité masculine (comme il le fait dans les lettres à Louise Colet), Flaubert manifeste plutôt dans ces lettres une tendance à l’auto-affection scripturaire, telle qu’elle apparaît dans les figures du discours religieux. Selon mon hypothèse, la tendance “sentimentale” ou bien “mystique” est essentielle dans la poétique de Flaubert, conçue comme un programme ascétique d’auto-immunisation. Quelques exemples de La Tentation de saint-Antoine et de Bouvard et Pécuchet serviront à illustrer cette démarche. 483 Annette Clamor (Osnabrück) À la recherche de l’autre: l’œuvre de jeunesse flaubertienne comme mise en abyme d’une genèse artistique Jusqu’à présent, l’œuvre de jeunesse de Gustave Flaubert se situe surtout à l’ombre de ce qu’on appelle « les œuvres de la maturité », comme p.ex. Madame Bovary ou L’Éducation sentimentale. C’est pourquoi cette communication voudrait essayer d’y repérer quelques implications esthétiques et montrer que la plupart de ces écrits de jeunesse ne sont ni de « simples essais d’écriture » ni des copies de modèles littéraires (trop) bien connus, mais qu’ils reflètent bien au contraire les différentes phases de l’auto-constitution artistique de leur auteur. Elles représentent une ,puberté littéraire’ qui l’a mené, dès le début, à inventer une ,nouvelle’ esthétique de l’imaginaire – celle-ci étant, en même temps, en dialogue permanent avec la mémoire culturelle collective. Gisela Haehnel (Cologne) Charles Bovary - un personnage dévalorisé Charles Bovary est considéré comme un des personnages les plus irritants de Flaubert. Et les critiques ont toujours posé la fameuse question du nous. Cette question contient en effet tout ce qui rend énigmatique et incompréhensible ce personnage flaubertien. La clé de déchiffrement se trouve dans le processus de dévalorisation. La notion de dévalorisation - Entwertung en allemand - fait partie de la théorie de la communication, telle qu’elle a été énoncée par des scientifiques comme Paul Watzlawick, Janet H. Beavin, Don D. Jackson. Ces théoriciens de la communication n’entreprennent pas l’analyse du caractère de l’homme isolé, mais des interactions interpersonnelles par lesquelles il est, pour ainsi dire, créé. S’il y a dévalorisation, elle n’est donc pas le résultat d’un défaut de caractère de la personne en question, mais l’effet d’un processus interactif qui a comme résultat la dévalorisation de cette personne. Cet484 te notion est donc une catégorie purement formelle, qui se comprend par analogie à la logique formelle. La dévalorisation n’est pas un acte de non-confirmation ou de réprobation, elle représente l’indécidabilité fondamentale de la valeur de cette personne. Par conséquent, la personne dévalorisée pourra toujours être soumise à des actes arbitraires définissant et redéfinissant ce qui serait «son» existence, «sa» personnalité, «sa» vie. Ce qu’elle «est», la personne dévalorisée ne le sera donc que dans la mesure où ceux qui ont le pouvoir de le définir le lui concèdent. En créant le personnage de Charles, Flaubert a introduit cette disponibilité pour toute sorte de jugements attributifs. C’est dans la scène initiale que Flaubert établit le paradigme puissant qui va dominer tout le roman. Harald Nehr (Gießen) L’Éducation sentimentale comme « livre sur rien » ? La critique du romantisme par le « style » flaubertien Flaubert a-t-il jamais tenté de réaliser le projet du « livre sur rien » ? Le roman qui va le plus loin dans cette direction, c’est L’Éducation sentimentale. Ici, sa critique du romantisme est conçue de façon complètement différente que dans Madame Bovary : après le roman de l’adultère et de la désillusion, celui de la « passion inactive » – qui est d’après Flaubert le trait caractéristique de sa génération postromantique, qualifié par lui-même de « sentimentalisme ». Voilà le mot-clé du roman qui lie ses deux thèmes: la politique et la passion amoureuse. Le roman (dit « réaliste ») est en fait une analyse et une critique du sentimentalisme. Cette analyse, comment fonctionne-t-elle ? Surtout par le « style », la « manière absolue de voir les choses ». Il faut prendre Flaubert au mot: le style, c’est une écriture qui réalise – et donc qui fait voir – la conception de l’univers romanesque. Dans les épisodes centraux, par des ambiguïtés au niveau des références ou par le manque de référence, cet univers romanesque s’avère comme créé avant tout par l’état d’esprit des 485 personnages. C’est le style même qui révèle finalement que la vision sentimentale des héros, comme celle de l’époque – et donc le sujet du roman entier –, se fonde sur un vide. Le désir, la passion et leurs discours sont littéralement sans objet. Aurélie Barjonet (Sarrebruck / Paris) Flaubert dans la presse, l’édition et la recherche allemandes (1985-2005) Quel est l’état actuel de la réception critique allemande de l’œuvre de Flaubert ? Si la première réception critique fut timide voire réticente dans une Allemagne encore idéaliste, l’évolution de la littérature, la diversification des goûts des lecteurs au XXe siècle ainsi que les propos des grands romanciers allemands du début du XXe siècle ont fait entrer Flaubert dans le « canon étranger des grands romanciers français du XIXe siècle ». L’établissement de trois bibliographies devrait nous permettre d’esquisser l’image de Flaubert dans l’espace germanophone de ces vingt dernières années. Le connaît-on surtout comme l’auteur de Madame Bovary ou comme celui de L’Éducation sentimentale ? Quelles œuvres sont mises en avant et lesquelles sont négligées ? La liste des œuvres les plus reçues change-t-elle en fonction du type de récepteur (journaliste, éditeur/traducteur, universitaire) ? Quel sort est réservé aux titres de ses œuvres ? Que peut-on en déduire sur le plan de la réception ? La communication tentera de répondre à ces questions et plus généralement de dégager les tendances principales de la réception de Flaubert en Allemagne (personnes, œuvres, moments, événements). Le corpus constituera un outil précieux pour les chercheurs. 486 dok_132x192_1c 07.04.2005 14:32 Uhr Seite 1 Deutsch-französischer Wissenstransfer Dokumente Zeitschrift für den deutschfranzösischen Dialog Hrsg.: Gesellschaft für übernationale Zusammenarbeit e. V. Redaktion: Prof. Dr. Johannes Thomas (Chefredakteur) Silke Stammer, Dipl. GDFS 6 Ausgaben pro Jahr Jahresabonnement 18,90 € zzgl. Versandkosten issn 0012-5172 Die Fachzeitschrift, in der Kernfragen der deutsch-französischen Zusammenarbeit von Sachkennern analysiert und diskutiert werden. Dokumente informiert über die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Strömungen in Frankreich sowie über zentrale Fragen der deutsch-französischen Zusammenarbeit. Ausführliche Infos finden Sie unter www.zeitschrift-dokumente.de. Ihre Bestellmöglichkeiten: W. Bertelsmann Verlag, Postfach 10 06 33, 33506 Bielefeld Tel.: (05 21) 9 11 01-12, Fax: (05 21) 9 11 01-19, E-Mail: [email protected], Internet: www.wbv.de W. Bertelsmann Verlag Fachverlag für Bildung und Beruf Sektion 27 Deutschland - Frankreich in Europa. Dynamik eines ‚transnationalen’ kulturellen Feldes um 1945 Leitung: Patricia Oster-Stierle / Hans-Jürgen Lüsebrink (Saarbrücken) Programm Montag, 26.09.05 9.00 Uhr Frank-Rutger Hausmann (Freiburg) Die deutsch-französische Kulturpolitik im Zweiten Weltkrieg: Das Deutsche Institut Paris, der Kriegseinsatz der deutschen Geisteswissenschaften und die Europäische Schriftstellervereinigung (ESV) 9.45 Uhr Hans Ulrich Gumbrecht (Stanford) Wem gehört die Kultur der Jahre nach 1945? Am Beginn eines Buchprojekts 14.00 Uhr Rainer Hudemann (Saarbrücken) Interkulturelle Felder unter Besatzungsbedingungen? Zu französisch-deutschen Kommunikationsund Konzeptionsstrukturen nach 1918 und 1945 14.45 Uhr Hans T. Siepe (Düsseldorf) Besetztes Paris, besetztes Deutschland – ein doppelter Blick von Albert Camus 16.00 Uhr Michel Espagne (Paris) Les germanistes de l’ENS-Ulm de 1935 à 1955 16.45 Uhr Martin Strickmann (München) Französische Intellektuelle als deutsch-französische Mittlerfiguren 1944-1950 Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr Karlheinz Stierle (Konstanz) 488 Deutsch-französische Dialoge Dorothee Röseberg (Halle-Wittenberg) “Ici la France„ – eine Stimme Frankreichs in den Gründerjahren der DDR 14.00 Uhr Fritz Nies (Düsseldorf) La France et l’Allemagne dans l’Europe. Romane und anderes (1942-54) 14.45 Uhr Michel Grunewald (Metz) Un témoin engagé de la renaissance de l’Allemagne, Robert d’Harcourt et les Allemands’ 16.45 Uhr Herbert Schneider (Saarbrücken) Französische Musiker und Intellektuelle bei den Darmstädter „Internationalen Ferienkursen für neue Musik“ 9.45 Uhr Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Jacques Walter (Metz) Le camp de la Neue Bremmm.: mémoire et médiation Christoph Vatter (Saarbrücken) Berührungspunkte nationaler Erinnerungskulturen: Der Oradour-Prozess im Spiegel der Medien in Deutschland und Frankreich Donnerstag, 29.09.05 9.00 Uhr Filippo Ranieri (Saarbrücken) Juristische Kultur und der Dialog zweier Rechtssysteme. Kommunikation und Nichtkommunikation zwischen deutschen und französischen Juristen nach dem 2. Weltkrieg. 9.45 Uhr Patricia Oster-Stierle (Saarbrücken) Die Zeitschrift als Ort der Konstitution eines ‚transnationalen’ kulturellen Feldes: Lancelot, der Bote aus Frankreich und Die Wandlung 489 Abstracts Frank-Rutger Hausmann (Freiburg) Die deutsch-französische Kulturpolitik im Zweiten Weltkrieg: Das Deutsche Institut Paris, der Kriegseinsatz der deutschen Geisteswissenschaften und die Europäische Schriftstellervereinigung (ESV) Seit mehreren Jahren beschäftige ich mich mit sog. Netzwerkforschung im ,Dritten Reich’. Netzwerke waren von einem oder mehreren NS-Ministerien initiierte, koordinierte, finanzierte und beaufsichtigte Verbünde, die der Verbreitung der damals vom Regime gewünschten und geförderten Kulturpolitik dienten. Diese schloss die Pflege der deutschen Sprache, Kunst, Literatur, Wissenschaft usw. ein und sollte nach Kriegsausbruch der Schaffung eines NeuEuropa genannten Großraums dienen. In meinem Vortrag werden die Ergebnisse von mehreren Monographien der letzten Jahre resümiert, die unterschiedliche Netzwerke in den Blick nehmen, die sich vornehmlich mit Frankreich befassten: Das Deutsche (Wissenschaftliche) Institut in Paris unter Leitung von Karl Epting, den Kriegseinsatz der deutschen Romanisten im Rahmen eines allgemeinen Kriegseinsatzes unter Führung von Fritz Neubert (Breslau) und diverse europäische Schriftstellertreffen in Weimar, die, was Frankreich angeht, von Gerhard Heller von der Propagandastaffel der Wehrmacht in Paris organisiert wurden. Hinzu kommen diverse andere Aktivitäten, an denen vor allem deutsche Hochschulromanisten beteiligt waren (Deutsche Akademie in München, Gastvorträge, Gefangenenuniversitäten usw.). Eingehen möchte ich auch auf die Rezeption, die meine Arbeiten erfahren haben und die höchst unterschiedlich ausgefallen ist. 490 Hans Ulrich Gumbrecht (Stanford) Wem gehört die Kultur der Jahre nach 1945? Am Beginn eines Buchprojekts Lange Zeit, spätestens seit den „kulturrevolutionären“ Jahren um 1968 stand das Nachkriegsjahrzehnt im Abseits unseres intellektuellen Interesses. Es galt - im Vergleich etwa zu den 1920er Jahren - als zweitrangig, „restaurativ,“ ja es wirkte wie ein schwer erklärbarer „Rückschritt“ in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Nun scheint sich die Perspektive zu wandeln - Ansätze zu einer Sartre-Renaissance sind nur ein Symptom in dieser Hinsicht. Unklar bleibt freilich, welche Qualitäten, Interessen und Fragen es sind, die eine neue Faszination für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst haben. Sind wir einer neuen Genealogie für die intellektuelle Situation unserer eigenen Gegenwart auf der Spur? Rainer Hudemann (Saarbrücken) Interkulturelle Felder unter Besatzungsbedingungen? Zu französischdeutschen Kommunkations- und Konzeptions-strukturen nach 1918 und 1945 Deutsch-französische Kommunikation und Kooperation hat, so die These, im 20. Jahrhundert stets in einem Spannungsverhältnis von belastenden und konstruktiv-voranweisenden Faktoren gestanden. Ein solches Spannungsverhältnis konnte auch dann, wenn es unter besonders konfliktreichen Bedingungen begann, langfristig konstruktive strukturelle Wirkungen zeitigen. Umgekehrt blieben auch scheinbar unproblematische Zeiten nur selten frei von grundlegenden Konflikten. Ausgehend von den konkreten Situationen der französischen Besatzungen in Deutschland nach den beiden Weltkriegen, soll eine typologisierende Strukturierung dieses „interkulturellen Feldes“ versucht werden. 491 Hans T. Siepe (Düsseldorf) Besetztes Paris, besetztes Deutschland – ein doppelter Blick von Albert Camus In der Werkausgabe der „Essais“ von Camus (Ed. de la Pléiade) gibt es einen kleinen Text mit dem Titel „Les Silences de Paris“, in dem er von seinem gleichnamigen Hörspiel spricht, das am 30. April 1949 erstmals von der Radiodiffusion Française gesendet wurde. „Il n’existe pas de bande sonore de l’émission elle-même“, ist dort auch vermerkt; der Text ist bis heute unpubliziert, doch liegen mir das französische Sendemanuskript in einer Kopie sowie deutsche Hörspielfassungen aus den Jahren 1963 und 1973 vor. Camus thematisiert hier die deutsche Besatzungszeit und die Reaktionen der Franzosen, dies alles auch mit Bezug auf den „après-guerre“. Wenig bekannt war bislang auch ein Text von Camus, den er unmittelbar nach dem Waffenstillstand im Juni 1945 als Ergebnis einer Deutschlandreise unter dem Titel „Images de l’Allemagne occupée“ verfasst hat. Mein Vortrag widmet sich diesem doppelten Blick aus der Nachkriegszeit auf deutsch-französische Erfahrungen. Michel Espagne (Paris) Les germanistes de l’ENS-Ulm de 1935 à 1955 L’Ecole normale supérieure de la rue d’Ulm est un lieu traditionnel d’ouverture scientifique à l’Allemagne dont la présence est par exemple sensible dans de nombreux secteurs de la bibliothèque, de l’histoire à l’archéologie. Il est d’autant plus intéressant de se concentrer sur le petit groupe de spécialistes de l’Allemagne issus de ce contexte qui ont été confrontés avec les signes précurseurs, le déroulement ou les conséquences immédiates de la guerre. Des contradictions entre les survivants des tranchées de 1914 (Maurice Boucher) et les jeunes recrues tentées par la résistance (Bertaux), entre les Alsaciens et les Français de l’intérieur, entre les élèves 492 Juifs, plus directement menacés, et les autres, les souvenirs des séjours accomplis dans l’Allemagne nazie ou dans l’immédiat après guerre décrivent un espace d’appropriation académique de l’Allemagne sur lequel reposeront longtemps les études allemandes en France. On essaiera de voir également la relation entre les sujets de recherche choisis par les élèves pour se qualifier et leur expérience de l’Allemagne dans des temps de crise. Martin Strickmann (München) Französische Intellektuelle als deutsch-französische Mittlerfiguren 19441950 Das historisch-politische Umfeld für Initiativen zum Neubeginn eines deutsch-französischen Dialogs zur Verständigung erscheint nach 1944/45 auf den ersten Blick ungünstiger denn je, da Frankreich mit der Niederlage vom Juni 1940 und der anschließenden Okkupation die wohl schwierigste Periode seiner Geschichte zu durchschreiten hatte. Entsprechend vertrat Frankreich nach traditioneller Auffassung nach 1944/45 zunächst eine Dominanzpolitik gegenüber dem nun besetzten Deutschland. Andererseits erkannten zahlreiche französische Intellektuelle frühzeitig die Aporien dieser Neuauflage einer restriktiven Sicherheitspolitik. Während faschistische und kollaborierende Intellektuelle nach der Libération 1944 weitgehend der Epuration zum Opfer fielen, finden sich demgegenüber zahlreiche französische Intellektuelle aus attentisme, Résistance littéraire und dem Exil, die, besonders mit dem Topos der Mitverantwortung und générosité des „Siegers“ argumentierend, für eine durchgreifende Demokratisierung und zum Teil sogar spätere Integration (West-)Deutschlands als Allemagne nouvelle in ein geeintes Europa plädierten. Die Haltungen französischer Intellektueller als deutsch-französischer Mittlerfiguren manifestierten sich auf dreierlei Weise: Erstens in Form von Diskursen in Zeitungen und Zeitschriften sowie auf Vortragsreisen durch die französische Besatzungszo493 ne. Zweitens als offizielle und private Initiativen u.a. in Zusammenhang mit der Kulturpolitik in der französischen Zone durch Verständigungs-Organisationen wie „BILD“, das Comité français d´échanges avec l´Allemagne nouvelle oder die Groupe d´études allemandes und deren umfangreiche Aktivitäten. Drittens durch ihre persönlichen Biografien und Netzwerke, so dass in diesem Beitrag auch sociabilité und itinéraires der Intellektuellen innerhalb des transnationalen kulturellen Feldes in ihrer Dynamik nachgezeichnet werden sollen. Karlheinz Stierle (Konstanz) Deutsch-Französische Dialoge War der seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts entstandene DeutschFranzösische Dialog ein Mittel, die wachsenden deutsch-französischen Spannungen abzubauen oder zu mildern, oder diente er, trotz allen guten Willens, der in diesen Dialog investiert wurde, strukturell eher zur Vertiefung dieser Spannungen? Hat der Diskurs einer transnationalen Verständigung unterschwellig Anteil an der Befestigung eines gegenläufigen Diskurses der Wesensdifferenz? An relevanten Markierungspunkten soll diese Frage bis zum Erlöschen des Deutsch-Französischen Dialogs verfolgt werden. Dorothee Röseberg (Halle-Wittenberg) „Ici la France“ – eine Stimme Frankreichs in den Gründer-jahren der DDR Grundfragen der Sektion, wie die nach einem möglichen Energiepotential für die Konstitution eines transkulturellen Feldes um 1945 und biografische Profile zeittypischer Vermittlerfiguren werden für die spezifischen Bedingungen in der SBZ und für die Gründerjahre der DDR am Beispiel des Mediums Schule untersucht. Auf der Grundlage von Archivstudien und Interviews mit Zeitzeugen wird die Entstehung des ersten Französischlehrwerks „Ici la France“, deren Verfasser nach dem Krieg unmittelbar aus Frankreich in die 494 DDR wechselten, nachgezeichnet. Zu debattieren ist dabei nicht nur der Gestaltungsspielraum der Autoren unter der Aufsicht der sowjetischen Militärkommandantur, sondern auch die Frage nach den im Verlauf der 1950er Jahre entstehenden neuen Bedingungen, die diesem Versuch des Aufbaus eines transkulturellen Feldes ein Ende bereiten. Fritz Nies (Düsseldorf) La France et l’Allemagne dans l’Europe. Romane und anderes (1942-54) In einigen beispielhaft vorgestellten französischen Romanen und expositorischen Texten aus der unmittelbaren Nachkriegszeit werden Umrisse unterschiedlicher Europa-Konzepte sichtbar. Einerseits bleibt die nationalsozialistische Vision des von Deutschland dominierten Kontinents noch immer obsessiv präsent. Andererseits zeichnet sich bereits das Bild eines künftigen Nachkriegseuropa ab. Manche aufgeworfenen Fragen (etwa die nationaler und transnationaler Leitwerte, der geographisch-kulturhistorischen Kohärenz) blieben bis heute überraschend aktuell. Michel Grunewald (Metz) Un témoin engagé de la renaissance de l’Allemagne. Robert d’Harcourt et les Allemands (1945-1955) Le germaniste Robert d’Harcourt (1881-1965), titulaire de la chaire de littérature et de langue allemandes à l’Institut catholique de Paris, avait été parmi ses pairs l’un des ceux qui mirent en lumière avec le plus de constance les dangers que faisait courir à l’Europe et au monde le régime national-socialiste. Après avoir participé à la Résistance en mettant notamment sa plume au service du réseau « Témoignage chrétien », il reprit son activité d’observateur de l’Allemagne à visage découvert dès janvier 1945. Pendant les vingt années qui suivirent, il publia dans Etudes, La Croix, Dokumente, La Revue de Paris, Le Figaro etc. plus de 495 250 articles qu’il regroupa ensuite dans 8 ouvrages, dont 6, parus entre 1945 et 1955, font l’objet de la présente étude. Ces ouvrages destinés au public français constituent le fruit d’observations faites sur le terrain et de la fréquentation d’étudiants, d’intellectuels, d’hommes politiques et de journalistes souvent proches des milieux catholiques et de la démocratie chrétienne naissante. La méthode qu’utilise Robert d’Harcourt ne varie pas au fil des livres publiés : à travers la présentation de témoignages et l’exploitation de publications qu’il cite souvent en abondance, il incite ses lecteurs à se forger une opinion de leurs voisins. Tout en prenant largement appui sur des représentations très répandues à l’époque, sa perception des Allemands n’est pas figée et se modifie au fil de l’évolution de l’Europe et de l’Allemagne. Les premiers ouvrages dont il est question ici, Comment traiter l’Allemagne et Le nazisme peint par lui-même (1946), constituent des tentatives d’explication du phénomène nazi destinées au grand public et à la jeunesse estudiantine; fortement empreints de l’émotion suscitée par les crimes nazis, ils présentent le phénomène hitlérien comme l’aboutissement de l’histoire allemande. L’ouvrage qui leur fait suite, Visage de l’Allemagne actuelle (1948), propose lui aussi un tableau brossé sans concessions, mais laisse percevoir une inflexion du discours de l’auteur envers une partie des Allemands – qu’il estime néanmoins très minoritaire – et marque déjà, à travers le choix des témoignages retenus, le désir de se projeter dans un avenir commun aux Allemands et aux autres Européens. En exprimant ces espoirs timides, Robert d’Harcourt se fait l’interprète auprès des Français des efforts d’un certain nombre d’intellectuels – en majorité catholiques – qu’il côtoie régulièrement depuis 1945. C’est également le cas dans les trois ouvrages qu’il publie entre la naissance de la République fédérale et 1955, Visage de l’Allemagne actuelle (1950), L’Allemagne est-elle inquiétante ? (1954) et Konrad 496 Adenauer (1955). Ici, tout en restant prudent et en continuant à recourir à une série de stéréotypes connus, d’Harcourt exhorte ses lecteurs à donner leur chance aux Allemands, surtout après les élections de 1953 qui prouvent à ses yeux que Bonn n’est pas Weimar. Pour lui, la situation de la nouvelle Allemagne est certes loin d’être stabilisée et il ne masque pas certaines craintes à long terme ; mais il estime aussi que la construction de l’Europe doit permettre de ne pas transformer en obsession la vigilance nécessaire vis-à-vis d’un peuple qui doit encore confirmer sa conversion à la démocratie. Herbert Schneider (Saarbrücken) Französische Musiker und Intellektuelle bei den Darmstädter „Internationalen Ferienkursen für neue Musik“ René Leibowitz, Olivier Messiaen und Pierre Boulez sind die heute bekanntesten Franzosen, die seit den späten 1940er Jahren in Darmstadt lehrten. Dort trafen sich bis 1970 in jedem Jahr die wichtigsten Vertreter der internationalen Nachkriegsmoderne der Neuen Musik, um zunächst an die während der Naziherrschaft verbotene Musik anknüpfend neue Konzepte der zeitgenössischen Musik und des Musiktheaters zu entwickeln. Dort entstand ein internationales Netzwerk der zeitgenössischen Musik, das Komponisten, Interpreten, Theoretiker und Kritiker einschloss. Die in Darmstadt geführten Diskussionen und Aufführungen beeinflussten und befruchteten die Musikentwicklung in allen europäischen Ländern, aber auch in Amerika und Asien. In meinem Referat soll besonders die Präsenz der französischen Komponisten, Interpreten, Kritiker und Studierenden, die von ihnen ausgehenden Anstöße zur Entwicklung der Neuen Musik und die aus den Darmstädter Kursen entstehenden internationalen Beziehungsgeflechte auf dem weiten Feld der Musik aufgezeigt werden. 497 Jacques Walter (Metz) Le camp de la Neue Bremm : mémoire et médiatisation En 2001, à l’initiative du Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA), est publié un recueil bilingue (français/allemand) – „Dans le purin jusqu’aux épaules. Témoignages d’anciens déportés au camp de concentration de la Nouvelle Brême“ – regroupant des témoignages d’anciens détenus français du camp de la Neue Bremm. Sachant que ces témoignages n’ont pénétré que tardivement la sphère publique (années soixante-dix), nous nous proposons de mettre au jour le contexte et les modalités de leur émergence, puis de leur mise à disposition. D’abord, nous retracerons les étapes qui, de 1945 à la période contemporaine, caractérisent la transformation d’un fait historique en cause publique, et ce en tenant compte d’une pratique mémorielle différenciée de chaque côté de la frontière. Le rôle des médias ainsi que celui des acteurs privés, associatifs et/ou institutionnels seront analysés afin de comprendre les enjeux qui affleurent dans cette production testimoniale et leurs effets sur celle-ci. Ensuite, nous serons attentifs aux procédés de mise en récit du témoignage – hors texte, hiérarchisation des thèmes abordés, choix des témoins, type de sollicitation – pour mettre en évidence les caractéristiques d’une dynamique testimoniale transfrontalière. Finalement, les témoignages sur le camp de la Neue Bremm sont non seulement une source d’information sur l’histoire d’un camp, mais aussi sur l’inscription sociale et politique de la mémoire de ce dernier, dans un contexte où interviennent tant les relations franco-allemandes que l’idée que ces relations ont un rôle à jouer dans la construction européenne. 498 Christoph Vatter (Saarbrücken) Berührungspunkte nationaler Erinnerungskulturen: Der Oradour-Prozess im Spiegel der Medien in Deutschland und Frankreich Beim Massaker von Oradour-sur-Glane am 10. Juni 1944 ermordeten Angehörige der SS-Division „Das Reich“ 642 Menschen – fast die gesamte Bevölkerung des Dorfes, darunter Frauen und Kinder. Bereits im Kontext der Libération, wenige Wochen nach dem Massaker, wurden Anstrengungen unternommen, die Ruinen des zerstörten Dorfes als „village-martyr“ als Sinnbild für die von den Besatzern begangenen Grausamkeiten zu erhalten und zum Ort der Erinnerung zu machen. Oradour trug so maßgeblich zur Formung der nationalen Erinnerung Frankreichs an die deutsche Besatzungszeit als ein im Widerstand geeintes Land bei, in der die Kollaboration konsequent ausgeblendet wurde. Der Prozess gegen die Täter von Oradour im Januar 1953 in Bordeaux stellte diese Erinnerungskultur jedoch massiv in Frage: Unter den 21 Angeklagten befanden sich auch 14 Franzosen, die meisten davon „malgré-nous“, Zwangsrekrutierte aus dem Elsass. Die Aussicht auf deren Verurteilung führte zu starken Protesten im Elsass, bis hin zur Drohung mit Abspaltung. So wird acht Jahre nach Kriegsende die Trennung der kollektiven Gedächtnisse in französisches Opfer- und deutsches Tätergedächtnis in Frage gestellt; erstmalig seit der „épuration“ zeichnet sich in Ansätzen ein transnationaler Erinnerungsraum ab, was anhand der zeitgenössischen Berichterstattung in deutschen und französischen Medien die Rezeption des Oradour-Prozesses in Hinblick auf seine Bedeutung für die jeweilige nationale Erinnerungskultur analysiert werden soll. Ein besonderer Schwerpunkt soll dabei auf der Vermittlung dieses Ereignisses durch die französisch geprägten Medien im Saarland liegen. 499 Filippo Ranieri (Saarbrücken) Juristische Kultur und der Dialog zweier Rechtssysteme. Kommunikation und Nichtkommunikation zwischen deutschen und französischen Juristen nach dem 2.Weltkrieg Die kulturelle Kommunikation zwischen deutschen und französischen Juristen war in den letzten zwei Jahrhunderten nicht leicht. Im Zentrum des Vortrags steht die Präsentation eines Forschungsprojekts, welches sich mit den tieferen historischen und methodologischen Gründen für solche Verständigungsprobleme befassen will. Das Thema wird insbesondere aus der Perspektive des Privatrechts beleuchtet. Der hier skizzierten Frage liegen also nicht die Unterschiede des materiellen Rechts zugrunde, welche zwischen deutschem und französischem Privatrecht durchaus beträchtlich sind. Im Vordergrund stehen vielmehr die unterschiedlichen Denkund Argumentationsweisen der deutschen und französischen Juristen, ihr Verständnis von Recht und Rechtswissenschaft, was nicht zuletzt auch bereits in den unterschiedlichen Formen der Didaktik bei der Juristenausbildung in beiden Ländern sichtbar wird. Die Entfremdung zwischen französischen und deutschen Zivilrechtslehrern beginnt bereits Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Professoren des Römischen Rechts an den deutschen Rechtsfakultäten eine völlig neue Zivilrechtstheorie entwickeln, welche später prägend für die deutsche Kodifikation des BGB im Jahre 1900 werden wird. Von dieser Entwicklung bleibt, wenigstens z.T., das damalige französische Zivilrecht ausgeschlossen. Bis heute bleibt das französische Zivilrecht deshalb, im Vergleich mit dem Recht der deutschen Zivilrechtsdogmatik, in Anlage und Methode wesensverschieden. Man kann sich fragen, ob sich diese Entfremdung nach dem 2. Weltkrieg verstärkt hat, oder ob umgekehrt in den 40er und 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts neue Formen der kulturellen Kommunikation zwischen deutschen und französischen Privatrechtlern gefunden wurden. Zu denken wäre hier an werkbiographische Untersuchungen etwa zu den deutschen 500 Mitgliedern der „Association Henri Capitant pour la diffusion de la culture juridique française dans le monde“ nach 1945. Erwähnenswert ist, dass deutsche Rechtsprofessoren bereits Anfang der 50er Jahre zu Gastvorträgen in Paris eingeladen wurden. In diesen Zusammenhang gehört ebenso die Ausstrahlung der deutschen Rechtstheorie, etwa in der vielbeachteten Thèse von Jan Motulsky, „Principes d’une réalisation méthodique du droit privé (la théorie des éléments générateurs des droits subjectifs)“, welche im Jahre 1948 in Paris publiziert wurde. Die Quellen und die Ideen von Motulsky wurzeln in der deutschen rechtstheoretischen Tradition. In diesen Zusammenhang gehört es auch, der Frage nachzugehen, inwieweit das deutsche Zivilrecht und das BGB in Frankreich in den ersten Nachkriegsjahren zur Kenntnis genommen wurden, beispielsweise bei den Arbeiten der damaligen Kommission von Juliot de la Morandière bei der geplanten Reform des Code civil (1947-1955). Schließlich gehört auch die Gründung einer französischen Faculté de droit in Saarbrücken Anfang der 50er Jahre bei der damaligen Neugründung einer französischen Universität auf deutschem Boden dazu. Bei den Diskussionen und den Auseinandersetzungen um die Fortsetzung des französischen Rechtsstudiums an der Universität des Saarlandes nach 1955 wurde das kulturelle Klima zwischen den zwei Juristengenerationen sichtbar. Die aufgeworfenen Fragestellungen gehören in den größeren Zusammenhang, inwieweit in den Nachkriegsjahren in Kontinentaleuropa auch die Juristen eine transnationale Kommunikation gepflegt haben, und hier insbesondere, ob und in welchem Umfang auch eine kulturelle Verständigung zwischen deutschem und französischem Recht stattfand. 501 Patricia Oster-Stierle (Saarbrücken) Die Zeitschrift als Ort der Konstitution eines ‚transnationalen’ kulturellen Feldes: Lancelot, der Bote aus Frankreich und Die Wandlung Welche Rolle spielt die Zeitschrift für die Konstitution eines transnationalen kulturellen Feldes? Jenseits der statischen imagologischen Fragestellung soll die Dynamik des deutsch-französischen Dialogs in einem zentralen Organ französischer Kulturpolitik, das in der Zeit von 1946 bis 1951 erschien, in den Mittelpunkt gestellt werden. Nicht das zum Ausdruck kommende Deutschland- oder Frankreichbild soll im Zentrum der Untersuchung stehen, sondern geistige Prozesse, die sich im sprachlichen Handeln der höchst facettenreichen Beiträge realisieren. Gerade die Frage nach der Konstitution eines ‚transnationalen’ kulturellen Feldes lenkt den Blick auf die Archäologie eines kulturellen Diskurses, der Weichen gestellt hat. Wie behauptet sich eine Zeitschrift in einem kulturellen Feld? Wie trägt sie zum kulturellen Fundus bei? In welcher Weise wird ein struktureller Boden für eine neue Form der Verständigung geschaffen? Lancelot, der Bote aus Frankreich, führt die Deutschen an einen französisch definierten Kulturbegriff heran. In einem ritterlichen „pacte de générosité“, der zweifellos auch in der Bezugnahme auf den Ritter der Tafelrunde konnotiert ist, werden den Deutschen in einer Zeit der Orientierungslosigkeit neue Sinnbezüge vermittelt. Ein ‚transnationales’ kulturelles Feld aus französischer Perspektive konstituiert sich in einem dynamischen Dialog zwischen den einzelnen Beiträgen. Dabei handelt es sich zugleich um einen intermedialen Dialog, in dem Texte, Bilder und Filme in ein Verhältnis treten. Um das sich im Lancelot konstituierende ‚transnationale’ kulturelle Feld auch aus deutscher Perspektive zu beleuchten, soll der erste, 1946 erschienene Band der Zeitschrift Lancelot mit dem Jahrgang 1946 der Zeitschrift Die Wandlung konfrontiert werden. Wie reagiert eine deutsche Zeitschrift mit europäischem Horizont auf die Kulturnation Frankreich? Welche neuen Sinnbezüge werden in Deutschland angesichts der Orientierungs502 losigkeit gesucht? Welche Autoren stehen hier im Vordergrund? Wie unterscheidet sich eine deutsche europäische Perspektive von der französischen Kulturpolitik in Deutschland? Hans Ulrich Gumbrecht Karlheinz Stierle Dimensionen und Grenzen der Begriffsgeschichte Ästhetische Rationalität 2005. ca. 200 Seiten, Kart. ca. € 26,90/sFr 47,10 ISBN 3-7705-3694-0 1997. 519 Seiten, 15 Abb., Franz. Broschur € 44,-/sFr 74,80 ISBN 37705-3134-5 Reihe: Bild und Text Entstanden in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts aus der historischen Semantik und als Nebenschauplatz einer programmatisch orientierten Untersuchungs- und Reflexionskultur hat sich die Begriffsgeschichte in den epistemologischen Bedingungen der 70er und 80er Jahre beinahe unbemerkt zum dominanten Paradigma der Geisteswissenschaften in Deutschland entwickelt. Unter der Dominanz der Hermeneutik und des neohistorischen Stils liess sich sogar – mindestens im Stil einer provozierenden Geste – der maximalistische Anspruch vertreten, dass Begriffsgeschichte deckungsgleich sei mit jener historischen Arbeit schlechthin, welche nicht unter den Verdacht philosophischer Naivität fiele. Im ersten Rückblick lässt sich heute die doppelte Frage stellen nach einerseits den vergangenheitserschließenden Leistungen der Begriffsgeschichte sowie andererseits jenen Interessen an der Vergangenheit, denen Begriffsgeschichte prinzipiell nicht genügen kann. Kunstwerk und Werkbegriff Die Moderne hat gelernt, sich die Destruktion zu ihrer Muse zu machen und sich auf das Fragmentarische, das Unabgeschlossene oder Vieldeutige als Medium einer neuen Kunst einzulassen und dafür zugleich neue Zugänge des Verstehens zu eröffnen. Am Ende stellt sich aber die Frage, ob damit nicht auch der Weg in eine ästhetische Partikularität angetreten wurde, die schließlich dem Ästhetischen selbst den Boden entziehen musste. So könnte sich die Verabschiedung des Werkbegriffs, die einst mit Umberto Ecos Opera aperta programmatisch eingeleitet wurde, als vorschnell erweisen. Wilhelm Fink Verlag München Jühenplatz 1- 3 • 33098 Paderborn • www.fink.de Sektion 28 Eros – Zur Ästhetisierung eines (spät)antiken Philosophems in Neuzeit und Moderne Leitung: Maria Moog-Grünewald Programm Montag, 26.09.05 9.30 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr 14.45 Uhr 16.00 Uhr Eröffnung Oliver Primavesi (München) Erotik und Maieutik – Zur Metapher der männlichen Geist-Schwangerschaft in Platons „Symposion“ und „Theaitetos“ Manuel Baumbach (Zürich) Poetische Ausdrucksformen erotischen Begehrens. Das platonische Liebesepigramm und seine Rezeption in Antike und Renaissance Joachim Küpper (Berlin) Eros und Agape Katharina Münchberg (Tübingen) Eros im Mittelalter? Begehren und Erfüllung im höfischen Roman Dienstag, 27.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr 14.00 Uhr 504 Steffen Schneider (Tübingen) Eros als Ermöglichungsgrund einer neuen Poesie in Ariostos „Orlando Furioso“ Gerhard Regn (München) Perottinos Taschentuch: ‚affetto‘ und ‚artificiosità‘ in Bembos „Asolani“ Bernhard Huss (München) Der ‚eros academicus’ des Cinquecento: zwischen hierarchischer Beladung und burlesker Entlastung 14.45 Uhr 16.00 Uhr Susanne Gramatzki (Wuppertal) Von Amor zu Eros – Die ästhetischsoteriologische Funktionalisierung der Liebe bei Michelangelo Buonarroti Maria Moog-Grünewald (Tübingen) Leidenschaft und Überschreitung: Zum Verhältnis von Ästhetik und Metaphysik in Giordano Brunos „Eroici furori“ Mittwoch, 28.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Bettina Full (Bamberg) „une ébauche lente à venir“ – Bildwerdung des Eros und Formgebung der Lyrik in der französischen Renaissance Franz Penzenstadler (Tübingen) Eros und Ästhetik in Balzacs Sarrasine Donnerstag, 29.09.05 9.00 Uhr 9.45 Uhr Anke Kramer (Tübingen) „Der große Zusammenhang der Dinge“ – Zur Funktion des Eros in Fontanes „Stechlin“ Renate Schlesier (Berlin) ‘D’Éros et de la lutte contre Éros’ – Zur Poetisierung von Freuds Trieblehre in Bretons „Amour fou“ 505 Abstracts Oliver Primavesi (München) Erotik und Maieutik – Zur Metapher der männlichen GeistSchwangerschaft in Platons „Symposion“ und „Theaitetos“ Das Motiv der männlichen Geist-Schwangerschaft schließt die Rede der Diotima im Symposion mit der Hebammen-Passage des Theaitetos zusammen. Doch im Symposion ist, wie die Lobrede des Alkibiades zeigt, der große Liebhaber im spirituellen Sinne Sokrates selbst: Er ist in fruchtbarer Weise schwanger, während der Schönheit des rezipierenden Knaben die Aufgabe zukommt, die Qual der Wehen zu mildern. Im Theaitet hingegen übernimmt Sokrates die Rolle der Geistes-Hebamme, und die wirkliche oder scheinbare Geistesschwangerschaft kommt dem Knaben zu. Zu fragen ist nach den philosophischen Motiven dieser Neukonfiguration. Manuel Baumbach (Zürich) Poetische Ausdrucksformen erotischen Begehrens: Das platonische Liebesepigramm und seine Rezeption in Antike und Renaissance Liebesepigramme sind die einzigen dichterischen Zeugnisse Platons und das nicht von ungefähr: Ungeachtet ihrer umstrittenen (aber wahrscheinlichen) Authentizität markieren sie den Beginn einer neuen Form des dichterischen Sprechens von bzw. über Eros. Sie ‚übersetzen‘ nicht nur Aspekte der platonischen Eroskonzeption in Poesie, sondern sie geben Anstöße zu einer sich immer wieder neu selbst entdeckenden und schaffenden Dichtung. Als eine Kette von kurzen, flüchtigen Momentaufnahmen der Suche nach dem sinnlichen Eros werden die Epigramme zur Manifestation des unerfüllbaren, ständig variierenden erotischen Begehrens und der poetischen Möglichkeiten, es immer wieder neu und anders zu beschreiben. Die Rezeption der Epigramme in Antike 506 und Renaissance wird unter dem Aspekt der Ästhetisierung und poetischen Bildwerdung dieses platonischen Eros vorgestellt. Joachim Küpper (Berlin) Eros und Agape In Reaktion auf die im Prospekt/ Programm dieser Sektion beschriebene Leit-Hypothese soll in diesem Beitrag der Frage nachgegangen werden, inwieweit die in der okzidentalen Kunst festzustellende Nobilitierung des Materiellen bzw. seiner Darstellung außer auf den neoplatonischen Grundlagen auch auf der christlichen Anschauung der Schöpfung und der Inkarnation ruht, d. h. auf narrativen Figuren, die die Präsenz des Göttlichen in der Materialität postulieren. Letztlich geht es um die Frage, ob es eine christliche Ästhetik gibt (bzw. geben kann) sowie um das daran anschließende Problem des Verhältnisses einer solchen, ggf. existenten christlichen zu einer platonisch-neoplatonischen Ästhetik. Katharina Münchberg (Tübingen) Eros im Mittelalter? Begehren und Erfüllung im höfischen Roman Wenngleich die neuplatonische Eros-Konzeption als eine nicht unerhebliche Quelle des Amor-Ideals der Trobador-Lyrik gelten darf, so bleibt doch die Frage offen, warum das Grundmuster des unendlichen (Liebes-)Begehrens im höfischen Roman offenbar irrelevant ist. Am Beispiel von Chrétien de Troyes soll gezeigt werden, daß die Zusammengehörigkeit von Begehren und Erfüllung eine prinzipiell neue Erfindung des höfischen Romans ist, die sich auch über die christlich-religiösen und kulturell-höfischen Diskurse der Zeit nicht restlos erklären läßt. Der höfische Roman macht den erotischen Bann durch körperliche Schönheit zum Vorgriff auf das Glück der erfüllten individuellen Liebe. Dabei werden neuplatonische, durch die christliche Theologie (Augustinus) transpor507 tierte Vorstellungen (Transzendierung des Materiellen) gelöscht, um verschoben in einem ästhetischen Ideal der erfüllten Liebe zu erscheinen, dem die auf narrative Einheit zielende Werkstruktur des höfischen Romans korrespondiert. Diese Konstellation bildet die Voraussetzung für die Reaktualisierung des Neuplatonismus in den Romanen der frühen Neuzeit, die auch darum auf ‚Pluralität‘ zielen, weil die Balance von Begehren und Erfüllung selbst zum unerfüllbaren Ideal geworden ist. Steffen Schneider (Tübingen) Eros als Ermöglichungsgrund einer neuen Poesie in Ariostos „Orlando Furioso“ Wie bereits der Titel des Orlando Furioso andeutet, entfaltet das Werk die Liebesthematik im Zusammenhang mit der Semantik und der Symptomatik des Wahnsinns. Durch die Liebe geraten die Helden „außer sich“, ohne doch in dieser Ekstase die Anwesenheit eines Transzendenten erfahren zu können; sie werden „blind“, und in dieser Blindheit sind sie ihres Unterscheidungsvermögens beraubt. In der Entstellung der Ekstasis zum pathologischen Wahnsinn enthüllt sich aber mehr als nur die fehlende Einsicht der Protagonisten, vielmehr korrespondiert der Liebesblindheit die Opazität der Erscheinungswelt: Im Feld der Immanenz verliert sich die Unterscheidbarkeit wahrer und falscher Abbilder, woraus eine ungeheure Dynamisierung der Liebe hinsichtlich ihrer möglichen Objekte und Äußerungen ebenso hervorgeht wie eine Pluralisierung ihrer Deutungsmöglichkeiten. Dennoch erscheint Eros im Orlando Furioso nicht nur als Agent dieser Tendenz zur Immanentisierung und Pluralisierung, er stellt zugleich das Deutungsmuster dar, mit dessen Hilfe das Geschehen interpretiert und in eine ästhetische Ordnung überführt wird. Weit davon entfernt, mit dem Verlust an transzendenter Orientierung nur zu spielen, erfindet Ariost im Zeichen des Eros eine Poesie, die ihre Verfahren und ihre Struktur weniger aus der Referenz auf text- bzw. weltex508 terne Strukturen gewinnt als aus einer Reflexion des menschlichen Geistes selbst, und die gerade dadurch einer neuen Wahrheit fähig ist. Als ein sicheres Indiz hierfür kann auch das Bekenntnis der Erzählers zu seinem eigenen Liebeswahnsinn angesehen werden: Dieser ermöglicht es ihm allererst, in kongenialer Weise das Geschehen, von dem er berichten will, zu gestalten und über die Motive der Handelnden Rechenschaft zu geben. Gerhard Regn (München) Perottinos Taschentuch: ‘affetto’ und’artificiosità’ in Bembos ‘Asolani’ Die Asolani sind ein liebestheoretischer Dialog, der die Spannung zwischen Repräsentierbarkeit der ‚affetti amorosi’ und ‚artificiosità’ der Repräsentation zum Gegenstand literarischer Inszenierung macht. Bernhard Huss (München) Der ‚eros academicus’ des Cinquecento: zwischen hierarchischer Beladung und burlesker Entlastung Thema des Beitrags ist der Liebesdiskurs in den italienischen Akademien des Cinquecento. Das zentral von Marsilio Ficinos De amore bestimmte Liebeskonzept des Florentiner Renaissanceplatonismus situiert sich zwar unmittelbar vor dem Hintergrund zeitgenössischer Dichtungspraxis und -theorie, installiert aber originär nicht die Konzeption einer autonomen (Liebes-)Dichtung, sondern versucht vielmehr, die dichterische Rede von der Liebe in ein strikt hierarchisch organisiertes, durch den Rekurs auf zentrale Philosopheme der platonischen Tradition autoritativ gefestigtes Weltmodell einzugliedern. Indem dieses Liebeskonzept schon in der ernsthaften Liebestraktatistik des Cinquecento aus diesem Autoritätsrahmen gelöst und selektiv reaktualisiert wird, gerät es – zunächst unmerklich – zur Verfügungsmasse eines literarischen und metaliterarischen Diskurses, der sich (nicht zuletzt 509 angesichts der allmählich aufkommenden Rezeption der Aristotelischen Poetik) einer Ästhetisierung der Ficinianischen Liebeskonzeption verschreibt, die in letzter Instanz dieser Konzeption ihre transmundane Dynamik abhanden kommen lässt. Verschärft wird diese Tendenz durch die Konfrontation mit Autoritäten wie Petrarca und Dante, in die die dichtungsexegetischen Bemühungen des akademischen Liebesdiskurses im 16. Jahrhundert den Ficinianismus bringen. Ihren Höhepunkt erreicht diese Entwicklung in akademischen Texten, die eine gewagt-erotische Umkehrung von Ficinos Theoremen vollziehen und hinsichtlich derer bislang völlig ungeklärt ist, ob es sich hier um eine ‚konterdiskursive’ Zerschreibung oder eine in spielerischer Weise entlastende – und dadurch letztlich zumindest sektoral wieder affirmierende – Umschreibung jener einstmals mit dem Gestus umfassender Welterklärungsmacht auftretenden Liebestheorie handelt. Susanne Gramatzki (Wuppertal) Von Amor zu Eros – Die ästhetisch-soteriologische Funktionalisierung der Liebe bei Michelangelo Buonarroti Im lyrischen Werk Michelangelo Buonarrotis (1475–1564) lassen sich verschiedene, miteinander verschmelzende Liebesauffassungen aufweisen. Neben einer vor allem die ‚frühen’ Gedichte prägenden amormythologischen Auffassung, die sich der Topoi und Mythologeme des tradierten lyrischen Amordiskurses bedient, lässt sich eine erosphilosophische Konzeption herausarbeiten, die die Liebe neuplatonisch als eine die Immanenz transzendierende, den Menschen zu seinem göttlichen Ursprung zurückführende Kraft beschreibt. Die für den Neuplatonismus typische ,aisthetisierte‘ Auffassung des Menschen und seiner Verwandlung durch das erotische Begehren hat Michelangelo für die Subjektkonzeption seiner Rime fruchtbar gemacht und in einer Reihe von Gedichten zu einem spezifisch ästhetischen Selbst-Entwurf konkretisiert. Was Ficino idea bzw. forma nennt – das zu erreichende Ideal – ist bei 510 Michelangelo in den Begriff des concetto gefaßt, der seiner Verwirklichung harrt: Die neuplatonische Vorstellung von der generischen Unvollkommenheit des Menschen hat Michelangelo in seinen Rime zur individuellen Defizienz eines sich als fragmentarisch und erlösungsbedürftig präsentierenden Ich intensiviert, besonders sinnfällig in jenen Texten, in denen sich der Sprecher zum unvollendeten Kunstwerk metaphorisiert. In engem Zusammenhang mit diesen neuplatonisch inspirierten Liebesgedichten stehen jene Texte Michelangelos, die den christlich-religiösen Aspekt stärker in den Vordergrund stellen und sich als soteriologisch charakterisieren lassen: Im Unterschied zu den eros-philosophischen Texten, die die Kontemplation insbesondere männlicher Schönheit fokussieren, evozieren sie eine weibliche, marianisch konnotierte Erlöserfigur. Auch in dieser Werkgruppe wird das Liebesbegehren als zunächst aisthetischer Prozess beschrieben (Wahrnehmung des Anderen und Affizierung durch dieses Bild), der in einen ästhetischen Akt übergeht (Umformung dieses Bildes gemäß dem in der Seele befindlichen Urbild), ohne jedoch die ersehnte Synthesis tatsächlich verwirklichen zu können: Diese ist in der Immanenz nur in statu nascendi darstellbar. Es lässt sich schlussfolgern, dass die zahlreichen unvollendet gebliebenen Gedichte und Kunstwerke Michelangelos einer modern anmutenden ‚negativen’ Ästhetik entspringen, die keine Einheit prätendiert, sondern versucht, Totalität im Fragment anschaulich werden zu lassen. Maria Moog-Grünewald (Tübingen) Leidenschaft und Überschreitung: Zum Verhältnis von Ästhetik und Metaphysik in Giordano Brunos „Eroici furori“ Giordano Brunos Degli Eroici furori sind Summa seiner ‚Dialoghi italiani’. In äußerster ‚Verdichtung’ thematisieren sie (neu)platonische Philosopheme, die als immanent invertierte eine Textur generieren, die den ‚furore eroico’ sprachlich-strukturell 511 ‚nachzubilden’ intendiert, zugleich in der Figur des ‚eroe’ ein Modell moderner Anthropologie konstituiert. Bettina Full (Bamberg) „une ébauche lente à venir“. Bildwerdung des Eros und Formgebung der Lyrik in der französischen Renaissance Charles Baudelaire hat sein Gedicht Une charogne, das zumeist als signifikantes Beispiel für eine moderne Ästhetik des Hässlichen gelesen wird, in den Kontext der Renaissancelyrik gestellt. Das Gedicht reflektiert die Erarbeitung einer Form und Essenz, die ihre Grundlage in sinnlicher Erotik und Vergänglichkeit, im amor carnalis, und zugleich in der „décomposition“ der spiritualisierten, neuplatonischen Liebe und ihrer Gestaltung in den rinascimentalen Amours-Zyklen hat. Im Zentrum des Gedichts, als dessen mise en abyme, steht ein dem Vergessen unterworfenes Bild, das in der frühneuzeitlichen lyrischen Tradition von Amor ausgefüllt ist. Was dem Leser von Une charogne als nurmehr abstrakte Skizze, als „ébauche“, bzw. als eine der transzendenten Verweisung entzogene Anamnesisfigur in Erinnerung gerufen wird, sind jene sprachlichen Verfahren, die es ermöglichen, Eros, verstanden als inneres Vorstellungsbild, als Potenz oder Denkform, im Text darzustellen. Die Rückwirkung, die die jeweilige Gestaltung dieser Figur auf die ontologische Valenz der sie gestaltenden Form, das Gedicht, gewinnt, hat Baudelaire prägnant fokussiert: Der entworfene Inhalt blendet zurück auf seinen Ursprung, das Entwerfen selbst. Dieses gründet – so der neuplatonische Diskurs – in einem transzendenten Bereich, Idee oder furor, oder entkräftet diese Referenz des Sprechens im Gegenzug über das Bild, wie es im Text zur Erscheinung kommt. Eine solche Selbstbestimmung der lyrischen Form über die Bildwerdung des Eros möchte der Vortrag anhand ausgewählter Texte der französischen Renaissance diskutieren. Zu betrachten ist dabei nicht nur das einzelne Gedicht, sondern auch der Bildentwurf, der sich über die Anlage ganzer Zyklen, so z.B. Pierre de 512 Ronsards Sonnets pour Hélène, erstreckt. Gefragt werden soll, wie sich die Dichtung durch eine facettenreiche Figur der Anschauung von den auf Transzendenz und fortschreitende Erkenntnis gerichteten Eros-Modellen des Neuplatonismus abgrenzt und dadurch die ihr eigene Form und Essenz bestimmt. Franz Penzenstadler (Tübingen) Eros und Ästhetik in Balzacs Sarrasine Dass Sarrasine heute zu den bekanntesten Erzählungen Balzacs zählt, verdankt sie nicht zuletzt ihrer eingehenden Lektüre durch Roland Barthes. Abgesehen davon, dass es Barthes dabei in erster Linie um eine allgemeine Theorie typischer Sinnkonstitutionsverfahren des klassischen texte lisible und damit auch um ein kritisches Hinterfragen realistischer Erzählverfahren geht, deutet er den Text jedoch primär als Modellierung einer sexuellen Frustrationserfahrung und marginalisiert damit die von Balzac ins Zentrum autoreferentieller Reflexion gerückten ästhetischen Fragen nach dem Verhältnis von erotischem Begehren und künstlerischer Produktion, produktiver Leidenschaft und autonomem Werk, Realität und Idealität, Natur und Kunst. Anke Kramer (Tübingen) „Der große Zusammenhang der Dinge“ - Zur Funktion des Eros in Fontanes „Stechlin“ (Abstract lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.) Renate Schlesier (Berlin) ‘D’Éros et de la lutte contre Éros’ – Zur Poetisierung von Freuds Trieblehre in Bretons „Amour fou“ Breton bekennt 1937 in L’Amour fou, dass eine Zeile aus Freuds Aufsatz Das Ich und das Es von 1923 – „D’Éros et de la lutte contre Éros“ – ihn an manchen Tagen wie ein Gedichtvers „obsessiv 513 verfolgt“. Doch dies ist nicht die einzige Poetisierung von Freuds Trieblehre, die Breton in seinem Manifest des Liebesfuror unternimmt. Zu den Modi von Bretons Poetisierung gehören möglicherweise weniger Verfahren der Dramatisierung und der Pathologisierung im Zeichen konvulsivischer Schönheit als vielmehr Versuche programmatischer Mystifizierung, die in den Dienst eines Ideals absoluter, einziger Liebe gestellt werden. Der Poesie fällt dabei die Rolle einer „divinisation“ zu, die im Leben auf mysteriöse Weise durch den unbewusst, aber spirituell im konkreten Detail antizipierten Zufall einer Liebesbegegnung real erfüllbar ist. Im sich dabei ereignenden Liebesfuror, so die Botschaft, werden Poesie und Leben „rekreiert“. Nach den neuplatonischen Implikationen dieser Lesart des psychoanalytischen Libidokonzepts wird zu fragen sein. 514 Personenverzeichnis A Ackermann, Kathrin 323 Aichinger, Wolfram 328 Albers, Lina 182 Albert, Mechthild 446 Albrecht, Jörn 21 Amend-Söchting, Anne 430 Amian, Henrike 76 Amos, Thomas 465 Anselmi, Roberta 357 Arenas Olleta, Julio 228 Arnscheidt, Gero 329 Arntz, Reiner 31 Asholt, Wolfgang 441 Atayan, Vahram 22 B Bachmann, Iris 234 Bagola, Beatrice 91 Bahmer, Claudia 297 Baldarelli, Beatrice 444 Bandau, Anja 375 Barbato, Marcello 113 Barjonet, Aurélie 486 Barrera-Vidal, Albert 459 Bauer, Elisabeth 272 Bauer-Funke, Cerstin 428 Baumbach, Manuel 506 Becker, Christina 75 Begenat-Neuschäfer, Anne 461 Behrens, Rudolf 238 Behrent, Sigrid 167 Benazzo, Sandra 159 Bender-Berland, Geneviève 83 Benincà, Paola 102 Berger, Günter 245 Berger, Verena 401 516 Bernini, Giuliano 157 Bernsen, Michael 429 Berressem, Hanjo 349 Betrán, Josep Maria 69 Bierbach, Mechtild 467 Bisanti, Tatiana 241 Blaikner-Hohenwart, Gabriele 26 Blaschke, Bernd 426 Böhmer, Heiner 84 Bombarde, Odile 444 Bonnesen, Matthias 175 Boria, Monica 469 Bosse, Monika 481 Brager, Virginie 376 Brandão de Carvalho, Joaquim 48 Buck, Anna-Sophia 337 Budach, Gabriele 169 Burdy, Philipp 115 Burkard, Thorsten 263 Buschmann, Albrecht 384 Bustos Tovar, José Jesus de 218 C Caetano Popoff, Marcela 310 Calderón, Marietta 65, 185 Calinon, Anne-Sophie 139 Carrillo Zeiter, Katja 310 Charret, Marie-Aude 388 Chasle, Nathalie 47 Chico Rico, Francisco 23 Clamor, Annette 484 Costadura, Edoardo 337 Curtis, Robin 399 Czapla, Beate 255 D D‘Alessandro, Roberta 203 Dalla Valle, Daniela 244 Danese, Francesca 81 517 Dauster, Judith 162 Delmeule, Jean-Christophe 360 Delon, Michel 435 Denzel de Tirado, Heidi 294 Deringer, Ludwig 398 Desmaret, Marie-Christine 358 Dickhaut, Kirsten 432 Dietrich, Wolf 153 Dietzel, Uwe 64, 85 Difour, Patrick 343 Dolle, Verena 306 Döring, Martin 70 Dufter, Andreas 122 Dünne, Jörg 483 Duvauchel, Marion 362 E Eckardt, Regine 120 Edwards, Celina 160 Eigler, Ulrich 254 Einfalt, Michael 339 Emanuel, Oliver 472 Endruschat, Annette 231 Erdmann, Eva 240 Erfurt, Jürgen 400 Ertler, Klaus-Dieter 395, 413 Espagne, Michel 492 Eufe, Rembert 100 Extepare, Ricardo 193 F Fajen, Robert 278 Falkert, Anika 141 Fazio, Debora de 80 Febel, Gisela 284 Feierstein, Liliana Ruth 474 Feierstein, Ricardo 475 Feig, Éva 72 Feldman, Lada Cale 246 518 Fendler, Ute 313 Fernández Alcaide, Marta 230 Fill, Alwin 321 Fischer, Carolin 435 Fischer, Susann 121 Fischer, Tanja 184 Föcking, Marc 260 Folliero-Metz, Grazia Dolores 323 Ford, Aníbal 182 Fortin, Jutta 326 Frank Kersch, Dorotea 151 Frings, Michael 87 Fuchs, Andreas 322 Full, Bettina 512 G Gabaude, Florent 361 Gabriel, Christoph 196 Gaglia, Sascha 50 Galle, Roland 427 Gardani, Francesco 51 Gargiulo, Marco 243 Gaudino Fallegger, Livia 57 Gauger, Hans-Martin 225 Gerstenberg, Annette 72 Gévaudan, Paul 121 Geyer, Paul 443 Gil, Alberto 28 Gilzmer, Mechtild 317 Gimeno Ugalde, Esther 291 Goebl, Hans 98 Goldbach, Maria 119 Gomez Rendón, Jorge 147 González Vilbazo, Kay 209 Graeber, Wilhelm 410 Graf, Marga 355, 379 Gramatzki, Susanne 510 Greilich, Susanne 316 Greiner, Thorsten 275 Grewe, Andrea 248 519 Grimaldi, Lucia 205 Grinberg Pla, Valeria 380 Grohmann, Kleanthes 193 Grunewald, Michel 495 Gumbrecht, Hans Ulrich 181, 491 Guzmán, Martha 149 H Haase, Martin 107 Haehnel, Gisela 484 Hafner, Jochen 225 Hagen, Robert 208 Hahn, Kurt 268 Halen, Pierre 314 Haller, Johann 26 Hartwig, Susanne 452 Harvey, Jessamy 469 Häseler, Jens 415 Haßler, Gerda 226 Hausmann, Frank-Rutger 490 Heinz, Matthias 114 Held, Gudrun 330 Helfrich, Uta 71 Helmich, Werner 445 Hempel, Karl Gerhard 27 Henschel, Christine 90 Herr, Peter 287 Hertrampf, Marina 470 Herzfeld, Anita 148 Hilal, André 110 Hinz, Manfred 366 Hinzelin, Marc-Olivier 101 Hörner, Fernand 347 Horton, Ian 463 Hudemann, Rainer 491 Huss, Bernhard 509 I Iliescu, Maria 101 520 J Jacobs, Helmut C. 413 Jacó Krug, Marcelo 152 Jamme, Christoph 440 Jost, François 287 Jungbluth, Konstanze 232 Jünke, Claudia 452 Jüttner, Siegfried 419 K Kabatek, Johannes 227 Kailuweit, Rolf 58 Kaiser, Georg A. 56 Kalulli, Dalina 202 Karimi, Kian-Harald 346 Kerleroux, Françoise 44 Klaus, Peter 394 Kleber, Hermann 82 Kleinert, Susanne 451 Kleinhans, Martha 277 Klemm, Thomas 185 Klump, Andre 79 Koch, Peter 95 Koppenfels, Martin von 373 Kovashazy, Cécile 298 Kral, Pia 89 Kral, Sonja 449 Kramer, Anke 513 Kramer, Johannes 82 Kramer, Olaf 29 Krefeld, Thomas 221 Krüger, Reinhard 263 Kuch, Marlene 383 Kuhn, Julia 126 Kuhnle, Till R. 368 Kulessa, Rotraud von 425 Kullmann, Dorothea 479 Kunz, Marco 282 Kupisch, Tanja 173 521 Küster, Martin 402 L Laferl, Christopher F. 324 Landvogt, Andrea 479 Lautenschlager, Erik 162 Lavric, Eva 166 Leinen, Frank 465 Leopold, Stephan 344 Leuker, Tobias 261 Lie, Nadia 307 Lieber, Maria 180 Lohse, Rolf 250 López, Luis 195 López Guil, Itzíar 281 Loporcaro, Michele 110 Lubello, Sergio 224 Lüdtke, Jens 39, 145 Lund, Cornelia 291 Lüsebrink, Hans-Jürgen 411 Lustig, Wolf 308 M Malatrait, Solveig 258 Marri, Fabio 186 Matzat, Wolfgang 424 Mayer, Christoph Oliver 364 Mehltretter, Florian 260 Meisenburg, Trudel 45 Meter, Helmut 338 Michael, Joachim 312 Michaelis, Susanne 132 Milkovitch-Rioux, Catherine 376 Miller, Ann 464 Mongi, Mario 311 Monjour, Alf 412 Moog-Grünewald, Maria 511 Moritz, Rainer 181 Morris, Paul 396 522 Moser, Ursula 396 Moser-Kroiss, Judith 325 Müller, Christoph 408 Müller, Gernot Michael 255 Müller, Gesine 381 Müller, Jochen 183 Müller, Jürgen E. 400 Müller, Natascha 171 Müller, Olaf 340 Münch, Christian 150 N Naba, Jean-Claude 316 Naglo, Kristian 86 Namer, Fiametta 41 Narr, Sabine 480 Necker, Heike 40 Neefs, Jacques 478 Neff, Birgit 249 Nehr, Harald 485 Neuhofer, Monika 378 Neumann, Florian 259 Neumann, Martin 430 Neumann-Holzschuh, Ingrid 99 Nies, Fritz 495 Nilsson, Gunnar 296 Nitsch, Wolfram 270 Nonnenmacher, Hartmut 468 O Obergöker, Timo 390 Oesterreicher, Wulf 219 Ortiz Wallner, Alexandra 380 Ossenkop, Christina 66 Oster, Angela Leona 345 Oster-Stierle, Patricia 502 Ott, Christine 482 Otto, Véronique 457 523 P Partzsch, Henriette 283 Paschen, Hans 280 Pavesio, Monica 247 Penello, Nicoletta 102 Penzenstadler, Franz 513 Penzkofer, Gerhard 269 Perdue, Clive 158 Personne, Cornelia 83 Petersilka, Corina 80 Petters, Enrico 180 Pfefferle, Stefan 163 Pillunat, Antje 171 Pinheiro, Teresa 296 Ploog, Katja 143 Pöckl, Wolfgang 32 Pohl, Burkhard 293 Poletto, Cecilia 197 Pomino, Natascha 212 Primavesi, Oliver 506 Proft, Sebastian 73 Pusch, Claus D. 131 R Radatz, Hans-Ingo 130 Rainer, Franz 40 Ranieri, Filippo 500 Regn, Gerhard 509 Reinke, Kristin 138, 187 Remberger, Eva-Maria 191 Rescia, Laura 244 Ricca, Davide 105 Rimpau, Laetitia 450 Rings, Guido 457 Rinke, Esther 192 Rivoletti, Christian 264 Robert, Jörg 262 Romero Ferrer, Alberto 417 Rose, Dirk 336 524 Röseberg, Dorothee 494 Roßbach, Sabine 309 Rubenis, Stefanie 280 Russo, Michela 48, 85 S Sacchelli, Oreste 290 Salvi, Giampaolo 118 Sautter, Daniela 247 Schaeffauer, Markus Klaus 308 Schäfer-Prieß, Barbara 33 Scharold, Irmgard 271 Scherer, Ludger 243 Schiwy, Freya 307 Schlesier, Renate 513 Schlüter, Renate 423 Schmelzer, Dagmar 354 Schmidt, Uwe 53 Schmidt-Riese, Roland 229 Schmitt, Christian 24 Schmitz, Katrin 169 Schneider, Herbert 497 Schneider, Ulrike 257 Scholler, Dietrich 350 Schomacher, Esther 238 Schowalter, Lutz 394 Schrader, Sabine 295 Schrader-Kniffki, Martina 152 Schreiber, Michael 34 Schütz, Susanne 473 Schwartz, Helmut 315 Schwarze, Christoph 38 Schwarze, Michael 441 Schweiger, Magdalena 400 Segler-Messner, Silke 442 Selig, Maria 97, 231 Sergo, Laura 24 Sieber, Cornelia 374 Siepe, Hans T. 492 Sinner, Carsten 63 525 Sistig, Jochen 461 Sobotta, Elissa 142 Sokol, Monika 127, 274 Solte-Gresser, Christiane 300 Stark, Elisabeth 133 Stefani-Meyer, Georgette 416 Stehl, Thomas 108 Steigerwald, Jörn 427 Steinkamp, Volker 409 Stierle, Karlheinz 494 Stockhorst, Stefanie 257 Stoefele, Dagmar 359 Stoll, André 482 Strasser, Alfred 362 Strickmann, Martin 493 Struckmeier, Volker 209 Struve, Karen 288 Suntrup, Elisabeth 386 Szlezak, Edit 141 T Teschke, Henning 349 Thielemann, Werner 35 Thies, Sebastian 292 Thome, Gisela 24 Tietz, Manfred 407 Timm, Christian 221 Treskow, Isabella von 387 Trifone, Piero 242 Tröster-Mutz, Stefan 68 Trotter, David 96 Tschilschke, Christian von 385, 406 Türschmann, Jörg 286, 329 U Ueckmann, Natascha 284 V Vatter, Christoph 499 526 Veenstra, Tonjes 211 Veldre, Georgia 55 Vetter, Eva 69, 88 Villoing, Florence 41 Visser, Judith 67 Vogt-Spira, Gregor 256 Völker, Heidrun 213 W Wagner, Birgit 434 Wagner,Christoph 30 Walter, Jacques 498 Wehr, Barbara 123 Wehrheim, Monika 305 Weiser, Jutta 433 Weißhaar, Angela 168 Weitzer, Karin 301 Wesselhöft, Christine 397 Wiedner, Saskia 365 Wienen, Ursula 33 Wieser, Doris 327 Wilhelm, Raymund 222 Windisch, Rudolf 233 Winter, Esme 128 Winter, Ulrich 447 Wirth, Christiane 68 Wisniewski, Katrin 186 Witthaus, Jan-Henrik 418 Wochele, Holger 89 Wodianka, Stephanie 447 Wortmann, Anke 299 Wurm, Andrea 22 Z Zaiser, Rainer 431 Zangenfeind, Sabine 387 Zimmer, Tanja 147 527 Danksagung Wir danken folgenden Institutionen für die Förderung und die finanzielle Unterstützung der Tagung: Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft des Saarlandes Universität des Saarlandes Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG Italienisches Generalkonsulat München ProSpanien (Programm für kulturelle Zusammenarbeit zwischen dem spanischen Kulturministerium und deutschen Hochschulen) Saarland Sporttoto GmbH 528 529